Za darmo

Dalmatinische Reise

Tekst
Autor:
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Dann beschrieb ich in der Neuen Freien Presse mein Dalmatinisches Abenteuer:

Platz hätten achthundert. Wir sind aber unser kaum zwanzig. Und als ich letzte Woche hinunterfuhr, waren wir noch weniger. Überall hört man jammern, die ganze Küste entlang, in allen Hotels, in allen Läden: Leer, es wollen keine Fremden heuer kommen, leer! Und die Schuld wird natürlich den Zeitungen gegeben; wieder einmal. Die Zeitungen haben das angestellt! Die Zeitungen verscheuchen uns die Fremden, mit ihrem Kriegslärm und ihrer Kriegsfurcht! Täglich hab' ich's überall hören müssen: Schreiben Sie doch, bitte, bitte, schreiben Sie doch in die Zeitung, daß es nicht wahr ist; daß wir hier in aller Stille leben, wie sonst; daß weit und breit der schönste Friede herrscht; das verdammte Kriegsgeschrei ruiniert uns noch alles! Die armen Leute taten mir leid, so gern hätt' ich ihnen zu helfen versucht! Wenn ich nur nicht inzwischen fast verhaftet worden wäre.

Das spielte sich in drei Akten ab. Es begann vorigen Mittwoch in Cattaro. Wir kamen an, ich wollte nach Montenegro, da hieß es, die Post gehe nicht, weil alles verschneit und der Paß unpassierbar für Wagen sei. Ich glaubte das zunächst nicht, nach meiner Gewohnheit, zunächst nichts zu glauben, und ließ meine Sachen ans Land bringen. Da trat mir ein finsterer Mann entgegen, ein österreichischer Finanzer von Aussehen, und auf italienisch, wie er mich mit meinem Facchino reden hörte, forderte er mir meinen Paß ab. Zufällig hatte ich in meinem alten Reisesack einen mit (er gilt natürlich längst nicht mehr, ich habe ihn nicht erneuern lassen, weil ich ja meistens im Ausland reise, und im Ausland braucht man keinen). Der Mann der Obrigkeit, der nicht Deutsch konnte, sah sich den Paß lange an. Dann rief er einen Kollegen herbei, der konnte auch nicht Deutsch. Und nun sahen alle zwei den Paß an und konnten alle zwei noch immer nicht Deutsch. Endlich nahm der erste wieder das Wort und fragte mich in seinem rauhen gutturalen Italienisch, wohin ich denn wolle. Ich: Nach Cettinje. Er, schon sehr argwöhnisch: Um was dort zu tun? Im reinsten Toskanisch, dessen ich fähig bin, bekam er zur Antwort: Was ich will. Er glaubte nicht recht verstanden zu haben und fragte wieder, als ob er schlecht gehört hätte: Um was zu tun? Ich sagte wieder: Was ich will. Und noch einmal wiederholte er seine Frage, ich meine Antwort: Um was zu tun? Was ich will. Und plötzlich, mit einem freundlichen Wink, war ich entlassen. Ist das nicht echt österreichisch, harmlosen Passagieren erst durch unnützes Verhör die Reise zu verleiden, wenn sich dann aber herausstellt, daß sie gar nicht harmlos sind, sondern frech, sogleich Respekt vor ihnen zu haben?

Nun war aber wirklich kein Gefährt nach Cettinje zu kriegen; es regnete, der Sturm stieß mir ins Gesicht, so beschloß ich, in meinem geliebten Ragusa besseres Wetter abzuwarten. Und erst heute fuhr ich nun wieder nach Cattaro. Zweiter Akt in dieser Tragödie von der dalmatinischen Hebung des Fremdenverkehrs. Ort: Hafen von Gravosa. In Erwartung des Dampfers. Der Morgen glänzt, leise Wellen schweben durch die Bucht, drüben grünen die Kiefern hell. Torpedos und Kriegsschiffe liegen draußen, grau wie Forellen. Ich stehe, mein Gepäck und einen von diesen stillen, geduldigen, gottergebenen Trägern neben mir. Und nichts Verdächtiges war an mir, bis auf den Schädel, den mir der liebe Gott verliehen hat. Da kam plötzlich langsam ein Feldwebel von der Gendarmerie zu mir heran, mit einem großen, offenen, herzensguten Gesicht, und grüßte mich recht freundlich und war sichtlich sehr verlegen, wie jemand, der sich furchtbar geniert. Es half ihm aber nichts, er mußte schließlich doch meinen Paß verlangen. Sehr froh war er, daß ich einen hatte. In meiner Bosheit hätt' ich's ihm gegönnt, keinen zu haben; es fiel mir aber zu spät ein; im ersten Moment regt sich doch stets der ausgezeichnete Staatsbürger, wenn man in Linz geboren ist; auch fuhr schon der Dampfer an. Mit hohen Ehren gab mir nun der Gendarm den Paß zurück, den ich alle die Jahre her in Italien, Frankreich und England niemals gebraucht. Und jetzt Akt drei! In Cattaro hieß es nämlich wieder: Alles verschneit, kein Wagen kommt durch! Und wieder vertröstete mich mein Freund Milo Milosevič, Packträger, Bruder eines Postkutschers und Montenegriner: In ein paar Tagen, vielleicht morgen schon! Aber ich hatte keine Lust, in dem säbelklirrenden Ort mit den aufgezwirbelten Kadetten zu bleiben, und zog es vor, nach Spalato zu fahren. Also ging ich aufs Schiff zurück, da lauerte mir schon das Verhängnis auf. Es bestand zunächst aus einer ganz merkwürdigen, schneehellen Luft, die von solcher Reinheit war, daß alles darin wie frisch gebadet schien; und nun oben der Himmel, unten das Wasser von einem venezianisch unwahrscheinlichen Blau, dazwischen aber das kreischende Kreideweiß des neu gestreuten Schnees in allen Bergen. So jung hatte mir schon lange keine Luft geglänzt; als wär's ein neuer Anfang aller Dinge. Zweitens aber bestand das Verhängnis aus einer Kette von Möven, diesen blitzschnellen, flugfrohen Möven, die hier in der Adria und unten im Mittelmeer oft tagelang den Schiffen folgen. Ein ganzer Zug war's, einige darin aber ganz toll vor Übermut, sich zu regen, wie betrunken von Sonne; und tauchten und stiegen und sprangen und bogen sich und warfen sich und trieben's so arg wie junge Delphine oder lange, lichte Engländerinnen, die Tennis spielen. Und eine, die war gar geheimnisvoll: sie schien's gar nicht nötig zu haben, erst zu fliegen, sondern ganz still hielt sie sich, und der Wind, auf seinem sanften Arm, trug sie. Da war's um mich geschehen. Nichts reizt mich nämlich mehr, als den Vogelflug zu photographieren. Nie gelingt's, drum will ich's immer. Einen Apparat hatte ich mit. Ich soll ja nämlich für meinen Verleger ein Büchl über dieses Land schreiben, um den Menschen in Berlin ein bissel Lust zu Dalmatien zu machen; und da, meint er, wären ein paar Aufnahmen gut. Also: ich stelle den Apparat auf die Möven ein, aber das Schiff stößt. Da sind wir gerade vor Castelnuovo, hier wird nicht gelandet, sondern Boote legen an. Der Dampfer steht, die Möven schweben, eben will ich knipsen, da schreit mir ein Individuum, das wie ein Briefträger aussieht, aus einem Boot herauf in rauhem Deutsch mit rabiaten Gesten zu, nicht die Festung zu photographieren! Ich lache und sage gelassen zurück: »Aber nein, ich will ja bloß die Möven, die Festung ist doch sicher den Italienern längst bekannt, also wozu?« Aber schon bewegen wir uns wieder, ich habe die kleine Möve verloren, nun freut's mich auch nicht mehr. Und den blauen Golf entlang, still auf dem Deck spazierend, genieß ich das Glück des silberweißen Tages und denke nur insgeheim, daß es gar nicht so einfach ist, den Menschen Mut zu Dalmatien zu machen! Und schon biegen wir wieder in die gelinde Bucht von Gravosa, wir landen, siehe, da springt ein aufgeregter Herr aufs Schiff, ein Telegramm in der Hand schwingend: der Polizeikommissär! Mein Pech war nun, daß unser Kapitän mich kannte und dem Kommissär meinen Namen nannte. Und leider war es ein wohlgebildeter und wohlgesitteter, sehr artiger Kommissär (auch das gibt's!), der sich höflich entschuldigte, mir zur Entschuldigung das Telegramm wies, das jener gelb ausgeschlagene Lackl von Castelnuovo dem Spion mit dem Kodak patriotisch nachgeschickt, nur »der Form wegen« meinen Paß zu sehen bat und mir, wohl auch »nur der Form wegen«, den Apparat abnahm, aber baldigst nachzusenden versprach – aber sicher wird die Polizei schlecht »entwickeln«! Schade. Wie schön wär's gewesen, in Ketten über den Stradone zu marschieren! Die besten Gelegenheiten versäumt man. Ernsthaft: wenn ich nun nicht zufällig »einer von der Zeitung« wär', die jeder haßt, aber mit einer solchen Heidenangst davor? Wenn ich ein unbekannter junger Maler wär'? Oder gar ein ehrsamer, lustiger Schneidergesell? Den hätten sie drei Wochen eingesperrt und mit dem Schub nach Haus geschickt.

Ich höre nun liebe Wiener sagen: Muß er denn auch grad jetzt nach Dalmatien gehen, bei den aufgeregten Zeiten? Sie haben ganz recht: man muß nicht. Aber darum handelt es sich ja grad: denn die Dalmatiner möchten doch, daß man muß. Und seit Jahren werden doch in den Ministerien so viele Köpfe gekratzt, dienstlich oder freiwillig, was denn geschehen soll, damit man nach Dalmatien muß! Und wie kann ich den Dalmatinern den Gefallen tun und »in die Zeitung schreiben«, daß hier niemand was von Kriegsgefahr und Aufregung weiß und alles still und friedlich ist, wenn man nicht einmal mehr dem banalen Mädchensport des Kodaks frönen darf, in seinem eigenen Lande nicht? Ja, die Dalmatiner gehen freilich ruhig ihren Arbeiten und Sorgen nach, sie wissen nichts von Lärm und Furcht, sie sind still und friedlich wie sonst, sie schon; das ist schon wahr. Aber die Polizei macht das Land unsicher. Und da hab' ich's: Ich muß in diesem Satze nur Verwaltung noch für Polizei einsetzen, und er drückt vollkommen das Gefühl aus, das mir in Dalmatien nicht von der Seite geht. Die Verwaltung macht Dalmatien unsicher, das ist es. Seit Jahren reise ich hier und muß mich immer wieder fragen, was denn so bang und schwer hier auf allen Menschen und allen Dingen liegt. Und eigentlich kommt's mir immer mehr und mehr so vor: Wir haben dieses Land inne, wir halten es besetzt und bewacht, aber wir eignen es uns noch immer nicht an, dafür tun wir nichts. Wir eignen es uns nicht an, denn dazu gehörte Vertrauen bei beiden; und Vertrauen hat keins. Das Verhältnis ist: dem Dalmatiner ist von vornherein alles verdächtig, was von der Regierung kommt, und der Regierung ist von vornherein alles verdächtig, was der Dalmatiner will; und trifft es sich zuweilen einmal, daß beide dasselbe wollen, so kriegen beide Angst, und beide denken, daß sie sich geirrt haben müssen! Die Regierung sagt, sie will das Beste. Möglich. Die Dalmatiner sagen auch, sie wollen das Beste. Höchst wahrscheinlich. Und dieses Beste, wovon in einem fort geredet und worüber in einem fort geschrieben wird, warum geschieht es nie? Weil die Regierung meint, es müsse von ihr aus geschehen, nach ihrer Wohlmeinung und als eine Belohnung sozusagen, die sich die Dalmatiner erst durch artige Sitten zu verdienen hätten. Und weil die Dalmatiner verlangen, daß es durch sie selbst geschehe, durch ihres eigenen Volkes Kraft und nach seinem Bedürfnis und als sein Recht. Darum bleibt, was immer man in Wien für Dalmatien »erlassen« mag, die Stimmung im Lande stets: Timeo Danaos et dona ferentes. Man muß in alten Memoiren nachlesen, aus der Zeit, als wir noch in Oberitalien saßen. Auch da sind wir immer Danaer geblieben. Und unsere Verwaltung macht überall immer doch die alten Dummheiten wieder!

 

Sonst wenn ich nach Dalmatien kam, war ich auf den Zufall angewiesen, mir in den Gassen die Stimmungen der Menschen zu erhorchen. Diesmal haben es mir Empfehlungen erleichtert, die ich dem Grafen Ivo Vojnovič, dem großen kroatischen Dichter, verdanke; sie schlossen mir manches gastliche Haus auf. Nun sind mir diese scheuen, ernsten, schwermütigen Menschen erst recht ins Herz gedrungen! So traurig sind sie, so preisgegeben und ausgesetzt fühlen sie sich, mit ihrer tiefen Liebe zur Heimat. Und immer dieselbe Klage: Niemand will uns anhören, man traut uns nicht, wie in feindlichem Land hausen sie mit uns! Und überall hat man mir dieselbe Geschichte wieder erzählt: wie vor ein paar Jahren der Stadt Ragusa, weil einmal in ihren Straßen auf den durchfahrenden Prinzen Danielo von Montenegro zu stark Hoch gerufen wurde, strafweise ein Bataillon entzogen worden sei, »strafweise, als wären wir unartige, schlimme Buben!« Noch klingt mir immer der dunkle, schamverhüllte Ton zorniger Kränkung im Ohr, in dem mir's alle erzählten: Wie schlimme Buben, die man in den Winkel stellt! Und darum geht schließlich alles: sie wollen nicht von Wien »erzogen« werden, sie fühlen sich reif, sich selbst zu erziehen, ihr eigenes Leben wollen sie haben, ihrer eingeborenen, angestammten Art gemäß! Und dann rücken sie an einen ganz nahe heran, und die mandelförmigen, samtenen Augen glänzen ihnen, und, kindisch-treuherzig, beteuern sie, es sei wirklich nicht wahr, daß sie Hochverräter sind, nur ihr schönes Land möchten sie für sich haben.

Noch eine Geschichte haben mir alle gerne erzählt. Als der Kaiser Franz einst nach Ragusa kam, gefiel ihm eine Straße sehr. Und er hörte: Die haben die Franzosen gemacht! Und dann gefiel ihm eine Brücke. Und er hörte: Die haben die Franzosen gemacht! Und noch manches gefiel ihm. Und immer hörte er: Das haben die Franzosen gemacht! Bis er endlich sagte: Schad', daß s' nicht länger da blieben sind, die Franzosen! So sprach der staatsmännische Kaiser Franz.

Übrigens, wenn die Ragusaner Polizei noch weiter nett mit mir sein wird, mir meinen Apparat unversehrt wiedergibt und den Film nicht verdorben hat, will ich mich revanchieren und ihr raten, wie sie sich noch patriotischer betätigen kann: Sie soll doch auch die Ansichtskarten der Bocche konfiszieren!

Einstweilen aber sinne ich nach, wie ich's anstellen soll, um wieder Lust zu kriegen, den Leuten Lust zu Dalmatien zu machen.

Diese Schilderung meines Dalmatinischen Abenteuers war dem jungen Herrn von Chlumecky gar nicht recht, und er ließ sich darüber in der Österreichischen Rundschau vom 15. März also vernehmen:

»Hermann Bahrs Dalmatien.

Dem Lande Dalmatien ist großes Heil widerfahren: Hermann Bahr hat es entdeckt. Jetzt wird das Aschenbrödel Österreichs bald eine reiche Prinzessin werden, denn Hermann Bahr sinnt darüber nach, wie er »wieder Lust bekommen könnte«, den Leuten Lust zu Dalmatien zu machen. Wie er uns selbst sagt, soll er über seines Verlegers Wunsch ein »Büchel« schreiben, um Stimmung für Dalmatien zu machen. Es scheint nicht, daß es dem Verleger wirklich darum zu tun ist, gerade dieses Ziel zu erreichen. Der Ruf eines Landes muß schon wohl begründet sein, um Hermann Bahrs zersetzenden Kritiken standhalten zu können. Schon in dem Präludium1 zu seinem »Büchel« bleibt uns die ätzende Lauge seines Spottes nicht erspart. Sie ergießt sich wie gewöhnlich über die Verwaltung Österreichs. Diese hat freilich ein schweres Vergehen begangen. Hat es gewagt, Herrn Bahr nach seinem Paß zu fragen und ihm den Kodak abzunehmen, als er in einem Festungsrayon lustig darauf losknipste. Die böse, vom Polizeigeist Metternichs durchdrungene Verwaltung! Sie unterfängt sich am Vorabend eines Krieges in einem von Spionen durchkreuzten und von Feinden umlauerten Lande den Fremdenverkehr ein bißchen zu überwachen. Und nun gar die Kodakaffäre! Freilich: In Malta oder Villefranche oder Spezia wie in jedem Kriegshafen oder anderen Orte des Auslandes, in dem wichtige Festungen sich befinden, wäre Hermann Bahr einfach arretiert worden. Selbst dann, wenn es dort keinen Kriegslärm gegeben und vielleicht auch dann, wenn er gar nicht photographiert hätte, sondern mit seinem Kodak bloß spazieren gegangen wäre. Selbst der Kaiserin Eugenie ist einmal ähnliches widerfahren. Im Auslande kennt man eben in solchen Dingen keinen Spaß, und Hermann Bahr verdankt es nur unserer Gemütlichkeit, wenn es ihm dabei so glimpflich ergangen ist.

Wer ihn hört, muß freilich glauben, daß in Dalmatien das türkische Spitzelsystem herrsche. Ausnahmezustände und Ausnahmezeiten werden als Regel dargestellt und so dem ahnungslosen Publikum für immer die Lust benommen, nach Dalmatien zu reisen. Das kleine »Abenteuer mit dem Kodak« scheint Herrn Bahrs objektiven Blick getrübt zu haben, denn auch die Wiedergabe seiner sonstigen Beobachtungen läßt das unbefangene Urteil missen. Studien, die bei einer hastigen Eilfahrt längs der Küste des Landes betrieben wurden, scheinen den Beobachter zu befähigen, ein Urteil zu fällen, welches klarer und treffsicherer sein soll als jenes von Beamten und Offizieren, die jahre- und jahrzehntelang im Lande leben, es von Nord nach Süd und bis tief ins Innere durchstreiften, dabei tagtäglich mit der Bevölkerung in innigsten Kontakt kamen, und die heute alle es noch wagen, anderer Meinung zu sein als Hermann Bahr. Das eben ist der Vorzug des Genies. Es erfaßt alles auf den ersten Blick und kann aus einigen hie und da aufgelesenen Andeutungen ein ganzes System ausklügeln. Schade nur, daß die Quellen, aus denen Herr Bahr geschöpft, vielleicht etwas trüb, die Ansichten, die er zu hören bekommen, recht einseitige waren. Man darf nicht vergessen, daß Ragusa seit Jahren der Brennpunkt der großserbischen Bewegung ist, welche gerade die Intelligenz der Stadt erfaßt hat. Es scheint, daß Hermann Bahr in Kreise gelangt ist, die man nicht konsultieren darf, wenn man über Österreichs Wirken in Dalmatien die Wahrheit wissen will. Dies gibt uns den Schlüssel für seine ganz eigenartige Auffassung der Dinge. »Die Polizei macht das Land unsicher.« Gewiß, unsicher für jene, welche »still und friedlich« ihre – hochverräterischen Pläne mit Cettinje und Belgrad weiterspinnen wollen, unsicher für jene, welche großserbischen Ideen nachjagen. Diese »scheuen und schwermütigen Menschen« Hermann Bahrs, die seit Jahrhunderten ein mit faszinierender Liebenswürdigkeit verbundenes diplomatisches Auftreten einander vererben, haben auch andere als Herrn Bahr über ihre wahren Ziele und Absichten getäuscht. Mit etwas mehr Gründlichkeit würde aber Hermann Bahr dessen gewahr werden. Er würde die ihm so unschuldig erscheinende Demonstration für den Fürsten Danilo in ihrer Bedeutung einschätzen lernen, würde erfahren, daß hinter dem Glanz dieser »mandelförmigen, samtenen Augen« sich Hoffnungen verbergen, deren Kühnheit sein Erstaunen und vielleicht auch sein Befremden erregen dürften.

Und noch einen anderen Irrtum begeht Bahr, indem er meint, man brauche nur der eigenen Kraft des Volkes freien Lauf zu lassen, um Dalmatiens wirtschaftliche Lage zu bessern. Es ist wahr: Österreich hat an Dalmatien jahrzehntelang schwer gesündigt, aber gerade dadurch, daß es von der Initiative der Bevölkerung immer erwartet hat, was dieser ohne Anregung von außen besonders schwerfallen wird: sachliche, ruhige Arbeit. Die Kräfte des Dalmatiners sind durch seine politischen und nationalen Kämpfe, welche ihn mehr fesseln als jedwede andere Betätigung, so sehr gebunden, daß sie auf keinem anderen Gebiete mehr zu voller Entfaltung gelangen können. Daher erwartet der Dalmatiner jeden Impuls, und mehr als das, jede praktische Tätigkeit zur wirtschaftlichen Hebung des Landes immer nur von der Regierung. Die Intelligenz Dalmatiens treibt Politik und übt Kritik an der Regierung und ihren Maßnahmen. Der Verwaltung wird die Aufgabe zugewiesen, dem Volke Arbeitsgelegenheit zu schaffen, für die materiellen Bedürfnisse des Landes zu sorgen. Und eben dadurch haben die Regierungen Österreichs gefehlt, daß sie jahrzehntelang darauf warteten, daß dieses durch den Dalmatiner selbst geschehe. Damals, als die Verwaltung keine Anregung zu geben wußte, da wurde sie in Dalmatien als indolent verschrien. Heute, wo die Regierung die wirtschaftliche Wiedergeburt des Landes selbst herbeiführen will, wehren sich die Dalmatiner gegen die fremde Einmischung. Herr Bahr möge uns den Weg weisen, wie wir es anstellen sollen, um diesen einander widersprechenden Wünschen und Beschwerden gerecht zu werden. Solange er uns kein anderes Rezept zu geben weiß, halten es viele für das beste, Dalmatien wie eine Kolonie zu verwalten, in die man erst alles von außen hineintragen muß. Alles: Kapital, Menschen, Impulse und Ideen.«

Ich lasse mir nun ja viel gefallen, aber doch nicht, daß der junge Herr von Chlumecky den Retter Dalmatiens spielt; ich weiß zu gut, womit er seine Zeit in Ragusa zugebracht hat. Ich bat also den Regierungsrat Glossy zum Telephon, den Herausgeber des Blatts, um anzufragen, ob ich antworten könnte. Er war einverstanden und so schrieb ich ihm am 19. März:

»Sehr verehrter lieber Herr Regierungsrat! Im letzten Hefte Ihrer Rundschau macht sich Herr Baron Chlumecky der Jüngere das Vergnügen, meine Meinungen über Dalmatien mit Ironie zu behandeln. Ich könnte ihm das vergelten. Ich könnte ja zum Beispiel erzählen, wie man über ihn in Dalmatien denkt; man kennt ihn dort und weiß manches von ihm. Doch handelt es sich hier weder um ihn noch um mich, nicht um Personen, sondern um die Sache, um Dalmatien. Ich kenne Dalmatien und die Dalmatiner seit Jahren, nicht bloß vom Eildampfer aus, ich liebe das Land und die Leute, sie tun mir sehr leid, und ich habe nachgedacht, ob es denn nicht möglich wäre, aus Dalmatien ein österreichisches Land zu machen. Jetzt, kommt mir vor, ist es dies keineswegs, sondern es wird von uns nur mit Waffengewalt besetzt gehalten. Und wir werden es uns, kommt mir vor, so lange nicht innerlich aneignen, als wir zu den Dalmatinern und sie zu uns kein Vertrauen haben. Nach meinen Erfahrungen zeigt aber die österreichische Verwaltung den Dalmatinern kein Vertrauen und sie verdient von ihnen keins. Mein Eindruck ist alle die Jahre her dort immer derselbe gewesen: ein armes, stilles, treues, aufrichtiges und gehorsames Volk, das sich in seiner Not gar nichts Besseres wünschen möchte, als gut österreichisch sein zu können, wird durch Unverstand, Willkür und Rechtlosigkeit gepeinigt, als sollte ihm gewaltsam sein österreichisches Gefühl ausgetrieben und es vorsätzlich zum Hochverrat gezwungen werden. Da man nun damit bisher nichts erreicht hat als Verwirrung, Argwohn und Haß im ganzen Land, wäre ich dafür, es jetzt einmal mit Vernunft, Wohlwollen und Gesetzlichkeit zu versuchen. Probeweise könnten ja, zunächst etwa bloß für ein Jahr, Vernunft, Wohlwollen und Gesetzlichkeit in Dalmatien eingeführt werden, und man könnte dann eben abwarten, was aus den Dalmatinern werde, wenn sie sich einmal wohl fühlen. Das ist meine Meinung über Dalmatien. Sie kann natürlich falsch sein. Aber es kann ja auch die Meinung des Herrn Chlumecky falsch sein. Das können wir beide nicht wissen. Wollen wir in Dalmatien darüber abstimmen lassen, wer von uns beiden recht habe? Ich bin's bereit. – Übrigens weiß ich sehr wohl, daß Dalmatien fremde Hilfe braucht, darin hat Herr Baron Chlumecky sicher recht. Ich habe nur noch nicht bemerkt, daß es sie je von Wien bekommen hätte. Weshalb ich schon voriges Jahr einmal in der Neuen Freien Presse vorschlug, Dalmatien sollte doch, da ja wir nichts dafür tun, einer Berliner G. m. b. H. übergeben werden, und erst neulich noch im Berliner Tageblatt über Dalmatien unter dem Titel schrieb: Um Berliner wird gebeten! Ich sagte da meinen Berliner Freunden: Dalmatien braucht Geld, das größte Geschäft wäre dort zu machen, Österreich unterläßt es, also macht ihr es doch! Da es am Ende ja wirklich gleich sein kann, woher Geld in das verlassene Land kommt. Wenn Herr Baron Chlumecky eins bringt, solls ebenso willkommen sein. Er will ja »kolonisieren«. Nur zu! Alles, alles soll durch ihn ins Land gebracht werden, »Kapital, Menschen, Impulse, Ideen!« Nur zu! Aber wenn er schon »alles, alles« in Dalmatien importiert, wüßte ich ihm noch etwas, was er auch mitbringen könnte: ein bißchen Gerechtigkeit, oh, einen einzigen Tropfen nur, einen einzigen kleinen Tropfen Gerechtigkeit für den ersten Anfang.«

 

Aber ich mußte dem verehrten Regierungsrat noch ein zweites Mal schreiben, nämlich folgendes: »In der Österreichischen Rundschau vom 15. März hat sich Herr von Chlumecky über mein in der Neuen Freien Presse vom 2. März erschienenes Feuilleton, »Dalmatinisches Abenteuer« ausgesprochen. Telephonisch wurde dann zwischen Ihnen und mir vereinbart, daß ich in Ihrer Zeitschrift antworten könnte. Zehn Tage, nachdem meine Antwort an Sie abgegangen war, wurde ich von Ihrer Redaktion verständigt, das Manuskript sei auf eine unbegreifliche Weise in Verlust geraten; dies mit der Bitte, eine Kopie des Manuskripts einzusenden, mit dem Bedauern, daß es nun leider für die Nummer vom 1. April zu spät sei, und mit der Versicherung, den Brief im zweiten Aprilheft abzudrucken. Dieses zweite Aprilheft ist am 9. ausgegeben worden und enthält meinen Brief nicht. Ich überlasse es Ihrem Urteil, sehr verehrter Freund, ob dies unseren journalistischen Sitten entspricht.«

Er antwortete mir: »Ich habe mir am 2. April erlaubt, Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihre Erwiderung Herrn Baron Chlumecky mitgeteilt habe und hoffentlich in der Lage sein werde, Ihnen recht bald Nachricht zu geben. Von meinem Osterausfluge zurückgekehrt finde ich sowohl ein Schreiben des Herrn Baron Chlumecky als auch Ihre werte Zuschrift vom 13. d. M. vor. Herr Baron Chlumecky schrieb mir, daß man gerne Ihre Stimme in einem sachlich begründeten Artikel, worin die Bedenken der dalmatinischen Verwaltung erörtert und Vorschläge zu deren Verbesserung gemacht werden, hören würde. Mit Ihrer Erwiderung könnte er sich nicht einverstanden erklären. Ich möchte Sie also bitten, hiervon Kenntnis zu nehmen und dem Vorschlage des Herrn Baron Chlumecky zu entsprechen. Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, daß wir Herausgeber uns in die Arbeit geteilt haben und daß der politische Teil unserer Zeitschrift in das Arbeitsgebiet des Herrn Baron Chlumecky fällt. Ich würde mich ungemein freuen, endlich einmal einen Beitrag aus Ihrer Feder für unsere Zeitschrift zu erwerben. Sie können sich auch denken, daß mir bei der besonderen Sympathie für Ihre Person diese Episode sehr unangenehm ist, und ich hoffe, daß Sie mit Rücksicht auf Ihre mir sooft bewiesene freundschaftliche Gesinnung auch diesmal entgegenkommen werden. Ich bin auch der Meinung, daß bei Vermeidung jeder Spitze der Effekt weit kräftiger und nachhältiger sein wird.«

Worauf ich dem verehrten Regierungsrat noch ein drittes Mal schrieb, nämlich so: »Es tut mir sehr weh, Sie in dieser Gesellschaft zu sehen. Ihre Redlichkeit kennend, weiß ich ja, wie schwer es Ihnen geworden sein muß, das Gebot des journalistischen Anstands zu verleugnen.«

An Nikolaus Nardelli, den Statthalter von Dalmatien, schrieb ich am 9. März:

»Sehr geehrter Herr Statthalter! Um über Dalmatien, das ich seit Jahren kenne, für einen Berliner Verleger ein kleines Buch zu schreiben, bin ich nun wieder einige Zeit dort gewesen. Dabei wurde mir in Spalato von Leuten, die durchaus mein Vertrauen haben, immer wieder ein Vorgang erzählt, der sich vor ganz kurzer Zeit abgespielt haben soll, der mir fast unglaublich vorkommt, der mir aber von allen mit einer solchen Heftigkeit beteuert wird, daß ich ihn nicht werde verschweigen können. Doch will ich nicht von ihm sprechen, ohne zuvor Ihre Äußerung eingeholt zu haben, da Sie, sehr geehrter Herr Statthalter, mir überall als ein gründlicher Kenner und der ehrlichste Freund Dalmatiens bezeichnet werden und ich für Sie, für Sie persönlich, keineswegs für Ihre Organe, die allergrößte Hochachtung hege. Erzählt wird allgemein, daß vor einigen Monaten eine allgemeine Entwaffnung angeordnet und dann in der Umgebung von Spalato bei den Bauern nach Waffen gesucht worden sei. Nun besteht das einzige Erbe dieser armen Leute in altertümlichen Gewehren, Pistolen oder Handsäbeln, die von ihren Ahnen den Türken abgenommen worden und von Geschlecht zu Geschlecht als kostbare Andenken an eine größere Zeit in den Familien aufbewahrt geblieben sind. Es ist ganz unzweifelhaft, daß solche längst unbrauchbar gewordene historische Geräte keine »Waffen« im Sinne des Gesetzes sind. Und wären sie es, so müßte doch jedenfalls der Ordnung gemäß verfahren und dem Eigentümer mitgeteilt werden, was mit den »Waffen«, die man ihm konfisziert hat, denn eigentlich geschieht, wohin sie gebracht worden und wo sie bleiben. Erzählt wird aber, daß man dies unterlassen, den Bauern ihr Eigentum einfach weggenommen und es verschleudert habe. Meine Vertrauensmänner pflegen diesen Bericht mit der Bemerkung zu schließen, daß man seitdem bei vielen Beamten und Offizieren merkwürdig reiche Sammlungen kostbarer alter dalmatinischer Waffen finde. Meine Vertrauensmänner stehen nicht an, dies als einen »amtlichen Raub« zu bezeichnen. Ich wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Statthalter, außerordentlich verbunden, wenn Sie die große Güte hätten, mich darüber mit einigen Worten aufzuklären.«

Als ich dem Hofrat Burckhard von diesen merkwürdigen »Entwaffnungen« berichtete, sagte er: »Sie dürfen nur nicht glauben, daß dies etwas Neues oder etwas besonders Dalmatinisches sei, nein, es ist gute alte österreichische Tradition.« Und er erzählte mir, wie er als Bub daheim einst ein verrostetes altes Schießgewehr fand und sein Vater, als er ihn damit spielen sah, in argen Zorn geriet, weil dieses Schießgewehr nämlich früher eine wunderschöne Flinte gewesen war, die 1849, bei der allgemeinen Entwaffnung, abgeliefert werden mußte; und als dann später die konfiszierten Waffen ihren Eigentümern zurückgegeben wurden, siehe! da hatte die kostbare Flinte sich in ein wertloses Schießgewehr verwandelt. Es gab also schon damals solche Sammler und die dalmatinische Verwaltung hält sich an ein altes Gewohnheitsrecht.

Auf meinen Brief an den Statthalter in Zara kam zunächst an mich ein Brief aus Spalato. Einer meiner Freunde dort hatte erfahren, was ich an den Statthalter geschrieben, ferner daß darauf der Statthalter bei der dortigen Bezirkshauptmannschaft angefragt, und endlich, was die Bezirkshauptmannschaft dem Statthalter geantwortet und was nun also der Statthalter mir antworten werde. Dies alles schrieb mir der Freund, und es machte mir Spaß, die Antwort des Statthalters früher zu wissen als er selbst. Ich dachte einen Moment daran ihm zu schreiben: »Sehr geehrter Herr Statthalter! Auf meinen Brief vom 9. d. M. werden Sie mir antworten, daß usw. Ich erlaube mir darauf im voraus zu erwidern, daß usw.« Aber das hätte ihn am Ende geärgert.

Der Statthalter antwortete mir am 30. März aus Zara:

»Euer Hochwohlgeboren! Wiewohl mir die von Euer Hochwohlgeboren erwähnten Gerüchte über das Verschwinden amtlich konfiszierter Waffen wenig glaubwürdig vorkamen, habe ich hierüber Erhebungen einleiten lassen, aus welchen ich entnehme, daß die letzte Entwaffnung im Bezirke Spalato im Jahre 1898 erfolgte. Die damals konfiszierten Waffen befinden sich ausnahmslos noch gegenwärtig in Verwahrung der Bezirkshauptmannschaft. Die Euer Hochwohlgeboren erteilten Informationen über ein Abhandenkommen einzelner derselben muß ich demnach als ganz unrichtig bezeichnen. Mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtung Euer Hochwohlgeboren ergebener Nardelli.«

1: »Neue Freie Presse« vom 2. März 1908.