Za darmo

Die Extrafahrt

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Klapschig wird bei mir schlafen! sagte Murchel, als wir uns noch einige Augenblicke in dem großen gemeinsamen Vorderzimmer befanden. Sie und der Vampyr können in dem anstoßenden Cabinet schlafen.

Mir gleichgültig! erwiderte ich trocken. Aber ich durchschaute seine List. Kitschotutsch war bereits halb und halb zu der kieler Reise entschlossen. Klapschig war noch unentschieden. Ihn galt es also zu bearbeiten. Er sollte für die morgende Reise gepreßt werden.

Immerhin! Ich freute mich sogar darauf. Ich sagte Murchel kühl gute Nacht und ging in das Schlafcabinet.

Die Betten hatten etwas Einladendes und waren ganz nach meinem Geschmack. Ich entkleidete mich also schnell und begrub meine müden Gebeine unter dem schneeweißen Leinen, nicht ohne den dunklen und trüben Wunsch, es möchte eine weite Schneedecke und ich die todte Erde sein. Mein Herz war sehr niedergeschlagen.

Mit dem Vampyr ging es nicht so schnell. Er hatte tausend häusliche Anordnungen zu treffen, ehe er die wichtige Arbeit vollbringen konnte, sich in das Bett zu legen.

Er rumorte um mich herum, wie ein Gespenst, leuchtete mit dem Licht überall hin, blendete mich zuweilen, verbrannte seinen Bart und schimpfte lästerlich. Auf diese Weise zwang er mich, stets wieder an ihn zu denken, obgleich bereits angenehmere Gedanken durch meinen müden Sinn zogen.

Hören Sie, Vampyr, sagte ich, sind Sie bald fertig? Sie treffen wohl Vorbereitungen, um mir in der Nacht das Blut auszusaugen? Oder thun Sie das nicht an lebendigen Menschen?

Unsinn! erwiderte er grimmig. Das tanschiert mich nicht!

Was? rief ich.

Es tanschiert mich nicht! wiederholte er mit erhobener Stimme. Wärmen Sie doch nicht solche Albernheiten auf!

Da ich allmälig begriff, was er mit dem »Tanschieren« meinte, so hüllte ich mich in die leichte Decke und überließ mich dem Vorgefühl sanfter Träume. Mochten Murchel, Kitschotutsch und Klapschig nach Kiel fahren – sie thaten mir einen Gefallen damit! Ich hatte dann den ganzen Tag frei, konnte meine ganze Zeit der schönen Unbekannten widmen, konnte ihr folgen, vielleicht ein Gespräch mit ihr anknüpfen, vielleicht bei Tische neben ihr sitzen! Ich wollte von Morgens früh an auf der Lauer liegen, wie ein englischer Executor. Sie mußte doch einmal erscheinen, einmal ihr Zimmer verlassen, vielleicht im Nachthäubchen, im Morgenanzuge, und wie reizend mußte sie dann aussehen! Das Herz schwoll mir vor Wonne! Fahrt nach Kiel, bleibt dort die ganze Woche, wenn Ihr Lust habt! Ich bleibe in Hamburg.

Himmel und Erde! Was ist denn das? schreckte mich Kitschotutschʼs Stimme in dem süßesten Moment des Einschlafens auf.

Was ist das? Kein Federbett! Blos eine Decke? Das ist zu viel! Das halte ich nicht aus! Ich habe so schon Rheumatismus in allen Gliedern! Ich hole mir die Gicht für das ganze Leben!

Ich richtete mich auf. Ich hätte die Rollen vertauschen, mich auf den Vampyr stürzen, ihm das Blut aussaugen oder ihn wenigstens zerreißen können. Da stand er in der allernothdürftigsten Bekleidung, mit seinen dünnen Beinen und seinem geschwollenen Gesicht, auf dem sich Schrecken und Entsetzen in tausend dämonischen Gestalten zeigten, da stand er und starrte das Bett an.

Vampyr, was haben Sie! rief ich wüthend. Wollen Sie wohl ruhig sein?

Nein! Ich wecke das ganze Haus! Ich muß in Federn schlafen! Ich hole mir das Podraga! Diese verwünschten französischen Betten! Mich überläuft es schon bei dem Gedanken, da hinein zu steigen, eiskalt!

Thun Sie, was Sie wollen! schrie ich ingrimmig, und blies das Licht aus, das in meiner Nähe stand.

Ich hörte ihn noch wimmern und rumoren. Er stieß einen Stuhl um, tobte, schrie und weinte beinahe. Ich hüllte mich in meine Decke, mitleidslos wie ein ergrauter Sünder. Endlich hörte ich, wie er in das Bett stieg, ich hörte, wie ihm die Zähne klapperten, wie er vor Frost wimmerte. Gedanken wollüstiger Rache und Schadenfreude mischten sich in das Bild meiner Unbekannten, das jetzt im Dunkeln um so leuchtender vor mir aufstieg, und ich schlief ein.

Ich will meine Träume nicht schildern. Ich hasse jede Nachahmung und hüte mich deshalb vor jedem Vergleich mit jenen endlosen Feuilleton-Romanen, die es niemals unterlassen, die Träume der ersten Nacht in einer anderen Wohnung zu schildern.

Ich will originell sein durch und durch, selbst in meinen Trivialitäten – und was der Mensch will, das kann er ja. Oder ist es etwa keine originelle Kühnheit, der Erste und vielleicht Einzige zu sein, der nach Yorick eine sentimentale Reise schreibt?

Also nichts von Träumen! Ich erwachte.

Ich erwachte, als kaum der Morgen graute, durch einen höchst seltsamen Lärm. Ich hörte Töne von so eigenthümlicher und durchdringender Kraft und zugleich von einer solchen Sonderbarkeit, daß ich erschreckt empor fuhr und einen wilden Blick um mich warf; denn ich glaubte alles Ernstes, man habe mich während der Nacht nach einer Menagerie transportirt. Diese Töne hatten nichts Menschliches, gehörten auch keinem mir bekannten Hausthiere an. Sie mußten aus dem Rachen einer Bestie kommen, deren Art und Weise, sich verständlich zu machen, mir bis dahin noch fremd geblieben war.

Im Morgengrauen starrte ich um mich her und überzeugte mich endlich zu meiner hohen Befriedigung, daß ich mich wirklich innerhalb der Mauern unseres Schlafzimmers befand. Von dem Vampyr sah ich freilich nichts weiter als eine weiße Masse, die aussah, wie eine Menge zusammengedrehter Handtücher, oder wie eine frische Mumie. Aber ich vermuthete wenigstens, daß sein rheumatischer Körper unter dieser antiken Hülle verborgen sei.

Während dessen dauerte das Geschrei fort. Ich war vollständig ermuntert, und meine Besorgniß schwand ein wenig.

Das Wesen, das auf eine so durchdringende Weise seine Bedürfnisse, seinen Hunger, oder sonst irgend etwas zu erkennen gab, mußte sich dicht neben an befinden, in der Gegend, in der, wie ich mich ungefähr erinnerte, Murchelʼs und Klapschigʼs Schlafzimmer lag. Sollte Einer von Beiden über Nacht in eine Bestie verwandelt worden sein? Unmöglich! Aber was war es denn?

Jetzt wurde an die Wand gepocht.

Vampyr! Stehen Sie auf! rief Murchel. Es ist Zeit!

Dann ertönte das Klopfen und dasselbe Geschrei.

Der Vampyr rührte sich nicht. Er war noch immer im vollen Zuge, sich das »Podraga« für das ganze Leben zu holen. Selbst das Geschrei ermunterte ihn nicht.

Ich sah bald ein, daß es unmöglich sei, bei diesem Lärm weiter zu schlafen, sprang auf und kleidete mich an. Das Geschrei hatte aufgehört. Murchel war an der Thür und klopfte, als gälte es, zwei Todte zu erwecken. Ich ließ ihn ruhig klopfen; dann öffnete ich die Thür etwas heftig und rief: Zum Kuckuk, Murchel! sind Sie besessen?

Ich sah ihn vor mir, das volle Gesicht morgendlich geröthet und freudestrahlend. Er antwortete mir nicht, wenigstens nicht in menschlichen Tönen. Seine Lippen öffneten sich weit und ließen jenen entsetzlichen Ruf erschallen, der mich beim Erwachen so erschreckt hatte.

Murchel rief ich, Sie sind toll! Was soll das bedeuten? Wollen Sie das Haus in Grund und Boden schreien?

Wieder antwortete er nur durch jene Töne, die, wie ich mich jetzt dunkel erinnerte, eine entfernte Aehnlichkeit mit den Trompetentönen der jungen Elephanten hatten, die ich bei Renz gesehen. Und Murchel, sich auf seinen kolossalen Füßen wiegend und sein Gewieher triumphirend in die Luft trompetend, erschien mir wie ein leibhaftiger junger Elephant.

Schämen Sie sich, Murchel! sagte ich mit einem Seufzer der Ohnmacht – denn ich sah ein, daß es unmöglich sei, ihn davon abzubringen —, schämen Sie sich! Sie alter Mann!

Aber Potz Rothwein und Burgunder! antwortete er lustig, was wollen Sie? Hören Sie nicht auf der Straße?

Ich lauschte und vernahm allerdings einen ähnlichen Ruf, nur nicht so durchdringend und langgezogen.

Es sind die Milchweiber! rief er jubelnd. Mellik! Mellik!

Dieses »Mellik«, der hamburger Ausdruck für Milch, war es, was wie die Trompeten von Jericho über Murchelʼs Lippen strömte. Die erste Sylbe donnernd herausgestoßen, die zweite kurz wie ein Blitzschlag nachgesandt, das war dieses »Mellik«, das sich zu Milch ungefähr verhielt, wie gährend Drachengift zu jener erwähnten Flüssigkeit der frommen Denkart. Es war die dritte Eigenthümlichkeit, die Murchel auf dem Gebiete der freien Stadt Hamburg entdeckt; die Vierländerinnen – Tjö wöll – und nun »Mellik«. Aber dieses Dritte überstieg in seiner praktischen Anwendung alle Grenzen des Erträglichen. Es war zum Rasendwerden!

Murchel! sagte ich bittend: Hören Sie auf! Mir thut der Kopf weh!

Kommen Sie auch mit nach Kiel? fragte er sarkastisch.

Nein! rief ich trotzig. Nein! Und wenn Sie meinetwegen so lange schreien, bis ganz Hamburg zusammen stürzt.

Allons donc! Vampyr! rief er. Stehen Sie auf!

Er näherte sich dem Bette des unglücklichen Papierhändlers. Aber kein Zupfen an der Decke, kein Schütteln half. Endlich näherte Murchel seine vollen und saftigen Lippen dem Ohre Kitschotutschʼs und schrie ihm mit einer Posaunenstimme inʼs Ohr: Mellik!

Die Wirkung war elektrisch. Kitschotutsch sprang auf, als wäre ihm ein Eimer kalt Wasser über den Kopf gegossen. Und wie er uns anstarrte, mit seinem vom Schlaf gerötheten Gesicht, seinen noch mehr aufgetriebenen Wangen, seinen hohlen, übernächtigen Augen, bot er ein solches Bild lächerlichen Leiden, daß Murchel und ich laut auf lachten, und daß selbst Klapschig gelacht haben würde, hätte ihm seine Känguruhnatur diese Aeußerung menschlichen Fühlens möglich gemacht.

Wo brenntʼs? Wo brenntʼs denn? rief Kitschotutsch, uns entsetzt anstarrend.

Murchel schien diesen glücklichen Gedanken sogleich aufzufassen, denn er warf mir einen Seitenblick zu.

Ueber uns! Eine Treppe über uns! Hören Sie nicht das Knistern!

Aber Kitschotutsch wartete nicht, bis er sich durch seine Gehörorgane von der Wirklichkeit dieser Fatalität überzeugt hatte. Er sprang mit Einem Satze aus dem Bett, ergriff einen Theil seiner Kleider und wollte nach der Thür.

 

Sie haben noch Zeit, sich anzuziehen! sagte Murchel. Wir werden unterdessen das Gepäck in Sicherheit bringen und zu löschen versuchen. Machen Sie schnell!

Hier verließ ihn jedoch seine männliche Standhaftigkeit. Er konnte sich eines Lächelns nicht erwehren und brach schließlich sogar in ein lautes Gelächter aus, das seinen Culminationspunkt endlich in dem wiederholten Ruf: Mellik! fand.

Sie haben mir nur einen Schreck einjagen wollen! rief der Vampyr jetzt, die Wahrheit ahnend und setzte sich, vor Schrecken zitternd, auf einen Stuhl, immer noch im tiefsten Negligé.

So kleideten Sie sich doch an! rief Murchel.

Das ist schmachvoll! das ist indertinent! rief der Vampyr. Mich aus meinem Morgenschlaf zu wecken! Ich war so eben erst eingeschlafen. Die ganze Nacht habe ich vor Frost gezittert. Ich fühle schon die Gicht in allen Gliedern.

Und sie wird wohl darin bleiben, wenn Sie noch lange so auf dem Stuhl sitzen! sagte Murchel.

Der Vampyr begriff die Wahrheit dieser Bemerkung und suchte nach seinen Inexpressibles von Flanell. Es währte einige Minuten, ehe er sie in der Verwirrung, die er am vergangnen Abend und jetzt am Morgen angerichtet, entdeckte.

Während dieser Zeit klapperte er vor Frost. Es war ein jämmerlicher Anblick, ihn zu sehen.

Nun, wie istʼs mit Kiel? fragte mich Murchel.

Nein! erwiderte ich bestimmt. Haben Sie die tolle Idee immer noch nicht aufgegeben?

Im Gegentheil, ich bin fest entschlossen! So reisen Sie in Gottes Namen! ich bleibe hier! erwiderte ich und verließ das Zimmer, um nach dem Saal hinab zu gehen.

Dort traf ich bereits den behäbigen Wirth.

Gut geschlafen, mein Herr? fragte er mich.

O ja, und Sie, Herr Hommer, auch gut?

Tjö wöll! Was wünschen Sie?

Er sah, daß ich suchte. Ich verlangte das Fremdenbuch, in das auch wir vier Reisende am vergangenen Abend unsere Namen eingeschrieben hatten, ich wie immer den meinigen auf eine so unleserliche Weise, daß Hundert gegen Eins zu wetten war, kein menschlicher Verstand werde ihn entziffern.

Halt, da standen die Namen!

Normann, Rentier aus Danzig, und Frau.

Rosalie Barthol aus Erfurt.

Also Rosalie hieß sie. Ein schöner Name. Abgekürzt Rosa! Ganz wie ich erwartet! Und in welchem Verhältnisse stand sie zu den beiden alten Leuten? Wahrscheinlich Onkel und Tante. Rosalie Barthol, in der That ein ganz angenehmer Name!

Nun werden die Herren nach Kiel reisen? fragte mich der Wirth.

Ich nicht, antwortete ich, wahrscheinlich aber meine Begleiter.

Wenn Sie hier bleiben, so werden Sie auch ein Vergnügen haben, sagte Herr Hommer. Wir haben heute eine Parade unserer städtischen Truppen. Das wird Sie amusiren.

Ohne Zweifel. Wenn Murchel das hört . . .

Wenn er was hört? unterbrach mich der Weinhändler, der unterdessen eingetreten war.

Daß heute eine Parade der hamburger Truppen ist.

O! sagte Murchel etwas überrascht. Das ist schade! Das hätte ich gern gesehen! Hamburger Truppen – Hanseaten – Bürgergarde, das muß interessant sein. Ich war meiner Zeit auch Lieutenant in der Bürgerwehr.

Nun, so bleiben Sie! sagte ich.

Nein! meinte er. Es ist einmal beschlossen.

Aber seine Stimme war schwankend. Der Austerlitz und die Parade kämpften jetzt einen harten Strauß in seinem Innern. Die Freude am Austerlitz war ihm nun zum Theil verdorben, und ich gestehe, daß ich bösartig genug war, im Geheimen darüber ein wenig zu triumphiren.

Wünschen die Herren, hier unten Kaffee zu trinken? fragte der Wirth.

Es sei! antwortete Murchel. Wann geht der Zug nach Kiel?

Um acht Uhr. Es ist noch Zeit genug.

Murchel promenirte etwas verstimmt durch das Zimmer. Er war ein großer Freund militärischer Schaustellungen, und eine Parade des Hanseaten-Corps war eine Gelegenheit, die er gewiß ungern vorübergehen ließ.

Wenn ich nur wüßte, ob das verwünschte Schiff noch bis morgen bliebe! murmelte er vor sich hin.

Ich sagte nichts. Mein Interesse, ihn zurück zuhalten, war durchaus nicht so groß. Ein Tag Freiheit konnte mir unsäglich viel nützen.

Heute ist es wahrscheinlich noch da! sagte ich deshalb. Am Sonntag sticht kein Schiff in die See, wahrscheinlich aber morgen, am Montag.

Sie haben Recht! sagte er verdrießlich. Fatal!

Eine Droschke fuhr vor. Ich stand am Fenster. Gleich darauf erschien ein alter Herr. Es war der Onkel, dann kam die Tante, dann Rosalie.

Mir klopfte das Herz. Wie reizend sah sie aus! Sie hatte allerliebst Toilette gemacht, die Wangen waren von morgendlicher Frische geröthet. Aber wohin in aller Welt wollten sie schon so früh? Verließen sie Hamburg ganz und gar? Wollten sie nach einem Orte in der Nähe?

Sie stiegen ein, Rosalie zuletzt. Sie warf einen Blick nach dem Fenster. Ob sie mich erkannte? Ihr Blick schien mich noch einmal zu suchen. O ihr unsterblichen Götter! Wenn mir dieser Schatz für immer entrissen würde!

Meine Bewegung vor Murchel verbergend, eilte ich aus dem Saale, um Herrn Hommer oder einen Kellner aufzusuchen.

Der Kellner stand auf dem Hausflur und sah den Reisenden nach.

Wohin fahren die Herrschaften? rief ich ihm zu.

Nach Kiel! antwortete er. Sie haben gelesen, daß dort ein französisches Kriegsschiff sei, und wollen es sehen.

Nach Kiel! Ich stand wie vom Blitz getroffen. Dann müßten wir ja auf dem Schiffe zusammentreffen! Es war unmöglich, daß sich nicht dort oder auf der Reise eine günstige Gelegenheit bot. Mir schwindelte.

Aber jetzt galt es Fassung. Ich durfte mich nicht verrathen. Ruhig ging ich in das Gastzimmer zurück.

Nun, Murchel, fragte ich, sind Sie entschlossen?

Offen gesagt, nein! erwiderte er. Ich schäme mich nur vor dem Vampyr und Klapschig, sonst bliebe ich heute hier und führe morgen nach Kiel.

Ei was, sagte ich, das Wetter ist so wunderschön! Sehen Sie, wie die Sonne dort drüben auf den Fenstern glänzt. Wir wollen nach Kiel, Murchel!

Was, Sie wollen mit? rief er, mich mit offenem Munde anstarrend.

Nun freilich, es war ja nur Scherz!

Dann vorwärts! Hoioh! Mellik, Mellik, Kaffee!

Er eilte auf mich zu und umarmte mich.

Wissen Sie, mir war schon ganz bange geworden! stotterte er. Vorhin fiel mir ein, daß Keiner von uns Dreien Französisch verstehe. Wenn Sie also nicht mitfuhren . . .

Eine Liebe ist der anderen werth! sagte ich, ihm die deutsche Rechte drückend. Also vorwärts! Nach Kiel!

Jetzt war ich es, der zur größten Eile trieb, natürlich nur, um Murchel von meinem guten Willen zu überzeugen. Der Kaffee wurde mit solchem Ungestüm verlangt, daß sämmtliche Kellner und Herr Hommer selbst in die Küche hinabflogen, was, wie ich glaube, die Bereitung dieses edlen Getränkes mehr verzögerte als beschleunigte. Ich selbst lief hinauf, um den Vampyr und Klapschig zur Eile anzutreiben. Der Erstere war natürlich sehr erstaunt, mich so »antuschosmirt« von der kieler Reise zu finden. Aber im Grunde genommen, war er sehr froh darüber, und selbst Klapschig flüsterte: Das ist recht! Es ist vernünftig, daß Sie keinen Unsinn machen.

Denn von Gemüth waren sie alle ausgezeichnete Menschen. Ich bin überzeugt, daß sie sehr unglücklich gewesen wären, mich allein in Hamburg zurücklassen zu müssen, um so mehr, da ihnen die entsetzliche Gewißheit vorschwebte, sich bald auf einem französischen Schiff zu befinden, ohne ein Wort Französisch zu verstehen.

Von vielem Gepäck war nicht die Rede, und nach einigen Minuten befand sich der Vampyr in seinem Sonntagsanzuge. Auch ich gab meiner Toilette noch einen letzten Schliff. Die Droschke wurde bestellt, und wir schlürften unseren Kaffee und aßen unsere »Rumstücks« mit einer Hast, die so respectabler Gegenstände durchaus unwürdig war.

Dann rasselten wir davon, und nun zum ersten Male konnten wir einen flüchtigen Blick auf die Straßen Hamburgs werfen.

Es war ein prächtiger Septembertag, wie geschaffen zum Reisen, und als wir die Höhe hinauf nach Altona fuhren und die frische Luft einathmeten, überkam uns alle ein Gefühl der Leichtigkeit und des Frohsinns. Murchel sang ein Seemannslied mit dem allerdings sonderbaren Refrain Mellik! und der Vampyr summte etwas, dessen Melodie mir vollständig unbekannt und also wahrscheinlich Serbisch, Croatisch oder Slavonisch war. Selbst Klapschig senkte zuweilen stillvergnügte Blicke auf die lachende Erde und auf die Elbe, die wir hin und wieder zu unserer Linken erblickten.

Es war noch vollkommen Zeit, als wir auf dem altonaer Bahnhof anlangten, und wir konnten unsere Billets in aller Ruhe lösen. Natürlich begann ich sogleich wieder mein Spionagesystem, und in der That, ich entdeckte in der dritten Minute meine Schöne, die bereits mit ihren Verwandten im Coupé saß. Es war kein Zweifel, daß sie mich dieses Mal erkannte. Befremdet und erstaunt schlug sie ihre sanften Augen zu mir auf, senkte sie aber sogleich, wie ich vermuthe, vor dem versengenden Glanze der meinigen.

Ich hütete mich, hier meine graziösen Pfeilerattituden vom berliner Bahnhofe zu wiederholen, erstens deshalb, weil, wie ich glaube, kein Pfeiler in ihrer Nähe vorhanden war, zweitens, weil man in den Beweisen seiner Zuneigung immer neu sein muß, und drittens, weil ich keinen Augenblick daran zweifelte, daß mich auf dieser Reise irgend ein unvermeidlicher Zufall ohnehin in ihre Nähe führen werde. Ich begnügte mich also damit, nachlässig an ihrem Coupé vorüberzuschlendern und demselben jedes Mal einen Blick der höchsten Bewunderung und tiefgekühltesten Hochachtung zuzuwenden.

Endlich läutete die Glocke zur Abfahrt, ich saß neben meinen Gefährten, und abermals ging es fort in die »wogende See«, wie Murchel sich allegorisch ausdrückte.

Von dieser ganzen Reise nach Kiel, die drei Stunden dauerte und uns hinreichende Gelegenheit gewährte, die Brachfelder und eingezäunten Aecker Holsteins zu studiren, will ich nichts, gar nichts erwähnen, als einen erschütternden und speciell mich betreffenden Vorfall, ein Ereigniß, das mir selbst jetzt noch in der Erinnerung einen Schauer durch die Glieder rieselt, das ich nie vergessen werde – ein tragisches Ereigniß.

So führe denn du, Klio, den Griffel, den bisher die heitere Schwester geführt!

Es war auf der Station-Elmshorn, dort, wo die eisernen Bahnen sich trennen und sich in westlicher Beugung die eine nach Glückstadt wendet, während die andere nach Norden weiterstrebt, dort, wo freundliche Schweizerhäuschen dem ermattenden Reisenden freundlich entgegen lachen und ein vermischter Duft von Birnen und Pflaumen, von Käseschnitten und Schinkenbrötchen, so wie von Cognac und Portwein dem Reisenden verführerisch entgegenduftet.

Station Elmshorn! tönte die sonore Stimme des Schaffners. Zehn Minuten Aufenthalt!

Sowohl in des Vampyrs und Klapschigʼs, als auch in meinem Innern regte sich der Drang, die leichten Geister des Kaffeeʼs durch irgend eine substantiellere Nahrung zu ersetzen. Wir verließen also selb Drei das Coupé, Murchel, den väterlichen Freund mit der Obhut des Gepäckes betrauend.

Bald hatten einige Käseschnitten in der Tiefe unseres Innern das Ziel ihres Erdenwallens gefunden, und einige Gläser Portwein und Cognac waren diesem aufopfernden Beispiele gefolgt. Neu gestärkt und trefflich ausgerüstet für die weitere Reise durch das Leben verließen wir das gastliche Schweizerhäuschen und kehrten nach dem Coupé zurück.

Hier fanden wir Murchel, treu wie Loke den Nibelungenhort unseres Gepäckes hütend, aber auch mit deutlich wahrnehmbaren Zeichen, daß der unglückliche Erfolg unserer Expedition seinen Nacheiferungssinn gereizt hatte.

Es ist eine Schande, sprach der würdige Mann, daß Ihr mir nichts mitgebracht habt! Wie war der Cognac?

Süperle! antwortete Kitschotutsch, dessen röthlich angehauchte Wangen noch vom vollsten Behagen strahlten.

Murchel seufzte, aber als Mann von Bildung und Bescheidenheit unterdrückte er sowohl seinen Schmerz als seine Sehnsucht.

Schon der Kummer eines so ehrenwerthen Mannes mußte mich bewegen, mehr noch aber die sanfte Ergebung, mit der er sich in sein Schicksal fügte. Ohne ein Wort zu sagen, verschwand ich von meinem Sitze, eilte zurück nach dem Schweizerhäuschen, bestellte ein Glas Cognac und bezahlte es.

Verschiedene Glocken läuteten. Mir ward ein wenig bange. Ich beschleunigte meine Schritte, und die Hälfte des edlen Trankes war bereits verschüttet, als ich mich dem Zuge näherte. Dennoch sollte Murchel wenigstens meinen guten Willen sehen!

Wer aber schildert mein Erstaunen, als ein fremder Zug sich plötzlich vor mir befand, als ich das Coupé, in welchem die Freunde meiner harrten, nicht wieder erkannte! Noch mehr, wer schildert mein Entsetzen, als dieser Zug sich langsam, ganz langsam in Bewegung setzte!

 

Alexander von Humboldt, wo er von den Erdbeben spricht, sagt, daß der tiefe und eigenthümlich ergreifende Eindruck, den das erste Erdbeben in uns zurückläßt, nicht allein von der Erinnerung herrühre, welche die Erzählung der Schrecknisse dieser Raumbewegung in uns zurückgelassen. Es ist die Enttäuschung von dem angeborenen Glauben an die Ruhe und Unbeweglichkeit des Starren der festen Erdschicht, es ist das unheimliche Gefühl, die regungslose Masse sich bewegen zu sehen.

So erging es auch mir. Ich hatte zwei feststehende Züge verlassen, und plötzlich befand sich der eine von diesen in Bewegung vor mir, auch der andere hinter ihm schien sich zu bewegen. Und diese Bewegung war um so unheimlicher, da sie so langsam, so ruhig, so geheimnißvoll vor sich ging.

Conducteur! schrie ich entsetzt. Was ist das für ein Zug?

Nach Glückstadt.

Und der andere nach Kiel?

Fährt so eben ab!

Dann kriege ich durch die Räder hindurch! schrie ich verzweifelnd.

Das werden Sie bleiben lassen, wenn Sie nicht verrückt sind!

Da stand ich, auf der Station Elmshorn, mit meiner Untertasse in der Hand und dem Cognacglase darauf, da stand ich, und auch der kieler Zug begann sich zu bewegen, und ich war von ihm getrennt durch die furchtbare Mauer des glückstädter Zuges. Da stand ich, und in jenem Coupé saßen meine Freunde, die wie wahnsinnig meinen Vornamen riefen, mehr noch, in einem anderen Coupé saß meine schöne Unbekannte, und sie fuhren nach Kiel, und der Himmel war so blau, leichte Wolken zogen dahin, und es wehte ein frischer Wind.

Da, in der letzten Secunde, war der glückstädter Zug vorüber, und ich sah noch den kieler Zug vor mir, der sich langsam bewegte. Ich sah ein geöffnetes Coupé, ich hörte wirren Lärm, und vorwärts stürzte ich mich, wie ein Wahnsinniger. Ich war im Coupé.

Als ich erwachte – aus meiner Betäubung nämlich – war die Untertasse in meiner Hand, und das Glas darauf. Aber es war kein Tropfen Cognac mehr darin.

Murchel, Kitschotutsch und Klapschig starrten mich entsetzt an. Murchel war leichenblaß.

M., sagte er, das haben Sie für mich gethan?

Ja! sagte ich, und ich fühlte, wie der kalte Angstschweiß eine milde Anstrengung machte, durch die Poren meiner Stirn zu dringen.

Stumm saßen wir uns gegenüber. Murchel nahm das Cognacglas aus meiner Hand.

Es ist nichts mehr drin, sagte er seufzend. Und deshalb wären Sie beinahe hier zurückgeblieben.

Ich konnte nichts antworten als wieder Ja.

Er setzte das Glas an die Lippen, und ließ den einzigen Tropfen, der sich vielleicht allmälig wieder auf dem Grunde des Glases gesammelt hatte, langsam auf seine lechzenden Lippen nieder rinnen.

Er muß sehr gut gewesen sein! sagte er dann mit einem Seufzer.

Ja! erwiderte ich zum dritten Mal.

Murchel nahm sein Taschentuch und trocknete seine Stirn. Der Zug brauste durch die Felder bei Elmshorn. Wir saßen uns noch immer stumm gegenüber. Wie der Ritter, der über den Bodensee geritten, fühlte ich erst jetzt die ganze entsetzliche Gefahr, der ich entronnen.

Murchel sah mich wiederholt an. Es fehlten ihm die Worte, mir zu danken. Aufs Neue trocknete er sich die Stirn. Was mußte er leiden bei dem Gedanken, beinahe die unglückliche Ursache meines Verderbens gewesen zu sein!

In diesem Augenblicke fiel sein Blick auf die Kühe, die friedlich auf den Wiesen bei Elmshorn weideten und zum Theil neugierig ihre ernsten Häupter auf unser Coupé richteten.

Dieser Anblick schien seinen Gedanken eine andere glücklicher Weise weniger traurige Richtung zu geben. Mit dem gellenden Schmerzensschrei: Mellik! Mellik! machte er seinen Gefühlen Luft.

Das erste Lächeln rang sich wieder über meine Lippen.

Ja, Mellik, Murchel! sagte ich. Wir verstehen uns!

Wir verstehen uns! rief er, meine Hand drückend.

Und nun lebe wohl, Klio: Du hast deine Dienste gethan. Komm zurück, Kalliope, du Muse des Heldengedichts, und auch du, Erato, Muse des zärtlichen Liebesangs! Nehmt eure Plätze wieder ein. Ihr seid mir, wie immer, die liebsten Begleiterinnen auf der Eisenbahn des Lebens!

Weiter ging es hinein in den schönen Herbstmorgen und in das holsteiner Land. Es war schon Seeluft, die wir athmeten, und Murchel und ich schlürften sie mit dem Behagen von Männern, die sich dankbar an den Annehmlichkeiten dieses irdischen Jammerthals erfreuen. Kitschotutsch und Klapschig dagegen schienen nicht fein genug organisirt, um den Unterschied der Atmosphäre zu empfinden. Der Erstere suchte die verlorne Ruhe der Nacht durch ein Vormittagsschläfchen zu ersetzen, und Klapschig grübelte in seiner beliebten Känguruh-Stellung wahrscheinlich über den vortheilhaften Absatz einer Partie aufgebrühter Rosinen und verdorbener schlesischer Faßbutter.

Hinter Neu-Münster jedoch, als wir uns dem Ziele unserer Reise näherten, wurde der Vampyr munter und schien sich außerordentlich wohl zu fühlen. Er begann sein sächsisches Kauderwälsch, das er bisher noch wenig genug angewandt – denn er hatte den größeren Theil der letzten vierundzwanzig Stunden verschlafen. Ermuthigt durch das Lächeln der andern Passagiere, breitete er seine Kenntniß der Feinheiten des sächsischen Idioms auf eine wahrhaft niederschmetternde Weise aus, erzählte uns lange Geschichten und kam schließlich zu dem Resultate, daß der Morgen sehr schön sei.

Murchel und ich waren während dessen in eine Träumerei versunken, die äußerlich viel Aehnlichkeit mit Schlaf haben mochte; denn der Vampyr rüttelte uns plötzlich auf.

Da ist Kiel! Man kann Kiel sehen! schrie er.

Murchel war augenblicklich am Fenster des Coupéʼs, und sich hinausbeugend, verschloß er dasselbe so hermetisch, daß auf dieser Seite eine vollständige Sonnenfinsterniß eintrat.

Sehen Sie ʼmal hinaus, junger Jöthe! sagte er dann, sich pathetisch zu mir zurückwendend. Das ist ein Anblick für die Augen eines Dichters!

Ich blickte hinaus, und ich muß gestehen, daß Murchel Recht hatte. Die Umgebungen von Kiel sind reizend. Hohe Hügel mit Laubholz, um so höher erscheinend, da sie von tiefen Schluchten durchbrochen werden, begrenzen die saftigen Grasflächen. Man sieht weithin diese grünen Hügel, und daneben blitzt zuweilen ein Streifen See. Von den Häusern selbst sehen wir nur wenig, vom Hafen noch nichts.

Plötzlich aber sah ich auf Murchels Zügen einen eigenthümlichen Ausdruck emporsteigen. Er war wie der Schein eines fernen Feuers, der allmälig stärker und größer wird. Seine Augen richteten sich starr auf einen einzigen Punkt. Seine Lippen bewegten sich und schienen sprechen zu wollen, hielten aber das Ungeheure noch zurück.

M., flüsterte er endlich geheimnißvoll, sich zu mir herüber beugend – sehen Sie einmal dorthin!

Und er deutete mit seinem Zeigefinger, der ungefähr den doppelten Umfang meines Daumens hatte, nach Osten.

Ich blickte aus dem Coupé und konnte einen Ausdruck freudiger Ueberraschung nicht unterdrücken. Vor mir lag der blaue Meeresarm, den man mit dem Namen des Kieler Hafens bezeichnet, eingefaßt von grünen Hügeln, bedeckt von einer Unzahl regungslos liegender Schiffe – denn es war Sonntag. Es war der erste Anblick dieser Art, den ich hatte, und ich werde ihn eben so wenig vergessen, wie den ersten Kuß, den ich meiner ersten zwölfjährigen Geliebten raubte.

Nun? Sie sehen es doch? flüsterte mir Murchel zu.

Was? Den Hafen? Gewiß!

Nein, nein, ich meine da gerade in der Mitte, das da!

Er deutete mit dem Finger auf einen bestimmten Punkt, und jetzt erst fesselte ein großes, von den andern sichtlich verschiedenes Schiff meine Aufmerksamkeit. Es war eine schwarze Masse mit weißen Streifen, die mitten im Hafen in einiger Entfernung von der Stadt auf dem Wasser ruhte, oder vielmehr wie ein Felsen aus demselben hervorragte.

Selbst mein Laienauge mußte sogleich erkennen, daß dieses Schiff wesentlich von den kleineren Kauffahrern verschieden war, die größtentheils an dem Kai angelegt hatten.

Wenn das nicht ein Kriegsschiff ist, sagte Murchel ruhig und langsam, aber mit einer Stimme, die von innerer Bewegung zitterte – wenn das nicht ein Kriegsschiff ist, so will ich mich noch heut an der höchsten Raa dieses Schiffes aufhängen lassen – so wahr ich Murchel heiße!