DAS ALIEN TANZT WALZER

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Wann wissen Sie Genaues?«, flüsterte ich.

»Bald. Die Chancen stehen gut. Sehr gut«, raunte der Steward zurück.

Markus sah mich an. »Gundula, meine Liebe. Hast du das vernommen?«, fragte er gespreizt.

»Aber sicher doch, Hase«, erwiderte ich. »Die Chancen stehen sehr gut, sagte der nette junge Mann.«

Als der Steward sich umdrehte und den Rückweg zum Cockpit antrat, stieß mir Markus spielerisch seinen Ellenbogen in die Seite. »Auf die Ad Astras. Mögen sie ewig produziert und ihr Hersteller reich und glücklich werden.«

»Worauf du einen in die Wakata lassen kannst«, erwiderte ich und warf einen Blick aus dem Fenster. Kurz vor der Landung waren die Krater und Meere gut erkennbar. Die imposanten Strukturen der Habitate schälten sich aus der unebenen Landschaft. Ich seufzte auf. »Was meinst du? Wo haben die Hassenbergs wohl ihre Suite gekauft? Und wo liegt ihr Büro? Unser Büro?«

Markus beugte sich vor und folgte meinem Blick. »Meer der Heiterkeit?« Er gluckste. »Nein, warte. Ich wette, es ist das Meer der Ruhe.«

Ich seufzte ein weiteres Mal.

Ja. Meer der Ruhe. Das sollte es sein und seinem Namen alle Ehre machen.

Ich schmiegte mich an Markus. Meinen Markus. Meine Medaille mit den zwei funkelnden Seiten.

Ellen Norten: Der Klimagott

Es gibt sie seit Beginn der Zeiten. Haben sie einen Namen? Menschen würden sie vielleicht als naturwissenschaftliche Konstanten bezeichnen, und als Naturgewalten, als Geister oder vielleicht auch als – Götter. Wir reden vom Weltall und wir reden von ihnen.

Die drei wabern als strukturlose Energiehaufen umher. V steht für das Vakuum, das im Weltall herrscht. Eigentlich ein Nichts und dennoch allumfassend. V kümmert sich darum, wo es den luftleeren Raum geben soll und wo nicht. E ist der Energiewart: Sterne, Supernovae, schwarze Löcher, alles, was mit Energie zu tun hat, unterliegt seinem Wohlwollen. Und dann gibt es noch K. K wie klein? Nein – K wie Klima! Doch sein Einfluss ist im Vergleich zu den anderen beiden gering und begrenzt. K bestimmt lediglich das Klima der Planeten; Sterne, Wurmlöcher und andere Weltraumattraktionen fallen nicht in sein Ressort. Armer K. V und E nehmen ihn nicht ganz für voll, sind es doch nur »lokale« Dinge, um die sich ihr kleiner Bruder kümmern darf, das große Ganze bleibt ihm verschlossen und verborgen. So war es und so wird es immer sein – oder?

Lange Zeit hatte K sich dementsprechend verhalten. Er war V und E geradezu devot ergeben und bewunderte sie. Das ging über Jahrmillionen gut. Doch die Zeiten haben sich geändert. Seit Kurzem plustert K sich auf, macht sich wichtig und braust um die Planeten. K entwickelt zunehmend Selbstbewusstsein. Er sieht sich gegenüber V und E als ebenbürtig an, in den letzten Jahren blickt er sogar auf die beiden herab, soweit ein solcher Vergleich in dieser merkwürdigen Dreierkonstellation überhaupt funktionieren kann.

»Ich bin der Klimagott«, prustet es aus K heraus und er schwebt aufgeblasen und prall in Richtung eines Planeten, der nicht nur wegen seiner schönen blauen Farbe zu seinem Lieblingsplaneten geworden ist.

»Dort wird mir gehuldigt«, teilt K seinen großen Brüdern mit. »Die Bewohner bringen mir Opfergaben dar.«

V und E hören kaum zu, lachen und glauben er mache einen Spaß. Da wird K ungemütlich. Er faucht den beiden entgegen und zitiert aus Zeitungen, Nachrichtensendungen und schildert die Weltpolitik:

»Es finden Klimagipfel statt, Klimakonferenzen. Klimaschutz ist allerorts Thema und es gilt, mich, ja mich zu schützen«, berichtet er zum Platzen stolz. »Vor wem soll ich wohl geschützt werden?«

V und E stutzen nun doch, fühlen sich zunächst gemeint, aber die Sache geht nicht auf. Ihre Namen fallen nicht einmal, und eine weitere Gefahrenquelle ist unbekannt. Wo ist also der Feind zu vermuten?

Das interessiert K nicht, er genießt seine Huldigungen: Schulkinder lassen den Unterricht ausfallen, weltweit gehen sie demonstrieren und fordern Opfergaben für den Klimagott. Energie soll für ihn eingespart werden, Verbraucher müssen auf allerlei Komfort verzichten, nur für ihn. K sieht gerührt auf seine Schäfchen herab und ein paar Tränen prasseln als Platzregen auf die Erde.

»Ich will den Menschen Wärme schenken. Wie lange haben sie an kalten Winterabenden gefroren. Es gab sogar Kältetote. Wie oft war die Ernte geschmälert, weil der Frühling seine wärmenden Sonnenstrahlen zu spät oder zu wenig ausgesandt hatte?«

K schickt seine Schamesröte als mollige Strahlen zu seinem Planeten. Er denkt an die Eiszeiten zurück, bei denen die Gletscher halb Europa bedeckten. Damals hatte ihn dies nicht interessiert. Er ließ es laufen und kümmerte sich nicht darum, schließlich gab es noch andere Planeten zu versorgen.

Doch nun ist alles anders. K fühlt sich geliebt, bestätigt und als Dank für seine Wärme nehmen die Opfergaben weiter zu. Die Menschen geben ihm das Liebste, was sie haben: Sie verschrotten ihre Autos, wollen mit ihrem Verzicht zeigen, wie sehr sie ihn schätzen. Ganze Industriezweige werden ihm zur Ehre umgestaltet und selbst die Wirtschaft unterstützt an vielen Orten die Opfergaben. Sie verteuert die Energie und Politiker schaffen einen neuen Ablasshandel: die CO2-Abgaben, all dies zu seiner Ehre.

K, der lange Zeit gelassen, ja geradezu gleichgültig existiert hatte, wie es sich für Naturgewalten eigentlich auch gehört, entwickelt Allmachtsfantasien. Was sind schon V und E, um die sich niemand schert, während er, K, zum Gott stilisiert wird, dem ein ganzer Planet dient?

V und E nehmen die Allüren ihres Mitgenossen zwar nicht wirklich ernst, denn Eitelkeit und Götzendienst sind ihnen fremd, doch wollen auch sie nun genauer sehen, was sich auf dem Planeten Erde tut. So beginnen sie den Himmelskörper und die Vorgänge darauf zu beobachten und merken sehr bald, dass die Wärmezuwendung, die K dem Planeten zollt, gar nicht erwünscht ist. Ganz im Gegenteil, die langsame Erwärmung des Klimas macht vielen Menschen Angst. Die Opfergaben sind gar keine an K gerichteten Zuwendungen, sondern sollen eigenen Einfluss auf die Temperaturentwicklung nehmen. K ist den Menschen gleichgültig, die sehen nur sich selbst und wollen den Planeten nach ihren Bedürfnissen gestalten. Dabei spielen Machtintrigen und politisches Kalkül die entscheidende Rolle. Das breite Volk dagegen soll verzichten auf Komfort, auf Autos, Energie und dergleichen. Großindustrielle, Manager, Fluglinienbetreiber und andere Wirtschaftsgiganten werden keineswegs in die Pflicht genommen.

V und E erklären K nun diesen Zusammenhang, der die Sache nicht glauben will.

»Die Erwärmung nutzt nicht allen Menschen, sondern es gibt Gewinner und Verlierer«, deklamiert der Energieexperte E, und V ergänzt:

»Je nachdem, wie stark die Temperaturen klettern, können Flutkatastrophen entstehen, begleitet von Wirbelstürmen und anderen Katastrophen. Davor haben sie Angst und das ist der Grund für ihre eigenartigen Aktivitäten, die du Opfergaben nennst. Es ist keine Huldigung an dich, mein lieber K.«

K ist beleidigt, lässt Luft ab, schrumpft regelrecht in sich zusammen und V und E entwickeln fast schon Mitleid mit ihrem Genossen. Doch dann scheint dieser sich selbst auszulüften. Er wabert und pumpt, analysiert den Sachverhalt und verblüfft sie mit seiner Idee: »Ich werde als Gott zu ihnen sprechen und mich dabei selbst vom Sockel stoßen.«

K stürmt um die gesamte Erde, braust zunächst auf und beginnt dann Worte zu blasen, die dem Spuk ein Ende setzen sollen.

»Ich bin das Klima, wie wollt ihr mich schützen?

Ich bin das Klima, wem sollte das nützen?

Ich bin das Klima und glaube es mir

Der ganze Schutz, der nützt nur dir:

Dem Menschen, der sich zu Gott aufschwingt

Der Wetter und Temperaturen bestimmt?

So meinst du zumindest und legst dich krumm

Das findet so mancher gar nicht dumm

Und zieht daraus seinen Profit

Nimmt alles, was kommt, einfach mit

Klimawandel – hilft dem Handel!

Politiker und Industrie

Fühlen sich so wohl wie nie

Füllen sich die dicken Taschen

Aus Geldern gewonnen mit dummen Maschen

Mit Klimagasen, Abgashandel

Geht es gegen Klimawandel

Und alles wird für mich getan

Meint ihr wohl – wird’s nicht getan!

Ich bin schon Jahrmillionen alt

Und ändere mich, mal heiß, mal kalt

Ich bin das Klima und wandele mich

Ohne Veränderungen geht es nicht:

Der Klimaschutz hilft einem nur

Das ist der Mensch, da bleib ich stur

Die Menschen, die ihre Gelder machen

Mit Gesetzen, Abgaben, anderen Sachen

Und alles für den guten Zweck

mich Klima schert es einen Dreck

Macht, was ihr wollt, doch müsst ihr wissen

Ihr tut es für euch, für euer Gewissen

Der Schmutz in der Umwelt ist wirklich schlimm

Ist Gift für euch und hat keinen Sinn

Der greift euch an und schädigt nicht mich

Ich bin das Klima, bin ewiglich!!!!«

Nach diesem Wortschwall geht K die Puste aus. Mit einem leichten Hauch startet er in Richtung Weltall. V und E blicken betroffen drein und folgen ihm. Nie haben sie ihren kleinen Bruder so engagiert und so bewegt erlebt. Sie nehmen ihn in ihre Mitte. Vielleicht hat seine Rede etwas bewirkt, vielleicht haben die Menschen ihn verstanden, vielleicht würden sie sachlich überlegen, was gut für sie wäre und was nicht und dementsprechend handeln? K würden sie nun vermutlich keine Autos mehr opfern oder doch? Hatten sie ihn überhaupt gehört und wollen sie ihn überhaupt hören? Die Antwort kann K nicht mehr verfolgen, denn er bewegt sich mit V und E in die Tiefen des Universums. Dort wird es sein, wie es vordem war, vom Anfang der Zeiten an bis zu ihrem Ende.

 

Alisha Pilenko: Wikinger vs. Indianer

»Damit wir uns richtig verstehen.« Der Wikinger neigte sich zu mir herüber. Auf seinem Kopf saß ein Helm – mit Hörnern. »Das hier ist ein Auftrag von äußerster Wichtigkeit. Bei Thors Hammer, ich verlange Ihre unbedingte Diskretion!«

Ich hatte nicht erwartet, dass er tatsächlich einen Hörnerhelm tragen würde. Auch der Bart traf mich vollkommen unvorbereitet: ein rotbraunes Gestrüpp, das ihm am Kinn entlang bis auf die Brust wucherte, sodass man unmöglich sagen konnte, wo Gesichtsbehaarung aufhörte und Brustbehaarung anfing. Sein Oberkörper glich einem Bierfass. Nur dass man dieses spezielle Fass in eine Wolltunika, knielange Hosen und lederne Stiefel gesteckt hatte.

Ich holte tief Luft und versuchte, nicht auf den Helm zu starren. »Hören Sie, Herr …«

»Eriksson«, sagte er bedeutungsvoll. »Leif Eriksson. Sie haben vermutlich von meinem berühmten Vorfahren gehört.«

Natürlich hatte ich das nicht. Daher setzte ich mein vertrauenswürdigstes Lächeln auf. »Herr Eriksson, ich bin Kapitänin Ulyssa T. Fox, Kommandantin der MS Sigmund Freud, des wohl größten Handels- und Transportschiffes der Vereinten Welten. Diskretion ist eine meiner leichtesten Übungen.« Zugegeben, das war ein wenig übertrieben. Aber ich war pleite, die Ladeluke klemmte, die Crew wartete auf ihren Sold und die Deuteriumspule des Hyperantriebs bedurfte dringend einer Generalüberholung, also würde ich diesem Wikinger alles erzählen, was er hören wollte.

Um uns herum tobte der Flohmarkt von Siphonapter Alpha, einem Freihandelsplaneten am Rande des Ebaynebels. Wer auch immer etwas kaufen, verkaufen, tauschen, transportieren oder verschwinden lassen wollte – legal oder illegal –, der war hier an der richtigen Adresse. Vom Taschenwurmloch bis zum atombetriebenen Nasenhaarschneider, Siphonapter Alpha bot alles, was das Herz (oder die heliumgefüllte Röhrenpumpe) begehrte.

»Und Sie sind sicher, dass Ihr Raumschiff über die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen verfügt, um unsere Fracht wohlbehalten ans Ziel zu bringen?«

Es entstand eine kurze Pause, als Leif Eriksson einen pastafarianischen Gläubigen abwehrte, der ihm ein Nudelsieb und andere Devotionalien verkaufen wollte.

»Aber selbstverständlich«, antwortete ich schließlich und lächelte noch ein wenig vertrauenswürdiger. »Die Freud verfügt über die neueste Technologie in Sachen Sicherheit. Und meine Crew ist bestens ausgebildet.« Dass es sich bei der MS Sigmund Freud in Wirklichkeit um ein Therapieschiff handelte, das die Terraner nach dem desaströsen Ende der Orbitalkriege an den Meistbietenden verschachert hatten, ließ ich vorsichtshalber unerwähnt.

Man nimmt, was man kriegen kann, pflegte meine Mutter immer zu sagen. Andererseits war meine Mutter Kartoffelbäuerin auf Patatia IV, also denke ich nicht, dass wir dasselbe darunter verstanden.

»Hier.« Leif Eriksson hielt mir eine Holzkiste entgegen, die mit schweren Schlössern verriegelt war. »In dieser Kiste befindet sich das legendäre Trinkhorn, das Thor im Wettkampf gegen den Riesen Utgardloki zu leeren versucht hat. Wollen Sie die Geschichte hören?«

»Eigentlich nicht.«

»Es trug sich folgendermaßen zu: Der Herr der Burg Utgard forderte den unbesiegbaren Sohn Odins zu drei verschiedenen Wettkämpfen heraus. Aber er überlistete Thor, sodass dieser unterlag. Das Trinkhorn beispielsweise war am anderen Ende mit dem Meer verbunden, Thor hätte es somit niemals leeren können. Immerhin hatte er durch seinen Versuch die erste Ebbe der Weltgeschichte verursacht. Ha, das muss ihm erst mal einer nachmachen!« Der Wikinger klopfte auf die Kiste. »Dieses Trinkhorn ist eines der wichtigsten Artefakte unseres Clans.«

»Ich verstehe«, sagte ich. Das war eine reichlich verworrene Geschichte. Außerdem war ich noch immer abgelenkt von dieser Monstrosität auf seinem Kopf. Ich meine, bitte, ein Hörnerhelm? Aber der Kunde ist ja bekanntlich König. Selbst wenn er aussieht wie die unfreiwillige Karikatur eines Geschichtshologramms von Historica VII.

»Mein Vater, Erik der Rote Thorvaldsson, bat mich, das Horn zu unserem Kolonialplaneten Walhalla IV zu bringen, wo es in einem Schrein ausgestellt werden soll, um unseren tapferen Siedlern ein Stück Heimat und Kultur zu vermitteln.« Leif Eriksson senkte die Stimme. »Ein offizieller Transport mit der Drachenbootflotte kommt natürlich nicht infrage. Das würde zu viel Aufsehen erregen. Es gibt gewisse Subjekte, denen daran gelegen ist, das Horn in ihre Hände zu bekommen.«

Ich nickte. Das bedeutete Ärger.

»Ich selbst werde selbstverständlich mit an Bord Ihres Schiffes kommen, um den Transport zu überwachen.«

Ich nickte erneut. Das bedeutete noch mehr Ärger.

»Das Volk der Wikinger vertraut Ihnen.« Leif Eriksson streckte mir die Hand entgegen.

Ich schüttelte sie. »Ich werde mein Bestes tun, es nicht zu enttäuschen.«

Und das war nur halb gelogen.

»Logbuch der MS Sigmund Freud.

Sternzeit: Keine Ahnung, wie man die berechnet, ich meine, geht es hier um ein Datum, eine Uhrzeit oder ein Koordinatensystem?

Wir haben einen neuen Auftrag: Die Freud soll eine Truhe mit dem Horn eines trinkfesten Gottes zum Planeten Walhalla IV bringen.«

Ich hielt inne. »Sigi!«

Augenblicklich erschien das Hologramm des Schiffsavatars in meinem Quartier (bei dem es sich genau genommen um die Honeymoonsuite handelte).

»Ich wünsche, bei meinem vollen Namen genannt zu werden.« Der Avatar strich sich über den weißen Bart. »Sigmund Freud. Doktor Sigmund Freud.«

»Sigi, was sagen deine Datenbanken über einen gewissen Thor oder seinen Vater Odin?«, fragte ich.

Der Avatar seufzte. »Einen Moment bitte, Frau Fox. Seit dem großen Datencrash während der Orbitalkriege ist es schwierig, derartige Informationen zu extrahieren. Ah, ja, hier haben wir es. Odin. Auch Wodan oder Wotan genannt. Hauptgottheit der Germanenstämme auf Terra. War bekannt für sein achtbeiniges Pferd, seine Einäugigkeit und seine Vorliebe für Raben. Experten vermuten, dass es sich bei ihm um das Vorbild der Legende des sogenannten einäugigen Königs unter den Blinden handelt. Allerdings rätselt man noch immer, in welcher Beziehung er zum altgriechischen Stamm der Zyklopen steht. Thor. Oder Donar. Donnergott und Beschützer der Welt der Menschen. Verfügte über ein cholerisches Temperament und einen exorbitanten Hammer – eindeutig ein Phallussymbol, wenn Sie mich fragen.«

»Interessant.« Ich strich mir eine Strähne meiner Dreadlocks hinter die Ohren. Bei einem meiner wenigen Besuche auf Terra hatte ich in einem Museum die Statue einer stattlichen Frau mit Flügelhelm gesehen. Sie wurde als Brunhild die Walküre bezeichnet und war vermutlich die Ehefrau eines Germanen namens Richard Wagner. Dieser verbrachte sein Leben damit, einen Ring zu suchen, um ihn in einem Fluss zu versenken oder von einem Berg zu werfen, darin waren sich die Quellen nicht einig.

»Danke, Sigi.«

»Ich heiße Sigmund«, wiederholte der Avatar. »Ist das denn so schwer?«

Doch ich fuhr bereits mit meinem Logbucheintrag fort:

»Dies ist also eine neue Chance für die Crew der Freud, sich zu bewähren. Wir werden keine Mühen scheuen, um die wertvolle Fracht an ihr Ziel zu bringen.

P. S.: Ich weiß jetzt, wofür das ganze Trockeneis im Maschinenraum da ist: Es kühlt den Hauptprozessorkern. Schade, Schokoladeneis wäre mir lieber gewesen. Memo an mich selbst: Eismaschine kaufen. Ach, ja, und die Kaffeesahne ist alle.«

»Essen!« Das Gesicht der Schiffsköchin erschien auf dem Intercom-Bildschirm meines Handgelenkskommunikators. »Schwingt sofort eure Beine, Tentakel oder was auch immer hierher, ihr undankbaren Blutegel, oder ich entsorge eure Mahlzeit über die Latrinenschleuse!« Betty-nicht-wenn-ich-dich-vorher-kriege-Sue war nicht gerade für ihr geduldiges Temperament bekannt. Im Grunde war sie auch nicht für ihre herausragende Kochkunst bekannt. Aber in Zeiten der Not nimmt der Breitaugenquongo auch mit einer rotschaligen Süßkartoffel vorlieb. Altes patatianisches Sprichwort.

Das Bordrestaurant hatte seinen Zenit lange überschritten. Die Bar führte lediglich eine Sorte Alkohol (einen patatianischen Kartoffelschnaps namens Zieht-dir-die-Schuhe-aus), in der Theke klafften mehrere Einschusslöcher, die Beleuchtung funktionierte nur zur Hälfte und man musste lange suchen, um einen Stuhl zu finden, der nicht wackelte. Betty-nicht-wenn-ich-dich-vorher-kriege-Sue tischte eine undefinierbare Brühe auf.

»Was ist das?«, fragte Archibald McLean.

»Dein Essen«, sagte Betty.

»Das ist kein Essen, das ist …« Der Elektromechaniker verstummte, als er Bettys Blick begegnete. Betty-nicht-wenn-ich-dich-vorher-kriege-Sue hatte in den Orbitalkriegen gekämpft. Sie hatte mehrere Orden erhalten und einen Arm verloren. Seither war sie nicht gut drauf. Posttraumatische Belastungsstörung, sagte Sigi. Schlechte Laune, sagte ich.

»Hngada wontu?« Ctbtnctl, Navigatorin und Hyperraumpilotin, tunkte einen ihrer Tentakel in die Brühe und saugte daran.

»Bin ganz deiner Meinung«, stimmte ich zu und würgte einen Löffel meines eigenen Essens hinunter. Im Grunde hatte ich keine Ahnung, was sie gesagt hatte, aber seit der Übersetzungschip streikte, taten wir einfach so, als könnten wir uns verstehen. Meistens funktionierte das ziemlich gut. Ctbtnctl machte ihre Arbeit und ich war froh, wenn sie den richtigen Kurs hielt und wir uns nicht plötzlich im Zentrum des Staubsaugernebels wiederfanden.

»Hört mal alle zu«, rief ich. »Ich habe das Trinkhorn Thors unter Wahrung der höchsten Sicherheitsstufe in unserem Frachtraum eingeschlossen.« Was bedeutete, ich hatte die Kiste in eine noch größere Kiste gesteckt und ein Schloss drangehängt. »Ich erwarte von euch vollsten Einsatz für diese Mission.«

Allgemeines Gemurmel ertönte, das ich großzügigerweise als Zustimmung wertete.

»Was ist überhaupt ein Trinkhorn?«, fragte Tinga.

»Und was ist ein Thor?«, fragte Singa.

Die gestaltwandelnden Zwillinge hatten zur besseren Nahrungsaufnahme eine annähernd humanoide Form angenommen – obwohl sie immer noch rosa waren. Durch ihre Formvariabilität waren sie für die unterschiedlichsten Aufgaben an Bord geeignet: vom Verstauen der Ladung, über das Reinigen schwer zugänglicher Luken bis hin zum Füttern der Säbelzahnratten, die seit Monaten auf ihre Auslieferung an einen seforischen Wanderzoo warteten (was dem Umstand geschuldet war, dass dieser immer schon weg war, wenn wir ankamen).

Eine schleimige bläuliche Masse kroch über den Fußboden.

»Hallo, Bob«, sagte ich. Bob antwortete nicht. Er war im Allgemeinen nicht sehr gesprächig. Genau genommen gehörte er gar nicht zur Crew. Er war einfach schon da gewesen, als ich das Schiff gekauft hatte. Und wer will sich schon mit einer zabajanischen flüssigen Entität anlegen, jeder weiß, wozu die fähig sind. »Ich wünsche dir noch einen schönen Tag«, rief ich ihm hinterher. Bob schwieg und schleimte davon.

»Nachtisch!« Betty-nicht-wenn-ich-dich-vorher-kriege-Sue klatschte kleine, mit einer bräunlichen Masse gefüllte Förmchen auf den Tisch.

»Oh«, brummte Archibald, »Pudding.«

»Das sind Muffins!«, schrie Betty und packte Archibald am Kragen.

»I… …e…omme …eine …uft«, japste der Elektromechaniker.

»Ahem.« Das Hologramm des Schiffsavatars erschien. »Ich spüre hier unbewusste Bewertungsängste, die sich in Form primitiver körperlicher Aggressionen ausdrücken, um schamhafte Gefühle vom Ich fernzuhalten.«

»Wer ist hier primitiv?«, zischte Betty-nicht-wenn-ich-dich-vorher-kriege-Sue und schüttelte Archibald vorsichtshalber noch einmal hin und her, bevor sie ihn zu Boden plumpsen ließ.

»Das hier ist lediglich Ausdruck eines vollkommen bewussten und zugleich trivialen interpersonellen Konfliktes«, winkte ich ab.

 

Sigi rückte seine runde Brille zurecht. »Ich sehe, dass Sie zum Abwehrmechanismus der Intellektualisierung gegriffen haben, Frau Fox. Eine gute Wahl. Spiegelt ein reifes Strukturniveau wider.«

»Danke, Sigi.« Ich tauchte meinen Löffel in den Muffin-Pudding-Brei und zwang mich, den Bissen herunterzuschlucken.

»Es heißt Doktor Sigmund Freud«, berichtigte der Avatar. »Ich darf darauf hinweisen, dass ich als Therapieschiff eigens dafür konstruiert wurde, die verdrängten Konflikte meiner wohlhabenden Passagiere auf dem Weg zu ihren Urlaubsorbitalen zu analysieren.«

»Und ich darf darauf hinweisen, dass du nun ein Transportschiff bist, Sigi, finde dich damit ab.«

»Ich verspüre erneut einen leichten Anflug von Aggression«, sagte der Avatar. »Natürlich bin ich zu therapeutischer Abstinenz verpflichtet und daher bestens in der Lage, damit umzugehen.« Er schwieg einen Moment beleidigt. Dann fügte er hinzu: »Eigentlich bin ich hier, um unseren Gast zu Tisch zu geleiten.« Er machte eine einladende Geste und hinter ihm betrat Leif Eriksson das Bordrestaurant.

»Odin zum Gruße«, sagte er, ließ sich auf einen Stuhl fallen und legte die Füße auf den Tisch.

»Höchst erfreut.« Betty-nicht-wenn-ich-dich-vorher-kriege-Sue reichte dem Wikinger ihre Hand. »Für dich, starker Mann, habe ich eine extragroße Portion.«

Leif Eriksson war wie Bauchschmerzen. Und zwar jene, die man bekommt, wenn man genau weiß, dass man die fünfte Portion Kartoffelchips mit Schlagsahne nicht mehr essen sollte, es aber trotzdem tat. Er erzählte unentwegt von den glorreichen Heldentaten seiner Vorfahren (die im Großen und Ganzen daraus bestanden, andere Völker zu überfallen und sie an Habseligkeiten ärmer, dafür an Wikingergenen reicher zu machen), blieb mit seinem Hörnerhelm am Inventar hängen und verschüttete andauernd seinen Honigmet, den er nicht nur überallhin mitnahm (selbst aufs stille Örtchen), sondern auch aus einem Horn trank, das für derartige Zwecke ungefähr so geeignet war wie eine anagorische Bullenpeitsche zum Fangen eines unsichtbaren Drillentulu.

»Ich meine, wenn er wenigstens hinterher aufwischen würde … Aber dieses Honigzeug klebt.« Ich seufzte.

»Nun«, Sigi strich sich nachdenklich über den weißen Bart. »Das Horn als archaisches Phallussymbol …«

»Was willst du damit sagen?«, fuhr ich dazwischen.

»Ich möchte gar nichts sagen, ich analysiere nur«, gab der Avatar zurück. Er holte eine goldene Taschenuhr aus seiner Westentasche und schaute demonstrativ darauf. »Wollen Sie fortfahren, sich in unbedeutendem Geplänkel zu verlieren, Frau Fox, oder sollen wir uns der Bearbeitung Ihres Grundkonfliktes widmen?«

»Ist ja schon gut, Sigi.«

»Sigmund, ich heiße Sigmund.«

Ich lag auf der Chaiselongue in meinem Quartier und hatte die Augen geschlossen. An der Decke drehte sich ein altmodischer Ventilator. Das trug zwar nicht zur Verbesserung des Raumklimas bei, sorgte aber für eine konstante Geräuschbelästigung. »Weißt du, Sigi«, sagte ich nach einem kurzen Moment. »Ich habe da manchmal diesen Traum.«

»Hm-hm.«

»Ich werde von einer riesigen Kartoffel verfolgt, die mich verspeisen will. Ich renne und renne, komme aber keinen Meter voran.«

»Erzählen Sie mir mehr.«

»Und kurz bevor die Kartoffel mich frisst, sehe ich an mir herunter und habe nur Unterwäsche an. Und ich denke mir: Wunderbar, jetzt wirst du von einer Mutantenkartoffel gefressen und trägst einen Sternschnuppentanga.«

»Hm-hm.«

»Glaubst du, der Traum hat etwas mit meiner Mutter zu tun?«

»Was glauben Sie?«

»Ich …« Aber ich kam nicht mehr dazu, irgendetwas zu glauben, da plötzlich Bettys Gesicht auf dem Intercom-Bildschirm erschien.

»Boss, wir haben ein Problem!«

»Da ist etwas in meiner Küche«, flüsterte Betty-nicht-wenn-ich-dich-vorher-kriege-Sue. In der Hand hielt sie ein nuklearbetriebenes Nudelholz. Sie wies damit auf die Vorratskammer, aus der polternde Geräusche drangen.

»Kakerlaken?«, mutmaßte ich und griff nach der 360er Kill-o-Matic, die an meinem Gürtel hing.

»Dann müssen das aber verdammt große Kakerlaken sein«, sagte Betty.

»Also gut.« Ich stieß die Tür auf, sprang in die Vorratskammer und erblickte einen Wikinger, der mit einem Schwert in der Müslipackung herumstocherte.

»Wo ist es?«, rief er.

»Was?«, fragte ich.

»Was wohl?«, entgegnete der Wikinger und fuchtelte mit seinem Schwert vor meiner Nase herum. »Thors Trinkhorn. Ich weiß genau, dass es hier irgendwo sein muss.«

»Aber hier ist die Küche«, sagte Betty-nicht-wenn-ich-dich-vorher-kriege-Sue.

Der Wikinger schluckte. »Küche, so, so. Na ja.« Vorsichtshalber schlug er nach ein paar Power-Energy-Proteinkugeln, die bröselnd zu Boden gingen. »Und in dieser Küche befindet sich nicht zufällig das legendäre Trinkhorn Thors, wertvolles Artefakt des Stammes der Wikinger?«, fragte er vage hoffnungsvoll.

Ich schüttelte den Kopf.

»Aha.« Er schien einen Moment darüber nachzudenken. Dann richtete er das Schwert auf mich. »Führen Sie mich auf der Stelle zum Horn!«

Ich sah ihn an. Er war deutlich kleiner als Leif und hatte ein nervöses Zucken am linken Augenlid. »Hören Sie, Herr … Wikinger.«

»Thorvald«, sagte er. »Thorvald Eriksson. Sie haben sicherlich von meinem berühmten Vorfahren gehört.«

»So ungefähr.«

»Dann wissen Sie, dass wir Wikinger todesmutig, kampferprobt und überaus einfallsreich sind. Sehen Sie nur, wie mühelos ich Ihre Sicherheitssysteme überlistet habe.«

Das war in der Tat beunruhigend. »Sigi?«, fragte ich. »Was ist mit der Sicherheitstechnik?«

Der Schiffsavatar materialisierte sich. »Wir haben keine«, erklärte er. »Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich bin ein Therapieschiff.«

»Aber haben wir nicht auf Omega-3 diesen nanoelektronischen Security-Sensor erworben?«

»Sie sagten, der sei zu teuer und – ich paraphrasiere – wozu braucht man schon eine Alarmanlage? Dann haben Sie Hologrammclips für Ihre Haare gekauft.«

»Die waren im Sonderangebot.« Memo an mich selbst: Sicherheitssysteme installieren.

Thorvald Eriksson räusperte sich. »Ähm, ich muss jetzt wirklich darauf bestehen, dass Sie mich zum Horn führen!« Zur Vorsicht fuchtelte er ein wenig stärker mit seinem Schwert herum. »Ich werde nämlich derjenige sein, der das legendäre Trinkhorn Thors zu seinem angestammten Platz bringt. Nicht mein Bruder. Ich habe es satt, dass er immer auf die interessanten Missionen geschickt wird, nur weil sein Namensvetter vor Hunderten von Jahren auf Terra ein Land namens Amerika entdeckt hat, während die Taten meines Namensvetters sich darauf beschränkten, in eben jenem Land von wütenden Ureinwohnern getötet worden zu sein. Ich kann ebenso gut plündern und rauben wie er, jawohl!«

»Wir haben Sie überhaupt erfahren, dass das Horn hier ist?«, unterbrach ich seinen Redeschwall.

»Ich habe meine Augen und Ohren überall. Außerdem spricht mein Bruder im Schlaf. Und nun: vorwärts!« Er pikte mir mit dem Schwert in den Oberschenkel.

»Und was soll das sein?«, fragte ich.

»Die traditionelle Waffe der Wikinger. Sicher, präzise, tödlich.«

»Das ist doch keine Waffe.« Ich hielt ihm meine 360er Kill-o-Matic ins Gesicht. »Das ist eine Waffe.«

Thorvald wirkte unbeeindruckt. »Scheint mir nicht sehr gut geeignet, um damit jemanden auf qualvolle Weise aufzuspießen.«

»Dafür kann ich damit jemanden auf qualvolle Weise zu Staub pulverisieren«, entgegnete ich.

Er schluckte und ließ das Schwert fallen.

»Kein Wunder, dass Ihr Vater lieber Ihren Bruder auf Missionen schickt«, sagte ich. »Sigi?«

»Sigmund«, stöhnte der Avatar, »ich heiße Sigmund.«

»In welche Zelle können wir unseren Wikingerfreund sperren?«

»In keine. Ich besitze kein Gefängnis.«

Ich überlegte kurz. »Dann bringen wir ihn in die Sauna, die benutzt sowieso niemand. Betty, wenn du so freundlich wärst.«

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?