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Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten

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Während die Herrschaften vor dem Gartenhäuschen sich standesgemäß benahmen, brieten Kathrine und die Waschfrau unter den Kirschbäumen die Würste, setzten die Windlichter hin und trugen die dampfenden Herrlichkeiten haufenweise auf.

Das war für die am Gartenhäuschen verlockend genug, um mit der Grandezza jetzt einzupacken. Sie wußten es zwar alle, daß die Rätin es liebte, wenn man sich hin und wieder etwas bei ihr bethat, wie sie in Weimar sagen; damit war es nun aber aus, denn die Schopenhauers hatten sie jetzt überwunden.

Höchst zierlich führten sich die Herrschaften noch zu guter Letzt zu den Wurstschüsseln, als wollten sie zu einem Menuett antreten, und setzten sich wieder mit viel Komplimenten, um nun endlich mit einem Wolfshunger über die Herrlichkeiten herzufallen.

Der Herr Rat war der einzige, der den Würsten nicht stark zusprach, aber dafür ganz gehörig, gegen seine sonstige Gewohnheit, dem Hausmuff, so daß ein leises, wohlmeinendes »Aber, Gustävchen« zu ihm angeschwirrt kam, mitten durch das Stimmengemurmel.

Nach dem Essen spazierten einige im Garten umher, andre spielten Rat- und Antwortspiele und benahmen sich, wie es sich für gesättigte Menschen geziemt. Den Rat sah man mit der Kummerfelden umherwandern. Das war sonst nicht seine Art, sich mit den Frauenzimmern so intim einzulassen.

Sie gingen den tiefen Garten entlang, der Lottenmühle zu, und die Kummerfelden wunderte sich über den galanten Rat.

Jetzt waren sie in der Nähe des Mühlbaches angelangt, der rauschte nächtlich, und über das Mühlrad stürzte das Wasser. Da, mit einem Male, war es der Kummerfelden ganz sonderbar zu Mute, ganz beängstigend und traumhaft. Es war ihr, als packte sie der Herr Rat um die Hüften – und dann – als führe er ihr mit dem Kopf in das Gesicht.

Ja, er fuhr ihr mit dem Kopf ins Gesicht und stieß sie an die Nase, und um die Hüfte hielt er sie wirklich gepackt. Und der Kummerfelden war es, als schöbe er sie dem Mühlbache zu.

»Herr, du meine Güte,« ging es ihr durch den Kopf, »was hat denn der Mann? – Sollte er tobsüchtig geworden sein?«

»Teure, verehrte, geliebte Kummerfelden!« sagte der Rat wütend in seine große Halsbinde mit Mechanik hinein und würgte die erschreckte Kummerfelden wieder. Der wurde es angst und bang, sie hätte schreien mögen, verließ sich aber fürs erste auf die eigenen Kräfte, denn »Schreien«, das kam ihr doch zu unreputierlich vor. Wie ein Blitz fuhr ihr ihre ganze Nähschule durch den Kopf und der Skandal, wenn man sie schreien hören und sie und den Herrn Rat so miteinander finden würde, denn er war immer noch ganz ungebärdig und fuhr ihr beständig mit dem Kopf ins Gesicht.

Alle Scenen, in denen sie früher aufgetreten war in Leipzig, Hamburg und Weimar, gingen mit unbegreiflicher Geschwindigkeit durch ihre Seele, aber da war keine, die mit dieser einige Aehnlichkeit gehabt hätte, es müßte denn eine Liebesscene gewesen sein – ach du barmherziger Gott – so ein sträflicher Gedanke! Der alte, wohlverehelichte Rat und sie, die Kummerfelden? Die Bezeichnung »alt« ließ sie in diesem Falle der Geschwindigkeit wegen wohl aus, denn alles, was die Kummerfelden jetzt dachte und im Geiste durchlebte, das war in ein paar Sekunden hineingezwängt.

Jetzt aber alle Achtung und allen Respekt beiseite, den sie für Herrn Rat hegte! Jetzt, als er immer noch nicht aufhörte, sondern fortfuhr, sie mit seiner Person zu bedrängen, gab sie ihm einen ganz gehörigen Puff vor die Brust mit ihren kleinen festen Armen. Der Herr Rat stöhnte etwas auf, und die Kummerfelden nahm ihr geblümtes Kleid zusammen und sprang aus dem Gestrüpp am Mühlbach durch dick und dünn, durch Gemüsebeete und Blumenbeete mit schiefer Haube der Gesellschaft und den Windlichtern zu.

Und der Rat dachte: »Die kommt mir nicht wieder!«

»Ja, Kummerfelden,« rief der Apotheker lachend, »was ist mir denn das? Wie sitzt denn Ihre Haube und weshalb sind Sie denn so umhergesprungen? – Ich habe Sie ja springen sehen.«

Die Kummerfelden fuhr mit beiden Armen nach ihrer Haube, die saß ganz miserabel; aber sie konnte nicht antworten, die arme Kummerfelden, denn sie war völlig außer Atem und wollte das nicht merken lassen. Ihr gutes, menschenfreundliches Herz schlug nach dem Dauerlauf zum Zerspringen.

»Na, Kummerfelden,« sagte der Apotheker wieder, »was ist mir denn das? Ist Ihnen denn ein Spuk begegnet – oder – oder wie wär's denn mit noch einem Gläschen?«

Da traf ihn aber ein entrüsteter und würdevoller Blick der alten, guten Dame.

»Ich verbitte mir das, ich verbitte mir das!« Das rang sich ihr mühselig aus der Brust. »Mich hat eine Katze erschreckt!«

»Aber so zu springen! – Ich habe Sie ja gesehen.« Der Apotheker bekräftigte ganz gewaltig, daß er sie gesehen, und stützte die beiden fetten Händchen auf die runden Beine.

»Nun, dann hat Er mich eben gesehen!« antwortete sie ärgerlich und nach Luft schnappend.

Jetzt kam die Rätin dazu, und die Kummerfelden legte die Hände ihr auf die Schulter und schaute sie an mit einem Paar so großer, mitleidvoller Augen, wie man die Frau möglicherweise in der Sterbestunde ihres Mannes ansehen würde.

Die Kummerfelden that es so ausdrucksvoll, denn ihr Mienenspiel war durch ihre schauspielerische Laufbahn gelenkiger geworden als andern Leuten ihres.

»Na, Kummerfelden, was haben Sie denn?« sagte die Rätin ganz betroffen.

Mittlerweile aber wanderte der Herr Rat wieder mit einem weiblichen Wesen im Garten auf und nieder, und wieder kamen sie in die Nähe des Mühlbachs, in die tiefste Dunkelheit hinein, und wieder packte der Rat sein Opfer. Aber diesmal hatte er sich schon mehr gefaßt als bei der Kummerfelden, da war er nicht Herr seiner Bewegungen gewesen, hatte eine unsinnige Angst angestanden, so daß die doch gewiß erfahrene Kummerfelden über das, was sich zwischen ihr und dem Rat abgespielt hatte, im unklaren geblieben war. Diesmal war kein Zweifel. Er hatte die kleine Mamsell Muskulus regelrecht auf den Mund geküßt, war aber statt auf den Mund in den Mund geraten, denn sie hatte ihn vor Schreck weit aufgesperrt.

Er aber korrigierte eifrig diesen Zwischenfall und küßte sie ein paarmal tüchtig auf die Wangen, so daß ein Zweifel gar nicht mehr aufkommen konnte.

»Ach, Herr Rat – ach, Herr Rat –« lispelte die kleine Mamsell verschämt, und der Herr Rat fühlte einen Augenblick ihren Kopf und die große weiche Perücke an seiner Brust ruhen. Die kleine Mamsell war ganz überwältigt, fühlte vorderhand gar nichts weiter, als daß sie geküßt worden war, und dies Gefühl durchströmte sie wie eine neue Lebensquelle.

Der Herr Rat hatte gemeint, sie würde nun auch die Kleider zusammennehmen und davonstürzen wie die Kummerfelden, und es wurde ihm sonderbar, als dies nicht geschah. Die Muskulusen wandelte mit ihm auf und nieder in der tiefen Dunkelheit, und er fühlte, wie sie nach seiner Hand tastete, sie erfaßte und lispelte, daß man stark sein müsse, daß sie ihm von jeher sehr ergeben sei – aber ebenso seiner Gemahlin, und daß sie wisse, was sie dieser vortrefflichen Frau schuldig sei. Mamsell Muskulus sprach wohlgesetzt und tiefbewegt und wurde dem Herrn Rat sehr unbequem, so daß er sich beeilte, sie wieder in die Nähe der Leute zu führen.

Sie ließ sich auch von ihm führen, wohin er wollte. Und als sie in den Schein der Windlichter traten, bemerkte der Rat, daß Mamsell Muskulusen einen ganz verklärten Ausdruck hatte.

Aber ohne zu denken, stürzte er sich wieder auf eine andre; diesmal jedoch war er an die Adele Schopenhauer geraten, da war's ihm angst und bange dabei; er beschränkte sich darauf, ihr am Mühlbach die Hand zu küssen und die Wange zu streicheln, und es war ihm zu Mute, als hätte er sich diese Freiheiten gegen Pallas Athene selbst herausgenommen. Die junge Adele donnerte ihn nieder mit einer Hoheit und schriftstellerischen Gewandtheit, die ihn verblüffte und erschreckte, und in wahrer sittlicher Empörung verließ sie den verblüfften Rat am Mühlbach und wandelte ruhig gemessen ihres Weges.

»Der Teufel auch,« dachte der Rat; aber er war nun einmal ein ganzer Mann, und wenn er eine gute Idee ausgeheckt hatte, so mußte die auch durchgeführt werden, und so stürzte er sich wie ein Tiger wieder auf ein Frauenzimmer – und wieder auf eins – und wieder auf eins – und wieder auf eins, wie rasend, und wurde ganz gelenkig dabei, spitzte die Lippen mit einer wahren Virtuosität und wütender Zärtlichkeit, denn seine Wut hatte sich gewissermaßen in Zärtlichkeit verwandelt.

Jetzt kam ihm eine junge, bescheidene Frau in die Arme gelaufen, die kleine Frau Egidi. Die stieß aber solche Jammertöne aus, daß es dem Rat erst recht angst wurde.

»Ach mei' Mann – mei' Mann! – Was wird mei' Mann sagen!« rief sie laut und ängstlich, so daß der Rat fürchtete, sie würden alle zusammenlaufen, und daß er von ihr fortstürzte und sie verblüfft stehen ließ.

Da liefen aber dem Mord- und Kußlustigen gerade noch die Ratsmädchen in die Quere. »Diese Krabaten!« dachte er, denen kann's nicht schaden, wenn ich sie ein bißchen erschrecke, die brächte ich mir gern vom Hals. Sie waren wie immer beide zusammen, und als sie dem Rat begegneten, gingen sie mit ihm, und er machte kurzen Prozeß und gab jeder einen gehörigen Schmatz, der die Ratsmädchen aber durchaus nicht erschreckte; sondern sie hakten sich in seine Arme ein, äußerst vertrauensvoll, und Röse bog sich hinter dem Rücken des Rats zu ihrer Schwester Marie hinüber und flüsterte: »Du, der scheint uns ja doch gewogen, da können wir uns ja ganz gehörig über die Stachelbeeren hermachen. Ich habe doch immer gedacht, er kann uns nicht leiden.«

Inzwischen hatte sich aber in der Gesellschaft vor dem Gartenhäuschen etwas Sonderbares abgespielt: es war, als hätten die vortrefflichen Würste und der gute Hausmuff ihre Kraft verloren, als wäre nur alles eine Art Luftspiegelung gewesen und als hätten die Gäste der Frau Rat noch gar nichts im Magen. Es mußte mit den Leuten etwas geschehen sein. Der Frau Rätin war so etwas noch nie vorgekommen, die erschien sich wie verraten und verkauft unter ihren guten Freundinnen.

 

Mit der Kummerfelden hatte es angefangen, die hatte mit einem Male so ein Paar närrische Augen gemacht, als wäre der Geist der Verwirrung in sie gefahren, dann war mit einem Male die Muskulusen aufgetaucht wie eine Trauerweide. Die Schopenhauers hielten mitten in der Gesellschaft über irgend etwas geheimnisvoll Familienrat, und überhaupt tuschelte man überall miteinander.

»Was ist denn nur, was haben denn die?« sagte der Apotheker ganz verblüfft zur Rätin.

Die junge, bescheidene Frau Egidi saß da, als hätten ihr die Hühner das Brot gefressen. Wie schon gesagt, mit allen war es mit einem Male nicht richtig. Es lag eine drückende, schwüle Stimmung über der ganzen, sonst nach vollbrachter Mahlzeit so überaus heiteren Lawine, und auf die Rätin fielen manchmal unerklärliche Blicke, so etwa, als hätten in einem Kaufmannshaus die Gäste früher von dem Bankerott des Mannes erfahren als die Hausfrau und betrachteten sie sich daraufhin.

Der armen Rätin wurde es wirklich ganz bänglich zu Mute – und wo steckte denn nur ihr Mann –?

»Aber Gustävchen!« rief sie in die Dunkelheit hinein, als es ihr immer unheimlicher wurde unter ihren Gästen. Und als der Rat endlich kam, da war der Höhepunkt der unerklärlichen peinlichen Stimmung erreicht, da erhoben sich die Schopenhauers, Mutter und Tochter, und verabschiedeten sich eisig und gingen, von dem Sohn begleitet, als wendeten sie gefallenen und verkommenen Menschen den Rücken, und mit Schopenhauers brachen alle plötzlich auf – und fort waren sie. Apothekers gingen auch mit, denn eins zieht nun einmal das andre nach sich.

Und im dunklen Garten befanden sich alsbald nur noch der Rat, die ganz verblüffte Rätin, Kathrine und die Waschfrau.

So aber blieb es nicht nur an diesem Abend und nicht nur im Garten. Der Rat, die Rätin und Kathrine lebten mit einem Mal im Haus am Markt wie auf einer einsamen Insel; keine Katze kam zu ihnen, denn die Weimaraner Damen waren, wie der Rat richtig berechnet hatte, sehr tugendhaft. Die Rätin und Kathrine wurden ganz tiefsinnig vor Grübeln. Der Rat aber ging jetzt unbehelligt in seinen Garten und wirtschaftete dort wieder im Flausrock. Den ersten und zweiten Tag kümmerte es ihn wenig, daß er bemerkte, wie ein paar Bekannte ihm ganz augenscheinlich aus dem Weg gingen.

Er wurde vom Hochgefühl getragen, wie es eine gelungene wissenschaftliche Arbeit ihm sonst einflößte. Diesmal aber hatte er auch auf einer Seite, wo er sonst immer Niederlagen erlitt, Triumphe gefeiert, und außerdem sah und hörte er nichts weiter.

Im Garten harkte er über die tiefen Fußspuren, die die Kummerfelden in seine Beete gedrückt hatte, warf die zertretenen Salatköpfe auf den Komposthaufen und ordnete alles, was seine gute Idee angerichtet hatte.

Aber nach und nach wurde es ihm selbst ungemütlich. Das Haus am Markt wurde so stille wie ein Grab; seine Frau saß in sich gekehrt, war stumm und bedrückt zu jeder Tageszeit, und ihre großen, runden Augen schauten immer fragend die Wände an.

Eines schönen Abends begegnete er Mamsell Muskulus, die ihn ganz eigentümlich anblickte, gerade so, als wenn sie wieder Appetit hätte. Der Rat aber machte lange Schritte und schüttelte sich in der Erinnerung an die Strapazen, die er durchgemacht hatte.

Zu Hause wurde die Stimmung immer schwüler, immer bänger. Er fand jetzt seine Frau mit rotgeweinten Augen. Sie war ganz hilflos, ganz verwirrt. Im Herrn Rat regte sich etwas – er wußte selbst nicht recht was, etwas Unbequemes, Fatales. Das Essen schmeckte ihm nicht mehr. Er ertappte sich darauf, daß er die Einsamkeit seines schönen Gartens gar nicht so oft aufsuchte, als es das Opfer, mit dem er diese Einsamkeit erkauft hatte, verdient hätte; er saß mit etwas Aehnlichem, wie einem schlechten Gewissen, oben in der Studierstube, und wie ihn früher der Lärm gestört hatte, so störte ihn jetzt die Stille.

Auch von Apothekers ließ sich niemand blicken. Das Vertreibungsmittel hatte ganz niederträchtig gewirkt.

Eines schönen Nachmittags zur Kaffeestunde schellte es und Madame Kummerfelden kam. Die Rätin ging ihr ganz betreten entgegen. Und Madame Kummerfelden kam feierlich, setzte sich aufs Kanapee und fragte nach dem Ergehen und sprach auch vom Wetter, was sie sonst nicht zu thun pflegte, und schließlich legte sie wieder die beiden Hände auf Frau Rats Schultern und schaute sie wieder so verdächtig mitleidig an, wie damals im Garten, daß es der Rätin eiskalt den Rücken hinunterlief – und dann kam die ganze Pastete von Anfang bis zu Ende – alles, was geschehen und nicht geschehen war, was gesagt und nicht gesagt war, mitsamt dem ganzen Klatsch von Beteiligten und Nichtbeteiligten – und daß die Schopenhauern keinen Schritt mehr ins Haus setze und daß die junge Frau Egidi gesagt habe, ihr Mann werde ihn fordern, und daß er selbst die harmlosen Ratsmädchen geküßt habe, was sie in aller Unschuld erzählt hätten – und daß er sie, die Kummerfelden, auch geküßt habe auf eine ganz wütende Weise, so daß sie es gar nicht für Küssen gehalten, sondern gemeint habe, daß er sie in den Mühlbach habe werfen wollen, und daß er tollwütig geworden sei – und daß die Rätin es sich nicht allzusehr zu Herzen nehmen solle, da es nun einmal geschehen und man im allgemeinen alles und jedes von jedem Mannsbild zu gewärtigen habe, daß ein Mannsbild immer eine Bestie sei, es möge sich stellen, wie es wolle – und daß sie, die Kummerfelden, von den Mannsbildern überhaupt nichts halte, was sie auch trieben.

Jedenfalls stehe der Scheidung wohl kaum mehr etwas im Wege, Zeugen haben sie die Hülle und Fülle, und das sei in solchem Fall von größtem Wert.

Von der Muskulus sagte die Kummerfelden kein Sterbenswörtchen, denn die Muskulusen hatte die ganze Zeit über niemand gesprochen, die hatte sich mit ihren Liebesgefühlen in ihre Dachkammer zurückgezogen und wußte davon noch gar nichts, daß sie ihre Küsse mit einem Dutzend Schwestern zu teilen hatte.

»Aber,« sagte die Kummerfelden, »der Herr Rat. – Mein Gott, für die Ehrbarkeit selbst hätte man ihn halten sollen, so ein gescheiter, gelehrter Mann! – Es ist wie ein böser Traum.«

Die Kummerfelden hatte immer allein gesprochen, und die arme Rätin saß ganz bewegungslos da, starr und steif, und ihre großen runden Augen fragten die Wände um Aufklärung. Sie verstand nichts recht, sie war ganz auseinander – ganz wie zertreten. Ihre Gestalt fiel zusammen, als würden ihr die Knochen weich und könnten das langgewohnte Fleisch- und Fettpolster nicht mehr aufrecht tragen, – und in diese Situation trat völlig unvermutet, leidlich harmlos der Herr Rat – und wurde von der Kummerfelden wie ein Begrabener und Auferstandener angeblickt – und von seinem Weibe wurde er gar nicht angeblickt – und zum erstenmal in ihrem Leben kam jetzt kein »Aber Gustävchen!« über ihre Lippen. Sie war verstummt. Und so saßen und standen sich die drei gegenüber.

Dem Rat fiel es wie eine Zentnerlast auf die Seele, als er in die richtenden Augen der Kummerfelden gesehen hatte. – Das waren Augen, wie sie nur auf einem ganz Gesunkenen ruhen konnten – und da die Kummerfelden eine mutige Frau war, so prasselte von neuem alles Gesagte und Nichtgesagte, alles Geschehene und Nichtgeschehene, alles Beschworene und Beschlossene auf das unglückliche Paar los. –

»Ja, aber Madame Kummerfelden, so ist ja denn das aber doch gar nicht!« rang es sich protestierend aus der Kehle des Herrn Rats los – und nun fing der Rat an zu erklären – und predigte erst tauben Ohren – aber so nach und nach taute bei der Kummerfelden die sittliche Entrüstung auf und sie schaute den Rat an – und in ihren alten lustigen Augen blitzte es auf. Das waren wieder die Augen der Kummerfelden, die Kirchenfenster, mit denen sie den verworfenen Rat angeschaut hatte, mochten nur so eine Art Kraftleistung gewesen sein. –

»Also erschrecken haben Sie die Frauenzimmer gewollt – haben gemeint, mit Küssen lassen sich Frauenzimmer vertreiben – na ja – gewissermaßen in gewissen Fällen schon. Freilich, wenn Sie sie alle so geküßt haben wie mich – dann glaub' ich's schon eher – dann schon. Aber wer küßt denn auch so! Großer Gott, nicht einmal küssen kann so ein gelehrtes Mannsbild! Wundert mich nur, daß es die andern schließlich für das genommen haben, was es hat sein sollen – wundert mich.«

Die Kummerfelden kam in allerbeste Laune.

»Aber daß ich auf so etwas nicht gekommen bin, ich alte Gans!« rief sie ein Mal über das andre Mal, »daß ich mit den andern Weibsbildern Ach und Weh geschrieen habe! Ei, ei, ei, ei, das ärgert mich aber!«

Und jetzt that sich die Thür auf, und Kathrine brachte die blinkende Kaffeekanne auf dem strahlenden Präsentierteller und Kuchen und Tassen und das Zuckerdöschen.

Und mit einem Schlag war es wieder, wie es immer gewesen, urgemütlich, und auch die Erstarrung der armen niedergedrückten Rätin löste sich – und das erste Zeichen eines normalen Zustandes war das, daß ein ganz unglaublich betontes »Aber Gustävchen!« ihr über die Lippen kam. – Und darüber lachte die Kummerfelden wieder so herzlich, wie nur sie lachen konnte.

Und wie es die Kummerfelden gesagt, die Geschichte, auf welche Weise der Herr Rat seine Gäste aus dem heimlich gekauften Garten hatte vertreiben wollen, kam ganz gehörig in Weimar herum und wurde bei Hof erzählt und bei Excellenz Goethe und bei den Bürgersleuten, überall. – Die Weimaraner von damals verstanden einen Spaß zu würdigen, der Herr Rat stieg in aller Achtung, die kleinen Leute hatten überhaupt Vertrauen zu ihm und ließen sich nun bei jeder Gelegenheit von ihm beraten, brachten ihm ihr Erspartes und fragten ihn, was sie ihre Söhne werden lassen sollten.

Und wer in den Tagen, als die Geschichte, wie und weshalb der Herr Rat die Frauenzimmer geküßt hatte, herumgekommen war, seinen Spaziergang machte, der ging hinaus, um sich den Garten des Herrn Rat Tiburtsius wenigstens durch die Bretter genau anzusehen, und die guten Freunde und Bekannten, die strömten nur so ins Haus und in den Garten, um zu zeigen, daß sie in keiner Weise etwas gegen den Herrn Rat hätten, und in dem alten Garten, ganz wie es der Herr Rat an jenem Abend vorausgesehen hatte, fanden nun wirklich Feste über Feste ohne Ende statt – Versöhnungsfeste.

Und der Herr Rat dachte, daß man ein sehr gelehrter Mann sein und doch dem Leben gegenüber ein rechter Esel bleiben könne – und daß selbst dem gescheitesten Manne die Frauenzimmer immer über sind und über sein werden, denn es änderte sich trotz aller seiner Schlauheit gar nichts – nicht das Geringste im Leben des Herrn Rat Tiburtsius.