Arme Kirche - Kirche für die Armen: ein Widerspruch?

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Z serii: Fragen der Zeit #10
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Entwicklungshilfe ist nicht Nothilfe

Der Versuch, die offensichtliche Erfolglosigkeit des Hilfesystems zu überwinden, führt gelegentlich zu absurden Ergebnissen. Vor Jahren kam die Idee auf, das Wort „Entwicklungshilfe“ sei entwürdigend und solle daher nicht mehr verwendet, sondern durch „Entwicklungszusammenarbeit“ ersetzt werden. Der Vorschlag wurde anstandslos exekutiert, auch im kirchlichen Bereich. Dass „Hilfe“, einer der nobelsten Begriffe der Menschheitsgeschichte, nicht mehr sein durfte, sagt einiges über die Orientierungslosigkeit des Entwicklungshilfewesens.

Zu den Kardinalfehlern unserer Entwicklungspolitik gehört die Fixierung auf „mehr Geld“, die Vorstellung, mehr Geld führe zwangsläufig zu mehr Entwicklung. Als habe es nicht ein Übermaß an Beweisen dafür gegeben, dass mehr Geld Entwicklung nicht nur nicht vermehrt, sondern oft sogar behindert hat, etwa durch Minderung afrikanischer Eigenanstrengungen. Wahre Entwicklung ist nur, was jeder Mensch und jedes Volk selbst leistet, nicht das, was von außen kommt. Dennoch wird das unsinnige und schädliche Ziel, dass die Industriestaaten 0,7 Prozent ihres Sozialprodukts für Entwicklungshilfe geben sollen, noch immer politisch korrekt hochgehalten, als habe man nichts aus der Geschichte gelernt.

In Kirchenkreisen, auch in manchen Enzykliken, ist erstaunlich lange verkündet worden, wir müssten unseren Reichtum mit den Armen teilen, so als sei Unterentwicklung durch eine andere Güterverteilung zu regeln. Für Nothilfe mag das vorübergehend gelten, als Entwicklungshilfe ist es eine Katastrophe. Barmherzigkeit gehört zur Nothilfe, in der Entwicklungshilfe ist sie fehl am Platze. Von daher beantwortet sich auch die Frage von selbst, ob es nicht sinnvoll wäre, vatikanische und sonstige kirchliche Schätze zu verkaufen und das Geld an die Armen zu verteilen. Nicht eine andere Verteilung ist die Lösung des Problems, sondern mehr Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer.

Bei der großen Erfahrung, die viele Missionare in jahrzehntelangem Afrika-Einsatz erworben haben, hat mich oft gewundert, warum sie ihrer kirchlichen Obrigkeit die entwicklungsfeindliche Barmherzigkeitsidee nicht ausgetrieben haben.

Eigene Potenziale fördern und fordern

Der Bonner Aufruf kümmert sich, wie gesagt, nicht um Missionierungsaktivitäten der Kirchen. Aber eine Anmerkung dazu sei erlaubt: Unter dem Gesichtspunkt „reiche Kirche“ machte ich meine erste irritierende Erfahrung, als ich im Niger bei einem Besuch im Grenzgebiet zu Burkina Faso „mitten im Busch“ auf eine recht neue und große katholische Kirche stieß, die in Betonbauweise errichtet worden war und daher in dieser Umgebung einfachster Lebensverhältnisse wie ein Fremdkörper aus einer anderen Welt wirkte. Selbstverständlich verband sich mit diesem Eindruck sogleich die Frage, was die Einheimischen wohl zu dieser Kirche hinziehe: das Evangelium oder die Aussicht auf materielle Vorteile, für die diese Kirche eben auch ein unübersehbares Symbol war.

Meint der Papst mit seinem Wort von der „armen Kirche“, dass solcherlei Irritationen vermieden werden sollen? Sicher wird er nicht sagen wollen, dass seine Kirche mangels Masse nicht mehr in der Lage sein soll, in großer Not tatkräftig zu helfen – zumindest subsidiär. Letzteres, weil das moralische Gebot, den Notleidenden beizustehen, zunächst für die Nächsten gilt: Familie, Freunde und Nachbarn. Erst wenn deren Möglichkeiten erschöpft sind, wird der Kreis der Mitverantwortlichen erweitert. Nicht anders müsste es auf nationaler und zwischenstaatlicher Ebene sein.

Es fällt auf, dass, wenn in einem afrikanischen Land Not ausbricht, zum Beispiel nach einer Naturkatastrophe, über Hilfe von anderen Staaten des Kontinents meist nicht viel zu hören ist. Vielmehr scheint von vornherein klar zu sein, dass der „reiche Norden“ einspringt. Viele afrikanische Staaten sind jedoch reich, vor allem durch ihre Bodenschätze. Wenn man die sagenhaften, von korrupten Politikern illegal erworbenen Vermögen auf ausländischen Banken dazurechnete, entstünde ein so großes Hilfepotential, dass Afrika sich, auch in der Not, gut selbst helfen könnte. Ein Beispiel: Die senegalesische Justiz hat vor einigen Monaten Karim Wade, den Sohn des früheren Staatspräsidenten Abdoulaye Wade, verhaftet und ihm vorgeworfen, ein illegales Vermögen von 1 Milliarde Euro angesammelt zu haben. Damit könnte man in der Not viel Gutes tun. Ein Versuch, den Rückgriff auf solche Reserven zu erzwingen, ist in der internationalen politischen Öffentlichkeit merkwürdigerweise kein Thema.

Dennoch wird der Papst keine Kirche wollen, die bei großen Katastrophen nicht mithelfen kann. Etwas anderes könnte die kirchliche Entwicklungshilfe im engeren Sinne sein. Es wäre weltfremd anzunehmen, diese sei gegen alle Versuchungen und Gefahren gefeit, mit denen es die übrige Entwicklungshilfe, die staatliche und private, zu tun hat. Auch wenn diese Gefahren wegen der besonderen – und günstigeren – Umstände kirchlicher Hilfe geringer sind, ist es wichtig, sich ihrer bewusst zu bleiben. Wenn Papst Franziskus mit seiner „armen Kirche“ diese Bescheidenheit meint, diese Zurückhaltung, dieses oft schwierige Durchhalten der Subsidiarität, dann hat sein Wort bei der Begegnung mit den Armen der Dritten Welt große Bedeutung.

Allerdings darf auch dies erwähnt werden: Die in diesem Sinne gute und nützliche Armut ist nicht nur ein Gebot für uns aus dem reichen Norden. Auch unter afrikanischen Christen, besonders beim einheimischen Klerus, gibt es nicht selten die Gefahr ungenügender Bescheidenheit im Auftreten und in der Lebensführung. Insofern darf das Wort von Papst Franziskus auch ihnen Mahnung sein.

Thilo Hoppe

Für eine Kirche, die teilt und zum Teilen aufruft

Thilo Hoppe ist evangelischer Diakon und Journalist und leitet die Kammer für nachhaltige Entwicklung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Von 2009 bis 2013 war er Mitglied des Deutschen Bundestages, von 2005 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender des Entwicklungsausschusses 24

Schlüsselerlebnisse

1982 begleitete ich als junger Journalist und Student der evangelischen Religionspädagogik eine Gruppe kirchlicher Entwicklungsexperten auf einer sechswöchigen Reise durch Bolivien und Peru. Es war meine Erstbegegnung mit der so genannten Dritten Welt.

Wir waren zunächst bei einem katholischen Arbeiterpriester untergebracht, der mitten in einer Favela am Stadtrand von Lima wohnte. Gleich am ersten Abend nach der langen Anreise feierten wir mit ihm und seiner Gemeinde eine Messe. Ich war übermüdet und verunsichert in der für mich doppelt fremden Umgebung – dann aber überrascht und tief berührt, als mich nach der Kommunion ein älterer Mann mit zerlöcherter Hose und Poncho herzlich umarmte. „Gebt euch ein Zeichen des Friedens“, hatte der Priester gesagt.

In den nächsten Tagen lernte ich eine kleine Gruppe von Nonnen kennen, die in einer Art Camp mehr als 150 Straßenkinder aufgenommen hatten. Besonders die Jungen, die dort keine männlichen Bezugspersonen hatten, umlagerten mich ständig. Wir spielten zusammen Fußball – und als ich mich nach zwei Tagen verabschieden wollte, geschah etwas, auf das ich nicht gefasst war: Zwei kleine Jungen, mit denen ich besonders viel gespielt hatte, wollten mich nicht gehen lassen. Sie krallten sich in meinen Pullover fest und riefen immer wieder „Nimm uns mit! Du bist doch jetzt unser Papa!“ Mit 24 hätte ich auf der Stelle zum zweifachen Vater werden können. Aber das ging natürlich nicht. Und so gab es auf beiden Seiten einen tränenreichen Abschied.

Während der sechswöchigen Peru-Bolivien-Reise begegnete ich noch vielen Kindern: achtjährigen Schuhputzern, Jungen und Mädchen, die am Straßenrand auf Pappkartons schliefen, und Kindern, die auf und von Müllhalden lebten.

Auf dem Heimflug ließ ich all die vielen Eindrücke Revue passieren und beschloss, das Thema Reichtum und Armut, Hunger und Überfluss intensiv journalistisch aufzuarbeiten und selber so schlicht und einfach zu leben wie möglich.

Ich lebte dann in Hannover in einer kleinen Wohnung unterm Dach, ohne Heizung, für 90 D-Mark Miete im Monat. Kein Fernseher, keine Stereoanlage, nur ein uralter R4, den ich für die Arbeit brauchte. Und ich nervte meine Kollegen in der Redaktion der „Evangelischen Zeitung“, beim epd und Kirchenfunk immer wieder mit dem Thema Armut und Reichtum. Aber sie ließen mich gewähren und so durfte ich auch meinen Landesbischof, die Kirchenräte und Synodalen nerven – mit kritischen Interviews, Kommentaren und Vorschlägen wie dem, statt eines dicken Mercedes einen VW Käfer oder R4 als bischöflichen Dienstwagen zu nutzen. Die Kirchen sollten den Politikern der Industrienationen auf die Füße treten, meinte ich, damit sie endlich ihr Versprechen umsetzen, mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens ihrer Staaten für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfügung zu stellen. Und die Kirchen sollten mit gutem Beispiel vorangehen und mindestens den Beschluss der EKD-Synode von 1968 ernst nehmen, der nicht nur forderte, 2 Prozent der kirchlichen Einnahmen mit den Ärmsten der Armen zu teilen, sondern auch vorsah, diesen Anteil bis Mitte der 1970er Jahre auf 5 Prozent zu steigern. Und selbst das wäre dann ja nur die Hälfte des in der Bibel geforderten zehnten Teils.

So schrieb ich damals und machte in meinen Artikeln deutlich, dass es mir nicht nur ums Umverteilen von Geld und mehr Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe gehe, sondern auch um gerechtere Strukturen im Welthandel, für die sich die Kirchen mit Nachdruck einsetzen sollten. Um das Ernstnehmen vieler Bibelstellen aus dem Alten und Neuen Testament, die zu sozialer Gerechtigkeit und Solidarität mit den Armen aufrufen – und auch um Buße und Wiedergutmachung von Unrecht, das die Kirchen begangen hatten, nicht nur bei der Menschenschinderei und Ausbeutung im Mittelalter, um prunkvolle Paläste und Kathedralen bauen zu können, sondern vor allem auch bei der Begründung und Begleitung der Eroberung, Zwangsmissionierung und Ausbeutung von ganzen Völkern und Stämmen in Amerika, Afrika und Asien. Denn es waren leider immer nur Minderheiten in der katholischen und evangelischen Kirche, die während des Kolonialismus den Unterdrückten und Geschundenen beistanden.

 

Mein innerer Dialog

Erinnere ich mich heute an all das, löst es bei mir gemischte Gefühle aus. Durchaus Bewunderung für die Radikalität des jungen Journalisten und Diakons. Manchmal auch Kopfschütteln über sein Eifern. Und die bohrende Frage, was sich in der Zwischenzeit in mir verändert hat. Was habe ich an Weisheit und Erkenntnis dazugewonnen – und an Begeisterung, Empörung und Engagement vielleicht verloren? Habe ich mich zu sehr angepasst, arrangiert? Was würde der 24-jährige Thilo zum heute 55-jährigen Herrn Hoppe sagen, der elf Jahre im Parlament saß und wichtige Ämter in Politik und Kirche innehat? Früher kamen mir sehr viele Politiker und Menschen in den kirchenleitenden Organen zu lau vor. Würde ich über mich – mit der Brille von damals betrachtet – gnädiger urteilen?

Noch immer schlage ich mich mit den gleichen Themen herum. Und auf meinen Reisen werde ich auch immer wieder mit Menschen konfrontiert, die in bitterster Armut leben und ums Überleben kämpfen. Aber ich selber bin in der Zwischenzeit reicher geworden – nicht nur an Erfahrungen, auch ganz konkret, was das finanzielle Einkommen betrifft. Ich kassierte monatlich rund 8000 Euro an Diäten. Und obwohl davon natürlich noch die Steuern und relativ hohe Abgaben an meine Partei abgingen, war das, was am Ende übrig blieb, deutlich mehr als das, was ich als Diakon und Journalist verdiente.

Meine Mitarbeit an diesem Buch hat in mir selbst gleich mehrere Reflexionsprozesse in Gang gesetzt bzw. revitalisiert: darüber, wie Kirche mit Reichtum und Armut umgeht und umgehen sollte, welchen Stellenwert dieses Spannungsfeld in meinem politischen Engagement hatte und nicht zuletzt, wie ich als jemand, der immer wieder die extreme Armut in der Welt skandalisiert, mit meinem persönlichen Reichtum umgehe.

Seltsamerweise bin ich darauf so gut wie noch nie angesprochen worden. Dafür meldet sich das Gewissen, und der MdB musste sich den kritischen Fragen des jungen Journalisten und Diakons stellen. Und der MdB begann, sich zu rechtfertigen, verwies darauf, dass mittlerweile vier Kinder in der Ausbildung sind und kein Bafög bekommen. Und er rechnete, addierte all die Daueraufträge und Einzelspenden für Hilfswerke und Projekte zusammen und stellte dann fest, dass er zwar – mit quasi staatlichen Maßstäben gemessen – die 0,7-Prozent-Quote locker erfüllte, aber das Soll von 2 Prozent, das die EKD-Synode 1968 gefordert hat, nicht ganz erreichte.

Und ein Weiteres fällt mir auf: Damals hatte ich mir auf der Reise durch Bolivien und Peru viel Zeit für die Begegnung mit den Ärmsten genommen und versucht, wenigstens für ein paar Tage in ihre Lebenswelt einzutauchen. Als reisender Politiker landet man oft im goldenen Käfig, im Vier-Sterne-Hotel, in Konferenzsälen und Regierungspalästen – und wird allein schon durch die Sicherheitsmaßnahmen auf Distanz gehalten von den Menschen, um die es eigentlich geht.

Doch das ist kein unabänderliches Schicksal. Wenn es selbst Papst Franziskus gelingt, mit Flüchtlingen aus Afrika in Lampedusa in einen sehr direkten Kontakt zu treten – allen Protokoll- und Sicherheitsanforderungen zum Trotz –, dann müsste es auch für Bundestagsdelegationen möglich sein, mehr vom Alltag der Menschen in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit mitzubekommen und den Dialog auf Augenhöhe zu suchen.

Was ich von Kirche und Staat erwarte

Von Kirche und Staat fordern der Diakon und Journalist von einst und der Autor von heute einmütig und immer wieder: mehr Einsatz für internationale Gerechtigkeit, Solidarität mit den Armen und eine größere Bereitschaft, zu teilen.

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat inzwischen ihre steile Forderung aus dem Jahr 1968 relativiert und auf ihrer Tagung 2008 in Bremen beschlossen, dass alle Gliedkirchen 1,5 Prozent ihrer Einnahmen für den kirchlichen Entwicklungsdienst geben. Das ist weniger als einst gefordert – eigentlich schade –; es wird nun aber endlich auch eingehalten. Und damit steht die EKD besser da als der deutsche Staat, der sein Versprechen, mindestens 0,7 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zu geben, seit Jahrzehnten nicht ernst nimmt. 2012 lag die Quote gerade mal bei mickrigen 0,38 Prozent – und das, obwohl mehr als 60 Prozent der Bundestagsabgeordneten 2011 in ihrem überfraktionellen „Aufruf zu einem entwicklungspolitischen Konsens“ gefordert hatten, das 0,7-Prozent-Versprechen endlich ernst zu nehmen und die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bis 2015 jährlich um 1,2 Milliarden Euro zu steigern. Doch obwohl auch eine beachtliche Anzahl von Unions- und FDP-Kollegen den Aufruf mittrug, setzte die Mehrheit in der schwarz-gelben Koalition andere Prioritäten.

Ich weiß, dass es Fachleute gibt, die die These vertreten, es komme gar nicht darauf an, mehr Geld in die „Entwicklungshilfe“ zu pumpen. Dies sei sogar schädlich, weil es die Menschen in den Entwicklungsländern zu Almosenempfängern mache und Eigenanstrengungen lähme. Kritik an manchen entwicklungspolitischen Strategien und Methoden ist berechtigt und muss sehr ernst genommen werden. Doch Verallgemeinerungen halte ich für unverantwortlich. Genauso könnte man mit dem Hinweis auf Kurpfuscher und Missstände in Krankenhäusern ein komplettes Gesundheitssystem diskreditieren und voreilig schlussfolgern, dafür weniger Finanzmittel zu benötigen.

In der Entwicklungszusammenarbeit dürfen Qualität und Quantität nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das machen auch die Geizkragen und Wortbrüchigen, die einfach nicht bereit sind, den Anteil zu zahlen, den sie fest zugesagt hatten. Sowohl beim 0,7-Prozent-Ziel für die Industrienationen als auch beim – je nach Synodenbeschluss – 1,5-, 2- oder 5-Prozent-Ziel der EKD geht es ja nicht um Almosen, sondern um so etwas wie einen internationalen Lastenausgleich, um eine Umverteilung im Geiste der Solidarität, so wie das im deutschen Steuersystem und im Lastenausgleich zwischen den Bundesländern ja auch praktiziert wird.

Dass es dabei auch um ausgleichende Gerechtigkeit geht, muss gar nicht mit den Wunden begründet werden, die die verschiedenen Wellen und Spielarten des Kolonialismus gerissen haben. In unserer Zeit ist sichtbar geworden, dass der hauptsächlich von den Industrienationen verursachte Klimawandel vor allem die Länder trifft, die eh schon arm sind und kaum CO2 emittieren. So sind sowohl in den Ländern der Sahelzone als auch in Bangladesch bereits zwischen 15 und 20 Prozent der einst nutzbaren Agrarflächen durch den Klimawandel verlorengegangen.

Nur ein „Kombinationspräparat“ kann helfen, Hunger und extreme Armut zu überwinden. Es braucht die Eigenanstrengungen der betroffenen Länder und Bevölkerungsgruppen. Es braucht Reformen auf internationaler Ebene, gerechtere Strukturen. Und es braucht auch eine moderne, emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit, die vom Geist der Solidarität und Partnerschaft geprägt ist und auch als Zusammenarbeit für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung angesehen werden kann.

Nicht alle, aber sehr viele Projekte von Brot-für-die-Welt und Misereor sind auf Initiative von Partnern im Süden entstanden und machen vor, dass Entwicklungszusammenarbeit eben nicht zu Geber-Nehmer-Mentalität führen muss, sondern Menschen darin bestärken kann, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Und auch im Bereich der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit gibt es neben fragwürdigen Projekten und Programmen, die Abhängigkeiten schaffen oder nur deutschen Investoren nützen, viele Maßnahmen, die sich im besten Sinne als Hilfe zur Selbsthilfe erwiesen und zu einer selbsttragenden, nachhaltigen Entwicklung geführt haben.

Mit mehr Geld mehr Menschenleben retten

Wenn selbst Hilfsaktionen und Flüchtlingslager der Vereinten Nationen chronisch unterfinanziert sind, dann ist klar, dass durch mehr Geld auch ganz konkret Menschenleben gerettet werden können. Und so halte ich es für gerechtfertigt, sowohl im Bereich der humanitären Hilfe als auch im Bereich der (emanzipatorischen) Entwicklungszusammenarbeit deutlich mehr Geld einzufordern, um Menschen in akuten Notlagen beizustehen und Strukturen aufzubauen und zu stärken, die ein Leben in Sicherheit und Würde ermöglichen.

Der neue Papst sendet durch sein Auftreten gute Signale und stellt die richtigen Fragen. Jetzt kommt es darauf an, dass sich die katholische Kirche ebenso wie die evangelische, ja die Gemeinschaft aller christlichen Kirchen um ehrliche Antworten bemüht.

Gefragt ist ein Engagement für die Ärmsten der Armen, das Herz und Verstand verbindet und weit über Symbolpolitik hinausgeht. Es muss genau analysiert werden, worunter und woran die Geschundenen und Benachteiligten dieser Welt leiden, was ihre Lebenssituation wirklich und nachhaltig verbessern kann und welchen Beitrag die wohlhabenderen Kirchen, Staaten und Menschen dazu leisten können.

Dabei wird jeder, der an die Ursachen herangeht, nicht darum herumkommen, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen und die beim Namen zu nennen und zur Umkehr zu rufen, die zum Elend beitragen und daran sogar noch verdienen. Das kann bedeuten, dass Kirchen sich mit großen namhaften Banken, Versicherungsgesellschaften und Firmen anlegen müssen, die mit „Landgrabbing“ und Nahrungsmittelspekulation Profite machen und Menschen in den Hunger treiben – und dass sie ihre Geschäftsbeziehungen zu diesen Unternehmen beenden und mit ihren eigenen Banken einen ganz anderen Kurs fahren.

Und das Teilen? Die Kirchen sollten nicht lockerlassen und Regierungen ermuntern und ermahnen, endlich ihre Zusagen in der Entwicklungsfinanzierung einzuhalten. Sie sollten mit gutem Beispiel vorangehen, Rechenschaft darüber ablegen, wie hoch ihr eigener finanzieller Beitrag zur Überwindung von extremer Armut und Hunger ist – gerade in der katholischen Kirche gibt es da bisher wenig Transparenz. Und schließlich muss erneut eine Debatte darüber geführt werden, welcher Anteil im Geiste der biblischen Botschaft und der globalen Herausforderungen angemessen und sinnvoll ist. Ich könnte mir vorstellen, dass der Beschluss der EKD-Synode von 1968 dann nicht mehr belächelt, sondern als zukunftsweisend angesehen wird.

Und so, wie ich den inneren Dialog zwischen dem Diakon und Journalist von damals und dem Mann, der ich heute bin, fortführen werde, so sollte auch jeder einzelne Christ mal seine Einnahmen und Ausgaben unter die Lupe nehmen und möglicherweise neue Prioritäten setzen.

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