Das Anthropozän lernen und lehren

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61 Ebd., S. 58.

62 Böhme, 32014, S. 93f.

63 Bormann, 2010, S. 109ff.

64 Böhme, 32014, S. 24f. (Kupferstich, Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel).

65 Böhme, 32014, S. 24f.; Sachs et al., 2004, S. 368f.

66 Tsaneva, 2014

67 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Joachim_Beuckelaer_(ca._1533_%E2%80%93_ca._1573)_-_De_vier_elementen_Water_-_National_Gallery_Londen_5-3-2015_11-10-35.jpg

68 Böhme, 32014, S. 93ff.

69 Empedokles aus Agrigent, Über die Natur. Fragmente [235] 26. Zitiert nach: Diels, 41922, S. 223ff.

70 Böhme, 32014, S. 93ff.

71 Paul Klee, 1958, S. 5

72 Ebd., S. 8.

73 Ebd., S. 3ff.

74 Ebd., Abb. 3.

75 Michelet, 2006, S. 160.

76 Die Vier-Elemente-Lehre war bis ins 17. Jahrhundert hinein bestimmend für die Alchemie. Erst Robert Boyle (1627–1691) leitete die Entwicklung ein, die zum heutigen Periodensystem der Elemente führte, indem er nur noch diejenigen Stoffe als Elemente anerkannte, die sich nicht in andere Stoffe zerlegen lassen. Er nahm auch die Umbenennung der Alchemie in Chemie vor. (https://www.chemie.de/lexikon/Vier-Elemente-Lehre.html)

77 Humboldt/Kohlrausch, 2019, S. 211.

78 Die weltweit bekannte Sammlung des britischen Seefahrers James Cook wurde 1806 auf Initiative des österreichischen Kaisers Franz I. auf einer Auktion in London erworben und ist nun im Weltmuseum in Wien im Raum „Südsee: Begegnungen mit dem verlorenen Paradies“ bzw. jederzeit als Online-Sammlung (https://www.weltmuseumwien.at/onlinesammlung/?query=all_persons%3AJames%20Cook) zu sehen.

79 Böhme, 32014, S. 9–20.

80 Pichler, 1913, S. 6 (Fotos: Archiv d.Verf.).

81 Sinhuber/Stumpf, 1992, S. 50f.

82 Eliade, in: Traité d’histoires des réligions. Paris: Payot, 21953, S. 168, zitiert nach: Blume 1980, S. 153.

83 Woschitz, 2003, S. 3.

84 Auffarth, 2005, S. 241.

85 Blume, 1980, S. 151ff.; siehe auch: Mayer-Tasch, 2009.

86 Böhme, 32014, S. 131ff.

87 Siehe auch: http://ieg-ego.eu/de/threads/hintergruende/natur-und-umwelt/franziska-torma-wasser

88 Böhme, 2007, S. 60f.

89 Böhme, 1988, S. 7ff.

90 An dieser Stelle sei ein Roman von Dimitré Dinev empfohlen, der 2021 erscheinen wird; ein Auszug mit dem Titel „Wasser“ ist bereits in den Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (Heft 2/2019) erschienen. Noch einmal steht hier eine Eva im Mittelpunkt, die am Ende der Monarchie Dienstmädchen in Wien und nach verstörenden Erlebnissen eines Abends bereit ist, ins Wasser zu gehen: „Die Donau wird sie umarmen, trösten und sanft ans Ufer legen“, denkt sie – bevor alles ganz anders kommt, denn „statt ihrem Leben verlor sie ihre Unschuld“. (Dinev, 2019)

91 Edward Burne-Jones, The Depths oft the Sea. (Siehe: Volinari, 2002, S. 344.)

Branko Velimirov
Der blaue Planet im Anthropozän: die Meeresökosysteme
Einleitung: Die Ökosysteme der Ozeane und der Meere

Unsere Planet Erde sollte eigentlich Planet Meer heißen, denn es ist ein vom Wasser geprägter blauer Planet, auf dem nahezu drei Viertel der Oberfläche von Ozeanen und Meeren bedeckt werden. Rund 3,61 x 108 km2 oder 70,8 % der Erdoberfläche werden von Wasser eingenommen und umgeben unsere Kontinente und Inseln. Die Meere sind das größte Wasserreservoir unserer Biosphäre und ermöglichen den lebenswichtigen Wasserkreislauf, der stets zur Erneuerung des Wassers führt. Aus diesem Wassermilieu im Meer ist das Leben entstanden, um dann über mehrere Milliarden Jahre und mittels Selektion und Mutation den Rest unseres Planeten mit Organismen zu besiedeln.

Wenn man sich mit der Meereswelt beschäftigt, sollte man keine Vorurteile oder spezifische Erwartungshaltungen haben. Man wird Neues, Unerwartetes und auch zum Teil Unbegreifliches erfahren.

Der Meeresspiegel wirkt wie eine Grenze zu einer anderen und unbekannten Welt, die wir gerade erst zu entdecken beginnen, obwohl dieser Teil der Welt über Jahrmilliarden existiert. Das Meer zieht uns an, fasziniert uns, aber sehr oft entzieht es sich uns, zumal da andere Gesetzmäßigkeiten dominieren als an Land. Das wird dann bemerkbar, wenn man, ausgerüstet mit einem Tauchgerät, in dieses wässerige Milieu eintaucht. Die uneingeschränkte Möglichkeit, sich plötzlich ohne besondere Anstrengung in alle gewünschte Richtungen bewegen und die Dreidimensionalität voll ausnützen zu können, ist für viele Menschen ein großartiges Gefühl einer noch nicht gekannten Freiheit. Dabei beobachten wir Pflanzen, die frei im Wasser schweben, während tierische Organismen fest mit dem Meeresboden verbunden sind und die Idee von Blumen entstehen lassen. Wir finden in diesem Milieu sowohl mikroskopisch kleinste Lebewesen wie Bakterien als auch sehr große Organismen wie Wale und Riesenkalmare bis zu 15 m Länge, oder dichte Riesentangwälder (Velimirov et al., 1977, 1982) sowie wuchernde Seegraswiesen (Velimirov, 1986, 1987, 2016), lichtdurchflutete Korallenriffe (Riegl & Velimirov, 1991, 1994) und dunkelste Meereshöhlen (Riedl, 1966). Nun konnte über die Jahrhunderte – seit dem Beginn der küstennahen Fischerei bis zur Errichtung von Forschungsstationen in Küstennähe – eine Menge an Information gewonnen werden, was uns zuweilen den Eindruck vermittelt, dass wir das System Meer zu verstehen beginnen. Das Verarbeiten dieser Information ist natürlich eine trockene wissenschaftliche Beschäftigung, die in Kontrast zu den oft spektakulären Beobachtungen oder aufregenden in situ Experimenten steht. Dies impliziert auch, dass für zukünftige Meeresbiologen/-biologinnen oder Ozeanographen/-graphinnen (ebenso wie in vielen anderen wissenschaftlichen Disziplinen) ein Basisvokabular erlernt werden muss, was manchmal entmutigend wirken kann.

Was also wissen wir über diese Meere und was fangen wir mit diesem Wissen an?

Die Fakten: Wasser und Meerwasser

Ohne auf die Wasserchemie genauer einzugehen, sei dennoch erwähnt, dass Wasser die einzige chemische Verbindung auf unserem Planeten ist, die als Flüssigkeit, als Festkörper und als Gas vorkommt. Derzeit gibt es mindestens zwei Hypothesen zur Abstammung des Wassers auf der Erde. Die erste Hypothese postuliert, dass der Planet von Anfang an bereits Wasser enthielt, was möglich, aber rundum nicht sehr befriedigend ist – zumal es eine zweite und attraktivere Hypothese gibt. Die zweite Hypothese besagt, dass Wasser von Kometen und Meteoriten stammt, die in der Frühzeit der Erde auf unseren Planeten stürzten. Diese Hypothese wird derzeit von vielen Wissenschaftern/Wissenschafterinnen favorisiert, es ist aber wahrscheinlich, dass wir multifaktoriell denken müssen und auf Resultate von weiteren Analysen von Kometenwasser (Eis) und Asteroidenwasser angewiesen sind (Fischer-Gödde & Kleine, 2017; Merkl, 2017).

Die Besonderheit des Wassers liegt aber in der Konfiguration des Wassermoleküls (es sind zwei Wasserstoffatome, die sich mit einem Sauerstoffatom verbinden). Der Winkel, den die beiden O-H-Verbindungen einschließen, beträgt 104,45° (Ott, 1988; Gregory et al., 1997) und das Wassermolekül ist als Dipol zu bezeichnen, mit einer negativen Polarität auf der Seite des Sauerstoffs und einer positiven Polarität auf der Seite der beiden Wasserstoffatome. Das ist auch der Grund für deren ausgeprägte Anziehungskraft, denn über Wasserstoffbrückenbindungen können sich Cluster (Wassercluster) bilden, die sich schnell wieder lösen, um neue Cluster zu bilden.

 

Meerwasser unterscheidet sich von allen anderen Wasserarten durch die Anwesenheit von gelösten Salzen, deren Zusammensetzung für die Hauptkomponenten (fünf Kationen und sechs Anionen, die für 99 % der gelösten Salze im Meerwasser verantwortlich sind) erstaunlicherweise als stabil zu bezeichnen ist, obwohl die Zuflüsse der Ozeane und Meere sehr unterschiedliche Ionenfrachten aufweisen. Bilanzrechnungen weisen darauf hin, dass die Menge der durch kontinentales Wasser eingebrachten Salzmengen sicher nicht über Sprühwasser entstandene Salzkristalle entfernt werden kann. Folglich ist die Bildung von großen Evaporitmineralienlagern in abgeschlossenen Meeresbecken, aber auch biologische Mineralisation, vor allem aber Einbettung in die Sedimente der Ozeanböden verantwortlich für die Konstanz (im Mittel bei 34,7 g Salz/kg Meerwasser) der Salzkonzentration.

Der größte Teil des Wassers, der im Wasserkreislauf die Ozeane verlässt, besteht aus Wasserdampf. Pro Jahr verdunsten 351 x 103 km3 über den Ozeanen, während der Niederschlag 324 x 103 km3 beträgt. Die restlichen 27 x 103 km3 regnen über den Kontinenten ab und kehren dann über Oberflächenwässer, Grundwasser und kalbende Eisberge ins Meer zurück. Die geschätzte mittlere Residenzzeit (Verweilzeit eines Wassermoleküls, bevor es verdampft) eines Wasserteilchens im Meere beträgt 3850 Jahre (Lvovitch, 1971; Dietrich et al., 1975; Butzin, 1999; Levitus et al., 2000).

Die Einteilung der Meere

Der Ozeanboden ist eine zusammenhängende Fläche, die durch die großen Landmassen, die Kontinente und deren Schelfe, in große Becken gegliedert wird, die Ozeane und Nebenmeere, die jeweils verschiedene hydrographische und biologische Charakteristika aufweisen. Das größte Becken nimmt der Pazifische Ozean ein. Dieser ist durch zwei Meerengen, die Beringstraße im Norden und die Drake Passage (zwischen Feuerland und der Antarktis), mit dem Atlantischen Ozean verbunden. Per Konvention (Dietrich et al; 1975; Couper, 1983) ist der zwanzigste östliche Längengrad die Grenze zwischen dem Atlantik und dem Indischen Ozean.

Unter Nebenmeere versteht man von den Ozeanbecken topographisch abgegrenzte Meeresareale, die weitgehend von Festland umschlossen sind (Mittelmeere) oder ausgedehnte breite Einbuchtungen, zuweilen von Inselgruppen umgrenzt, die Randmeere. Als ausgedehntestes Nebenmeer ist das Nordpolarmeer (oder arktisches Mittelmeer) zu nennen, darauf folgt das Amerikanische Mittelmeer (bestehend aus dem Golf von Mexiko und dem Karibischen Meer, das Europäische Mittelmeer, das Schwarze Meer, welches während der Eiszeit zu einem Süßwassersee wurde, und das Rote Meer als Teil des Indischen Ozeans. Natürlich sind diese Meere weiter untergliedert, wie es am Beispiel des Europäischen Mittelmeeres (z.B. Adria, Ägäis usw.) ersehen werden kann (Ott, 1988), aber darauf soll hier nicht detailliert eingegangen werden.

Die Gliederung des freien Wasserkörpers

Wie in jeder Fachdisziplin, so müssen auch in der Meeresbiologie einige neue Wörter erlernt werden, die das Verständnis des folgenden Informationsflusses erleichtern. Darum sollten sie kurz erklärt werden.

Der freie Wasserkörper der Meere, Pelagial benannt, zeigt ebenso wie der Meeresboden, das Benthal, eine Strukturierung mit zunehmender Tiefe, die durch entstehende Gradienten von mehreren Parametern, vor allem aber Licht und Wasserbewegung bedingt sind.


Abbildung 1: Gliederung des Pelagial und des Benthal mit Angaben der Tiefenzonen, nach Christoph Schmitt, Das Meer als Lebensraum, Ocean La Gomera

Während das Benthal eine vielfältige Zonierung aufweist, die noch behandelt werden muss, ist im Vergleich dazu das Pelagial weitaus weniger differenziert. Wir unterteilen es in das Epipelagial, der Bereich der euphotischen Zone, das Mesopelagial, jener Bereich der Dämmerzone, wo das Licht nicht mehr ausreicht, um die Photosynthese des Phytoplanktons zu gewährleisten, und schließlich eine aphotische Zone, das Bathypelagial. Die tiefste Zone des Wasserkörpers, nämlich die Schicht über den Tiefseeböden und Tiefseegräben, wird das Abyssopelagial genannt.

Die Gliederung der Meeresböden

Da der Meeresspiegel nicht als konstante Null-Linie betrachtet werden kann, zumal sowohl Ebbe und Flut als auch windinduzierte Verschiebung der Wassermassen die Ausdehnung der Gezeitenzonen beeinflussen, ist es verständlich, dass bereits das Litoral (Küstenzone vom obersten Einflussbereich der Wellen bis zum Schelfrand) je nach Neigungswinkel und Beschaffenheit eine Vielzahl von charakteristischen Zonen aufweist. So wird jene Zone zwischen mittlerem Hochwasser und Niedrigwasser als Eulitoral (oder auch Intertidal Litoral) bezeichnet, über dieser Zone, also landwärts, schließt das Supralitoral an, welches weiter unterteilt werden kann in Wellenschlag, Spritzwasser- und Sprühwasserzone. Das Sublitoral schließt seewärts an das Eulitoral an und reicht bis zum Schelfrand, wobei der oberste Bereich des Meeresbodens in Brandungs-, Schwingungs- und Strömungszone (oder Infralitoral) unterteilt wird. Die tieferen Bereiche unterhalb der Strömungszone müssen geomorphologisch definiert werden, da nun das Licht als einteilender Parameter wegfällt und am Schelfrand am Ende seines Wirkungsbereiches (Restlichtzone) angelangt ist. Dieser Teil des Benthal wird als Circalitoral bezeichnet. Der oberste Kontinentalabhang ist das Bathyal; die Fußregion des Kontinentalabhanges sowie die Tiefsee-Ebenen und die Mittelozeanischen Rücken gehören zum Abyssal. Somit bleiben noch die Grabengebiete unterhalb von 6000 m, die man als Hadal anspricht.

Das belebte Meer: Biotope und Biozönosen

Das Meer beinhaltet eine Fülle von verschiedenen Ökosystemen. Zur Vermeidung von Missverständnissen: Ein Ökosystem besteht aus zwei Kompartimenten: dem Lebensraum, in welchem Organismen leben (= Biotop), und den darin lebenden pflanzlichen und tierischen Gesellschaften (= Biozönose), definiert nach Odum (1983). Es scheint daher konzeptuell schwierig, die Gesamtheit aller Meere als „Ökosystem Meer“ zu bezeichnen, was aber dennoch zuweilen passiert.

Seit wann ist nun das belebte Meer belebt? Ungefähr eine Milliarde Jahre war das Meer unbelebt, und im Rahmen der Erdwissenschaften nimmt man an, dass während dieses Zeitraumes die Entstehung organischer Moleküle unter abiotischen Bedingungen die Entstehung des Lebens „vorbereitete“. Die ersten Lebewesen – Prokaryonten – sind vor drei bis dreieinhalb Milliarden Jahren entstanden, und wir haben Mikrofossilien, die eindeutig als Cyanobakterien identifiziert werden konnten (Margulis, 1970; Sieburth, 1979). Vor ca. eineinhalb Milliarden Jahren tauchten die ersten Eukaryonten auf (Zellen mit klar definiertem Zellkern). Mit der Entwicklung der sexuellen Fortpflanzung und der Photosynthese, verbunden mit der Anreicherung von Sauerstoff in der gesamten Biosphäre und der Ausbildung von Skelettstrukturen, setzte dann ein beschleunigtes Entstehen von Lebensformen ein, das zu sehr diversen und vielzelligen Pflanzen und Tiergesellschaften führte. Im Laufe der Evolution bis zur Jetztzeit vermerken wir eine Zunahme von Organismenarten, und damit korreliert eine Zunahme von komplexen Bauplänen, die bei Weitem das Aussterben von Arten ausglich und überwog. Bedauerlicherweise sind die letzten zwei Jahrhunderte des Anthropozäns diesbezüglich neu zu bewerten (siehe folgende Kapitel).

Tatsache bleibt aber das große Erstaunen der meisten Menschen, wenn sie das erste Mal, mit Tauchbrillen versehen, einen Blick unter die Meeresoberfläche wagen. Selbst der scheinbar langweilige Sandboden ist bei genauer Betrachtung voll wahrnehmbarem Leben, wenn man nur ein klein wenig Geduld bei der Beobachtung aufbringt.

Was aber sofort auffällt, wenn man den Wasserkörper betrachtet, ist, dass wir darin viele Organismen wahrnehmen, die durch Eigenbewegung ihre Standorte problemlos verändern. Die Fische im Pelagial sind in der Regel stromlinienförmig, wodurch Nahrungssuche oder Wanderungen ermöglicht werden. Ebenso gilt dies für die großen Meeressäuger, für die Kalmare, aber auch für Schildkröten, die alle als Vertreter des Nektons (also im Pelagial lebend) bezeichnet werden. Die Vertreter des Planktons hingegen sind entweder gar nicht oder nur wenig beweglich, sie nützen die Bewegung von Wassermassen für mögliche Migrationen, und wir unterscheiden das Phytoplankton und das Zooplankton als Anfang einer Nahrungskette, die sich dann zum Nahrungsnetz entwickelt.

Am attraktivsten für den Menschen ist aber zweifellos die Beobachtung jener Lebensgemeinschaft, die sich am Meeresboden angesiedelt hat und die als Benthos bezeichnet wird, wobei deren Lebensraum das schon erwähnte Benthal ist. Vor allem da, wo das dichte Wachstum der Algen endet, sind die Felsböden von unzähligen Tieren bedeckt, die zum Teil wie Pflanzen aussehen (Anthozoa). Es sind Tiere, die beinlos und augenlos ein ganzes Leben lang festsitzen, wie z.B. die Edelkorallen (Gallmetzer et al., 2010) und in ihrer Vielfalt und Dichte kleine Mikrohabitate bilden, die wieder von anderen Organismen genützt werden. Viele der beweglichen Vertreter des Benthos, z.B. Seesterne, Seegurken, Seespinnen, Langusten oder achtarmige Cephalopoden (Octopoden), vermeiden Exkurse in das freie Wasser, wo sie ungeschützt wären, und auch die demersen Fische (im Bereich des Benthals lebende Fische) bleiben in der Regel in Bodennähe oder am Boden, wo Nahrungssuche, Nestbau und Reproduktion stattfinden. Es ist eine bunte Welt mit eigenen Gesetzen, die in den Korallenriffen der südlichen Ozeane den Höhepunkt an organismischer Diversität (Riegl & Velimirov, 1994), Interaktionen und Farbenpracht erreicht. Ähnlich attraktiv für den Menschen, sowohl vom Standpunkt der Ästhetik als auch vom Wirtschaftlichen her, sind die Riesentangwälder (Velimirov, 1977, 1982) mit ihren Bewohnern, die Seegraswiesen, die sekundären Hartböden und die Höhlenökosysteme.

Nun nützt der Mensch schon seit vielen Jahrhunderten das Meer mit seinen Bewohnern über Fischerei, Jagd und Sammeltätigkeit. Wir müssen uns die Frage stellen, wie das Meer auf diese Interaktion reagiert hat und im Weiteren – bedingt durch die verbesserten Technologien der Fischerei, der Sammeltätigkeit, aber auch der Intensivierung von Unterwasserjagd – reagieren wird.

Die kulturelle Evolution des Ökotyps Mensch und das Meer

Der Begriff Ökotyp wurde ursprünglich von einem Botaniker, Göte Turesson, im Jahe 1922 geprägt, ist aber weitgehend identisch mit dem Begriff ökologische Rasse, wie er in der Zoologie verwendet wird (Kutschera, 2008a, 2008b). Es handelt sich dabei um Sippen oder Untergruppen einer Art, die eigene genetisch fixierte ökologische Ansprüche an die Umwelt stellen. Dies ist auch der Fall für den Homo sapiens, als einzige überlebende Art der Gattung Homo. Er unterscheidet sich durch den Selektionsdruck, ausgehend von besonderen ökologischen Bedingungen, genetisch und physiologisch von den anderen bereits ausgestorbenen Vorfahren seiner Gattung.

Als bezeichnend für das Anthropozän, von dem wir annehmen, dass es vor zirka 10 000 Jahren seinen Anfang nahm (Ellis et al., 2016), sind innerhalb der letzten 100 Jahre mindestens fünf Phänomene anzuführen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Selektionsdruck auf den Menschen erzeugen: eine rasante Forschung, kombiniert mit rascher Datengenerierung, die kaum mehr überblickbar ist, der digitale Informationstransfer (auch als Digitale Revolution bezeichnet), der stets zunehmende Energieverbrauch unserer Gesellschaft (allein der Energieverbrauch des digitalen Informationstransfers liegt bei geschätzten 10 % des weltweiten Stromverbrauchs), ein beschleunigter Abbau und fast hemmungsloser Verbrauch von Rohstoffen und der Klimawandel. Diese, so wie viele andere Charakteristika des Anthropozäns (Manipulation von bestimmten Gesellschaftsschichten durch Propagation von Fehlinformationen, Kriege und der Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch artifizielle Intelligenz und den Einsatz von Robotern) sind als Resultat der kulturellen Evolution des Homo sapiens zu sehen. Die vielen Fitnessvorteile, die sich durch die kulturelle Entwicklung vor allem vom 19. bis zum 21. Jahrhundert ergaben, hatten natürlich Folgen auf vielen Ebenen, wobei vorerst nur zwei davon hervorgehoben werden sollen: einerseits ein exponentielles Populationswachstum des Homo sapiens, andererseits ein exponentielles Artensterben und eine Abnahme der pflanzlichen und tierischen Biodiversität, wodurch die Stabilität von Ökosystemen negativ beeinflusst wird. Dies weist nicht nur auf eine klare Überlegenheit des Menschen im Wettbewerb um Ressourcen gegenüber anderen Arten hin, sondern es impliziert auch eine Veränderung der natürlichen Habitate durch Ackerbau, Viehzucht, Industrie und eine massive Urbanisierung. Da Meeresbereiche bisher primär in Küstennähe genutzt wurden, derzeit aber die Technologie auch den Vorstoß in bisher wenig genutzte Meereshabitate ermöglicht, ergeben sich zusätzliche Gefahren für Meeresökosysteme, deren Funktionsweise wir bisher noch nicht begriffen haben bzw. in denen die Interaktion innerhalb der Biozönosen zum Teil noch völlig unerforscht ist.

 

Ein weiterer Aspekt muss noch einmal kurz diskutiert werden, nämlich die Vernetztheit der Ökosysteme und die daraus abzuleitenden Konsequenzen. Marine Ökosysteme werden selbstverständlich auch von terrestrischen Ökosystemen determiniert. Über Flüsse, aber auch Wind und Schifffahrt gelangen große Mengen von organischen und anorganischen Produkten verschiedenster Qualität und Größen in die Meere. Das Spektrum reicht von leicht abbaubaren und verwertbaren organischen Substanzen bis zu refraktären Materialien, Dauergiften und Xenobiotika. Die Größen der eingebrachten Materialien können Bereiche im Ausmaß von mikroskopisch kleinen (z.B. Moleküle) bis zu Partikel von fast metrischen Ausmaßen (z.B. PVC-Platten oder Teile davon) decken.

Was wissen wir derzeit über die zum Großteil unkontrollierten, zum Teil aber auch gezielten Einbringungen von den erwähnten Substanzen in die marinen Ökosysteme und welche Folgen dieser Prozesse sind zu erwarten?