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Die Extrafahrt

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Mein Fräulein, ich störe Sie! Ich bitte tausend Mal um Entschuldigung!

O nein! Auch ist der Balcon für alle Gäste, und die Aussicht ist zu schön, um sie nicht jedem Besucher zu gönnen.

Das war mit einem leichten Lächeln und mit dem entzückendsten Anstand von der Welt hingeworfen. Aber es war lang genug, um mich glauben zu lassen, daß sich daran wohl eine noch längere Unterredung anknüpfen lasse.

Nun ja, nun müßte ich eigentlich den Verlauf dieser Unterhaltung haarklein schildern, zur erbaulichen Belehrung angehender Jünglinge und zum großen Ergötzen gereifter Jungfrauen, bei denen wir armen Sterblichen gewöhnlich eine höchstjammervolle Rolle spielen, wenn wir so aus dem Stegreif eine Bekanntschaft anknüpfen wollen.

Aber triftige und wohlüberlegte Gründe halten mich davon ab. Denn um in der That die deutsche Jugend zu belehren, müßte ich wörtlich sein, müßte ich all die wohlberechneten Wendungen wiedergeben, denen allein es nur gelingen kann, ein leichtes und wohlwollendes Lächeln auf die Lippen der Angebeteten zu zaubern und ihrem Auge den ersten Blick aufkeimender Theilnahme zu entlocken. Das aber würde mich viel zu weit führen, und so lange ich selbst noch in dieser Beziehung Concurrent bin – was bei meiner unausstehlichen Schwachheit wohl noch geraume Zeit währen dürfte! – werde ich mich hüten, meine Künste zu offenbaren. Napoleon wäre nicht besiegt worden, hätte er sich nicht das Siegen ablernen lassen.

Genug, ich war der Napoleon des Belvedere – von Apollo will ich nicht sprechen, da ich noch zu jung bin, um die liebenswürdige Offenheit älterer Autoren zu besitzen – ich siegte wie er bei Austerlitz, und nicht eine Sonne geleitete mich die Treppe hinunter ein, zwei Sonnen, zwei Sonnen-Systeme sogar, denn ich kann es mir nicht nehmen lassen, daß diese beiden leuchtenden Augen systematisch darauf abzielten, den Gravitationspunkt meines eigenen Vernunft- und Klugheits-Systems vollständig zu verrücken und mein ganzes Wesen um einen neuen Weltkörper rotiren zu lassen – und zwar um einen der lieblichsten, die man sich denken kann.

Wir stiegen zusammen die schmale Treppe hinab— ach, sie war mir gefährlich! Und je tiefer ich kam, desto höher fühlte ich mich gehoben, und ganz unten angelangt befand ich mich im siebenten Himmel.

Rosalie war in der That ein herrliches Mädchen – so ernst, so besonnen, so sinnig. Jeder ihrer leuchtenden Blicke ließ die Tiefe des Gefühls durch die Schranken der Convenienz brechen, und vielleicht that auch mein glühendes Herz das seine dazu, die doppelte und dreifache Eismauer zu schmelzen, die Gewohnheit und Sitte unserer erbärmlichen Zeit zwischen zwei jungen fühlenden Wesen aufrichten.

Als wir unten am Fuße der Treppe angelangt waren, plauderten und lachten wir schon wie zwei längst vertraute Wesen, und Rosalie sagte mit einem Blick, in dem an und für sich wenig und für mich doch unendlich viel lag: Wollen Sie sich nicht mit meinem Onkel bekannt machen?

Natürlich that ich das, und in jener Minute fühlte ich mich so erhoben, so sehr über alle Bedenken hinausgerückt, das ich selber nicht mehr weiß, wie es kam – aber ich schüttelte dem alten Herrn die Hand, und er drückte mir die meinige und nannte mir seinen Namen, den ich bereits kannte.

Darauf stöberte ich in meiner Westentasche nach einer Karte und gab sie ihm. Aber er hatte seine Brille nicht bei der Hand, und so war ich genöthigt, ihm meinen Namen zu nennen.

Natürlich corrumpirte er ihn augenblicklich auf eine Weise, die ich längst gewohnt war. Es ist mir immer so ergangen. Die Leute scheinen sich förmlich darauf zu pikiren, erst sämmtliche Bäche und Berge des deutschen Reiches zu durchwandern, ehe sie bei dem kleinen pommerʼschen Dörfchen anlangen, von dem ich meinen Namen führe.

Jeder sucht sich gewöhnlich denjenigen aus, der ihm am besten gefällt, und der alte Herr Normann nannte mich ohne Weiteres und mit einer vollendeten Sicherheit! Herr Mildenberg! – und als Herr Mildenberg lernte mich nun auch Rosalie kennen.

Onkel und Tante waren charmante Leute, denen es gar nicht störend zu sein schien, daß ihre Nichte eine scheinbar angenehme Unterhaltung gefunden. Ich meinerseits eilte sogleich zu Murchel, dem Vampyr und Klapschig, sagte ihnen, ich hätte alte Bekannte in den Reisenden entdeckt und bat, mich wenigstens für den heutigen Nachmittag zu dispensiren Natürlich grollten sie; aber selbst das Rollen des Donners hätte mich in jenen Augenblicken kalt gelassen. Mit einer Herzlosigkeit, über die ich mir selbst heut noch Vorwürfe mache, kehrte ich meinen Genossen den Rücken.

Ich fuhr mit Onkel, Tante und Nichte in ihrem Boote nach Kiel, ich fuhr sogar mit ihnen in demselben Coupé nach Hamburg zurück, und als der Abend dämmerte und wir auf dem altonaer Bahnhofe anlangten, glaubte ich alles Ernstes, wir seien erst auf der Station Neu-Münster.

Rosaliens Blicke und Worte hatten aber auch das Ihrige gethan, mich über Zeit und Raum hinwegzuheben. Das war ein deutsches Mädchen! – ich sage es mit Stolz, ja, ein wahrhaft deutsches Mädchen, keine berliner Zierpflanze, keine Landpomeranze – ein Weib, wie es sein muß, und ich war bis über die Ohren verliebt in sie.

Und ich hatte doch hoffentlich ernste Absichten? fragen meine Leserinnen. Was ich hatte, weiß ich wahrlich nicht, wohin das führen sollte wußte ich auch nicht. Ich war verliebt, ich ließ mich tragen von meiner Liebe; wie ein Träumender ließ ich mich höher und immer höher emporheben, um dann vielleicht – wie es oft den Träumern ergeht – mit einem einzigen Ruck hinabzustürzen und zu erwachen.

Wie lebendig sprachen unsere Blicke schon, wie viel hatten wir uns durch die Augen mitzutheilen, als ich ihr gute Nacht sagte und dabei ihre kleine Hand küßte! Was ich für Unsinn trieb, als das Eßzimmer mich wieder mit meinen Reisegefährten vereinte, die sich auf der Rückfahrt nach Hamburg in ihrem Coupé entsetzlich gelangweilt hatten! Murchel sah voraus, daß ich nun für sie oder, wie er sich ausdrückte, für diese Welt verloren sei, und widmete mir einen wehmüthigen Abschiedsseufzer. Nebenbei drohte er mir, am andern Morgen der schönen Rosalie zu sagen, was ich für ein leichtsinniger und flatterhafter Mensch sei, und ich bat ihn, das ja nicht zu vergessen.

Dann begrub ich mich, unbekümmert um meine Freunde, um Hamburg und die Welt, für die ich ja ohnehin verloren war, in meine Bettdecke und beschwor den Schlaf herbei, der mich sanft über die Stunden hinweggeleiten sollte, die mich von Rosalie trennten.

Er kam, es kam auch der Morgen des dritten Tages unserer hamburger Extrafahrt.

Ich war schon früh auf und schlich auf Treppen und Gängen umher, wie das Gespenst in der Goetheʼschen Ballade, das sein Linnentuch nicht gefunden, zur großen Erbauung des stiefelreinigenden Hausknechts und der besenbewaffneten Dienstmädchen, denen mein Herumirren Anlaß zu den ernstesten Bedenken gab, denn sie steckten malitiös die Köpfe zusammen, kicherten und plauderten.

Plötzlich hörte ich oben eine Thür gehen, und als ich blitzschnell hinaufblickte, sah ich ein weißes Morgengewand, ein allerliebstes Häubchen, und in demselben die morgendlich frischen Wangen und die glänzenden Augen Rosaliens. Sie verschwand wie ein Schatten, noch ehe ich ihr einen Gruß hatte zuwerfen können. Aber ich war glücklich. Mein Traum vom vergangenen Morgen war in Erfüllung gegangen.

Beruhigt kehrte ich nach unserem gemeinschaftlichen Zimmer zurück. Es handelte sich jetzt darum, mich von Murchel und Genossen für den Tag oder wenigstens für den Morgen loszusagen. Ich schützte entsetzliches Kopfweh vor, und Murchel, der meine Absicht merken mochte, war gnädig genug, mir mit einem Seufzer vorzuschlagen, ich solle zu Hause bleiben, während sie den Hafen besichtigten.

Ich fügte mich mit großer Ergebung in dieses traurige Schicksal, und hatte die Freude, mich von dem Vampyr und Klapschig aufrichtig bedauert zu sehen. Ich wurde jedoch nicht eher ruhig, als bis ich die drei Burschen den Hahnenkamp hinabschlendern sah, nach der Richtung des Hafens.

Dann lebte mein ganzes Wesen wieder auf, und ich postirte mich unten in den Corridor, um jeden Augenblick bereit zu sein, mich entweder dem Onkel anzuschließen, wenn er einen Spaziergang mit seiner liebenswürdigen Familie machen wollte, oder sonst die günstige Gelegenheit zu benutzen.

Es währte auch nicht lange, so kamen alle Drei die Treppe herab. Aber Rosalie war nicht zum Ausgehen angekleidet, sie war ohne Hut und Mantel.

Wir wechselten die freundschaftlichsten Begrüßungen, und in der ersten Minute wußte ich, woran ich war. Onkel und Tante wollten einen Besuch bei früheren Freunden machen, die jetzt in Hamburg ansässig waren. Rosalie, die sich, wie es hieß, von der gestrigen Fahrt noch ein wenig ermüdet fühlte, wollte während der Zeit einige Briefe schreiben. Ich erwähnte mein Kopfweh und wagte noch in Gegenwart des Onkels und der Tante die bescheidene Andeutung, daß sich im Speisesaale ein recht gutes Instrument befinde.

Nun, Rosalie das ist ja etwas für Dich, sagte die Tante. Du kannst ja nicht leben, ohne Clavier zu spielen.

Das ist beinahe wahr! rief Rosalie lächelnd. Es war mir, als hörte ich schon vorgestern Abends hier unten spielen, und ich hatte ein wahres Heimwehgefühl!

Ich warf ihr einen Blick der innigsten Empfindung zu, und nach einer Minute war die Sache in Ordnung. Rosalie sollte sich während der Abwesenheit der Alten am Claviere amusiren und ich ihr Gesellschaft leisten.

Mir klopfte wirklich das Herz, als wir in den Speisesaal traten. Das mag im Widerspruch stehen mit dem, was ich früher über mein Herzklopfen erwähnte. Aber nein! Es galt ja nicht mehr, eine Bekanntschaft anzuknüpfen, es galt ein halbgewonnenes Glück festzuhalten – und schon stiegen bange Ahnungen in mir auf, das dieses Glück von kurzer Dauer sein könne!

Der Speisesaal war leer, wie gewöhnlich des Morgens um die zehnte Stunde. Wir waren mutterseelen allein. Selbst Herr und Madame Hommer erschienen nur auf Augenblicke am Buffet.

 

Rosalie setzte sich an das Pianino und spielte— sehr schön, aber, wie es mir schien, mit einiger Befangenheit, sie ließ auch bald ihre kleinen Hände sinken.

Es ist mir nicht möglich, zu spielen, sagte sie, wenn Jemand so aufmerksam zuhört.

So wünschen Sie also, das ich Sie verlasse?

Nein! wir wollen lieber ein wenig plaudern.

Und dabei sah sie mich so sanft, so vertrauensvoll, ich möchte sagen, so hingebend an, daß ich fühlte, wie die Wärme meines Herzens weit über die gewöhnlichen dreißig Grad Réaumur hinausstieg.

Sie sind angegriffen von der gestrigen Fahrt! sagte ich.

Ein wenig, überhaupt von der Reise. Seit Freitag habe ich die Eisenbahn nicht verlassen. Kaum aus Erfurt in Berlin angekommen, wo ich mich einige Zeit aufhalten wollte, traf ich Onkel und Tante, die mich überredeten, sie sogleich nach Hamburg zu begleiten.

Wofür ich Onkel und Tante sehr dankbar bin! erlaubte ich mir zu bemerken. Es ist mir die liebste Reise, die ich je gemacht habe. Und wissen Sie, daß ich Sie schon bemerkte, als ich in Berlin hinaus nach dem hamburger Bahnhofe fuhr?

Ich erinnere mich auch, daß ich darüber nachdachte was Sie sein könnten.

So interessirte ich Sie also?

Nun – wenn auch das nicht— es ist so eine kleine Leidenschaft von mir, mich zu bemühen, den Stand der Menschen aus ihrem Aeußeren zu errathen.

Das dürfte Ihnen bei mir ein wenig schwer werden! sagte ich, entzückt von dem leichten Roth, das bei meiner letzten Frage über ihr Gesicht geflogen war.

Vielleicht doch nicht! Sie sind ein Künstler, ein Maler oder ein Musiker, oder nehmen eine so unabhängige Stellung ein, daß Sie ganz nach Ihrem Gefallen leben können.

Vortrefflich! rief ich. Sie sind auf dem besten Wege. Ich bin Schriftsteller.

Ah! sagte sie, und zu meinen Erstaunen zeigte sich eine leichte Wolke auf ihrer weißen feinen Stirn.

Das war doch seltsam. Im allgemeinen pflegen gebildete Wesen des weiblichen Geschlechtes die Bekanntschaft mit Leuten unseres ehrenwerthen Standes mehr zu suchen, als uns oft lieb ist. Und nun diese Wolke? Was bedeutete das?

Mein Fräulein, sagte ich ein wenig bestürzt, Sie überraschen mich. Der Ausdruck Ihres Gesichts zeigt mir deutlich, daß Sie es lieber gehört, wenn ich Ihnen einen andern Beruf genannt. Ich will nicht hoffen, daß Sie ein Vorurtheil gegen meinen Stand haben, eines jener unbegründeten Vorurtheile . . .

O nein, nein! rief sie lebhaft. Es wäre ja unrecht, wenn ich den ganzen Stand entgelten lassen wollte, was ein Einzelner gesündigt. Es stieg nur eine unangenehme Erinnerung in mir auf!

Und ihr Gesicht behielt noch immer einen ernsten Ausdruck.

Ein Einzelner! sagte ich. Könnte es wirklich einer meiner Brüder in Apollo gewagt haben, Sie zu beleidigen oder zu kränken?

Das ist unmöglich.

Kränken! Ja, das ist der richtige Ausdruck! rief Rosalie. Er hat mich sehr gekränkt, und das hatte ich nicht verdient.

Wer ist dieser Elende gewesen? rief ich indignirt.

Sie öffnete ihre Lippen, und aus ihnen hervor klang ein Name, der mein Blut zu Eis erstarrte, ein Name – jede Sylbe klar und deutlich – mein eigener Name!

Ich sah Rosalie an, und dieses Mal schien sie nicht ruhig vor mir zu sitzen, sondern auf und ab mit ihrem Stuhle zu tanzen.

Herr M.? fragte ich.

Ja, Herr M. kennen Sie ihn?

Ein wenig, und – was kann Ihnen Herr M. Böses gethan haben? – ein so gutmüthiger Mensch?

Gutmüthig? rief sie und ihre lieblichen Lippen kräuselten sich ein wenig höhnisch. Nun, die Gutmüthigkeit ist wohl eben nicht seine hervorstechende Eigenschaft. Doch es ist keine kurze Geschichte, und ich kann sie Ihnen mittheilen, Herr Mildenberg, nur damit Sie vielleicht Herrn M. sagen, wie tief er mich gekränkt!

Ich weiß nicht mehr, ob ich sie damals gehört habe. Aber ich erinnere mich der Worte noch vielleicht durch ein Wunder! Ich hatte eine Art von Vorliebe für Herrn M., sagte sie. Ich wünschte ihn kennen zu lernen, und einer seiner Freunde in Erfurt kündigte ihm meinen Besuch brieflich an. Wirklich, ich freute mich sehr darauf, einen Mann zu sehen, der mir Vieles aus dem Herzen gesprochen. Auch war Herr K. in Erfurt einer seiner besten Freunde, auf dessen Empfehlung hin ich schon einen solchen Schritt wagen konnte. Ich traf ihn selbst nicht zu Hause. Aber das Mädchen überreichte mit einen Brief – nun, lesen Sie ihn selbst! Sehen Sie zu, ob ich einen solchen Brief erwarten konnte!

Dabei lächelte sie ein wenig bitter, und reichte mir einen etwas zerknitterten Brief.

Ich hebe ihn nur auf, um ihn Herrn K. in Erfurt zu zeigen und mich für seine Empfehlung zu bedanken! fuhr sie dann fort. Aber was haben Sie?

Ja, was hatte ich? Ich hatte in deutlicher, schwarzer Schrift – in gallen-schwarzer, dämonischer Schrift und in klaren Zügen die Aufschrift erkannt! »An die schöne Fremde!«

Ich öffnete auch den Brief, ich las ihn auch. Was hätte ich Anderes thun können? Da stand es:

»Mein schönstes Fräulein!

Leider, leider bin ich selbst verhindert, Ihnen zu sagen, wie sehr ich die zarte Aufmerksamkeit schätze, mit der Sie mich beglücken wollen. Ich finde nichts natürlicher, als daß ein Veilchen, das still in der Verborgenheit der Provinz blüht, auch ein Mal die Sonne sehen möchte die ihr von Berlin aus zuweilen einige erquickende Strahlen sendet. Diese Sonne, mein schönstes Fräulein kann sich nun leider nicht selbst produciren, da sie sich auf die Eisenbahn gesetzt hat, um eine kleine Vergnügungsreise zu machen. Lassen Sie sich aber dadurch nicht abhalten, die Regionen zu untersuchen, in denen die Sonne gewöhnlich leuchtet. Mein Dienstmädchen hat die gemessensten Befehle, Sie nicht nur in die Geheimnisse des Schreibtisches einzuweihen, sondern Ihnen auch die Paletots, Gilets, Cravaten und andere merkwürdige Gegenstände zu offenbaren, mit denen die Sonne sich zu bekleiden pflegt, wenn sie sich in irdischer Gestalt den Menschen zeigt. Sollte es Ihrem zahrtfühlenden Herzen schmeicheln, ein Erinnerungszeichen aus dieser Sonnen-Region zu besitzen, so hat mein Dienstmädchen Friederike den Auftrag, es nicht als Diebstahl zu betrachten, wenn Sie eine Stahlfeder, ein Blatt Papier – am besten ein unbeschriebenes – oder sonst dergleichen heimlich an jener Stätte verbergen, an der ein großes Herz zu schlagen pflegt. Sollte ferner . . .«

Aber ich las nicht weiter. Der Brief sank mir zu Füßen, und mir war zu Muthe, als ob in meinem Kopf eine Hunnenschlacht gekämpft würde, und als ob die Geister der Gedanken, die sich dort herum schlugen und mordeten, über meinem Haupte emporstiegen und dort weiter mordeten – denn das Zimmer schien mir mit den entsetzlichsten Gestalten gefüllt.

Nun, was sagen Sie dazu? fragte Rosalie.

Es ist – es ist —! aber weiter antwortete ich nichts.

Es trat eine Pause ein, während deren ich den Versuch gemacht haben würde, mich selbst zu erwürgen, wären meine Hände nicht wie gelähmt gewesen.

Mein Fräulein, sagte ich dann, dieser M. ist einer der erbärmlichsten Menschen. Was würden Sie mit ihm beginnen, wenn Sie ihn je zu Gesicht bekämen?

O, ich würde mich nicht viel um ihn kümmern! sagte sie gedankenvoll. Aber wenn er es hören wollte, so würde ich ihm sagen, daß er der arroganteste und lächerlichste Mensch von der Welt ist.

Sie haben Recht, mein Fräulein! Erlauben Sie mir, daß ich einen Augenblick nach meinem Zimmer gehe?

O gewiß! Aber Sie sind doch nicht unwohl? Sie sehen so blaß aus!

Durchaus nicht!

Ich ging nach meinem Zimmer, und – nun, die Reise und mit ihr mein Glück und Alles war zu Ende!

In einer dumpfen Erstarrung, mit wilder Energie packte ich meinen kleinen Koffer, bezahlte meine Rechnung an den erstaunten Kellner, bestellte mir eine Droschke für den Bahnhof, und sagte dann dem Kellner, er möge hinabgehen, und mich bei der Dame entschuldigen, es sei zufällig Jemand gekommen, um mich aufzusuchen.

Während ich einpackte, spielte sie unten Clavier. Sie spielte die Melodie: Ach, wenn du wärst mein eigen, und ich wußte, daß sie mir galt, mir, dem Verbrecher, dem lächerlichsten, arrogantesten und elendesten Menschen! Ich biß die Zähne in stummer Wuth auf einander und überlegte, ob ich nicht aus dem Fenster hinaus springen solle – nur um ihr nicht zu begegnen.

Den Kellner schickte ich mit meinem Koffer voraus. Als ich sah, daß er ihn in die Droschke gelegt, sprang ich die Treppe hinunter und flog über den Flur. Die Thür zum Speisesaal stand ein wenig offen, aber ich blickte nicht hinein. Rosalie hatte aufgehört zu spielen, und als ich in die Droschke sprang, sah ich, daß sie am Fenster stand, daß ihr Gesicht bleicher wurde, als sie mich bemerkte.

Nach dem berliner Bahnhof! schrie ich dem Kutscher wüthend zu, und meine Hände ballten sich krampfhaft.

Wie ich nach Berlin zurück gekommen, in welcher Stimmung – das will ich nicht schildern. Ich kann es auch nicht. Die Erinnerung überwältigt mich heute noch.

Aber ich kam in Berlin an, allein, ohne meinen guten Murchel, ohne den Vampyr, ohne das Känguruh. Das boshafte Schicksal hatte mir nicht vergönnt, an den Seefahrten des Weinhändlers, an den Abenteuern des Vampyrs, an der Verzweiflung Klapschigʼs Theil zu nehmen, der in Wilkenʼs Keller wirklich etwas zum Besten geben mußte. Ich war gezwungen mich mit Dem zu begnügen, was meine Freunde mir später von ihren heroischen Thaten erzählten, und noch mehr, ich war gezwungen, es zu glauben.

Und Rosalie – ach, ich habe von ihr gehört, zwar wenig, aber doch genug! Rosalie lernte in Hamburg einen jungen Kaufmann kennen und heirathete ihn schon vor Jahr und Tag.