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Die Extrafahrt

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Zuerst Herr Murchel, Weinhändler en gros, Inhaber der Firma Gotthold Abraham Murchel u. Comp., zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, fünf Fuß hoch, drei Fuß im Durchmesser, d. h. nur in der Magengegend, sehr jovial, gutmüthig, wie alle dicken Leute, ehrlich und bieder, mit heller Cravate, heller Weste und modernem Hut, als wolle er unter den Linden spazieren gehen – die lustigen kleinen Augen von angenehmer Aufregung und Erwartung der zukünftigen Dinge strahlend. Diese Zukunft wird auch dazu dienen, die anderweitigen Tugenden Herrn Murchelʼs in das gebührende Licht zu setzen. Gleich vielen großen Männern imponirt er mehr durch seine Thaten, als durch seine Persönlichkeit.

Zweitens Herr Joseph Kitschotutsch, Papierhändler, mit dem eigenthümlichen und einschmeichelnden Beinamen »Vampyr«. Ungefähr vierzig Jahre alt, schlank, mit grauem Haar, dito Bart, und Backen, die immer das Ansehen hatten, als ob sie geschwollen wären, was sie in der That auch waren. Pflanzer-Anzug, d. h. Strohhut, heller Rock und dito Beinkleider. Charakter: ohne hervorstechende Eigenschaften wie es sich für einen Papierhändler ziemt. Besondere Kennzeichen: ahmt den sächsischen Dialekt nach, wenn er guter Laune ist, und unterläßt es nie, sowohl dieses edelste Idiom deutscher Zunge, als die deutsche Muttersprache überhaupt mit Fremdwörtern zu versehen, die zwischen seinen Lippen eine fast unkennbare Gestalt annehmen. Woher er den Namen »Vampyr« erhalten, ist noch bis heute zweifelhaft. Vielleicht haben seine geschwollenen und gerötheten Backen die erste Veranlassung dazu gegeben, vielleicht auch seine eigenen Mittheilungen über sein Vaterland, das südlich von der Donau liegt und bekanntlich die Heimath jener unheimlichen und räthselhaften Classe von Gespenstern ist, die sich bisher mit dem besten Erfolge dem Blicke jedes unparteiischen Beobachters zu entziehen gewußt haben. Möglich ist es auch, daß kleine Kunstgriffe des geschäftlichen Lebens ihm jenen schmeichelhaften Beinamen verschafft. Ich meinestheils war von jeher der Ueberzeugung und bin es heute noch, daß er den Beinamen Vampyr nur von der Gier erhalten, mit der er sich auf jedes Fremdwort stürzte und es bis auf das Blut aussaugte, so wie daß seine geschwollenen Backen nur von den riesenhaften Anstrengungen herrührten, jedes derartige Wort bis zum Unerkennbaren und Unfaßlichen zu zerkneten. Im übrigen harmlos.

Drittens Herr August Friedrich Klapschig, Materialist vom reinsten Wasser, ohne allen Charakter. Seine einzigen bemerkbaren Eigenschaften sind ungefähr vierzig Jahre, seine Aehnlichkeit mit einem Känguruh, wenn er sitzt, und sein zurückgeschobener Hut, der ihm das Aussehen eines verdorbenen Engländers giebt. Seine Existenz in der Welt ist so problematisch, daß er selbst in Verlegenheit sein würde, wenn er sie zufällig beweisen sollte.

Das waren meine Reisegefährten.

Ich sehe mich unwillkürlich genöthigt, hier eine Pause zu machen, um meine Leser sich von ihrem Erstaunen erholen zu lassen. Jetzt brechen die Fragen los!

Wie? Was? Sind das Reisegefährten für einen Schriftsteller, für einen Gelehrten, für einen Dichter (die gewöhnlichen Beinamen, die man uns giebt)? Drei der unbedeutendsten Menschen, die langweiligsten Subjecte, zu denen sich der einfachste Spießbürger nicht inʼs Coupé setzen würde, aus Furcht, vor langer Weile gezwungen zu sein, aus dem Fenster zu springen? Warum wählen Sie sich nicht bessere Gesellschaft, Herr? Wie können sie es wagen, uns mit solchen Leuten ennuyren zu wollen? Weshalb wählen Sie sich nicht geistreiche Leute zu Reisegefährten?

Nur zwei Minuten Geduld! Ich will die Frage beantworten, noch ehe der Zug abgeht, kurz, summarisch.

Ich liebe geistreiche und geistvolle Leute, ich verehre sie, ich bewundere sie. Aber ich gebrauche ihren Umgang wie Medicin, wie starken Kaffee, ich wähle sie selten zu meinen Freunden und nie zu meinen Reisegefährten.

Geistreiche Leute haben immer Schrullen, sind aber selten Originale. Geistreiche Leute wollen immer dominiren, und ich mag nicht gern gehorchen. Geistreiche Leute sehen die Welt nie, wie sie ist, sondern nur durch die Brille ihres vielleicht sehr raffinirten und spirituellen Vorurtheils. Von geistreichen Leuten kann man nur lernen, wie man das Leben nicht auffassen soll. Am unausstehlichsten sind sie auf der Reise. Sie amüsiren sich nicht; sie verachten die harmlose Heiterkeit. Sie haben keinen Drang, etwas zu sehen; denn sie kennen schon Alles. Sie betrachten alle Gegenstände als nur deshalb existirend, um ihr Urtheil darüber abgeben zu können. Sie sprechen an einem Tage zwölf Stunden hinter einander, und am folgenden keine Silbe. Sie loben und tadeln je nach ihrer Laune; denn sie sind fast alle Hypochonder. Sie wollen sich nie Euren Wünschen fügen, und sind mürrisch, wenn eine Wolke am Himmel aufzieht. Gewöhnlich haben sie auch kein Geld.

Deshalb reise ich nie mit geistreichen Leuten. Ich kenne sie aus dem Grunde, denn – ich gehöre selbst zu ihnen. Ja, trotz aller meiner Bescheidenheit erkläre ich, eben so viel Geist zu haben, wie die meisten von denen, die behaupten, sie hätten welchen!

Wenn ich reise, so reise ich mit den Leuten, die mir gerade passend erscheinen. mögen sie sein, wie sie wollen. Der einfachste Seifensieder hat mehr Originalität, als der geistreiche Gelehrte.

Womit ich diesen Gegenstand für erledigt erkläre!

Es ist zehn Minuten über zehn Uhr! sagte Herr Murchel und wischte sich den Schweiß von der Stirn, eine Operation, die er regelmäßig und unter allen Umständen in Zwischenräumen von fünf Minuten wiederholte.

Ei Herr Jäses! So späte schon? rief der Vampyr.

Klapschig, der Materielle, behielt ruhig seine Känguruhstellung, die beiden Hände auf den Regenschirm stützend und mit gleichgültigen Blicken gerade vor sich hinstarrend.

Es könnte losgehen! sagte Murchel, sich aus dem Fenster legend. Hoioh! Conducteur, beilegen!

Ich sah ihn erstaunt an. Die nautischen Kenntnisse des Dicken waren mir noch nie aufgefallen. Auch der Vampyr schien überrascht. Klapschig rührte sich nicht.

Kein Conducteur in Sicht! sagte Murchel, sich zu uns zurückwendend. Und die Locomotive pfeift noch nicht!

Herr Murchel, sagte ich, Ihre Kenntniß der Seemannssprache überrascht mich. Waren Sie auf der See?

Nein, aber wir reisen nach Hamburg, mein Herr, nach Hamburg! antwortete er lustig. Hoioh!

Und Sie haben geglaubt, daß es gut sei, sich ein wenig mit der Sprache der dortigen fremden Völkerstämme bekannt zu machen?

So ist es! antwortete er wohlgefällig. Ich habe den »kleinen Seemann« durchgelesen.

Den kleinen Seemann? Wer ist denn das? fragte ich.

Ein Buch mit Seegeschichten, das mein ältester Junge mit aus der Schule brachte, antwortete der Dicke mit unverwüstlicher Laune. Ich sage Ihnen, meine Herren, die Theerjacken werden Respect vor mir bekommen.

Famos! Dölitschös! lachte der Vampyr, sich die Hände reibend.

Klapschig war noch immer in ernste Gedanken versunken.

Aber ich wünschte, es ginge fort! sagte ich.

Halloh! da ist ein Conducteur! rief Murchel. He, beilegen! Wann stechen wir in See, alter Knabe? Hoioh!

Der Conducteur, der den »kleinen Seemann« noch nicht gelesen haben mochte, war soeben bemüht, zwei Passagiere in das nächste Coupé zu zwängen, und achtete nicht auf Herrn Murchel.

He, Conducteur, wiederholte dieser, gehtʼs noch nicht bald los? Es ist ja ein Viertel auf Eilf!

In einer Viertelstunde vielleicht, mein Herr!

Was! in einer Viertelstunde? Ist das Pünktlichkeit?

Mein Herr, dies ist ein Extrazug.

Das weiß ich! Aber er soll um zehn Uhr abgehen.

Silanz, Murchel! sagte Kitschotutsch. Was wäre denn Extraʼs bei dem Zuge, wenn er pünktlich abführe!

Sie haben Recht, Vampyr! antwortete der Dicke. Und ich denke, wir benutzen die Windstille, um einen Theil unserer Fracht auszuladen! He, Materialist!

Was meinen Sie? fragte der aufgeschreckte Klapschig verstört.

Ich meine, daß wir die erste Flasche Portwein anbrechen, antwortete der Dicke.

Um Klapschigʼs dünne Lippen zog sich etwas, das einen Schmunzeln ähnlich sah und ihm das Aussehen eines lächelnden Häschens gab. Klapschig hatte wirklich ein Hasengesicht auf einem Känguruh-Leibe.

Nun, wie ist es mit Ihnen, junger Jöthe? fragte mich Murchel, mir das kleine Glas hinreichend.

Der »junge Jöthe« – ich bitte den »jungen Goethe« par excellence in Herrn Murchels Namen tausend Mal um Verzeihung! – dachte jedoch in diesem Augenblick an ganz andere Dinge. Eine Viertelstunde Zeit – vielleicht noch länger! – Die mußte benutzt werden.

Verwahren Sie mir meinen Platz, Murchel! sagte ich. Heben Sie mir mein Glas auf. Ich komme sogleich wieder.

Im nächsten Augenblicke war ich auf dem Perron. Es handelte sich darum, meine Unbekannte zu entdecken.

Das war nicht so leicht, wie es scheinen mag. Noch immer stürzten neue Massen von Ankommenden auf die Waggons zu, wie Eisschollen auf eine Brücke.

Mit männlicher Standhaftigkeit erduldete ich den Anprall der Verspäteten, die wie Tiger auf die Waggons losstürzten, und deren Nähe ich erst ahnte, wenn sie mich einige Fuß weit fort und beinahe den Perron hinab geschleudert hatten. Denn meine Augen waren nicht auf die Gefahr, sondern auf den Gegenstand meiner Sehnsucht gerichtet, und ich wünschte mit einem süßbangen Herzklopfen, einer von den Sturmlaufenden möge mich in ein Coupé schleudern, in dem ich mit einem tiefen Seufzer zu den Füßen meiner Unbekannten aus der Betäubung des Sturzes erwachte.

Unterdessen hatte ich die ganze Reihe der Wagen zweiter Classe durchmustert und kehrte zu meinem Ausgangspuncte zurück, als ich – schmähliches Schicksal – meine Unbekannte in demselben Waggon, im anstoßenden Coupé entdeckte.

Ein jäher Schreck – ich hoffte, daß sie ihn bemerken würde! Dann ernste Sammlung. Dicht neben mir war ein eiserner Pfeiler. Ich lehnte mich an denselben, mit der Grazie Damonʼs, der an einen Baum gelehnt die Flöte bläst, und in Ermangelung einer Flöte drehte ich feierlich mit der linken Hand die rechte Spitze meines Schnurrbarts, während meine Augen sich wie glühende Kohlen in die Tiefe des erwähnten Coupéʼs bohrten.

 

Es war eine Million gegen Eins zu wetten, daß meine Unbekannte mich in dieser Stellung bemerken mußte, um so mehr, da sie dicht neben der Thür saß. In der That richtete sie sogar ihre schönen dunklen Augen mit einem Ausdruck des Befremdens auf mich, senkte sie dann aber sogleich wieder auf den kleinen Sonnenschirm, den sie in der Hand hielt.

Ich hatte das erwartet. Der Augenblick war günstig, und ich holte einen jener tiefen Seufzer aus der Brust, die nach der Ansicht der Novellisten auf jahrhundertlange Leiden deuten und eine täuschende Aehnlichkeit mit jenen schauerlichen Tönen haben sollen, die verdammte Geister ausstoßen, wenn sie durch den Bannspruch eines mächtigen Zauberers gezwungen werden, die geliebten Stätten ihrer nächtlichen und unangenehmen Störungen zu verlassen.

Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß dieser Ton, dem nichts Irdisches mehr eigen war, seine Wirkung nicht verfehlt haben würde – hätte nicht in demselben Augenblick die Glocke das erste Signal gegeben.

Meine Schöne sah abermals auf. Wieder begegneten sich unsere Blicke, und mein Gesicht nahm den Ausdruck jener stillen Resignation an, die jedem Menschenkenner voraus verkünden mußte, daß ich nur auf den Abgang des Zuges wartete, um mich unter die Räder der Locomotive zu stürzen.

Ich bemerkte auch eine sichtliche Unruhe auf den holden Zügen meiner Unbekannten. Durch mein unverwandtes Anstarren konnte dieses Symptom unmöglich hervorgerufen sein. Wahrscheinlich errieth sie also meinen Entschluß und überlegte bei sich selbst, was sie thun könne, denselben zu verhindern.

Inzwischen hatten mich, was sich erwarten ließ, meine Reisegefährten bemerkt. Murchel sah mich erstaunt an, und machte dann eine Grimasse, als errathe er vollkommen, weshalb ich mich in apollinischer Anmuth an den Pfeiler lehne.

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, der einen Löwen in seinem Sprunge aufgehalten haben würde, der aber ohne allen Eindruck auf Murchel blieb.

Sackerment, Vampyr, sehen Sie! rief er pfiffig. Unser Dichter hat etwas auf dem Zuge. Wahrscheinlich im nächsten Coupé. Sie Tausendsassa! Das muß ich sehen! Hoioh!

Dieses letztere Hoioh wurde mit so markiger und Alles erschütternder Stimme in die Atmosphäre geschlendert, daß sämmtliche Personen im Nebencoupé, und unter ihnen natürlich auch meine Schöne, bestürzt zusammen fuhren und dann in ein schallendes Gelächter ausbrachen. Dem plötzlichen Erbleichen meiner Wangen folgte das tiefste Incarnat.

Murchel, sagte ich, und meine Stimme bebte vor Entrüstung, Murchel, ich habe Sie sehr lieb; aber Sie sind heut, Sie sind – sehr lustig! Wagen Sie es nicht, Ihren Platz zu verlassen. Oder ich schwöre Ihnen, daß ich mein nahes Ende dazu benutzen werde, um mich in die Truggestalt von tausend Geistern zu hüllen, die in Ihrer Weinstube auf Credit trinken und Sie ruiniren werden!

Es bedarf keiner Erwähnung, daß diese Worte in jenem »bei Seite« Ton geflüstert waren, den alle Andern deutlich vernahmen, vielleicht nur Murchel nicht.

Er hatte ihn aber zufällig ebenfalls vernommen und schloß sein dämonisches Lachen mit einem abermaligen Hoioh.

Ich fühlte jetzt, daß meine Stellung unhaltbar wurde, und da ich fürchtete, daß es schwer sein würde, die Rolle des Verzweifelnden mit dem unbefangenen Lächeln eines Extrafahrers zu vertauschen, so ließ ich meinen rechten Fuß, der malerisch über dem linken gelegen, einen zierlichen Halbkreis beschreiben, ließ den oberen Theil des Körpers diese Bewegung nachahmen, warf noch einen einzigen Blick, der Alles sagte, auf meine Unbekannte und stürzte mich, den tiefsten Grimm im Herzen, in unser Coupé.

Murchel, der so eben sein Glas von Neuem füllte, hatte das Intermezzo bereits vergessen. Ich wußte ihm Dank dafür und konnte schweigend meinem Schmerze nachhangen.

Ja, sie war in der That schön, schöner, als ich zuerst geahnt. Und was mich vor Allem fesselte, war ein Ausdruck des Leidens, ein matter Zug des Kummers auf ihrem holden Antlitz! Weshalb war sie betrübt? Barg sie in ihrem Herzen eine unglückliche Liebe, die auf dieser Extrafahrt vergessen werden sollte? Waren ihre beiden älteren Begleiter grausame Schergen, die sie mit Gewalt von dem Orte ihrer geheimen Wünsche entfernt? Oder war es nur der Kummer, daß sie ganz allein mit älteren Personen in dem Coupé saß, daß keine fühlende Brust – zum Beispiel die meinige – die Leiden und Freuden der langen Fahrt mit ihr tragen konnte? Ich schwur mir selbst, daß ich es erfahren würde, und eine geheime Ahnung sagte mir, ich würde glücklich sein, das heißt, ich meine, so glücklich, es zu erfahren!

Das zweite Signal ertönte, und mit ihm das verdoppelte Angstgeschrei zahlreicher Passagiere, die sich verspätet. Ah, sagte der dicke Murchel mit Wohlbehagen, sie lichten die Anker! Liebchen, Ade! Morgen gehtʼs in die wogende See! Wollen Sie das letzte Glas Portwein, M.?

Der M. war ich, wie immer in dieser einfachen Schilderung.

Sie wollen nicht? fuhr er fort, als er meine ablehnende Bewegung sah. Aber Sie, Vampyr? Natürlich!

Kitschotutsch nahm es und trank es mit einem Behagen, das seinem Namen Ehre machte. Hat es je einen Namen gegeben. welcher der Operation des Aussaugens mehr entsprochen hätte?

Merci! Das ist ein soblimter Wein! sagte der Vampyr, mit der Zunge schnalzend.

Murchel war eben damit beschäftigt, die leere Flasche unter den Sitz zu stecken, ein Geschäft, bei dem ihm sein Bauch nicht gerade behülflich war. Er machte eine Bewegung, als ob ihn Jemand leise auf die Schulter klopfte, und blieb in seiner gebückten Stellung, die zehn Schweistropfen zu gleicher Zeit auf seine geröthete Stirn trieb. Ich machte die Bemerkung – nicht zum ersten Mal —, daß er eine Ahnung davon habe, mit des Vampyrs Fremdwörtern gehe es nicht mit rechten Dingen zu.

Wie meinen Sie? fragte er verdrießlich. Sie meinen, der Wein hat Blume. Das hat er allerdings.

Ja, das meinte ich! bekräftigte der Vampyr. Aber jetzt hat er sie gehabt, Dickerchen.

Dickerchen war sehr empfänglich für harmlose Scherze, aber sie mußten von der allerunschuldigsten Natur sein. Da der obige unzweifelhaft zu dieser Gattung gehörte, so stimmte er ein kräftiges Gelächter an und verscheuchte damit den trüben Geist des Nachdenkens, den das Fremdwort des Vampyrs in ihm hervorgerufen.

Es trat eine Pause ein. Die Passagiere schienen untergebracht. Nur hin und wieder noch keuchte ein athemloser Berliner mit Reisetasche, Schirm und fliegendem Gewand an uns vorüber. Die Pfeife der Locomotive gellte uns durch Mark und Bein.

Es wird losgehen! sachte Murchel jetzt feierlich. Es wird aber wohl noch eine Minute dauern. Vorher erlauben Sie mir, meine Herren, Sie mit einer wichtigen Entdeckung in Betreff unseres Freundes Klapschig bekannt zu machen.

Der Materialist zuckte zusammen, sobald er seinen Namen erwähnen hörte. Ich glaube er erbleichte sogar, als er seine glanzlosen Augen auf den Weinhändler richtete.

Er kriegt wahrhaftig einen Schreck! lachte Murchel vergnügt. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Klapschig, seien Sie ein Mann! Bedenken Sie, daß wir eine Reise vor uns haben!

Der Materielle fand keine Antwort auf diese echt römische Anrede. Er blickte verstört auf Murchel, auf den Vampyr und auf mich.

So hört denn, hört, daß dieses die erste Reise unseres Freundes Klapschig ist, die erste! sagte Murchel feierlich. Er hat die Stadtmauer noch nie verlassen.

Wirklich, Klapschig? rief ich, aufrichtig erstaunt. Ist das wahr?

Klapschig machte ein Gesicht, als sei er eines unerhörten Verbrechens angeklagt worden, und ließ so wenig von sich hören, als sei er wirklich ein Hase, oder ein Känguruh.

So antworten Sie doch! rief Murchel imponirend. Habe ich nicht Recht?

Nein! antwortete der Materialist mit dem leisen Tone eines verstockten Meuterers.

Was! Sie sagen Nein? rief Murchel mit einer Stentorstimme. Herr, Ihr Vater hat es mir selber gesagt.

Ich bin aber schon einmal in Potsdam gewesen! antwortete Klapschig, und etwas wie ein triumphirendes Lächeln glitt über sein Gesicht und erhellte dasselbe ungefähr in dem Grade, wie das Leuchten eines Johannis-Würmchens ein nächtlich dunkles Gebüsch.

In Potsdam? rief Murchel. Das haben Sie mir ja nie gesagt.

Es ist auch schon lange her; erwiederte Klapschig entschuldigend.

Zum Kuckuk! was hatten sie denn da zu thun? inquirirte Murchel mit verdrießlicher Miene.

Ich kaufte Rosinen von einem bankerotten Kaufmann, lispelte das Känguruh und starrte nach allen vier Weltgegenden.

Und das nennt er eine Reise! rief Murchel im Tone der tiefsten Verachtung. Nach Potsdam! War es mit der Eisenbahn?

Ja, im ersten Jahre, als sie gebaut war, antwortete Klapschig so gefaßt, als stände er vor Gericht.

Und Sie vertrauten sich einem so gefährlichen Institut an? fragte ich theilnahmsvoll. Sie riskirten Ihr Leben?

Mein Vater wollte es haben! antwortete Klapschig, und etwas wie ein Seufzer oder wie ein Aechzen düsterer Erinnerung drang aus seiner Brust.

Das ist wirklich redekihl! lächelte Kitschotutsch in sächsischem Dialekt.

Was? Was sagen sie da? fragte Murchel, die Stirn runzelnd. Es ist redekihl, meine ich! antwortete der Vampyr, sichtlich eingeschüchtert und seiner Sache ungewiß.

Wie lange sind Sie in Berlin? fragte Murchel weiter, und auf seiner Stirn schienen die Donner eines fernen Unwetters zu grollen.

Zwölf Jahre! antwortete der Vampyr, jetzt seinerseits in sichtbarer Verlegenheit.

Zwölf Jahre, und Sie wissen noch nicht, daß es der reene Kiehn heißt? brach Murchel los. Na, so etwas . . .

Halt, Murchel! unterbrach ich ihn mit dem unerschütterlichen Ernste, den mir die Natur auch in den außergewöhnlichsten Lagen des Lebens verliehen hat. Halt! Hier scheint eine Begriffs-Verwechselung obzuwalten.

Halt! rufen auch die Leser. Halt! das wird trivial!

Es ist das sehr leicht möglich, und ich bin weit entfernt, es zu leugnen. Aber weshalb soll ich nicht ein wenig trivial sein, wenn es sich um die Aufklärung der kommenden Jahrhunderte handelt? Niemand, und am allerwenigsten der Leser, wird daran zweifeln, daß diese Blätter das Entzücken der nächsten Generationen bilden werden. Und dann? Wäre es nicht unverantwortlich, diese Generationen im Dunkel über eine der feinsten Nuancen zu lassen, die der berliner Witz je erfunden? Sollen wir der Zukunft die elastischen Worte der Gegenwart vorenthalten? Nimmermehr! Ich schreibe für die Nachwelt, und deshalb habe ich das Recht, trivial zu sein! – Und nun weiter!

Wie so? fragte mich Murchel finster. Ich, als geborner Berliner.

Sie wissen ohne Zweifel, was der »reene Kiehn« ist, unterbrach ich ihn abermals und auch ich habe das Vergnügen, zu wissen, daß unsere Landsleute mit diesem gewichtigen Worte die höchste Potenz, die Quintessenz von etwas Ausgezeichnetem bezeichnen. Ich weiß auch, daß nur die eine Partei sich dieser Parole bedient, während die andere das sanfte Wort »reiner Zucker« gebraucht, ja, daß eine dritte Schattirung sich sogar die einschmeichelnde Bezeichnung »reine Sahne« angeeignet hat. Aber Herr Kitschotutsch meinte etwas Anderes.

Ja, ich glaube auch! sagte der Vampyr ermuthigt.

Nun, was denn? fragte Murchel, noch immer grollend.

Er übersetzte das Wort ridicül ins Sächsische.

Ridicül? Nun, das weiß ja jedes Kind, was das heißt! brummte Murchel. Sprechen Sie Deutsch und nicht Sächsisch, wenn man Sie verstehen soll, Vampyr! Ridicül! Das weiß ja ich sogar noch von der Mnemotechnik her.

Wie, Murchel, haben Sie jemals mnemotechnische Vorträge gehört? fragte ich überrascht.

Ob! erwiederte er selbstgefällig. Zwei sogar.

Und haben Sie etwas profitirt?

Wie Sie hören! Ich dächte doch! Es war ein Sackermentsbursche, der Mem – Mem – Mnemotechniker! Wissen Sie, wie mir uns das Wort ridicül merken mußten? »Meine Herren,« sagte er, »denken Sie an eine Reibekeule, mit der man Kartoffeln oder Mohn reibt. Das Wort ist lächerlich, die Bewegung ist ebenfalls lächerlich, also: ridicül lächerlich!«

Famos! rief Kitschotutsch entzückt, während Klapschigʼs Augen an Murchelʼs Lippen hingen und es deutlich aussprachen, daß er von dieser salomonischen Weisheit nicht das Mindeste begriffen habe.

Ist dieser Gegenstand erledigt? fragte der Dicke jetzt, seine frühere Amtsmiene wieder annehmend.

Ich dächte, ja! antwortete ich ihm mit der Würde, die dem Ernst des Augenblickes ziemte.

Nun will ich das Hauptthema wieder aufnehmen! begann Murchel jetzt von Neuem. Klapschig – der Materielle zuckte abermals zusammen – Klapschig, wir können Ihre erste Reise nach Potsdam nicht gelten lassen, denn sie ist keine Reise gewesen. Sie befinden sich dem zufolge jetzt auf Ihrer ersten Reise, und Sie werden ebenfalls demzufolge in Hamburg etwas zum Besten geben!

 

Hurrah! Ja das muß er! riefen der Vampyr und ich zu gleicher Zeit und mit demjenigen Enthusiasmus, den ein solcher Vorschlag stets hervorzurufen pflegt.

Der Materielle zog die Mundwinkel noch häschenartiger zusammen und beugte sich etwas tiefer auf seine Hände und auf den Regenschirm.

Ach, Unsinn! sagte er dann. Sie wollen mich foppen!

Foppen! wiederholte Murchel, vorwurfsvoll den Kopf schüttelnd. Bedenken Sie mit wem Sie sprechen, Klapschig!

Ja, mein Vater hat mir gesagt, ich solle mich nicht übers Ohr hauen lassen! wandte der Materielle mürrisch ein.

Damit kann Ihr Vater mich nicht gemeint haben, denn er hat Sie meiner Obhut anvertraut! sagte Murchel. Also – Sie werden in Hamburg etwas zum Besten geben.

Klapschig drückte die Hände, die über den Regenschirm gefaltet waren, etwas fester übereinander, und auf seinem verstockten Gesichte las ich den Entschluß: Ich werde nicht!

Ein abermaliger herz- und ohrenzerreißender Pfiff der Locomotive machte dieser Conversation ein Ende, die für denjenigen, der etwas zum Besten geben soll, ohne Zweifel stets ihre unangenehme Seite hat.

Klapschig fuhr erschreckt zusammen, als die Wagen schwankten und rasselten. Murchel stieß ein weithin schallendes Halloh aus, in das die Passagiere übermüthig einstimmten. Die lange Reihe der Waggons setzte sich langsam und schwerfällig in Bewegung, wie eine Riesenschlange, die ihre eisernen Glieder aus einander dehnt.

Wollte ich Anspruch darauf machen, ein getreuer Berichterstatter dieser denkwürdigen Fahrt zu sein, so würde es meiner Feder nicht an Stoff und meinem kindlichen Sinne nicht an Gelegenheit zu vielen gutmüthigen Bemerkungen fehlen. Aber wenn diese Fahrt auch denkwürdig war für mich, wenn sie auch eine tiefe Narbe in meinem Herzen zurückgelassen hat, die immer noch schmerzt, wenn ich mich jener September-Tage erinnere – so ist sie es doch nicht für das Universum, oder nicht einmal für jenen beschränkten Raum, in dem die deutsche Zunge klingt und für den diese Erinnerungen bestimmt sind. So will ich mich denn nur an die großen Ereignisse halten, die auf unserer Fahrt Epoche machten; das Licht meiner Aufklärung soll nur über die Spitzen dahinstreifen, die sich mit gerechtem Stolze über die Anzahl kleiner Abenteuer erheben.

Ich erwähne demgemäß fürs Erste nur, mit welcher Neugierde alle Gegenstände in der Nähe Berlins betrachtet wurden, welche wir sonst oft genug gesehen, die uns aber von dem Waggon aus in einem ganz neuen und fremdartigen Lichte erschienen und vielfach zur Bereicherung unserer topographischen Kenntnisse beitrugen.

Ich erwähne ferner, mit welchem Jubel jede neue Station begrüßt wurde und wie Murchel, der Vampyr und Klapschig, unterstützt von meiner Wenigkeit, eifrig darauf bedacht waren, jede Station mit dem Denkstein einer geleerten Portweinflasche zu bezeichnen – ein Unternehmen, das wesentlich dazu beitrug, der Fassungskraft und dem Selbstbewußtsein des Vampyrs und des Materiellen eine feste Grenze zu setzen und sie in jene Welt unmeßbarer Räume und unfaßbarer Phantasieen zu erheben, aus der wir gewöhnlich erst durch die Anwendung von kaltem Wasser oder schwarzem Kaffee zurückkehren.

Ich erwähne ferner, daß auch mich ein träumerisches Gefühl überkam, als »Dorf und Busch und Baum verschwand«, auf jenen öden Haiden, die Wilibald Alexis so herrlich geschildert hat und die ich erst bei der Rückkehr nach ihrem wahren Werthe würdigen lernte.

Ich erwähne ferner des heißen Kampfes, der in Wittenberge um die Beefsteaks, Cotelettes und Seidel entbrannte, die in zehn Minuten entdeckt, vertilgt und bezahlt sein sollten; ich verzichte aber darauf, die Einzelheiten dieses Scharmützels zu beschreiben, dessen nähere Schilderung in einer neuen Ausgabe der »kriegsgeschichtlichen Operationen der Neuzeit« erscheinen wird, und begnüge mich, den Leser mit jener Schnelligkeit, die nur dem Dichter erlaubt ist, unmittelbar auf das Territorium der freien Stadt Hamburg zu versetzen.

Vorher aber scheint es mir erheblich, zu erwähnen, daß ich die Minuten, die man uns auf jeder Station gewährte, eifrigst dazu benutzte, tiefe und bedeutungsvolle Blicke in das Nebencoupé zu meiner schönen Unbekannten zu senden, Blicke, die mich auf jeder Station mehr überzeugten, daß sie nicht verschwendet, sondern auf einen Gegenstand gerichtet waren, der eine so anhaltende Aufmerksamkeit im höchsten Grade verdiente; Blicke, die kurz gesagt, je mehr wir uns Hamburg näherten, um so »verliebter« wurden – bei welcher allgemeinen Bezeichnung ich es bewenden lassen will. Es war, wenn ich nicht irre, auf der Station Bergedorf, wo uns zuerst das Glück zu Theil wurde, die Bekanntschaft eines neuen und zwar weiblichen Völkerstammes zu machen, den einzelne Ethnographen in dieselbe Linie mit dem der Circassierinnen stellen. Hier boten die ersten Vierländerinnen sich unseren Blicken dar, und Murchel begrüßte sie mit einem donnernden Hoioh, rief die nächsten heran und begann auf eine empörende Weise mit ihnen zu scharmuziren. Es gelang auch seinen Bemühungen, den Vampyr und den Materialisten aus ihrem Traume zu erwecken, damit sie diese Wunder der Welt schauen könnten. Seine uneigennützigen Bemühungen aber ernteten, wie immer, den schwärzesten Undank. Klapschig und Kitschotutsch mochten in ihren Träumen ganz andere wunderbare Gestalten des schönen Geschlechtes geschaut haben.

Was haben die denn für Taillen! brummte der Vampyr. Die sehen ja aus als hätten sie vergessen, Röcke über die Schnürleiber zu ziehen. Wecken Sie mich nicht wieder um solcher Frauenzimmer willen, Murchel, das sage ich Ihnen!

Bauerammen! Kenne das! murmelte Klapschig. Unsere Jette muß auch von hier sein! Lassen Sie mich in Ruhe, Murchel! Der dicke Weinhändler war grimmig geworden.

Meine Herren, sagte er, ich verzeihe Ihnen, daß Sie keinen Geschmack haben. Aber Sie dürfen nicht mehr schlafen. Wir sind jetzt gleich in Hamburg und ich habe nicht Lust, Sie auf den Rücken zu backen und in die Stadt zu tragen.

Unsinn! wir sind ja eben erst aus Berlin abgefahren! murmelte der Vampyr schlaftrunken und begann zu schnarchen. Klapschig beeilte sich, diesem Beispiel zu folgen.

Murchel und ich wechselten Blicke des Mitleids und stiller Theilnahme. Es dämmerte; der Zug brauste auf den Schienen der letzten Station dahin. Ein leichter Regen fiel.

Was fangen wir mit den Beiden an? fragte mich der Dicke.

O, in Hamburg werden sie schon munter werden! sagte ich. Wenn sie nur erst wieder auf ihren Beinen stehen!

Murchel machte ein bedenkliches Gesicht, und es entspann sich nun zwischen uns Beiden eine lebhafte Debatte über den zu wählenden Gasthof. Murchel sagte, er hätte gehört, die »lustige Fregatte« sei ein in jeder Beziehung vortreffliches Gasthaus. Ich für mein Theil hatte nie etwas von dieser Firma vernommen und setzte Zweifel in die hotellistischen Kenntnisse meines Freundes. Aber der Dicke war hartnäckig, wie immer, und da ich bereits einen ganz anderen Plan in mir entworfen, schwarz wie die Nacht, die sich jetzt auf uns niedersenkte, so hörte ich endlich auf, ihm zu widersprechen.

Hamburg! Station Hamburg! ertönten jetzt die Stimmen der Conducteure, und ihnen folgte ein donnerndes Hurrahgeschrei, zu dem Murchel sein Möglichstes beitrug. Der Vampyr und Klapschig taumelten schlaftrunken empor.

Murchel, sagte ich, meinem Freunde die Hand drückend, ich werde eine Droschke besorgen. Seien Sie ganz unbekümmert, ich werde Sie schon sehen, wenn Sie draußen sind. Rufen Sie nur nach mir, ich werde ebenfalls nach Ihnen rufen. Und nehmen Sie in dem Gedränge Ihre Taschen in Acht!