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Ratsmädelgeschichten

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Der Pfefferkuchen, die Äpfel, die Nüsse, die unter dem Baume lagen, waren auch für alle Anwesenden nicht gewöhnlicher Pfefferkuchen – nicht gewöhnliches Obst, Gott bewahre! Das waren mystische Dinge, die Lebensfreude, die Überfülle bedeuten und gläubig und fröhlich hingenommen wurden. Weihnachten bei guten, armen Leuten ist etwas Wundervolles!

Auf dem Turm war die beschwerliche Einrichtung, daß jede Stunde zur Stadt herab getutet werden mußte, und nicht nur jede volle Stunde, sondern jede Viertelstunde mit größter Genauigkeit. Ein Uhrwerk gab es noch da oben nicht. Das war eine Einrichtung, die ganz nach Rösens Geschmack war.

Sie steckte oft ganze Nachmittage, ganze, lange Abende hindurch oben bei Kesselrings, zu keinem anderen Zweck, als um pünktlich den Lauf der Zeit der Stadt zuzublasen, dabei machte sie sich ihre Gedanken und kam sich unbeschreiblich wichtig vor. Und so manche Stunde, in welcher in der Stadt Weimar auf Dauer Hinstrebendes geschaffen wurde, so manche dieser Stunden hat ein schöner Mädchenmund vom Turme herab verkündet.

Vierte Geschichte
Die Ratsmädchen laufen einem Herzog in die Arme

Frau Rat hielt darauf, daß ihre beiden Mädchen alljährlich in den ersten Frühlingswochen eine Erholungskur gebrauchten, zur Kräftigung ihrer Gesundheit und Schönheit.

Sie hatte da einen harmlosen Kräuterthee von dem Vetter Apotheker ausgekundschaftet, den filtrierte sie in frühester Morgenstunde ihren beiden Schelmen ein und ließ sie danach in den frischen Morgen laufen. Sie war nicht dafür, daß man erst abwarte, bis Krankheit den Menschen überkommen und sich gar eingenistet habe, ehe man etwas zur Stärkung thue, sondern hielt es für klüger, dem Übel vorzubeugen, und fuhr auch gut dabei: denn ihre Mädchen gediehen zu ihrer vollen Zufriedenheit, und die jährliche Frühlingskur schlug vorzüglich bei ihnen an, sei das nun dem schönen Morgengenuß zuzuschreiben oder dem guten Appetit, den die beiden sich auf ihren Spaziergängen holten. Trotz der Einfachheit des Lebens bei Rats und mancher ärmlichen Einrichtung wurden unsere beiden in vielen Dingen auf das vorsichtigste gepflegt und behütet.

Frau Rat wußte die Schönheit ihrer Kinder zu schätzen und bestrebte sich, sie ihnen für eine gute Dauer zu kräftigen.

Denn diese Schönheit war deren einziges Erbteil, und Frau Rat wußte aus Erfahrung, welche Ruhe und Heiterkeit aus andauernder Schönheit entspringt.

So wurden unsere beiden von frühester Jugend an mit Bedacht gestriegelt und gebadet, wie zwei wertvolle Pferdchen. Die Mutter hat die Pflege des wunderbaren Haares ihrer beiden eigens übernommen, flocht und kämmte es selbst und wusch es ihnen regelmäßig mit Salzwasser, und das war kein kleines Opfer, das die vielbeschäftigte Frau brachte; aber sie hätte um keinen Preis die Pflege dieses großen Schatzes den leichtsinnigen, unverständigen Dingern selbst überlassen.

So geschah es durch die Fürsorge und Liebe ihrer guten Mutter, daß es eine Freude war, die wohlversorgten Kreaturen anzusehen, trotzdem sie sich auf Straßen und Gassen herumtrieben, mit allerlei Volk verkehrten, ein Leben führten wie ein paar lustige Buben und von jedermann als Ausbünde angesehen wurden, die wenig gelernt und so wenig behalten von aller Weisheit, die man in sie einzufüllen bestrebt gewesen war, daß es eine Schande blieb. Die Mädchen verdankten ihren Morgenspaziergängen mancherlei Gutes, das sie in ihrer Faulheit, wenn die Mutter sie nicht hinausgetrieben hätte, wohl schwerlich erfahren haben würden.

Während dieser Gänge tauchten sie beide in der Stille der unberührten Frühlingsherrlichkeit wahrhaft unter und wurden von der Reinheit der neu erwachten Natur durchdrungen. Sie lernten so das Schöne und Stille lieben, und die gute, sorgsame Frau Rat hätte die beiden Töchter nächst der Jungfer Concordia und der Madame Kummerfelden in keine bessere Schule schicken können, als in die frühe Stunde, die ein erlauchter Lehrer, der Frühling selbst, hielt. Sie kamen immer in einer etwas gesänftigten Stimmung zurück, von der sich Gutes hoffen ließ, und hatten noch dazu von außerordentlichen Erlebnissen, die andern Sterblichen selten oder nie begegneten, zu berichten. Fanden sie auch für ihre Mitteilungen meist wenig Glauben, so ließen sie sich doch durchaus nicht stören, ihre gemeinschaftlichen Gänge zu einem Quell für Wahrheit und Dichtung werden zu lassen; bald war ihnen, als sie mitten im Grünen saßen, ein wildes Karnickel in den großen Hut gelaufen, der neben ihnen lag, bald sonst sehr Ungewöhnliches passiert. Einmal, und das ist eine Geschichte, solcher unartigen Geschöpfe wert, da hatten sie, da sie nichts Besseres zu thun wußten, sich mit ihren Haaren zusammengeflochten und zwar so fest, dicht und verzwickt, daß sie sich schließlich nicht wieder auseinander bekamen und einen alten Herrn, der an ihnen vorüberging, bitten mußten, ihnen behilflich zu sein.

Sie konnten das Benehmen ihres Retters aus dieser Not gar nicht sonderbar und grotesk genug beschreiben, wie er den gewaltigen Knäuel, der die goldene Haarflut Mariens und die bräunlich-blond glänzende Rösens zusammenfaßte, verwundert und bedenklich in der Hand gewogen; wie er die beiden von oben bis unten betrachtet habe, wie wenn er sich vergewissern wolle, ob es auch bei ihnen ganz richtig sei. Röse berichtete auf das genaueste, wie der Herr neben ihnen gestanden. Sie hatten ihre Köpfe so eng aneinander geflochten, daß sie sich, als sie sich erhoben, kaum bewegen konnten, und sie erzählten lachend, wie er nach längerem, verwundertem Schweigen gesagt haben sollte: „Nun teilen mir die beiden holden Kinder aber mit, wie sie zu dem artigen, sie werden mir verzeihen, dummen Streich gekommen sind? Denn, bei Gott, es ist keine Kleinigkeit für ungeübte Hände, solch einen allerliebsten Knäuel auseinander zu bringen.“

Röse schnitt damit wohl etwas auf, daß sie darauf erwidert habe: „Man kommt auf die eine Dummheit geradeso wie auf alle andern auch, ich weiß nicht, wodurch eigentlich, mein Herr.“ Da habe der alte Herr, der eine gelbe Weste trug und ein rundes, weißes Gesicht hatte, sehr gelacht.

„Fremd war er,“ sagte Röse, „sonst hätten wir ihn gekannt. Jedenfalls mußte er irgend ein durchreisendes Licht sein, davon kommen ja gewöhnlich welche an. Ich machte auch so eine Andeutung, und nach seinem Gesicht, das er zog, zu schließen, werde ich nicht fehlgegriffen haben. Unser alter Herr hat übrigens gut daran gemußt, bis er die „Wirrschette“ (wie sie in Weimar sagen) einigermaßen auseinander bekam, und wir konnten uns nicht rühren, ohne daß er zauste, und er hatte geächzt und gelächelt und gestöhnt und um Vergebung gebeten ohne Ende.“

„Ei, was dem Menschen für sonderbare Dinge passieren können,“ hat er in allen Ausdrücken wiederholt.

„Wird es mir einer glauben, was mir hier auf meinem harmlosen Spaziergange passiert ist? Ich möchte mir von den beiden Demoisellen ein Beglaubigungsschreiben über das Begebnis überreichen lassen.“

„Das ist doch so merkwürdig nicht,“ hat Röse gesagt.

„So, so, so,“ murmelte der Fremde. „Was seid Ihr denn für schlimme Nixen, bringt Spaziergänger in Verlegenheit, alte, würdige Herren in Bedrängnis?“

„I bewahre,“ bekam er von Marie zur Antwort, „wie hätten wir sonst nach Hause kommen sollen?“

„Macht nicht solches dummes Zeug, Ihr Mädchens,“ hat sie der Herr in der gelben Weste ermahnt, „Ihr könnt ja in Teufels Küche kommen!“

Wie viel und wie wenig Glauben ihre Geschichtchen fanden, kümmerte sie beide nicht; sie erzählten sie dem, der sie hören wollte und nie kam es vor, daß eine die andere Lügen strafte. Sie hielten zusammen, und was die eine sagte, vertrat ohne weiteres die andere. Ob es wahr oder nicht wahr sein mochte, das stand in zweiter Linie, darauf kam es nicht an. Das erste Bedingnis blieb, daß sie einander beistanden wie ein paar echte, rechte Spießgesellen. Dies Vertrauen, das eine zur anderen hatte, mochte wohl auch der Grund sein, daß sie sich miteinander so wohl und sicher fühlten.

Da war es einmal, daß ein unbeschreiblicher Maimorgen über der Erde ausgebreitet lag, Nachtigallen schlugen im weimarischen Park, der Hollunder duftete, das junge Laub strömte sanfte, würzige Gerüche und strahlendes Farbenlicht aus. Auf den taufeuchten Wegen lag es wie ein Frühlingshauch, so daß sie unbetreten erschienen.

Auf den Wiesen an der Ilm schimmerte noch ein leichter Frühnebel, aber schon wärmte die Sonne und teilte all der zarten Frühlingspracht Kraft zum Ausdauern mit.

Auf dem breiten Parkweg laufen unsere beiden Frühaufsteher, Hand in Hand, und da sie sich immer und überall auf ihre Art vergnügen müssen, so laufen sie jetzt, da ihnen nichts Besseres einfällt, rückwärts wie die Krebse, dem wohlbekannten römischen Hause zu, das sonnbeschienen, weißbeleuchtet, von einem dunkeln Lebensbaum beschattet, säulengetragen, an des Parkes Hauptweg liegt. So trotten sie hin in allem Behagen und mit dem ganzen Eifer, den sie für jede Thorheit, auch für die geringste, anzuwenden gewohnt sind.

In dieser Morgenstunde sind sie vollends alleinige Herrinnen des Parkes und können thun und treiben, was ihnen beliebt.

Sie unterhalten sich über das Benehmen einer Gesellschaft Mädchen, die damals mitten darin im weimarschen Leben steckten, älter als die Ratsmädel waren und diese zu allerlei Vertraulichkeiten, zu Botengängen u. dergl. sich herangezogen hatten.

Wir werden von dieser Gesellschaft noch erfahren.

Jetzt plauderten unsere beiden über die Mädchen und räsonnierten über sie und ihre Liebeshändel, in die sie durch ihr Amt als Botengängerinnen manch einen Blick gethan hatten, und übten eine scharfe Kritik an allem, was diese Schönen betraf und was sie von ihnen erfahren und erlauscht hatten. Und wie sie so rückwärts mit auffallender Sicherheit, jedenfalls durch lange Übung errungen, klatschend und plaudernd hineilten, fühlten sie mit einem Male einen mächtigen Widerstand. Sie erschraken, guckten mit großen Augen und fanden sich in den ausgebreiteten Armen eines stämmigen Mannes, in den Armen ihres Landesherrn Karl August, der sie, als er sie so eifrig dahertraben sah, aufgefangen hatte.

 

„Schönen guten Morgen,“ sagte er ihnen, indem er sie festhielt, „Ihr seid mir schöne Kerle, Euren Herzog umzurennen. Wenn ich nun nicht so fest auf den Füßen stände, jetzt läge ich da, und Ihr kämt für die Unart direkt ins Zuchthaus. Donnerwetter, steht es denn mit Euch noch immer so schlimm? Ich hörte, Ihr wäret vernünftiger geworden?“

„Bis sieben Uhr ist das unser Park, Hoheit,“ erwiderte Röse schelmisch befangen, als Karl August sie frei gelassen, und beide knixten tief und a tempo nach dem Rezepte der alten Kummerfelden. Zum Glück waren sie nicht zusammengeflochten.

„I der Tausend, sind wir hübsch und schlau geworden. Gute Gaben für junge Frauenzimmer. Aus der Schule nun endlich?“

„Ja, bald, Hoheit!“

„Gratuliere! Das soll ja für Euch eine böse Zeit gewesen sein? Kondoliere noch nachträglich.“

„Wie man’s nimmt,“ meinte Röse. „Sie war so schlimm auch wieder nicht. Man muß die Dinge nicht schwer nehmen; dann sind sie nicht schwer.“

„So, Ihr betrügt den lieben Herrgott, Ihr Tausendsapperloter? Dann macht’s nur so fort. Seht Ihr, da sind wir ja schon.“ Sie standen vor dem römischen Haus.

„Habt Ihr schon gefrühstückt?“

„Noch nicht, Hoheit, wir haben erst Gesundheitsthee getrunken!“

„So fehlt Euch etwas? Wart Ihr krank?“

„Nein, uns fehlt gar nichts, wir trinken nur so.“

„Das läßt sich hören,“ sagte Karl August lachend. „Kommt mit und frühstückt bei mir.“

Die Mädchen sahen sich bedeutungsvoll an, ungefähr mit dem Ausdrucke, als wollten sie sagen: Da hätten wir ja wieder einmal etwas zu erzählen; aber dieser einverständliche Blick verhinderte sie nicht, sich wieder unterthänigst und vollendet zu verneigen und damit ihre Bereitwilligkeit anzudeuten, daß sie mit Vergnügen die Ehre annehmen würden.

„Dann also vorwärts; ich bin hungrig, bin auch solch ein Frühauf wie Ihr.“

Und sie gingen miteinander, der Fürst zwischen den beiden schönen Kindern, die Stufen zu dem weißen, in der Sonne leuchtenden Hause hinauf.

„Wir haben uns recht lange nicht gesprochen, dächte ich,“ fuhr er fort; „mein Gott, was das junge Volk heranwächst. Schade, daß es mit allen Dingen so schnell zu Ende geht, und es giebt Schönes! Kinder, es giebt Schönes auf Erden!“

Als sie miteinander bei dem Frühstück saßen, das Karl August seinen jungen Gästen zuliebe hatte durch allerlei Leckerbissen vervollständigen lassen, fragte er, nachdem sein Blick lange wohlgefällig auf den beiden geruht:

„Hat Goethe Euch kürzlich gesehen? Der hat auch seine Freude an den beiden Rangen. Darauf könnt Ihr Euch etwas zu gute thun.

Übrigens vortrefflich, daß ich daran denke. Ihr verderbt mir meine Gitterthür an der Wilhelmsallee; was fällt Euch denn ein; was macht Ihr denn da? Seid Ihr denn nicht klug, Euch dort zu schaukeln?“ Röse und Marie wurden feuerrot. „Dort haben wir Euch kürzlich vom Schlosse aus beobachtet. Goethe hat das Opernglas dazu benützt; er wollte wissen, was für zwei schöne Mädchen solche Gassenbubenstreiche ausführen. Schämt Ihr Euch denn gar nicht, ist denn das Thor zum Schaukeln da?“

Vor den Fenstern des Schlosses, da liegt eine schönbogige Brücke, die über die Ilm führt und die an ihrem Ende durch ein schmiedeeisernes Thor abgeschlossen werden kann.

„Unser Garten liegt ja gleich hinter dem Thor, Hoheit,“ entschuldigte Marie sich, rot übergossen, „da müssen wir manchmal auf den Schlüssel warten, wenn der Vater erst noch etwas zu thun hat, und was sollen wir dann solange machen? Wir haben uns von jeher dort am Gitterthor geschaukelt.“

„Meinetwegen thut’s auch weiter,“ sagte Karl August lachend. „Ich sehe es mir gerne an, besonders, wenn Ihr die weißen Kleider mit den blauen Schleifen anhabt, da macht es sich artig. Ein Ende muß es ja doch einmal nehmen.“

„Ach, das war neulich, am Sonntag Nachmittag,“ sagte Röse zu Marie gewendet. „Vollends Sonntag Nachmittag, da schaukeln wir uns oft dort, da weiß man so wie so nicht, was man anfangen soll.“

„Lesen thut Ihr wohl nie etwas?“ fragte Karl August.

Beide Mädchen blickten verlegen nieder.

„Kennt Ihr denn so einiges, was meine Leute hier zu stande bringen?“

„Wir kennen alles, Hoheit,“ sagte Röse erschreckt und doch erleichtert, immer noch mit niedergeschlagenen Augen.

„Aber gelesen haben wir nichts, nicht wahr?“

„Nein,“ sagten beide einstimmig und entschieden.

„Also durchs Schauspiel? gucke, gucke! Da geht Ihr wohl oft hinein?“

„Ja, Hoheit, immer!“

„Nun, diese Art Bildung muß für Eure Eltern aber doch eine gehörige Ausgabe sein?“

Da saßen sie beide, feuerrot, und blickten sich ratlos an.

„Hört einmal, Schelme, Diebsgesindel,“ sagte der Herzog freundlich, „haltet Ihr es denn wirklich für möglich, Scherz beiseite, daß man so Jahre lang immer glücklich mit der größten Regelmäßigkeit sich in das Theater einschleichen kann, ohne daß sie einen wenigstens einmal erwischen?“

Die Mädchen blickten sich besorgt und immer noch purpurrot an.

„Ich glaube, Ihr denkt es wahrhaftig! Ist denn Euch nie die Idee gekommen, daß Ihr von höherer Hand, als von Eurem Flöten-Lobe, auf den Schleichwegen beschützt wurdet? O! Ihr Schelme! Ihr Diebsgesindel!“ rief der gute Fürst, auf das herzlichste lachend. „Doch laßt es Euch gesagt sein, Ihr habt Euren Landesherrn mit seiner vollen Bewilligung hintergangen. Was denkt Ihr denn? Und hintergeht ihn nur ruhig und so guten Gewissens wie bisher weiter.“

Jetzt, wo ein schöner Dank am Platze war, wußten sie beide nichts Gescheidtes zu sagen.

„Laßt das, laßt das,“ sagte Karl August liebenswürdig. „Macht es nur so fort, ich und manch anderer haben unsern Spaß gehabt und werden ihn, so Gott will, noch lange haben, wenn wir Euch Gesindel sitzen sehen. Nehmt nur Eure Plätze so, daß ich kontrollieren kann, ob Ihr auch wirklich da seid. Ich sehe Eure vergnügten Gesichter gerne im Theater, auch wenn Ihr sie auf Schleichwegen und zum Schaden unserer Kasse hineintragt.“

Die drei plauderten noch lange miteinander.

Welch eine liebenswürdige Zeit war es, in die die schönen Jahre der Ratsmädel fielen! Alle, die damals jung waren, waren gesegnet jung.

Die Ratsmädchen ließen es sich wohlschmecken im römischen Hause.

Karl August zeigte und erklärte ihnen Bilder, die an den Wänden hingen, und Röse und Marie nahmen Gelegenheit, ihrem Gönner den Kameraden Franz Horny und dessen Talent zu empfehlen.

„Ihr haltet ihn also für begabt und vielversprechend?“ fragte der Fürst liebenswürdig spöttisch.

„Ja, Hoheit,“ sagten die Mädchen einmütig.

„Dann, wenn Ihr ihn dafür haltet, werden wir uns nach dem jungen Mann umsehen.“

Ein Adjutant machte eine Meldung, und Karl August wendete sich zu seinen Gästen.

„Wir müssen leider voneinander Abschied nehmen. Meine Räte kommen, jetzt muß regiert werden,“ sagte er lächelnd.

„Lebt wohl, Ihr beiden Prachtmädchen! Nach Eurem Franz Horny will ich mich einmal umschauen, lebt wohl!“

Wie von einem frischen Winde getrieben, liefen die beiden, als sie die Stufen des römischen Hauses überschritten, nach Hause, um zu erzählen.

Ob sie Glauben fanden oder nicht, das that nichts zur Sache. Was sie wußten, wußten sie. Sie waren Manns genug, sich darüber zu freuen, aus tiefstem Herzen vergnügt zu sein.

Fünfte Geschichte
Das Damengärtchen

Jene Gesellschaft lebenslustiger und gefeierter Mädchen, von denen unsere beiden geplaudert, während sie ihrem Herzog in die Arme liefen, hatten sie bei der alten Kummerfelden kennen gelernt. Als sie eines Tages bei der Nähmeisterin eintraten, gewahrten sie zu ihrem höchsten Erstaunen Personen versammelt, die sie nie dort zu sehen erwartet hätten, die „ganze heilige Klerisei“, mit welcher Bezeichnung sie den Bekanntenkreis einer älteren Cousine beehrt hatten. Zu diesem Kreise gehörten unter andern: Ulrike von Pogwisch, Ottilie von Pogwisch, Adele Schopenhauer, lauter geistreiche Frauenzimmer, die bei den Ratsmädchen eben deshalb nicht in allzu großer Achtung standen. Sie waren sich beide vollkommen darüber klar, daß es bei weitem schönere Amüsements auf Erden gäbe, als in verteilten Rollen zu lesen oder an geistreiche Freunde geistreiche Briefe zu schreiben, oder als „in corpore“, wie sie in Weimar sagen, für den Besitzer einer schönen Seele zu schwärmen. Röse besonders machte sich nicht viel aus dieser Gesellschaft und wich den Mädchen, wenn sie bei der Cousine waren, aus, wie sie nur immer konnte.

So war es den beiden eine fatale Überraschung, diese Herrschaften bei der Kummerfelden anzutreffen. Röse blieb einen Augenblick ganz verblüfft in der Thür stehen. „Marie,“ flüsterte sie, „da wird’s Ernst. Sie wollen sich verloben. Umsonst thun die es nicht, daß sie in ihren alten Tagen noch nähen lernen.“ Die Mitglieder der geistreichen Gesellschaft waren so ein fünf bis sechs Jahre älter, als unsere Ratsmädel, und erschienen daher Röse und Marie als bedauernswert alte Geschöpfe. „Sie haben Goethens August jetzt fest, das sollst Du sehen!“ flüsterte Röse weiter, als sie eingetreten waren und Platz genommen hatten, „oder sonst einen von ihren Schöngeistern. Da wird nun drauf und dran nähen gelernt. Es ist ein Skandal, und wenn sie auch etwas wegkriegen, in einem Jahr haben sie’s sicher wieder vergessen. Dann sitzt August Goethe, oder wen sie jetzt haben, da und kann zusehen, wer ihm seine Sachen flickt. Die,“ sie blickte geringschätzend auf die von ihr besprochenen Mädchen, „die thun’s nicht, sie werden sich hüten.“

„Sie werden ihn ja doch nicht alle heiraten!“ sagte Marie.

„Nein, sie dürfen’s nicht,“ erwiderte Röse trocken; „aber verliebt sind sie alle. Alle, wie sie da sitzen, das ist bei ihnen eine Heidenwirtschaft. Meinetwegen!“

Ottilie von Pogwisch rief Röse und Marie so von oben herab zu:

„Na, was macht Ihr denn?“

„Hohlsäume,“ schmetterte Röse.

„Kommt nur,“ rief Ottilie, „und setzt Euch mit zu uns.“

„Gut,“ sagte Marie, und beide setzten sich unter die andern.

„Aber was wollt Ihr denn eigentlich hier?“ fragte Marie, als sie sich niedergelassen hatten.

„Wir, wir wollen Eure Kummerfelden studieren,“ erwiderte Adele Schopenhauer ziemlich ungeniert laut, da sie von der Schwerhörigkeit der Meisterin überzeugt war. „Wir sind vollkommen objektiv hier.“

„Das wird soviel heißen,“ erwiderte Röse, die es drängte, auf dieses geheimnisvolle Wort hin etwas Verständnisvolles zu entgegnen, „daß Ihr nichts lernen wollt hier?“

„Gewissermaßen, ja,“ bekam sie zur Antwort. „Es ist wenigstens Nebensache.“ Adele zog ein Heftchen aus ihrer Tasche, sie hatte schon damals ihre schriftstellerischen Anwandlungen, und sagte: „Wir sind auf Jagd nach Originalen; sie sollen jetzt mehr und mehr aussterben. Hier,“ sie schlug mit der flachen Hand auf ihr Büchlein, „hier wird eingetragen, was sie auch thun und sagen mag, das tollste Zeug. Wir wollen Eure Kummerfelden verewigen. Wenn Ihr es versteht, sie zum Schwätzen zu bringen, dann thut’s; je mehr, je besser!“

Die Kummerfelden, oben auf ihrem Sitz, hielt sich mäuschenstill, und Röse antwortete: „Pfui, schämt Euch, das ist ja miserabel, herzukommen, um sich über sie lustig zu machen; das leiden wir nicht, das ist betrügerisch. Lernt lieber etwas bei ihr, das ist gescheidter.“

Die Kummerfelden hörte den Mädchen von ihrer Höhe herab behaglich zu und schob eine Haubenklappe etwas vom Ohr, um noch besser zu lauschen. Röse räsonnierte auf das heftigste und verwarf das Vorhaben der gefeierten Mädchen als ganz abscheulich.

Am Abend schrieb die Kummerfelden in ihr Tagebuch: „Ob ich das Honorar, das die Frau Großmama (die Frau Großmama war die Gräfin Henkel) den beiden Pogwischs ausgesetzt hat, annehmen soll, ist mir zweifelhaft, da die Mädchens, und ebenso die Adele nichts profitieren werden.“ Von den Ratsmädchen aber schrieb sie folgendermaßen:

„Gott behüte die freundlichen, wenn auch oft unartigen Geschöpfe. Wahrheit ist Vornehmheit. Herz und Mund auf dem rechten Flecke haben, ist Glück für sich und andere. Gesundheit ist Schönheit und Frische Segen. Das sind meine Lieblinge!“

Durch den Verkehr bei der Kummerfelden wurden die Ratsmädchen in dem Hause bei Schopenhauers heimisch und fühlten sich auch dort wohl und zufrieden. Johanna Schopenhauer, die Mutter Adelens, schien unsere beiden für zwei allerliebste Figuren anzusehen, die ihren Salon zierten, in dem sich allabendlich bedeutende und berühmte Gäste einfanden.

So ließ sie die beiden oft durch Adele zu sich einladen, bald mit, bald ohne Rats, bat die Mädchen, ihr bei dem Umherreichen von Thee und Backwerk behilflich zu sein und erntete von allen Seiten Lob, daß sie die beiden Pagen sich zugelegt hatte.

 

So waren sie eines Abends auch zu Schopenhauers eingeladen; ihre Gönnerin hatte angeordnet, daß sie in weißen Kleidern kommen sollten, und als sie zu der ihnen bestimmten Stunde erschienen, wurden sie von Madame Schopenhauer und Adele in deren gemeinschaftliches Schlafzimmer geführt. Dort lösten sie ihnen die prächtigen Haare auf. Jedem von den Mädchen drückten sie einen dichten Rosenkranz, aus den schönsten Rosen, tief in die Stirne, und so verwandelten sich die zwei in Genien, wie sie nicht anmutiger gedacht werden konnten.

Adele war ganz hingenommen von dem reizenden Anblick und zeigte sich rückhaltlos liebenswürdig.

Während sie sich damit beschäftigte, die Reize der beiden Mädchen schön hervorzuheben, behandelte sie Röse und Marie in einer Art Schaffensfreude wie zwei Kunstwerke, die aus ihrer Hand hervorgegangen waren.

„So, jetzt sind sie fertig!“ sagte Madame Schopenhauer, als Adele sie ihr zur Prüfung vorgeführt hatte. „Nun stelle sie hinaus und sieh zu, wie es gelingt.“

Den beiden Mädchen wurde jetzt die Anweisung gegeben, draußen auf der erleuchteten Treppe Goethe zu erwarten, der nach längerer Zeit zum ersten Male wieder den Abend bei Madame Schopenhauer verbringen wollte.

Das fuhr den beiden doch etwas in die Glieder.

„Ach, du großer Gott!“ rief Röse in einem wahren Schreckenston.

„Hört einmal,“ antwortete Adele, „seid nicht dumm und verderbt uns unseren schönen Plan nicht. Ihr stellt Euch draußen auf die Treppe hin und wartet. Das könnt Ihr doch? Und wenn er kommt, sprecht Ihr kein Wort, faßt ruhig seine Hände und führt ihn zu uns herein und nehmt ihm erst vor der Thür seinen Mantel und Hut ab. Alles ganz ruhig und still; und wenn er mit Euch spricht, so antwortet ohne Scheu, Ihr seid ja nicht auf den Mund gefallen. Und nun allons, es wird nicht lange dauern!“

Damit nahm sie Marie an der Hand; Röse folgte, und sie führte beide zur Thüre hinaus.

Im Nebenzimmer waren schon Gäste versammelt. Man hörte eine lebhafte Unterhaltung. Als Marie und Röse draußen auf der Treppe standen, blickten sie sich verdutzt an.

„Du großer Gott!“ murmelte Röse noch einmal. Marie zeigte sich vollkommen gefaßt. „Er mag nur kommen,“ sagte sie so ruhig, etwa wie ein Jäger, der sich bereit gemacht hat, einen Bären gehörig zu empfangen. Jetzt ging die Hausthür. „Das ist er!“ flüsterte Röse.

Ungemein leichte, elastische Schritte hörten sie auf der Treppe. Der Ankommende mochte wohl zwei Stufen auf einmal nehmen.

„Das ist er nicht,“ sagten sie.

„Das muß Schopenhauers Kater sein,“ meinte Röse leise. „Paß auf! Daß er heute auch kommt, wundert mich!“

Der Ankommende war Arthur Schopenhauer, der Sohn Johannas und der Bruder Adeles.

Ein närrischer Gast, der mit aller Welt so übel wie möglich stand. Wenn er sich in den Gesellschaften seiner Mutter sehen ließ, gab er die sonderbarste Figur ab und brachte die gute, formgewandte Frau während seines Aufenthaltes in ihrem Salon aus aller geistreichen Würde und Fassung durch Paradoxen, unartige Angewohnheiten, beißende Urteile und Kritiken und berührte ihre an Almanachszartheit gewöhnte Seele durch aufrührerische Aussprüche auf das unangenehmste. Dieser Störenfried der schöngeistigen Theeabende seiner Mutter stürmte die Treppe herauf, prallte um ein Haar mit den Ratsmädchen zusammen, sah auf, starrte sie wie aus einem Traum erwacht an und sagte: „Bei Brahma! was ist denn los?“

„Wir sollen Goethe erwarten,“ antwortete Marie schüchtern.

„Das ist echte Weiberart! Können sie denn nicht aufhören drinn, den Alten zu beschwindeln?“ polterte Frau Johannas Sohn. „Wozu die Allotria? Es ist ihnen nicht Einhalt zu thun, den Weibern! Sind sie mit Gottes Hilfe soweit gekommen, daß sie unschädlich geworden sind, da suchen sie Krücken und Stützen, exerzieren sich ein Vikariat ein, um zu beschwindeln. So lernt’s auch nur beizeiten, Ihr Schippchen!“ damit war er an den beiden Mädchen vorübergestürzt.

„Grobian,“ sagte Marie.

„Grobian,“ wiederholte Röse, „hör mal, grob ist er, mir aber lieber, als alle zusammen drinnen mit ihrem Gethue, und garstig ist er auch, aber, flink und behende, und seine Augen sind nicht übel.“

„Mein Geschmack ist er nicht,“ erwiderte Marie kurz, „und ich kann nicht sagen, daß es mir recht wäre, wenn Du Dich in den gerade vergucktest.“

„Schaf, wer redet davon,“ war Rösens kräftige Antwort. Da ging die Hausthür unten wieder.

„Herrjes, das könnte er aber sein!“ flüsterte Röse.

Es bewegte sich ruhig, mächtig, majestätisch die Treppe hinauf, das waren andere Fußtritte, eine andere Gangart, als die heftige, stürzende des unliebenswürdigen Gastes von vorhin.

Röse hatte recht gehabt, er war es, Goethe war es.

Mit klopfendem Herzen standen die beiden schönen Geschöpfe auf der obersten Treppenstufe und blickten auf ihn, wie er langsam und bedächtig die Treppe herauf geschritten kam, den Schlapphut auf dem Kopf, um die mächtigen Schultern einen dunklen, faltenreichen Mantel.

Als er auf dem letzten Treppenabsatz angekommen war, blieb er stehen, blickte auf und gewahrte die beiden schönen Botinnen, die ihn erwarteten. Der Anblick erstaunte ihn. Er verharrte einige Momente im Anschauen der Mädchen.

„Artig! Anmutig, sehr anmutig!“ rief er aus.

Die Genien gingen ihm ein paar Stufen entgegen und, als wäre der Teufel in sie gefahren, so waren sie mit einem Mal verändert. Ihre Schüchternheit, ihre Angst war gewichen, jede Bewegung wurde begeisterte Hingebung und Grazie – und sie empfanden, als flögen sie Goethe selig entgegen.

Als sie die Arme ausstreckten, um seine Hände scheu zu fassen, schaute Goethe wie ergriffen auf die jugendlichen Gestalten und sagte mit eigentümlich mächtiger Betonung:

 
Dunkle Augen seh ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze!
 

Darauf ergriff er die Hände der Mädchen, nickte ihnen freundlich zu und ließ sich hinauf geleiten.

Als er mit den beiden schönen Gestalten in das Zimmer seiner Freundin zu den Gästen eintrat, war bemerkbar, daß dieses Eintreten auf die Anwesenden eine wunderbare Wirkung hatte.

„Wie schön Sie Ihre Gäste empfangen, Frau Johanna.“ Mit diesen Worten begrüßte Goethe die Frau des Hauses. „Haben Sie Dank dafür.“

Das Zimmer, in das sie eintraten, war langgestreckt, fast ein Saal zu nennen, vierfenstrig. Die Wände mit der sonderbarsten Tapete bekleidet, welche die Geschichte des Joseph in Egypten grau in grau darstellte. Die Grube, in die die bösen Brüder ihren jüngsten gesteckt hatten, die Käufer des guten, verwöhnten Knaben, die Träume des Pharao, das Wiedersehen mit dem alten Vater, all dies war an den Wänden des Salons der Frau Johanna zu sehen. Der Saal ist unverändert geblieben noch bis vor einigen Jahren. Jetzt dient er einer Restauration, und die bösen Brüder, der alte Vater, der gute Joseph, die alle in dem Salon der Madame Schopenhauer auf die berühmten Leute, die sich dort bewegt haben, herabgeblickt hatten, sind mit rosa Ölfarbe übertüncht.

Diesen Abend wurden die Ratsmädchen außerordentlich gefeiert. Sie bewegten sich unter den berühmten und geistreichen Leuten wohlgemut und hörten von allen Seiten Artigkeiten. Goethe setzte sich eine Weile während einer kleinen Aufführung, die Adele, die Pogwischs und August von Goethe veranstalteten, zwischen die beiden Schwestern. Er erzählte ihnen, daß er sie gar wohl kenne und schon oft Freude an ihnen gehabt habe.

„Welche Fülle,“ sagte er und strich Marie über die goldschimmernde Haarflut, die reizend an ihrer schlanken Gestalt hinabfloß.

Röse und Marie bemerkten, daß Arthur Schopenhauer und Goethe an diesem Abend auf das eifrigste miteinander sich unterhielten.

„Du, Dein Kater sprüht Funken,“ sagte Marie zu Röse und zeigte auf Arthur Schopenhauer, aus dessen Zügen das Leben, während er sprach, wahrhaft leuchtete.