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Ratsmädelgeschichten

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„Ich hab’s immer gesagt: das ist auch ein großes Tier,“ meinte Röse; „da wird ja wohl auch die Schopenhauerin einmal mit ihm zufrieden sein, wenn er sich mit Goethen so niedlich macht. Die Adele hat’s von mir zu hören bekommen, daß ich es unausstehlich finde, wenn sie an ihrem Bruder ewig herumnörgelt.“

Die beiden Damen Schopenhauer waren, wie stadtbekannt, in einer unausgesetzten Unzufriedenheit mit dem Sohne und Bruder Arthur, mißtrauten ihm in allen Dingen; seine Neigung zur Philosophie, sein Aufgehen darin erschien ihnen höchst sonderbar und wenig versprechend. Sie hielten nicht viel von seinen Bestrebungen, drängten sich ihm als Vorbilder auf und behandelten ihn nur als enfant terrible. „Alles an ihm ist beängstigend, selbst seine Wahrheitsliebe, mit der er einem wie mit einer Bürste unter die Nase fährt,“ sagte seine Mutter von ihm, und derlei Aussprüche der Mutter mochten wohl mit schuld daran sein, daß man ihm in ihren Gesellschaften wenig liebenswürdig entgegenkam. Er saß gewöhnlich allein und unbeachtet, auf das sonderbarste in einen Stuhl hineingeräkelt, und schien sich um niemanden zu kümmern.

An dem Abend aber, als er die Ratsmädchen auf der Treppe beinahe umgerannt hatte, näherte er sich ihnen: „Nun, Ihr Haareulen,“ sagte er, „wie geht’s? – Wie steht’s? Ihr seid ja gut ausstaffiert, sorgt nur dafür, daß es nachher, wenn Ihr eingefangen habt, was Ihr einfangen werdet, und die goldenen Fahnen davon geflattert sind,“ er schnippte leicht in Rösens Haar mit dem Finger, „daß es dann nicht gar zu übel um Euch und die, die mit Euch leben müssen, steht. In der Jugend geht alles an, die hat ihre Zwecke, da mag es sein; aber pfui Teufel, alte Weiber, da hat es seine Gefahr, da kann alles unerträglich sein. Denkt daran, daß Ihr alte Weiber werdet, und sorgt schon jetzt vor, daß es dann leidlich mit Euch auszuhalten sei. Schwatzt nicht, und wenn es jetzt noch so niedlich klingt, später ist es das nicht mehr, – ist unausstehlich, horrend! Seid anspruchslos, des Alters wegen. Anspruchsvolle alte Weiber, – grauenhaft! Soviel wie ein altes Weib geben kann, auf soviel hat sie Anspruch im Entgegennehmen, versteht Ihr? Verflucht wenig!“ Die Ratsmädchen hörten ihm verwundert und lächelnd zu. „Versucht“, brummte er, „ob Ihr es fertig bringt, Euer lebelang freundlich zu bleiben und mitleidig! Diese zwei Dinge können versöhnen. Nebenbei sparsam und fleißig. Was ich Euch hier sage, ist vernünftig und klug, wenn es Euch auch dumm vorkommt. Hört auf einen, der klüger ist, als der übrige Haufe, und Ihr bekommt’s nicht alle Tage zu hören! Mit der Jugend nimmt’s rasch ein Ende. Heut seid Ihr vierzehn und fünfzehn und nächstes Jahr sechzehn, dann kommt langsam siebzehn, achtzehn, neunzehn. Seid Ihr erst zwanzig, dann geht es mit Riesenschritten: fünfundzwanzig, dreißig, fünfunddreißig – fünfzig, hu!“ und der kleine Mensch mit dem großen Kopf schnitt eine greuliche Fratze.

„Unrecht hat er nicht,“ sagte Röse, als er wieder von ihnen gegangen war. „Aber wenn man sich denkt, daß es ein junger Mann ist, der so spricht, dann kommt einem die Sache doch närrisch vor.“

„Abgeschmackt,“ urteilte Marie.

„I gar, das nicht,“ bemerkte Röse tiefsinnig.

Und sie hatte sich die Worte des wunderlichen Menschen fürs Leben wohl gemerkt. Als die Jugend von ihr gewichen war, die goldenen Fahnen eingezogen, da blieb die reine Freundlichkeit, Anspruchslosigkeit zurück, eine unerschöpfliche Güte, mit der sie bis in das hohe Alter Haus und Familie, Kind und Kindeskinder, beglückte und rührte. Es blieb ein Wesen zurück, aus lauter Liebe gestaltet. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, ein altes Weib wurde unsere Röse nie; sie wurde so wenig alt, als Güte und Anspruchslosigkeit je alt werden können. Wir nennen sie noch heute unser „Gomelchen“. Der Name ist gekommen, ich weiß nicht wie. Er entstand, um etwas zu benennen, für das sich kein Name eingestellt hatte, für etwas, das lauter Heiterkeit, Liebe, Liebenswürdigkeit, Innigkeit, Frische und die Güte selbst ist. Sie wurde ein „Gomelchen“, wie schon gesagt, nie alt, kein Mütterchen, „ein Gomelchen“, nichts anderes. Der Philosoph hatte den herrlichen Mädchen wohl, weil er Mitleid mit ihnen fühlte, einen Zauberspruch fürs Leben mitgegeben, der sie vor dem Alter schützen sollte; diesen Spruch: „Immer an das alte Weib denken“, hat Röse zu jeder Zeit wohl im Herzen behalten.

Doch habe ich jetzt fünf, sechs, sieben Jahrzehnte vorgegriffen, in Zeiten hinein, die den Ratsmädchen an jenem schönen Abend bei Johanna Schopenhauer unendlich ferne lagen, in Zeiten hinein, in denen Enkel und Urenkel der beiden schönen Kinder ihr Wesen treiben. Die Unterhaltung aber des widerhaarigen Sohnes der geistreichen Mutter, die im Leben der Ratsmädel die besten Früchte getragen, diese Unterhaltung hat ihnen am selbigen Abend noch einen rechten Ärger gebracht. Sie waren während der Standrede, die ihnen der Philosoph gehalten, belauscht und zwar von Ottilie von Pogwisch und August von Goethe und wurden von beiden, die in vertraulichem Einverständnis zu sein schienen, gehörig damit gehänselt.

„Der hat Euch gut zugerichtet, das ist recht,“ sagte Ottilie. „Wenn’s nach mir ginge, er müßte Euch alle Tage predigen: ‚Ihr habt es vonnöten‘.“

„So,“ sagte Röse und wurde dunkelrot vor Ärger. „Und Ihr? Wer soll denn Euch thun?“

Sie hatte auf Ottilie von Pogwisch von jeher einen Ärger, sie brauchten nur in ein Gespräch miteinander zu kommen, so schwoll Rösen der Kamm.

„Ich habe übrigens mit Euch ein Hühnchen zu pflücken und die Adele auch, kommt einmal mit, Ihr Galgenvögel,“ sagte Ottilie gutlaunig.

Sie ging voraus, und die Ratsmädchen folgten ihr. August von Goethe flüsterte ihnen zu: „Laßt Euch nicht ins Bockshorn jagen, ich habe etwas verraten, was Ihr angerichtet habt, daß Ihr’s nur wißt.“

Es stellte sich eine sonderbare Thatsache heraus, daß nämlich die leichtsinnigen Ratsmädchen eine geringe Achtung vor der Unantastbarkeit eines wohlverwahrten Briefes hatten, ja, daß gerade die Verschlossenheit eines solchen Briefchens eine unwiderstehliche Aufforderung an sie enthielt, es zu öffnen.

Die geistreichen und unausgesetzt in schriftlichem Verkehr miteinander stehenden jungen Damen, die Pogwischs, die Schopenhauer und deren Freundinnen hatten Röse und Marie hin und wieder ein solches wohlverwahrtes Briefchen mitgegeben, das sie da oder dort abliefern sollten.

Diese Briefchen aber wurden von den beiden regelmäßig in dem wenig belebten Durchgang des Wittumspalais gelesen.

Was für ein sonderbares Gemäuer war dieser alte Durchgang und ist es noch, denn er wird wohl kaum seit jener Zeit eine Veränderung erlebt haben.

Von der Esplanade, der jetzigen Schillerstraße, die damals von alten, schönen Linden beschattet war, führte eine breite Treppe mit eisernem Geländer zu einer Gruppe tiefliegender Häuser hinab. Neben dieser Treppe in einem schattigen Gärtchen wächst ein schöner Muskateller-Birnbaum, der wie kein anderer voll blüht und voll trägt. Er stand schon damals und steht noch heute. Auf der Treppe fanden und finden die Schulkinder an frischen Julimorgen manch goldgelbes, zersprungenes Birnlein liegen, das der Wind über Nacht von dem Baum geweht hat.

Diese Treppe führte zu dem dunkeln Gang, der durch ein Nebengebäude des Wittumspalais geht und der wie geschaffen ist zum Lauern und Schlüpfen für Liebespärchen und Gassenbuben.

Dort hockten die beiden Rangen auf den Stufen und lasen mit außerordentlichem Hochgenuß die Herzensgeheimnisse, welche die Damen für gut erachteten, einander mitzuteilen. Und die Ratsmädchen fanden nichts auf der Welt so spaßhaft, so belustigend, als die pedantische Rechenschaft, die eine jede der Freundinnen der anderen von ihrem augenblicklichen Herzenszustande gab, so genau und ausführlich, daß es schien, als seien diese Frauenzimmer entschlossen, das Wesen der Liebe ein für allemal und endgültig zu ergründen.

Röse und Marie wußten aufs genaueste, wie es um Ottilie und August von Goethe stand. Sie hatten auch einen Brief von Adele an einen Verehrer befördert und natürlich gelesen, worin Adele zum größten Gaudium der Ratsmädchen diesem auf einen Heiratsantrag folgendermaßen erwiderte:

„Mein Herz ist nicht mehr frei; wollen Sie mit meinem Verstande vorlieb nehmen, so bin ich die Ihre.“

Als die Ratsmädel diese Antwort gelesen hatten, gerieten sie auf ihrer Treppe außer sich vor Vergnügen, und Röse rief: „Du, die ist praktisch; das sollte man sich merken; aber miserabel ist es doch, und wenn er darauf hereinfällt, ist er ein Esel, und es geschieht ihm alles recht.“

Zu Rösens außerordentlicher Befriedigung ging er aber nicht auf Adelens Vorschlag ein. Zu einer solchen behaglichen Stunde auf der Wittumspalais-Treppe, während welcher Röse und Marie sich mit Indiskretionen auf das harmloseste vergnügten, wurden sie in ihrem Treiben von August von Goethe belauscht und an die Pogwischs verraten.

Und jetzt, nachdem diese dem Sermon des jungen Schopenhauer, den er den beiden Mädchen hielt, gefolgt waren, erachteten sie es auch an der Zeit, ihrem Herzen Luft zu machen und beschuldigten Rösen und Marien einer niedrigen und strafbaren Gesinnungsart, so daß diese im Laufe einer Viertelstunde des Fatalen genug erfuhren und ganz erstaunt und betreten waren; wie schnell ein Übel dem andern sich anschließen kann.

Die Pogwischs hatten die Freude, die beiden Ratsmädchen, deren glücklicher Gleichmut den Anschein hatte, als wäre er nicht zu trüben, betreten und bedrückt vor sich stehen zu sehen. Sie blieben auch den ganzen übrigen Abend nachdenklich, hatten, wie es sich von ihnen erwarten ließ, keine Reue, aber einen außerordentlichen Ärger über die Pogwischs und einen noch größeren über August von Goethe, den Schwätzer.

„Ich möchte den Menschen wahrhaftig sehen, der in solche Zettel, wie wir sie herumtragen, nicht hineinsieht. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich ihn bewundern würde, ich mache mir nichts aus solchen widernatürlichen Dingen; aber der Goethe soll schon merken, daß er geklatscht hat!“ sagte Röse resolut.

 

August von Goethe brachte diesen Abend die beiden Mädchen nach Hause. Sie benahmen sich äußerst kühl und gehalten gegen ihn. Er erbat sich ihre Verzeihung, die sie ihm aber auf das entschiedenste verweigerten.

„Da kämen wir schön durchs Leben,“ sagte Marie, „wenn es mit einer Verzeihung abgethan wäre. Was bringt zu Ehren? – Sich wehren! Sie kennen das doch, Herr von Goethe?“ sagte Röse und wollte recht schnippisch sein. „Wenn das bei Ihren Freundinnen, oben bei Schopenhauers Mode ist, mir nichts, dir nichts zu verzeihen, bei uns ist es das nicht.“

„Nun, ich möchte doch wissen,“ sagte August von Goethe, „ob Ihr auch so streng mit Euren vielen guten Freunden seid, mit denen man Euch allerwegen sieht.“

„Viele gute Freunde?“ fragte Röse pikiert. „Wir haben drei. Da ist erstens Budang, zweitens Ernst von Schiller und drittens Franz Horny, das sind sie.“

„Drei, das ist eine schlimme Zahl, da muß einer traurig abziehen,“ sagte August von Goethe.

„So, wie meinen Sie das?“ fragte Röse. „Wir haben sie alle drei gleich gern, einen wie den andern.“

„Zum Beispiel verloben könntet Ihr Euch doch nicht mit allen dreien,“ sagte ihr Begleiter.

„Wenn Sie das so meinen,“ erwiderte Röse, „das geht freilich nicht; aber es sieht Ihnen recht ähnlich, daß Sie dergleichen, worauf kein Mensch kommen würde, denken. Ich möchte Budang sehen, wenn wir ihm das erzählen; der wird schön bös auf Sie sein; der ist sehr gegen dergleichen. Wir, Marie und ich, hassen auch Liebe und finden Leute abgeschmackt, die ewig nichts weiter im Kopfe haben, als das! Es gefällt uns gar nicht, daß Sie solche Vermutungen aussprechen, gerade von Ihnen gefällt uns das nicht, weil Sie selbst so viele gute Freundinnen hier haben.“

„Warten Sie nur, Herr von Goethe,“ sagte Marie, „wir haben Ihnen unsere besten Freunde am Schnürchen hergenannt, damit Sie nicht denken, es wären ihrer zwanzig. Wir werden Ihnen auch Ihre guten Freundinnen vorzählen, Sie sollen schon sehen, das werden wir Ihnen zur rechten Zeit thun.“

„Marie,“ sagte Röse, „was meinst Du denn?“

Da zwinkerte Marie ihr zu, auf eine Weise, die Röse den Mut gab, im vollen Vertrauen auf ihre Schwester, sich Herrn von Goethe lachend zuzuwenden und mit ihr im Chore zu sagen: „Ja, ja, wir werden Ihnen ein Weihnachtsgeschenk machen. Nun, gute Nacht, adieu, Herr August von Goethe!“

Als die Mädchen in ihrer Stube, oben unter dem Dache, angelangt waren, konnten sie sich vor Lachen und Vergnügen kaum halten; denn Marie hatte Röse ihren Plan, der ihr auf dem Wege so durch den Kopf gefahren war, mitgeteilt und hatte von Rösen vollkommene und freudige Zustimmung erhalten. Es wurde beschlossen, Herrn von Goethe zu Weihnachten mit einem sonderbaren Geschenk zu überraschen.

Seit langer Zeit waren sie mit keiner glänzenderen Idee beschäftigt gewesen, und die, welche jetzt in Maries Kopf aufgestiegen war, schien sie beide vollkommen zu beglücken; sie konnten lange nicht zur Ruhe kommen und auch deshalb nicht, weil das aufgelöste Haar die größte Mühe verursachte. Es war über die Maßen verwirrt und zerzaust, und sie mußten sich beistehen, um es auseinander zu bekommen. Frau Rat durfte beileibe nicht erfahren, daß man es ihnen wieder aufgeflochten hatte; sie war der Meinung, daß dieses Lösen und Herumflattern dem Glanz der schönen Flechten schade; auch liebte sie es nicht, wenn ihre beiden Mädchen sich als zwei Haarungetüme in der Gesellschaft zeigten.


Es war vor Weihnachten, eine prächtige Winterzeit! Der Schnee lag so hoch und so beständig, wie er seit Jahren nicht gelegen.

Die Winterfreuden hatten sich zu einer Mannigfaltigkeit herausgebildet, wie seit Menschengedenken nicht.

Von den wunderlichsten, altmodischen Schlitten wimmelte es im Städtchen; denn jeder alte Schlingel von einem Schlitten, den man in gewöhnlichen Wintern nicht auf die Beine gebracht hätte, weil es sich um ein paar Tage Schneebahn nicht gelohnt hätte, war leidlich ausstaffiert worden, und so närrisch bunt und wackelig, wie er war, sauste und flog er neben hübschen anderen, nagelneuen durch die Straßen. Die Gassenjungen hatten diesen Winter eine erstaunliche Geschicklichkeit erreicht, auf die Kufen zu springen und sich von den Schlitten mitnehmen zu lassen.

Unten an der Bibliothek, auf dem großen Rutschberge geschahen Wunder und Zeichen; denn die Käsehütschen, auf denen die Sakramenter, die Gassenbuben, die Eisbahn hinabrutschten, schienen diesen Winter zu ganz anderen Geschöpfen sich umgewandelt zu haben. Sie waren heimtückisch, in ihrer Schnelligkeit unerreichbar geworden, flogen hin, wie Schwäne, wie Schneegänse, von der Bibliothek an fuhren sie über die ganze Reitwiese weg, wie im Flug an dem alten Reithaus vorbei, bis auf die festgefrorene Eisdecke der Ilm. Ob sie es heut noch zu stande bringen? Kaum mochte es einen Weimaraner geben, der nicht davon zu berichten gehabt hätte, daß ihm eine Käsehütsche mit einem unverschämten Bengel darauf, die, wie vom Himmel gefallen, auf ihn zu wetterte, an die Beine gefahren sei, mit einer Wucht, wie eine wilde Bestie. Die Straßen wimmelten von Raben und Goldammern, wie noch keinen Winter. Alles hatte den Anschein von etwas Außerordentlichem. Man spürte den erregenden Einfluß eines gewaltigen, unhemmbaren Elements.

Mit geheimem Behagen sah man die Schneewälle, die an den beiden Seiten der schmalen Wegbahnen sich auftürmten, höher und höher werden. Es gab in Weimar Wohnungen und Häuschen, die buchstäblich eingeschneit waren.

So lustig und unternehmend das Leben auf den Straßen war, so behaglich und angenehm befand man sich in den vier Wänden. Es wurde geheizt „auf Teufelsholen“, wie man sich in Weimar ausdrückt, und es ging mächtig an die Holzvorräte.

Die alten Damen hielten Spielchen und Kaffees ohne Ende; die Abende in den Familien waren wunderhübsch, und die Weihnachtserwartungen schöner als je. Es schien mit den Schneemassen ein Geist der Gemütlichkeit mit herabgekommen zu sein.

An solch einem Winternachmittag bereitete die Kummerfelden sich zum Empfang von Gästen vor. Unten in der Stube, in der die Schülerinnen am Vormittag gehaust hatten, wurde ein Tisch gedeckt; die Kummerfelden in ihrem hellen, geblümten Kleid, die Prachthaube auf dem Kopf, eine Bernsteinkette um das Handgelenk, sprang die siebenstufige Treppe, die in ihr Schlafgemach führte, hurtig auf und ab, schleppte aus einem Schubfach Tassen hervor, aus einem Beutel silberne Löffel, stach mit der Gabel den Kommodenkasten auf, in welchem sie Zucker verwahrt hielt, trabte unentwegt auf und nieder und brachte allerlei aus allen Ecken herbeigeschleppt, schüttete endlich auch frischen Tabak in die Schnupftabaksdose und stellte diese mit auf den Tisch. Aus dem gestrickten Beutel über ihrem Bette wurden Äpfel gelangt, und im warmen Ofen stand bald der Kaffee fix und fertig.

„Nun könnten sie kommen, es wäre alles so weit,“ sagte die Kummerfelden und ließ sich auf eine Treppenstufe nieder, schlang die Hände um die Kniee und saß da wie der liebe Herrgott am siebenten Schöpfungstage, mußte aber so länger sitzen, als ihr lieb war; denn die Gäste kamen nicht ganz pünktlich, jedenfalls wegen des vielen Schnees.

Und während die Kummerfelden saß und lauerte, tappte bedächtig zwischen den hohen Schneewällen durch die Schützengasse, die damals noch „das Pförtchen“ hieß, eine respektable Frauengestalt, bog bei der Schleuse ein und trottete mit Filzschuhen, die den Eindruck von Kähnen machten, in denen die große Frau sich behaglich, ohne daß sie sich selbst dabei anzustrengen hatte, fortschaffen ließ. Die Filzschuhe führten sie durch den wieder neugefallenen Schnee weich und geräuschlos, wie es sich von solch einer Frau ganz unwahrscheinlich und gespenstisch ausnahm. Ein frischer, voller Schneewind fuhr gegen die steifen Falten ihres Mantels, ohne sie in Schwung bringen zu können. Der Mantel hätte seinem Schnitte, seiner Ausdehnung und seinem eisenfesten Stoffe nach gut den Überkragen für einen Winteranzug des Riesen Christophorus abgeben können. Gott weiß, aus welcher Zeit er stammen mochte! Er machte den Eindruck der Unvergänglichkeit. Die große Frau, die schwer und leise, in Wollmassen gehüllt, durch den Schnee geht, heißt Fabian, aber ihr Name, unter dem man sie in den weimarischen Gassen und Straßen kennt, ist nicht dieser ehrenwerte Name, den sie als Gattin des Zinngießers Fabian trägt; sondern für jung und alt heißt sie die Rabenmutter; nicht wegen eines hartherzigen Charakterzuges gegen ihre Kinder, sondern lediglich deshalb, weil sie Winter für Winter hinaus auf den Ettersberg wandert, um den Raben Futter auszustreuen.

Sie war, wie große, unbehilfliche Leute es oft sind, gut wie ein Kind. Das wußte jedermann von ihr. Ihre Freundlichkeit aber, mochte sie in Worten oder Werken bestehen, hatte etwas Gewaltsames.

Sie liebte es, sich für andere zu plagen, verstand es, mit allem und jedem auszuhelfen, mit Kinderzeug, wo es Not that, mit Koch- und Backrezepten, mit Heilmitteln und mit gutem Rat; wußte zu einem Prozesse oder sonstigen Rechtshändeln zuzureden oder abzureden, auch mit Gelegenheitsgedichten griff sie ein, wenn es verlangt wurde, und strengte ihr poetisches Empfinden bald zu Gunsten eines Briefträgers an, der einen Neujahrswunsch seinen Kunden überbringen wollte, bald zur Verherrlichung einer Hochzeit oder Kindtaufe; verfaßte Bettelbriefe für Bedürftige, grauenhaft zum Herzen sprechend, und verwendete so mit Freuden und in bester Laune ihre Kräfte für die Menschheit.

Während wir über sie berichten, kommt sie, umtanzt von großen Flocken, ihrem Ziele näher. Sie geht jetzt über den schmalen Steg, der über den Wassergraben führt, direkt auf den Entenfang zu, in dem die Kummerfelden sitzt und lauert.

Jetzt steht Frau Fabian vor dem Häuschen und lugt in das Fenster hinein.

Richtig, da sitzt die Kummerfelden noch immer auf der Treppenstufe, und da das Warten ein saures Geschäft ist, so sieht sie griesgrämig aus.

„Na,“ brummt Frau Fabian, als sie die Gastgeberin so sitzen sieht, „was fehlt ihr denn?“ Die große Frau fährt unter dem Mantel vor mit der Hand, die in einem Buckskinhandschuh steckt, an dem der Zeigefinger sich durchgearbeitet hat, so gründlich, daß der Handschuh seine Spitze vollkommen verloren, und der Finger aus einem sorgsam umsäumten Strumpf hervorsieht. Mit diesem Finger pocht die große Frau mit aller Wucht gegen die Fensterscheiben, so daß die Kummerfelden auffährt und mit beiden Händen vor Schreck nach ihrer Haube greift.

„Das ist die Fabianen,“ ruft sie und läuft, noch ganz desparat von dem Schreck, nach der Thüre, um zu öffnen. Ehe sie aber bis dahin gelangt, schellt es draußen, daß es der Ärmsten durch Mark und Bein dringt.

„Nun schellt sie auch noch, als ob sie nicht schon Lärm genug gemacht hätte!“ murmelte die Kummerfelden. Und als sie die Thür geöffnet, da steht ihr Gast großmächtig vor ihr und schüttelt den Schnee von der Kappe, von den Schultern, aus den Falten.

„Weeß Gott, en paar Schaufeln voll!“ sagte sie mit ihrer dicken, rollenden Stimme.

„Komm nur herein,“ ermahnt die Kummerfelden, „Du läßt mir ja die ganze Kälte ins Haus; Du warst wohl gar auf dem Ettersberge?“

„Na ob,“ bekam sie zur Erwiderung aus einem Sprühregen von Eisstückchen, Wassertropfen und Schnee heraus; die Fabianen schüttelte ihr Lori aus, wie sie ein schlangenartiges, langes Tuch zu benennen liebte, das sie so ein vier-, fünfmal um den Hals geschlungen trug, so daß ihr Hals dadurch ein runderes und kopfartigeres Ansehen bekam, als der Kopf selbst.

„Läufst Du denn immer noch herauf und fütterst die Raben?“ fragte die Kummerfelden und kehrte in die Stube zurück, um dadurch ihren Gast zu veranlassen, ihr zu folgen.

„Ja wohl,“ sagte diese und trat in die Wärme ein, „ja wohl. Über das arme Viehzeug! Dies Jahr sieht’s wahrhaftig elend genug aus.“

Jetzt nahm sie den Mantel ab und hing ihn über einen Stuhl am Ofen und stand nun dunkellilla, feierlich mitten in der Stube. „Gucke! – Gucke!“ sagte sie und hauchte in die roten Hände und betrachtete den Kaffeetisch. „Du hast ja gut aufgefahren! Wenn ich so von draußen komme, wo das Gevögel wegen eines verschimmelten Häppchens um sich hacken muß wie der Teufel, damit es andere nicht stibitzen, da hat es doch unsereins, weiß Gott, recht zufriedenstellend. Das arme Vieh! das arme Vieh!“ wiederholte sie und wiegte sich dabei von einem Fuße auf den andern, daß das Haus schütterte. Sie wollte sich den Frost aus den Füßen trampeln, wie es schien. Ihre großen Filzschuhe aber hatte sie manierlich draußen vor die Thür gestellt.

„Wenn die hohe Justiz,“ sagte sie immerfort trampelnd, „wenn die hohe Justiz auch einmal zur rechten Zeit ein Einsehen hätte! Ich bin doch überzeugt, daß sie irgend so einen armen Sünder sitzen haben, so einen Totschläger, Brudermörder oder sonst wen, oder wohl gar zwei, daß sie die nun jetzt richten thäten, wo sie noch Nutzen stiften können! Nä, da warten sie damit, und wenn sie die auch jetzt richten thäten – hängen lassen würden sie se doch nicht. Wir kennen die Justiz, nicht den Tropfen Menschlichkeit hat se in sich, nicht den Tropfen! und keen Verständnis von nichts!“

 

Die Kummerfelden sagte: „Ach was, Fabianen, Du bist doch manchmal ein rechter Husar in Deinen Ansichten.“

Frau Fabian beunruhigte sich darüber nicht, sondern sprang weiter von einem Fuße auf den andern, daß es der Kummerfelden schließlich schwindelnd wurde. Währenddem huschte draußen im Schnee und im Gestöber eine kleine Person dem Steg und dem Entenfang zu.

Sie huschte wie ein Rättchen so scheu, und hinter ihr her durch die Flocken und den Schneenebel da fuhr es huit, huit! Das waren Schneebälle. Die kamen angeflogen, bald von da, bald von dort, immer hinter ihr her, und kamen von den infamen Gassenbengeln, die nun einmal ein huschendes, altes Persönchen nie in Ruhe lassen können. Es ist schlecht von ihnen, aber sie lassen es nun einmal nicht. Das wußte die kleine Jungfer auch und sputete sich gewaltig. Ganz außer Atem zog sie endlich an der Schelle im Entenfang; aber wie zaghaft, wie bescheiden!

„Das ist die Jungfer Muskulus,“ sagte die Kummerfelden, „die zieht anders als Du, Fabian.“

„Hat seine Richtigkeit,“ erwiderte diese.

Sie saß schon über dem Kaffee und brockte; denn sie hatte nach ihrer Tour Appetit bekommen.

„Hat seine Richtigkeit,“ wiederholte sie noch einmal wohlgefällig, um gerade eine Pause im Schlucken auszufüllen. „Ene Frau,“ sagte sie, während die Kummerfelden die Jungfer hereinließ, „ene Frau,“ sie sprach so laut, daß die Kummerfelden es draußen auch hören konnte, „ene Frau, die acht Kinder hat und en unmündigen Mann, hörst Du, Kummerfelden, die acht Kinder un en unmündigen Mann … Ach Herrjes, was sag’ ich da?“ lacht sie voll und laut, „die zieht anders an der Schelle wie eine Jungfer. Übrigens,“ rief Frau Fabian unter Lachen und Schlucken, „es ist nicht so ohne! Man könnte so manches Mal sagen: acht Kinder un en unmündigen Mann. Es könnte es jede Frau sagen, wenn auch nicht immer acht Kinder!“

Die Kummerfelden fuhr mit mißbilligender Kopfbewegung zwischen diese Betrachtung. „Schrei doch nicht so, Du kannst es mir ja nachher sagen.“ Sie war damit beschäftigt, die Jungfer aus ihrer beschneiten Umhüllung zu wickeln.

Jetzt traten sie miteinander ein. Die Jungfer Muskulus trug eine schwarze Lockenperücke, die sie bis tief in die Stirne hineinzuziehen für gut fand, und jahraus jahrein einen Hut, geschmückt mit dem enormsten Veilchenkranz, so groß, daß er kaum hätte größer sein können.

Jetzt hingen Schneestücke in den seidenen Veilchen; die Gassenjungen hatten sie ihr zugerichtet.

„In einer Weile werden die Ratsmädchen da sein,“ sagte die Kummerfelden.

„Na,“ fragte die Fabian, „was wollen denn die?“

„Ja,“ lachte die Kummerfelden, „wegen denen seid Ihr eingeladen. Ihr sollt mir Euren Kaffee gründlich verdienen. Die Mädchen wollen Euch allerschönstens bitten, daß Ihr ihnen bei einer Angelegenheit helfen sollt.“

„Was ist denn los?“ fragte die Frau Fabian, „das wird eine schöne Pastete sein.“

„Es ist Ehre dabei einzulegen; es soll etwas zu Goethens kommen,“ bekam sie zur Antwort.

„Na nu?“ rief Fabian.

Nun schnitt die Kummerfelden ein geheimnisvolles Gesicht und that, als sei sie selbst nicht recht mit der Geschichte einverstanden.

Aber bald verriet sie sich, und es zeigte sich, daß sie Feuer und Flamme für den Plan war, – ganz wie die dummen Ratsmädel, und sie teilte mit, daß es sich darum handle, einen kleinen Garten zu fabrizieren aus Moos und mit einem Staket darum und einer Laube darin, gerade so einen Garten, wie die Jungfer Muskulus jeden Weihnachten welche geliefert habe, aber statt der Watteschäfchen, die sie hineinzustellen gewohnt sei, sollten Frauenzimmer in das Moos gesteckt werden.

„Diese Frauenzimmer … wartet,“ sagte die Kummerfelden, fuhr aber in ihrem Bericht nicht fort, sondern tappte die Treppe nach ihrem Heiligtum hinauf, kam mit einem Kästchen wieder zum Vorschein und stellte es vor die beiden Weiber hin.

Frau Fabian nahm den Deckel ab. „Potztausend!“ rief sie, „was sollen denn die? Das sind ja Puppen! – Püppchen!“

„Na, na, na!“ rief die Jungfer Muskulus, „darauf lasse ich mich nicht ein, das scheint mir denn doch bedenklich!“ Dabei rückte sie sich ihre dicke schwarze Perücke zurecht und machte eine auffallend mißtrauische Miene: „Das ist ja frevelhaft, Kummerfelden, Sie wollen doch nicht Ihren Spott mit der alten Excellenz treiben?“

„Sie sein ä Schaf, Muskulusen,“ antwortete die Kummerfelden, die, von Frau Fabian hingerissen, auch in das beglückende weimarische Idiom zu verfallen drohte.

„Wie werd’ ich einen Spott treiben? Vergessen Sie, was ich bin, ich bin Künstlerin.“

„Man vergißt das bei Dir vollkommen, das sei zu Deiner Ehre gesagt,“ brummte Frau Fabian.

„Die Muskulusen ist und bleibt ein Grünschnabel,“ fuhr die Kummerfelden fort, „und hat auch in nichts kein Einsehen, wie Du vorhin von der Justiz bemerktest, Fabian.“

„Das is mit den ledigen Frauenzimmern und wenn se auch ene Perücke tragen, so dick, wie en Fußsack, es is doch ewig was Halbes,“ bemerkte Frau Fabian gedankenvoll. „Nä, der Kummerfelden so was zuzumuten, daß sie de alte Excellenz nicht respektieren thäte!“

Jungfer Muskulus war unter ihrer Perücke feuerrot geworden.

„Na, nu, ’s is gut,“ sagte Frau Fabian. „Was kann ens dafür, wenn es unverehelicht ist? Es kann auch ens nichts dafür, wenn es en Buckel hat. Gewöhnlich,“ fuhr Frau Fabian fort, „haben die Kindsmädchen so ens fallen lassen; man kann nicht genug dahinter her sein. Na, was hast Du denn nun aber mit den Döckchen vor?“

„Das handelt sich nun eigentlich,“ sagte die Kummerfelden, „nicht um die alte Excellenz, sondern schon mehr um den jungen, um August von Goethe.“

„Na, sag’ ich’s nich,“ rief Frau Fabian, „die Kummerfelden macht sich in keiner Weise enes Verstoßes schuldig. Wenn’s auf August geht, dem thut’s nichts und schadet’s nichts, im Gegenteil. Er treibt’s zu arg, sag ich, und mit den Puppen, da scheint Ihr mir aufs rechte anzuspielen, auf die Frauenzimmer, meine ich.“

„Das ist’s,“ bemerkte die Kummerfelden, „ich möchte der Excellenz so ganz verblümt zu verstehen geben, daß es an der Zeit wäre, seinem August eine Frau auszusuchen, die dem gehörig auf dem Dache sitzt; denn das thut Not, wie wir wissen. Aber eine Geistreiche darf’s nicht sein; von der Eigenschaft haben sie genug hier.“

Frau Fabian fügte hinzu: „Nur nichts Scharfes mehr in die Lauge, meinte jene Köchin, die die Sauce versalzen hatte.“

„Fabian, mit Deinen Redensarten fährst Du einem immer dazwischen,“ rief die Kummerfelden ungeduldig. „Ich will Excellenz Goethe zu verstehen geben, daß er eine Frau wählen soll, die auf gute Wäsche hält, die sparsam ist, die nicht mit dreinredet und, wie gesagt, August gehörig – “ Hier zwinkerte die Kummerfelden mit den Augen. „Das sind die Ratsmädchen, die mich darauf gebracht haben, die hatten die Idee, August von Goethe ein Gärtchen mit allen seinen guten Freundinnen auszustaffieren. Ich weiß nicht, aber sie müssen etwas mit ihm gehabt haben – das schien mir so.“

„Die Krawatschen!“ rief Frau Fabian wohlgefällig, „und die Püppchens haben die Mädchen wohl selbst genäht?“

„Freilich,“ sagte die Kummerfelden lebhaft, „und die Hemden haben alle Zwickel, alles regelrecht.“