Za darmo

Makk

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12

Was doch oft ein einziges Wort in der Welt thut!

Während die drei Herren, nach der Tafel, mit einander über die interessanten Tisch-Verhandlungen noch dieß und jenes besprochen, war  die junge Pfarrfrau mit Julien in den Schattenparthieen des Gartens einigemal auf und abgegangen. Sie hatte Gotthold früher nicht gekannt, und war von seinem blühenden Aeußern, von seiner feinen Gewandtheit, von seinem Anstande, von der Bildung seines Verstandes, von der Züchtigkeit seiner Sitte, vom Umfange seines Wissens, von dem Reichthum seiner frohen Laune rein bezaubert; Julie nickte allen ihren Aeußerungen beifällig zu, denn sie hörte sich selbst sprechen; sie hätte das alles einer dritten auch, und mit noch viel feurigerem Enthusiasmus gesagt, wenn es sich, nach ihrem Gefühl, für ein Mädchen geschickt hätte, über einen jungen Mann in der Art sich zu äußern; aber sie erschrak auf einmal so durch und durch, daß sie auf dem Flecke stehen blieb, und daß ihr das Blut in allen Pulsen stockte, als die kleine unbesonnene Frau die Bemerkung fallen ließ, daß der Graf in Julien bis zum Sterben verliebt sey; sie behauptete, das schon in der Kirche bemerkt zu haben, und bei der Tafel sei es ihr vollends klar geworden; sie widerlegte Julchens Sträuben gegen den Glauben an die Wahrheit dieser sie überraschenden Mittheilung  durch hundert kleine Züge, durch die sich Gotthold nur gar zu deutlich verrathen habe, und erzählte, als Julchen, halb böse, das Alles für einen albernen Scherz erklärte, und die Neckerinn bat, nicht außer Acht zu lassen, daß Gotthold Graf und sie eine schlichte Bürgerinn sey, ein halbes Dutzend Fälle aus der kurzen Erfahrung ihres Residenz-Lebens, wo Barone und Grafen aus den ältesten Familien des Landes, Mädchen bürgerlicher Herkunft geheirathet hatten, und mit ihnen, so viel man dieß wenigstens äußerlich habe beurtheilen können, recht glücklich lebten – daß in allen diesen Fällen das Geld, und nur das Geld allein, die armen reichen Bürgermädchen unter die Grafenkrone gebracht, und daß in allen diesen Fällen die Liebe und die persönliche Achtung, von Seiten der Goldgierigen, nie in das Spiel gekommen, das erzählte sie freilich nicht —

Julchen hatte sich, ob gleich ihr Geheimgefühl der unvorsichtigen Freundinn Recht gab, und ob sie gleich sich sagte, daß Etwas der Art schon gestern, als er ihr das Vergißmeinnicht überreicht, und als er sie nach Hause begleitet, und als er neben ihr bis eilf Uhr gesessen, so  halb und halb selbst vorgekommen, mit Gewalt gegen die Idee von der Möglichkeit eines solchen Falles zwischen sich und Gotthold gestemmt; diesen Mittag nun ja, gut mußte ihr Gotthold seyn, denn wenn er zu des Pfarrers oder des Verwalters Vorschlägen sich auch einmal nicht ganz geneigt gefühlt, oder wenn deren Ausführung ihm zu schwierig, zu kostspielig geschienen, und sie nur ein Wort zu ihren Gunsten gesprochen, so hatte er augenblicklich seine Einwendungen aufgegeben, die dagegen sprechenden Schwierigkeiten selbst beseitigt, und die Idee der Ausgleichung mit lebhaftem Antheil ergriffen.

Er hatte ihr bei Tische das schönste Obst ausgesucht und auf den Teller gelegt; er hatte ihr – eigentlich gebührte der Pfarrfrau, als der Verheiratheten, der Vorrang – aber er hatte ihr immer zuerst eingeschenkt, ihr zuerst alle Schüsseln reichen lassen – das Eis – er hatte ja selbst gesagt, wie ihn Leberechts gescheiter Einfall vorzüglich darum so gefreut, weil es dadurch ihm möglich geworden, ihr Gefrorenes, was, wie er sich von sonsther erinnere, ihre Lieblingspeise sey, bereiten zu lassen. – Den Champagner – noch gestern  hatte sie zufällig gesagt, daß ihr das der liebste Wein sey, und heute muß der arme Ulrich auf Tod und Leben reiten, blos um einer ihrer kleinen Liebhabereien willen. – Beim Heimgehen hätte er eigentlich die Pfarrerinn führen sollen; aber er hatte sich ihren Arm ausgebeten, und von der Pfarrwohnung bis nach Hause, war sie hundert und aber hundertmal allein gegangen, und es hätte ihr auch dießmal gewiß kein Mensch etwas gethan, aber er hatte es sich nicht nehmen lassen, er hatte sie heim begleitet, und – indessen, das alles waren noch keine Beweise von dem, was die junge Pfarrfrau gemeint – das alles war nichts als Gutseyn von früher Jugendzeit her, Artigkeit, feiner Anstand, manierlicher Weltton – daß der gute Freund gestern Abend bis eilf Uhr saß, und immer nicht fort wollte, das war wirklich nichts als ein bischen Faulheit. Er mochte den ganzen Tag was Ehrliches herumgelaufen und geritten seyn, und nun war er müde, und es grauete ihm darum vor dem Heimwege; als sie ihm mit dem Levkoie-Stengel den frischen Nachtthau tüchtig in das Gesicht gespeist, und ihn wieder munter gemacht  hatte, da hatte er wohl Beine bekommen – daß er heute wieder bis um eilf, – und sogar bis um zwölf Uhr sitzen geblieben war, das lag an ihr; daran war sie selbst Schuld, sie hatte ihn nicht zeitig genug an das Gehen erinnert; und lieber Gott, eigentlich schickt es sich doch überhaupt nicht, einen zu bitten, daß er gehe, – und diese Bitte gar an Jemand zu richten, bei dem man erst diesen Mittag gegessen, und von dem man mit Artigkeiten jeder Art überschüttet worden, schickt sich nun vollends gar nicht; auch waren ihr die Paar Stündchen so schnell vergangen, daß sie selbst, nicht geglaubt hatte, es sey schon so spät.

Aber für Liebezeichen konnte sie das doch wirklich auch nicht nehmen; der Steuerrath, wenn der sie einmal besuchte, klebte jedesmal bis eilf Uhr und noch länger auf dem Stuhle, und ging nie eher, als bis Julchen und der Vater um die Wette gähnten, und er dann, davon angesteckt, laut mitgähnte, und Julie ihm bemerkte, daß er recht schläfrig zu seyn scheine, und, wenn das noch nicht ziehen wollte, das Zaunpfahlwinkchen hinzufügte, daß es auch schon recht spät sey, – aber darum war zwischen  ihr, und dem langweiligen Steuerrathe doch kein Liebesverhältniß! —

Heute Abend – als Gotthold neben ihr in der Laube gesessen – einigemal hatte er wohl wunderliche Reden fallen lassen, und so komisch durch einander gefragt, daß ihr heimlich oft das Lachen angekommen; ob es ihr wohl lieb seyn würde, einmal immer auf dem Lande zu leben; und wen sie unter den jungen Leuten ihrer Bekanntschaft am liebsten sähe; und ob es ihr nicht einmal leid thun werde, aus dieser schönen Gegend für immer und ewig zu scheiden; und welchen Berufstand sie wählen würde, wenn sie einen solchen für einen Mann zu bestimmen hätte; und dergleichen sonderbare weit ausholende Fragen mehr, aber das alles konnte er auch aus bloßer Neugierde, ohne alle Nebenabsicht fragen, meinte sie, wider ihre innere Ueberzeugung sich selbst belügend, und lüftete die leichte seidene Decke, die diese Nacht, schwer wie ein Bleidach, auf ihr lag, denn war es der hundertjährige Rheinwein oder Tokayer, oder der junge Schaumwein, den ihr Gotthold fleißig eingeschenkt, oder war es die schwüle Sommernacht, oder die Glut seiner Küsse, mit denen er diesen Abend wohl über die Gebühr freigebig gewesen war, aber sie hatte eine Hitze, daß sie kein Auge zuthun konnte.

Sie wollte an etwas anderes denken, aber immer kam ihr Gotthold vor die Seele, wie er mit so schmachtendem Blick an ihrem Auge gehangen, als er sie gebeten, daß sie ihn doch auch Du heißen möchte, und wie sie, weil er gar zu schmelzend gebeten, und ein Schnippchen geschlagen und geschmollt, da sie es ihm aus guten Gründen auf dreimaliges dringendes Bitten dennoch abgeschlagen, endlich, um ihn nur wieder gut zu machen, zwar zugesagt, aber unter dem Beding, daß das nur unter vier Augen geschehe, und daß sie es lediglich zusage, weil sie sich früher in ihren Kinderjahren auch gedutzt, und daß es gänzlich ihr freigestellt bleiben müsse, dieß Du, späterhin, ohne die veranlassende Ursache angeben zu dürfen, wieder zurückzunehmen, und wie er in das alles gern und freudig gewilliget, und sie nun gebeten habe, ihr zum Gutenachtkuß ein recht herzliches Schlafwohl zu sagen, und wie sie theils, um ihn ein bischen zu necken, theils aus Ungewohnheit der  Sache, und aus blöder Mädchenhaftigkeit, das nicht habe herausbringen können, sondern immer, schlafen Sie wohl gesagt habe; und wie er halb in Spaß halb in Ernst, Seele und Leben verpfändet, nicht eher von dannen gehen zu können, als bis sie so gesagt, wie er gebeten und sie es versprochen; und wie über das Wollen und nicht Können, fast eine ganze Stunde verflossen, und zwölf herangekommen, und wie sie, um seiner nur los zu werden, ihm endlich den Willen gethan, und wie sie es ihm, als sie es nur erst einmal über die Lippen gebracht, drei-, viere und fünfmal habe wiederholen müssen, und wie er dann, im Uebermaße seiner Freude, sie mit beiden Armen umschlungen, und ihr Mund und Auge, und Stirn und Wangen mit süßen bedeckt, – das, ja das, meinte sie lächelnd,und legte beide Händchen auf die entfesselte Brust, in welcher der kleine geflügelte Mordbrenner, Amor genannt, eine Feuersbrunst anschürte, die nie verlöschen sollte, das, ja das schien ihr selbst die Ansichten der Pfarrfrau in etwas zu bestätigen.

Sie lispelte leise: Schlaf wohl, lieber Gotthold, schlafe recht wohl, mein süß geliebter Freund,  und schlummerte hinüber in das Reich der glücklich Liebenden, in das Reich der Träume.

13

Gotthold hatte auch nicht schlafen können. Die Seligkeit dieses ganzen Tages, vornehmlich aber dieses Abends hatte ihm alle Nerven so durchstürmt, daß er die Munterkeit selbst war. Es brütete Großes in ihm, und um den Augenblick seiner Stimmung zu benutzen, setzte er sich hin und schrieb dem Vater die Geschichte seiner Tage hier vom Anfang bis zu Ende, die sich mit der Bitte um die Erlaubniß schloß, Julien seine Hand anbieten zu dürfen. Er behauptete zwar, das Bild ihrer Tugenden und Reize ganz leidenschaftlos entworfen zu haben, aber das war nicht wahr; die Feder flog ihm, fast schneller als seine Gedanken; jedes Wort athmete die glühendste Leidenschaft, und der Ernst und die Festigkeit, die aus jeder Zeile sprachen, machten es klar, daß diese Wahl eine wohlüberlegte sey, und um keinen Preis der Welt werde aufgegeben werden.

 

Des Vaters Antwort lautete also:

»Du bist ein Phantast; der Herr Pfarrer ist ein Schwärmer; die Mamsell Strenge eine Närrinn und der Verwalter ein Esel.

Eure philanthropischen Pläne passen recht gut in einen Roman, oder in ein Rührspiel; da mag ich so etwas selber gern leiden, denn da kostet es nichts und liest sich hübsch, oder sieht sich recht gut mit an; aber in der wirklichen Welt muß man am Boden bleiben und nicht im Himmel herumschwärmen. All die Projekte sind unnütz, denn die Bauern haben sich bisher auch ohne Eure herzbrechenden Einrichtungen recht wohl befunden, und die ganze Geschichte ist lediglich auf Geld abgesehen, das ich aber besser brauchen kann und gerade jetzt am wenigsten übrig habe, wo ich für deinen Herrn Bruder in Paris eine unchristliche Schuldensumme zu bezahlen habe. Ihr Beide, wenn ich Euch den Zügel ließe, könntet mich bald auf die Hefen bringen; der, durch seine Spielwuth und durch seinen geldversplitternden Umgang mit einer der ersten dortigen Solotänzerinnen, und durch andere dumme Streiche der Art; Du, durch deine Volkbeglückungwuth.  Doch will ich dem Ferdinand, beim rechten Lichte besehen, seine Verirrungen, die am Ende nur vorübergehend sind, und deren sich manche andere seines Standes auch wohl haben zu Schulden kommen lassen, wahrhaftig lieber noch verzeihen, als Dir den Schluß deines Briefes, den Du nur in einem Fieberanfall kannst geschrieben haben. Du kennst meine unerschütterlichen Grundsätze, und weißt, was Du der Ehre deines uralten Geschlechts und deinen ruhmwürdigen Altvordern schuldig bist. Du solltest nur die Gesichter sehen, die an den großen Courtagen geschnitten werden, wenn die Herren Grafen, die sich auch so weit vergessen haben, einer Bürgerlichen ihre Hand zu bieten, mit ihren neugebackenen Gräfinnen bei Hofe erscheinen; ich glaube, alle unsere Ahnen wendeten sich in ihren Gräbern um, wenn sie einen Ulmenhorst durch eine solche Mesalliance entehrt sähen. Sieh, das ist wieder ein Charakterzug, daß Du immer glaubst, das Schlechteste sey für Dich gut genug. Deine Geburt, Dein Rang, Dein Geschlecht geben Dir höhere Ansprüche, und es muß Dir ein Leichtes seyn, sie geltend zu machen. Greife nicht nach dem  Kiesel, da Dir ein Diamant geboren worden ist. Wenn, woran ich zu Ehren deines Geschmacks gar nicht zweifeln will, die Mamsell Strenge so tugendhaft und liebenswerth ist, als Du sie schilderst, so wird sie auch ohne Dich einen Mann bekommen, und glücklich seyn, auch wenn Du sie nicht zur Gräfinn Ulmenhorst machst. Uebrigens kürze deinen Aufenthalt in Falkenwerder, der Dir, da Du meinen bestimmten, unabänderlichen Willen kennst, weder angenehm noch nützlich seyn wird, möglichst ab, und kehre, nachdem Du deinen thörigen Gedanken aufgegeben hast, mit geläuterten Ansichten über die Pflicht deiner künftigen Wahl zurück in die Arme

Deines

Dich liebenden Vaters.

Diesem Briefe, der Gotthold nicht überraschte, weil er ihn nach dem, wie er den Vater kannte, nicht viel anders erwartet hatte, folgte 24 Stunden später der alte Lippert, als ausserordentlicher Großbotschafter des Vaters, mit dem Auftrage, das mündlich zu verfolgen, was das Schreiben eingeleitet haben sollte; den  jungen Grafen auf die Unausführbarkeit seiner Wünsche des Breitern aufmerksam zu machen, ihm mit der erforderlichen Delikatesse die Aussicht auf das mögliche Glück einer Verbindung mit Auroren zu zeigen, und ihm, wenn er auf dem unsinnigen Entschlusse, sich mit Julien zu verbinden, wider Wunsch und Verhoffen beharren sollte, mit der väterlichen Ungnade, und zuletzt, wenn alle Stränge rissen, mit der vollständigsten Enterbung zu bedrohen.

Ganz glücklich war der Vater in der Wahl seines Gesandten nicht gewesen. Der alte Lippert theilte den Glauben des großen Haufens an die Verwerflichkeit der jungen Gräfinn Waiblingen, und konnte es unmöglich über sich gewinnen, seinen lieben Gotthold zu dieser Verbindung zu überreden, und, was Julien betraf, so hatte er lange schon so viel Liebes und Gutes über sie aus Falkenwerder geschrieben bekommen, und die Idee, daß einmal ein reicher Graf, aus einem der ersten Häuser des Landes, einem Mädchen bürgerlicher Abkunft seine Hand bieten sollte, hatte für seine Kaste so viel Schmeichelhaftes, daß er sich, bei all seinem strengen Pflichtgefühl, immer nur darauf  beschränken konnte, das auszurichten, was ihm der Vater wörtlich vorgeschrieben hatte, ein Weiteres aber aus eigener Fabrik hinzuzusetzen, war ihm unmöglich.

Haben Sie Julien gesehen? fragte Gotthold ganz ruhig, als Lippert seinen Auftrag ausgerichtet.

Lippert verneinte. Nun so kommen Sie, ehe ich weiter mit Ihnen über die Sache spreche, und lernen Sie das Mädchen erst persönlich kennen; dann – Sie sind ja auch ein Mann, und haben auch ein menschlich fühlendes Herz in der Brust – dann mögen Sie urtheilen, was ich thun soll, thun kann. In mir steht es unwiderruflich fest. Julie oder Keine. Wohl unserem Stamme, wenn die Frauen unserer Altvordern lauter Julien gewesen sind. Den Hofgesichtern werde ich nie in den Weg treten, also darf mein guter Vater sich wegen deren Grimassen nicht ängstigen. Bei der Wahl meiner Lebensgefährtinn habe ich mein Lebensglück im Auge gehabt, und nichts Höheres und nichts Kleineres. Dieses ist ohne Juliens Besitz mir nicht denkbar. – Noch weiß weder Julie noch ihr Vater, der  vorgestern von seiner Geschäftreise zurückgekommen, von meinen ernsten Absichten; ich habe erst meines Vaters Entscheidung abwarten wollen; ich rechnete halb und halb auf die Freude, ihnen sagen zu können, daß mein Vater meine Wahl billige; jetzt, da leider der gegentheilige Fall eingetreten, werde ich ihnen eben so offenherzig sagen, daß ich die väterliche Zustimmung nicht habe erhalten können, daß ich nichts als mein geringes mütterliches Erbtheil besitze, daß ich aber dessen ungeachtet durch Fleiß und Arbeit mir durch die Welt zu helfen gedenke, und daß ich, wenn bei der gegenwärtigen Lage der Sache der Justizrath mir sein Julchen nicht verweigert, und dieses in mir nicht den Grafen, nicht den reichen jungen Mann, sondern mich liebt und ja sagt, der glücklichste Mensch unter der Sonne seyn werde. Jetzt kommen Sie, und gibt es die Gelegenheit, so bringe ich noch heute meine Worte an, und Sie sollen meine Verlobung mit feiern helfen.

14

Der Justizrath und Lippert waren alte Bekannte; sie freueten sich einander einmal wieder zu sehen, und hatten sich tausend Dinge zu fragen und zu erzählen; aber mitten in ihrer lebhaften Unterhaltung faßte Lippert zuweilen die schöne Julie in das Auge, und je länger und je öfter er sie in Betrachtung zog, und je mehr er sie sprechen hörte, und schalten und walten sah, desto mehr bezauberte ihn ihr Thun und Wesen, desto deutlicher ward ihm, daß ein solches Mädchen einen Feuerkopf, wie Graf Gotthold, wohl aus dem Konzepte bringen könne, und an dem, was er in Juliens Benehmen gegen Gotthold bemerkte, konnte er wohl ziemlich klar abnehmen, daß sie ihm auch nicht gram war. Während der Justizrath mit dem alten Lippert bei einem Fläschchen in der Laube saß, rollten und jagten und scherzten die beiden jungen Leute, lustig wie die Rehe, im Garten herum, begossen die Blumen und sich, und aus hundert kleinen Zügen ergab sich dem aufmerksamen Lippert, mit welcher unnennbaren Liebe das Mädchen dem Jüngling angehöre.

Vater Strenge war im ganzen Kreise, seiner unbestechlichen Unpartheilichkeit, seiner Gradheit, seiner gründlichen Kenntnisse und seiner Umsicht  halber, geehrt und geliebt; er genoß überall des unbedingtesten Vertrauens, und es ward kein Geschäft von irgend einiger Wichtigkeit abgemacht, ohne ihn dabei zu Rathe zu ziehen. Darum kam auch jetzt Graf Stufen, der seine in der Nähe befindlichen Güter von neuem verpachten wollte, zu ihm, um ihn die Pachtkontrakt-Entwürfe zur Durchsicht vorzulegen.

Hannchen, Juliens jüngstes Waisenkind, spielte im Hofe und theilte sein eben erhaltenes Butterbrod mit Gottholds ihm wohlbekannter Dogge, und mit Pikas, dem Hausspitz; Graf Stufen hatte seinen großen Wolfhund, Makk mitgebracht, der, gleich beim Eintreten durch sein Knurren, durch das Herabhängen seines Schwanzes, und durch die Bleifarbe seiner Zunge, Julchen zu der besorglichen Frage veranlaßt hatte, ob das Thier etwa krank sey; der Graf hatte sie indessen, ihre Frage verstehend, durch die Versicherung beruhigt, daß das so immer des Hundes Art sey, daß er, wenn er gereizt werde, wohl leicht böse werden könne, daß sie aber nichts von ihm zu fürchten habe.

Makk mochte jetzt zu der, den beiden andern Hunden von dem Kinde gebotenen Bewirthung Appetit  bekommen und sich gleichfalls gemeldet haben; die Dogge und der Hausspitz hatten sich, wie, das Dienstmädchen, das den Vorgang von der Küche aus mit angesehen, erzählte, diesen dritten Gast verbeten und ihm die Zähne gewiesen; der tückische Makk hatte das übel genommen, war auf den Hausspitz eingesprungen und hatte diesen sammt dem Kinde über den Haufen geworfen; die Dogge stürzte blitzschnell dazwischen, und so bissen, als auf des Kindes Geschrei und der drei Hunde gräßlichen Lärm, Stufen, Lippert, Gotthold, Julchen und der Justizrath aus dem Garten eilend auf den Hof kamen, die drei großen Pakker, das unglückliche Kind unter sich, mit dem wüthendsten Grimme auf einander.

Julie schrie händeringend: Hannchen, um Gottes willen, wer rettet das Kind! Da sprang Gotthold zwischen die rasenden Thiere, holte das vor Schreck halb todte kleine Wesen unter ihnen hervor, und legte es, zu Aller Erstaunen, unversehrt in Juliens Arme, er aber sank leichenblaß zu ihren Füßen nieder, denn Makk hatte ihm die Hand durch und durch gebissen, und der entsetzliche Blutverlust hatten ihm eine minutenlange Ohnmacht zugezogen.

Der Hund ist toll, schlagt ihn todt! schrie ein unterdessen hinzugekommener Bauersmann.

Unser unglückseliger junger Herr ist verloren! ein zweiter.

Ja, wenn Jemand ihm das Gift aus der Wunde saugen könnte, wär’ er noch zu retten! ein dritter.

Da zog Julie, neben dem ohnmächtigen Gotthold knieend, seine durchgiftete Hand an ihre Lippen und doch der Vater stürzte herbei und riß ihr die Hand vom Munde und rief, von der Folterqual der schrecklichsten Angst zerrissen: Du trinkst Dir den Tod, den grausamsten Tod! —

Aber Julie hielt Gottholds Hand fest, entgegnete mit stürmischer Hast: Er setzte sein Leben für mich ein, ich bin ihm das meine schuldig! warf, als wollte sie Gott um Kraft und Stärke und um seinen Segen zu ihrer Großthat bitten, einen festen gläubigen Blick zum Himmel, und drückte nun schnell und mit der ganzen Inbrunst der heiligsten, sich selbst verläugnenden Liebe, ihren Purpurmund auf die ihr den unvermeidlichen Tod bringende Giftwunde.

Gotthold erwachte.

Er hatte alles gehört; er hatte die unermeßliche Größe ihres Liebeopfers gefühlt, aber er hatte nicht Kraft gehabt, ihr zu wehren. Jetzt entzog er ihr, ihres Sträubens, ihrer flehentlichen Bitte ungeachtet, rasch die Hand, und ließ sie sich vom Dorfbarbier verbinden. Er fühlte keinen Schmerz mehr, er hatte für alles Irdische keinen Sinn mehr; die Ueberzeugung von Juliens namenloser Liebe hatte ihn der Erde entrückt, hatte ihn verklärt.

Er umschlang, in Aller Gegenwart, das heldenmüthige Mädchen, und erklärte es, zu ihrer und des Vaters unbeschreiblichen Ueberraschung, laut für seine Braut; zu Lippert aber sagte er: Erzählen Sie dem Vater, was Sie gesehen, und er wird meine Wahl billigen. Ob Gott mich und mein Mädchen vor dem Elende, das Ihr befürchtet, bewahren werde, weiß ich nicht; jetzt in diesem Augenblicke bin ich meiner Sinne noch vollkommen mächtig und bei ganz klarem Verstande, und so schwöre ich denn vor Gott und Euch Allen meiner Julie Liebe und Treue bis zum Tode.

Julie sank fröhlich weinend an seine Brust. Jetzt, sie wußte ja nicht wie lange sie noch leben, wie lange sie noch so glücklich seyn werde, von dem,  was sie fühlte, einen unverworrenen Begriff zu haben, und sich durch verständige Rede deutlich machen zu können, jetzt gestand sie, Gotthold, und keinen Andern von ihrer Kindheit an geliebt zu haben; sie nannte ihn Du, sie erbat sich den Segen ihres Vaters, umschlang den Geliebten mit beiden Armen, und drückte ihn mit süßer Liebe an das treue Herz.

Dicht neben ihnen fiel ein Schuß. Graf Stufen hatte, ob ihm gleich der Schäfer und der Hirte, zwei im ganzen Kreise weit und breit berühmte Thierarzneikundige, die sich auf ihre Wissenschaft nicht wenig einbildeten, einmüthig versichert hatten, daß Makk nicht toll sey, das böse Thier, das möglicher Weise doch hier unsägliches Elend angestiftet haben konnte, im ersten Unmuthe über seinen unglücklichen Einfall, es mitgebracht zu haben, erschießen lassen.

 

Lippert traf hinter dem Rücken der Gesellschaft die Veranstaltung, daß der unheilbringende Hund nicht gleich eingescharrt wurde, und jagte den Kutscher mit einem leichten Wagen nach der Kreisstadt, um den Kreisphysikus herauszuholen, der das Thier zergliedern und dem  von heimlicher Todesangst gemarterten Brautpaare ärztlich beistehen sollte.

Man eilte wohl, diesem den tröstlichen Schäfer- und Hirten- Ausspruch beizubringen, und beeiferte sich von allen Seiten, bis zur Ankunft des Arztes, die beßten Hausmittel gebrauchen zu lassen; aber Gotthold wie Julie fühlten, daß all diese gutgemeinten Bemühungen wohl erfolglos seyn würden, und Juliens freudiger Trost war, mit dem Geliebten zugleich sterben zu können.

Gotthold – war es die Angst vor der Möglichkeit, in wenig Tagen Verstand und Leben einzubüßen, aber es trieb ihn eine innere Unruhe, den schrecklichen Fall, den Alle befürchteten, sich nahe zu denken. Er bat die, welche nicht zum engeren Kreise gehörten, abzutreten, setzte, von unnennbarer Fiebergluth überflogen, dem Vater Strenge, seinem alten Lippert, dem Grafen Stufen, und dem unterdessen auch herbeigekommenen Pfarrer seine Lage aus einander, und bat, wenn Julie und deren Vater einwilligten, ihrem Bunde, der wahrscheinlich hienieden nur von kurzer Dauer seyn werde, die Weihe der Kirche zu geben. Der  Drang der Umstände setzte er hinzu: wird es entschuldigen, wenn die sonst in der Regel vorangehenden Formalien des Proklama dießmal weggelassen werden; ich darf, nach dem Beweise von seltener Liebe, den meine heilig geliebte Julie mir heute gegeben, der Zustimmung meines Vaters entgegensehen; indessen, wenn er, von Standesvorurtheilen befangen, mir diese, wider Wunsch und Erwarten, auch versagen sollte, – ich bin mündig und mein mütterliches Erbtheil, das mir, falls die väterliche Drohung der gänzlichen Enterbung wirklich wahr gemacht werden sollte, rechtlicher Weise nicht verweigert werden kann, reicht hin, um, wenn ich gesund bleibe, damit ein kleines Unternehmen beginnen zu können, das, bei angestrengter Thätigkeit, mir und den Meinen den nöthigen Broderwerb gewährt. Ich werde für die Einbuße des nichtigen Glücks, meinem bevorrechteten Geburt- und Standesrechte gemäß leben zu können, in Juliens Besitz und in dem ehrenwerthen Gefühle, mir selbst meinen Unterhalt zu verdanken zu haben, die vollkommenste Entschädigung finden, und ich werde im ganzen Umfange des Wortes, glücklich seyn, wenn es mir, was ich  von der Güte meines Vaters erwarten darf, gelingt, ihn mit der Zeit zu versöhnen. Zufällig spreche ich vor einem mit den Landesgesetzen wohl bekannten Meister der Gerechtigkeit, vor einem Diener der Kirche, vor einem Ebenbürtigen und vor einem Vertrauten meines Vaters. Euch, achtbare Herren und Männer, deren Ausspruch und Entscheidung ich unbedingt ehren werde, Euch lege ich die Frage vor, ob ich, in meiner Lage, sträflich handle, wenn ich, ohne die Zustimmung des Vaters abzuwarten, zu meiner Verbindung mit Julien, um der Kirche Segen bitte, vorausgesetzt, daß Julie selbst in diesen Wunsch mit einstimmt.

Julie schmiegte sich sanft weinend an Gotthold. Mit Dir zu leben, mit Dir zu sterben, sagte sie, den unvermeidlichen Tod in der geängsteten Brust immer gewisser fühlend: ist mein einziges, mein höchstes Glück. Dich im Auge, Dich im Herzen, habe ich nie an Deinen Rang, nie an Deinen Reichthum gedacht; an Deiner Seite, selbst wenn der Mangel uns zuweilen des Lebens Genüsse verkümmern sollte, werde ich mich ewig glücklich preisen; an Deiner Seite werde ich Gutes und Böses – beides kömmt ja von Gott – mit Dank und Muth tragen, und wären nicht andere Deinem kindlichen Herzen schmerzliche Verhältnisse damit unzertrennlich verknüpft – so wäre mir gerade Deine Entäußerung der Standeshöhe und des Goldglanzes, das Erwünschteste; denn Du steigst dann herab von dem hohen Gipfelpunkte Deiner jetzigen Stellung, und ich stünde dann Dir näher, ich wäre Dir gleicher. – Doch; das alles sind ja nur eitle, leere Ideen, für den kaum denkbaren Fall, daß uns Gott jetzt Leben und Gesundheit der Sinne erhalte. Das Wahrscheinlichere ist der Tod, oder, was noch schrecklicher, die grauenvollste Geisteszerrüttung. Nimm, mein Gotthold – noch weiß ich, was ich fühle, noch weiß ich, was ich denke und spreche – nimm vor Gott, und meinem Vater, vor meinem Beichtiger und vor achtbaren, Dir und mir befreundeten Zeugen, mein Gelöbniß hin, daß ich Dich bis zum Tode, und in allen Verhältnissen des Lebens, wenn es dem Allerbarmer gefallen sollte, mir solches zu fristen, ewig treu lieben, und Dir allein gehören werde, so wahr mir Gott helfe durch seinen Sohn, Jesum Christum.

Ihr habt es gehört, werthe Freunde, hob Gotthold tief bewegt an, und die heißen Thränen rollten ihm über die Wangen: vor dem Allgegenwärtigen ist unser Bund geschlossen, und wir werden an ihm halten fest und bis zum letzten Hauche unsers Lebens. Jetzt sagt uns, ob unserm beiderseitigen, von dem Drange der Umstände in unserm Gewissen gerechtfertigten Wunsche der kirchlichen Weihe gewillfahrt werden könne. Berathet Euch hier unter Euch, und theilt uns dann Euern Beschluß mit.

Der alte Lippert, der zwischen zwei Mühlsteinen, zwischen seiner billigenden Ansicht des vom jungen Paare geäußerten Wunsches, und seiner mißbilligenden Gesandtenpflicht lag, bat, mit Kurierpferden zum Vater eilen und diesem den ganzen Vorgang berichten zu dürfen, wo er dann mit eben der Schnelle zurückkommen wolle, um den hoffentlich gewährenden Bescheid mitzubringen.

Im glücklichsten Falle, entgegnete Gotthold: sind zu dem allen 5 Tage erforderlich; ist der Vater, wie ich aus einigen seiner Aeusserungen folgern darf, während Ihres Hierseyns aber in die Residenz gereis’t, oder zögert er, was  sehr wahrscheinlich ist, mit der Abgabe seines Bescheides, um sich vorher mit Diesem oder Jenem darüber noch zu berathen; so gehen 8 – 14 Tage darüber hin, ehe Sie wieder hier seyn können, unter der Zeit können wir Beide todt, oder, was noch schlimmer ist, unsers Verstandes beraubt seyn; was geschehen soll, muß heute geschehen, oder vielleicht gar nicht!

Lippert schlug nun vor, wenigstens den Kreisphysikus, nach dem er geschickt zu haben jetzt gestand, abzuwarten, um von dem zu hören, ob die Wunde so gefährlich sey, daß die Ausführung des Gotthold’schen Wunsches, mit Julien vor ihrem Tode oder vor dem Verlust des Verstandes, verbunden zu werden, keinen Aufschub leide; der Graf Stufen aber entkräftete diesen Vorschlag durch die geäusserte Besorgniß, daß der Kutscher wahrscheinlich den Kreisphysikus vor übermorgen nicht herausbringen werde, weil dieser, wie er gehört, zu einem, am entgegengesetzten Ende des Kreises befindlichen, sehr bedeutenden Kranken geholt worden sey.

Der Pfarrer meinte, gegen den muthmaßlich ablehnenden Willen seines Kirchenpatrons,  des alten Grafen Ulmenhorst, ohne vorherige Anfrage bei seinem Vorgesetzten, dem Herrn Superintendenten, die Trauung, so sehr er solche für seine Person billige, und durch das Zusammentreffen der vorliegenden Umstände gerechtfertigt finde, nicht vollziehen zu dürfen, und Vater Strenge bat, ihn von jeder Theilnahme an irgend einem Beschluß in der Sache zu entlassen, da er interesse ad causam habe, sein Ausspruch daher, er möge ausfallen, wie er wolle, für partheiisch angesehen werden würde, und er um keinen Preis den Verdacht auf sich laden wolle, als habe er auch nur auf das Entfernteste dazu beigetragen, die in aller Hinsicht so ehrenvolle Verbindung seiner Tochter, die aber, so lange noch Standesvorurtheile in der Welt wären, auf Gottholds Seite immer für eine Mißheirath werde angesehen werden, zu befördern.