Das Anthropozän lernen und lehren

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Abbildung 10: Ein Beispiel für die Möglichkeit von Verschränkungen in Comics: Personalisierung (damaliger WBGU-Präsident Prof. Schellnhuber, damaliger US-Präsident Obama), naturwissenschaftliche Information (Treibhauseffekt, wird an anderer Stelle im Comic aufgegriffen und vertieft), wissenschaftsbasierte politische Aussage (Telefonat), Raumskalenverschränkung (Erde: global, Schellnhuber: lokal, Obama: Washington) sowie emotionale Bildmetapher Fiebrige Erde (in gewisser Anlehnung an den „armen Poeten‘ von Carl Spitzweg). (Aus Hamann et al. 2013)

Box 3: Phosphate – Gewinnung – Verarbeitung – Nutzung – Verschmutzung27

In einer gewissen Geschwindigkeit in Form von Guano grundsätzlich „nachwachsendes“ Phosphat ist längst abgebaut. Ganze Inseln wurden dazu umgestaltet und teilweise entvölkert. (Zur tragischen Geschichte des Phosphatabbaus auf den Pazifikinseln Banaba und Nauru siehe z.B. Ellis 1936, Folliet 2011, Jaramillo 2016, Teaiwa 2015, 2017.) Insbesondere die Landwirtschaft benötigt heute enorme Mengen an Phosphaten, welche fast ausschließlich aus wenigen fossilen und endlichen Vorkommen der Kreide- und Alttertiärzeit abgebaut werden, mit einer gewaltigen, geopolitisch bedeutsamen Monopolstellung in der heute an Marokko angegliederten Westsahara (USGS 2016). Der Abbau dieser Vorkommen ist technisch aufwendig und wegen der vielen assoziierten Schwermetalle enorm umweltkritisch (e.g. BGR 2013, PotashCorp 2014, Benjelloun 2016). Obwohl also Phosphat eine sehr endliche geologische Ressource darstellt, bringt der Mensch zwischenzeitlich mehr in den Phosphatkreislauf ein, als die Natur an Phosphat aus Verwitterung und natürlichen Recyclingprozessen zur Verfügung stellt. Somit gelangt nun also mehr als das Doppelte des vorindustriellen Werts an reaktivem Phosphor in die Umwelt, womit die planetarische Grenze für den Phosphorkreislauf (sensu Rockström et al. 2009 und Steffen et al. 2015) bereits überschritten ist. In Deutschland gingen zwar die Phosphatkonzentrationen in Fließgewässern durch den Stopp der Verwendung von Phosphaten für im Privathaushalt verwendete Waschmittel sowie durch verbesserte Kläranlagen deutlich zurück, allerdings nahmen die Ausflüsse aus der Landwirtschaft weiter zu. Insgesamt haben landwirtschaftliche Prozesse den größten Anteil an den Phosphateinträgen in die Umwelt (Meier 2017).

Als Beispiel für weitere Rechercheergebnisse sei ein kurzer Text zum Thema Phosphate – Gewinnung – Verarbeitung – Nutzung – Verschmutzung eingefügt, um die Komplexität und Querverbindungen zu anderen Themen exemplarisch aufzuzeigen (Box 3).

Viele Beispiele aus dem Buch, auch zur Storyboard-Erstellung und zum Gesamtprojekt finden sich auf den Projektwebseiten28. Das Buch wird häufig im Unterricht zur Projektarbeit verwendet, bevorzugt für Jahrgangsstufe 9 und 10 bzw. Sekundarstufe II, aber teilweise sogar für den Grundschulunterricht. Auch hierzu wurden wieder Lehrerhandreichungen erstellt (Hamann et al. 2017), die kostenlos verfügbar sind29. Neben vielen weiteren Einsatzmöglichkeiten wurden in den Handreichungen insbesondere die schulische Anwendung im Projektunterrichtformat „Zukunftswerkstatt“ angeregt und ausführliche Erläuterungen dazu gegeben. Die Evangelische Schule Berlin Zentrum war auf dem Kirchentag 2017 in Berlin sogar mit einem Kochstand zur Anthropozän-Küche vertreten, kochte vor Ort zwei Rezepte aus dem Buch nach (Rezepte aus Uganda und Indien) und bot zudem noch Insekten als Zukunftsfood zur Verkostung an. Den Interessierten wurden dazu viele, zuvor anhand des Buchs im Unterricht erarbeitete Anthropozän-Themen erläutert30.

Beispiel 4: Stoffgeschichten als Comic. Kurz erwähnt sei das bemerkenswerte Comic-Projekt der Universität Augsburg Stoffgeschichten – Flatscreen & Co. mit dem innovativen Webcomic High Five (Anderle et al. 2019)31. Der von Martyna Zalalyte illustrierte Comic erzählt die Geschichte der 13-jährigen Toni, deren Smartphone auf den Boden fällt und zerbricht. Beim Versuch es aufzuheben, schrumpft sie plötzlich und wird ins Innere des Smartphones gesogen. Auf ihrer Suche nach einem Ausgang trifft sie auf fünf chemische Elemente: Gold, Palladium, Indium, Europium und Neodym. Sie geben Toni einen spannenden Einblick in ihre eigene Geschichte. Gleichzeitig erhält sie umfangreiche Einblicke in die Stoffkreisläufe der Elemente, ein wesentliches Thema im Anthropozän (op cit.). Dieser Sachcomic, der stark auf fiktive Elemente setzt, verwendet ein neues Format, das des Webcomics, der kontinuierlich scrollbar ist, dabei teils linear, teils vertikal, so dass nun Erzählstränge betont sind und Spannung gut aufgebaut werden kann. Der lange Erzählstrang ist aber auch in Einzelcomics zerlegbar, die dann als pdf verfügbar sind. Der Webcomic erlaubt damit sowohl einen guten Einstieg in weiteren Unterricht rund um das Thema nicht nachwachsende Ressourcen, kann aber auch direkt zentral im Unterricht, etwa als Recherchegrundlage, verwendet werden. Alternativ könnten ähnliche Projekte auch selbst analog generiert werden, etwa auf langen Papierrollen, welche horizontal und/oder an einer Wand befestigt werden.

Beispiel 5: Scribble-Comics als Imaginationsauslöser: Ein häufiger Einwand gegen Verwendung graphischer Formate, gar Cartoons oder Comics lautet „Ich kann nicht so gut zeichnen“. Die eigene Erfahrung mit Seminaren in der Hochschullehre und in Schulprojekten ist, dass viel zeichnerisches Potenzial vorhanden ist. Aber auch mit einfachsten Strichfiguren und Scribbles ist sehr vieles machbar. Eine Websuchabfrage nach „Strichmännchen“, „Strichmännchen-Comics“, „Sketchnotes“ oder „Comics zeichnen“ ergibt eine Fülle von Beispielen und jede Menge Anleitungen. Der Verfasser dieses Artikels erstellte gemeinsam mit einer Graphic-Recorderin und graphischen Moderationsspezialistin die Visualisierung eines Konzeptes für das Futurium (vormals Haus der Zukunft) in Berlin für die Öffentlichkeit (Leinfelder & Föhr 2015). Einige Beispiele sind auch in den vorliegenden Beitrag eingestreut (siehe Abb. 13, 14). Auch der Verfasser selbst scribbelt Abbildungen für Vorträge oder Vorlesungen und zwischenzeitlich sogar für Publikationen (etwa Abb. 2, 8, 9 in diesem Beitrag). Zuerst aus Zeitnot geboren, wurde durch Publikumsreaktionen schnell klar, dass diese Form der Darstellung Vorteile gerade auch bei Zukunftsfragen hat. Die Visualisierung möglicher „Zukünfte“ in Form einfacher Strich- oder Aquarellgraphiken erscheint nicht mehr so autoritativ abgeschlossen, sondern viel offener und dadurch auch weniger fremd. Solch einfache Graphiken visualisieren weniger, sondern dienen eher als Anregung für eigene, aktive und kreative Imagination.


Abbildung 11: Comic-Darstellung von Phosphatabbau und Transport zur Küste in Marokko, Westsahara. (Grafik Zineb Benjelloun, Aus Die Anthropozän-Küche [Marokko-Kapitel], Leinfelder et al. 2016, S. 48)

Als Anregung für den möglichen Einsatz von Comics für Anthropozän-relevante Themen im Schulunterricht böten sich damit etwa folgende Formate an:

• Komplexe Anthropozän-Themen anhand vorhandener Sachcomics erarbeiten (siehe dazu auch Abschnitt 3.3);

• Sachcomics zum Anthropozän analysieren, Faktencheck durchführen, Evaluation, evtl. in Form von Umfragen zur Verständlichkeit, zum Erhalt der Komplexität, zur Motivation des Arbeitens damit erstellen;

• aus erlerntem oder selbst recherchiertem Stoff oder auch aus eigenen Beobachtungen zu Anthropozän-Themen selbst Comics erstellen, ggf. auch in Kooperation verschiedener Fächer mit dem Kunstunterricht;

• Graphic Recordings zu einzelnen Schulstunden erstellen (alternativer „Mitschrieb“).32

Eigene Ausstellungen zum Anthropozän lassen sich im Unterricht konzipieren und ggf. dort oder auch andernorts umsetzen. Die Themen sollten zuvor im Unterricht behandelt worden sein. Mögliche Formate und Themen könnten Folgendes beinhalten:

• Kunstprojekte: Ausstellungen aus selbstgesammeltem Plastikmüll33, aus selbsterstellten Upcycling-Produkten34, zu Slow Fashion35, aus selbstgehäkelten36 oder selbstgebastelten Objekten, aus selbst erstellten Sachcomics u.v.m.

• Fotoausstellungen zum Anthropozän mit selbst erstellten Fotos37;

• komplette Erstellung eigener wissenschaftlicher Ausstellungen (am besten in Kooperation mit den Wissenschaften)38.

 

Selbstverständlich sind auch weitere Formate geeignet, um Anthropozän-Themen adäquat zu viualisieren, dies könnte das Planen, ggf. auch Anlegen von Wanderwegen mit Anthropozän-Objekten und graphischen Tafeln umfassen, aber auch Videoprojekte39 oder Video-podcasts40.

3.3 Partizipation und Design Thinking im Anthropozän

Partizipationsprojekte, insbesondere in der Form von Citizen Science, sind heute gut etabliert und umfassen eine enorme Bandbreite von Inhalten und Formaten (Finke 2014). Ursprünglich als Unterstützung von Wissenschaften in der Datengewinnung gedacht, finden sich partizipative Tätigkeiten überwiegend, aber nicht ausschließlich in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen (ehrenamtliches Museumspersonal, Vogel- und Schmetterlingsmonitoring durch Privatpersonen und vieles mehr). Moderne Citizen Science-Projekte haben teilweise erheblichen Umfang und technische Unterstützung durch Smartphone-Apps. Ohne ehrenamtliche Unterstützung wären viele wissenschaftliche Projekte gar nicht leistbar, exemplarisch genannte seien das Mückenatlas-Projekt41 oder das seit 1996 laufende weltweite Reefcheck-Projekt42, ohne welches die Riffwissenschaften nicht über die starke globale Gefährdung der Korallenriffe erfahren hätten und bis heute nicht alleine das notwendige Monitoring betreiben könnten. Citizen Science-Projekte unterstützen aber nicht nur die Wissenschaften in wesentlicher Weise bei ihren Aufgaben, sondern sind auch sehr geeignet, um Vertrauen in die Wissenschaften auszubauen und diese zu „legitimieren“. Die Teilnehmenden tragen zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn bei, dies motiviert und unterstützt das Selbstvertrauen und die Selbstwirksamkeitserfahrung – „ich kann etwas Sinnvolles tun und bin Teil des Teams“ (siehe dazu auch Leinfelder 2013a). Neben Monitoring- und Kartierungsprojekten gibt es viele andere partizipative Formate mit jeweils stark unterschiedlicher Expertenbeteiligung – das Format ist also anpassbar. Im schulischen Bereich sind auch Schülerlabore weit verbreitet, die häufig von Hochschulen zur Verfügung gestellt und betreut werden und zu Unterrichtszwecken vielfältig nutzbar sind. Beim Bundesverband der Schülerlabore LernortLabor43 findet sich eine aktuelle Zusammenstellung der Möglichkeiten für die MINT-Nachhaltigkeitsbildung (LeLa 2018). Auch der Design-Thinking-Ansatz enthält viele partizipative Elemente.

Insgesamt erscheinen gut designte partizipative sowie Design-Thinking-basierte Projekte hervorragend geeignet, um

• Motivation auch zur Beschäftigung mit komplexen Themen zu erzeugen;

• sich mit der „Gesamtheit“ einer Situation zu befassen, also vernetztes, systemisches Denken und Handeln einzuüben;

• aus vernetztem Denken Problemlösungsschritte zu generieren (vgl. Gomez & Probst 2001):

• Zusammenhänge und Spannungsfelder der Problemsituation verstehen;

• Zusammenhänge und Spannungsfelder der Problemsituation herstellen;

• Gestaltungs- und Lenkungsmöglichkeiten erarbeiten;

• mögliche Problemlösungen beurteilen;

• Problemlösungen umsetzen und verankern.

Derartige Bildungsansätze erscheinen wesentlich, um nicht nur Komplexität des vernetzten Systems von Ökosphären mit der Anthroposphäre, sondern auch mögliche integrative Handlungsoptionen und deren Umsetzungen zu vermitteln bzw. anzuregen. Dies steht im Einklang mit der vom WBGU vorgeschlagenen Transformationsbildung, welche ebenfalls dazu befähigen soll, globales Verantwortungsbewusstsein zu reflektieren, systemisches Denken zu fördern und daraus ein systemisches Verständnis der Handlungsoptionen zu generieren (WBGU 2011). Dadurch wird der Gesellschaft Wissen über Umweltprobleme zur Verfügung gestellt und diese zu gesellschaftlicher Teilhabe sowie zu politischem Handeln angeregt. Der WBGU schlägt dazu vor, im Unterricht einen Bezug zu Schlüsselfaktoren der Transformation herzustellen, indem transformationsrelevante Themen fächerübergreifend bzw. fächerverbindend behandelt werden, so dass systemisches Denken alltagsnah erfahrbar und Wirkzusammenhänge nachvollziehbar gemacht werden (siehe z.B. Pelletier et al. 1998; Pintrich 2003; Gormley 2011, WBGU 2011).44

Jeweils ein Beispiel aus dem eigenen Umfeld des Verfassers sei nachfolgend kurz vorgestellt.

3.3.1 Schulisches Anthropozän-Umweltmonitoring – ein Fallbeispiel für die Förderung vernetzten Denkens

Ausgangspunkt für eine in der Arbeitsgruppe des Verfassers durchgeführte Dissertation war die Beobachtung, dass auch an Schulen komplexe Themen oftmals nicht in der notwendigen systemischen Vernetzung behandelt werden, sondern abgesehen von einigen Querschnittsthemen (wie dem leider oft nur als „add-on“ in Projektunterricht behandelten Thema Nachhaltigkeit) für linearen Fachunterricht vielfach zu kleinteilig heruntergebrochen werden. Daher wurde in einem interdisziplinären partizipativen Projekt zum Biodiversitätsmonitoring untersucht, ob dies systemisches Denken positiv beeinflussen kann.

Im Rahmen dieser Dissertation (Rost 2014) wurde mit Berliner Schulen ein fächerübergreifendes Umweltmonitoring erarbeitet und ausgewertet. Dazu wurden vier fächerübergreifende „Forscherhefte“ (Tiere, Pflanzen, Meteorologie, Boden) als Benutzeranleitung erstellt und in Kooperation mit dem Museum für Naturkunde Berlin eine unterstützende datenbankbasierte App angepasst. Die Forscherhefte beinhalten Aufgaben, die wie Arbeitsblätter gestaltet und austauschbar sind. Zum Konzept gehört auch, dass die Schüler/innen ihre Forschergruppe frei wählen durften, jedoch die Lehrkräfte hier ggf. moderierend eingreifen, um auf vergleichbare, miteinander im Austausch stehende Gruppengrößen zu kommen. Jede/r in der Gruppe bekommt ein eigenes Forscherheft, es gibt aber auch ein Gruppenforscherheft, in welches die Lösungen erst nach Einigung in der Gruppe kommen. Auch die Schwierigkeitsstufen der Aufgaben sind erkennbar, es gibt Pflicht- oder Wahlaufgaben, manche Aufgaben können auch als Hausaufgabe gelöst werden, andere nur durch Feldversuche. Insgesamt sollen die einzelnen Gruppen ihre Arbeiten möglichst selbstständig planen und durchführen können, Lehrkräfte werden nur für eventuelle Moderations- und ggf. Aufsichtsaufgaben benötigt. Der jeweils letzte Arbeitsauftrag besteht darin, eine Vernetzung zwischen den Themen der Gruppe aus Sicht der eigenen Forschergruppe herzustellen.

Die Auswertung erfolgte mit Hilfe von Concept Maps mit Pre- und Posttest. Der Pretest unterstrich, dass die Probandengruppe und die Kontrollgruppe genügend homogen waren. Der Posttest ergab, dass die Probandengruppe deutlich höhere positive Wissenszuwächse erfahren hat als die Kontrollgruppe. Qualitativer und quantitativer Fachwissenszuwachs und Entwicklung des systemischen Denkens konnte mit den Concept-Map-Methoden eindeutig und statistisch signifikant erkannt werden. Die zusätzliche Projektevaluierung durch die beteiligten Schüler/innen sowie durch die Lehrkräfte anhand klassischer Fragebögen (mit Likert-Kategorien) ergab, dass das Projekt in all seinen Facetten gut bis sehr gut angekommen ist.

Das Projekt wurde so designt, dass es selbstständig nicht nur auf Schulgärten, sondern auch in öffentlichen Parks oder auch im ländlichen Bereich gut durchführbar ist und auch nicht nur als einmalige Aktion, sondern über mehrere Schuljahre hinweg mit unterschiedlichen Gruppen fortführbar ist. Die Dissertation von Anneli Rost ist frei online verfügbar45.

3.3.2 Design Thinking

Design Thinking ist eine systematische Herangehensweise an komplexe Problemstellungen aus allen Lebensbereichen. Im Gegensatz zu vielen Herangehensweisen in Wissenschaft und Praxis, die Aufgaben von der technischen Lösbarkeit her angehen, steht hier der Mensch im Fokus.

Design Thinking ermöglicht es, traditionelle und veraltete Denk-, Lern- und Arbeitsmodelle zu überwinden und komplexe Probleme kreativ zu lösen. Es schafft in Organisationen die Kultur, die benötigt wird, um die digitale Transformation zu meistern.

So lautet die kurze Einführung in diese Methode auf den Seiten der School of Design Thinking des nach dem Entwickler der Methode benannten Hasso-Plattner-Instituts.46

Die Methode basiert (1) auf kleinen multidisziplinären Teams, damit möglichst viele verschiedene Ideen generiert werden können; (2) auf einer flexiblen Arbeitsumgebung, zur Erleichterung kreativen und kommunikativen Arbeitens und (3) auf einem speziellen „Innovationsprozess“, der auf sechs verschiedenen Phasen basiert und oftmals iterativ abläuft. Nach Dorst (2006) wird dadurch insgesamt analytisches Denken mit kreativen Umsetzungen – „Design“ – verbunden. Die Methode eignet sich insbesondere für komplexe Problemlagen, indem sie vielfältige Lösungsideen generiert, diese jeweils analysiert, evaluiert und darauf basierend immer weiter optimiert werden können.

Dieses methodische Vorgehen eignet sich hervorragend auch zur kreativen Behandlung komplexer Anthropozän-Themen in schulischen Projekten. Für den in Abschnitt 3.2.2 bereits vorgestellten, auf dem WBGU-Transformationsgutachten (WBGU 2011) basierenden Sachcomic zur Großen Transformation (Hamann et al. 2013) wurden Lehrerhandreichungen erstellt, die neben Anregungen und Vorschlägen zur Behandlung der dort vorgestellten Themen im fachspezifischen, fächerübergreifenden und projektbasierten Unterricht für letzteren auch die Design-Thinking-Methode aufgreifen (Zea-Schmidt & Hamann (2013). Zur Anpassung an den schulischen Unterricht wurde der sechsphasige Innovationsprozess der Methode um zwei weitere Phasen ergänzt, um möglichst abgeschlossene Projekte zu ermöglichen (Abb. 12).


Abbildung 12: Das Design-Thinking-Konzept eignet sich auch für schulischen Projektunterricht. (Aus den Lehrerhandreichungen zum Transformationscomic, Zea-Schmidt & Hamann, 2013). Näheres siehe Text.

Mit dieser Methode können einzelne Buchkapitel, einzelne im Buch angesprochene Aspekte oder auch das gesamte Buch bearbeitet werden. Die jeweiligen Buchkapitel behandeln (1) Warum wir uns transformieren müssen, (2) Die Erde in der Menschenzeit, (3) Heiße Sache: Klimawandel, (4) So blöd sind wir gar nicht. Blick auf die Vergangenheit, (5) Technisch geht alles, (6) Eine Aufgabe für die ganze Welt, (7) Wer soll das bezahlen? (8) Auch der Staat ist gefordert, (9) Die Politik schafft das nicht allein. Damit werden im Buch sowohl der gesamte Problemaufriss (1, 2) – unter Vertiefung des Klimathemas (3) –, aber auch Mutmacher (4) sowie technische, politische und zivilgesellschaftliche Lösungsvorschläge (5–9) behandelt, was in einem Design-Thinking-Projekt gut weiter aufgearbeitet werden kann. Sehr viele Vorschläge zum Vorgehen für die einzelnen Phasen in schulischen Projekten finden sich in Zea-Schmidt & Hamann (2013). Lesen, diskutieren, Feldforschung durchführen, Rollenspiele, um verschiedene Sichtweisen zu finden, kreatives Brainstorming für Lösungsideen, Basteln und Designen von Prototypen, Einbeziehung anderer für den Test und auch noch eine Umsetzungsphase mit danach anschließendem oder auch später erfolgendem Evaluieren und Reflektieren, was noch besser gemacht werden könnte (Abb. 12).

Auch können sich aus den Buchthemen ergebende weitere relevante Themen behandelt werden, etwa um ein Ernährungs- und Recycling-Konzept für die Schule oder einen Vorschlag zur besseren Implementierung des Nachhaltigkeitsgedankens in allen Schulbereichen zu erarbeiten.

3.3.3 Weitere Formate

Viele weitere Formate im partizipativen und problemlösungsorientierten Kontext sind möglich, sie reichen von Theatervorführungen über Beteiligung an öffentlichkeitswirksamen Schulprojekten bis hin zur Entwicklung von Lernspielen, was hier nicht weiter ausgeführt werden kann.

 

3.4 Wünschbare Zukünfte für das Anthropozän erarbeiten

Bei den vorhergehenden Anregungen für schulische Projekte eignet sich der anthropozäne Bezug insbesondere für Zustandsbeschreibungen und Analysen von Problemlagen im Anthropozän (z.B. Monitoring-Projekte, Reflexionsprojekte, Prozessverständnis-Projekte etc.). Zwar können auch Lösungen reflektiert und konzipiert werden (ggf. auch in künstlerischen Projekten), insbesondere wenn neue Einsichten erreicht sind. Dennoch erschöpft sich dies doch in der Regel in appellativen Aufforderungen (etwa bei der Verwendung von Metaphern und Narrativen) oder Detaillösungen, die für den Moment und den Fokus sinnvoll erscheinen. Gerade die konsequentiale Metaebene des Anthropozäns erfordert jedoch auch ein Vordenken a) im Sinne der Erstellung von Szenarien auch für entferntere Zeiträume, b) wie Pfade dorthin aussehen könnten, c) welche Schritte dafür jetzt gegangen werden müssen und d), wie bzw. ob dies alles auch ein gutes Leben für alle mit sich brächte. Dass Derartiges schwierig anzugehen ist, wird gerade auch durch die Klimakrise besonders ersichtlich. Ursachen für Verschiebungs- und Vermeidungsstrategien gibt es viele – etliche davon wurden hier bereits erwähnt (vgl. Abb. 5). Herausgegriffen sei nochmals die in unserer westlichen Kultur des „richtig oder falsch“, „gut oder böse“, „Natur oder Kultur“ erlernte duale Denkweise. Selbst wenn verschiedenste Lösungsansätze für ein Problem vorhanden sind und möglicherweise Kombinationen davon durchaus denkbar wären, geht unser Diskursansatz doch meist in die Richtung, die eine angeblich richtige Lösung aus diesem Angebot zu finden, mit dem Effekt, dass es häufig überhaupt keine Entscheidung gibt. Auch sind unsere Zukunftsvorstellungen stark von Science Fiction geprägt, bei der es in der Regel dann eben einem Helden gelingt, ungeahnte Probleme doch noch „aus der Welt“ zu schaffen. Weder gibt es derartige Helden oder „Silver Bullets“ – dazu sind die anthropozänen Problemlagen viel zu komplex –, noch können wir Probleme in der Regel wirklich „aus der Welt“ schaffen, sie bleiben meist sehr lange eine zu überwachende Herausforderung (etwa Klimakrise, Biodiversitätskrise oder auch die SARS-CoV-2-Krise). Viele Lösungen waren zu ihrer Zeit überaus hilfreich, kreierten im Laufe der Zeit jedoch neue Probleme (etwa Dampfmaschine, Verbrennungsmotor).

Die klassische Zukunftsforschung beschränkt sich häufig auf Trendforschung, also dem Fortschreiben schon bekannter, existierender Entwicklungen. Häufig werden mit der sogenannten Delphi-Methode Expertinnen und Experten aus Technik, Politik und Sozialwissenschaften befragt, wie sie die Trendausweitung sehen. Meist wird hier allerdings sehr sektoral vorgegangen. Technologischen Trendvorhersagen mangelt es oft an der notwendigen Kombination mit soziologischen Vorhersagen, denn nur weil etwas machbar ist, wird es nicht automatisch umgesetzt. Kein Wunder, dass viele Trendvorhersagen zwar nicht grundsätzlich falsch liegen, aber eben doch gerade die Zeitabläufe der Innovationsschritte oft sehr falsch eingeschätzt werden. Und da sich viele andere, die gesellschaftliche Beachtung finden, gerne auch aus einem Bauchgefühl heraus zur Zukunft äußern, stimmen natürlich gerade solche unwissenschaftlichen, emotionalen „Glaskugelvorhersagen“ in aller Regel überhaupt nicht – gerne werden solche Beispiele auch zitiert, um Zukunftswissenschaften in Misskredit zu bringen, es gibt sogar Sammlungen solcher, auch historischer Zitate (z.B. „Zitate ganz berühmter Irrtümer“ in Hehmerin 2016). Für weitergehende Ausführungen für diese oftmals mangelhafte Zukunftskompetenz siehe ggf. auch Leinfelder 2013a, 2015, 2019, 2020b).

Es ist damit nicht sehr verwunderlich, dass sich bei all den tatsächlichen oder auch nur gefühlten Problemlagen des persönlichen Bereichs viele nicht mit der Zukunft in einem breiteren und tieferen Aspekt beschäftigen möchten, sich mit vielfältigen Ausreden (siehe Abb. 5) aus der Verantwortung auch für die Zukunft nehmen wollen oder gar die Vergangenheit verklären und möglicherweise für die Parolen rückwärtsgewandter Gruppen oder auch verschwörungstheoretischer Propaganda aufgeschlossen sind.

Gerade die Anthropozän-Thematik erfordert aber wegen ihrer „Alles-hängt-mit-allemzusammen“-Komplexität eine Blickwinkel-Öffnung und Offenheit für ggf. auch unerwartete Zukunftsoptionen. Zukunftskompetenz sollte sehr früh, also auf alle Fälle im schulischen Unterricht angelegt werden. Schulische Bildung kann mit dem Thema Lösungen für die Zukunft im Anthropozän eine Stärkung der fundierenden psychischen Ressourcen Selbstwirksamkeit, Genussfähigkeit und Selbstakzeptanz, bei gleichzeitiger Entwicklung der zielbildenden physischen Ressourcen Achtsamkeit und Genussfähigkeit bewirken. Dies fördert nach Hunecke (2013) durchaus auch eine Sinnkonstruktion für ein persönliches Leben (vgl. auch Leinfelder 2018 für weitere Ausführungen).

Die Blickwinkel-Öffnung für die Zukunft muss allerdings eingeübt werden. Hierzu ist es sinnvoll, nicht nur über wahrscheinliche, also trendbasierte, prognostische Zukunftswege zu reflektieren, welche in der Regel nur einen „Business as usual“-Weg modulieren. Zusätzlich sollten mögliche Zukünfte47 konzipiert werden, um daraus wünschbare Zukünfte abzuleiten. Letztere können auch durchaus sehr imaginative und visionäre Szenarien sein, um dann zu überlegen, ob es Pfade dorthin geben könnte.

Allerdings ergeben sich bei den wünschbaren Zukünften zwei Problemlagen:

a) Unter Solidaritäts-, Gerechtigkeits- und ökologischen Aspekten ist nicht alles Wünschbare sinnvoll, also erdsystemverträglich, solidarisch und gerecht. Das Möglichkeitsfenster sollte insbesondere durch die Planetarischen Grenzen und die vereinbarten Nachhaltigkeitsziele der UN, bei denen alle drei Aspekte verknüpft sind (UNSDGs 2015) aufgespannt werden. Es bleibt aber immer noch sehr viel Raum für verschiedenste Pfadmöglichkeiten.

b) Die Wunschforschung zeigt auf, dass Unbekanntes schwer wünschbar ist (siehe Helbig 2013, Fischer 2016). Um sich etwas wünschen zu können, muss dies vorstellbar sein. Dazu sollten Teilbereiche wünschbarer Szenarien einerseits ausprobiert werden, andererseits auch in ein großes Gesamtbild einfügbar sein. Dazu muss dieses narrativ erzählt oder noch besser zumindest in einer die Vorstellung anregenden Weise visualisiert werden, wozu etwa einfache Strichzeichungen oder Modelle genügen können (siehe Abschnitt 3.2.2).

Box 4: Zukunftspfade – ein Selbstgespräch im Anthropozän48

Wie könnte ein Weg in die Zukunft nur aussehen?

Fast alle sind sich ja einig, dass der Pfad eines weiter wie bisher nicht funktioniert, Umweltkrise, soziale Ungerechtigkeiten, Ressourcenausbeutung, das geht nicht mehr lange gut. Also ja, das müssen wir ändern, bloß wie? Vielleicht sollten wir einfach dort reagieren, wo die Probleme schon ziemlich weh tun? Etwa indem wir Küstendämme höher bauen, ganze Gebiete aufgeben, bevor das Meer immer wieder über uns kommt? Oder Müll, CO2 und sonstige Verschmutzungen versteuern, weniger Essen wegwerfen, neue, an den Klimawandel angepasste Züchtungen kreieren? Dies wären einige Beispiele eines reaktiven Pfads in die Zukunft.

Wir könnten aber auch gleich ein Leben des „weniger ist mehr“ pflegen. Nur lokale und saisonale Lebensmittel verwenden? Viel weniger Fleisch verzehren oder gleich vegan werden? Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel, die wir dann auch ausbauen müssten, statt Auto? Überhaupt viel weniger produzieren und transportieren? Diesen suffizienten Pfad finden viele gut, für andere ist er aber nur schwer vorstellbar.

Oder können wir nicht einfach von der Natur lernen? Uns „bioadaptieren“, alles wiederverwenden, Kreislaufwirtschaft betreiben? Manche sehen hier bereits eine neue, wachstumsstarke Überflussgesellschaft kommen. Alle Ressourcen werden dann aber immer wieder verwendet, die Energie, um sie immer wieder zu zerlegen und neu zusammenzubauen, stammt dann natürlich nicht aus fossilen Quellen, Verpackungen sind kompostierbar oder gar essbar. Apropos Essen, wie wäre es für Nicht-Vegetarier mit Insekten als Nahrung? Gesund, schmackhaft, leicht züchtbar, sehr kleiner ökologischer Fußabdruck, und zwei Milliarden Menschen essen sie. Ja, unsere kulturelle westliche Prägung macht dies für viele schwer vorstellbar. Aber insgesamt hat dieser bioadaptive Pfad – wenn wir nicht gleich alle Insekten essen müssten, sondern diese vielleicht eher in der Fischzucht verwenden – viele Befürworter. Auch die Verkehrswende gehört dazu. Elektromobilität in Verbindung mit CarSharing, und natürlich insbesondere auch Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel.

Und noch einen Pfad kann ich mir vorstellen, den Hightech-Pfad. Die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen wird in Zukunft in Städten leben. Warum lassen wir dann nicht die Natur viel stärker in Ruhe und produzieren alles, was wir brauchen, in den Städten, auch die Nahrung, etwa in Farmhochhäusern, den „Farmscrapers“. Also Urban High Tech. Das Fleisch stammt aus dem Labor, kein Tier muss dann dafür sterben. Die erneuerbare Energie wird durch Fensterscheiben generiert. Die Verkehrsmittel laufen autonom. Drohnen und die wenigen Flugzeuge fliegen mit Solarstrom, größere mit Algensprit. Übers Land und durch die Ozeane fahren in Vakuumröhren autonome Magnetbahnen, die kaum Energie brauchen und diese beim Abbremsen zu einem Gutteil wieder rückgewinnen. Brave new world! Ach du liebe Zeit! So manches hier kann ich mir gut vorstellen, und zwar aus den verschiedensten Zukunftspfaden. Anderes aber eher gar nicht. Ich bin mir sicher, anderen geht es ähnlich, aber vermutlich wollen auch etliche das, was ich mir nicht vorstellen kann, zumindest jetzt noch nicht. Aber andererseits, tut gut, mal so radikal über diese verschiedenen Pfade nachzudenken. Okay, ich muss mich ja nicht für einen Pfad entscheiden, da schließt sich doch nicht alles gegenseitig aus. Wir könnten ja einfach mal verschiedene „Zukünfte“ mit kleinen Versuchen und Prototypen ausprobieren. Wenn dies viele machen, könnten wir doch geeignete, gemischte Lösungen zusammenstellen – gemeinsam, uns gegenseitig achtend, ohne Rechthaberei und „geht gar nicht“-Argumentation. Einfach mal loslegen, falls notwendig passen wir halt immer wieder an, aber loslegen müssen wir jetzt. Wir können nicht noch Jahrzehnte nach dem einzig richtigen Weg suchen, den gibt es nämlich sowieso nicht. Ich sehe schon, das Anthropozän fordert uns alle heraus – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, zivilgesellschaftliche Gruppen und jeden einzelnen – Verantwortung zu übernehmen. Aber nicht nur das, wir beteiligen uns einfach wissensbasiert, gleichsam gärtnerisch an der Zukunftsgestaltung! Das wird klasse. Und ich bin mir sicher, dass wir damit uns und allen, die nach uns kommen, ein freies, selbst gestaltbares, zukunftsfähiges und vor allem lebenswertes und kreatives Zeitalter ermöglichen. Willkommen im Anthropozän – jetzt geht’s los!