50 Jahre Speech-Acts

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1 Einleitung

Die Sprechakttheorie ist von Beginn an mit einem dezidierten Anspruch auf Neuheit in Erscheinung getreten. Deutlich wird dies etwa in den berühmten ersten Sätzen der 1962 erstmals publizierten Harvard-Lectures von John L. Austin, in denen er in dezenter Beiläufigkeit die These formuliert, dass sich bislang noch niemand wirklich um das Phänomen des sprachlichen Handelns gekümmert habe:

The phenomenon to be discussed is very widespread and obvious, and it cannot fail to have been already noticed, at least here and there, by others. Yet I have not found attention paid to it specifically. (Austin 1962, S. 1)

In der sieben Jahre später von Searle (1969) vorgelegten Systematisierung der nun auch so genannten Sprechakttheorie wird dieser Neuheitsanspruch subtil fortgeschrieben, etwa durch den weitgehenden Verzicht auf Literaturverweise jenseits eines recht engen Kreises von Arbeiten der zeitgenössischen sprachanalytischen Philosophie. Auch in der Linguistik wurde und wird dieser Anspruch auf Neuheit dankbar aufgenommen. Die Sprechakttheorie wird typischerweise als Initialzündung der so genannten pragmatischen Wende gerahmt, nach der „Sprache […] nun nicht mehr ausschließlich als abstraktes System betrachtet, sondern im Hinblick auf ihre Gebrauchsbedingungen und als Instrument des Handelns untersucht“ (Stukenbrock 2013, S. 218, Hervorhebung vom Autor) wird. Endlich, so wird gerade auch in einführenden Darstellungen wie dieser vermittelt, verfügte man nun über eine Theorie, die es möglich macht, solche Phänomene wie Versprechen angemessen zu erfassen und etwa durch die Formulierung von Gelingensbedingungen adäquat zu beschreiben.

Eine Kehrseite dieser oft behaupteten, aber kaum je wirklich belegten Neuheit der Sprechakttheorie ist eine tendenziell ahistorische Grundhaltung in verschiedener Hinsicht. Zum einen scheint wenigstens die philosophisch orientierte Sprechakttheorie von einer überzeitlichen Stabilität von Sprechakten und ihrer Regeln auszugehen, wie es besonders deutlich etwa in Habermas’ (1971) Entwurf einer Universalpragmatik zum Ausdruck kommt. Zum anderen fällt eine wissenschaftshistorische Kurzsichtigkeit oder zumindest Indifferenz auf, die kaum weiter als bis zum Logischen Positivismus der 1920er und 1930er Jahre zurückblickt und zu der sich die Sprechakttheorie und die so genannte ordinary language philosophy insgesamt dann gerne als Gegenentwurf darstellen (vgl. Levinson 1983, S. 227).

Das wurde natürlich bald gesehen und kritisiert. Gegen die Universalitätsannahme von Sprechakten hat man auf die historische Wandelbarkeit sprachlicher Handlungen hingewiesen und für eine „historische Analyse von Sprechakten“ (Schlieben-Lange 1976) plädiert. In der bis heute lebendigen Historical Pragmatics (vgl. Jucker/Taavitsainen 2010) wird genau das zum Programm gemacht. In verschiedenen Forschungsarbeiten wurde gezeigt, wie sich etwa für bestimmte Sprechakte die Indikatoren der illokutionären Rolle wandeln und wie umgekehrt stabile sprachliche Formen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche illokutionäre Kräfte haben (vgl. Jacobs/Jucker 1995, S. 13). Sprachgeschichte wird so als Sprachgebrauchsgeschichte beschreibbar und ganz im Sinne des Searle’schen Entwurfs analysierbar. Weitgehend unhinterfragt bleibt dabei aber die Sprechakttheorie selbst, die als gleichsam über der Zeit stehendes theoretisches Grundgerüst auf historische Sprechhandlungen projiziert wird.

Auch die wissenschaftshistorische Kurzsichtigkeit wurde bald korrigiert. Es wurde an wichtige Vorläufertheorien etwa bei Georg von der Gabelentz (vgl. Staffeldt 2014), Adolf Reinach (vgl. Burkhardt 1986) oder Erwin Koschmieder (1965) erinnert, die als Etappen einer Protopragmatik beschrieben werden können (vgl. Nerlich/Clarke 1996; Max 2018). Die pragmatische Wende erweist sich im Spiegel dieser Arbeiten mitnichten als jener plötzliche und radikale Bruch, als der sie üblicherweise dargestellt wird (vgl. Staffeldt 2014, S. 230).

Im vorliegenden Beitrag möchte ich diese Historisierungsbemühungen aufgreifen, aber auch weiterentwickeln, indem ich historische Sprechaktanalysen in den Blick nehme. Mit „historischen Sprechaktanalysen“ meine ich ausdrücklich nicht Analysen historischer Sprechhandlungen, wie sie typischerweise die Historical Pragmatics vornimmt, sondern theoretische Reflexionen über sprachliche Handlungen, wie ich sie in vormodernen Quellen finde und die es anders, als dies etwa Austin behauptet, eben sehr wohl gibt. Und zwar handelt es sich dabei weniger um abstrakte sprachtheoretische Entwürfe, wie sie in den Forschungen zur Protopragmatik beschrieben werden, sondern um ungleich konkretere Reflexionen über einzelne sprachliche Handlungen wie etwa das Versprechen, die Drohung, den Tadel oder das Verbieten, die sich gut mit neueren sprechakttheoretischen Analysen vergleichen lassen. Dabei werden sich einige Gemeinsamkeiten zeigen, aber natürlich auch Unterschiede. Gerade die Unterschiede werde ich zum Anlass nehmen, aus dem historischen Kontrast heraus nach zeitgebundenen, mentalitätsgeschichtlich deutbaren Prägungen der Sprechakttheorie Searle’scher Provenienz zu fragen, die durch den Universalitätsanspruch der Sprechakttheorie, sogar in ihrer Anwendung in der konventionellen Historical Pragmatics, meist verdeckt bleiben.

Dazu werde ich zunächst an zwei Fallbeispielen zeigen, wie solche historischen Sprechaktanalysen aussehen und welche Parallelen und Unterschiede zu modernen Sprechaktanalysen sich hier zeigen lassen (2). Davon ausgehend werde ich nach der Historizität der Sprechakttheorie fragen (3) und anschließend die Frage nach der Neuheit der Sprechakttheorie nochmals aufgreifen (4). In einem Ausblick werde ich schließlich diskutieren, welche Konsequenzen sich aus dem in den historischen Quellen ganz anders als heute darstellenden Verhältnis von Sprechen und Handeln für neuere Diskussionen um eine Theorie der Praktiken ergeben können (5).

2 Historische Sprechaktanalysen1
2.1 Das Versprechen

Am Beispiel des Versprechens, das auch Searle als Probefall für die Explizierung seiner Theorie wählt, lässt sich gut veranschaulichen, was ich hier als historische Sprechaktanalysen beschreiben möchte. Die philosophische Reflexion über das Versprechen hat eine lange Tradition (vgl. Habib 2018) und nimmt im Hochmittelalter bei Thomas von Aquin erstmals systematische Form an. In dessen Hauptwerk Summa theologica (ca. 1266–1273), also ziemlich genau 700 Jahre vor Searle, findet sich ein Kapitel (eine so genannte quaestio) zum Gelübde (votum) (vgl. Thomas von Aquin o.J.: II, 2, 88).1 Als Versprechen gegenüber Gott ist es für monastische Zusammenhänge höchst relevant, wird von Thomas von Aquin aber zunächst am Modell des Versprechens anderen Menschen gegenüber veranschaulicht.

Das Gelübde wird dabei definiert als ein Akt (actum) der Selbstverpflichtung durch ein Versprechen (per modum promissionis), das wiederum nur vermittelst Worten geschehen kann – eine Definition, die sich leicht an die in der Sprechakttheorie als Illokution begrifflich gefasste indem-Relation anschließen lässt: Indem man bestimmte Worte äußert, verpflichtet man sich. Weiterhin nimmt Thomas von Aquin eine Art Komponentenanalyse des Versprechens vor, das mehrere Teilhandlungen erfordert: Die Überlegung (deliberatio), den Vorsatz des Willens (propositum voluntatis) – heute würde man wohl von der Intention sprechen –, das Aussprechen (pronuntiatio) und schließlich auch das Zeugnis der anderen (testimonium aliorum) (II, 2, 88, a. 1). Gerade der letzte Punkt ist aufschlussreich, denn die in der Linguistik oft geforderte hörer_innenseitige Ergänzung der allzu sprecher_innenzentrierten Sprechakttheorie – Henne/Rehbock (2001, S. 11) etwa setzen als Komplement zum Sprechakt den Hörverstehensakt an – scheint hier schon angedeutet.

Schließlich formuliert Thomas von Aquin Bedingungen für gültige Versprechen. So muss das Versprechen das zum Gegenstand haben, was man für einen anderen aus freien Stücken tue (quod quis pro aliquo voluntarie facit). Dagegen ist es eine Drohung, wenn es sich gegen einen anderen richtet (se contra aliquem facturum) und das Versprochene diesem unannehmlich ist (quod ei non esset acceptum). Auch kann Thomas von Aquin zufolge nichts Gegenstand des Versprechens sein, was bereits notwendig ist, also ohnehin geschehen würde wie etwa das eigene Sterben (II, 2, 88, a. 2). Zugleich wird Möglichkeit für das Versprochene verlangt (II, 2, 88, a. 3), und niemand kann sich zu etwas verpflichten, was nicht in seiner eigenen Macht (potestas) steht. Jemandem untergeben (subiectus alicui) zu sein, so folgert Thomas von Aquin, schränkt somit auch die möglichen Gegenstände des Versprechens ein (II, 2, 88, a. 8). Bedeutsam ist bei alldem die Feststellung, das Versprechen, bei denen diese Bedingungen nicht gegeben sind, nichtig oder unnütz (vana) sind (II, 2, 88 a. 2) – ein Aspekt, der sich gut an die spätere Unterscheidung zwischen falschen Aussagen einerseits und misslungenen Sprechakten andererseits anschließen lässt.

Ganz systematisch werden also die – in neuerer Terminologie gesprochen – Gelingensbedingungen von Versprechen herausgearbeitet, und viele der von Thomas von Aquin genannten Punkte lassen sich auch in Searles Analyse wiederfinden.2 Nahezu wortwörtlich wiederholt sich etwa die Differenzierung zwischen Versprechen und Drohungen:

One crucial distinction between promises on the one hand and threats on the other is that a promise is a pledge to do something for you, not to you; but a threat is a pledge to do something to you, not for you. (Searle 1969, S. 58)

 

Der Ausschluss von Notwendigkeiten als Gegenständen des Versprechens kehrt in abgeschwächter Form wieder, wenn Searle als Einleitungsbedingung anführt, dass es nicht offensichtlich sein darf, dass das Versprochene ohnehin getan würde (vgl. Searle 1969, S. 59). Auch die – von Searle zwar nicht ausdrücklich genannte, aber parallel zu weiteren Analysen Searles zu ergänzende (vgl. Staffeldt 2009, S. 54) – Bedingung, dass man in der Lage sein muss, das Versprochene zu tun, hat in Thomas von Aquins Verweis auf die Macht, das Versprochene auch umzusetzen, eine Entsprechung.

Thomas von Aquins Analyse war äußerst einflussreich und hat ausgehend von seiner Bemerkung, dass die durch Versprechen eingegangenen Verpflichtungen unter die Gesetze des Anstands und mithin unter das Naturrecht fallen (II, 2, 88 a. 3), besonders die frühneuzeitlich-naturrechtlichen Staatstheorien geprägt. In Thomas Hobbes’ Leviathan (1651) etwa finden sich Ausführungen zum mutuall transferring of Right (Hobbes 1651, S. 66), das im Wesentlichen durch wechselseitige Versprechen vollzogen wird.3 In einer grammatischen Feinanalyse bestimmt Hobbes Versprechen als words of the future (Hobbes 1651, S. 66) und unterscheidet dabei klar zwischen der bloßen Kundgabe eines Willensaktes (I will that this be thine to morrow in volitiver Bedeutung) und dem tatsächlichen Versprechen (I will give it thee to morrow in kommissiver Bedeutung), das die Aussage über den zukünftigen Akt erst verbindlich werden lässt. Und auch Hobbes führt weitere Bedingungen an, welche die beteiligten Akteure (to make Covenants with bruit Beasts, is impossible (Hobbes 1651, S. 68)) und die möglichen Gegenstände von Versprechen betreffen:

The matter, or subject of a Covenant, is alwayes something that falleth under deliberation ; and is therefore alwayes understood to be something to come ; and which is judged Possible for him that Covenanteth, to performe. And therefore, to promise that which is known to be Impossible, is no covenant. (Hobbes 1651, S. 69)

Ausführlicher noch wird Samuel Pufendorf in seinem Werk Vom Natur- und Völcker-Rechte (lat. 1672, dt. 1711) in den Kapiteln über die Bündnisse. Auch Pufendorf trifft eine grundlegende Unterscheidung zwischen der berichtenden Kundgabe eines Entschlusses und der Zusage (Pufendorff 1711, S. 652) (lat. promissio), welche sich durch den Modus der Verbindlichkeit unterscheiden. Sind Kundgaben wahrheitsfähig und mithin allenfalls um der Wahrheit willen bindend, folgen echte Zusagen vielmehr ethischen Prinzipien. So sei ein

unvollkommenes Versprechen geschehen / wenn jemand sich folgender massen vernehmen lassen : Ich habe mir ernstlich vorgenommen dir dis und das zuthun oder zu erweisen / bitte also du wollest es mir glauben und zutrauen. Bey so gestalten Sachen ist der Versprecher / mehr der Wahrheit als der Gerechtigkeit halben / sein Wort zu halten verbunden (Pufendorff 1711, S. 659)

Die später prominent von Austin getroffene Unterscheidung zwischen wahrheitsfähigen Konstativa einerseits und Performativa andererseits deutet sich hier bereits an. Auch zu Holdcrofts (1998) Versuch, den deontischen Gehalt von Sprechakten von bloßen Willensbekundungen zu unterscheiden, lassen sich Parallelen ziehen. Und wie schon Thomas von Aquin vor ihm, wenn auch ungleich ausführlicher, fächert Pufendorf die Bedingungen gültiger Versprechen noch weiter auf. Sie seien hier durch eine Auswahl von Kapitelüberschriften wiedergegeben:

Furcht macht Zusagen und Bündnisse ungültig. […] Wir können nur zu möglichen Dingen verpflichtet werden. Die Zusage unmöglicher Sachen ist eitel. Ob jemand verpflichtet werden könne etwas auszustehen / das menschliche Beständigkeit und Tapferkeit übertrifft. In unerlaubten und unzugelassenen Dingen gilt keine Verbindlichkeit. Schändliche Pacten verpflichten nicht […]. Die Zusage frembder Dinge ist umsonst und vergebens. (Pufendorff 1711, S. 668, 703)

Auf knapp 50 Druckseiten werden alle möglichen Konstellationen und Fehlerquellen erwogen, die ein Versprechen missglücken lassen, wie man in Anlehnung an Austins Verfahren der Demonstration von möglichen „infelicities“ (Austin 1962, S. 16f.) formulieren könnte, und so wird ex negativo ein überaus differenziertes Bild des gelungenen Vollzugs von Versprechen gezeichnet – ein Bild, in dem im übrigen auch den Rezipierenden eine tragende Rolle zugewiesen wird, da ausdrücklich Beyfall oder Einwilligung (Pufendorff 1711, S. 668) (lat. consensus) beider Seiten gefordert wird.

Die von Pufendorf und seinen Vorgängern angestellten Überlegungen werden schließlich im 47. Band von Zedlers Universal-Lexicon (1746) gebündelt zusammengetragen (zu dieser Quelle vgl. Schneider 2013). Der Eintrag beginnt wie folgt:

Versprechen, Versprechung, Verheissung oder Zusage […] ist nichts anders, als eine solche Rede, wodurch man sich, einem oder mehr andern, mit seinem oder ihrem Wissen und Bewilligung, etwas gewisses zu erweisen, verbindlich machet. […] Es mag […] das Versprechen, ein, zwey, oder mehr seitig seyn, wo es anders verbindlich seyn soll, von allen denen, so daran Theil haben, eine gemeinschaftliche Bewilligung (consensus) nothwendig erfordert: welche auf Seiten des Versprechenden den Namen Versprechung; auf der andern Seite aber eine Annehmung, oder Genehmhaltung, (acceptatio) genennet wird. (Zedler 1746, Bd. 47, Sp. 1933f.)

Die Formulierung eine Rede, wodurch lässt sich wiederum an die sprechakttheoretisch so wichtige indem-Relation anschließen, und auch hier werden die rezipient_innenseitigen Handlungen von Beginn an mit einbezogen. Sehr ausführlich und systematisch werden dann Bedingungen eines gültigen Versprechens (Zedler 1746, Bd. 47, Sp. 1935) geäußert, welche die Personen sowie die Materie des Versprechens betreffen. Zu ersteren zählen etwa die hinlängliche Erkenntniß der Sache selbst, die versprochen oder bedungen wird, weshalb etwa Betrunkene zu Versprechen untüchtig sind. Auch setzen gültige Versprechen Freyheit voraus, was 1) den unrechtmäßigen Gezwang sowohl, als 2) die demselben sehr nahekommende Furcht, als Hindernisse eines verbindlichen Versprechens, ausschliesset. Die so genannten materialen Bedingungen betreffen zum einen die Billigkeit, so dass nur versprochen werden kann, was nur keinem Gesetz, es mag dieses Göttlich oder Menschlich seyn, zuwieder läuft, aber auch nicht einem andern zum Nachtheil, seinem Rechte und Freyheit entgegen steht. Zum anderen betreffen die materialen Bedingungen die Möglichkeit, weil sonst das Versprechen vergeblich seyn und zu keiner Würckung kommen würde. Der Artikel schließt mit einer Bemerkung zur äußeren Form des Versprechens: Wenn es aber allzu dunckel und zweydeutig ist, wird es entweder vor nicht geschehen, oder doch nicht vor so verbindlich geachtet.

Man sieht sich hier in vielem an die stil- und traditionsbildende Analyse von Searle erinnert – schon die ausdrückliche Rede von Bedingungen erscheint wie ein Vorgriff, zumal sie tatsächlich das meiste von dem abdecken, was auch Searle als Gelingensbedingungen des Versprechens formuliert. Die materiale Bedingung der Möglichkeit des Versprochenen, auf die schon Hobbes und Pufendorf hingewiesen haben, kann als Einleitungsbedingung der Form „S ist in der Lage, A zu tun“ formuliert werden. Die von Pufendorf und im Zedler für gültige Versprechen geforderte Abwesenheit von Furcht und Zwang wie auch eine hinreichende Klarheit über das eigene Tun fasst Searle wenigstens in der 1965 erstmals publizierten Vorfassung seiner Analyse des Versprechens ganz explizit als „Normal input and output conditions“ (Searle 1971, S. 48):

Together they include such things as that the speaker and hearer both know how to speak the language; both are conscious of what they are doing; the speaker is not acting under duress or threats […]. (Searle 1971, S. 48)

Somit wird im Zedler zumindest indirekt auch die von Searle veranschlagte Aufrichtigkeitsbedingung angeführt, der zufolge S tatsächlich die Absicht haben muss, sich zu verpflichten. Denn ein unter Zwang ausgesprochenes Versprechen entbehrt ja gerade solcher Aufrichtigkeit. Im Eintrag zur Zusage (Zedler 1750, Bd. 60, Sp. 496–498), der sich wie eine kondensierte Zusammenfassung des Eintrags zum Versprechen liest, wird sogar ausdrücklich gefordert, dass bey Ertheilung der Zusagen und Verträge alle Aufrichtigkeit beobachtet werden muss. Schließlich kann die im Zedler angesprochene Unzweideutigkeit der Worte mit den „normal input and output conditions“ in Verbindung gebracht werden.

All diese Gemeinsamkeiten dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es natürlich auch deutliche Unterschiede gibt. Besonders auffällig ist der schon von Thomas von Aquin angedeutete ausdrückliche Einbezug der Genehmhaltung auf Seiten der Rezipierenden. Erst durch eine gemeinschaftliche Bewilligung, und nicht schon durch die bloße Äußerung wird ein Versprechen verbindlich und auch einklagbar. Die einzelnen Bestimmungen gültiger Versprechen wie etwa der Ausschluss von Zwang werden ausdrücklich auch auf deren Annahme ausgeweitet. Der Vorwurf der Sprecherzentriertheit, welcher der Searle’schen Sprechakttheorie gerne entgegengebracht wird, trifft die historischen Analysen also weit weniger.4 Zum anderen fällt auf, wie viel Raum in den historischen Analysen der Aspekt der Rechtmäßigkeit (Billigkeit im Zedler) und der Schicklichkeit des Versprochenen einnimmt. In Searles Analyse hat dieser Aspekt keine Entsprechung und tritt ganz hinter der subjektivistischen und als Präferenz beschreibbaren Bedingung zurück, dass H die Ausführung der versprochenen Handlung ihrer Unterlassung vorzieht. Zwar wird im Zedler die Bedingung formuliert, dass nichts einem andern zum Nachtheil, seinem Rechte und seiner Freyheit entgegen versprochen werden kann. Doch gerade der zweite Teil der Formulierung zeigt, dass dieser Nachteil gerade keine Angelegenheit rein subjektiver Präferenzen ist, sondern sich aus dem geltenden Recht vielmehr objektiv ergibt. Ich werde auf diesen Punkt später zurückkommen.

2.2 Die Drohung

Als zweites Fallbeispiel wähle ich den Sprechakt der Drohung, der bei Searle selbst zwar nicht eigens behandelt wird, dafür aber gerade in der linguistischen Rezeption ein beliebter Analysegegenstand gewesen ist (vgl. den Überblick in Muschalik 2016). Im 7. Band des Zedler findet sich ein Artikel zur Drohung, der hier mit nur wenigen Kürzungen in voller Länge wiedergegeben werden soll.

Drohung, ist diejenige Handlung, da man einen in Ansehung einer bevorstehenden Verrichtung unter der Vorstellung eines gewiß zu erwartenden Uebels, in wie ferne derselbe dem Verlangen sich nicht unterwerfen wird, entweder anzutreiben oder abzuhalten suchet. Die Drohungen können entweder vernünfftig oder unvernünfftig seyn. Vernünfftig sind dieselben 1) in Ansehung derer, die sie thun. Entweder es hat einer, der dem anderen drohet, eine rechtmäßige Gewalt über den andern, daher er ihn denn durch die Furcht einer zu erwartenden Straffe, welche allmahl ein Gesetz voraus setzet, zum guten antreiben, und von dem bösen abschrecken kan. […] oder die Personen sind einander gleich, da denn einer dem andern in Ansehung des, beyde verbindenen Gesetzes, mit einer aus dem Gesetz flüssenden Straffe, wenn einer seiner Pflicht nicht nachzukommen gedencket, drohet […]. Aus diesen flüsset, daß die Drohungen nur als Mittel etwas zu würcken bey unvernünfftigen und ihren eitlen Begierden ergebenen Menschen Statt haben. […] 2) Sind die Drohungen vernünfftig in Ansehung der Art und Weise, wie sie geschehen. Einmahl muß das gedrohte Uebel würklich durch uns erfolgen können, denn wenn es von uns heißt: vana est sine viribus ira, so erlangen wir durch dieselben gerade das Gegenteil, indem wir uns lächerlich und verächtlich machen. Hernachmahls müssen wir es offtermahls nicht nur bey der Drohung bewenden, sondern unsre Kräffte durch Erfolgung des Uebels fühlen lassen. 3) Sind die Drohungen vernünfftig in Ansehung derer Sachen, weswegen man drohet, wenn nemlich dieselben wieder die Gesetze streitende Handlungen sind. Aus diesem kann man hingegentheil, was unvernünfftige Handlungen sind, leichte erkennen. (Zedler 1734, Bd. 7, Sp. 1469)

Der Artikel – im Wesentlichen eine stilistisch gestraffte Fassung des gleichnamigen Eintrags in Johann Georg Walchs Philosophischem Lexicon von 1726 – liefert eine erstaunlich subtile Analyse der ausdrücklich als Handlung aufgefassten Drohung, die sich unter Verwendung bewusst modern gehaltener Termini wie folgt systematisieren lässt:

 

 Situationsmerkmale: in Ansehung einer bevorstehenden Verrichtung

 Sprecher_innenintentionen: da man einen […] entweder anzutreiben oder abzuhalten suchet / zum guten antreiben, und von dem bösen abschrecken

 Mittel zum Zweck: unter der Vorstellung eines gewiss zu erwartenden Uebels / durch die Furcht einer zu erwartenden Straffe

 Institutioneller Rahmen: rechtmäßige Gewalt / Gesetz

Auf dem so abgesteckten Feld werden dann die – wie man in Anlehnung an den Begriff der Gelingensbedingung formulieren könnte – ‚Vernünftigkeitsbedingungen‘ von Drohungen bestimmt:

 Akteure (Ansehen derer, die sie tun) und ihr asymmetrisches bzw. symmetrisches Verhältnis: rechtmäßige Gewalt bzw. ein beyde verbindene[s] Gesetz

 Gegenstand der Drohung und seine Durchführbarkeit (Art und Weise, wie sie geschehen): muß das gedrohte Uebel würklich durch uns erfolgen können und unsre Kräffte durch Erfolgung des Uebels fühlen lassen

 Anlass der Drohung und seine Illegitimität (Sachen, weswegen man drohet): wieder die Gesetze streitende Handlungen

Moderne Analysen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Typischerweise werden Drohungen dabei als „[h]ybride Sprachakte“ (Klein 1981) gefasst, die kommissive und direkte Aspekte in sich vereinen. Eine Reihe solcher Analysen, die sich ganz im Searle’schen Theorierahmen bewegen und untereinander nur in Nuancen unterscheiden, habe ich geprüft. Die Parallelen zur Analyse im Zedler gebe ich hier tabellarisch mit ausgewählten Passagen aus den modernen Analysen wieder (teilweise im Wortlaut vereinfacht):


Sprechakttheorie nach Searle Zedler 1734
Es gibt eine Situation und einen antizipierbaren durch H herbeigeführten Verlauf (Apeltauer 1977) H ist dabei, eine Handlung zu begehen, die gegen die Interessen von S gerichtet ist (Henriksson 2004) in Ansehung einer bevorstehenden Verrichtung
S will durch die Drohung eine Situation bewahren, verändern, hervorbringen, unterdrücken (Apeltauer 1977) S äußert die Drohung in der Absicht, dass H die Handlung unterlässt (Henriksson 2004) da man einen entweder anzutreiben oder abzuhalten suchet
S’ intention to commit an act which will result in an unfavourable state of the world for H (Fraser 1998) S will bewirken, dass H erkennt, dass S P tun will, wenn H nicht bestimmte Bedingungen C erfüllt; P ist nicht im Interesse von H. (Harras/Proost/Winkler 2007) S sagt zukünftigen Akt von S oder durch S veranlasstes Ereignis voraus und verpflichtet sich zur Ausführung bzw. Herbeifühung des Angedrohten (Henriksson 2004) durch Vorstellung eines gewiss zu erwartenden Uebels, in wie ferne derselbe dem Verlangen sich nicht unterwerfen wird
the speaker must have real power to bring about the stated consequences (Harris 1984) S hat die Möglichkeit/die Macht, die angedrohte Handlung auszuführen (Henriksson 2004) muß das gedrohte Uebel würklich durch uns erfolgen können

Tab. 1:

Analysen der Drohung im Vergleich: Parallelen

Doch auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede. Auffällig ist abermals, dass die in den modernen Analysen genannten Bedingungen, welche die Präferenzen der Beteiligten betreffen, in der Analyse im Zedler keine direkte Entsprechung haben. Zwar wird hier wiederholt von dem Uebel gesprochen, welches durch die Drohung in Aussicht gestellt wird, doch leitet sich dieses Übel vornehmlich aus objektiv geltenden, durch Gesetze abgesicherten und mithin auch vernünftig einsehbaren Wertmaßstäben her. Letztlich besteht das Übel in einer aus dem Gesetz abgeleiteten Strafe für unbotmäßiges Verhalten, wie es allein unvernünftige Menschen an den Tag legen. Erst wieder die Gesetze streitende Handlungen und nicht schon bloße Dispräferenzen geben für Drohungen Anlass, und so ist die Analyse im Zedler ganz vom geltenden, objektiven Rechtssystem her perspektiviert. Demgegenüber wird in den modernen Analysen ganz auf subjektive Präferenzen umgestellt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Apeltauer (1977) zufolge bewertet S den zu erwartenden Situationsverlauf negativ und präferiert einen anderen; H wiederum bewertet das angedrohte negativ, so dass er seine ursprünglichen Präferenzen zurückstellt und in seinem eigenen Interesse die des Sprechers übernimmt.


Sprechakttheorie nach Searle Zedler 1734
Subjektive Bewertungen und Präferenzen objektive, d.h. vernünftig einsehbare Rechtmäßigkeit

Tab. 2:

Analysen der Drohung im Vergleich: Unterschiede

Der prototypische Situationsverlauf der Drohung wird in den modernen Analysen also ganz aus der Perspektive des Individuums und seiner Präferenzstrukturen erfasst.