Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement

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1.7Übungsfragen

 Ist das Nachhaltigkeitsleitbild eine Erfindung von Rio? Welcher Konflikt liegt dem Nachhaltigkeitsleitbild maßgeblich zugrunde?

 Wie wird nachhaltige Entwicklung definiert und welche Kerninhalte sind damit verbunden?

 Welche Schlüsselbotschaften liefern die theoretischen Fundamente?

 Wodurch unterscheiden sich Konzepte schwacher und starker Nachhaltigkeit und welche haben sich in der Diskussion allgemein durchgesetzt?

 Was versteht man unter Effizienz-, Suffizienz- und Konsistenzstrategien? Handelt es sich dabei um alternative Strategien?

 Lässt sich eine nachhaltige Entwicklung verordnen? Wie können nachhaltige Entwicklungsprozesse gesellschaftspolitisch verankert werden?

 Welche Rollen spielen verschiedene Akteursgruppen für den Weg zur Nachhaltigkeit?

1.8Weiterführende Literatur

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst (Hrsg.) (2008): Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte. Eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Frankfurt/Main.

Heinrich-Böll-Stiftung (2002): Das Jo’burg Memo. Ökologie – die neue Farbe der Gerechtigkeit. Memorandum zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung, Berlin.

Kanning, H. (2005): Brücken zwischen Ökologie und Ökonomie, München.

Kopfmüller, J.; Brandl, V.; Jörissen, J.; Paetau, M.; Banse, G.; Coenen, R. und Grunwald, A. (2001): Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet, Berlin.

Seidl, I.; Zahrnt, A. (Hrsg.) (2010): Postwachstumsgesellschaft: Neue Konzepte für die Zukunft, Marburg.

2Ethische Grundlagen des betrieb­lichen Nachhaltigkeitsmanagements

von Rüdiger Hahn

Kapitelausblick

Begriffe wie nachhaltige Entwicklung und Nachhaltigkeit haben spätestens seit der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro – wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt – einen festen Platz in der öffentlichen Diskussion gefunden. Doch warum sollte überhaupt eine „Nachhaltige Entwicklung“ angestrebt werden? Und welche ethischen Gründe kann es speziell für ein betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement geben? Das vorliegende Kapitel widmet sich diesen Fragen und gibt eine ethisch-normative Einführung zu Nachhaltigkeit und betrieblichem Nachhaltigkeitsmanagement. Dazu werden zunächst die Ebenen des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements mit einer nachhaltigen Entwicklung und dem Ziel Nachhaltigkeit zueinander in Beziehung gesetzt. Darauf aufbauend wird eine ethisch-normative Begründung für „Nachhaltigkeit“ mit Blick auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie auf einige grundlegende Gedanken aus den Werken Kants und Rawls’ gesucht. Daran anknüpfend wird – erneut an der Menschenrechts­erklärung sowie an weiteren Positionen Rawls’ und anderen ansetzend – eine ethisch-normative Begründung für ein betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement diskutiert. Das Kapitel schließt mit einer konzeptionellen Verknüpfung der gesamtgesellschaftlichen und der unter­nehmerischen Verantwortungsebene.

Lernziele

 Den Zusammenhang zwischen betrieblichem Nachhaltigkeitsmanagement, nachhaltiger Entwicklung und Nachhaltigkeit erklären können.

 Normativ-ethische Begründungen für das gesamtgesellschaftliche Ziel der Nachhaltigkeit reflektieren.

 Normativ-ethische Begründungen für betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement reflektieren.

2.1Grundlagen zur Frage nach Ethik und ­Verantwortung von Unternehmen

Bereits seit einigen Jahren wächst in Wissenschaft, Unternehmenspraxis und Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit für Fragen unternehmerischer Verantwortung und nachhaltiger Entwicklung (s. z. B. Scherer und Picot 2008). Abgesehen von allgemeinen Absichtserklärungen und zum Teil nur vage formulierten Forderungen der Zuwendung von Unternehmen zu diesen Themengebieten wird eine grundlegende normativ-ethische Begründung der Relevanz von Nachhaltigkeit oder speziell des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements nur selten gegeben. Gerade im deutschsprachigen Raum erfolgt eine Auseinandersetzung mit ethisch-normativen Argumenten in den Wirtschaftswissenschaften bisher zumeist nur am Rande. Daher soll dieses Kapitel dazu beitragen, mögliche Begründungen für Nachhaltigkeit und betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement aus verschiedenen ethisch-philosophischen Grundlagenwerken herzuleiten und damit auch interdisziplinär die Relevanz der jeweiligen Konzepte und Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften zu verdeutlichen. Um dies zu ermöglichen, muss zunächst das Verhältnis von Nachhaltigkeit, nachhaltiger Entwicklung und betrieblichem Nachhaltigkeitsmanagement geklärt werden.

In ihrem wegweisenden Bericht charakterisiert die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (World Commission on Environment and Development – WCED) im Vorfeld der United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro eine nachhaltige Entwicklung als „eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (WCED 1987)1. Mit diesem Leitmotiv werden in dieser Charakterisierung zunächst noch keine spezifischen Akteure angesprochen, lediglich von einer allgemeinen Entwicklung ist die Rede. Nachhaltige Entwicklung bewegt sich daher zunächst auf einer übergeordneten gesamtgesellschaftlichen Ebene, ohne – zumindest in dieser kurzen Charakterisierung – bereits einen konkreten Bezug zu Unternehmen herzustellen. Jedoch zeigen sich in diesem Verständnis von nachhaltiger Entwicklung bereits einige starke normative Elemente. Während Nachhaltigkeit einen (idealisierten) Zustand darstellt, beschreibt eine „nachhaltige Entwicklung“ eher die notwendigen Verhaltensweisen zur Zielerreichung (s. Doppelt 2003). Als Leitprinzip basiert nachhaltige Entwicklung auf zwei grundlegenden Imperativen, welche beide unmittelbar der oben genannten Charakterisierung entnommen werden können. Erstens ist dies der Grundsatz intragenerativer Gerechtigkeit (vgl. hierzu ausführlich auch Kapitel 1). Dieser besagt, dass innerhalb der bestehenden Generation internationale und soziale Gerechtigkeit anzustreben sind („eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt“). Dazu stellt der Bericht der WCED insbesondere heraus, dass die „Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt, […] überwiegende Priorität haben sollten“ (WCED 1987). Hinzu kommt zweitens der Grundsatz intergenerativer Gerechtigkeit. Dieser besagt im Wesentlichen, dass die Umwelt für zukünftige Generationen bewahrt werden soll („ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“). Dementsprechend wäre Nachhaltigkeit dann erreicht, wenn sowohl intra- als auch intergenerative Gerechtigkeit erreicht ist. In dieser Weise charakterisiert, erweist sich nachhaltige Entwicklung als ein Dachkonzept, unter welchem eine Vielzahl von interdependenten Aspekten aus den Bereichen sozialer, ökologischer und ökonomischer Entwicklung integriert wird. Diese drei Kernbereiche „Ökonomie“, „Ökologie“ und „Soziales“ werden in den Debatten um eine nachhaltige Entwicklung häufig als „Triple-Bottom-Line“ (z. B. Elkington 1999) bezeichnet, weshalb sie im Mittelpunkt der Bemühungen zur Erreichung von Nachhaltigkeit stehen. Folglich werden vormals als voneinander unabhängig erachtete Problemstellungen wie Bevölkerungswachstum, weltweite Entwaldung und Desertifikation, Armut, Ressourcenverbrauch, Abfallproduktion oder Klimawandel nun zunehmend als zusammenhängend erkannt.

Schon im Bericht der WCED wurde „Die Rolle der Weltwirtschaft“ (WCED 1987) als zentrales Element zur Erreichung von Nachhaltigkeit umfassend diskutiert. So gilt es heute als unbestritten, dass Unternehmen zu den wesentlichen Akteuren einer nachhaltigen Entwicklung gehören. Hiermit offenbart sich direkt die Bedeutung des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements: Unternehmen sind die primären Institutionen marktwirtschaftlicher Wirtschaftssysteme zur Transformation von Ressourcen in Güter und Dienstleistungen. Sie generieren Einkommensmöglichkeiten für ihre Arbeitnehmenden sowie für Zulieferbetriebe, sie ermöglichen die Ausbildung individueller Qualifikationen, sie produzieren Güter und Dienstleistungen und eröffnen ihrer Kundschaft damit Konsummöglichkeiten, sie bringen Innovationen hervor, von denen die Gesellschaft im Allgemeinen profitieren kann und sie zahlen Steuern und Abgaben. Zugleich ist jede unternehmerische Aktivität mit zum Teil erheblichen Ressourcenverbräuchen sowie dem Anfall von Abfallstoffen und Emissionen verbunden und der generierte Wohlstand ist zudem häufig ungleich verteilt. Dies verdeutlicht die Bedeutung des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements als wesentliches Element zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung. Neben Nachhaltigkeitspolitik auf staatlicher oder auch trans-staatlicher Ebene (z. B. im Bereich von Umwelt- oder Sozialstandards) sowie einem nachhaltigen Konsum kann betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement als zentraler Bereich der gesamtgesellschaftlichen Nachhaltigkeitsbemühungen angesehen werden.


Abb. 2.1 Das Verhältnis von Nachhaltigkeit, nachhaltiger Entwicklung und betrieblichem Nachhaltigkeitsmanagement (Quelle: eigene Darstellung).

 

Auf Basis dieser Erörterungen sollen im Rahmen dieses Kapitels nun zwei wesentliche Fragen diskutiert werden:

 Aus welchen (normativ-ethischen) Gründen sollte das Ziel der Nachhaltigkeit angestrebt und eine nachhaltige Entwicklung verfolgt werden?

 Warum sollen speziell Unternehmen Verantwortung für das gesamtgesellschaftliche Ziel der Nachhaltigkeit übernehmen und welchen Beitrag können und/oder sollen einzelne Unternehmen neben ihrem ökonomischen Auftrag leisten?

Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt in diesem Kapitel mit Rückgriff auf eine Reihe von relevanten, themenbezogenen philosophischen Grundlagenwerken. Mit dieser Verortung im Feld anerkannter philosophischer Positionen soll zugleich eine intersubjektiv (wie auch interdisziplinär) nachvollziehbare Legitimations- und Diskussionsgrundlage geschaffen werden, um auf diese Weise nicht der Gefahr einer dogmatischen Argumentation oder eines dogmatischen Werturteils zu unterliegen.

2.2Ethische Grundlagen und Begründungsansätze

Wie zuvor erwähnt, wird häufig die besondere Rolle von Unternehmen zur Erreichung von Nachhaltigkeit hervorgehoben. Daher werden im Folgenden normativ-ethische Fundierungen dieses Zielkonzepts diskutiert und dessen Bedeutung im unternehmerischen Kontext erörtert. Dazu sei zunächst noch einmal auf die allgemeine Charakterisierung von nachhaltiger Entwicklung verwiesen. Diese konzentriert sich im Wesentlichen auf eine langfristige Nutzung natürlicher Ressourcen (Forderung nach intergenerativer Gerechtigkeit) bei gleichzeitiger Berücksichtigung eines angemessenen Lebensstandards aktueller Generationen (Forderung nach intragenerativer Gerechtigkeit). Jedoch gibt kein Naturgesetz quasi automatisch eine nachhaltige Entwicklung vor. Es handelt sich vielmehr um eine anthropozentrische (d.h. auf den Menschen zentrierte), normativ-ethische Entscheidung, das Ziel der Nachhaltigkeit zu verfolgen.

2.2.1Ethische Begründungen zur Nachhaltigkeit

Als erste ethisch-philosophische Grundlage kann die ebenfalls anthropozentrische Kantianische Pflichtenethik als Ausgangspunkt der Begründung dienen, warum überhaupt eine nachhaltige Entwicklung verfolgt werden sollte. Der Kategorische Imperativ formuliert: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (Kant 1945, S. 44). Ähnliche Handlungsmaximen finden sich als allgemeine Verhaltensnormen bereits in den Grundlagenwerken verschiedener Glaubensrichtungen, so z. B. bei Konfuzius „Was du selbst nicht wünschest, das tue auch nicht anderen“ (15, 24) sowie positiv formuliert in der jesuanischen Bergpredigt „Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ (Mt 7, 12) (beide zitiert nach Küng 2005) und als „Goldene Regel“ in weiteren theologisch motivierten Normwerken (Sand und Hunold 1995). Bezieht man diese Handlungsvorgabe speziell auf nachhaltige Entwicklung, so ergeben sich mit Blick auf den Aspekt der intergenerativen Gerechtigkeit für zukünftige Generationen folgende Implikationen: Zunächst ist es denkbar, dass vergangene Ressourcennutzung vorheriger Generationen unserer aktuellen Generation schadet, wenn sie auf eine Weise erfolgte, die nicht mit dem Postulat einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar ist (also z. B. zu einem dauerhaften Rückgang natürlicher Ressourcen geführt hat). Zugleich werden durch den in den Industrieländern aktuell vorherrschenden Lebensstil die zur Verfügung stehenden ökologischen Ressourcen der Erde bei Weitem übernutzt (s. z. B. WWF 2010). Dieser Lebensstil ist daher weltweit nicht tragbar. Bei entsprechend kurzfristigen Umweltfolgen ist es dementsprechend denkbar, dass unsere aktuellen Handlungen bereits der aktuellen Generation schaden, wenn dieser Lebensstil z. B. zugleich die Entwicklungsmöglichkeiten anderer behindert. Diesem Gedankengang folgend dürfte sich ganz im Sinne des Kategorischen Imperativs demnach niemand wünschen können, dass ein anderes Prinzip als das der nachhaltigen Entwicklung ein universelles Gesetz werde, da dies dann eben dazu führen könnte, dass jeder aufgrund von Entscheidungen Anderer schlechter gestellt würde. Die Forderungen nach einer nachhaltigen Entwicklung erweisen sich entsprechend als konkretisierende Ausformulierungen des Kategorischen Imperativs. Jede Generation fungiert dabei als Zweck für vorhergehende Generationen und ist zugleich das einzige Mittel kommender Generationen zur Sicherstellung der menschlichen Lebensfähigkeit auf der Erde.

Auf diesen Überlegungen aufbauend kann – speziell im Zusammenhang mit Überlegungen zu den Postulaten intra- und intergenerativer Gerechtigkeit – die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls (1975) zur ethisch-philosophischen Begründung nachhaltiger Entwicklung dienen. Im Folgenden werden daher eben jene aus dieser Theorie generierten ethisch-normativen Grundlagen der Entscheidung, gleiche Lebenschancen für künftige wie auch aktuelle Generationen zu befördern, näher beleuchtet. Rawls (1975) erarbeitet in seinem Werk eine umfassende Theorie der Gerechtigkeit, deren erster Grundsatz besagt: „Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist“ (Rawls 1975). Hiermit spricht Rawls unmittelbar unter anderem Aspekte der Mobilität und Flexibilität an, welche sich indirekt auch im Grundsatz intragenerativer Gerechtigkeit wiederfinden. Rawls zweiter Gerechtigkeitsgrundsatz ist darauf aufbauend in jenen Fällen anzuwenden, in denen dieses Postulat nicht erfüllt ist. Mit direkter Relevanz für eine nachhaltige Entwicklung fordert dieser, dass „soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten […] den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen [müssen]“ (Rawls 1975, S. 336). Insbesondere der zweite Grundsatz postuliert somit einen Gerechtigkeitsaspekt im bewussten Gegensatz zur utilitaristischen Maximierung der gesamtökonomischen Wohlfahrt (plakativ häufig als „das größte Glück der größten Zahl“ formuliert) und expliziert deutlich die Förderung intragenerativer Gerechtigkeit. Dieser Grundsatz ist jedoch nicht unumstritten. Er sei, so z. B. Höffe (2006), nur haltbar bei „empirischer Annahme einer pessimistischen Welteinstellung, […] eher am Boden […] als an der Spitze der Gesellschaftshierarchie zu leben“ (Höffe 2006). Doch bereits ein Blick auf die Situation weiter Teile der Weltbevölkerung lässt diese Annahmen plausibel erscheinen (s. Hahn 2009b): Nimmt man exemplarisch die Armutsdefinition der Europäischen Union als Maßstab, so gelten jene Personen als arm, die gemessen am Einkommen weniger als die Hälfte des Durchschnitts eines Landes zur Verfügung haben (Radermacher 2004). Angewandt auf den gesamten Globus bedeutet dies bei einem weltweiten jährlichen BIP pro Kopf von ca. 10 357 US$ (gemessen in Kaufkraftparitäten, The World Bank 2010, S. 379), dass keinem Menschen weniger als 5 179 US$ pro Jahr oder ca. 14 US$ pro Tag zur Verfügung stehen sollten. Tatsächlich lebt jedoch die Mehrheit der Weltbevölkerung von weniger als 2,5 US$ pro Tag und kann häufig nicht einmal grundlegendste Bedürfnisse befriedigen (Hahn 2009a). Die Lücke in der weltweiten Einkommensverteilung zwischen reichen und armen Staaten hat sich zudem in den letzten Dekaden deutlich vergrößert (z. B. Sachs 2005). Doch Ungleichverteilungen zeigen sich nicht nur im monetären Bereich der Einkommensverteilung. So sind die Emissionen sowie der Ressourcenverbrauch der reichen Bevölkerungsregionen und -schichten um ein Vielfaches höher bei den Ärmsten der Welt, während die hieraus resultierenden ökologischen Folgeschäden oftmals gerade die armen Bevölkerungsteile und Länder treffen (Hahn 2009a). Diese hier lediglich exemplarisch dargestellten Aspekte zeigen den realen Abstand zu einer wirklichen intragenerativen Gerechtigkeit und verleihen diesem Postulat eine besondere Relevanz. Damit zeigt sich, dass auch die Gerechtigkeitstheorie von Rawls dazu geeignet ist, eine ethisch-normative Begründungsgrundlage für eine nachhaltige Entwicklung bzw. für das Streben nach Nachhaltigkeit zu liefern.

Die beiden philosophischen Grundlagenwerke von Kant und Rawls haben einen Einstieg in die Diskussion um eine intersubjektiv nachvollziehbare, allgemeine ethische Begründung für Nachhaltigkeit in den Wirtschaftswissenschaften, aber auch darüber hinaus, geliefert. Dass diese Position Eingang in weltweit verbreitetes und anerkanntes Denken gefunden hat, zeigt exemplarisch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN 1948). Sie kann als konkrete Ausformulierung solch ethischer Grundpositionen angesehen werden und baut ihrerseits auf einer Reihe ethischer Grundlagenwerke (zumeist aus der abendländischen Tradition stammend, jedoch durchaus einem Welt- und Wirtschaftsethos sehr nahe stehend; siehe dazu Stiftung Weltethos 2009) auf. In der Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung wurde schließlich mehrfach die Verknüpfung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte thematisiert. Die UN selbst erklärt, dass „eine nachhaltige menschliche Entwicklung die Wahlfreiheiten aller Menschen – Frauen, Männer und Kinder – erweitern soll und dabei zugleich die natürlichen Systeme als Grundlage allen Lebens zu schützen hat. Indem von einem engen, wirtschaftszentrierten Entwicklungskonzept abgerückt wird, rückt eine nachhaltige menschliche Entwicklung die Menschen ins Zentrum und erkennt diese als Zweck und Mittel der Entwicklung an.“ (UNDP 1998, S. 2, Übersetzung d. V.). Bereits in dieser kurzen Passage zeigt sich die unmittelbare Verknüpfung mit Elementen aus Kants Kategorischem Imperativ, indem der Mensch sowohl als Mittel als auch als Zweck der jeweiligen Entwicklung bezeichnet wird. Der zentrale Zweck nachhaltiger Entwicklung ist – wie bereits erwähnt – anthropozentrisch begründet und besteht darin, eine Umwelt zu schaffen, in der alle Menschen ein sicheres und würdiges Leben führen können, wie es auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gefordert wird (s. UN 1948, Präambel, Art. 1, 2, 3, 22 und 25). Trotz ihres nicht-verbindlichen Charakters im Rahmen des Völkerrechts wird die Erklärung weitgehend als Völkergewohnheitsrecht angesehen (Klein 1997; von der Wense 1999), so dass das Streben nach Nachhaltigkeit auch hierdurch seine weithin anerkannte und bindende Unterstützung erfährt.

Auf Basis dieser grundlegenden Begründungen für nachhaltige Entwicklung wird im folgenden Abschnitt nun die spezielle Rolle von Unternehmen beleuchtet.