Za darmo

Ratsmädelgeschichten

Tekst
Autor:
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Die beiden Ratsmädel befanden sich in einem Taumel von Vergnügen. Der Gutsbesitzer that mit, als gehörte er zu dem jungen Volke und gewann bei den Pfändern auch wohl einen Kuß von den Mädchen.

Röse, der Schelm, war hellsehend genug, ihre Küßchen keineswegs für etwas Gleichgültiges zu halten.

Bei einer Gelegenheit, wo es zweifelhaft erschien, ob der Wirt solch einen artigen Gewinn gemacht hatte oder nicht, und man sich darüber stritt, sagte Röse, um die es sich handelte, zu Budang und Franz Horny: „Das nehmen wir bei dem guten Sperberchen nicht so genau, Ihr seid mir die Rechten, so zu streiten,“ damit sprang Röse auf und fiel dem alten Gutsbesitzer um den Hals und küßte ihn auf das anmutigste. „Du Prachtmädchen, Du,“ sagte der gute Sperber und drückte das liebe Geschöpf gerührt an sich. „Ja, so ein Töchterchen zu haben!“ murmelte er und strich Röse über das dichte blonde Haar. „Ja, meine Alte!“ und er nickte seiner Frau mit feuchten Augen zu.

Als Röse zu Marie und Budang trat, blickte die Schwester sie unzufrieden an. „Siehst Du, Röse,“ sagte sie, „was mußt Du denn den Leuten die Nase lang machen. Ich glaub’s wohl, daß sie sich für ihr Gut ein paar Mädchen wünschen oder auch ein paar Jungen. Nun hast Du den beiden das Herz schwer gemacht.“

„I, gar. Na, Budang,“ sagte Röse mit schon von Thränen unsicherer Stimme, „nun siehst Du einmal, wie Marie sein kann.“

Damit wendete sich Röse ab und huckte sich neben die Gutsbesitzerin auf ein Fußbänkchen, das dort stand, legte ihren Kopf auf die Kniee der kleinen Frau und ließ sich wie eine Katze streicheln und im blonden Haar krauen und knurrte dabei vor Behagen; vielleicht, um damit zu beweisen, daß sie sich trotz des Ärgers außerordentlich wohl befände.

„So macht sie’s,“ sagte Marie zu den drei Kameraden, „da mag zu Hause geschehen, was da will, und wenn sie eine um die Ohren gekriegt hat. Wir kennen das schon.“

Franz Horny fragte: „Dauert’s lange bei ihr?“

„Bewahre,“ teilte Marie ihm mit, „wenn wir irgend etwas Neues jetzt anfangen, da ist alles vorbei; aber hört nur!“

Wie Marie vorausgesagt hatte, so geschah es; als man mitten in einem neuen Spiele sich vergnügte, war unsere Katze glatt und munter wieder dabei. Nicht gar zu spät trennte man sich, denn die Ratsmädchen durften die Pastorsleute nicht aus dem Bette holen. Die Gutsbesitzerin trieb die beiden an, als es Zeit war, zu gehen, lud ihnen ihr Bündelchen auf und entließ sie mit der Weisung, vernünftig zu sein und dort die Wirtschaft nicht noch zu verschlimmern. Als sie durch den Pfarrgarten gingen, kam ihnen ihre frühere Lehrmeisterin entgegen. Sie schien vor dem Hause etwas zu lustwandeln.

„Da kommt Ihr ja,“ rief sie den Mädchen zu. „Ihr müßt aber mit unten schlafen, hat es Euch die Sperbern schon gesagt?“

„Ja,“ erwiderte Marie.

„Nehmt’s, wie es ist,“ fuhr die Pfarrerin trocken fort. —

Sie traten miteinander in den Hausflur ein; da drang aus einer halb offenen Thür, aus der ein matter Lichtschein in die Dunkelheit fiel, ein merkwürdiges Summen, Poltern, Kreischen, Quieken, Schimpfen, Rücken, Zischen und Huschen.

„Da schlafen die Kinder,“ teilte die Pfarrerin mit und öffnete die Thür vollends. Welcher Anblick! In einem durch eine Öllampe, die mitten im Zimmer von der Decke herabhing, dämmerig erleuchteten Raume bewegte es sich auf eine überraschende Weise. Überall schlüpften rosige, weiße Gestalten. Auf den Betten sprang es, auf der Diele schlüpfte es, und bei dem ersten Schritte in dieses Reich zupfte es schon von allen Seiten den Mädchen an den Röcken.

„Daß Euch doch gleich!“ rief die Pfarrerin und schwang in demselben Augenblick einen Stock, den wohl ein guter Geist ihr während ihres Eintrittes in die Hand gespielt haben mußte, denn kurz vordem wußten Marie und Röse, daß sie unbewaffnet gewesen war.

„Wollt Ihr wohl!“ rief sie, „Ihr Pack, geht in die Betten!“

Erheitert durch diese kräftige Anrede wurde dem Befehle der Pfarrerin auf schreiende, kreischende Weise nachgekommen. Sie gingen in die Betten.

Marie und Röse folgten den Bewegungen ihrer früheren Lehrmeisterin, wie diese sich über das eine und andere Bett bog: in jedem lagen zwei bis drei Pastorskinder für die Nacht verpackt. Sie sahen, wie die Herrin dieser Schlafstube Decken energisch feststopfte, bedeutungsvolle Püffe austeilte und auf alle Weise bemerklich zu machen suchte, daß sie Ruhe wünsche.

In unklaren, kurzen Redensarten teilte sie, wie es schien, Befehle aus, wie: „Fort, Du da aus dem Bett, fort da in das Bett! Das Bett bleibt frei!“

„Der haben sie schon übel mitgespielt,“ bemerkte Röse trocken zu Marie gewendet. „Sieh nur, wie verschlumpt sie ist. Du lieber Gott, sie war zwar unsere Lehrerin, aber leid thut sie mir doch!“

Es brauchte nur ein armer Sterblicher nach Rösens Meinung das Unglück gehabt zu haben, Mariens oder ihr Lehrer gewesen zu sein, so schien er ihnen für eine fühlbare Wiedervergeltung des Jammers, den er ihnen verursacht hatte, reif genug.

Aber dieses Maß, das über die arme Pfarrerin ausgeschüttet wurde, erschien selbst Rösen überreichlich.

„Ihr müßt schon hier fürlieb nehmen,“ sagte die Frau außer Atem. „Hier in dem Bett könnt Ihr schlafen.“ Sie wies auf ein breites Bett, das wahrscheinlich drei Pfarrerskinder, die nun enger zu einander gesteckt waren, den Gästen zuliebe hatten räumen müssen.

„Macht’s Euch bequem.“ Diesen kühnen Ausspruch in dieser Umgebung that die Pfarrerin auf eine sonderbare, fast spöttische Weise, als wollte sie sagen: „Mache es sich hier einer bequem!“

„Na, legt Euch nur hin, sie werden es ja gnädig heut Nacht machen … Daß Ihr mir die Mädchen nicht stört!“ rief die Pfarrerin mit Feldherrnstimme. „Hier den Fritze,“ sie zeigte nach einem Bette, „den laßt nur ruhig, der hat den Keuchhusten. Er macht es mit sich allein ab, das ist das beste. Schlafet wohl, ich muß hinauf zu den zwei kleinen Schreihälsen, wenn das nicht wäre, da hätte ich es anders mit Euch eingerichtet.“

Die Pfarrerin ging und ließ die beiden Mädchen mit der heimtückischen Gesellschaft allein. Kinder, die mit blinzelnden Augen warten, bis die Mutter glücklich zur Thür hinaus ist, um dann unter den Decken vorzuschlüpfen und einen Hexensabbath nach ihrer Art zu feiern, sind das heimtückischste, was man sich vorstellen kann.

Noch blieben sie ruhig, und die Mädchen begannen, sich auszuschälen, vorsichtig, lautlos, denn es verlangte sie durchaus nicht danach, das Schauspiel von vorhin, als sie eintraten, wiederholt zu sehen.

Sie saßen miteinander in ihren Röckchen auf dem Bettrand und flochten sich die Zopfenden fester; da regte es sich hinter ihnen, zwei Burschen und ein Schwesterlein huckten da, befühlten die Zöpfe der Gäste, und der kleinste Bube krabbelte vorsichtig mit den Fingerchen über Rösens Hals. —

„Da sind sie,“ sagte Marie seufzend, die sich durchaus nicht gern um ihren Schlaf bringen ließ.

Ja, da waren sie. Jetzt noch schweigsam, vorsichtig, etwas scheu; aber schon wichen diese mildernden Umstände. Das Bübchen, das zaghaft über Rösens Hals hingetippt hatte, schlug jetzt, in erwachendem Sicherheitsgefühl, mit der flachen Hand auf ihr weißes Fellchen los.

Die machte kurzen Prozeß, langte sich den kleinen Schelm vor und zog ihm ein paar Tüchtige über, denn sie fand es für vorteilhaft, sogleich ein Exempel zu statuieren. Statt der erwarteten Wirkung aber trat eine allgemeine Begeisterung über Rösens Handlungsweise ein.

Sie sprangen wie auf ein gegebenes Zeichen aus den Betten und bestrebten sich allesamt und sonders, auf das Lager der armen, müden Dinger zu gelangen. Sie überpurzelten sich, die größeren stießen die kleinen herab, die kleinen kniffen und bissen die größeren in die Beine.

Schon hatten einige der kleinen Gestalten ihre weißen Lümpchen verloren und umkrochen, umpurzelten, über und über rosig, die beiden guten, ratlosen Ratsmädchen.

Es schien bei Pfarrers, wie bei den alten Römern, Sitte zu sein, in der höchsten Regung der Begeisterung, wenn ein Schauspiel zum vollen Beifall aufforderte, ein Kleidungsstück nach dem andern in die Höhe zu werfen, bis die Begeisterung befriedigt, und die Kleider ein Ende erreicht hatten.

Hier war das Ende schnell erreicht. Eines nach dem andern warf sein Hemdchen den Mädchen an die Köpfe und freute sich seiner Nacktheit ganz augenscheinlich.

Der Lärm wuchs, die Lage der Mädchen wurde wahrhaft bedrohlich, denn es zerrte und riß an ihnen von allen Seiten.

Mit einem Male fing Fritzens Husten an. Der unglückliche Schlingel huckte sich an einem Bettpfosten nieder und würgte und keuchte zum Erbarmen. Marie machte sich von dem zudringlichen Schwarm los, wickelte den armen Jungen in ein Kittelchen ein, setzte ihn auf eine Bettdecke, daß er doch etwas Behaglichkeit hatte und ging zurück, Rösen zur Hülfe, die eben einen ungefähr achtjährigen Ruhestörer in der Mache hatte, ihn mit Schlapps und Bengel auf das freigiebigste traktierte. „Schlapps“ schien den Pfarrerskindern ein neues, verheißungsvolles Wort zu sein, denn im Chor wurde es freudig wiederholt. „Ihr seid selbst ein Schlapps!“ rief ein kleiner Dicker, zu den Mädchen gewendet.

„Ja, sie sind Schläppse!“ rief es von allen Seiten. „Das sind Schläppse!“

„Ihr seid ein unerhörtes Volk,“ räsonnierte Röse dazwischen; „das ist ja eine miserable Wirtschaft bei Euch.“

„Ja, Schlapps! Ja, Schläppse!“ schrie es wieder durcheinander, quikend, lachend, sprudelnd.

Jetzt schien der Höhepunkt, der diese Nacht unter den obwaltenden Verhältnissen zu erreichen war, erreicht zu sein. Der arme Fritz hustete, weinte und lamentierte aus vollem Halse, und die von menschlichen Leiden unbehelligten Bälger trieben ihre Ausgelassenheiten und Frechheiten unentwegt weiter, und zum Überfluß entwischten noch zwei, liefen zur Thür hinaus in den monddurchschienenen Garten. Röse ging ganz erschreckt in ihrem Röckchen den beiden Flüchtlingen nach, durch den Mondschein, über den großen Rasen im Garten. Der Tau rann ihr über die bloßen Füße, das Unbehagen, so nachts im Pfarrgarten zu stehen, trieb sie, umzukehren, ohne die Ausreißer mitzubringen, die sie wie Gespensterchen im Mondschein zwischen den Büschen hüpfen und aufschimmern sah. Sie war noch nicht lange wieder eingetreten und hatte kaum auf dem Bette neben Marien Platz genommen, als die Thür aufging und eine mächtige, gespenstische Gestalt in einem dunklen, faltigen Mantel und einer Schirmmütze eintrat. Neben dieser Gestalt tauchten in derselben Thür die beiden Ausreißer auf.

 

„Marsch, in die Betten,“ sagte das Gespenst in ruhigem, sachgemäßem Tone und auf eine Weise, als wäre es ihm nichts Neues, um diese Stunde hier ein und aus zu gehen. „Allons, allons, wird’s bald, Ihr boshaftes Volk!“

„Du, das ist der Nachtwächter,“ sagte Röse, „da hat er ja sein Horn.“

„Herr Jesses, ja,“ flüsterte Marie und schlüpfte unter die Decke.

Als alles in Frieden lag, wendete sich der Nachtwächter, der vollkommen unterrichtet zu sein schien, an Röse und Marie und sagte: „Die Jungfern sind da in etwas Schönes hineingeraten. Ich dachte mir es gleich, daß es heute Nacht schön hergehen würde und bin darum schon zeitig gekommen. Ich sah vorhin die Jungfer auch im Garten stehen und wußte schon, wie es hier zuging.“

„Kommt er denn jede Nacht herein?“ fragte Röse.

„Ja, ja,“ sagte der Nachtwächter, „sonst ging’s wohl nicht. Ich komme gar oft und schaue nach, Stunde für Stunde; aber nichts für ungut, ich werde mich schon vorsehen, daß die Jungfern jetzt schlafen können.“

So zog der Nachtwächter ab, und die Pfarrerskinder versanken in einen respektvollen Schlaf, den ihnen die würdige Erscheinung der hohen Obrigkeit eingeflößt hatte. Und auch Marie und Röse fanden endlich Ruhe und bemerkten nicht, wie allstündlich, bis die Sonne aufging, der Nachtwächter die Runde durch das große Schlafzimmer machte, die Decken der Pfarrerskinder zurechtrückte, wie er auch vor dem Bette der Ratsmädchen stehen blieb und wohlgefällig auf sie hinblickte. Sie hörten auch nicht, wie er jedesmal, wenn er aus dem Hause trat, in sein Horn tutete und sein Lied absang. Das war Bestimmung des Pfarrerpaares, das dadurch des Nachtwächters Umschau im Schlafzimmer kontrollieren konnte.

Er tutete aber auch an keiner Stelle des Dorfes mit der Befriedigung und dem schönen Bewußtsein der Pflichterfüllung, wie in dem Garten des Pfarrers.

Als der Nachtwächter nach seinem ersten Rundgange auf die Landstraße trat, stand der Mond in vollster Klarheit am Himmel, schimmerte über die Felder und über das Dörfchen, das in sanfter Ruhe im Silberlichte lag, in dem jetzt auch das unruhigste Haus, das dem Frieden des guten Dorfes Abbruch gethan, durch den Nachtwächter beruhigt und eingeschüchtert worden war.


Am frühen Morgen schlüpften die beiden Mädchen in die Kleider als hätten sie gestohlen und machten sich eiligst aus dem Staube, ehe alles im Haus zum Leben erwachte. Sie banden sich die Schuhe in ihrer Hast auf der Dorfstraße zu. Als sie in den Gutshof traten, kam ihnen Budang entgegen. „Na, wie habt Ihr denn geschlafen?“ rief er.

„Da schlaf’ einer,“ bekam er von Röse zur Antwort, „das sind ja miserable Zustände dort!“ Jetzt kam auch der alte Sperber auf sie zu, schlug die Mädels zum Morgengruß auf die runden Schultern:

 
„Pastors Kinder und Müllers Vieh
Gedeihen selten, – oder nie.“
 

fügte er belehrend hinzu.

„Das muß wahr sein,“ brummte Röse.

„Wenn das so bekannt ist, daß man sogar einen Vers darauf gemacht hat, da sollten die Pfarrer doch wahrhaftig lieber keine Kinder haben, wenigstens nicht so viele, wie Deiner drüben.“

„Da bin ich ganz Deiner Meinung,“ nickte der Gutsbesitzer nachdenklich.

„Ja, aber mit dem Vers, Röse, wenn Du wüßtest, wie wenig es nützt, ob auf das Ding ein Vers gemacht ist oder nicht. – Da unten, Eure Gesellschaft, frag sie nur, was es der Welt nützt, daß sie solche strafbare Massen zusammenschreiben – in dem verruchten Nest! Sie werden selbst sagen, wenn sie noch einen Tropfen gesunden Verstand übrig behalten haben, daß alles beim Alten bleiben wird. Was schwarz und weiß dasteht, hilft verflucht wenig; nur die Dinge sind die wahren, die aus den Tages- und Nachtstunden, wie aus ihrem Erdreiche selbst herauswachsen. Das andere Zeugs taugt nichts! Es ist gut, daß wir einmal darauf kommen, ich muß sagen, mir ist’s lieb, daß zwischen mir und Eurem verdrehten Weimar der gute, alte Ettersberg liegt. Bei Euch ist mir die Wirtschaft mit der Dichtersbagage nachgerade zu überschwenglich geworden! Das geht ja über unsereins hinweg, als wären wir bis aufs letzte im Preise gesunken! Na, mich hat Weimar lange nicht gesehen; fragt einmal, was dazumal, ehe der Schwindel bei Euch losging, der alte Sperber in Weimar galt, fragt einmal, ob er nicht überall der erste gewesen ist. Ja, das waren damals noch Zeiten! – Du lieber Gott!“ —

Der Gutsbesitzer ging gedankenversunken zwischen den beiden Mädchen.

„Na,“ sagte Röse begütigend, „wie die Zeit für den Herrn Paten bei uns vergangen ist, so vergeht sie auch für die andern.“

„Nur mit dem Unterschiede,“ setzte der Gutsbesitzer hinzu, „den alten Sperber haben sie bei Lebzeiten schon vergessen. Mit denen jetzt werden sie’s anders halten.“

„’s ist auch natürlich, Pate,“ meinte Röse. „Die haben auch ihren redlichen Plack gehabt, bis sie so weit gekommen sind. Wir wollen’s ihnen gönnen, du lieber Himmel, und wenn ich dächte, ich sollte mein lebelang wie unsere Weimarischen arbeiten, um schließlich berühmt zu werden. Proste Mahlzeit, ich würde mich bedanken!“

„Hör’ einmal, Röse,“ unterbrach Budang sie, „laß Horny so etwas hören, der hat so wie so gesagt, daß wir dich das nächste Mal nicht mit ins Theater nehmen, weil Du so unartig und unverschämt sprichst, und dann will ich den Jammer nicht sehen.“

„Wenn Ihr Röse nicht mitnehmt, geh ich auch nicht,“ bekam Budang von Marie zur Antwort, und die Sache war erledigt.



Ein überreichliches Frühstück versammelte die ganze Gesellschaft. Währenddem wurde beraten, was man weiter beginnen wollte, und schon im voraus gab der Tag, da alle Wünsche betreffs der Unternehmungen zusammenfielen, das heiterste und anmutigste Bild. Es war für den Nachmittag ein Gang auf des Paten große Wiesen verabredet, auf denen gerade Heuernte gehalten wurde. Sie zogen nach Tisch aus; die Gutsbesitzerin hatte ihnen einen Korb voll verlockender Gegenstände gepackt, die Ernst Schillers Reitpferd aufgeladen wurden. Das gute Tier mußte seine Motion haben.

Dieser fröhlichen Heufahrt, als sie am Nachmittage zur Ausführung kam, gab Röse einen ganz besonderen, interessanten Beigeschmack.

Auf des Paten Wiese war ein großer Teich, an dessen Ufer die Gesellschaft sich gelagert hatte.

Röse war wie besessen vor Vergnügen über das schöne Wasser, hatte sich platt an das Ufer gelegt und die Arme in den Teich gehängt, und diese hübschen, festen Arme „Fisch“ spielen lassen. – Zu dieser Vorstellung verlangte sie, daß alle zusehen müßten. – „Nun seht doch, seht doch!“ rief sie. „Wie sie in den Grund fahren, die beiden großen Hechte – da wird wohl etwas für ihren Schnabel stecken; – da, und nun sind sie wieder oben und plätschern.“ Und während sie das erklärte, spritzte sie um sich her, daß die hellen Wasserfunken über sie und die Zuschauer hinfuhren. Darauf sprang sie in die Höhe – um sich irgend eine andere Vergnüglichkeit auszudenken. Und nach unendlichem Gaukeln und Tollen platschte Röse von einem Steg, der zum Schöpfen in den Teich hinausgebaut war, wie es kaum anders zu erwarten stand, endlich ins Wasser.

Es wurde, während sie noch darin steckte, von Marie statistisch bewiesen, daß es das siebente Mal in Röses Leben war, daß man sie aus dem Wasser ziehen mußte. Marie litt auch nicht, daß einer der Kameraden sich hineinstürzte, um die Schwester zu retten.

„Wartet nur, ich will es schon sagen, wenn es nötig ist. Es wäre ja schade um die Anzüge.“

„Röse, stehst Du, hast Du denn Grund?“

„Ja,“ prustete Röse, die tüchtig getaucht war, und der das Wasser bis an das Kinn ging.

„Dann tapp vorwärts,“ kommandierte Marie mit aller Kaltblütigkeit. Die beiden hatten Routine und benahmen sich bei solchen Gelegenheiten tadellos.

„Hier ist verdammter Schlick am Boden! Pfui Kuckuck!“ schimpfte Röse.

„Warum bist Du ’rein gefallen!“ gab die Schwester zur Antwort. „Vorwärts!“

Budang und Ernst von Schiller zogen den Fisch schließlich zum Ufer hinauf.

„Nehmt Euch in acht, nehmt einen Stock, daß sie Euch nicht so sehr anfaßt!“ ermahnte Marie bei dieser Prozedur fortwährend. „Ihr habt keine Wäsche weiter mit.“

Da stand nun der arme Schelm, die Röse, in der warmen Sonne lebendig zwar, aber triefend und tropfend. Um die allerliebste Gestalt lag das dünne Kattunkleidchen wie ein Schleier, aus den Zöpfen rannen Wasserbächlein.

Ernst von Schiller war auf seinem geschmähten Reitpferd davon galoppiert, um ihr vom Gute Kleider zu holen.

Franz Horny, der zukünftige Maler blickte wie versunken auf Röse hin und sagte ruhig und träumerisch, wie es seine Art war, zu Budang: „Giebt es etwas Hübscheres, als unsere beiden Mädchen?“ Budang nickte ihm zu.

Inzwischen hatten sie Rösen ein Kämmerchen aus duftendem Heu aufgeschichtet, in dem sie aus ihren nassen Kleidern in trockene kriechen konnte, die durch Ernst von Schillers Bemühen und durch des Pferdchens Anstrengung schnell genug da sein mußten. Und so schnell, wie es sich irgend erwarten ließ, kam er auch angesprengt und schwenkte das punktierte Kleid lustig, wie eine Fahne. Als er Marie alles überreichte, sagte er in der lebendigen Erregung des schnellen Rittes: „Famos ist es, was für Unsinn die Leute sagen, wenn man mit einer unverhofften Nachricht kommt. Die Patin steht in der Thür, und ich rufe: Röse steckt im Wasser bis über die Ohren! Herr Jeß! schreit die Patin: Da ist sie gewiß naß? Damit war sie aber schon in vollem Trab ins Haus hinein und nach den Kleidern.“

Marie reichte der Schwester die Sachen in das Heukämmerchen von oben hinein. Und es dauerte nicht lange, da bohrte sich Röses freudestrahlendes Gesicht durch die duftende Wand.

„Ich bin jetzt schon ganz hübsch trocken!“ versicherte sie der Gesellschaft. „Es dauert gar nicht mehr lange, aber es geht so schwer, ich muß mich auf den Knieen anziehen, sonst gucke ich oben übers Heu heraus!“

„Na, mach nur,“ rief Marie, „und trödle nicht!“

Als Röse nun wieder im Schmucke des punktierten Gewandes, heiter und lustig wie ein Morgenstern, durch ihre Heumauer kroch, stieg die prächtige Laune höher und höher. Sie sprachen dem Äpfelwein der Patin auf das lebhafteste zu, verzehrten, was sich von ihrem Vorrat verzehren ließ, alles, bis auf Gläser und Teller, und verabredeten für den andern Tag abends einen Rettungsball zu Rösens Ehre. Die Volontäre auf dem Gute wollten sie veranlassen, noch einige Freunde und Mädchen aufzufordern, denn die Sache sollte außerordentlich werden.



Und es kam zu diesem Balle. Es kam zu allem Glanze dieses Balles, es kam noch zu den schönsten Stunden.

Die blumengeschmückten, hübschen Kinder tanzten bis in die stille Nacht mit ihren lieben Kameraden, schienen die fremden Gäste nur deshalb gewünscht zu haben, um desto ungestörter mit den Freunden zusammen sein zu können, und es war ihnen eine Erhöhung des Vergnügens, daß sich außer ihnen noch mehr festliche Gestalten im Garten und Haus bewegten. Durch ihre frohen Gäste bekamen sie wohl unbewußt die Bestätigung, daß das Leben wirklich schön, wirklich überreich sei. Was that es den Ratsmädchen, daß sie aus dem lustigen Treiben am späten Abend in das Schlafzimmer der Pfarrerskinder schlüpfen mußten, daß sie dort nachtsüber allerlei Abenteuer durchzumachen hatten, allerlei sonderbares Zeug und viel Geschrei und Gezänk.

Sie hatten sich auch bald in Respekt gesetzt durch tüchtige Püffe, die sie am Morgen von ihrem Bette aus, halb im Schlaf, jedem versetzten, der sich ihnen nähern wollte, und sie blieben unbehelligter.



Tagelang hatten sie schon auf dem Gute die Zeit überdauert, die sie anfangs bleiben wollten, da kam eines Morgens Franz Horny in den Pfarrersgarten gelaufen und pfiff vor dem Fenster des großen Schlafzimmers.

Die Mädchen hörten es und schlüpften eiligst in ihre Kleider und standen bald erwartungsvoll draußen vor der Thür.

 

„Macht Euch fertig,“ rief Franz Horny, mit der Miene, als käme er, etwas Herrliches zu verkünden. „Macht Euch fertig, wir gehen heut’ alle miteinander hinunter nach Weimar ins Theater. Wir wollen uns schon hineindrängeln, da seid ohne Sorge. Sie geben ein neues Stück von Goethe, den ‚Tasso‘.“

„Wir sind dabei,“ meinte Marie. „Und wer wollte Rösen erst nicht mitnehmen?“

„Laß sein! Die kommt natürlich mit. Flöten-Lobe wird uns schon wieder einlassen!“

„Flöten-Lobe?“ fragte Röse gedankenlos.

„Ja doch,“ antwortete Horny.

Daß es jedermann genau wisse: Etliche Thüren und Pförtlein im Theater wurden besonders geschlossen, und ein junger Musiker hatte die Aufsicht, er hieß Lobe, blies die Flöte, folglich „Flöten-Lobe“.

Diesen verband eine warme Freundschaft mit unseren Helden, und diese Freundschaft vermochte ihn, der Kasse des Theaters ein Schnippchen zu schlagen, so daß die leichtsinnige Gesellschaft auf Schleichwegen ihre Kunstgenüsse umsonst hatte, was bei einem Kunstgenuß von schöner und bedeutungsvoller Wirkung ist.

Wären die Ratsmädel auf bezahlte Theaterplätze angewiesen geblieben, da hätte es windig damit ausgesehen; aber deshalb, weil sie zwei schlimme Schmeichelkatzen waren und mit aller Welt anbanden, und weil sie so viele gute Freunde hatten, saßen sie im Theater, wann sie Lust spürten, hörten die herrlichsten Dinge, sahen vielberühmte Menschen – und gaben nie einen Heller dafür aus.

Heute also wurde ‚Tasso‘ gegeben. Das war unsern beiden recht. Besonders wohl weil sie fürs Leben gern etwas Neues sahen.

So verabschiedete sich die Gesellschaft mit tausend Dank und dem Versprechen, sehr bald zurückzukehren, von ihren Wirten und zog mit dem gepackten Pferdchen den Ettersberg hinab, Weimar zu, einem neuen Genusse entgegen. —

Frau Rat empfing ihre Kinder auf das liebevollste und zärtlichste, ging gern auf ihren Theaterplan ein, hatte dies und das an ihren Fähnchen auszubessern, denn so ein paar übermütige Tage nehmen den Sommerstaat ausgelassener Mädchen stark mit, und Frau Rat wollte, wenn die Kinder auch auf Hintertreppen und Schleichwegen ins Theater gelangten, daß sie ihr, wenn sie glücklich darin säßen, wenigstens keine Schande machten.

Sei Du gepriesen, Frau Rat!

Es soll Dich niemand schelten, der sich klüger dünkt und in rechtlichen Dingen korrekter zu denken gewohnt ist, als Du!

Budang und Franz holten die Mädchen ab, und die Mutter ermahnte noch zur Vorsicht, wegen des Erwischtwerdens.

„Da seien Sie außer Sorge, Frau Rat,“ sagte Budang, einigermaßen in seiner Ehre gekränkt. „Wenn die Mädchen mit uns sind, geschieht ihnen nichts. Wir haben sie noch jedes Mal durchgebracht.“

Und es ging auch diesmal vortrefflich. Flöten-Lobe hatte die Thüren aufgelassen, die zum Einschlüpfen erforderlich waren, und bald standen sie in dem heiligen Raume, zuerst sehr bescheiden in einem Eckchen; aber schon mit dem Vorhaben, sobald es thunlich, ein paar recht gute Plätze zu erwischen.

„Da ist er schon,“ sagte Franz Horny und blickte nach Goethes kleiner, düsteren Loge, unter der herzoglichen. Dort in der Dämmerung saß er.

Der Vorhang ging auf, und Schönheit, Reinheit und Vollendung strömte über die Seelen hin. Weihe umhüllte alle, andächtiges Schweigen erfüllte den Raum, und die Herzen der Schauenden schlugen in erhöhtem Leben. Die ernste Gestalt in der kleinen, dämmerigen Loge verschwand zu Zeiten, war dann wieder gegenwärtig. Welch ein Abend war dies, welch ein Empfinden, den Schöpfer solcher Größe, solcher Schönheit nahe zu wissen! Über unsere guten Freunde war alles Große, was sie hörten, erhebend, mächtig gekommen.

Sie waren alle verschönt und gaben ein Bild beseligter Jugend ab. Sie sprachen kein Wort, aber sie hatten das einige Gefühl, daß sie miteinander genossen und das Vertrauen zu einander, daß jeder verstand und jeder entrückt war.



Nach dem Ende der Vorstellung blieben sie an einer Thüre draußen auf dem Platze stehen.

„Ich will ihn heute noch einmal sehen,“ sagte Franz Horny leise zu den Mädchen. „Wir wollen hier warten.“ Und sie warteten. Ernst von Schiller hatte sich auch noch zu ihnen gefunden. Bald gingen sie einer mächtigen, schön schreitenden Gestalt nach, die in einen weiten Mantel gehüllt war; alle schweigend.

Sie gingen durch die Esplanade, die Frauenthorstraße und folgten der Spur des größten Menschen.

Sie sahen ihn die Stufen zu seinem Hause ruhig hinanschreiten. Sie sahen ihn eintreten und blickten hinauf nach den erleuchteten Fenstern.

So standen sie eine Zeitlang.

Marie sagte: „Hört einmal, weil alles jetzt gar so schön war, da wollen wir auch einmal etwas thun: in Wielands Garten blühen jetzt die Lilien, die ganze Partie um die Kaffeeküche ist voll davon. Von Iris haben sie auch ganze Klumpen in Blüte – und was man sonst noch findet. Ihr,“ sie wies auf die Kameraden, „Ihr sollt übersteigen und zusehen, was Ihr bekommen könnt. Wir sagen es Wielands einmal, oder sagen es auch nicht, wie es sich macht. Es wächst dort wie Unkraut. Die Blumen binden wir dann in zwei große Büschel an die Kettensteine hier vor der Treppe. Er wird sie morgen schon sehen, aber es müssen tüchtige Büschel sein, viel Grünes dazu. Bast zum Binden, daß wir sie an den Steinen festbekommen, der hängt in Wielands Kaffeeküche, links am Haken, hinter der Thür.“

Die Freunde waren einverstanden und machten sich in aller Begeisterung auf, um unschuldsvoll in Wielands Garten einzubrechen.

Ernst von Schiller, Budang und Horny kletterten glücklich über, warfen den Mädchen ganze Ladungen der frischesten, tauigsten Blumen zu und Zweige Bandgrasbüschel – Röse und Marie rafften und banden mit brennenden Wangen, was ihnen zufiel, zusammen – und ehe die drei glücklichen Diebe wieder zurückgestiegen waren, standen die Mädchen schon bereit, jedes mit einem Riesenwerk von einem sommerlichen Strauß in dem Arme.

„Der Tausend, so viel haben wir gelangt?“ rief Budang erstaunt.

So zogen sie denn wieder beladen zurück. Und bald duftete es um die Prellsteine an den breiten Stufen, die zur Hausthür führten, von dem Blumenopfer, das die begeisterten, von Lebensgenuß und Jugendkraft durchdrungenen Diebe gebracht hatten.

Während Röse sich noch an ihrem Strauß etwas zu schaffen machte, sagte sie: „Übrigens ist es kein Wunder, wenn es ihm,“ sie zeigte hinauf nach dem Fenster, „so gelingt. Wenn man einmal ein großer Mensch von Natur ist, da braucht man nur zu leben, und es macht sich von selbst, gerade so, wie sich bei uns nichts macht. Mir thut Ernsten sein Vater leid, daß er so früh hat sterben müssen.“

Ohne daß sie noch ein Wort dazu sprach, steckte sie eine Knospe, die sie aus dem großen Blumenreichtum brach, ihrem guten Freunde an die Brust.

Jetzt brachten die drei Kameraden die Mädchen nach Hause, und über die schönen Erlebnisse des Tages sanken die Träume.