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Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil

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Dritter Abschnitt.
Von Amsterdam nach Altenburg

1.
Ende des amsterdamer Aufenthalts

Am 8. December 1809 war Sophie Brockhaus gestorben, nachdem sie am 24. November einer Tochter das Leben gegeben, die nach ihr Sophie genannt wurde. Schon in den letzten Monaten hatte sie viel gelitten; während ihrer Krankheit und dann während des Wochenbetts war sie von ihrer jüngsten Schwester Josina (die später den in holländischen Diensten stehenden Obersten Eichler heirathete) gepflegt worden. Die ersten Tage nach der Entbindung waren schon glücklich überstanden, als sie sich durch zu zeitiges Aufstehen eine Erkältung zuzog, die ihren Tod herbeiführte.

Die damals zehn Jahre zählende älteste Tochter Auguste erinnert sich gehört zu haben, daß in diesen Tagen ihr Vater sehr aufgeregt in das Zimmer seiner Frau gekommen sei und unter deren Sachen eifrig nach einem Briefe gesucht habe, der ihm wegen der traurigen Hiltrop'schen Angelegenheit von Wichtigkeit war; da er den Brief nicht fand, sei ihre Mutter dann selbst aufgestanden, um, wiewol ebenfalls vergeblich, danach zu suchen, und infolge dieses vorzeitigen Aufstehens erkrankt. In dem betreffenden Processe war kurz vorher (am 16. November 1809) das für Brockhaus ungünstige erste Urtheil erfolgt, das ihn zu einer (am 28. Februar 1810 erlassenen) Appellation veranlaßte, und jener Brief war vermuthlich der von uns bei Darstellung dieser Angelegenheit (S. 24) mitgetheilte Brief seiner Schwägerin Elisabeth Hiltrop, von dem Brockhaus bei Abdruck desselben unter den Actenstücken des Processes erwähnt, er habe ihn erst nach dem Tode seiner Frau unter ihren Papieren vorgefunden. Ist diese Annahme begründet, so hat jener unglückselige Proceß, der ihm das Leben so verbitterte und überhaupt so verhängnißvoll für ihn war, selbst den Tod seiner Frau veranlaßt!

Brockhaus hatte mit seiner Frau elf Jahre in der glücklichsten Ehe gelebt. Sie hatte ihm sieben Kinder geboren, vier Söhne und drei Töchter, die bei ihrem Tode noch sämmtlich am Leben waren. Wie glücklich er mit ihr lebte, wie sie seine treueste Freundin und Beratherin in den vielen schweren Zeiten war, die er bis dahin zu überstehen hatte, ist aus manchen seiner von uns mitgetheilten Briefe zu ersehen; aus den Briefen Anderer, daß ihr Werth auch von seinen nähern Freunden, wie Cramer und Baggesen, erkannt wurde. Schrieb doch Cramer von ihr, wie ebenfalls bereits mitgetheilt: »daß sie an schöner deutscher Häuslichkeit, Gutheit, Freundlichkeit und Verstand zu seinen Idealen gehöre« und der Gattin von Voß, Ernestine, sehr gleiche. Brockhaus hatte ihr Porträt (wol von Cornelia Scheffer, der Mutter Ary Scheffer's) malen und auch eine Büste seiner Frau anfertigen lassen, doch ist leider nichts davon erhalten.

Als er kurz nach ihrem Tode in Dortmund war und zuerst wieder das Haus ihres Vaters betrat, warf er sich, vom Schmerz übermannt, auf den Boden nieder und küßte die Schwelle des Hauses; auf die erstaunte Frage seines jungen Neffen, der ihn begleitete, erwiderte er: »Hier habe ich meine Sophie zum ersten male gesehen!« Und als er anderthalb Jahre später wieder kurze Zeit in Amsterdam verweilte, da bildete das zwei Stunden von der Stadt schön am Y gelegene Dorf Muiden, auf dessen Kirchhof er sie begraben, seinen Lieblingsspaziergang und er brachte viele Abende dort in stiller Wehmuth zu.

Der Tod seiner Frau wurde aber auch die entscheidende Veranlassung, daß Brockhaus Amsterdam bald darauf für immer verließ.

Die politischen Verhältnisse hatten ihm allerdings den Aufenthalt daselbst schon seit einiger Zeit verleidet, da sie den buchhändlerischen Verkehr nach allen Richtungen hin erschwerten. Brockhaus ließ seine Verlagswerke meist in Deutschland drucken: in Leipzig bei Breitkopf & Härtel, Hirschfeld und andern Buchdruckern, in Weimar bei Bertuch, in Braunschweig bei Vieweg, in Halle und noch an andern Orten. Seitdem nun Holland französisch geworden war, konnte er von seinen eigenen Verlagswerken kein Exemplar nach Amsterdam zum Verkaufe in seinem Sortimentsgeschäfte erhalten, ohne erst in Paris die Erlaubniß dazu erbeten und die Anzahl der einzuführenden Exemplare dort »declarirt« zu haben. Es läßt sich denken, welche Belästigungen und Umständlichkeiten damit verbunden waren. In derselben Lage befanden sich freilich auch die Sortimentshandlungen in den französisch gewordenen Provinzen Norddeutschlands, im Hannöverschen, Westfalen, Bremen, Hamburg u. s. w. Friedrich Perthes in Hamburg organisirte deshalb förmlich für sich und befreundete Handlungen die mit vielen Formalitäten verknüpften Manipulationen bei diesem Geschäftsgange und ließ selbst eine Instruction darüber drucken. Auch Brockhaus fand einen einigermaßen praktischen Ausweg, indem er für seine Geschäftsfreunde in den drei französischen Departements Norddeutschlands die Anzahl der an sie zu sendenden Verlagsartikel in Paris selbst declarirte und die Sendung dann jedesmal nur an Eine Handlung zur Vertheilung an die übrigen gehen ließ.

So hätte er wol noch längere Zeit in Amsterdam zu bleiben versucht, und war selbst unablässig bemüht, sein Sortimentsgeschäft weiter auszudehnen, besonders, um den eben geschilderten Uebelständen zu begegnen.

Am 11. November 1809 schreibt er an Heyse in Bremen: Er könne ihm nicht direct von Amsterdam seine Verlagsartikel senden, sondern nur von Leipzig aus, nach vorausgegangener Declaration in Paris; aber in Zukunft könne sich Heyse deshalb nach Aurich (in Ostfriesland) wenden, wo er, vom Gouvernement selbst dazu aufgefordert, »was sich nicht wohl refusiren ließ«, ein Etablissement zu errichten versuchen werde. Dieses Vorhaben kam auch wirklich zur Ausführung, und Bornträger, der inzwischen von Leipzig nach Amsterdam zurückgekehrt war, wurde von ihm deshalb nach Aurich geschickt. Indeß hatte das Etablissement in Aurich nur einen sehr kurzen Bestand, aber nicht weil es sich als unzweckmäßig herausstellte, sondern weil Bornträger seiner persönlichen Sicherheit wegen dort ebenso wenig bleiben konnte wie früher in Amsterdam.

Bornträger war Ende November 1809 über Groningen nach Aurich gereist, aber kaum dort angekommen, machte er Brockhaus die Mittheilung, daß er auch dort fürchten müsse, zum Militär ausgehoben zu werden.

Brockhaus fügte darauf dem ersten an sein auricher Geschäft abgegangenen Briefe vom 30. November, der zugleich der letzte sein sollte, folgende Zuschrift an Bornträger vom 2. December hinzu:

Ich danke Ihnen für die umständlichen Berichte. Bei dieser Lage ist keine Wahl. Zurückkommen können Sie aus hundert Ursachen aber auch nicht. Mein Entschluß ist also gefaßt: Sie gehen in Gottes Namen nach Leipzig und treten in Weigel's36 Stelle. Ich hatte gestern, durch wiederholte Beschwerden über Weigeln zur Verzweiflung gebracht, einen sehr umständlichen Brief an Gräff geschrieben und Weigeln das Geschäft abgenommen und ihm (Gräff) oder Cnobloch übertragen. Sie finden diesen Brief, den ich aus Gründen an meine Freundin, die Hofräthin Spazier, offen schicken wollte und auch heute schicke, Ihnen also heute nicht schicken kann, bei dieser. Hieraus werden Sie alles Nähere ersehen und darin vorläufig alle zuerst nöthigen Instructionen finden.

Sie kehren bei Ihrer Ankunft in Leipzig im Großen Joachimsthale ein, wo Sie beim Wirth einstweilen accreditirt sein werden, der mich von der Messe her sehr gut kennt. Sie werden dort auch von mir Briefe vorfinden, die Ihnen sagen werden, wie Sie Ihre ersten Schritte einzurichten haben. Heute annoncire ich einstweilen Ihre Ankunft.

Darauf ertheilt er ihm noch genaue Instructionen über die Auflösung des kaum begründeten auricher Etablissements, z. B. daß er mit den von Leipzig beziehenden ostfriesischen Buchhändlern Verbindungen schließen solle, um sie von Leipzig aus zu bedienen, und gibt ihm auch väterliche Ermahnungen, die von der herzlichsten Theilnahme dictirt sind, wobei er es ihm besonders zur Pflicht macht, den schon früher angenommenen Namen Friedrich Schmidt streng festzuhalten. Er schließt:

Sie reisen, nachdem dies Alles besorgt, mit erster Post ab. Fr. Schmidt reist ab. Ich lege es demselben auf und mache es ihm zur heiligsten und unerläßlichsten Pflicht (in Rücksicht seiner und meiner!), diesem Charakter treu zu bleiben und in Bremen so wenig als irgendwo, auch in Hannover nicht, irgend einen Menschen, er sei wer er sei, zu besuchen! Dies muß sein! Seinetwegen und meinetwegen! Sie müssen Niemanden aufsuchen oder besuchen! Einen Paß werden Sie in Aurich oder Oldenburg leicht erhalten können.

Benachrichtigen Sie mich von Ihrer Abreise, Ihrer Ankunft in Braunschweig und augenblicklich von Ihrer Ankunft in Leipzig. Leben Sie wohl! Der Himmel nehme Sie in seinen Schutz!! Der Himmel begleite Sie! Bleiben Sie ein guter Mensch! Bleiben Sie im ganzen Sinne des Worts getreu!! Thränen stürzen mir in die Augen! Zu Ostern drücke ich Sie an meine Brust. Leben Sie wohl! Reisen Sie glücklich!

(Nachschrift.) Wenn Sie den Muth haben, Vieweg zu sehen, so gehen Sie zu ihm. Vielleicht kennt er Sie gar nicht. Ueberlegen Sie dann Alles reiflich mit ihm, so weit etwas zu überlegen ist. — Vielleicht könnten Sie über Quedlinburg reisen und mit Basse fertig werden. — In Halle gehen Sie bei Sprengel vor. Sie werden auch da einen Brief von mir erhalten.

 

Die letztern Bemerkungen über Vieweg und Basse, durch die er seinen strengen Befehl, daß Bornträger auf seiner Reise durchaus Niemand besuchen solle, wieder einschränkte, beziehen sich auf eine frühere Stelle jenes Briefs, die für die damaligen Censurverhältnisse charakteristisch ist. Sie lautet:

Das zweite Werk von R — dt37 kann in Leipzig nicht gedruckt werden, da man es zu frei findet. Wirklich ist es nach den mir mitgetheilten Proben sehr keck und dreist, allein auch von außerordentlichem Interesse, und bedürfte es nach meiner Einsicht, um es ausgeben zu können, nur eines verständigen Redacteurs, der die Worte zu wägen und anstößige gegen mildere umzuwechseln verstände. Ich habe das selbst versucht und ist es mir, glaube ich, mit den paar Bogen, die ich gehabt, erträglich gelungen.

Ich leugne nicht, daß ich außerordentlich wünschte, daß es erschiene. Es wird ungeheuere Abnahme finden. Bei dieser meiner Neigung habe ich Viewegen den Vorschlag zum Drucke gemacht und diesem gesagt, daß er allenfalls Basse in Quedlinburg darüber sprechen möchte, und nach Leipzig habe ich Ordre gegeben, das ganze Manuscript sofort an Viewegen zu senden. Ob nun Vieweg entrirt oder entriren darf, weiß ich noch nicht. Ich schreibe ihm nun aber noch mit dieser Post näher, daß er, im Fall er dorten nichts mit dem Manuscript machen könne, es Ihnen nach Aurich schicken möchte. Vorläufig trage ich Ihnen nun auf, sich in Oldenburg, Delmenhorst und Burgsteinfurt zu informiren, ob man da etwas könne ohne besondere Censur gedruckt erhalten und hoffen könne, es rasch fertig zu bekommen, wöchentlich drei Bogen wenigstens. In Burgsteinfurt ist, wie ich weiß, eine gute Druckerei und ohne alle Censur ... Sie werden anführen, daß gegen die Franzosen nichts gesagt, es aber sonst frei geschrieben sei, weshalb man wünschen müsse, eine liberale oder keine Censur zu haben.

Bornträger verließ Aurich in den ersten Tagen des December und reiste über Oldenburg und Celle zunächst nach Braunschweig. Dorthin schreibt ihm Brockhaus unterm 19. December einen sieben Quartseiten langen Brief mit den genauesten Vorschriften, wie er sich auf seiner weitern Reise, in Braunschweig, Halberstadt, Halle, und bei seiner Ankunft in Leipzig den betreffenden Personen gegenüber, die mit einigen scharfen Strichen gezeichnet werden, zu verhalten habe. Er geht dabei, wie er selbst schreibt, »nach meiner Ihnen bekannten Methode ganz systematisch zu Werke«, indem er das Ganze in Form einer Tabelle schreibt, mit A, B, C und darunter wieder mit Ziffern.

Einige charakteristische Züge seien aus diesem Briefe hier mitgetheilt.

Er bemerkt über den Tod seiner Frau: »Sie werden aus unsern frühern Briefen Alles wissen, mein namenloses Unglück durch den Verlust Sophiens und alle daraus entgehenden Folgen«, und fährt dann fort: »Vieweg ist uns, glaube ich, sehr zugethan. Er wird eine höhere Idee von uns haben als wir verdienen möchten. Sie werden sehr besonnen gegen ihn sprechen« — ein Beweis, daß Brockhaus bei allem ihm oft wol nicht mit Unrecht vorgeworfenen zu starken Selbstbewußtsein doch auch bescheiden war. In Halle empfiehlt er unter anderm, den »Romanschreiber A. G. Eberhardt«, den »Directeur« der Renger'schen Buchhandlung zu besuchen, und nennt ihn einen »feinen gewandten Kopf«, während er einen Buchdrucker, um ihn kurz zu charakterisiren, einen »alten steifen Kerl« nennt und über einen Professor, übrigens keinen namhaften, gar zu schreiben wagt: »N. N. besuchen Sie nicht. Sollte er Sie aber treffen, so sagen Sie ihm, daß wir, wenn Sie nicht irrten, von ihm Antwort erwarteten. Er ist ein Esel.« Den Botaniker Sprengel in Halle bezeichnet er als einen »höchst freundschaftlichen, aber sehr verständigen Mann«, den bekannten Professor Ersch als einen »noch liebern, einfachern und uneigennützigern Mann als Sprengel«. Ueber Reichardt's Individualität, seine Familie u. s. w. verlangt er genauen Bericht.

Für Leipzig endlich lautet die vorläufige, besonders charakteristische Instruction:

Ihr einziger erster Besuch sei bei der Hofräthin Spazier. Sie erklären aber dort, daß Sie erst Ihre Instructionen abwarteten und Sie bis dahin nichts sagen oder thun könnten. Sie werden diese Instructionen mit nächster Post poste restante erhalten und sich auf der Post den Brief holen. Sie werden gegen die Hofräthin Spazier einstweilen ernst und höflich, gegen Weigeln dasselbe sein, und sich, unter jenem Vorwande, durchaus in keine Vertraulichkeiten einlassen, sondern ganz denselben Ton annehmen, den man gegen Sie annimmt und der wahrscheinlich kalt, feierlich und süffisant sein wird. Ich werde Sie mit nächster Post ganz au fait setzen.

Leben Sie wohl! Ich vertraue Ihnen, wie Sie sehen, das Glück meines Lebens an. Ich vertraue und schätze Sie. Sie werden mir im ganzen Sinne des Worts treu und bieder dienen. Wir werden dort bald zusammen sein.

Uebrigens handelte es sich augenblicklich gar nicht, wie es nach diesen emphatischen Worten scheinen könnte, um besonders wichtige Entscheidungen, sondern um einige geschäftliche Verhandlungen gewöhnlicher Art, und Brockhaus wünschte nur, daß der von ihm sehr geschätzte, aber doch noch sehr jugendliche Gehülfe sich der Schwierigkeit der Aufgabe, ihn überall richtig zu vertreten, recht bewußt werde.

Am 23. December schreibt Brockhaus an Bornträger, der ihm herzliche Theilnahme an dem Verlust seiner Frau ausgesprochen hatte:

Die paar Zeilen, die Sie mir von Braunschweig geschrieben, haben mich tief erschüttert. Ja, Sie kannten das edle Gemüth der Verklärten vielleicht mehr wie viele Menschen! Sie hielt auch unendlich viel von Ihnen, und wir haben in den letzten Tagen ihres Lebens uns noch zweimal sehr umständlich von Ihnen unterhalten. Sophie liebte Sie wie eine zärtliche Mutter, wie eine treue Schwester. Sie erkannte das viele Gute, das in Ihrer Seele liegt, nur fürchtete sie in der letzten Epoche Ihres Hierseins für Sie, wie ich es auch that. Darüber sprachen wir noch viel zusammen, als Ihr letzter Brief von Aurich eintraf und ich mich entschloß, Sie zu bitten, nach Leipzig zu gehen. Sie stimmte diesem Entschlusse vollkommen bei, da sie den namenlosen Verdruß kannte, den mir und Ihnen die Besorgung der dortigen Geschäfte durch Weigel verursacht hatte.

Sie kennen die zahllosen Ursachen, die Weigel uns zu Klagen gegeben hat. Sie wollen dies Alles aber nicht urgiren. Sie wollen Weigel mit Liebe und Zartheit begegnen, denn er ist ein guter und ein edler und ein unglücklicher Mensch. Er ist nur kein Geschäftsmann, besonders in so verwickelten Verhältnissen, als die unserigen es sind ... Gegen Jeden werden Sie sagen, ohne bestimmt Weigeln anzuklagen, daß ich mich veranlaßt gefunden hätte, Jemanden, der sich ganz meinen dasigen Geschäften widmen könnte, dort zu halten ... Der Frau Hofräthin Spazier vertrauen Sie ganz. Sie wird Ihnen rathen und helfen, wo sie kann. Sie ist meine wahre Freundin.

Obwol Brockhaus so Alles that, um seinem Gehülfen die Ordnung und Besorgung der für ihn in seiner Doppelstellung als Verlags- und als Sortimentsbuchhändler besonders wichtigen Beziehungen in Leipzig zu erleichtern, und das beste Vertrauen zu ihm hatte, ging er doch schon seit dem Tode seiner Frau mit der Idee um, Amsterdam zu verlassen und sein Geschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Die Stadt, in der er acht Jahre an der Seite seiner Frau und von blühenden Kindern umgeben verlebt hatte, zwar nicht so glückliche und ungetrübte wie die ersten drei Jahre in Dortmund, aber in einem neuen, seinem Geiste endlich genügenden Wirkungskreise, sie war ihm jetzt für immer verleidet. Dazu kamen die schon erwähnten politischen und geschäftlichen Unannehmlichkeiten. Endlich aber sah er immer mehr ein, daß der geeignete Boden für ihn nicht eine holländische, jetzt gar französische Stadt sei, sondern daß er sein Geschäft nach Deutschland und womöglich nach Leipzig, dem Mittelpunkte des deutschen Buchhandels, verlegen müsse, um das von ihm in kühnen Umrissen angelegte Gebäude auf festem Grund aufzubauen und seine weitgehenden Plane zur Ausführung zu bringen.

Aber freilich war eine solche Uebersiedelung mit vielen Schwierigkeiten verbunden und jedenfalls erst nach und nach zu ermöglichen. Besondere Sorge machte ihm dabei die Zukunft seiner Kinder, von denen das älteste bei dem Tode der Mutter zehn Jahre, das jüngste erst wenige Wochen zählte. Sollte er sie mit nach Leipzig nehmen, während er noch nicht wußte, ob er dort selbst eine Heimat finden werde? Könnte er sie in Amsterdam lassen, allein in der fremden Stadt, wo er zwar viele Freunde, aber keine Verwandten hatte? Weder zu dem einen noch zu dem andere vermochte er sich zu entschließen. Dagegen nahm er das herzliche Anerbieten seiner dortmunder Verwandten und Freunde an, die Kinder, bis er wieder einen festen Wohnsitz gefunden, in ihren Familien aufnehmen zu wollen. Dazu kam, daß er selbst noch schwankte, ob er nicht doch lieber in seine Vaterstadt Dortmund zurückkehren als nach dem fremden Leipzig ziehen solle. Ersteres schien auch seine Frau gewünscht zu haben, wenigstens hatte er ihr noch auf dem Todtenbette versprechen müssen, die Kinder zunächst nach Dortmund zu bringen. Er schreibt darüber an den ihm befreundeten Bankier Friedrich Christian Richter in Leipzig am 2. Januar 1810 aus Amsterdam:

Morgen verreise ich von hier, um dem Willen meiner verewigten Gattin gemäß meine Kinder zum Vaterlande zurückzubringen, zu meinem noch lebenden Vater und meinem Bruder und zu den verheiratheten Geschwistern meiner Frau. Es wäre mir hier auch unmöglich gewesen, für die gute physische und moralische Erziehung derselben zu sorgen. Ich bin selbst zu zernichtet, auch fürs künftige Leben. Zu Ostern werde ich diesen Ort der Trauer auch wol ganz verlassen, mein hiesiges Geschäft verkaufen oder administriren lassen und mich bei Ihnen in Leipzig oder bei meinen Kindern in unserer guten Vaterstadt etabliren.

Es wurde ihm gewiß ebenso schwer, sich von den Kindern, die ihn ja auch fortwährend an ihre Mutter erinnerten, zu trennen, als es für diese hart war, daß sie außer der Mutter vielleicht für längere Zeit auch den Vater entbehren sollten. Indeß war es doch der einzige Ausweg, der sich ihm darbot.

Am 3. Januar 1810 trat er die traurige Reise mit seinen Kindern an, von deren treuer Pflegerin seit dem Tode der Mutter, Tante Josina, begleitet. Er wollte sie doch wenigstens selbst nach Dortmund bringen und zugleich seinen alten Vater nach so langer Trennung und nach dem schweren Verluste, den er erlitten, wiedersehen.

Nur die kleine Sophie mußte er in Amsterdam zurücklassen, da er ihr die beschwerliche Reise im Winter noch nicht zumuthen durfte; sein Freund Kaufmann Trippler und dessen Frau baten sich die Kleine aus, zumal sie selbst keine Kinder hatten, und sie blieb bei ihnen mehrere Jahre unter der sorgsamsten Pflege.

Die andern sechs Kinder wurden einzeln bei den dortmunder Verwandten, bei dem Großvater, dem Onkel Gottlieb und den Familien Beurhaus, Brökelmann, Rittershaus und Schmeemann untergebracht. Hier blieben sie mehrere Jahre unter liebevollster Behandlung, bis sie nach und nach in das neubegründete Haus des Vaters zurückkehrten.

Vor seiner Abreise nach Dortmund war es Brockhaus gelungen, an Bornträger's Stelle außer einem holländischen einen neuen deutschen Gehülfen Namens Krieger zu erhalten, der während seiner Abwesenheit wenigstens das laufende Geschäft besorgen konnte. Dieser kam aus Leipzig, wo er vor Bornträger's abermaliger Hinkunft auch schon eine Zeit lang für Brockhaus beschäftigt gewesen war, vermuthlich bei dessen Commissionär.

Mit Bornträger blieb Brockhaus fortwährend im lebhaftesten Briefwechsel und hatte die Freude, daß dessen Ankunft und erstes Auftreten in Leipzig manche Uebelstände rasch beseitigte. Namentlich war es Bornträger gelungen, die durch verschiedene Umstände gestörte Geschäftsverbindung mit dem leipziger Bankier Richter wiederherzustellen.

 

Schon im Herbst 1809 hatte Brockhaus ausführlich an Richter geschrieben, weil einige von ihm ausgestellte und an Richter gegebene Wechsel von den Betreffenden nicht honorirt worden waren. Dieser Brief, der wieder einen vollen Einblick in sein Inneres gewährt, lautet:

Sie werden es meinem Herzen und meinem Verstande zutrauen, wie sehr der unangenehme Vorfall, worüber ich heut Ihrer Handlung Bericht gebe, auf mich wirken muß. Obgleich persönlich und sachlich einigermaßen entschuldigt durch die Lage der Sache, worüber die eingelegten Briefe Sie unterrichtet, bin ich doch zu sehr mit der über solche Punkte eingeführten Delikatesse bekannt, um nicht vollkommen den schmerzlichen und unangenehmen Eindruck vorherzusehen, den dieser Vorfall auf Sie als Kaufmann machen wird und machen muß. Ich sehe dies Alles so sehr ein, daß ich kein Wort in dieser Hinsicht an Sie adressiren will, um es zu versuchen, diesen Eindruck zu schwächen. Ich weiß es, es gibt darin keine Rechtfertigung! Ich kenne die Strenge der kaufmännischen Ansicht darin in ihrem ganzen Umfang! Ich muß es zufrieden sein, wenn Sie mir Ihr Zutrauen augenblicklich ganz und rein entziehen, gleich alle Verbindung mit mir aufheben.

Ich wende mich also auch nicht an Sie als Kaufmann. Ich wende mich an Sie als Mensch! An den Menschen adressire ich mich alleine!

Ich bin ein ehrlicher, ein rechtlicher Mann! Ich werde Sie, Herr Richter, nie täuschen! Ich habe ein Capital von circa ... Gulden in meinem Geschäfte. Ich habe keine fremden Fonds darin. Alles ist mein Eigenthum. Nur die jetzigen Zeiten drücken mich sehr und stark, und der deutsche Buchhandel ist in den Händen so vieler ... und ... Menschen, daß man durchaus nicht auf sie in Hinsicht auf die Fonds, die man von ihnen zu erwarten hat, rechnen kann; ihre Effronterie im Zurückhalten der Einem schuldigen Gelder ist ungeheuer. Ich habe im vorigen Jahr auf einmal über 40000 Gulden in die Ihnen größtentheils bekannten Unternehmungen gesteckt — die Unternehmungen sind sämmtlich vom Publikum gut aufgenommen worden! Ich mußte die Ostermesse einen bedeutenden Betrag nothwendig zurückerhalten. Sie wissen, wie die Ostermesse ausgefallen. Es hat mir dies um 10000 Gulden wenigstens in meiner Einnahme geschadet. Es genirt mich dies, ich gestehe es. Hier in Amsterdam gibt es überhaupt keine, durchaus keine Ressourcen. Der Einwohner steht nie mit einem Banquier auf dem Platze in einiger Verbindung. Der Cassier arbeitet nur mit größern Handlungen und er avancirt nie. Man muß hier Alles in und aus sich selbst holen! Jeden Gulden! Es ist nie in Holland ein Geschäft gewesen wie das meinige. Man vermag es gar nicht zu beurtheilen, weil man es nie gesehen hat, also nicht kennt. Man beurtheilt mich also oft falsch; — man hält mich für einen excentrischen Menschen! Ich weiß dies Alles: ich kann es nicht ändern! Ich muß die Menschen gehen lassen! Ich schließe Ihnen mein ganzes Herz auf, Herr Richter; Sie sind gewiß ein edler, vortrefflicher Mann, Sie sind ein guter Mensch! Mein Inneres sagt mir das! Ich darf und kann mich Ihnen ganz anvertrauen. Ich werde Ihr Vertrauen dadurch nicht verlieren.

Wollen Sie mir Ihr ferneres Vertrauen lassen, — ich werde, ich kann es nie misbrauchen. Wollen Sie mich ferner ein wenig und selbst noch etwas mehr als seither — um mich den kleinen gênes, die mich noch dies Jahr drücken, zu entziehen — unterstützen, so werden Sie sich einem dankbaren Manne und einer dankbaren Familie für immer verpflichten. Kann ich Ihnen dorten eine Art von Garantie geben — über mein dortiges Lager — Lebens oder Sterbens wegen, ich bitte Sie, geben Sie mir die Idee an, wie ich es anzufangen. Es geschieht gern.

Die Zeiten werden wieder besser werden. Der vor einigen Monaten erfolgte Tod meiner Schwiegermutter bringt mir wieder neue Fonds. Ich werde mich einschränken, da ich jetzt schon mehr aus Erfahrung die ... Menschen, die Mehrzahl der deutschen Buchhändler, kenne!

Sie sehen, ich plaudere zu Ihnen wie zum Bruder, wie zum jahrelangen Freunde! Möchten Sie mir der letztere werden!

Leben Sie wohl! Ich erbitte mir auf diesen Brief einige Zeilen Antwort, ebenso offen, wie es die meinigen gewesen sind!

Infolge dieses Briefs scheint Richter schon damals die Geschäftsverbindung mit Brockhaus wieder aufgenommen zu haben. Jetzt, bei Bornträger's Uebersiedelung nach Leipzig, bedurfte Brockhaus der Vermittelung und des Vertrauens Richter's noch mehr als früher. Er schrieb ihm deshalb am 2. Januar 1810 folgenden, sein Innerstes enthüllenden Brief:

Ich habe Ihnen mit voriger Post 1100 Mark Bco. remittirt auf Fr. Perthes in Hamburg. Hiermit gleichen sich ohngefähr jene beiden unglücklichen Posten von 500 Fl. aus. Ich werde Ihnen weiter von Monat zu Monat verhältnißmäßige Rimessen machen. Seien Sie ganz und unbedingt ruhig! Ich habe kaufmännisch gegen Sie sehr gefehlt, moralisch — nicht! Ich will gegen Sie keine Exposition davon machen; ich bin zu routinirt in Geschäften, um nicht den ganzen Umfang meiner Abweichungen — wenn auch gezwungen, doch immer Abweichungen — zu fühlen und in Klarheit zu erkennen. Ich will auch eine Entschuldigung nicht einmal versuchen! Ich könnte Vieles, vielleicht sehr Vieles und gar Genügendes zu meiner moralischen Entschuldigung vorbringen. Ich thue es aber nicht! Ich schweige. Nur das sage ich, und das darf ich sagen: Seien Sie ganz ruhig. Nur das Gedränge drückender, zu leicht eingegangener Engagements; nur unverzeihliche Vernachlässigung dort in Besorgung mancher bedeutenden Geschäfte und Verrichtungen, wodurch ich mich veranlaßt gefunden habe, selbst jetzt mitten im Winter einen Commis von hier nach dort zu senden; nur nicht zu gebieten gewesene Täuschung über den Eingang erwarteter und nicht eingegangener Fonds; endlich die Krankheit und zuletzt der Tod einer geliebten, angebeteten Gattin und die daraus resultirte Zerstörung meines Denk- und Ordnungsvermögens — in diesen Grundzügen müßte ich meine Entschuldigung suchen.

Ich erkenne aber in voller Klarheit, daß ich keine Entschuldigung, aus blos kaufmännischem Gesichtspunkte betrachtet, gegen Sie habe. Ich verdamme mich darin selbst unbedingt.

Nur das sage ich und das darf ich sagen: Seien Sie vollkommen ruhig. Sie sind ein edler Mensch. Ich bin Ihrer Achtung und Werthschätzung nicht unwerth. Es ist eine reine Unmöglichkeit, für mich individuell und aus meiner ganzen Geschäftslage betrachtet, daß Sie je einen Thaler an mich verlieren könnten. Wäre es mir möglich, den Gedanken darüber zu fassen, ich würde Ihnen nie einen Wunsch weiter mittheilen.

Handlungen müssen hier aber entscheiden. Ich erkenne das. Meine erste sei, daß ich Ihnen, noch nicht außer dem Gedränge kleiner Verlegenheiten, die aber sich zusammenwickelnd nicht ohne Bedeutung sind, aber befreit von unmittelbaren Engagements, meine erste freie Disposition widme, die ich habe erübrigen können: die 1100 Mark Bco. per Hamburg. Ob Sie in diesem Zuge mich und meine Gesinnungen errathen werden, muß ich erwarten. Ich erwarte es mit Resignation.

Das hohe Vertrauen, das ich zu Ihnen als Mensch habe, erlaubt es mir, Sie zu bitten, mich unerachtet aller stattgehabten Störungen dennoch nicht ganz zu verlassen ... Ich habe, debarrassirt von meinen drückenden Verbindlichkeiten, die Aussicht, im Laufe der nächsten Monate aus meinem Sortimentsgeschäfte (worin alles auf Jahresrechnung geht) bedeutende Summen einzunehmen. Ich habe keine einzige schlechte Unternehmung gemacht. Ich bin nicht ohne eigene und nicht unbedeutende Fonds. Ich bin ein häuslicher, ordentlicher, guter Mensch — das darf ich ja wol Alles sagen, ohne daß ich in den Schein von Ruhmredigkeit falle. Darum sage ich es Ihnen, zu dem ich reines und großes moralisches Vertrauen habe.

Dieser Brief sei aber auch nur Ihnen geschrieben. Außer Ihnen muß ihn Niemand sehen. Nur Sie werden mir ihn nachfühlen.

Sie werden mir keine Vorwürfe machen über das Vergangene. Ich mache sie mir selbst. Haben Sie die Güte, mich Ihres Vertrauens nicht ganz unwerth zu finden. Ich darf es ja wol sagen, daß ich nicht glaube, desselben unwerth zu sein im Innern ...

Hier folgt die bereits früher mitgetheilte Stelle über seine Absicht, nach Dortmund zu reisen, um die Kinder dort erziehen zu lassen. Der Brief schließt dann:

Daß ich Ihnen das Alles sage?

Ich weiß selbst nicht oder kaum, wie ich dazu komme! Nur das erkenne und weiß ich, daß ich mich einem edlen und wackern Biedermanne anvertraue.

Ob Sie in meine vues, die Geschäfte betreffend, eingehen oder nicht, ist von meinem Urtheile und meiner Empfindung über Sie ganz unabhängig.

Leben Sie wohl. Ich bin Ihnen mit ganzer Seele zugethan.

(Nachschrift.) Alle Geschäfte und Transactionen, die Herr Schmidt macht, sind verbindlich, da er mit vollkommener gerichtlicher Vollmacht versehen ist.

An Bornträger schrieb Brockhaus gleichzeitig:

3636 Brockhaus' damaliger Commissionär in Leipzig.
3737 Wol Reichardt's schon erwähnte »Vertraute Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen Staaten &c.« (Amsterdam 1810). Ein früher von Brockhaus verlegtes Werk Reichardt's ist uns allerdings nicht bekannt; seine »Briefe eines reisenden Nordländers« erschienen erst Ende 1811 mit der Jahreszahl 1812.