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Die Extrafahrt

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Sie haben Recht! sagte einer von den Passagieren. Es ist der Austerlitz, ein französischer Schraubendampfer.

Der Austerlitz! wiederholte Murchel, und eine Thräne der Rührung perlte über seine runde Wange. Er ist es!

Und er reichte mir die Hand und dem Vampyr und Klapschig, und schüttelte sie uns allen, als ob er die Kraft unseres Schultergelenkes prüfen wollte. Dann wandte er sein Gesicht wieder dem Austerlitz zu – ungefähr mit demselben feierlichen Ausdrucke, mit dem ein Feueranbeter sein Antlitz zur Sonne kehren würde – und ließ ein dreimaliges lautes Hoioh! erschallen.

Dieser Ruf übte nicht nur auf unsere Nerven einen erschütternden Eindruck, sondern schien auch in sämmtlichen Waggons große Aufregung hervorzurufen. Es wurde lebendig, man schrie, ob Feuer, ob eine Achse gebrochen, was überhaupt vorgefallen sei. Andere Passagiere riefen, man solle anhalten. Unterdessen aber rollte der Zug langsam in das Bahnhofsgebäude, und die Reisenden stürzten erschreckt auf den Perron.

Ich unter ihnen. Es handelte sich ja darum, meine schöne Unbekannte nicht aus dem Auge zu verlieren. In der That befand auch sie sich schon in dem Gewirr, und ich mich kurz darauf unmittelbar neben ihr.

Wohin wollen Sie, mein Herr? rief ein Individuum, das der weitverbreiteten Gattung der Commissionäre anzugehören schien, dem alten Onkel zu.

Wir wollen ein Boot haben, um nach dem Austerlitz zu fahren!

Schön, mein Herr! Ich werde Ihnen ein Boot verschaffen!

Mit Windeseile war ich wieder neben meinen Reisegefährten. Unter diesen hatte sich bereits eine hitzige Debatte entsponnen. Der Vampyr entschied sich für ein Frühstück im Restaurationsgebäude, auch Murchel gab zu, daß er Appetit habe, wollte aber zuvor nach dem Austerlitz; Klapschig war dafür, zuerst die Stadt, dann das Schiff zu besehen.

Theure Freunde, sagte ich, Ihre Ansichten stützen sich sämmtlich auf gewichtige Gründe. Aber lassen Sie mich ein Wort mitsprechen. Der Austerlitz kann in einer Stunde die Anker lichten.

Sehr möglich, sogar wahrscheinlich! unterbrach mich Murchel.

Der Zweck unserer Reise ist der, den Austerlitz zu sehen! fuhr ich fort. Dieser Zweck muß also zuerst erfüllt werden. Ohne Zweifel werden wir jedoch am Hafen eine Restauration finden, aus der wir uns einige Herzstärkung für die Ueberfahrt mitnehmen können. Also vorwärts!

Damit nahm ich Murchelʼs Arm und marschirte mit ihm ab. Der Vampyr und Klapschig folgten grollend.

Nach wenigen Minuten waren wir am Hafen. Meine schöne Rosalie, Onkel und Tante stießen so eben in einem Ruderboote vom Lande.

Ein hochgewachsener schlanker Recke von den Nordgrenzen Deutschlands trat uns entgegen. Er trug eine Tuchmütze und unterschied sich in seinem Aeußern durchaus nicht von einem berliner Arbeitsmann. Auch in seiner Sprache ähnelte er seinen berliner Kameraden. Sie war ein Gemisch von Platt- und Hochdeutsch.

Wöllen die Herren nach dem Austerlitz? fragte er.

Tjö wöll! antwortete Murchel.

Der Holsteiner faßte seinen Mann ins Auge, ließ sich jedoch durch den Klang der Worte nicht beirren und lächelte, während er uns drei Andere musterte.

Wie lange bleibt das Schiff noch hier? fragte ich.

Es wird wohl noch viertene Dag bleiben! antwortete er.

Murchel, der wahrscheinlich erwartet hatte, hier eine unbekannte Sprache, ähnlich den Dialekten der Lappen und Finnen, zu hören, schien ziemlich misvergnügt. Vielleicht schmerzte ihn auch die verlorne Wachtparade der hamburger Stadtsoldaten.

So löst die Anker! rief er dann. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

Wöllen die Herren insteigen? sagte der Holsteiner. Der starke Herr zuerst!

Er zog sein Boot näher an die steinerne Treppe, die hinab zum Wasser führte, und reichte Murchel die Hand. Der dicke Weinhändler brachte seine kurzen Beine glücklich über Bord, verursachte aber ein solches Schwanken des Bootes, als er sich niedersetzte, daß der Vampyr laut aufschrie und Klapschig an Händen und Beinen zitterte, obwohl wir Drei noch ruhig auf der festen steinernen Treppe standen.

Nur nicht ängstlich! rief Murchel, sich auf der mittleren Bank zurechtsetzend. Ich bin eine alte Wasserratte und verstehe mich auf das Segeln. Backbord, meine Herren, dies ist Backbord!

Wöllen die Herren segeln? fragte der Schiffer.

Gewiß! rief Murchel. Eine frische Brise wird die Segel schwellen – Fridolin, Fridolin!

Kitschotutsch, der die Heiterkeit seines dicken Gefährten durchaus nicht theilte, kletterte mühsam in das Boot; ich schob Klapschig hinüber und stieg dann selbst ein.

Der Holsteiner hatte unterdessen nach der Brise ausgeschaut, von der Murchel poetisch sprach, und da ein schwacher Wind hin und wieder einen Wimpel rührte, so setzte er das Segel auf und machte sich zur Abfahrt bereit.

Halt! rief Murchel. Wir wollen ja erst ein Glas Wein trinken!

Ja, ja! riefen der Vampyr und Klapschig wie aus Einem Munde.

So reicht mir eine Kanne Wein! rief Murchel den Schiffer an.

Der Holsteiner mochte wohl glauben, daß er es mit lustigen Vögeln zu thun habe, und lächelte, deutete darauf auch an, daß er aus dem nächsten Wirthshause sehr gut eine Kanne oder, prosaisch ausgedrückt, eine Flasche Wein holen könne, nahm ein »Rad«, d.h. einen preußischen Thaler aus Murchelʼs Hand in Empfang und eilte dem Gasthause zu.

Kaum war er verschwunden, so begann Murchel, nautische Untersuchungen über die Einrichtung des Segels und die Bauart des Bootes anzustellen, verrückte auch dabei verschiedentlich seinen Sitzpunkt und also auch den Schwerpunkt des Bootes, das in einem fortwährenden Schwanken blieb.

Murchel, sagte der Vampyr zitternd, thun Sie mir die Liebe und sitzen Sie still! Mir wird schwach!

Auch Klapschig hatte seine Känguruh-Stellung aufgegeben, den Regenschirm bei Seite gelegt und hielt sich mit beiden Händen an der Bank, auf der er saß, fest.

Ich schaute während dessen vergnügt in das blaugrüne Wasser, das kühl gegen die steinernen Mauern plätscherte. Ich sah die schöne Farbe der See zum ersten Male, und das Herz wurde mir weiter. Der Himmel war herrlich blau, die Luft wunderbar rein und frisch und in meiner Seele regten sich tausend schelmische Gedanken an das Glück der Zukunft. Sonntägliche Wimpel flatterten von den Schiffen und spiegelten sich in der gekräuselten See, Boote durchschnitten die Fluth und von den Ufern lachte das Grün der Laubwälder, als sei die smaragdene See hinaufgestiegen und habe sich zu zierlichen Blättern verkörpert.

Ein gewaltiges Schwanken des Bootes riß mich aus meinen Heineʼschen Phantasien.

Murchel war dem Bord des Bootes zu nahe gekommen, und es neigte sich bedenklich auf die eine Seite. Klapschig stieß einen kurzen und kläglichen Schrei aus, Kitschotutsch hielt sich entsetzt mit den Händen fest, und fiel auf den Boden des Bootes.

Der Vampyr und der Materialist waren kreideweiß. Murchel raffte sich mit einem gezwungenen Lächeln auf und bürstete seinen Hut mit dem Rockärmel. Das Segel, das noch nicht festgebunden war, bewegte sich schwerfällig in dem leichten Lufthauch, unsere Hüte bedrohend.

Jetzt kam der Schiffer mit einer entkorkten Flasche und einem Glase zurück. Der Vampyr bemächtigte sich augenblicklich der ersteren und that einen so langen und gierigen Zug, daß ich unwillkürlich an seinen Beinamen erinnert wurde. Auch Klapschig bediente sich in seiner Angst nicht des Glases, hatte aber das gewöhnliche Unglück von Leuten, die es nicht verstehen, aus der Flasche zu trinken und schüttete sich eine gute Quantität Rothwein in die Cravate anstatt in den Mund.

Murchel und ich dagegen schlürften den guten Rothwein mit vielem Wohlbehagen. Der Holsteiner hatte unterdessen die Segel befestigt und gerichtet und nahm dann die Ruder zur Hand, denn mit dem Segel allein war es bei dem schwachen Winde nicht möglich, vorwärts zu kommen.

So schwebten wir nun über den kieler Hafen auf den Austerlitz zu, dessen Entfernung vom Ufer beträchtlicher war, als wir Anfangs geglaubt hatten. Murchel starrte mit aufmerksamen Blicken die Kauffahrteischiffe am Ufer an, und auch der Vampyr und Klapschig erholten sich ein wenig bei der gleichmäßigen angenehmen Bewegung des Bootes

Wer wird aber nun den Dolmetscher machen? fragte ich dann.

Natürlich Sie! antwortete mir Murchel.

Ich verstehe nicht genug Französisch, erwiderte ich. Der Vampyr könnte das übernehmen. Seine Fertigkeit in fremden Sprachen ist so groß —

Nä. nä! rief der Vampyr abwehrend und abermals in den sächsischen Dialekt verfallend. Das wär ne scheene Geschichte! Nä, das bin ich nicht kapafel! das verstäh ich niche.

Aber Einer muß doch sprechen! sagte ich. Dann Sie, Klapschig! Sie führen doch gewiß die französische Correspondenz Ihres Herrn Vaters.

Klapschig sah mich misvergnügt von der Seite an und murmelte: Unsinn!

Na, daß ist nich übel! rief Kitschotutsch. Am Ende verstäht Keener keen Franzesisch niche.

Und dabei war er sehr vergnügt und lachte nicht über seine eigene, sondern über unsere Dummheit.

Die Strafe folgte jedoch auf dem Fuße. Der schwache Wind, bald von hier, bald von dort wehend und an dem Segel rüttelnd, ohne es zu blähen, nahm jetzt eine entschiedenere Richtung von einer anderen Seite – wenigstens für eine Minute – und legte das Segel langsam um. Der untere Theil desselben fuhr über den Kopf des Vampyrs und nahm den Strohhut desselben mit sich fort, ungefähr auf dieselbe manierliche und sanfte Weise, wie Jemand uns von hinten unversehens den Hut abnimmt, wenn wir ihn unbefugter Weise in einem Lokale aufbehalten. Murchel rettete den seinen nur durch eine geschickte Bewegung die von seiner Kenntniß der maritimen Gefahren zeugte. Der Strohhut des Vampyrs aber schaukelte sich auf den Wellen des kieler Hafens.

Kitschotutsch brach in ein Jammergeschrei aus. Der Holsteiner aber nahm ruhig sein Ruder und fischte den Hut auf, während Murchel unbändig lachte und der boshafte Klapschig sich zum ersten Male vergnügt die Hände rieb.

 

Der jammernde Vampyr, seinen Strohut trocknend – so interessant dieses Bild auch war —, vermochte jedoch jetzt nicht mehr unsere Theilnahme zu fesseln. Wir waren in der Nähe des Austerlitz. Das riesige Gebäude erhob sich in seiner ganzen Größe vor uns auf dem Wasser, unbeweglich daliegend, wie ein Fels, die leichten Kräuselwellen des kieler Hafens verachtend. Und doch war diesem Riesen draußen in der Ostsee von denselben Wellen so arg zugesetzt worden, daß er hier in Kiel eine Art von Lazarethstation bezogen.

Eine Menge Boote schwärmten um das Fahrzeug, zu dem wir jetzt in stummer Ehrfurcht emporstarrten. Ueber uns, am Bug, breitete ein riesiger Adler seine Flügel aus. Es war der Adler Napoleons. Ich glaube, eine strahlende Sonne wäre hier passender und bezeichnender gewesen.

Unser Bootsmann zog das Segel ein und ruderte der großen Treppe zu. Hier lagen drei oder vier Boote, mit Fremden wie das unsrige besetzt. Unter ihnen bemerkte ich das Boot mit meiner Unbekannten. Aus den Booten rief man hinauf, ob es noch nicht erlaubt sei, das Fahrzeug zu besuchen, der Seesoldat, der oben mit seinem Gewehr stand rief stets dasselbe Wort hinab.

Murchel starrte ihn an, wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Auf seinem Gesichte malten sich Rührung, Ehrfurcht, Erstaunen, Bewunderung. Ich glaube er hätte vor Freude weinen können, daß es ihm in seinem Leben vergönnt worden, einen französischen Seesoldaten oben auf der Treppe eines kolossalen Fahrzeuges sein Gewehr schultern zu sehen. Er hatte die Hände in stummer Andacht gefaltet. Er war glücklich.

Was sagt er denn eigentlich? flüsterte er endlich. Ist es nicht erlaubt?

Ich hatte unterdessen herausgehört, daß der Soldat fortwährend Tout á lʼheuré rief, und verdeutschte es meinen Genossen.

Meine Herren! fügte ich dann hinzu, ich will es übernehmen, den Dolmetscher zu machen, denn so weit wird meine Kenntniß wohl reichen. Aber ich thue es nur unter einer Bedingung: Sie müssen sich für den Rest des Tages vollständig meinen Anordnungen fügen!

Nach einigen Debatten wurde meine Bedingung angenommen. Ich dachte dabei natürlich nur an meine Unbekannte und wollte vollständig ungebunden sein, ihr zu folgen.

Eine distinguirte Persönlichkeit, wie ich erfuhr, der französische Consul in Kiel, zeigte sich jetzt oben auf der Treppe, und wahrscheinlich hatte man unsere Zulassung so lange aufgeschoben, um die Treppe frei für diesen Herrn zu halten. Die Boote drängten sich jetzt näher, und unser Führer war geschickt genug, unser Boot als das erste an die Treppe zu legen.

Ich hatte während der Zeit ein Paar ganz neue helle Glacé-Handschuhe angelegt, die ich eigens für diesen feierlichen Moment in den Tiefen meiner Taschen verborgen gehalten. Dann sprang ich zuerst auf die Treppe, entschlossen, meiner schönen Freundin die Hand zu bieten. In den Booten entstand einige Unruhe. Alles drängte sich der Treppe zu. Murchel erklomm die erste Stufe derselben mit herculischen Anstrengungen, und stieß dabei so gewaltig an mich an, daß ich, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, nach dem Geländer greifen mußte.

Rasch und nichts Böses ahnend, wandte ich mich dann nach meiner Unbekannten; das Boot wurde so eben vor die Treppe geschoben. Ich streckte meine Hand aus.

Aber sie – oder vielmehr der Handschuh war kohlschwarz fettig, schmierig! Das Geländer der Treppe war unzweifelhaft vor ganz kurzer Zeit neu angestrichen worden. Mein Handschuh war ganz verdorben und bot einen greulichen Anblick.

Von Purpurröthe übergossen stand ich da. Aber ehe ich mich noch besinnen und den fatalen Handschuh herunterreißen konnte, war Rosalie auf die Treppe gestiegen.

Mein Schicksal verwünschend, kletterte ich ingrimmig hinter dem keuchenden Murchel die Treppe hinauf. Ich wagte nicht einmal mehr, einen Blick zurückzuwerfen. Rosalie mußte meinen Handschuh und das Lächerliche meiner Stellung gesehen haben. Und lächerlich zu sein – lächerlich bei der ersten Begegnung! das vernichtet jede aufflammende Neigung wie der Gewitterregen ein brennendes Schwefelhölzchen!

Murchel wollte oben mit dem Seesoldaten eine pantomimische Unterhaltung anknüpfen. Schweigsam aber wies ihn der Krieger auf das Deck, und nun wurde ich vorgeschoben. Ich näherte mich dem ersten besten Menschenkinde in blauer Uniform und stotterte einige französische Worte. Dann trat ein junger, artig aussehender Mann auf uns zu. Wir hatten unseren Führer.

Und Rosalie! jetzt zum ersten Male wagte ich es, einen Blick auf sie zurück zu werfen. Ich sah sie auf dem Deck erscheinen. Ein junger französischer Seeofficier stürzte sogleich auf sie zu. Einige Worte wurden gewechselt, dann nahm er ihren Arm. Der alte Onkel folgte Arm in Arm mit der Tante nach.

Ade nun Hoffnung und Vergnügen! Die Freude am Austerlitz war mir verdorben. Ich weiß wenig noch von dem, was ich dort gesehen, gehört und geradebrecht, und mit diesem Wenigen will ich die Leser nicht ennuyiren. Wir kletterten auf jedes Deck und jeden Winkel, selbst in das Lazareth, denn Murchel konnte sich nicht zufrieden geben, ohne Alles, Alles gesehen zu haben. Er streichelte liebkosend die riesigen Kanonen, von denen der furchtsame Klapschig sich in gebührender Entfernung hielt, er liebäugelte mit den Schiffsjungen, die ihm greuliche Gesichter schnitten, und seine Verwunderung überstieg alle Grenzen, als ich meine Fassung so weit wieder gewonnen hatte, um ihm fabelhafte Erklärungen über die Anwendung einzelner Gegenstände zu geben, deren Gebrauch ihm räthselhaft war. Kitschotutsch und Klapschig starrten Alles mit offenem Munde an, bei dem geringsten Geräusch zitterten sie zusammen, wie Espenlaub, und ich glaube, sie waren Beide seelenvergnügt, als unser Besuch sich seinem Ende zuneigte.

Auf mich aber machte weder der liebenswürdige Franzose, der uns führte, noch der ungewohnte Anblick des mächtigen Fahrzeugs den geringsten Eindruck. Ich sah nur Rosalie, wie sie bald hier, bald dort sich zeigte am Arm des Officiers, ich sah sie lächeln, hörte sie artig und geläufig mit ihrem Führer schwatzen, sah, wie sich der Franzose bemühte, ihr das Emporsteigen der Treppen zu erleichtern, und in meinem Innern tobte es wie in einem Vulkane, der noch keine Oeffnung gefunden; vor meiner erhitzten und zornerregten Phantasie spiegelte sich sogleich das Bild einer vollständigen Novelle.

War es etwas Unerhörtes, daß ein Fremder uns eine der schönsten Töchter Germaniens entführte? Nein! War es etwas Unerhörtes, daß eine sentimentale deutsche Maid, die vaterländischen biederen Jünglinge verschmähend, Herz und Hand einem zungengeläufigen Fremden spendete? Leider nicht! War es unerhört, wenn derartige romantisch zufällige Begegnungen einen ganz praktischen und prosaischen Ausgang nahmen? Ebenfalls nein! Sie lernten sich hier kennen – er mußte sie bewundern, sie ließ sich bereden von dem Fremden, seiner Zungenfertigkeit, seiner Uniform. Er erzählte ihr vielleicht die Heldenthaten, die er vor Kronstadt verrichtet, er erzählte ihr von Stürmen, in denen er das Schiff gerettet, er deutete an, daß der Friede nahe sei, daß er dann eine Reise nach Deutschland machen werde, sie nannte ihm ihren Namen, ihren Wohnort. Sehnsüchtig erwartete sie ihn ein ganzes Jahr lang. Dann kam er, mit Narben bedeckt, hörte, daß sie reich sei, er führte sie heim in sein schönes Vaterland. – O Dänemark, Dänemark! Wie hast du einwilligen können, den fremden Eroberern den kieler Hafen zu öffnen!

So grollte es in mir, als wir wieder auf das Deck kamen und uns von unserem Führer verabschiedeten, der auch nicht die geringste Belohnung annehmen wollte. Rosalie nebst Tante und Onkel hatten sich ebenfalls von ihrem Officier verabschiedet, und zwar, wie ich mit neu aufflammender Hoffnung bemerkte, ein wenig ceremoniell. Freilich jetzt schon Händedruck und Küsse – das wäre ein wenig stark gewesen!

Murchel nahm noch eine flüchtige Inspection des Decks vor, während ich bereits an der Treppe stand, um zu sehen wo Rosalie blieb. Hinabzueilen, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein, das konnte ich nicht übers Herz bringen. Es hätte mich gegen den Officier, der sie eine Stunde lang am Arm geführt, in ein zu schlechtes Licht gestellt.

Sie stiegen in ihr Boot, es stieß ab, und zu meiner Verwunderung nahm es nicht den Weg nach Kiel zurück, sondern den Hafen aufwärts. Wollten sie eine Fahrt nach der offen See machen? Nein, das war zu weit. Ich eilte die Treppe hinab und fragte unseren Holsteiner, ob er nicht gehört, wohin die Herrschaften in dem anderen Boot ruderten.

Ja, nach dem Belvedere, antwortete er.

Das Belvedere? was ist das?

Ein Gasthaus, dort oben auf dem Berg, sehr schön gelegen, mit der Aussicht nach der See.

Kann man dort zu Mittag essen?

Sehr gut.

Und wie lange braucht man dort hin?

Eine gute halbe Stunde.

Abgemacht! wir fahren nach dem Belvedere.

Unterdessen stolperten Murchel, der Vampyr und Klapschig die Treppe herunter. Murchel war in der seligsten Stimmung.

O Gott, o Gott! seufzte er. Weshalb kann ich nicht Tag und Nacht da oben bleiben! Weshalb kann ich nicht eine Fahrt in die See machen! Hoioh! Eine Fahrt nach Indien! Nach Amerika!

Geniren Sie sich nicht, Murchel! sagte ich. Kehren Sie zurück!

Mein Weib und meine Kinder! sagte er mit bewegter Stimme. Ich glaube in diesem Augenblicke bereute er es zum ersten Male, Weib und Kinder zu haben.

Wirklich, sehr scheene! meinte Kitschotutsch. Ein wahres Kolosseum!

Kolosseum? Unsinn! murmelte Klapschig verdrießlich.

Murchel hatte unterdessen seinen Platz im Boote wieder eingenommen, und wir folgten ihm. Wohin nun? fragte er.

Nach Belvedere! sagte ich entschieden und setzte meinen Freunden auseinander, was das Belvedere sei.

Ein Sturm des Unwillens brach gegen mich los. Und die armen Leute – sie hatten wirklich Recht! Es schien, als seien wir dazu bestimmt, von den Städten, wohin wir reisten, nichts zu sehen – als die Umgegend. Des Abends in Hamburg angekommen, den anderen Morgen nach Kiel und nun, ohne eine einzige Straße in Kiel gesehen zu haben, nach dem Belvedere!

Aber ich machte meine Autorität geltend. Ich erinnerte meine Genossen an die Bedingung, die sie eingegangen, ich schilderte ihnen die Freude des Belvedere, die herrliche Aussicht, die man dort auf die See habe, ich schilderte ihnen den Reiz einer Wasserfahrt bis dorthin, und endlich fügte sich Murchel, jedoch nur unter der Bedingung, daß er das Steuer führen dürfe— daß gestand ich ihm zu, und nun mußten der Vampyr und Klapschig sich fügen. Der Erstere aber, glaube ich war wirklich wüthend.

Die Brise war frischer geworden. Unser Holsteiner setzte das Segel auf, und Murchel nahm mit den Mienen eines alten und erfahrenen Steuermannes am Steuer Platz. Wir schwebten abermals über die blaue Fluth, riefen dem Austerlitz ein freundliches Lebewohl zu und segelten nach dem Belvedere.

Die Ufer auf der Nordseite des kieler Hafens sind wirklich reizend, und vom Belvedere aus mußte man einen allerliebsten Blick auf den Meerbusen haben. Ich lugte nach dem Boote, das meine schöne Unbekannte trug. Es wurde nur gerudert, und wir waren in der unmittelbarsten Nähe desselben.

Sehen Sie, meine Herren, von hier aus können Sie schon Friedrichsort, die Festung am Eingang des Hafens, sehen – da, dort den rothen Punkt, ganz weit hinaus!

Wir alle erhoben uns, Murchel nicht ausgenommen, und starrten in das duftige Blau, das Himmel und See in weiter Ferne vermählt. Dicht neben uns schwamm Rosaliens Boot. Ich ließ Friedrichsort liegen wo es lag, und blinzelte nach dem benachbarten Boote.

In diesem Augenblicke erhielt das unsere einen entsetzlichen Stoß, und wir sämmtliche vier Mann lagen im Nu auf dem Boden, Murchel rollte in den Verschlag, der sich am Steuer befand, der Vampyr streckte seine dünnen Beine hilfeflehend zum blauen Himmel empor, und Klapschig zappelte zwischen unseren Ueberziehern und Reisetaschen, die wir zusammen auf den Boden der Boote gelegt hatten. Ich selbst legte mich der Länge nach über, die beiden Sitzbretter und küßte die Segelstange, nach der ich instinctmäßig mit beiden Händen gegriffen hatte – jedoch mehr in unbewußter Verwirrung, als aus Dankbarkeit oder Liebe.

Oh, oh, oh! sagte der Holsteiner bedauernd und ein Lächeln unterdrückend. Das ist ja schlimm! Der Herr hat uns gegen eine Boje gesteuert. Es ist aber weiter keine Gefahr!

Ei was Gefahr, schrie es in meinen Innern. Ich wünschte es wäre Gefahr, und nicht so ein lächerliches Anprallen und Hinstürzen!

Dabei blickte ich verstohlen nach dem andern Boote. Sie lächelte! Rosalie lächelte und hielt das Taschentuch vor das Gesicht. O, Ihr Himmlischen! Das war noch schlimmer, als der betheerte Handschuh! Nun war Alles vorbei!

 

Ich blieb liegen und richtete mich erst ganz allmälig auf, denn hier war es das Beste, eine Verwundung zu heucheln, um wenigstens Mitleid zu erregen. Aber Kitschotutsch – o, es war zum Verzweifeln – er zappelte noch immer mit den Beinen in der Luft. Freilich, er stak mit dem Kopf unter dem einen Sitzbrett und konnte nicht hervor, so wenig wie Murchel aus dem Verschlag, wo er sich mit einem der ansehnlichsten Theile seines Körpers festklemmte. Es bedurfte großer Anstrengungen des Holsteiners, um die Beiden zu befreien, und Beide stöhnten kläglich. Sie dachten wahrscheinlich, wie ich, besser bemitleidet als belacht zu werden.

Bald begann aber ein Zetern und Schimpfen von Seiten Kitschotutschʼs und Klapschigʼs auf Murchel und auf den Bootsmann. Der Erstere war natürlich allein schuld, denn er hatte darauf bestanden, das Steuer zu führen. Klapschig aber wollte dem Holsteiner die Hälfte des Lohnes abziehen und entwickelte zu diesem Punkte eine Zungenfertigkeit, die mich mit Erstaunen erfüllte. Endlich aber ging auch dieses Unwetter vorüber, und wir legten bei dem Aussteigeplatze des Belvedere an, als Rosalie mit ihren Begleitern bereits den Berg hinanstieg.

Dieses Hinansteigen hatte nun auch für uns seine bedeutenden Schwierigkeiten. Denn der Berg war sehr steil und Murchel sehr corpulent. Die hellen Schweißtropfen traten ihn auf die Stirn, als er, am Fuß des Berges stehend, den schmalen Schlangenpfad betrachtete, der sich den Berg hinanzog, und er sah uns hilfeflehend an, als wolle er sagen: Quält doch nie ein Thier zum Scherz!

Aber hier half Alles nichts. Auf meinen Wink ergriff der Vampyr den linken, ich den rechten Arm Murchelʼs, und wir zogen ihn hinauf. Klapschig sollte stoßen. Aber er machte die ausgedehnteste Anwendung von dieser Erlaubniß, und benutzte nicht seine Hände, sondern abwechselnd die Spitze und dann wieder den Griff seines Regenschirmes, den er Murchel in den Rücken bohrte. So cannibalisch diese Rache auch war, so hatte sie dennoch den günstigen Erfolg. Murchel schnellte zuweilen, wenn ein empfindlicher Theil getroffen war, mit einer solchen Vehemenz vorwärts, daß wir ihm kaum folgen konnten. Dann wieder machte er verzweifelte Versuche, uns loszuschütteln und Klapschig zu zermalmen. Aber es war ihm zum Heile – wir rissen ihn nach oben!

So langte er auf der Höhe des Berges an und schien zerfließen zu wollen. Ich selbst befürchtete einen apoplektischen Zufall.

Nur hinein, hinein rief ich. Die kalte Brise wird Sie tödten, Murchel!

Es wehte in der That ein kühler Wind auf dem Belvedere.

Murchel machte eine letzte Anstrengung und eilte wie ein gehetztes Wild nach dem Hause. Aber auch dort sollte er keine Ruhe finden, denn wir befanden uns jetzt unmittelbar im Speisesaal unter sonntäglich geputzten Kielern und bestens aufgebügelten Fremden.

Mir selbst war das auch nicht angenehm, denn ich hätte gern ein wenig Toilette gemacht, ehe ich den schönen Augen Rosaliens meine werthe Persönlichkeit producirte, die durch die Seefahrt etwas alterirt war. Murchel stellte sich ohne weitere Umstände vor den ersten besten Spiegel, ordnete seine Weste, sein Halstuch und sein dünnes Haar – denn er hielt darauf, stets als ein vollendeter Gentleman zu erscheinen. So folgte ich denn seinem Beispiel, trotzdem die Blicke der sämmtlichen Gäste, die bereits am Tische saßen, sich auf uns richteten, und nahm dann neben Murchel Platz, der mit einem herzbrechenden Uf! auf seinen Stuhl sank.

Ich will die Freuden des Diners nicht schildern, so wenig wie die Leiden desselben, die nicht ganz unbedeutend waren. Die größten Delicatessen blieben von uns unbeachtet, flößten uns sogar Abscheu ein. Denn wir alle konnten den Geruch von Dorsch und den anderen Seefischen, die aufgetragen wurden, nicht ausstehen. Als endlich sogar eine Schüssel mit Krabben erschien, befanden wir alle uns in der größten Verlegenheit, denn Niemand wußte, was er mit diesen kleinen rothen Wesen beginnen sollte. Klapschigʼs industrielles Genie fand hier jedoch einen Ausweg. Er steckte eine gute Handvoll statt in den Mund, in die Tasche und meinte, er werde sie als Reisegeschenk mit nach Berlin nehmen. Der Vampyr und Murchel folgten diesem erhabenen Beispiel.

Allmälig hatten meine Freunde sich von den Strapazen der Seereise erholt, der Vampyr begann zu sächseln, und Murchel sprach auf echt deutsche Weise der Weinflasche zu. Ich selbst suchte nur Rosalie, die leider so saß, daß ich in Gefahr gerieth, mir den Hals zu verrenken, wenn ich sie ansehen wollte. Ich mußte diese krampfhaften Bestrebungen zuletzt wirklich aufgeben und mich damit begnügen, die Thür im Auge zu behalten, um zu wissen, wann sie den Speisesaal verließe.

Das geschah auch bald. Der Onkel bezahlte die Couverts und folgte der Tante und Rosalie aus der Thür.

Einen Augenblick, sagte ich mich erhebend zu meinen Freunden, ich bin sogleich wieder da.

Damit glitt ich aus dem Saale. Draußen nahm ich natürlich die unbefangenste Miene von der Welt an und musterte das Haus und die Gartenanlagen rings umher in der stoisch – verächtlichen Manier eines reisenden Engländers. Dabei hörte ich jedoch jedes Wort, das Rosalie in einiger Entfernung mit Onkel und Tante sprach.

Ich muß hinauf nach dem Balcon, wenn auch nur für eine Minute! sagte Rosalie. Die Aussicht muß dort herrlich sein!

So geh, liebes Kind, sagte die Tante. Aber sei vorsichtig und erkälte Dich nicht. Wir bleiben unten. Es ist auch hier schön.

Auch mir erschloß sich jetzt schon die herrlichste Aussicht! Rosalie oben allein auf dem Balcon! – Die Hände auf dem Rücken kreuzend, und mit einem Gesicht umher stolzirend, als ob ich den Faust heimlich recitire, ging ich umher. Aber in meinem Innern glänzte, sprudelte, hüpfte und jauchzte es.

Rosalie war seit einer Minute verschwunden, als auch ich in das Haus schlüpfte mich nach dem Aufgang erkundigte und dann emporkletterte.

Es war wirklich eine Art von Klettern, denn die Treppe, die nach dem Belvedere führte, war weder bequem noch elegant. Wie schön wäre es gewesen, Rosalien hier den Arm bieten zu können! Aber sie war mir schon voraus. Ich hörte, wie sie flüchtigen Schrittes die Treppen hinauf eilte, ich sah ganz zuletzt einen Augenblick lang den niedlichsten kleinen Fuß von der Welt – dann wartete ich, um nicht mit ihr zugleich auf dem Balcon zu erscheinen und für gar zu aufdringlich gehalten zu werden.

Endlich stieg ich die letzten Stufen empor. Meine schönen Leserinnen erwarten nun wahrscheinlich, daß ich ihnen schildern werde, wie mir das Herz geklopft habe u. s. w. Aber nein, es klopfte mir nicht im Geringsten stärker als gewöhnlich. Ich habe darin ein eigene Natur. Bei dem Beginne einer Bekanntschaft bin ich immer muthig und beinahe verwegen. Aber wenn ich das Glück errungen habe, wenn es gilt, die süße Gunst des Schicksals festzuhalten, dann werde ich ängstlich, dann erst klopft mir das Herz, dann beobachte ich zitternd jede Miene, jede Bewegung. Frauenliebe ist das flüchtigste Ding auf der Welt. Sie zu erringen, ist leicht, festzuhalten – unmöglich!

Also mir klopfte das Herz nicht, als ich leicht eintrat. Sie stand an der Einfassung des Balcons und hatte die Hand auf den Rücken der Balustrade gelehnt. Entweder hatte sie mich nicht kommen hören oder es nicht hören wollen. Sie stand unbeweglich. Wahrscheinlich – denn ich konnte ihr Gesicht nicht sehen – waren ihre Augen auf die See gerichtet.

Jetzt aber handelte es sich um eine Anrede. Was sagen? Das Debut ist in solchen Fällen die Hauptsache, und sie hatte mich kurz vorher zwei Mal in so lächerlichen Lagen gesehen, daß es sich jetzt darum handelte, mit einem Schlage jene Stellung wiederzuerobern, die ich damals an dem Pfeiler des berliner Bahnhofes eingenommen. Also – der Zufall kam mir zuvor. Rosalie wandte sich nach einer anderen Seite. Sie war wirklich oder scheinbar überrascht, einen einzelnen Herrn neben sich auf dem Balcon zu sehen.