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Ratsmädelgeschichten

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Und immer wieder nahm das Gomelchen Abschied von den Töchtern ihres alten Freundes. Es war, als wenn sie versuchte, ob nicht das rechte Trostwort sich vielleicht doch einstellen würde. Auf dem Heimwege war sie ganz schweigsam. Als sie aber ihre Treppe langsam und matt hinaufstieg, sagte sie: „Siehst Du, nun ist alles abgethan. Nun lebt von meinen Guten keiner mehr; mit dem letzten, der sie kannte und liebte, sind sie mir alle noch einmal gestorben.“ Enkelin und Großmutter gingen miteinander in das sonnige Stübchen. Da legte sie sich nieder und schaute mit einem so geduldigen, freundlichen Ausdruck vor sich hin, der tief ergriff. „Die alte, alte Sonne, die scheint unentwegt,“ sagte sie und schaute auf das Lichtgefunkel, das auf den Blättern und Blüten und auf dem Teppich in Flecken und Ringen spielte. Kein Laut war im Zimmer zu hören. So blieben sie beide schweigsam.

„Hör einmal,“ sagte Frau Gomelchen freundlich, „zieh doch das oberste Kommodenfach auf und gieb mir einmal das Packet, das rechts liegt, heraus.“

Die Enkelin that so.

Gomelchen nahm es, öffnete es, da lagen zarte, gelbliche Spitzen in der Papierhülle. „Die hab ich Dir dieser Tage gekauft, Du hast ja so etwas gern,“ sagte sie liebevoll und faßte die Hand der Enkelin und sah sie an, so wehmütig, beinahe wie hilfesuchend.

Da schlang diese die Arme um sie, und das Gomelchen fragte freundlich: „Wenn Du irgend etwas für mich zu thun hast, das gieb nur her und sag mir nur alles, was Du vorhast und was Du denkst. Das ist mir die allergrößte Freude.“

„Ach, mein Gomelchen!“ flüsterte ihre gute Kameradin unter Thränen und hatte ganz die rührende, freundliche Seele verstanden.

„Und Ihr seid, der Budang und Du, immer gute Freunde gewesen, von damals an, als er Euch bei der Eselsgeschichte erwischte, immer gute Freunde und nie getrennt?“ fragte die Enkelin zaghaft nach einer Weile.

„Immer gute Freunde und nie getrennt, heut’ zum ersten Male getrennt,“ wiederholte das Gomelchen. „Als Student war er ein paar Jahr auswärts; einen Katzensprung weit, in Jena; aber da kam er alle Nasen lang. Es hat ihn nie in die Fremde gezogen. Ich reise erst nach meinem Tode, sagte er immer, wenn das Gepäck leichter ist – und ich glaube,“ fügte Frau Gomelchen lächelnd hinzu, „er reist jetzt – denn er hat stets durchgesetzt, was er wollte. Es war ein närrischer Kerl, ein ganz närrischer Kerl.“ Versunken in Erinnerung schaute sie vor sich hin. „Ein guter Jugendfreund, der einem durchs ganze Leben treu war, ist das beste, was es giebt. Da bleibt das Dasein uns immer heimisch; der weiß alles, kannte alles, hat alles mit erlebt; Du kannst Dir gar nicht denken, was für ein Trost es alten Leuten ist, wenn sie einen guten Freund fragen können: Weißt Du denn auch noch, wie damals der und der und die und die aussah – und was sie sagten und was sie thaten, und weißt Du denn auch noch, als die Häuser an der Ackerwand noch nicht standen, und unten der ganze Park Feld und Gestrüpp war, und wie sie in der Esplanade unter den alten Bäumen die Wäsche trockneten, und wo jetzt, auch in der Esplanade, der Goldschmied wohnt, als da noch der uralte Turm stand, in dem der Hufschmied steckte? Und erinnerst Du Dich noch an Mamsell Muskulusen, ihren Veilchenhut und an das großgeblümte Kleid der Kummerfelden und an Adele Schopenhauers Gesicht, wenn der Geist über sie kam, und an den Brunnenkopf, den alten Löwen, der ihr so ähnelte? Gott gebe Dir,“ sagte das Gomelchen, „daß Du einen guten Freund, ein gutes Herz Dein lebelang Dir nahe hast, dann ist das Altwerden so schlimm nicht.“

„Habt Ihr Euch denn nie miteinander verzürnt und habt nie Streit miteinander gehabt?“ fragte die Enkelin.

„Daß ich nicht wüßte,“ erwiderte das Gomelchen treuherzig. „Von dem Tage bei der Jungfer Concordia an, wo wir ihn zuerst länger sprachen, haben wir ihn, Marie und ich, immer ästimiert und voller Respekt behandelt. Zu Streit und Ärger hätte es nie mit ihm kommen können. Das ging alles so ruhig hin, man wußte nicht wie.“

„Und hat er denn nicht einmal zu einer von den Ratsmädchen eine wirkliche Liebe gefaßt?“ fragte die Enkelin.

„I, gar!“ antwortete das Gomelchen, genau in dem Ton, als sagte dies die junge Röse. „Er ist immer unser guter Freund geblieben; als wir uns verlobten, war er zwar nicht sehr erbaut davon, aber nur aus dem Grunde nicht, weil er uns noch für erschrecklich dumm hielt und weil er meinte, wir hätten noch mit dem „Unsinn“ warten können. Mein Mann und er sind dann ganz gute Freunde geworden, so daß der Budang oft sagte: Siehst Du, Röse, nun bin ich doch für die viele Mühe, die ich mir mit Euch gab, belohnt worden. Er wäre für meinen Mann ins Feuer gegangen!“

Da leuchteten Gomelchens Augen von Liebe und Stolz auf.

„Und hat denn der Budang nie eine Dummheit gemacht, ist denn sonst nie etwas zwischen Euch gekommen?“

„Das mag schon sein – ich werde mich schon manchmal über ihn geärgert haben; aber das vergißt sich, und ich habe immer über die Freundschaft meine eigenen Gedanken gehabt und die will ich Dir sagen, die kannst Du Dir merken. Siehst Du, man muß gegen einen Freund zu allererst wohlwollend sein, wohlwollend in jeder Hinsicht – Ärger darf gar nicht Platz greifen. – Wenn Du Dir vorstellst, jemand, den Du lieb hast, habe irgend eine Angewohnheit, die Dir nicht recht ist, und stellst Dir vor, daß er auf lange Zeit totkrank wird, Du fürchtest ihn zu verlieren, – da aber mit einem Male ist die Gefahr vorüber – er wird gesund, und Du hörst ihn zum ersten Male wieder so recht nach Herzenslust schnaufen, oder was er gerade für eine Art, die Leute zu ärgern, an sich hat – Du aber fühlst nur: Gott sei Dank, er schnauft wieder! und da hast Du auch keine Spur von Ärger darüber. So muß es sein. Du mußt, wenn Du jemanden liebst, immer im vollen Bewußtsein Deiner Liebe und der Sorge, ihn zu verlieren, leben, dann lässest Du nichts in Dir aufkommen, was Ärger und Unwille und Ungerechtigkeit ist.“

„Ach, Du liebes Gomelchen, wer ist noch so gut wie Du!“ rief die Enkelin und küßte ihr die Hände. „Das ist wahr, in Deiner Liebe zu den Menschen ist auch nicht ein Fünkchen Ärger mit hineingemischt; da ist wohl kein Schlingel schlimm genug, der nicht bei Dir Trost fände, wenn er zu Dir käme. Ich habe oft gedacht: Bei Dir giebt es Gute und Böse gar nicht, sondern nur Leute, mit denen man freundlich und hilfreich sein muß. Bist Du denn immer so gewesen, auch früher so gut?“

„Hör einmal, Du,“ sagte das Gomelchen, „Du bist eine rechte Schmeichelkatze, was hast Du denn mit Deiner Alten? Von der ist überhaupt nicht zu reden. Was machst Du denn für ein Aufhebens! Wenn ein altes Weib nicht so lieben dürfte, wie es die Leute lieben will, wer möchte da ein altes Weib sein! ich gewiß nicht!“ sagte das Gomelchen. „Wir Alten, Gott Lob, können lieben, wie wir wollen. Wir suchen auf Erden nichts mehr, glaub mir, keine Wichtigkeit mehr, auch keine Gerechtigkeit, nichts – gar nichts. Glaubst Du, der liebe Herrgott oben weiß etwas von Gerechtigkeit, von Härte, von Liebe, von Lieblosigkeit, von Würde oder von Vortrefflichkeit? Bei ihm da oben hört das dumme Zeug auf, der ganze Wirrwarr, alles Gezerre, aller Streit. Da ist ewige Ruhe und Stille. Und die Seele kommt zu ihm ganz unschuldig, wie der Wind und der Blitz. Nicht wahr, der Blitz ist doch unschuldig, wenn er in einen Baum gefahren ist, und der Wind ist unschuldig, wenn er im Meere gewirtschaftet hat? Oder ist er ein böser Blitz oder ein ungerechter Blitz – oder irgend etwas dergleichen? Wenn alles, was menschlich ist, von der Seele zurückgelassen, ist auch alles, was man so oder so nennt, von ihr fortgenommen, alles, was böse oder gut ist. Siehst Du, und wir alten Leute haben schon das meiste zurückgelassen. Die Seele ist schon freier in uns – das ist’s – und hin und wieder fühlt man’s auch ganz klar, in glückseligen oder schmerzlichen Augenblicken. Ach, mein Herzenskind,“ sagte das Gomelchen, „die ganze Welt steckt so voller Ungerechtigkeit, voller Zank und Streit, voller Wichtigthun und Widerstand, voller Verwirrung und Irrtum und Mißverständnis, daß ein armer Mensch bei seinem Freunde, zu dem er in Liebe und Vertrauen kommt, nichts finden soll als eine weiche Ruhe und Stille, wie die Seele sie bei ihrem Gott findet, bei dem das nicht ist, was wir gut und böse nennen – Frieden – Frieden. Nicht dasselbe Spiel, das überall getrieben wird, soll dem Armen auch bei dem Freund bereitet sein – auch nicht ein klein wenig davon. Mein Liebling, merke Dir das, denke nie, nimm Dir nie vor, daß Du Deinen guten Freund durch Deine Weisheit und Vortrefflichkeit bessern oder beeinflussen willst. Laß das den Lehrmeistern, den Gouvernanten, und wie all die ernsten Leute heißen; sei Du klüger. Das Leben macht seine Sache ganz ohne Dein Zuthun. Freunde sind nur da, um das, was das Leben anrichtet, vergessen zu lassen. Gott gebe Dir, daß Du verstehst, beglückend zu lieben.“

Da faßte das Gomelchen den Kopf der Enkelin mit beiden Händen und zog sie zu sich nieder, und in den Augen glänzten ihr helle Thränen: „Lieben, geliebt werden, mein Herz, ist das einzige Glück auf Erden. Meine selige Mutter wußte wohl, was sie meinte, als sie sagte: ‚Liebt das Schöne mehr, als das Gute.‘ Sie konnte die würdigen Leute nicht leiden. ‚Alle vortrefflichen Leute wissen, daß sie vortrefflich sind, und sind deshalb hart und hochfahrend und bösartig, weil sie glauben, die ganze Welt strafen zu müssen,‘ sagte sie; sei Du klüger. Meine Mutter hatte recht, anmutig die Thorheiten thun, die man nun einmal im Leben thun muß, ist besser, als daß man sie würdig und vortrefflich thut. Anmut läßt keine Herzensbosheit, keine Wut, kein Wichtigthun aufkommen. Gott behüte Dich, mein Kind … Weißt Du,“ sagte Frau Gomelchen, „Du könntest heute den Thee bei mir trinken, mir ist so vereinsamt zu Mute. Herr, mein Gott, ich weiß gar nicht, ob ich Dir es wünschen soll, alt zu werden. Das Abschiednehmen von den teuern Lieben, einer geht – und wieder einer geht – und wieder einer – und wieder einer – und der letzte geht – ’s gar zu jämmerlich. Mir ist’s grad’, als wäre ich die Hausherrin, die Wirtin; alle meine lieben Gäste, die so heiter waren, empfehlen sich, und ich bleib allein im Haus, und die Lichter gehen aus – und es wird öde und Nacht – und still.“

 

„Mein Gomelchen,“ rief die Enkelin bewegt. „Wir sind bei Dir! – Ich bin bei Dir, mit mir rede von alten Zeiten.“

„Ja freilich, mein Herz,“ sagte das Gomelchen und lächelte unter Thränen, „ich bin ein recht undankbares, altes Weib; aber es ist doch so; es wird zu viel im Leben dem Herzen wieder abgefordert, gar zu viel. Gottlob, daß es Freuden und Freunde giebt, die sich unmerklich vergessen. Das Leben ist eigentlich für unbegabtere, gefühllosere Geschöpfe, als wir sind, berechnet, oder für göttliche Geschöpfe, die über allem stehen, über dem Dasein selbst, über Tod und Abschied, über jeder Not und Qual; für solche mag es ein gutes Leben sein; aber die arme Mittelsorte! für solche Leutchen wie du und ich, für die ist’s schlimm, die haben mehr als die einen, und weniger, als die andern, und wissen sich nicht zu helfen, wenn’s auch so ausschaut, als wüßten sie’s. Nun geh nur, und laß es unten sagen, daß Du Deinen Thee bei mir trinken wirst, und komme auch gleich wieder.“

Und wie gerne kam die Enkelin! Eine Theestunde bei Gomelchen hat die Eigenschaft, Sorgen und Trauer weich mit Behagen zu überdecken. Zu dieser Stunde wagt sich kein Leid der Welt in das blumenduftende, hübsche Zimmer herein, in dem der Theekessel summt, und in dem das freundlichste Herz seine Gäste bewillkommnet, ein Herz, das jeden Schmerz, bis in das hohe Alter hinein, wie ein Kind ohne Bitterkeit überwinden kann, nicht düster, nicht verschlossen, ein Herz, das bis in das hohe Alter die Augen im selben Augenblick weinen und lächeln läßt.

Als die Enkelin wieder hereintrat, fand sie die liebe Frau gelassen, doch mit zitternder Hand damit beschäftigt, den Theetisch für sich und ihren Gast zu ordnen. Aus einer Büchse nahm sie Eingemachtes und füllte es in eine kleine Krystallschale, die sie der Enkelin vor ihren Platz stellte mit einer Miene, der man es ansah, wie gerne sie jemandem etwas zu gute that.

Die Enkelin schaute ihr zu, fiel ihr um den Hals und flüsterte: „Wollte Gott, es gäbe viele Ratsmädel und viele Gomelchen auf der Welt, dann würden die Leute, wenn sie jung wären, mehr lustige Streiche machen, und wenn sie alt geworden, da wäre es erst recht hübsch; da hätten sie solche wundervolle Blumenstübchen wie Du, und alle Welt liebte sie, und sie hätten so gemütliche Theetische, und jede Freude sähe bei ihnen doppelt wie Freude aus, und jeder Schmerz machte sie so unbeschreiblich rührend und liebenswert, wie er Dich macht, mein liebes, liebes Gomelchen“ – und die Enkelin hielt sie noch immer umfaßt. In beider Augen schimmerten Thränen, und sie setzten sich miteinander ganz einverständlich und voller Liebe zu einander hinter die summende Theemaschine, das Gomelchen in ihren weichen, gemütlichen Lehnstuhl. Die Lampe leuchtete unter dem großen rosa Schirm, und die Enkelin sagte: „Ich verstehe Dich, mein Gomelchen, das einzige, was auf Erden das Herz ruhig und glücklich macht, ist: Gut miteinander zu sein.“