Za darmo

Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten

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Dann aber schlichen sie langsam und vorsichtig weiter.

»Ich höre da draußen wen,« brummte Herr Rat in seinen Kissen.

Frau Rat war schon am Einschlafen und entgegnete undeutlich: »Der Wind; auch wohl die Katze.«

Das leuchtete Herrn Rat ein, denn der Wind rasselte draußen an den Dachrinnen, klirrte mit den Fensterscheiben, sang und jodelte in den Schornsteinen. Es war eine wilde, stürmische Osternacht. Zerrissene Wolken fuhren über den Himmel.

Unten an der Hausthür fingerten jetzt ein paar ängstliche, zitternde Händchen vorsichtig, um den großen Hausthürschlüssel geräuschlos ins Schlüsselloch zu stecken.

Röse und Marie hatten diesen Schlüssel, pochenden Herzens, aus der Mutter Speisekammer stibitzt.

Nun standen sie draußen, im Sturm aufatmend, und schauten mit ängstlichem Blicke nach dem Fenster oben. Sie seufzten beide tief, denn es war ihnen nicht geheuer zu Mute. Sie hätten's nicht thun sollen! So heimlich fortzuschleichen war das Rechte nicht, das fühlten sie. Und sie dachten beide mit einem Gefühl bangen Seelendruckes an Frau Geheimderat Thon, vor der sie den denkbar größten Respekt hatten. Was die wohl dazu meinen würde?

»Donnerstag!« rief Röse, »ist das ein Wetter! – Himmlisch!«

Sie faßten sich an den Händen und ließen sich von dem Winde treiben. »Glaubst du wirklich, daß es was gibt, wenn sie's oben merken?« fragte Röse.

Marie antwortete nicht. Der Wind hatte ihren wollenen Longshawl gefaßt und sich darin verfangen.

»Weißt du,« sagte sie nach einer Weile, »ich glaub' schon. Aber wenn alles gut ausgeht, und wir haben sie wirklich gesehen, und wir sagen's, dann – dann …«

Der Wind nahm ihr den Atem.

Sie wollten nicht quer über den Markt laufen, sondern lieber gedeckt, wie die Diebe an den Häusern hin; und so eilten sie Hand in Hand vorwärts. Ihre engen Kleiderröcke flatterten wild im Westwinde; die Stirnlöckchen, selbst die schweren hängenden Zöpfe wehten und peitschten um sie her. »Diese Scheusäler!« brummte Röse, als ihr Maries Zopf übers Gesicht gefahren war.

Jetzt mußten sie am »Elefanten« vorbei. Aus der Gaststube schimmerte Licht in die Dunkelheit; es trat jemand aus der hellerleuchteten Thorfahrt. Röse und Marie drückten sich atemlos, erschreckt in den Schatten an die Mauer. Dann liefen sie weiter, mit halb zugekniffenen Augen, weil der Sturm Sand und Staub aufrührte.

Das Wolkengeschiebe riß auseinander, und der Vollmond schaute auf einen Augenblick ungeheuer glänzend, als wäre er von den Wolken eben erst wieder blank gewischt worden, auf die dunkle, windgepeitschte Erde hinab.

»Gucke, der Mond!« bemerkte Röse im Rennen.

Als sie am Schlosse vorbei zur Burgmühle kamen und die Ilm nächtlich an ihnen vorbeirauschte, blieben sie stehen und lauschten ins Dunkel hinaus.

Ihre Herzen hämmerten, ihre Wangen glühten; der Sturm hatte sie wie ein paar Rosenbüsche zerzaust.

»Die andern werden in der Fähre stecken,« flüsterte Marie, »wenn sie uns nur nicht erschrecken!«

Ja, sie fürchteten sich sehr! Das grelle, plötzlich hervorbrechende und wieder verschwindende Mondlicht, die schweren, schwarzen Wolken, der Sturm, der in den hohen Bäumen sauste, und dazwischen die unheimliche Stille, ohne menschlichen Laut, nur von entferntem Hundegebell unterbrochen, das Kreischen der uralten, verrosteten Wetterfahne auf der Mühle, – alles bedrückte sie!

Röse versuchte einen kleinen rhythmischen Pfiff, dem ähnlich, den der Wind vorhin durch die Wünschengasse getragen hatte; aber er kam so zaghaft zu stande, daß er wie ein Hauch verflog.

»Bis hierher wird sie doch nicht kommen?« fragte Marie kaum hörbar.

»Ach gar!« wehrte Röse mit geheucheltem Mute, und beide schmiegten sich fest aneinander.

»Sie sitzen gewiß in der Fähre und schaukeln sich,« meinte Marie. »Wir müssen ein bißchen näher. Ob der Müller ihnen wohl die Fähre los gemacht hat?«

Sie gingen vorwärts, aber sehr, sehr langsam.

»Wie die Ilm rauscht!« sagte Marie.

Jetzt pfiffen sie beide. Budang würde erklärt haben: »Scheußlich falsch.«

»Oho!« hörten sie laut rufen.

Und es kam wirklich aus der Fähre. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, da standen ihre drei Freunde Budang, Horny und Ernst Schiller vor ihnen.

»Trödelbüchsen!« rief Budang.

»Gottlob, daß ihr da seid!« sagte Marie aufatmend.

Horny und Budang halfen den Mädchen auf die dunkle Fähre. Das Ilmwasser rauschte und gluckste um die groben Bretter und schien eine eisige Kälte zu verbreiten.

Budang und Ernst Schiller stießen vom Ufer, die Fähre zwischen den geteerten Tauen lenkend. Die vier Räder, woran die schweren Taue liefen, schnurrten; der Wind klappte und rasselte damit. Röse und Marie saßen aneinander gedrängt. Wie dünkte ihnen ihre alte gute Fähre heute sonderbar und bedrohlich, einem Riesenungetüm ähnelnd, dem man nicht trauen durfte. Wie sie über das klatschende Wasser schlich, wie sie schwankte, ruckte und zuckte! Der Sturm erschwerte die Ueberfahrt außerordentlich.

»Wie schaurig die Ilm sein kann!« wisperte Röse wieder, – »so schwarz!«

Budang rief: »Na, ihr fürchtet euch wohl?«

Keine Antwort.

Die jungen Burschen lachten nur kurz auf, denn sie waren gerade dabei, die Fähre am andern Ufer anzulegen, und mußten aufpassen.

Beim Aussteigen waren die Ratsmädchen noch immer schwer und bang gestimmt. Alle miteinander schritten in einer Reihe den aufwärts führenden Weg hinan. Den breit ausladenden Westwind hatten sie jetzt in der Seite. Man konnte sich ordentlich dagegen stemmen. Der Mond war einmal wieder hinter den Wolken verschwunden, die Dunkelheit pechschwarz.

Röse fragte Budang zaghaft bittend: »Einhäkeln?«

»Ja, aber so schwer mußt du dich nicht wieder machen!«

»Budang,« kam es schüchtern von Röses Lippen, »in der Osternacht da stehen die Toten aus ihren Gräbern auf.«

Marie, die sich an Röse hielt, fuhr zusammen.

»Nu ja,« meinte Budang kaltblütig, »deshalb gerade, denke ich, gehen wir doch!«

Tiefe Stille.

Marie ergänzte Röses Wissen: »Und die Tiere sprechen miteinander und die Sonne tanzt, wenn sie aufgeht!« Es durchrieselte sie selbst bei ihren Worten.

»Ach Budang,« begann Röse wieder, »es gibt so fürchterliche Dinge! Am Tage denkt man nicht daran, aber nachts, da sieht alles so wie in einer alten schrecklichen Geschichte aus. Weißt du von dem Fährmann, der die Toten über ein großes schwarzes Wasser setzte; – so wie wir vorhin, fuhren sie von allem fort, was sie kennen und was sie lieb haben. – So hat es gewiß gerauscht, – und so kalt wird's gewesen sein, und die Taue haben so geklappt, und die Räder geschnurrt; und alles pechschwarz, Sturm, nie wieder Sonnenschein! – Und da haben sie auch so auf der Bank gesessen und sich gefürchtet, – und sind auf Nimmerwiedersehen fortgefahren! – Budang, wie mir die Göchhausen leid thut! – Glaubst du denn wirklich, daß sie kommt? – Und wie ist's denn nur, daß sie gerade kommt, und die andern nicht? – Ach, Budang, wer so was wissen könnte! Ob sie wohl recht unglücklich ist?«

Marie bemerkte zu Ernst Schiller: »Und daß sie wie aus einer Flasche spricht, – so fiept, – das ist gräßlich!«

Sie gingen jetzt durch die breite Allee von Kastanien, alle Hand in Hand.

Der Wind schlug die Zweige mit den dicken, glänzenden Blätterknospen aneinander; es klappte und sauste, und über die kahlen Felder kam es unheimlich angebraust.

Röse wisperte: »Kahle Bäume sind die Gerippe, und die Blätter werden erst das Fleisch daran.« Dabei hielt sie sich an Budang fest vor Grauen. Und Marie flüsterte bebend: »Pfui Röse!«

»Jetzt haben wir's,« sagte Budang, »jetzt fürchten die sich!«

Aber sonderbar, sie gingen alle etwas aneinander gedrängt; ganz geheuer war es keinem von der Gesellschaft zu Mute.

»Ich weiß noch gar nicht, wie das werden wird, wenn sie wirklich kommen sollte! Was machen wir denn da mit Röse und Marie –?« meinte Ernst Schiller.

Röse ließ ihn nicht aussprechen: »Da sei du nur ohne Sorge, wenn es darauf ankommt, fürchte ich mich gar nicht! – Ich rede sie an!«

»Oho,« rief Budang, »ihr wißt, daß ihr nicht prahlen sollt!«

»Budang,« zürnte Röse, »das geht jetzt nicht mehr, so darfst du uns nicht behandeln! – Weißt du, wir sind so gut wie verlobte Mädchen!«

»Jawohl,« antwortete Budang halb ironisch, halb ärgerlich, »laß die dummen Witze!«

Röse fuhr empört auf. »Nein, jetzt glaubt er's nicht! – Haben wir je gelogen?«

Die ganze Karawane stockte mit einem Ruck. Sie standen alle zusammengedrängt wie in einem Nest, und der Wind schnob um sie her und trieb sie noch näher zu einander.

»Beide?« fragte eine sonderbare Stimme, von der niemand sogleich wußte, wem sie angehörte. Sie klang so fremd, so unterdrückt, als wenn der Frühlingssturm selbst mit einemmal eine leise, ängstliche Frage gethan hätte.

Franz Horny sah beim grellen Mondlicht eine sonderbare Veränderung in dem Gesichte seines Freundes Ernst Schiller.

Ja, er und Ernst Schiller hatten mit den beiden Mädchen Götzendienst getrieben; für sie gab es nichts Schöneres, nichts Lieblicheres als diese Geschöpfe. Aber Horny war kühlen Herzens geblieben, sein ganzes erstes Jugendfeuer gehörte seiner Kunst. Und nun fragte er ruhig, wenn auch seines Freundes wegen innerlich erregt: »Beide?«

»Nein,« sagte Marie, »nur Röse; aber sie darf's ja noch nicht sagen!«

»Nun, – weshalb sagst du dann: beide?«

»Ich weiß nicht,« meinte Röse beschämt. Da hatten sie sie doch auf einer Lüge ertappt, die Bengel!

Es war ihr aber so entwischt, weil noch nie eine etwas gehabt hatte, was die andre nicht auch besaß. Es mochte ihr neu sein, daß sie Einzelwesen waren. Es verdutzte sie völlig. Beide gehörten so eng zusammen. Sie waren sogar merkwürdigerweise in ein und demselben Jahre geboren, als gute Kameraden so ganz nah aufeinander gefolgt; das wissen wir ja.

 

Im Webicht peitschte der Wind das Gestrüpp der Büsche durcheinander. Er sauste durch die Tausende schlanker Ruten und Zweige, wie durch ein Riesensieb.

Ein Schrei von einem Käuzchen! Fern brömselte ein andres schwatzend und klagend, frühlingshaft spitz und grell vor sich hin. Auch ein Liebespärchen, das sich lockte und schalt, koste und sich beklagte!

Wenn man genau hinhörte, fiepte und klatschte es da und dort: unbestimmbare Nachtlaute. Ganz fern ein Vogelaufkreischen!

»Guten Appetit!« sagte Horny, »da ist einer über eure Fasanen gekommen, – vielleicht ein Fuchs.«

»Wie waren sie denn?« fragte Budang, der an Röses Verlobungsgeschichte nicht glauben wollte und sich doch nicht recht zu fragen getraute.

»Gut,« sagte Röse. »Sie hatten auch silberne Köpfe und silberne Füße aufgesteckt bekommen. Sie sahen prachtvoll aus.«

Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung, jetzt ganz still.

Röses Verlobung lag über allen wie etwas Unbegreifliches.

»Röse,« wagte Budang nach einer Weile sich zu erkundigen, »ist denn deine Verlobung wirklich wahr?«

»Ja, Budang.«

»Mit dem Thon, der euch die Fasanen geschickt hat?«

»Ja.«

»Herr Gott!« sagte Budang, »glaubt der, daß du eine vernünftige Person bist? Thust du's denn freiwillig? Verlobst du dich denn gern? Ich begreif's nicht! Wieviel jünger bist du denn als ich?«

»Anderthalb Jahr,« gab Röse wie im Examen Auskunft.

»Stell dir vor,« fuhr Budang fort, »wenn ich mich in anderthalb Jahren verheiraten wollte. – Lächerlich!«

»Ja,« bestätigte Röse aufrichtig.

»Und du weißt's, daß du verlobt bist, – seit heute erst, – und bist doch mitgerannt! – Du bist aber gedankenlos! Da muß man doch, dächt' ich, ganz erschüttert sein?«

»Ach,« meinte Röse betreten, »ich bin ja auch noch nicht ganz verlobt! – Und glaubst du etwa, ich denk' nicht immer dran? – Immer! – Nein, weißt du, mir ist's auch viel lieber, daß ich mit euch hier renne; zu Haus war mir's manchmal ganz angst und bange vor Glück.«

»Weiß denn der Thon, daß du hier mitläufst?«

»Nein.«

»Na, mir scheint, du denkst wirklich über gar nichts nach! Wie bist du nur!«

»Ach geh!« wehrte Röse ab.

Der Sturm hatte nachgelassen.

Sie bogen jetzt ins Dorf ein.

Die Kirchturmuhr schlug zwölf: die Geisterstunde!

»Da kommen wir ja gerade recht,« meinte Horny.

Marie that einen tiefen Seufzer. »Wenn ihr so sprecht, geh' ich wenigstens nicht mit,« protestierte sie leise, aber heftig.

»So seid ihr Mädchen: ›Wasch mich, mach mich aber nicht naß!‹« rief Budang. »Ich habe es immer gesagt, Röse und Marie denken nicht; sie thun's nur!«

»Nein,« sagte Röse, »da irrst du dich!«

Sie gingen jetzt auf einem schmalen Wege, der an der Ilm vorüberführt. Und die Ilm gluckste und rauschte auch hier geheimnisvoll nächtlich, und der Wind pfiff noch gespenstischer durch die riesig hohen Ulmen. »Wenn sie hier käme,« flüsterte Marie zitternd, »da könnten wir doch nirgends ausweichen, – so zwischen der Mauer und der Ilm. – Ich stürb' auf der Stelle, wenn sie mich anfaßte!«

»Fällt ihr nicht ein,« zürnte Budang; »wie soll sie darauf kommen, dich anzufassen? Schließlich war sie doch eine vornehme Dame, und die wird sich doch nicht im Grabe solche Handgreiflichkeiten angewöhnt haben!«

»Laß doch,« meinte Ernst Schiller, »sie mag das nicht hören!«

Marie war jetzt im Grund ihres Herzens tief erregt; das nächtliche Ausreißen von daheim, die dumpfe Sorge, daß sie doch etwas Unrechtes thäten, das schauerliche Ziel, die vermutliche Nähe des Entsetzlichen, – all das hatte sie überwältigt, und sie brach in Thränen aus.

Seele und Körper erschauerten ihr. Sie suchte eine Stütze; Röses Hals umklammernd, weinte sie bitterlich.

»Marie,« schalt Budang, »sei doch vernünftig!«

Die drei Freunde standen um die Ratsmädchen her und wußten nicht, was beginnen.

»Laßt sie nur!« sagte Röse. Und beide Mädchen steckten ihre blonden Köpfe ganz dicht zusammen, und die jungen Körper schmiegten sich fest einer an den andern.

Der Mond schien hell über sie hin.

»Röse,« bat Marie schluchzend, »nicht wahr du, wir verlassen uns doch nicht?«

»Nein,« sagte Röse, »gewiß nicht.«

»Die arme Göchhausen!« schluchzte Marie wieder, »wie muß der zu Mute sein! – Und wie schrecklich, daß sich die Leute so vor ihr fürchten!«

»Wir wollen sie anreden,« ermutigte Röse, »und wollen sie fragen. Vielleicht können wir ihr helfen. Komm, Marie!«

Die guten Herzen der beiden überwanden das Grauen.

Sie hielten sich noch eine Weile umschlungen, während Röse leicht beschwichtigend auf Maries Rücken klopfte. »Nun gehen wir weiter,« sagten sie dann, und sie hingen sich wieder ein in die Arme ihrer Freunde.

»Der Mond hat sich wieder versteckt,« meinte Marie bedenklich.

In der großen, tiefen Stille, die durch kein Geräusch gestört war, nur die Ilm plätscherte, und der Wind fuhr durch die Baumkronen, da hörten sie etwas! – Was war das?

Sie befanden sich noch auf dem schmalen Weg. – Von fern ein Scharren, – ein Laufen, – ein Huschen, – Schritte, – aber merkwürdige Schritte, – in Sätzen, – etwas ganz Unvermutetes, Unvernünftiges, Menschenunwürdiges!

Sie standen alle bewegungslos, lautlos.

Wenn sie das wäre, so wär's grauenhaft, so ein unwürdiges Hupfen und Huschen!

Ihre Herzen klopften zum Zerspringen. Es kam näher, – grad auf dem Wege kam es auf sie zu, – näher, – immer näher, auf dürren Blättern gehend, dann hopsend! Ja, wenn sie das wirklich wäre, dann überstiegen diese Laute alle Phantasie! Der entsetzlichste Kobold hätte nicht widersinniger rennen, hüpfen und stehen bleiben können, als es das that, was da ankam! – Und zu denken, daß diese arme Seele eine vornehme, geistreiche Hofdame war, wenn auch mit einem etwas boshaften Mundwerk gesegnet und mit einem Buckel! – Ein Mensch! Eine Hofdame!! – so heruntergekommen, so urweltlich sich aufführend, – so ungeheuerlich!

Die junge, starke Phantasie der fünf Nachtwandler wurde mächtig bestürmt. Sie standen wie Schatten an die Gartenmauer angedrückt, – totenstill. Wie mußte erst das Aussehen des Spukes sein, nach solchen Lauten! – Sie hatten sich alle eine unbestimmte Vorstellung von der Begegnung mit der Göchhausen gemacht, etwas Geisterhaftes – Nebelhaftes – Huschendes – Fiependes, – und daß sie wie aus einer Flasche sprechen würde; aber nicht so – um Gottes willen nicht so!

Der Mond war hinter eine zerfetzte Wolke gekrochen, deren Ränder versilbernd.

Da sahen sie sich etwas bewegen, – etwas Ungestaltes, Niederes; – es glühten zwei Augen, da war gar kein Zweifel, – und zwei unbegreifliche, wackelnde Hörner zeigten sich und hoben sich gespenstig vom dunklen Hintergrund ab! Diese wackelnden Hörner, was sollten die? Was wollten die?

Röse und Marie waren gelähmt vor Entsetzen.

Da mit einemmal ein Zappeln, ein Strampfen, ein Bocken und Stampfen, und wie aus einer Trompete, ein urweltlicher, scheußlicher Ton, und – ein Gelächter! Budang war's, der lachte.

Der Mond hatte sich jetzt durch seine Wolken gearbeitet und beleuchtete – ein kleines, graues Ungetüm, das verdutzt auf vier hohen, sparrigen Beinen stand und seinen Riesenkopf mit seinen Riesenohren vor sich hin streckte und horchte.

»Jesses, ein Esel!« rief Röse erlöst.

Durch die Stimmen erschreckt, machte das kleine junge Scheusal hopsend und stolpernd Kehrt und jagte wieder mit vorgestrecktem Kopf in die Nacht und in den Park hinein.

»Weiß Gott,« sagte Budang, »das war der kleine ›Muffel‹, der ist dem Pächter entwischt!«

Sie blieben alle still und betreten, also müsse noch was kommen; zu einem wirklichen herzhaften Gelächter brachten sie es nicht. Es lag etwas in der Luft, so etwas Rauschendes, Werdendes, – so etwas Banges, Wehes. – Auf Windesflügeln fuhr es durch die hohen Bäume und sauste schwer über die uralte Erde hin; es klopfte und pochte überall an, an die schwellenden Knospen, an die Herzen, an die Gräber, – denn es war heilige Osternacht, wo die Toten auferstehen!

Fern fiepte es wieder: Fledermäuschen, – Käuzchen, – verliebtes Nachtgetier.

Jetzt zogen sie über die großen, weiten Parkwiesen. Die Schritte waren unhörbar auf dem moosigen Rasenboden. Eine moderige Feuchtigkeit stieg auf.

Sie gingen immer noch in einer Reihe, Hand in Hand.

»Ist's wahr,« erkundigte sich Röse bang, »daß vor Goethes Gartenhaus alle Morgen gekehrt wurde? Daß ein wunderschönes Mädchen dort gekehrt hat? – Glaubt ihr das?«

Sie unterhielten sich alle mit halber Stimme. Die Wucht der stürmischen, feuchten Frühlingsnacht lag über ihnen.

Marie sagte leise: »Goethe hat das Mädchen selbst einmal gesehen; die Schopenhauern hat's erzählt, und die weiß auch, wer's gewesen ist. Beim ersten Morgenschimmer hat er das Mädchen getroffen, wie sie gekehrt hat, – und da hat sie aufgeschrieen wie eine arme Seele und ist zusammengesunken wie ein Wisch; und eine alte Frau, die wie ein Schatten war, hat sie mit sich genommen und hat etwas gemurmelt, wie: ›Ach, wenn ma auch immer alleinig is!‹ Dann sind sie nie wieder gekommen, und das Kehren war aus!«

Diese erschütternde Erzählung stieß auf einigen Unglauben. – »Ja, wißt ihr denn das nicht?« rief Marie unwillig, »Goethe hat der Schopenhauern gesagt, daß das nicht das einzige Mal gewesen ist, daß er das Mädchen gesehen hat. Wenn er in seinem Zimmer bei der Arbeit saß, hat es sich ihm manchmal so zart an die Seite gedrängt, – so wie ein Kätzchen, – oder wie ein Mädchen, das ihn lieb hatte und für ihn gestorben ist. Einmal hat er auch, als es wieder so kam, einen ganz feinen Arm gesehen, der sich über seine Brust spannte, – nur einen Arm und eine Hand. Und wenn er in der Dämmerung in seinen Garten ging, da soll etwas neben ihm aufgetaucht sein, etwas Unbestimmtes. Es haben's auch andre Leute gesehen und sind davor erschrocken. Ja, es war oft jemand unsichtbar um ihn, der ihn übermenschlich liebte! Und der Schopenhauern hat er erzählt, daß kein Gefühl je dem gleichgekommen ist und ihn so übermannt hat, wie der Schauer, wenn das Wundersame bei ihm gewesen sei. Und an dem Morgen, an dem er das schöne Mädchen kehren gesehen hat, da soll er ganz verstört gewesen sein!«

Mit dem Kehren schien es also doch seine Richtigkeit zu haben; alle unterhielten sich weiter über geheimnisvolle Dinge. Jeder hatte etwas zu erzählen.

Röse wußte von einem Kobolde, der den Leuten beim Umzug als Feder nachfliegt und im neuen Hause wieder mit einzieht; die Beutlersleute, die über Kirstens wohnten, kannten einen in ihrer Familie, der auf Spinnenbeinen ging und eine Zipfelmütze trug. – Im alten Rattenneste Weimar spukte es zu jener Zeit eben noch recht kräftig. Da gab es keinen Kreuzweg und kaum eine Wegesbiegung, wo nicht irgend etwas nächtlich hockte und sein Wesen trieb, und kein altes Haus, in dem es ganz einfach geheuer war, und keine adelige Familie, die nicht gerade so wie ihr altes Familiensilber ihren alten Familienspuk besaß. Das heißt, auf den Familienspuk war bei weitem sicherer, als auf das Familiensilber zu rechnen.

Und so strichen unsre Fünf im nächtlichen Grauen auf den einsamen Parkwiesen hin und her und betraten nun mit abermals klopfendem Herzen die dunkelsten, geheimnisvollsten, überwachsenen, feuchten Wege an der Ilm, um trotz allem der gespenstischen Hofdame zu begegnen, denn gerade dort, hieß es allgemein, sollte sie spuken.

Die Kameraden sprachen zwar nach der Eselbegegnung ziemlich von oben herab von diesen Dingen, waren aber wiederum um nichts weniger eifrig und weniger erregt, als unsre Ratsmädchen. Jetzt gingen sie über die Borkenbrücke und versuchten ihr Glück und ihr Grauen am jenseitigen Ufer. Da führte der Weg an einem mit Bäumen und Büschen bestandenen Abhange hin, und kaum waren sie hier eine Strecke in tiefem Schweigen geschlichen, – denn es war eine so feuchte, monddurchschienene Einsamkeit, als wäre jahrhundertelang hier niemand gegangen, – da standen sie alle mit einem Schlage wie gebannt!

Nahe, – in ihrer allernächsten Nähe, hatte jemand aufgestöhnt, und sie hatten alle deutlich gehört, wie etwas, das in den Büschen steckte, so recht verbissen und verzweifelt zwischen den Zähnen »verdammt!« gezischt hatte. »Verdammt!« deutlich »verdammt!« nichts weiter, und dann wieder tiefe, tiefe Stille auf allen Seiten.

»Das is sie aber!« flüsterte Röse schaudernd.

Alle hielten den Atem an und horchten.

Das Einsame, Verlassene, Geheimnisvolle in den Büschen schien indessen auch zu horchen.

Totenstille!

Die Geistersucher warteten, ob sich's nicht wieder regen würde, – denn da war etwas, – das war sicher!

Sie fühlten die Nähe eines fremden Wesens; sie standen wie die Bildsäulen so starr, – ganz Erwartung! Dasjenige, das in den Büschen auf so sonderbare Weise »verdammt!« gesagt hatte, mußte sicherlich in Verwunderung geraten sein, was mit den vielen Schritten, die es doch kommen gehört hatte, geworden sei.

 

Jetzt aber, – was war das? – Ein Fiepen, ein jämmerliches, sonderbares Fiepen, als singe ein Wasserkessel, oder quietsche ein Wägelchen, oder auch als wimmere ein Hund unter ganz besonderen Umständen!

Es war ein ganz merkwürdiger Ton! Allen schien es durchaus nicht unmöglich, daß sie es wäre, denn daß sie fiepe, oder wie durch eine Flasche rede, hatten sie ja gewußt!

Das war das Entsetzliche!

Der Mond schien dämmernd hell; hell genug, um das, was im Gebüsch steckte, zu erkennen, falls es sich hervorwagte.

Dadurch merkwürdig ermutigt und wie von Jagdeifer gepackt, mahnte Röse: »So kommt doch!« Und sie war's, die sich wieder auf die Beine machte, ohne auf die andern zu achten, die ihr schleichend folgten.

So ging's den kleinen Abhang ein wenig hinan; einige Schritte, mit klopfendem Herzen und stockendem Atem. – Dann ein gewaltiges Rascheln im dichten Gebüsch, – ein furchtbarer Schrei, – ein Springen, – ein heiserer Laut, – und im Mondlichte sahen sie, wie Röse von einem großen, dunklen Mantel umfangen wurde. – Ein ungeheurer Schreck! – Etwas so Unbegreifliches! Schauervolles!

Marie schrie verzweifelt auf.

»Ruhig, – ruhig!« sagte eine erregte Stimme. »Was macht ihr denn hier? Röse, um Gottes willen, wie kommst du hierher?«

Von Röse hörte man kein Sterbenswort; aber sie schien zu flüstern und war immer noch in dem großen Mantel verschwunden. Und jetzt, – ein zarter, zarter Frühlingslaut, – so süß, so wunderlich, – ein Laut wie ein Kuß!

»Herr Gott, der Thon!« rief Marie ganz überwältigt. »Der lag hier auf der Fuchspasse!« Das nicht gerade jagdgemäße Wort hatte sich ihr im Schreck und in der Ueberraschung gebildet.

Da sprang auch schon Thons Hund, dem er im Aerger und in der Erregung über die geheimnisvollen nächtlichen Schritte, die ihm den Fuchs verscheuchten, die Schnauze zugehalten hatte, wedelnd an Marie in die Höhe.

»Ja, der Thon!« antwortete der Geheimnisvolle bewegt, erschüttert, doch auch unwillig aus dem großen, dunklen Mantel heraus. – »Was fällt euch denn ein?«

»Ich hab's ihm schon erzählt,« sagte Röse betreten, »daß wir ausgerissen sind.«

»Ja aber,« meinte Budang in seiner offenen Weise, »sie sind ja mit uns; – und wenn wir dabei sind, dürfen sie alles! – Frau Rat hat es ihnen ein für allemal erlaubt.«

Der junge Adjutant mußte über die Ehrenwache, die die beiden Mädchen hatten, lächeln.

In den wenigen Worten Budangs lag jedoch so eine überzeugende Vortrefflichkeit, – so eine unantastbare Treuherzigkeit, – daß jedes weitere Wort, jeder Unwille und jedes Mißtrauen abgeschnitten war. Der Adjutant schüttelte Budang die Hand und begrüßte die beiden andern, währenddem er seine junge Braut nicht aus dem Arme ließ.

»Also die Göchhausen wolltest du sehen? – Für so etwas hattest du also doch noch Raum?«

»Und Sie,« flüsterte Röse bedrängt und zaghaft – »lagen da doch des Fuchses wegen?«

»Ja, mein Herz, – weil ich's daheim nicht aushalten konnte. – Was denkst du denn? Da ist die Welt zu enge!«

»Ja,« sagte Röse leise, »deshalb war ich eben auch hier.«

Und nun gingen sie alle miteinander und brachten die leichtsinnigen Dinger, die Ratsmädchen, heim in die Wünschengasse.

Unterwegs erzählte Röse ihrem Bräutigam von ihren Kameraden, – wie gut sie immer wären, wie lustig, wie treu, und was sie alles von ihnen gelernt hätte, besonders von Budang.

Sie schüttete ihrem Bräutigam ihr ganzes Herz aus, das voller Liebe und Freundschaft war, voller Anhänglichkeit, – und erzählte alle möglichen dummen und lustigen Streiche.

Er mußte in aller Eile alles wissen. Und sie bat ihn, auch ihre Kameraden lieb zu haben. »Sie sind so gut, so klug! Solche gibt's nicht wieder!« rief sie.

Und er hörte ihr glücklich lächelnd zu.

Das war Frühlingsreinheit, – Frühlingszartheit, – Frühlingswonne!

Der Wind hatte sich gelegt, und der Mond schien hell.

Viele, viele Jahre sind vergangen. – Die Jugend vieler Millionen Menschen ist verweht. – Es ist alles anders geworden.

Röse ist nun eine alte Frau. – Was das Leben ihr gab, hat es ihr längst wieder genommen. Sie hat alle Freuden genossen und alle Freuden mit Leiden gezahlt – nach Menschenart. Sie ist unendlich geduldig geworden. Sie kennt alles und weiß alles. Sie hat alles sich wiederholen sehen, immer von neuem. – Sie ist gut, still und heiter und lebt in sich selbst. Hier, nur in sich selbst, findet sie die schöne, alte Welt, die ihr so lieb ist, so heimisch, – sonst nirgends!

Fremde Gesichter sind um sie, und man spricht von fremden Dingen, die sie nichts angehen.

Ein Sehnen wie nach einer verlorenen Heimat ergreift sie oft, – aber da ist nichts zu machen. Alles ist unerbittlich, was geschieht.

Geduldig werden, – geduldig werden, – geduldig werden! darauf läuft's hinaus.

Jetzt ist sie schwer krank. Von lieben Menschen wird sie gepflegt. Ihre Enkelin sitzt bei ihr am Bette.

Draußen Frühlingsdämmerung und wieder einmal weicher Sturm, der breit durch die Straßen fährt.

Die alte Frau träumt und spinnt an ihren Gedanken.

Da, – was ist das?

Der Sturm trägt wie auf Flügeln einen rhythmisch munteren Pfiff zu ihrem Fenster herauf; ganz wie damals in der Wünschengasse, als sie beim Fasanenessen saßen.

»Das ist er, wie vor sechzig Jahren!« sagt sie leise bewegt zu ihrer Enkelin, – »das ist Budang!« Und wie ein milder Glanz geht es über das Gesicht der Greisin. – »Das ist er!« nickte sie träumerisch.

»Siehst du, so pfiff er immer, der Budang, wenn er uns abholen wollte; so pfiff er, wenn er wissen wollte, ob der Vater nicht mehr daheim sei, und ob er mit den beiden andern heraufkommen dürfe!«

Da thut sich die Thür auf. Ein schöner, kleiner, alter Mann tritt ein, in tadellosem Anzuge, blütenweiß und rabenschwarz; so tadellos, daß es sofort wie etwas Besonderes auffällt. Er hat einen gescheiten Kopf mit lebendigen, geistvollen Augen, – und seine silberweißen, dichten Locken liegen ihm wie eine helle Wolke über der Stirn. – Er hat eine Art geistvoller Grazie in Blick und Bewegung.

»Wie geht's der Röse?« fragt er.

Röse streckt ihm die feine Hand entgegen.

»Goullon,« sagt sie bewegt mit hellen Thränen im Auge, »du kannst ja noch deinen Pfiff!«

»Gelt,« antwortet der Geheimrat, den sie sonst den »Budang« nannten, »das freut dich?«

Dann saßen die beiden Alten zusammen und plauderten und machten miteinander einen weiten, – weiten Ausflug in die gute alte Zeit.

Und das war die beste Medizin.

Es war das vierte Mal heute, daß er herauf zu seiner alten Freundin in Sorgen und Bangen kam; – aber zuletzt, da hatte er's gefunden, was ihr wohl that.

»Gott segne dich,« sagte Röse, »du lieber Mensch, – du treuer Mensch!«

Ja, treu waren sie ihr Lebtag einander gewesen, – treu in großer, wahrer, seltener, starker Freundschaft.