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4. Wolken

Mit all diesen Seitensprüngen war es spät am Tage und höchste Zeit geworden, nach der Hauptsache zu sehen, von der alles andre abhing. Ein hastiges Gabelfrühstück, Mittag- und Abendessen, in einheitlicher Zusammensetzung, die eine Wirtschaft in der Kanalstraße bot, setzte die menschliche Maschine wieder in arbeitsfähigen Zustand. Aber es war fast Dämmerung, ehe ich auf die Levees einbog, um nach dem »Wilden Westen« zu fahnden. Der gewaltige, halbkreisförmige Landungsplatz, den der Mississippi gegen die Stadt hin ausgegraben und vertieft hat, lag schon in seiner Feierabendstille vor mir. Für eingeborene Landratten bleibt ein Seehafen, in welcher Form er sich auch darstellt, zeitlebens ein Anblick, der das Blut in lebhaftere Wallung bringt. Der Bogen der »Levees« von New Orleans, der zu einem großartigen Staden ausgebauten Schutzdämme der Stadt, macht hiervon keine Ausnahme. Man sieht, wie der gewaltige Strom schon hier, achtzig Meilen von der See, einen großen Kontinent mit den Meeren aller Weltteile verbindet. Gegen Norden reiht sich, enggedrängt, nur mit den Vorderteilen das Ufer berührend, Boot an Boot: die phantastisch verzierten, schwimmenden Paläste des Mississippi, des Missouri, des Ohio mit ihren Riesenrädern und ihren barock gekrönten Doppelschornsteinen; dazwischen auch kleinere Dampfer, unter ihrer Last von Baumwollballen und Zuckerfässern fast versinkend. Nach Süden liegen die Seeschiffe, schwarze, wuchtige Massen, die volle Breitseite gegen das Ufer gekehrt, haushoch aus dem Wasser ragend, die roten Schraubenflügel, unheimlichen Seeungeheuern gleichend, halb in der Luft, ihre stumpfen, trutzigen Kamine kaum über der Brüstung sichtbar. Noch weiter unten liegen die Segelschiffe: Schoner, Brigantinen und Dreimaster jeder Art und Größe, die mit ihren Rahen und Tauen eine zierliche, wenn auch unentwirrbare Filigranarbeit in den goldenen Abendhimmel zeichnen. Das sind die Gäste aus der Havanna und New York, aus Rio und Quebek, aus Genua und Stockholm, aus Liverpool und Southampton und vor allem aus der eignen Heimat, aus Bremen und Hamburg. Auf den Levees selbst, der riesigen Holzplattform, die sich in stattlicher Breite und mehrere Meilen lang zwischen Fluß und Stadt hinzieht, liegen Hunderte von Zuckerfässern, Tausende von Baumwollballen, Pyramide an Pyramide von Fäßchen mit gesalzenem Schweinefleisch aus Kentucky und Illinois, Berge von Mais aus Illinois und Missouri, alles hübsch geordnet und aufgestellt wie die Bataillone einer Armee, die vor dem Abmarsch ins Feld ihre letzte Parade erwartet. Dieses Bild beleben trotz der Abendstunde Gruppen von Negern, auf den Ballen umherlungernd, unermüdlich schwatzend und lachend, und da und dort ein paar Matrosen, die der Stadt zueilen, sichtlich entschlossen, mit leeren Taschen und schwerem Kopfe zurückzukehren. Doch der Lärm der Tagesarbeit war verstummt. Eine schwüle Stille lag über dem Ganzen, und der Mond, eine blutrote Riesenscheibe, stieg hinter der Stadt zwischen den Türmen der Kathedrale des heiligen Ludwig auf dem Jacksonsquare langsam in die Höhe.

Wo die Tschapatulastraße in den Landungsplatz einmündet, ragte ein gewaltiger, pechschwarzer Dampfer über die kleineren Schiffe heraus, die ihn umgaben, und sendete noch zarte Rauchwölkchen in den Abendhimmel empor. Er hatte die schmucklosen, trotzigen Formen englischer Frachtschiffe, die man überall auf den ersten Blick erkennt: keinen Bogen, keine Krümmung, die nicht unbedingt erforderlich war, keinen Farbenfleck, der seine dunkle Geschäftsjacke verunziert hätte. Das war mein »Wilder Westen«; es war unmöglich, sich zu irren.

Und in der Tat, am Fuß der haushohen Schiffswand, die fensterlos und senkrecht von der Landungsplattform aufstieg, standen schon in wildem Gewirr etliche dreißig wuchtige Kisten, ein Lokomotivkessel, ein halbes Dutzend schmiedeeiserner, walzenförmiger Riesenräder, wie sie auf dem leichten Bretterboden der Levees noch nie gesehen worden waren. Der »Wilde Westen«, das war klar, ließ sich nicht viel Zeit. Die Kisten und Räder gehörten mir; mein Dampfpflug war schon halb ausgeladen. Da er als Deckladung herüberkam, war er das erste, was das Schiff ans Land setzen mußte. In reiner Freude kletterte ich über die Kisten und feierte ein kleines Wiedersehen; ich war zu Hause in diesem zyklopischen Wirrwarr.

»Hallo! Wer ist da drunten?« schallte plötzlich hoch über mir eine scharfe Stimme, und ein Kopf erschien über der Schiffsbrüstung. »Wozu krabbeln Sie auf den Kisten herum?«

»Eigentümer der Kisten!« schrie ich hinauf.

»Gut, daß Sie kommen!« rief es zurück. »Wir brauchen Platz. Morgen früh müssen sie abgefahren sein.«

»Na, so geschwind schießen die Preußen nicht!« rief ich hinauf, mich in meinem Kistenheimatsgefühl ein wenig vergessend.

»Was?« brüllte es herunter.

»So schnell werden die Nigger von Louisiana nicht kutschieren«, übersetzte ich dem Mann, der jetzt am Nachthimmel etwas deutlicher zu sehen war. »Haben Sie einen Engländer mitgebracht, einen Monteur?«

»Nicht daß ich wüßte«, war die Antwort.

»Was!« schrie ich entsetzt, »keinen Monteur von Fowler aus Leeds? Einen Passagier, James Parker. Sie müssen einen Passagier mitgebracht haben.«

»Wir führen keine Passagiere. Nur manchmal – aus Gefälligkeit – ausnahmsweise!« erklärte der Mann von oben.

»Dann ausnahmsweise! Sie müssen James Parker an Bord haben! Den Mann, der zu den Maschinen gehört!« Ich bestand darauf und fühlte, daß ich zornig wurde.

»Mein guter Herr,« rief es begütigend zurück, »ich bin der Zahlmeister des ›Wilden Westens‹ und sollte es wissen. Wir haben ausnahmsweise einen Methodistenpfarrer mitgenommen und seine zwei Töchter. Wenn Ihnen mit diesen gedient ist – aber sie sind aus Bradford.«

»Also keinen Monteur, der zu den Kisten gehört?« rief ich nochmals hinauf und fühlte, daß mich die Kraft meiner Lungen verließ.

»Keinen Monteur!« tönte es wie aus weiter Ferne zurück. Der Kopf des Zahlmeisters war verschwunden.

Ich setzte mich und dachte nach. Also kein Monteur, kein Brief, keine Erklärung nach der feierlichen Zusage, daß Parker mit den Kisten ankommen solle! Was konnten sie in Leeds gedacht haben? Wußten sie doch so gut als ich, daß kein einzelner Mann mit seinen zwei Händen einen Doppelmaschinendampfpflug in Bewegung setzen kann, der sich vom ersten Tag an wenigstens leidlich präsentieren sollte. Es handelte sich hier, wenn der Himmel nicht eingriff, um eine physische Unmöglichkeit.

Die Kisten um mich her, die jetzt der Mond grell beleuchtete, wuchsen mit ihren schwarzen, viereckigen Schatten ins Ungeheure; um das offene, rot angestrichene Feuerloch des ausgeladenen Kessels spielte ein dämonisches Lächeln. Ich kochte vor Zorn. Was konnten sie in Leeds gedacht haben? Mich so hinzusetzen! Aber ich kam nicht über die Frage hinaus. Über mir begannen die Sterne zu funkeln, still und friedlich, als ob hier unten alles in Ordnung wäre. Der reinste Hohn!

»Was machen Sie da droben?« näselte jetzt eine grätige Yankeestimme von unten, die zu einem herumlungernden Schutzmann gehörte, der wahrscheinlich an der Nachtwache der Levees beteiligt war.

»Luft schöpfen! Eigentümer!« brummte ich, ohne Anstrengung, so mürrisch als möglich.

»Gut, daß Sie kommen!« sagte auch dieser Mann. »Die Kisten müssen morgen früh von der Levee abgefahren werden, Mister! Und so schnell als möglich. Die Levees sind für Baumwolle gebaut, nicht für vierschrötige Eisenklumpen wie diese Engländer.« – Er klopfte entrüstet auf meine Kisten. – »Die Fundamentpfähle sind heute abend schon um drei Zoll gesunken, sagt der Levee-Inspektor. Sie werden eine gesalzene Rechnung bekommen, Mister Eigentümer! Wenn die Bohlen brechen, ist der Teufel los.«

Ich hütete mich, zu antworten, und schlüpfte lautlos von meiner mondbeglänzten Höhe auf der andern Seite des Kistengebirgs in die Tiefe.

Fünf Minuten später sah man entlang der finsteren Schattenseite der Tschapatulastraße einen Mann, den Hut über die Augen gedrückt, mit gesenktem Kopfe langsam seiner Wohnung zusteuern. Manchmal murmelte er halblaut vor sich hin. Dann versank er wieder in stummes Nachdenken. Der Mann war ich.

Und ich fühlte nur eins: noch ehe ich heute einschlief, mußte ich wissen, was am nächsten Morgen zu geschehen hatte.

5. Arbeitstage

Ein kurzer, tiefer Schlaf tat das übrige.

Mit beiden Füßen sprang ich in den jungen Tag; ich wußte jetzt, was zu tun war. Zuerst mußte Kapitän Owen aufgefunden werden. Die seine war die einzige Adresse einer Privatwohnung in der Stadt, die ich kannte. Auf dem Wege sang ich eine meiner Schlachthymnen, aber nur und wiederholt, den ernsten Zeiten entsprechend, ihren dritten Vers: »Und wenn die Welt voll Teufel wär'!« Er war mir schon als kleiner, ahnungsloser Junge der liebste gewesen und hat mir im späteren Leben mehr als einmal treulich gedient, wenn ich nicht mehr genau wußte, wo hinaus? Warum auch nicht? Hatte ich nicht ein Recht zu dem Vers, so gut als ein andrer? Stand ich nicht seit Jahren mitten in einer Art von Bodenreformation, in der »der arg' böse Feind« oft genug sein Wesen trieb?

Sie sind im allgemeinen keine Langschläfer in New Orleans. Der frühe Morgen ist der beste Teil des Tages an den Bayous des Mississippi. Doch schlief Owen noch, als ich versuchte, ihm die Adresse der nächsten besten Maschinenfabrik zu entlocken, und war, sich die Augen reibend, über meinen Besuch nicht wenig erstaunt. Eine halbe Stunde später stand ich in einem fast leeren Fabrikhof, der müde und lebenssatt aussah. Wie alles in der Stadt, war das Geschäft halb bankrott und hatte keinen Mangel an müßigen Arbeitern. Man ließ mir die Wahl. Nach weiteren dreißig Minuten hatte ich zwei junge Monteure ausgesucht – der eine war allerdings, wie sich später herausstellte, ein gelernter Schneider –, die mit Brechstangen, Hämmern und Meißeln bewaffnet hinter mir drein liefen. Auf den Levees war alles schon voll Leben. Zuckerfässer rollten hin und her, Baumwollballen flogen durch die Lüfte. Dampfer rauchten und spieen Wasser und Feuer aus. Geschrei, Gerassel und dröhnendes Gepolter auf dem hohlen Bretterboden in allen Richtungen. Hunderte von Negern aller Schattierungen, darunter wahre Herkulesse, rollten im Eifer der Arbeit lachend über die Ballen oder sprangen singend hinter den Fässern her. Es wurde viel und kräftig geflucht; aber auch des Herrn Lob erschallte in wundersamen Liedern unter Lachen und Gejauchze. »Wir gehen alle über den Jordan – o Jerusalem!« war ein besonders beliebter Kehrreim der Ernstergesinnten. Den Schwarzen war es in diesen Morgenstunden sichtlich wohler als ihren einstigen weißen Herren.

 

Auch auf dem Deck des »Wilden Westen« war schon alles in Bewegung. Mein zweiter Kessel schwebte an einem kräftigen Schiffskranen hoch in der Luft, machte eine elegante Schwenkung über Bord, als sei ihm das Fliegen zeitlebens eine liebe Gewohnheit gewesen, und sank in der nächsten Minute auf die krachende Levee nieder. In zehn Minuten hatte ich sechs Neger, Jem, Jo, Jack, Kato, Alexander und Bucephalus, in meine Dienste genommen. Neugierig und energisch machten sie sich daran, die Deckel der Kisten aufzureißen, die ich den Monteuren bezeichnete, und die blanken Stangen und Wellen, die schweren Lager und Ständer aus den Spänen herauszuschälen, welche sich in gewaltigen Haufen um uns auftürmten. Vor der Frühstücksstunde noch war mein Trüpplein im besten Zuge; mir selbst begann es ganz leicht ums Herz zu werden. Dazu kam noch »Lawrences Bruder«, der schon in der Ferne eine Zeitung in der Luft schwenkte, als er den »Wilden Westen« und mich entdeckt hatte.

»Sie haben verloren, Mister Eyth, Sie haben verloren!« rief er aus weiter Ferne. »Geben Sie mir zehn Dollar und hören Sie zu!«

Er kletterte auf eine der Kisten, setzte sich, entfaltete die nasse Morgenzeitung und las:

»›Die berühmte und stets auf das Wohl unsres Staates bedachte Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana hat sich entschlossen, den beträchtlichen Preis von siebenhundertundfünfzig Dollar für den besten Dampfpflug zur Bearbeitung von Baumwoll- und Zuckerland auszusetzen. Man hofft mit Recht, auf diese Weise der unglaublichen Not des Südens, dem Mangel an Arbeitskräften jeder Art, für alle Zeiten abhelfen zu können. Wie wir hören, soll sich bereits ein Bewerber für diesen ansehnlichen Preis eingestellt und am Fuß der Tschapatulastraße seine Vorbereitungen begonnen haben. Ehre einer Gesellschaft, die auch in den schwersten Zeiten Mut und Tatkraft bewahrt, an dem Wiederaufbau und der Wohlfahrt unsres glorreichen Südens weiterarbeiten zu können!‹ – Wie gefällt Ihnen das? Sie brauchen die andern Zeitungen nicht nachzusehen. Sie bringen alle denselben packenden Artikel, den ich und unser Geschäftsführer noch gestern nacht ausgebrütet haben. Er wollte zuerst nicht recht dran; die Komiteesitzung kann erst übermorgen stattfinden, und so ist eigentlich noch nichts beschlossen. Merken Sie allmählich, daß Sie in Amerika sind?«

»Merken Sie, daß Sie auf einer englischen Maschine sitzen?« antwortete ich vergnügt, indem ich gleichzeitig Bucephalus anwies, meinem Freund eine Brechstange zwischen die Beine zu stoßen, denn er saß auf der Kiste, die ich vor allen andern geöffnet haben wollte. Bucephalus war energisch, aber etwas ungeschickt. Lawrence sprang deshalb mit jugendlicher Behendigkeit in die Höhe, um dem gefährlichen Stoß zu entgehen.

»Und sehen Sie, da kommen Sie selbst!« rief er aus der Zeitung heraus, seinen Knotenstock schwingend, ohne jedoch den Zwischenfall eines weiteren Wortes zu würdigen.

»Frühstück, Frühstück!« schrieen die Neger, während ein halbes Dutzend Glocken und hundert heulende Dampfpfeifen entlang der ganzen Levee einen infernalischen Lärm erhoben. Ein paar Stunden nüchterner Morgenbeschäftigung mit dreiundfünfzig Kisten eines demontierten Dampfpflugs verfehlen ihre appetiterregende Wirkung auch in einem halbtropischen Lande nicht. Ich war deshalb mit den Negern völlig einverstanden und bat Lawrence, mir Gesellschaft zu leisten. Er kannte eine Wirtschaft in unmittelbarer Nähe, wo wir unter Schiffskapitänen, Baumwollmaklern und Zuckerbörsenleuten rasch ein Tischchen und ein »elegantes« Frühstück fanden. Als Beilage las er mir eifrig die Morgenzeitungen vor, deren Inhalt, soweit er unsre Sache betraf, ihn sichtlich mit dem erhebenden Gefühl der Vaterschaft beglückte.

Der »Picayune« erzählte in Sperrdruck:

»Wir hatten gestern das Vergnügen, den Besuch des Herrn Eyth, des gentlemännlichen Vertreters der großen englischen Firma John Fowler & Co. von Leeds und London, zu erhalten, der uns von dem Bruder unsres großen Zuckerplantagenbesitzers, Herrn Henry Lawrence, freundlich zugeführt wurde. Herr Eyth beabsichtigt, durch die Einführung der weltberühmten Dampfpflüge seiner Firma, die alles bisher Dagewesene übertreffen sollen, an der Regeneration des Südens mitzuwirken, und wird damit voraussichtlich in wenigen Tagen im Ausstellungspark der Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana den Anfang machen. General Longstreet und die hervorragendsten Männer unsres Staats nehmen den lebhaftesten Anteil an seiner Tätigkeit. Sein Pflug soll stündlich fünf Acker des schwersten Zuckerbodens auf eine Tiefe umbrechen, die nach der Versicherung unsres Freundes, Herrn Lawrence, von sechs Paar Ochsen nicht erreicht wird. In liebenswürdigster Weise teilte uns Herr Eyth mit, daß er ein Deutscher von Geburt und, im Gegensatz zur Mehrzahl seiner übrigens hochachtbaren Landsleute, der Sache der Südstaaten stets aufs wärmste zugetan gewesen sei. Hochinteressant finden wir, daß Herr Eyth aus einer alten Schweizer Fürstenfamilie abstammt und daß er in einem mittelalterlichen Männerkloster seines Vaterlandes das Licht der Welt erblickte. Der letztere Punkt bedarf jedoch noch der Aufklärung. Trotz dieser geheimnisvollen und hochromantischen Vergangenheit scheint Herr Eyth ein lebhaftes Verständnis für die modernen Verhältnisse unsres glorreichen Vaterlandes mit nicht gewöhnlicher Geschäftsenergie zu verbinden. Unsre geschätzten Leserinnen dürfte es jedoch mehr interessieren, zu vernehmen, daß Herr Eyth durch keine zarten Bande an den alten Kontinent geknüpft ist und nicht unweigerlich an den klösterlichen Grundsätzen seiner Jugend festzuhalten gedenkt. Wir wünschen ihm in dieser und jeder andern Beziehung einen erfolgreichen Aufenthalt in den wieder auflebenden Golfstaaten.«

»Das ist gut, das ist sehr gut für einen Anfang!« meinte Lawrence. »Sie werden sehen, unsre schönen Kreolinnen werden sich nach Ihnen umsehen; das kann nichts schaden. – Weiter!«

Er griff nach dem »Crescent City News«. Der Anfang des Artikels der republikanischen Zeitung, den er mit raschem Kennerblick gefunden hatte, war nahezu der gleiche. Auch hier war der Vertreter der großen Firma von John Fowler & Co. vor allen Dingen »gentlemanly«, ein Ausdruck südlichen Zeitungsstils, dem kaum jemand entgeht, und den ich oben in der Not mit »gentlemännlich« zu übersetzen suchte. Geboren war ich hier, nach meinen eignen liebenswürdigen Mitteilungen, in den Tiefen des Schwarzwalds und der Rauhen Alb, wo mein Vater, »wenn wir Herrn Eyth, der ein Deutscher ist, richtig verstanden haben, teils dem Holzhandel, teils der schon von Tacitus erwähnten Jagd auf Bären und Wölfe oblag. Schon von Jugend an hatte deshalb Herr Eyth eine fast schwärmerische Zuneigung für das große Amerika, namentlich aber für unsern lebenskräftigen Norden, der in dem soeben glorreich zu Ende geführten Kampf seine Stärke und seinen gesunden Sinn zum Wohle des Ganzen mit blutiger Energie bewährt hat. Die Jugendzeit, verbracht in der finsteren Einsamkeit primitiver Wälder, mag auch die Ursache gewesen sein, daß der übrigens nicht unsympathische Vertreter der englischen Firma, dessen politische Ansichten im Gegensatz zu der in England herrschenden bedauerlichen Stimmung durchaus korrekt zu sein scheinen, sein Geschick noch nicht mit dem Rosenband einer glücklichen Liebe umwunden hat. Eigentümlicher ist, daß die englische Firma es für nötig hält, dem erfindungsreichen Amerika, das in nichts, somit auch nicht in Dampfpflügen, hinter irgendwelchem Lande zurücksteht – wir machen nur auf die Dampfkulturgeräte in Pennsylvanien, in Ohio, in Illinois und neuerdings auch in Kalifornien aufmerksam –, derartige Apparate uns zusenden zu müssen glaubt. Ihre Nützlichkeit bleibe hierbei unbestritten. Wir zweifeln keinen Augenblick, daß Herr Eyth, dessen offener Blick uns sofort sympathisch berührte, mannigfach und reichlich belehrt zu seinen englischen Freunden zurückkehren wird, und wünschen ihm hierzu wie in jeder andern Beziehung den besten Erfolg.«

»Ein verfluchter Yankee!« meinte Lawrence, ohne große Aufregung, während ich, etwas grimmiger als er, ein Beefsteak von landesüblicher Zähigkeit zersäbelte. Sämtliche sieben Morgenblätter brachten ähnliche Aufsätze, so daß sich seitdem sieben verschiedene Städte um die Ehre streiten können, meine Wiege beherbergt zu haben. Alle aber waren in einem Punkte einig: daß meinem armen, unschuldigen Dampfpflug eine hervorragende politische Rolle zukomme. Ein unverkennbarer, wenn auch leichter Hang gegen den demokratischen Süden schien von der einen Seite das höchste Lob, von der andern den schärfsten Tadel zu verdienen. Nur mit Rücksicht auf das noch nicht ganz ausgesprochene pekuniäre Verhalten des sympathischen Vertreters der Firma John Fowler & Co. legten sich die kleineren Blätter noch einige Zurückhaltung auf. Das Beefsteak aus Texas war wirklich zu zäh; ich warf Messer und Gabel weg und stand auf.

»Lieber Herr Eyth,« sagte Lawrence, der meine Verstimmung kopfschüttelnd bemerkte, »an das müssen Sie sich gewöhnen, wenn es Ihnen bei uns wohl werden soll. Es tut nicht weh, sobald man's gewöhnt ist. Was Sie zu tun haben, ist, Ihren Pflug auszupacken. Je mehr man über Sie schimpft, um so besser. Man wird auf Sie aufmerksam; das ist alles, was Sie brauchen, und kostet Sie nichts. Übrigens läßt sich die Sache auch sehr leicht in Ihrem Sinn regeln. Ich will Ihnen das besorgen. Wieviel wollen Sie an die ›Crescent City News‹ rücken?«

»Keinen roten Cent!« rief ich grimmig, indem ich unser Frühstück bezahlte.

»Sie sind aufgeregt!« meinte Lawrence begütigend. »Das ist nicht gut. Kühl bleiben ist die erste Regel des Lebens, namentlich im Süden und heutzutage. Wir wären alle besser dran, wenn wir sie vor fünf Jahren mehr beherzigt hätten.«

Ich ging wieder nach den Levees, dem »Wilden Westen« zu. Ein gewaltiger Menschenhaufen umstand jetzt die Ausladestelle des Schiffs. Im Kern des Knäuels schien es lebhaft zuzugehen. Meine sechs Neger hatten sich auf die übereinandergetürmten Kisten geflüchtet und verteidigten ihre günstige Stellung mit rühmlicher Hartnäckigkeit. Zoll- und Leveebeamte waren die Angreifer. Das unparteiische Publikum begrüßte jede Wendung des Wortgefechts mit lauten Lachsalven.

»Herunter von den Kisten!« schrie ein bärtiger Mann, der in Reste einer unbekannten Uniform gekleidet war. »Herunter, verdammte Nigger! Die ganze Bagage muß in dreißig Minuten verschwunden sein. Nichts darf auf den Levees ausgepackt werden. Fort mit dem Zeug!«

Der aufgeregte Herr hatte eine Hilfstruppe von drei Mann in Zivil, die nach den nackten Beinen meiner Neger griffen. Eine Brechstange, welche zufällig auf die Finger eines der Angreifer fiel, veranlaßte die heftige Fortsetzung des bloßen Wortgefechts. Ich drängte mich durch.

»Hier ist unser Herr!« schrieen die Neger triumphierend. »Hurra für Alt-Dixies Land!«

Der Levee-Inspektor wandte sich zornig an mich.

»Wissen Sie nicht, Mister, daß nichts auf den Levees montiert werden darf?« fragte er mich mit ausgesprochener Unhöflichkeit. »Wollen Sie Ihren Kram fortführen?«

»Wollen Sie ihn fortführen?« fragte ich mit völlig wiedergewonnener Ruhe, seitdem ich die Zeitungen nicht mehr sah. »Soll ich ein paar Kesselwagen und zwanzig Pferde auf Ihren Tanzboden bringen lassen und die alten Bohlen durchbrechen?«

Er starrte mich an.

»Seien Sie vernünftig und lassen Sie mich machen«, fuhr ich zutraulich fort. »Ich vermute, ich verstehe mein Geschäft besser als Sie. Zum Vergnügen bleibe ich nicht hier. Ich bringe meine Sachen weg, so schnell ich kann. Mehr kann auch ein Yankee nicht tun, soviel ich weiß.«

»Aber es ist gegen das Gesetz; es darf auf den Levees nichts montiert werden«, erklärte mein Gegner.

»Was wollen Sie machen?« fragte ich ruhig. »Es gibt nur einen Weg, die Sachen fortzuschaffen: ich montiere meine Maschinen, mache Dampf in den Kesseln und fahre davon, wie es bis jetzt überall gehalten wurde. Haben Sie noch nie von einem Dampfpflug gehört? Wenn Sie's besser wissen, greifen Sie zu. Ich werde Ihnen sehr dankbar sein.«

»Aber die Instruktionen, das Gesetz!« rief er, etwas kleinlauter. »Donnerwetter, ich bin hier, um Ordnung zu halten.«

 

»Was wollen Sie machen?« wiederholte ich. »Ich stelle die Ordnung auf dem schnellsten Weg her, der überhaupt möglich ist. Sehen Sie das nicht?«

Er starrte mich aufs neue fragend an, dann die Kessel, dann die dreiundfünfzig Kisten.

»Was will ich machen?« fragte er endlich, sehr nachdenklich werdend.

»Ich will Ihnen das andeuten!« antwortete ich und drückte ihm zwei Fünfdollarscheine in die Hand. »Dort an der Ecke ist ein Biersalon. Von dort aus können Sie die Fortschritte, die wir machen, genau kontrollieren. Wenn Ihnen die Sache nicht flott genug zu gehen scheint, so wenden Sie sich nur gütigst an mich. Wir wollen schon Ordnung halten, Sie und ich.«

Er lachte befriedigt. »Vorwärts, Jungen!« rief er seinen Hilfstruppen zu. »Dieser Herr ist ein Gentleman. Guten Morgen, Sir!«

Die vier Mann des Gesetzes marschierten in geradester Linie dem angedeuteten Biersalon zu und erschienen erst am folgenden Morgen wieder, um sich weitere Instruktionen zu holen, die mich fünf Dollars täglich kosteten. »Billig!« meinte Lawrence. »Sie machen Fortschritte. Aus Ihnen kann schon noch etwas werden.«

Gegen Abend stand der erste der zwei Kessel auf seinen vier Straßenrädern. Meine Negertruppe hatte sich auf zwölf Mann vermehrt, die mit wachsendem Stolz ihr eignes Werk betrachtete. Auch die Zeitungsartikel hatten sichtlich schon gewirkt. Wir bekamen Besuche von Herren, denen der »Picayune« aus der hinteren Rocktasche sah, und die viertelstundenlang still beobachtend unter meinen Kisten und Kasten herumstöberten. Keiner versäumte, die Breite der mächtigen Fahrräder mit den ausgespreizten Fingern beider Hände abzugreifen. Die meisten zogen hierauf verstohlen einen Maßstab aus der Tasche, steckten ihn aber rasch wieder ein, wenn sie bemerkten, daß sie beobachtet wurden. Dann kamen sie gewöhnlich etwas verlegen an mich heran.

»Dies soll wohl der neue englische Dampfpflug sein?« begann die Unterhaltung.

»Jawohl!« antwortete ich zuvorkommend. »In einigen Tagen werden Sie deutlicher sehen, wie das alles zusammenhängt. Vorläufig sind es nur zerbrochene Kisten.«

»Ich denke, ich könnte wesentliche Verbesserungen in Vorschlag bringen«, war fast regelmäßig die nächste Bemerkung, und dann, wenn ich hierauf nicht einging, studierte der Mann mit dem Ausdruck wohlwollenden Mitleids in seinem intelligenten Gesicht weiter.

Einer derselben hatte in dieser Weise mehrere Stunden des Nachmittags zugebracht, ehe er sich an mich wandte, ein Mann von mittleren Jahren, in schwarzem Anzug, mit einem scharfen Yankeegesicht, das seinen nördlichen Ursprung nicht verleugnete. Erst am Schluß der Arbeit, als ich die Neger unsre Winden, Hebel und Brechstangen für die Nacht zusammenstellen ließ, kam auch dieser Herr mit seinem: »Dies ist wohl der neue englische Dampfpflug?« an mich heran.

»Jawohl,« sagte ich, »in einigen Tagen werden Sie deutlicher –«

Er unterbrach mich mit einem leisen, nicht unfeinen Lächeln um den zusammengepreßten Mund. Er hatte meine Antwort wohl schon mehrmals gehört und wollte mir die weitere Mühe ersparen.

»Ich bin Maschinenbauer«, sagte er, »und habe eine Stellung bei den städtischen Wasserwerken in Aussicht. Augenblicklich habe ich nichts zu tun und Langeweile. Lassen Sie mich mitarbeiten.«

»Aber ich habe die Leute, die ich gebrauche«, bemerkte ich.

»Ohne Lohn«, antwortete er. »Ich habe genügend Geld und muß fünf Wochen warten, ehe ich bei den Wasserwerken eintreten kann. Ihr Pflug würde mich unterhalten.«

»Sehr hübsch!« sagte ich, etwas mißtrauisch. »Sie wollen ihn wohl verbessern?«

Er lächelte wieder, kaum merklich.

»Ich bin ein praktischer Maschinenbauer von Beruf«, versicherte er, »und mit dem Verbessern nicht so rasch bei der Hand. Aber ich möchte sehen, was sie im alten Land drüben zuwege gebracht haben, und will dafür arbeiten. Versuchen Sie mich.«

»Ich lasse niemand gerne umsonst für mich arbeiten; das bezahlt sich nicht«, versetzte ich. »Und ich bin nicht in der Lage, Ihnen so viel zu geben, als Sie, wie mir scheint, beanspruchen können. Die zwei Monteure der Ankerwerke, die Sie hier sehen, werde ich zurücksenden, sobald die Maschinen zusammengestellt sind. Dann will und werde ich mit den Schwarzen auskommen. Ich kann Ihnen deshalb nicht mehr zahlen, als ich einem dieser Leute gebe: zwei Dollars den Tag.«

»Ganz vernünftig!« sagte der Amerikaner trocken. »Ich heiße Stone. Morgen früh werde ich hier sein.«

Der Mann in seiner ruhigen, geraden Weise gefiel mir wohl. Es gibt doch auch in diesem kuriosen Lande vernünftige Menschen, überlegte ich. Wenn sie Dampfpflügen lernen wollen, um so besser; Hunderte müssen es lernen, ehe ich hier fertig sein kann. Geheimnisse gibt es bei der Dampfpflügerei kaum. Die es gibt, lernt man nur in ein paar Jahren harter Arbeit, zu der mir jeder Yankee willkommen sein soll. – Der Horizont fing an sich ein wenig aufzuhellen und der Mut mir fühlbar zu wachsen, als ich in der Abenddämmerung einen letzten Blick über die Levees warf und den Schornstein der ersten meiner Maschinen über die Baumwollballengebirge hervorragen sah. Ich hatte ihn bloß zu diesem Zweck im letzten Augenblick noch aufstellen lassen. Es war unsre Standarte, die ich auf dem Boden von Louisiana aufgepflanzt sah, und die Hoffnungen, die ein solches Zeichen weckt, erfrischen, auch wenn sie niemals in Erfüllung gehen.

Die nächsten fünf Tage verliefen in gewohnter Arbeit, wenn auch in etwas ungewohntem Geleise. Stone war eine große Errungenschaft und arbeitete fleißig mit Kopf und Händen. Bei den Negern war die Neugierde und der Eifer des ersten Tages allerdings rasch verdampft, aber die gutmütige und gutwillige Kraft des Herrn Bucephalus und die naseweise Intelligenz des kleinen Jem, der als der Schlauste der Bande die andern mit komischer Überhebung kommandierte, förderte die Zusammenstellung der Maschinen so, daß die Arbeit hinter dem üblichen Tempo nicht zurückblieb. Der junge Owen besuchte uns gelegentlich, beschäftigte sich aber allerdings ausschließlich mit dem geplanten Frühstück, mit dem der erste englische Dampfpflug auf dem Boden der Südstaaten seine rettende Tätigkeit beginnen sollte. Ich war hierfür von Herzen dankbar und überließ ihm mit Freuden die ganze Sorge für diesen, wie es schien, hochwichtigen Teil unsrer Aufgabe. – Lawrence stattete mir täglich zweimal seinen Besuch ab. Sein Bruder war noch immer im Norden. Er selbst wohnte im Hause seiner Schwägerin, einer reichen Kreolin, und war damit beschäftigt, Verkaufsverträge für den Zucker der nächsten Ernte abzuschließen. Dies hielt ihn noch auf mehrere Wochen in der Stadt zurück und gab ihm Zeit, sich dem Dampfpflug zu widmen, den er mehr und mehr als seine Schöpfung ansah und mit wachsendem Eifer unter seinen Schutz nahm. Seine Sonderaufgabe blieb die Leitung der Presse. Der »Picayune« machte schon zum drittenmal auf die bevorstehende Rettung des Südens aufmerksam, während die mir persönlich weniger bekannte »Tribüne« laut auf die großartige Feier hinwies, die bei dieser Gelegenheit im Ausstellungspark stattfinden und voraussichtlich die ganze landbesitzende Aristokratie Louisianas an festlicher Tafel vereinigen werde. Wohl zum erstenmal, nach langer, bitterer Unterbrechung, dürfte in greifbarer Weise die Erinnerung an den alten Glanz des Südens wieder auftauchen. Ohne indiskret zu sein, glaubte die »Tribüne« darauf hinweisen zu können, daß Monsieur Mercier, der Chef de cuisine des ersten Restaurants der Kanalstraße, seit Wochen mit der Zusammenstellung eines exquisiten Menüs beschäftigt sei, und daß eine schwere Sendung Sekt mit dem nächsten Dampfer von New York erwartet werde; Nachrichten, die ich nicht ohne Besorgnis entgegennahm. Nur die »Crescent City News« blieben weniger guter Laune und erzählten von den riesigen Eisenmassen des englischen Dampfpflugs, »die unsre herrlichen Levees am Fuß der Tschapatulastraße mit Zerstörung bedrohten«. »Geduld!« meinte Lawrence, »bis wir den Redakteur bei dem Eröffnungsschmaus gehabt haben. Er ist von Natur kein schlechter Mensch, aber hungrig, wie alle Reisesackpolitiker.« – Ich selbst kam jeden Abend müde genug nach Hause und war mit der Arbeitsteilung, die sich wie von selbst unter meinen unerwartet heranwachsenden Mitarbeitern vollzogen hatte, höchlich befriedigt. Es kam sichtlich ein gewisser Zug in die Sache; auch gewöhnt man sich's ab, in derartigen Lagen allzu weit in die Zukunft sehen zu wollen. Jeder Tag bringt schließlich von selbst seine Aufgabe und die Zeit deren Lösung.