Za darmo

Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten

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Er war jetzt ein freier Mann; aber das Schleichen hatte er sich nun einmal angewöhnt.

Auf der Straße lief er so hastig mit seinem Bündel, als es sich irgend mit seiner Würde als Rat vertrug, durch die Wünschengasse unter dem Wittumspalais hin, die alte ausgetretene Treppe, die zur Esplanade führt, hinauf; da, unter den alten Linden, war es schon recht dämmerig. Für den Flausrock war das gut, weniger für den Garten; aber diesmal kam es dem Rat mehr darauf an, sein Bündel in dem Garten glücklich unterzubringen. Er stellte sich vor, wie er den Flausrock dort aufhängen würde, damit er künftig alle Herrlichkeit in seinem Garten auch ganz kommod genießen könnte, denn im Staatsrock und in Lederstiefeln, das hätte ihm nicht gepaßt.

Bei der Schopenhauern mußte er vorüber, aber das schien ihm ungefährlich. Wie angepicht saßen sie bei ihrem Partiechen, hörten und sahen nichts, das kannte er. So ging er weiter und hinter dem Theater noch ein Stückchen Erfurterstraße, bis ans Erfurter Chausseehäuschen, dann ging die Herrlichkeit an. Ja, man war mitten schon darin – Garten an Garten, von dem alten Brauhaus an bis hinunter zur Wallendorfer Mühle.

Und nicht etwa so Staatsgärten, wie man sie jetzt liebt, mit zementierten, runden, glatten Bassins für ein einziges langweiliges Strählchen Wasser, mit langweiligen runden und dreieckigen Beeten, auf denen wohlgeordnete Blumen von gleicher Höhe und gleicher Farbe wachsen, mit dünnem Gebüsch und breiten sandigen Wegen, kurzgeschorenen winzigen Grasfleckchen – keine so blechernen Gärten, in denen die Beete, Büsche und Rasenplätze wie ein Meublement aussehen, Gärten, wie vom Tapezier arrangiert. Gar nicht! Das waren urwüchsige Gärten, gesegnete Gärten.

Und solch einen alten, guten Garten, nicht allzu weit von der Stadt entfernt, den zweiten von der Lottenmühle aus, den hatte der Rat Tiburtsius erworben. Wie zu einem Liebchen schlich er an den Gartenzäunen hin. Die Hand hielt er in der Tasche und faßte den Schlüssel darin fest, mit dem er sich sein Paradies aufschließen wollte.

Jetzt waren die Leute schon meist daheim. Er begegnete zwischen den Zäunen keiner Menschenseele, die ihn irgend etwas anging – und jetzt stand er vor seiner Thür – seiner Thür, einer Thür aus zart silberglänzenden, verwitterten Latten, und durch den Bretterzaun steckten Himbeerbüsche ihre grünen Finger. Es war Mai geworden, bis der Garten wirklich Herrn Rat Tiburtsius gehörte. Und über den Zaun quoll der Duft aus dem vollen grünen Garten – und der Duft gehörte dem Herrn Rat. Ehe er wirklich aufschloß, schnaufte er ein paarmal tief.

So ein Duft aus dem eigenen Garten!

Den geraden Weg entlang, der auf ein Gartenhäuschen zuführte, standen die Sommerblumen schon in dicken Knospen, und die Pfingstrosen blühten in ganzen Ballen, und Irisblumen, blaue und gelbe. Die Aepfel- und Birnen- und Kirschbäume trugen dickes, frisches Laub.

Die alten Eschen und Birken, die das grünbemooste Dach der Lottenmühle beschatteten, schützten den Garten von Norden und hüllten ihn in einen dichten grünen Mantel. Wie geborgen lag er so in dem Dämmerlicht und quoll und blühte und knospte und duftete.

Ein Fledermäuschen schwirrte vom Mühlbach her, und die großen Bündel des gestreiften Bandgrases raschelten und wisperten ganz fein im Winde wie Schilf – nur weicher.

Und alles war so weich, so voll, so lebendig – Farben lugten aus der Dämmerung. Die Laubmassen wurden immer dicker, flossen immer mehr zusammen, und es war feierlich im Garten des Herrn Tiburtsius.

Der stand immer noch mit dem zusammengerollten Flausrock mitten auf dem Weg, ohne sich zu regen.

Ihm war so wohl! Wahrhaftig, er traute sich nicht, sich zu rühren. Kein Mensch wußte von ihm, ahnte, wo er sich befand und wie er sich befand, und er kam sich vor wie ein Vogel in einem grünen versteckten Nest, den keines Menschen Auge treffen kann. Und wieder summte und brummte er das Gartenlied, aber jetzt zwischen den Zähnen:

 
»Wenn einer einen Garten hat.«
 

Er hätte sich vor einer lauten Stimme, auch vor der eigenen, in dem weichen, vollen Garten erschreckt.

Der Flausrock wurde jetzt auseinandergerollt und im dumpfen dunklen Gartenhäuschen, in dem es nach Sämereien, trockenem Laub, alten Weidenkörben und etwas moderig roch, aufgehängt. Der Rat mußte mit den Händen nach einem Nagel suchen. Eine wilde Weinranke tippte währenddem ein paarmal an das Fensterchen. Es war so heimlich.

Jetzt ging er hinaus und tappte vorsichtig zwischen den Gemüsebeeten hin und her, bückte sich und befühlte die Salatpflanzen, die sich schon zu Köpfen ballten. So zart und elastisch waren sie und fühlten sich etwas fettig an. Dem Rat lief der Tau, der sich in den tausend Schlupfwinkeln so eines Salatkopfes eingenistet hatte, kühl über die Finger.

Ein Nachtfalter flog auf. Von den Feldern her hörte man die Grillen zirpen, und die Luft war voll Laubduft. Und manchmal trug ein Windchen den unaussprechlich zarten Duft der vielen blauen und gelben Irisblumen durch die Luft, und auch die Pfingstrosen, die eigentlich fast duftlos blühen, empfand man deutlich. Und von der Lottenmühle her kamen ganze Wolken von Geißblattblütenduft, so gewürzig, so vielgestaltet; bald empfand der Rat diesen wundervollen Duft wie Vanille, bald wie alle schönen bekannten und unbekannten Düfte zusammengebraut.

Das Rauschen des Mühlbachs drang auch herüber und das Klappern und Dröhnen des Mühlwerkes, ganz dumpf, und die Birken und Eschen rauschten dazu. – Die Dunkelheit sank immer tiefer herab, und der Herr Rat tastete sich aus den Gemüsebeeten heraus, um nichts zu zertreten, und machte sich auf den Heimweg. Ehe er aber die Thür öffnete, blieb er noch lange ganz versunken stehen und atmete den schönen Gartenfrieden ein, und die Dunkelheit verbarg ihn mit allen seinen Schätzen vor aller Welt, ihn mit seinen Pfingstrosen, seinen Iris- und Bandgrasbüschen, seinen knospenden Sommerblumen, seinen Salatköpfen, Zwiebeln, Kohlrabiknollen und Krautköpfen, seinem Dill und seinem Gurkenkraut, seinen Stachelbeerbüschen, Himbeerbüschen, Bertramstauden und den hundertfach knospenden Centifolienbüschen.

Und als er endlich zwischen den Zäunen wieder der Stadt zuging, da kam er wirklich wie von seiner Liebsten – und zu Hause ließ er kein Wörtchen verlauten.

Die Rätin fragte auch nicht, als sie später von der Schopenhauern zurückkam. Sie nahm an, er wäre im »Elefanten« bei seinen alten Herren gewesen. – Und unter denen ging es das eine Mal so zu wie das andre Mal, da war nicht viel zu fragen und zu antworten zwischen einem alten Ehepaar.

Am andern Abend, aber bei weitem früher, machte er sich wieder auf. Bei ihm war das Haus voller Leute. Es schnatterte bis in sein Studierzimmer, und in der Küche wurde gebacken und geklappert. Es war großer Damenthee.

Wieder konnte er völlig unbemerkt davon kommen und arbeitete im Flausrock stundenlang und goß sein Gemüse und saß vor dem Gartenhäuschen und paffte aus seiner Pfeife, schaute in den blauen Himmel, hörte auf eine Lerche, die draußen in den Feldern aufstieg, schnaufte tief den Duft seines vollen Gartens ein, und der Duft mischte sich mit den Tabakswölkchen aus seiner Pfeife.

Die Vorübergehenden konnten ihn nicht sehen, denn der alte Bretterzaun war hoch, und von den Nachbargärten war er auch nicht ohne weiteres zu belauschen. Dieser Umstand hatte viel dazu beigetragen, den Herrn Rat zum Ankauf dieses Grundstückes zu bestimmen.

Aus dem einen Garten hörte er Kinderstimmen. Sie sangen:

 
»Es fuhr ein Bauer ins Holz,
Es fuhr ein Bauer ins Kirmsenholz,
Ki – ka – Kirmsenholz,
Es fuhr ein Bauer ins Holz.«
 

Es machte ihm Spaß, zuzuhören. Es machte ihm überhaupt alles Spaß.

Und er hatte so ein verschmitztes Lächeln, der Rat, ein Lächeln, wie es, solange er Rat und Gatte der Frau Rätin war, seine Muskeln niemals inkommodiert hatte.

Zum erstenmal fühlte er, was es heißt, Herr im Hause zu sein. Darüber mußte er nun wieder lächeln, denn so ganz geheuer kam es ihm doch nicht vor, und er dachte an den Mann, der unter dem Tische sitzt und schreit, als er die Frau mit dem Besen kommen sieht: »Nun will ich aber doch sehen, wer Herr im Hause ist!«

So etwas war bei ihnen natürlich nicht vorgekommen – aber – aber.

Daß sie es aber in Weimar mit dem Garten noch nicht heraus hatten, war doch sonderbar, ging es dem Rat wieder durch den Kopf. Wirklich, das war ein seltener Glücksfall. Eigentlich nicht zu glauben. Der Zinngießer Lange, mit dem er den Handel abgeschlossen hatte, der mußte wirklich so weit reinen Mund gehalten haben.

Und es dauerte auch noch eine ganze Weile. Vier Wochen lang schlüpfte er nun schon wie der Fuchs in seinen Bau, und es war ihm, als stände er unter ganz besonderer göttlicher Fürsorge. Der Herr Rat wurde dadurch frech und unvorsichtig, war nicht zu blöde, seiner Gattin die ersten Salathäupter in die Küche mit heimzubringen und ein paar Porreestauden und Dill und Gurkenkraut, was zu einem ordentlichen Salat gehört.

Darüber schüttelten die Rätin und Kathrine die Köpfe, denn es war durchaus nicht seine Art, etwas heimzubringen. Der Salat aber war vortrefflich.

Es schien aber auch eine besonders günstige Zeit für die Heimlichkeiten des Herrn Rats zu sein, denn seine Gattin genoß mit ihren Bekanntinnen und Bekannten den Sommer mit einer erstaunlichen Energie.

Nach dem Essen, kaum daß sie ihr Schläfchen abgehalten, lief Kathrine mit dem Strickbeutel der Rätin zum Konditor Ortelli und brachte ihr den Beutel ganz appetitlich gefüllt wieder mit heim. Und die Frau Rätin nahm ihn dann, setzte sich den großen Hut auf und band den Longshawl um und trug den Beutel wieder aus. Der Herr Rat konnte darauf von seinem Fenster aus sehen, wie seine Gattin sich in der Nähe des »Elefanten«, der dem Hause des Herrn Rat gerade gegenüber lag, postierte und wie eine Schildwache auf und nieder ging. Zuerst mutterseelenallein, denn sie war eine pünktliche Frau – dann gesellten sich allerlei Personen zu ihr und gingen mit ihr auf und nieder. Aus der Wünschengasse kamen verschiedene, die allermeisten. Die Schopenhauer mit der Adele und den Pogwischs, die Kirstens, die Mutter und die Ratsmädchen; gewöhnlich auch die Begleiter der beiden Mädchen, die guten Freunde, und auch Bekannte von den Pogwischs. Es schwoll wie eine Lawine an. Aus der Apotheke kam's dann auch und aus Müllersch ihrem Haus, und die kleine Muskulusen kam angerannt und manchmal auch die Kummerfelden mit einigen Schülerinnen, manchmal auch mit allen, wie es sich gerade traf.

 

Und diese Lawine aus lauter lebenslustigen jungen und alten Weimaranern und Weimaranerinnen lachte und schnatterte und setzte sich endlich in Bewegung. Entweder nach Tieffurth zu oder nach Belvedere oder Ettersburg oder Tröbsdorf, nach Buchfahrt, was sie aber »Buffert« nannten, nach Ehringsdorf oder Oberweimar, nach allen möglichen Dörfern und Nestern, die jetzt in Weimar aus der Mode gekommen sind, nach Süßenborn und Taubach, nach dem Rödchen und nach Nora.

So genoß man damals den Sommer, wo noch keine Menschenseele daran dachte, eine Badereise zu machen oder in die Sommerfrische zu gehen.

Oftmals ging es auch in einen Garten zu einem Bratwurstfest. Jeder alte Weimarsche Garten hatte seinen kleinen Herd im Freien, einen gemauerten Herd, auf dem ein Rost stehen konnte zum Wurstbraten. Das waren so recht Altäre der Geselligkeit.

Davon weiß jetzt keine Menschenseele mehr etwas, wie herrlich es war, wenn aus dem Garten die blauen Wölkchen aufstiegen, die Würste sich auf dem heißen Roste wanden, dann platzten und rauchig dufteten, und die Leute im Garten bei einander saßen mit Weißbroten und Bier, hauseingelegtem Bier, »Hausmuff« nannten sie's, und mit Guitarre und Gesang.

Da eben wurden die alten schönen Lieder gesungen:

 
»Wenn einer einen Garten hat.«
 

und ähnliche Lieder.

In dem Garten des Herrn Rat Tiburtsius stand auch so ein Bratwurstherd, und es war ihm mehrmals schon das Wasser im Munde zusammengelaufen, wenn er davor gestanden hatte. Aber lieber das Wasser im Munde haben, als so eine Wurst, wenn man den ganzen Lärm, der so eine Wurst begleitete, mit in den Kauf nehmen mußte.

Nein – nein – lieber keine Wurst!

Es war ihm auch schon einmal im Garten in einer müßigen Stunde das Gelüste gekommen, sich ganz allein ein Paar Würste zu braten – das wäre gegangen, aber der Rauch! Den hätten sie in allen Gärten geschnuppert. – Und so allein Würste braten wäre auch nicht recht gewesen; aber verlockt hatte es ihn – sehr verlockt.

Als eines schönen Nachmittags die ganze Lawine, deren Kern die Frau Rätin bildete, sich, wie es hieß, nach Tröbsdorf bewegt hatte, ging er wieder in den Garten. Es wurde ihm jetzt schon gar nicht leicht, sich mit Amtsgeschäften auszureden, wenn die Rätin ihn fragte: »Aber Gustävchen, heute kommst du doch nach – kommst uns wenigstens entgegen?« Das war doch sonst nicht so, dachte die Frau Rätin und schaute ihren Gatten immer verwundert an. Und wie er diesmal im Garten war, fiel es ihm auf die Seele, daß es eigentlich so nicht fortgehen könne, und das stimmte ihn schwer und schmerzlich. Es schien ihm, als wäre der schöne Friede seines Besitztums nicht mehr so rein. Er dachte aber wie ein Schleicher: »Ist's bisher gegangen, wird's auch weiter gehen. Hat es bisher niemand verraten, verrät's auch vielleicht noch lang niemand,« und beruhigte sich damit und goß seinen Salat und die Radieschen und alles, was der Zinngießer Lange gesäet hatte und der Herr Rat ernten sollte.

Es fuhr ihm durch den Kopf, wo er einmal mit all dem Gemüse hin sollte – und wenn das Obst reifte – die Kirschen glühten schon zwischen den grünen Zweigen: ja, was sollte er mit all den Dingen machen? – hm – das wußte er nicht recht.

Er war heute eben nicht so harmonisch gestimmt. Allerlei wollte sich eindrängen, was ihm nicht paßte. Es lag so in der Luft, war schwül und trüb heute. Der Garten war so dicht und grün und voll, so sommerlich und still, und der Bach rauschte, und das Mühlwerk klapperte dumpf und dröhnend.

Er machte sich heute früher als sonst auf den Heimweg, vor Dunkelwerden. Vorsichtig schloß er sein Thürchen auf und trat behutsam hinaus, schaute nach links: da war die Luft sauber, keine Menschenseele zu bemerken – schaute nach rechts – und stand wie vom Blitz gerührt. – Ja, wo hatte er denn seine Ohren gehabt? – Drei Gartenthüren von ihm da flimmerte es ihm vor den Augen, da kam es angerückt. – Ihm schien es wie Tausende von Menschen, Tausende von Hüten, schlenkernden Armen, Tausende von Strickbeuteln und Sonnenknickern, mit denen auch geschwenkt wurde. – Das war die Lawine, die doch heute in Tröbsdorf hätte sein sollen. Und mit welchem Lärm kam diese Lawine an! Dem armen Rat schwindelte.

»Ja – ja – ja – was ist denn das?« riefen aus dem Gewirre verschiedene Stimmen zugleich.

»Aber Gustävchen – Gustävchen!« – Das war die Stimme der Rätin. – Und jetzt kam es ihm zum Bewußtsein, daß er die Hand noch am Schlüssel hatte, um ihn abzuziehen – das hatte die ganze Lawine gesehen, da war nichts zu machen. Er ließ die Hand, wo sie lag, und blieb regungslos – und da waren sie schon alle um ihn.

»Na, Alter, was ist denn das?« schmunzelte der Apotheker.

Die alte Kummerfelden drängte sich vor und blickte den Herrn Rat mit ihren großen, runden Augen an.

»Aber Gustävchen! – Aber Gustävchen!« Das war wieder die knarrende Stimme der kleinen Rätin. »Was ist denn das? Aber Gustävchen! Wo kommst du denn her? Hast du denn hier Amtsgeschäfte?« Das klang sehr ernst und als sollte noch viel danach kommen. Sie drängten sich alle um ihn wie bei dem Spiele Wickelklos, das bei den Kindern auf Weimars Gassen sehr beliebt war und noch ist, und wobei derjenige, welcher im Kern des Wickelkloses steckt, Gefahr läuft, von den andern erdrückt zu werden. Der Rat faßte sich aber, nahm alle Kraft zusammen und sagte: »Das ist mein Garten. – Ich komme – ich habe – ich komme aus meinem Garten – ich habe mir nämlich einen Garten gekauft.«

»Aber Gustävchen!« rief die Frau Rätin.

Das war gewiß das wenigste, was sie rufen konnte. Aber die Frau Rätin, die kleine, fette Frau, war Meisterin darin, in das einzige »Aber Gustävchen!« ganz unglaublich viel zu verpacken.

Sie hatte sich das sehr bequem eingerichtet, wie überhaupt ihren ganzen Haushalt. »Aber Gustävchen!« in hundert Variationen. Sie konnte auf dieser einen Violinsaite ganze Lieder und Musikstücke spielen.

Und der Herr Rat hatte ein gutes Gehör für diese verschiedenen Tonarten. Er ging im Takt danach wie ein alter Regimentsgaul.

»Aber Gustävchen!« rief die Rätin noch einmal, wie ein kleines vollgeladenes Gewitterchen.

Die Kummerfelden sagte, als stände sie noch auf der Bühne und spräche zum Publikum gewendet: »Einen Garten hat er also gekauft, und kein Pferd und kein Kütschchen.«

Und Mamsell Muskulus zwitscherte: »Ach du meine Gite! – Du meine Gite!«

»Sapperlot!« rief der Apotheker, und das junge Volk lachte. – Und sie riefen alle durcheinander alles mögliche in Weimarscher Ursprache.

»Ne aber!« – »Herr Jemine!« – »Herr Jes!« und machten ein arges Geschrei damit.

Die Kummerfelden aber sagte: »Na, Kinders, da woll'n mer uns doch aber auch einmal den Garten ansehen.« – Und gesagt gethan. Die Thür ging auf.

Alle machten der Rätin Platz, denn sie war die nächste dazu, und nun strömte es hinein und riß den armen Rat mit sich.

Im Garten war das erste, daß Frau Rätin den Herrn Rat ein wenig beiseite nahm. Sie hatte eine tiefgekränkte Miene aufgesetzt mit so viel Grandezza, als womit sie ihre Hüte und Hauben aufzusetzen pflegte. Und diejenigen, welche dem Paar am nächsten standen, hörten verschiedene scharf betonte »Aber Gustävchen!«

So zornig die kleine statiöse Rätin aber auch sein mochte und so viel Recht sie dazu hatte, so that es ihr der Garten mit den vielen lustigen Leuten und dem vielen Gemüse, dem Obst und den Sommerblumen und den pflückreifen Kirschen und dem Sommerhäuschen und dem Bratwurstherde und dem Beerenobst doch auch an.

Und alle waren in der besten Stimmung; der arme Rat mußte wahrhaft Spießruten laufen; sie kühlten alle ihr Mütchen an ihm und hänselten ihn und zeckten und neckten ohne Aufhören.

Was half es dem Rat, daß er ein so gelehrter Mann war und mehr wußte als die ganze Gesellschaft zusammengenommen, daß zu verschiedenen Malen sein Name in den Jenaer Horen rühmlichst erwähnt war? Gar nichts half es ihm, eben gar nichts!

Als sie im Sommerhäuschen seinen Flausrock und die alten Latschen und die große Pfeife entdeckten, brach ein Hallo aus. Sie drängten mit solcher Wucht in das Häuschen, alle auf einmal, um den Flausrock zu betrachten, daß es den Anschein hatte, als wollten sie die stille, winzige Bretterbude, in der es so heimlich nach Moder, Sämereien, Erde und alten Weidenkörben roch, auseinandersprengen.

Und mitten in diesem Gedränge, mitten im Häuschen, mitten unter lauter Stimmen, die nicht müde wurden, den Rat zu bearbeiten und zu ärgern, erhob sich plötzlich eine, die rief und alle andern wie mit einem Schlag verstummen ließ: »Kinder, wie wär's mit Bratwürsten?«

Das hatte eingeschlagen – und es zeigte sich, daß die alten Weimaraner wahren Feldherrnblick hatten, wenn es galt, ein Vergnügen beim Zipfel zu fassen; denn wer weiß, was alles dazu gehört, ein wirkliches und wahrhaftiges Bratwurstfest zu feiern, der würde gespannt sein, wie das so plötzlich und völlig unvorbereitet zu stande kommen sollte.

Aber es kam zu stande. Das junge Volk wurde in aller Eile nach allen Seiten hin ausgeschickt, um zu holen, was zu holen war. Die einen mußten in die »Armbrust« laufen und die Würste herbeischaffen. Der Apotheker wußte ganz genau, daß die »Armbrust« heute Würste hatte, und Holzkohlen, die würde der Armbrustwirt, wenn er ein schönes Kompliment vom Apotheker überbracht bekam, gewiß hergeben.

Hausmuff, den ließ Frau Rat Kirsten von ihren Ratsmädchen und Budang bei sich aus dem Keller holen, um ihn zum Feste zu stiften. Der Apotheker lieferte die Brote. Messer, Gabeln und Gläser, die mußten von dem gebracht werden, der am nächsten wohnte; aber es wohnte niemand am nächsten.

Sie wohnten zumeist alle in der Wünschengasse, auf dem Frauenplan oder am Markt, nur die Kummerfelden, die aber hatte nicht so viel Teller.

Da blieb die Schopenhauern, die war aber nicht mit zugegen. Zu der schickte die Frau Rätin und ließ sagen: »Eine schöne Empfehlung und ob die Frau Schopenhauern und die Fräulein Adele ihr die Ehre geben wollten, in der Frau Rätin ihren Garten zum Bratwurstfest zu kommen, und ob sie die Güte hätten, ein paar Teller, aber viele Gläser und viele Gabeln und ein paar Messer dem Ueberbringer mitzugeben.«

Es war also von jetzt an der Garten der Frau Rätin – und das fiel niemand auf – nur dem Rat fiel es auf.

Und es gab an diesem Abend wirklich Bratwürste im Garten, dem Rat brauchte das Wasser nun nicht mehr im Munde zusammenzulaufen.

Ueber die Verwendung des Gemüses und des Obstes konnte er sich nun beruhigen. Darüber saßen sie an diesem selben Abend schon zu Gerichte; die Frau Rätin trieb einen wahren Handel. Zu einer gewissen Zeit sollten Apothekers beginnen, sich den Salat zu holen und die Mohrrüben, und zum Einmachen konnte die Schopenhauern bekommen, was es für sie gab; die Müllersch und die Kirstens und die Kummerfelden sollten alles, was die Rats nicht brauchten, seiner Zeit sich für ein billiges erstehen.

Und nun sangen sie an diesem Abend alle:

 
»Wenn einer einen Garten hat.«
 

Nur der Herr Rat sang nicht mit.

Ein wunderschönes Fest, das so wie vom Himmel herabgefallen war.

Die Frau Rätin sagte: »Wahrhaftig, so ein Garten ist mir doch immer abgegangen.«

Der Apotheker und der Kupferstecher sprachen dem Hausmuff zu, als die Würste noch in der »Armbrust« nicht fertig gestopft waren – und der Apotheker brachte verfrühte Trinksprüche aus, die alle den geheimnisvollen Kauf des Herrn Rat in der Mache hatten.

Er hob sein Glas mehrmals mit immer neuen Variationen:

 
»Der Rat, das ist ein schlauer Mann,
Der wollte einen Garten han,
Der kauft sich einen Garten
Und ließ die andern warten.«
 

Solch dummes Zeug sang er, und sie fanden es herrlich.

Der Apotheker war ganz außer dem Häuschen und konnte es nicht satt bekommen, seinen alten Rat zu ärgern.

»Siehst du,« sagte er, »nun mach dir's aber auch bequem, mein Schatz, und zieh deinen schönen Flausrock an und die Latschen und stecke die Pfeife an, damit wir doch auch sehen, wie du schändlicher Kerl hier so kommod umeinander geschoben bist.«

 

Und es half dem armen Rat nichts, der Apotheker hatte so etwas an sich, daß er immer das aussprach, was in den andern noch unbewußt schlummerte.

Jetzt stürzten sie wieder in das gebrechliche Sommerhäuschen, so, als wollten sie's zum Platzen bringen, und holten den Flausrock, brachten ihn angeschleift und rissen sich um die Latschen und brachten die Pfeife, und der arme Rat mußte beim Schein eines Windlichtes wirklich in seinen Flausrock kriechen und in die Latschen, und der Apotheker hielt sich den Bauch vor Lachen. Und so saß der Rat und mußte den Behaglichen spielen wie auf einer Maskerade.

In dem armen Rat kochte und braute etwas. Es war ihm sein Lebtag noch nicht so miserabel zu Mute gewesen. Wenn er sich auch die Entdeckung seines Gartens manchmal vorgestellt hatte, so, in solcher Gestalt, hatte er sie sich nicht vorgestellt. Das sind ja lauter Teufel! Die Menschen sind ja Teufel! dachte er in aller Heimlichkeit, ohne einen Mucks zu thun.

Er war wirklich noch nie innerlich so zornig gewesen. Aeußerlich zornig zu sein hatte er ganz verlernt, und das war das Schlimme und Ungesunde.

Er ließ sich den Apotheker ungestraft in aller Frechheit vor den Augen herumzappeln, ließ sich von ihm höhnen und besingen und rührte sich nicht. Er ließ sich alles gefallen und machte den liebenswürdigen Wirt und ließ sich eben gar nichts davon merken, daß unter dem Flausrock nachgerade ein Hexenkessel braute.

Wie ein Verzweifelter dachte und dachte er: Wie werde ich sie nur wieder los, die Bestien? Und war ganz bereit, dazu Pläne zu schmieden – aber – aber –

Es war nun einmal geschehen, und die vielen Frauenzimmer, denen er zu Hause davongelaufen war, deretwegen einzig und allein, um ihnen entwischen zu können, er sich diesen Garten gekauft hatte, die würden nun tagtäglich, wenn es ihnen paßte, hereingequollen kommen. – Und diese unaufhaltsamen Thees und Damenkaffees, die Spielchen ohne Ende – denn was war natürlicher, als daß sie hier ihre Whistpartieen abhalten würden?

Was sah er nicht alles kommen!

Aber das sollte denn doch nicht alles ohne weiteres geschehen! Der Rat verlegte sich aufs Grübeln. Das Grübeln, das war ja sein eigenstes Element. Was hatte er an langen Winterabenden bei seinem Leuchter mit dem grünen Schirm nicht alles schon ertüftelt und ergrübelt!

Und jetzt! Das waren denn doch andre Dinge, diese wissenschaftlichen. Wer das kann, der wird doch auch ein paar Frauenzimmer loswerden können.

Während die Bratwürste brieten, spazierte er in seinem Garten im Dunklen umher und sah im Geiste Dinge, die ihm die Galle überlaufen ließen.

Seine Frau würde sich einen Schlüssel machen lassen, das wußte er im voraus, und der Kathrine auch einen; die Kathrine würde dann im Garten zu putzen und zu wirtschaften anfangen wie in ihrer Küche, unter den Büschen rascheln und kehren, das Sommerhäuschen scheuern und putzen und auf alle Weise Ordnung schaffen. Das erboste ihn. Und er erlebte im Geiste gallig weiter, wie sein alter Garten Feste auf Feste feierte, ein Kirschenfest, ein Beerenfest, Bratwurstfeste in schwerer Menge, auch ein Perlzwiebelfest – natürlich. Da sah er schon die ganze Gesellschaft um das lange, schmale Perlzwiebelbeet herumliegen und die Zwiebelchen aus dem Erdreich herausklauben; damit wollten sie ihm jedenfalls einen Gefallen thun, die Unsinnigen – wie ihn das schon im voraus zur Wut reizte! Und seine Phantasie malte ihm weiter aus, wie Kathrine während der Arbeit allen Kuchen präsentierte, und wie dem mit einem vorsündflutlichen Appetit zugesprochen wurde.

Sein arg erboster Geist sah in wilden Vorstellungen alle Frauenzimmer auf den Knieen liegen, in der Erde wühlen und in große Flocken Mohnkuchen beißen, die Kummerfelden in ihrem geblümten Kleid und die Muskulus mit der großen Perücke, welche die Fabianen einen Fußsack nannte; über der Perücke hatte sie zum Ueberfluß noch den ewigen Veilchenhut auf. Das sah der Herr Rat in seiner Wut alles unheimlich genau vor sich.

Da lag auch noch die lange Adele Schopenhauer und Madame Schopenhauer und die Rätin Kirsten und die Ratsmädchen mit ihren Freundinnen und Freunden und die Apothekerin mit ihrer Schwägerin und die Müllersch Frauenzimmer und noch viele mehr – eben alle, die jetzt auch leibhaftig im Garten bei den Windlichtern, die schon hergebracht worden waren, herumwirtschafteten.

Und auf die Frauenzimmer hatte der Herr Rat einen Hauptärger, die waren damals und sind noch jetzt in Weimar stark vertreten.

Jetzt war das Maß voll, über und über voll – das Blut des geduldigen Mannes war endlich in Wallung geraten – in eine ganz wütende Wallung. Wie er so hellsehend und außer sich umherlief, kamen ihm die Ratsmädchen gerade in den Weg gelaufen. Diese Rackersmädchen hatten ein Leben wie zehn Katzen, das war seine Meinung. Sie würden an allen Enden des Gartens, wie schon jetzt, zu gleicher Zeit sein und unter allen Beerensträuchern hocken und immer mit einem Gefolge von so und so vielen. Sie waren damals so Mädchen von vierzehn, fünfzehn Jahren. »Die reinen Räuberhauptleute!« brummte der Rat in seine große weiße Halsbinde mit der Mechanik hinein.

»Wie sind alle diese Frauenzimmer zu vertreiben – diese Bestien?« Das war und blieb es, worüber der Herr Rat rachsüchtig und leidenschaftlich grübelte. – Und mit einem Male, ganz plötzlich, wie so die guten Ideen kommen, da hatte er's – da rieb er sich die Hände in seiner Wut und flatterte im Flausrock wie ein großer, unheimlicher Nachtfalter die dunkelsten Wege auf und nieder.

Inzwischen war alles nun in Gang gekommen. Die Rätin hatte heute ihr karmesinrotes Kleid an, das ihre dicke kleine Gestalt wie eine Haut umspannte. Um den Nacken trug sie die goldene Hochzeitskette. Sie saßen jetzt vor dem Gartenhäuschen in einem Kreis und tranken Thee und stippten Kuchen, den hatte die Schopenhauern für das allgemeine Wohl geliefert.

Die Herren standen hinter den Stühlen der Damen und sprachen aufs ehrerbietigste. Sie machten andre Gesichter als kurz vorher, und es hatte den Anschein, als wäre die lustige plappernde Lawine im Handumdrehen zu einer Gesellschaft allerersten Ranges geworden, die sich nicht so ohne weiteres gehen lassen kann, wie es bei einem Bratwurstfest sich eigentlich gehört. Alle legten jetzt der Wirtin eine ganz gewaltige Portion Steifheit und Wohlanständigkeit zu Füßen.

Die Schopenhauern hatte nicht nur Adelen mitgebracht, auch den Arthur und mit ihnen die ganze erhabene Stimmung.

Arthur räkelte sich auf einem Stuhl vor der Gartenhausthür und verbreitete Schweigen um sich her. Wenn ein Stein ins Wasser fällt, zieht er Kreise, und Kreise zog auch Arthur Schopenhauer in den Gesellschaften, in die er fiel oder fallen mußte, Kreise des Schweigens und des Verstummens.

Und that er je einmal seinen großen Mund auf, dann schaute seine Frau Mama mit angstvollen Augen auf ihn. Heute sprach er wieder einmal gar nicht. »Ein rechtes Kreuz für so eine gescheite, liebenswürdige Dame wie die Schopenhauern,« dachten die Frauen.

Und nicht genug, daß er schwieg. Er lag auch noch wie ein Alp auf allen andern. Er »glubschte«, wie die Weimaraner sagen, so von unten auf mit seinen großen blauen Augen, und um seinen Mund spielte der blanke Hohn, wenn eins etwa neben ihm sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen war.

Ein ungemütlicher Bursche!

Der Herr Rat machte jetzt wieder den liebenswürdigen Wirt, dienerte nach allen Seiten, präsentierte seinen Nachbarinnen die Zuckerdose und die Tabaksdose. Es war ihm in den langen Jahren seiner Ehe so allerlei andressiert worden. Wenn einer von der Gesellschaft aber den Herrn Rat beobachtet hätte, würde er etwas Sonderbares an ihm wahrgenommen haben.

Er schaute sich ganz versunken bald das eine, bald das andre Frauenzimmer an, sinnend und prüfend, als wollte er eins davon kaufen, oder als hätte er irgendwie sonst eine Wahl zu treffen, oder als hätte er sich aufs Malen verlegt und wollte eins besonders studieren. Er war manchmal ganz versunken, so daß Frau Rätin sich einmal genötigt sah, ihn ein wenig anzustoßen und ganz leise: »Aber, Gustävchen,« zu sagen.