Bibelkunde

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2 Zur Geschichte des Lehrgegenstandes

Um zu verstehen, wie es zu diesen bis heute letztlich unreflektierten Überschneidungen von Bibelkunde im Sinne von Inhalt und Aufbau biblischer Schriften und dem wissenschaftlich verantworteten Wissen über diese Schriften kommen konnte, ist ein kurzer Blick auf die Geschichte der Bibelkunde im deutschsprachigen Raum sinnvoll.

Grimms Wörterbuch kennt zwar den Begriff bibelfest, nicht aber die Bezeichnung Bibelkunde. Die ersten Lehrbücher für Bibelkunde entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts als Präparationsbücher für Lehrer an christlichen und jüdischen Volksschulen.1 Sie sollten sich ein strukturiertes Wissen über die Bibel erarbeiten, um auf dieser Grundlage ihren Unterricht erteilen zu können. Dabei wurde die Bibel als Grundorientierung in Völker- und Staatskunde, aber auch Biologie und Sittenkunde verstanden.2

In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen die ersten Lehrwerke für das Gymnasium und zwar für den Unterricht sowohl an christlichen, als auch an jüdischen höheren Schulen.3 Die Integration von Bibelkunde in den Religionsunterricht dieser Schulen war nicht zuletzt einer apologetischen Tendenz geschuldet, die den in Friedrich Schleiermachers (1768–1834) Reden an die Verächter der Religion genannten Vorbehalten begegnen wollte.4 Zunächst stellten die insbesondere von Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) vertretene Vernunftreligion und die dieser zugrundeliegende Sachkritik der biblischen Aussagen den Gehalt der Bibel infrage. Im 19. Jahrhundert wurde dann Schritt für Schritt der faktuale Gehalt der biblischen Schriften weiter destruiert. Die biblische Chronologie wurde durch archäologische Funde im Alten Orient infrage gestellt, die Vorstellung von der Erschaffung der Welt an einem Tag durch die Geologie, die synchrone Schöpfung aller Arten durch die Evolutionstheorie und die Offenbarungsqualität der Bibel durch altorientalische Texte, die als Parallelen oder gar Vorlagen aufgefasst werden konnten (Bibel-Babel-Streit). Die apologetische Tendenz der Bibelkunde im Schulunterricht führte dazu, dass die Darstellung von Inhalt und Aufbau biblischer Schriften immer auch ein Reflex auf die Situation der in Deutschland konfessionell verfassten Religionen war. So ist es kein Zufall, dass die erste Bibelkunde, die im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet ist, auf den Rabbiner Ludwig Philippson (1811–1889) zurückgeht, der zugleich der Autor einer Schrift mit dem Titel Reden wider den Unglauben gerichtet an alle denkenden Israeliten ist.5 Der Gymnasiallehrer Eduard Krähe notiert im Vorwort seiner Bibelkunde aus dem Jahr 1877, dass er die wachsende „Gleichgültigkeit der Gebildeten, die offene Feindschaft der Massen gegen alle Religion“ bekämpfen und den „gebildeten Theile unseres Volkes“ wieder zum „Träger von wahrer deutscher Frömmigkeit“ machen wolle.6 Bibelkunde ist in ihrer Entstehung als schulisches Lehrfach der Aufgabe verpflichtet, die Religionen, die sich auf die Bibel berufen, in ihren verschiedenen konfessionellen Prägungen zu verteidigen. Es ist mit dem Wesen jeglicher Apologie verbunden, dass diese, wenn sie wirkungsvoll sein möchte, sich auf die Argumente der Angreifer einlassen muss, sodass diesem Gestus eine historisch-aufklärende wie auch assimilierende Tendenz zu eigen ist.7

Die universitäre Lehre in Bibelkunde setzt später ein. Erste Überblicke und Lehrvorlagen erscheinen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa die 1933 erschienene und bis 1983 aufgelegte Bibelkunde des Missionswissenschaftlers Martin Schlunck (1874–1956).8 Die Bibelkunde des Göttinger Systematikers Otto Weber (1902–1966) aus dem Jahr 1949 steht hingegen unter dem Einfluss der barthianischen Bibelorthodoxie der Nachkriegszeit und ist aus einer systematisch-theologischen Perspektive konzipiert.9 Die Überschriften zu den einzelnen Kapiteln stellen theologische Begriffe, die heilsgeschichtlich interpretiert werden, in den Mittelpunkt (‚Schöpfung und Sünde‘, ‚Israel‘, ‚Theokratie‘ usw.) und verbinden mit ihnen eine Auswahl passend erscheinender Bibeltexte als ‚Lesestoff‘. Daneben entstehen auch Lehrbücher, die die Berührung mit der theologischen Wissenschaft meiden, so erläutert der Pfarrer und Bonner Privatdozent für das Alte Testament Martin Thilo (1876–1950) das Verhältnis seiner Bibelkunde zu den exegetischen Wissenschaften mit den Worten:

„Ich habe deswegen bei meiner Arbeit jeden Übergriff in die Fragen der theologischen Bibelwissenschaft strengstens vermieden und mich damit scharf von den Versuchen derer geschieden, die eine mit Urteilen aus dem Wissenschaftsgebiete durchsetzte Bibelkunde bieten möchten.“10

Rudolf Knopf (1874–1920), Professor für neutestamentliche Wissenschaft in Bonn, integrierte in den Titel seiner Einführung in das Neue Testament auch den Begriff Bibelkunde. Diese Bezeichnung trifft aber nur auf die eingestreuten knappen Skizzen über Inhalt und Aufbau der neutestamentlichen Schriften zu, die Knopf in seine historischen Ausführungen zu den Abfassungsverhältnissen (‚Veranlassung‘, ‚Eigenart‘, ‚Echtheit‘, ‚Ort‘) der jeweiligen Schriften oder Schriftengruppen integriert.11 Der Erlanger Alttestamentler Georg Fohrer (1915–2002) ist wohl einer der ersten akademischen Lehrer des Alten Testaments, der für seine Vorlesung zur Einführung in das Alte Testament Bibelkenntnis nicht nur voraussetzte, sondern sie explizit zu deren Gegenstand machte.12 Die einzelnen Kapitel beginnen mit Inhaltsübersichten der behandelten biblischen Bücher.13 Diese bibelkundlichen Ausführungen Fohrers sind auf seine kritische Analyse der biblischen Bücher ausgerichtet. Seine Bibelkunde setzt demnach ein umfassendes, wissenschaftlich verantwortetes kritisches Bild von der Entstehung der alttestamentlichen Schriften und der biblischen Grunderzählung voraus.

Das gilt grundsätzlich auch für die Bibelkunden der Gegenwart, die aus dem akademischen Unterricht erwachsen sind.14 Bisweilen führen die sachlich unvermeidlichen Überschneidungen zwischen Bibelkunde und Einleitungswissenschaft dazu, dass Fachkollegen bei der Auswahl des Lehrbuchs für Bibelkunde berücksichtigen müssen, welche hermeneutischen und literaturgeschichtlichen Perspektiven diese vertreten und ob diese wiederum „die eigenen Schwerpunkte in der Lehre am besten repräsentieren“15.

Die Lehre in Bibelkunde hat demnach bewusstzumachen und offen zu legen, in welchem Maße die Aussagen über Inhalt und Aufbau der alt- und neutestamentlichen Schriften an ein Vorverständnis gebunden sind und woher dieses seine Deutungskonstanten bezieht.16 Die universitäre Lehre der Bibelkunde sollte sich jedenfalls der kritischen und ergebnisoffenen Wissenschaft verpflichtet fühlen und sowohl die apologetischen Anteile der eigenen Fachgeschichte, als auch die frömmigkeitsgeschichtlich verengten Bibelverständnisse als „Gegenhorizont“17 reflektieren. Für den akademischen Unterricht unangemessen und auch für die Vorbereitung des Theologiestudiums eher hinderlich als hilfreich sind Bibelkunden, die darauf beharren, dass Moses den Pentateuch verfasst hat,18 oder den Jünger Matthäus als Verfasser des Evangeliums vorstellen und bibelkundliches Wissen als Evangelienharmonien präsentieren,19 ausführlich die Inspiration der Schrift und die innere Einstellung des Lesers thematisieren,20 die historische Kritik pauschal infrage stellen und vermeintlich pluralistisch ‚Gleiches Recht für alle!‘, nämlich auch für diejenigen, die wissenschaftliche Zugänge ablehnen, fordern.21 Einfach gesprochen: Bibelkunde an der Universität muss einleitungswissenschaftliche Fragen berücksichtigen und die bibelkundlichen Inhalte auf die wissenschaftliche Exegese und die hermeneutischen Anforderungen der wissenschaftlichen Theologie ausrichten.

3 Bibelkunde heute: Eine Bestandsaufnahme

In den Studienordnungen spiegelt sich die Notwendigkeit, einleitungswissenschaftliche Kenntnisse mit der Lehre von Inhalt und Aufbau der Bibel zu verbinden, insofern wider, als Bibelkunde nicht selten in Lehrveranstaltungen zur Einführung in das Alte Testament oder Neue Testament integriert ist. Das gilt überwiegend für Module der Bachelor- und Lehramtsstudiengänge z.B. in Bamberg und Münster (Grund- bzw. Basismodul Biblische Theologie), Hamburg (Einführung in das theologische Studium), Rostock (Grundlagen Theologie und Religionsgeschichte) oder Dresden (Einführung in die Biblische Literatur). Auch dort, wo für Pfarramtsstudierende und das gymnasiale Lehramt eigenständige Bibelkundeveranstaltungen angeboten werden, erwähnen einige Modulbeschreibungen und Prüfungsordnungen über die Vorgabe des Fakultätentages hinaus einleitungswissenschaftliche Kenntnisse, die in der Lehrveranstaltung bzw. im Kontext des jeweiligen Moduls mitbehandelt oder in der Prüfung verlangt werden, z.B. in Göttingen (geschichtlicher Hintergrund, Kenntnisse der Einleitungswissenschaft), Jena (Entstehung und Zusammengehörigkeit biblischer Textcorpora), Kiel (auktoriale und chronologische Grunddaten der Schriften, deren Abhängigkeiten voneinander), Tübingen (Grundkenntnisse zur Entstehung der neutestamentlichen Texte), Münster (Überblick über die Entstehung der alt- bzw. neutestamentlichen Schriften und ihrer Kanonisierung), Berlin (Entstehungsbedingungen und Abfassungszweck der alttestamentlichen und neutestamentlichen Schriften, grundlegende Einleitungskenntnisse), Hamburg (erste Kenntnisse über die Einleitungsfragen zu den Schriften [Entstehung, Verfasser]).

Aber natürlich orientieren sich zahlreiche Ordnungen und Modulbeschreibungen am Paradigma der ‚reinen‘ Bibelkunde, die ausschließlich Inhalt und Aufbau nach Kapitel und Versgruppen geordnet als Lehrgegenstand nennen. Das gilt für die Ordnungen der Universitäten Bochum, Bonn, Erlangen, Frankfurt, Greifswald, Halle, Leipzig, Mainz, Marburg, München, Neuendettelsau und Rostock. Ob und inwieweit diese Ordnungen die Lehr- und Prüfungswirklichkeit widerspiegeln, lässt sich natürlich nicht so ohne weiteres beantworten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Ordnungen in einem unterschiedlichen Maße der Vorgabe des Bologna-Prozesses folgen und Studien- und Prüfungsordnungen kompetenzorientiert formulieren. Dort, wo das geschieht, werden überwiegend traditionelle Kompetenzen genannt, wie etwa die Fähigkeit, biblische Geschichten erzählen (Mainz), bestimmte Themen und Sachstränge durch die ganze Bibel verfolgen (Wuppertal/Bethel, Mainz, Neuendettelsau, Würzburg), Textabschnitte paraphrasierend wiedergeben (Frankfurt, Halle, Rostock) oder gar einige biblische Texte auswendig aufsagen zu können (Bonn, Frankfurt, Mainz, Rostock). Bisweilen wird aber doch der Blick auf hermeneutische Kompetenzen erweitert, wie etwa die Wahrnehmung der Vielfalt biblischer Texte (Wuppertal/Bethel), das Differenzierungsvermögen in Hinblick auf unterschiedliche Funktionen und Kontexte biblischer Aussagen (Jena), die Wahrnehmung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten biblischer Theologien (Würzburg), oder die Fähigkeit, biblische Aussagen mit unterschiedlichen Akzentsetzungen begründet miteinander ins Gespräch zu bringen (Neuendettelsau).

 

Die kursorische Durchsicht der Modulbeschreibungen sowie Studien- und Prüfungsordnungen an deutschen Universitäten, die sich auf Bibelkunde oder bibelkundliche Kenntnisse beziehen, ergibt demnach, dass neben Inhalt und Aufbau der alt- und neutestamentlichen Schriften noch weitere Inhalte mit dem Lehrgegenstand Bibelkunde verbunden sind: a) einleitungswissenschaftliche Kenntnisse, b) thematische Querschnitte durch das Alte und Neue Testament, c) auswendiges Aufsagen, d) elementare hermeneutische Kompetenzen wie der Vergleich und die Wahrnehmung von Unterschieden.

4 Qualitative Befragung von Studierenden und Alumni

Studien- und Prüfungsordnungen sowie Modulbeschreibungen sind zwar rechtsverbindliche Texte, sie geben aber dennoch nur einen Teil der Lehr-/Lern-Wirklichkeit im Fach Bibelkunde wieder. Deswegen sollen als empirischer Gegenhorizont zu dem Bild, das diese Texte von der Lehre in Bibelkunde entwerfen, die Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Studierenden, Examinierten und Vikarinnen herangezogen werden. In einer 90-minütigen Diskussion haben unter der Leitung einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin eine Vikarin, eine examinierte Theologin und vier Studierende in Marburg sowie ein Hochschullehrer, der Autor dieses Beitrags, zu vorbereiteten Fragen ein Gespräch geführt.1 Dieses wurde von einer studentischen Hilfskraft protokolliert. Im Folgenden werden die Inhalte des Gesprächs vorläufig ausgewertet. Es wird jedoch nicht der Anspruch erhoben, dass die Ergebnisse repräsentativ sind. Die Lehrveranstaltungen zur Bibelkunde, die die Gesprächsteilnehmer belegt hatten, fanden an den Universitäten Erlangen, Göttingen, Marburg und Neuendettelsau statt. Es waren sowohl Gesprächsteilnehmer mit einer positiven Haltung zur Bibelkunde, als auch Studierende mit eher negativen Erfahrungen wie z.B. der Wiederholung der Bibelkundeprüfung vertreten. Insgesamt spiegelten sich in den Anschauungen der Teilnehmer eine hohe Vielfalt und kontroverse Diversität der Sichtweisen wider. Die Vielfalt der Positionen und Erfahrungen unterstreicht jedenfalls, so viel sei vorweggenommen, die hohe Individualität von Lehr-/Lern-Prozessen und insbesondere die Bedeutung des subjektorientierten und selbstgesteuerten Lernens in der Ev. Theologie.2 Dem Gespräch wurden acht Fragen, die vom Team des Lehrstuhls für Neues Testament in Marburg formuliert wurden, zugrunde gelegt. Im Folgenden wird eine strukturierte Zusammenfassung der verschiedenen Aussagen unter vier Aspekten geboten.

1 Studienvoraussetzungen und Erfahrungen mit Bibelkunde: Die Gesprächsteilnehmer wiesen mehrfach auf die Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der eigenen Vorkenntnisse und dem im Studium geforderten bibelkundlichen Wissen hin. Die Vorkenntnisse beruhten nicht auf persönlicher Bibellese. Ebenso wenig habe die Institution Familie, Eltern oder Großeltern, eine Rolle gespielt. Als Vermittler bibelkundlichen Wissens wurden mehrfach Kindergottesdienst, Jugendarbeit und Religionsunterricht angeführt. Diese hätten das Gefühl vermittelt, dass man recht gut wisse, was in der Bibel stehe. Die universitäre Auseinandersetzung mit der Bibel sei allerdings so andersartig gewesen, dass sowohl Erwartungen geweckt, als auch Widerstände aufgebaut worden seien. Unter den Erwartungen werden vor allem die Einführung in die Exegese und Kompetenzgewinn in der Auseinandersetzung mit schwierigen Texten genannt, in denen z.B. Frauenfeindlichkeit verbreitet und Gewalt verherrlicht werde. Widerstände rief die Forderung hervor, im eigenständigen Lernen die Verbindung von Textinhalt mit stichwortartigen Inhaltsbeschreibungen sowie mit den Zahlen für Kapitel und Versgruppen herzustellen und auswendig zu lernen. Insbesondere das Auswendiglernen von zahlenorientierten Gliederungen der biblischen Bücher wurde als problematisch und wenig effektiv empfunden.

2 Vorschläge für die Lehre in Bibelkunde: Wichtiger als ein nach Kapitel- und Versgruppen geordnetes bibelkundliches Wissen sei es jedenfalls, neue Perspektiven im Umgang mit schwierigen Abschnitten der Bibel und in der Auseinandersetzung mit unbekannten biblischen Passagen zu gewinnen. Man erwarte sich eine Navigationsfähigkeit durch religiöse Traditionen und damit auch durch alt- und neutestamentliche Texte und Themen. Das könne durch eine Orientierung an inhaltlichem Wissen, am Erzählfaden und an narrativen Zusammenhängen erreicht werden. Die Frage nach dem Was sollte wichtiger sein als die nach dem Wo der biblischen Inhalte.Überraschend ausführlich wurde thematisiert, dass Mitstudierende, die an Bibelschulen bereits als sehr gut wahrgenommene Bibelkenntnisse erworben hätten, als Belastung erlebt würden. Universitäre Bibelkunde solle auch dazu befähigen, im Umgang mit vermeintlich bibelfesten und als theologisch konservativ wahrgenommenen Kommilitonen einen eigenen Standpunkt zu behaupten. Diese würden nicht selten als diskriminierend empfundene theologische Positionen vertreten, die einem historisch-kritischen Verständnis der Bibel nicht standhalten würden. Deswegen solle Bibelkunde nicht auf das Auswendiglernen ausgerichtet sein, sondern auf historisch-kritische Exegese. Die dadurch ermöglichten Verknüpfungen von Bibelkenntnis und wissenschaftlicher Exegese würden dann auch Erfolgserlebnisse vermitteln.

3 Zum Umfang der Lehrveranstaltung: Die meisten Teilnehmer hatten Bibelkunde in Lehrveranstaltungen mit je zwei Semesterwochenstunden für Altes und Neues Testament belegt. Positive sowie auch frustrierende Lehr-/Lern-Erfahrungen wurden gleichermaßen benannt. Da Bibelkunde sich als sehr relevant für das Studium erweise, wurden umfangreichere bzw. studienbegleitende Lehrformate diskutiert und es wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, bibelkundliches Wissen mit exegetischen Inhalten zu verknüpfen.

4 Relevanz für Studium und Beruf: Manche Teilnehmer brachten vor, dass bibelkundliches Wissen eigentlich nur in den exegetischen Lehrveranstaltungen anklinge. Die Praktische Theologie erfordere wenig bibelkundliches Wissen, erst in der Homiletik seien exegetische Kenntnisse wieder gefragt. In der Systematischen Theologie würde gelegentlich ‚über die Texte regelrecht hinübergebürstet‘, insgesamt seien bibelkundliche Bezüge dort selten. Selbst in den exegetischen Fächern wende man sich oft inhaltlich sehr spezifischen Themen zu, ohne dass der Makrokontext der intensiv behandelten ausgewählten Texte angemessen zur Sprache komme.Als ‚praktisch‘ besonders hilfreich werden bibelkundliche und exegetische Kenntnisse für die Diskussion mit streng bibelorientiert argumentierenden Menschen empfunden. Mit bibelkundlichem und exegetischem Wissen könne man dem Druck von Gesprächspartnern, die ihre konservativen Sichtweisen mit Bibelstellen begründeten, besser begegnen. Dies gelte auf ähnliche Weise auch für die Gemeindepraxis, in der bibelkundliche Kompetenz eingefordert werde und es im Gespräch oft wichtig sei, bibelkundliches Wissen spontan und passend einsetzen zu können.

Zusammenfassend sind unter den Ergebnissen der qualitativen Befragung folgende Gesichtspunkte hervorzuheben: Studierende möchten bibelkundliches Wissen in Beziehung zu einleitungswissenschaftlichen und hermeneutischen Fragen setzen. Im weiteren Studium spielt das bibelkundliche Wissen selbst in den exegetischen Fächern eher eine nachgeordnete Rolle. Die Beherrschung der Ordnung der biblischen Bücher nach Kapitel und Versgruppen wird in Studium und Beruf manchmal als hilfreich empfunden, bisweilen aber auch als eine Zahlenorientierung wahrgenommen, die schwer zugänglich und nicht bleibend erlernbar ist.

5 Hochschuldidaktischer Ausblick

Die Geschichte des Faches Bibelkunde zeigt, dass es zumindest zwei Wurzeln hat. Zum einen entstand Bibelkunde als Schulfach, für das bibelkundliche Lehrbücher als Unterstützung der Lehrenden abgefasst wurden. In der Konzeptionsentwicklung des Schulfachs wurde Bibelkunde sehr bald mit apologetischen Aufgaben verbunden. Bibelkunde sollte an höheren Schulen durch historisch zuverlässiges Wissen und rationale Reflexion Interesse und Sympathie mit der christlichen sowie der jüdischen Religion in ihren jeweiligen konfessionellen Prägungen wecken. Zum anderen wurde Bibelkunde als Teil der klassischen Einführungsvorlesungen in das Alte und das Neue Testament nach und nach in die universitäre Lehre integriert. Bibelkunde diente hier einer strukturierten und an den einleitungswissenschaftlichen Fragen ausgerichteten Erschließung der Quellen für den akademischen Unterricht.

Während die Modulbeschreibungen und Studien- und Prüfungsordnungen nicht auf die apologetische Tradition des Faches Bibelkunde eingehen, wurde in der qualitativen Befragung deutlich, dass bibelkundliches Wissen sehr wohl unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung um Deutungen biblischer Texte für Gegenwartsfragen bedeutsam ist. Dies wurde allerdings weniger auf die Verteidigung der verfassten Konfessionen gegenüber religionskritischen Infragestellungen bezogen, sondern vielmehr als eine Möglichkeit gesehen, die individuellen religiösen Überzeugungen gegenüber biblizistischen Herausforderungen behaupten zu können. In diesem Sinne ist die Kenntnis der biblischen Schriften und ihrer Aussagen ein Lerngegenstand, der für einen Teil der Studierenden hohe identitätsbildende Funktion hat, somit im Kernbereich theologischer Identität angesiedelt ist und in der Auseinandersetzung um theologische, sozialethische und politische Geltungsansprüche eine wichtige Rolle spielt. Diese fachspezifischen Gesichtspunkte lassen Bibelkunde nicht als ein Fach wie jedes andere erscheinen. Die Hochschuldidaktik hat sich mit den besonderen identitätsbildenden sowie kontroverstheologischen Funktionen zu befassen und diese disziplinär eigenwillige Lehr-/Lern-Tradition zu berücksichtigen. Zu dieser Lehr-/Lern-Tradition gehört auch die Überschneidung von Bibelkunde und Einleitungswissenschaften. Die Thematisierung des vorausgesetzten und stichwortartig rekapitulierten Einleitungswissens, das sich in der Regel als Infragestellung der sich dem einfachen Bibellesen erschließenden faktualen und narrativen Grundstruktur der Bibel von der Schöpfung bis zur Endzeit erweist, ist eine zentrale Anforderung an eine gute Bibelkunde. Insofern kann Bibelkunde auch nicht auf die Thematisierung grundlegender hermeneutischer Grundprinzipien verzichten. Die Schriften des Alten und Neuen Testaments sind zunächst und vor allem geschichtlich bedingte Schriften, die als Produkte menschlichen Kulturschaffens über keinen exklusiven supranaturalen Wissensvorsprung verfügen.

Daraus ist zu folgern, dass eine ‚reine‘ Bibelkunde als Teil des akademischen Unterrichts nicht zu rechtfertigen ist. Jede Bibelkunde hat grundlegende einleitungswissenschaftliche und elementare hermeneutischen Grundentscheidungen als ihre Voraussetzungen zu bestimmen und transparent zu machen. Die hochschuldidaktische Kernfrage der akademischen Lehre von Bibelkunde als Inhalt und Aufbau der Bibel lautet demnach: Wie werden die Beziehungen der Bibelkunde zur Einleitungswissenschaft und zur Hermeneutik wahrgenommen, erläutert und diskutiert? In welcher Weise auf der Basis einer Klärung dieser Frage die narrativen Zusammenhänge hervorgehoben, Einzelerzählungen ausgewählt und Akzentuierungen im Stoff vorgenommen werden, ist demgegenüber zweitrangig, gleichwohl aber alles andere als unwichtig. Jeder Lehrende in der Bibelkunde wird sich bereits bei der Behandlung der ersten Kapitel der Genesis entscheiden müssen, in welcher Weise er die Unterscheidung von priesterschriftlichen und nicht-priesterschriftlichen Texten bzw. die Annahmen der verschiedenen Ursprungshypothesen in seine bibelkundliche Lehrveranstaltung einfließen lässt.1 Er kann sie aber nicht ignorieren oder durch eine vereinfachte narrative Harmonisierung ersetzen.

 

Diese Überschneidung von Bibelkunde und Einleitungswissenschaft berechtigt überhaupt erst dazu, Bibelkunde als akademische Lehrveranstaltung zu bezeichnen und in Studien- und Prüfungsordnungen zu integrieren. Passagen in Prüfungsordnungen, die das Auswendiglernen biblischer Texte im Wortlaut verlangen, stellen demgegenüber einen Rückschritt dar, der an die Wurzeln des Faches im Religionsunterricht der Volksschule im 19. Jahrhundert erinnert.

Wird diese Überschneidung mit der Einleitungswissenschaft berücksichtigt, dann kann Bibelkunde als eigenständige Lehrveranstaltung angeboten werden. Es ist allerdings zu beachten, dass angesichts des Umfangs des Stoffes in einer zweistündigen Lehrveranstaltung für Altes bzw. Neues Testament die der Bibelkunde vorausgesetzten und mitgeteilten einleitungswissenschaftlichen Entscheidungen nicht selbst diskursiv und kritisch erschlossen werden können, sondern nur mit einer eher geringen reflexiven Tiefe mitgeteilt und exemplarisch plausibel gemacht werden können. Hier besteht dann die Gefahr, dass die eingebrachten einleitungswissenschaftlichen Entscheidungen, wo sie über unmittelbare Evidenzen und Plausibilitäten hinausgehen, als dezisionistisch gesetzt wahrgenommen werden. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine Verbindung von bibelkundlichen und einleitungswissenschaftlichen Fragen in einer vierstündigen Einführungsvorlesung nach dem Vorbild, das in Georg Fohrers Einführung vorliegt, als die adäquate Lösung für Bachelorstudiengänge bzw. für das Lehramtsstudium ohne Kenntnisse der biblischen Sprachen. Dort können Bibelkunde und Einleitungswissenschaft miteinander verbunden gelehrt und geprüft werden.

In Studiengängen, in denen die Kenntnis der biblischen Sprachen vorausgesetzt wird, stellen sich angesichts der fachlichen Spezialisierung getrennte Lehrveranstaltungen als angemessener dar. In diesen Studiengängen sollten demnach Bibelkunde und Einleitungswissenschaft getrennt gelehrt werden, wobei aber die Forderung, auch der Bibelkunde elementare einleitungswissenschaftliche Entscheidungen zugrunde zu legen, aufrecht erhalten bleibt. In der Praxis wird es dann gelegentlich zu Spannungen und Widersprüchen zwischen den in der Bibelkunde vertretenen Sichtweisen und den weit komplexeren Erörterungen in den Einleitungswissenschaften kommen, die aber hochschuldidaktisch gesehen als eine produktive Herausforderung für den akademischen Unterricht bewertet werden können.