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Dalmatinische Reise

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Ein großer alter Bauer, mit der langsamen Feierlichkeit eines Landgeistlichen und den weltblinden Augen eines Visionärs. Baumeister als Attinghausen hat diesen Blick eines Entrückten, der schon drüben ist. Ein dalmatinischer Abbé Constantin mit einem Zug ins Heroische der großen Träumer. Ein freundlicher alter Herr, den die Gicht plagt, aber wenn er dann von seiner Stadt Salona beginnt, wird er fanatisch jung. Und man spürt, daß es ein Besessener ist. Diokletian und Salona, das ist seine Welt; der Rest macht ihn ängstlich und verwirrt.

Aber auf unsere Regierung ist er noch viel schlechter zu sprechen als Smodlaka. Sie versteht nämlich auch vom Palast des Diokletian nichts. Er erzählt mir, wie er, vor Jahren schon, als er eben zum Konservator ernannt worden war, sich feierlich ins Amt begab, um dort den Palast des Diokletian als Staatseigentum anzumelden, wodurch er ihn vor barbarischen Eingriffen zu sichern glaubte. Statt nun aber dafür, wie er fest erwartete, belobt zu werden, was denken Sie, was geschah? Er steht auf und faßt mich an, er kann es noch heute nicht glauben. Was denken Sie? Das errät niemand! Was denken Sie, was geschah? Ich hätte einen Orden verdient, aber ich bekam eine Nase. Eine Nase! Und er reibt sich seine, als ob es jene wäre. Statt mir zu danken, daß ich das einzige Mittel fand, den Palast zu schützen! Aber im Finanzministerium meinte man, daß es Geld kosten könnte. Und davon wollen sie nichts wissen in Wien. Wenn ich nach Wien komme, heißt's immer: Sehr schön, sehr gut, aber wir haben kein Geld! Und wieder springt der alte Herr auf, nimmt mich an den Schultern und wiederholt, mit seiner schweren zornigen Stimme, ratlos: Kein Geld, für den Palast des Diokletian kein Geld! Und wenn ich nach Wien komme, wollen sie mich schon gar nicht mehr anhören, der Sektionschef läßt sich verleugnen und entschuldigt sich mit Geschäften, die wichtiger sind. Wichtiger als der Palast des Diokletian! Und er tippt mit seinem knöchernen Finger auf meine Schulter und sieht mich aus seinen versunkenen Augen an und wiederholt das Unbegreifliche: Wichtiger als der Palast des Diokletian!

Ich muß lachen, weil ich mir denken kann, wie seltsam, ja fast unheimlich denen in Wien der alte Schwärmer vorkommen mag. Und das Gesicht des jungen Referenten im Ministerium, als damals ein so gar nicht erwünschtes Staatseigentum »angemeldet« wurde! Und den Schrecken, den sein juristisches Gemüt bekam! Die »Nase« war ja sicherlich rechtmäßig fundiert. Denn es kommt in einem Rechtsstaat nicht darauf an, Recht zu haben, sondern die rechte Form zu finden. Einen aber, der das Rechte will, auf den rechten Weg zu bringen, ist nicht Sache des Referenten. Auch muß es denen in Wien unbegreiflich sein, wie man sich um etwas kümmern kann, das einen schließlich ja gar nichts angeht. Dem braven Bulič aber, wie Gott ihn nun einmal geschaffen hat, muß es wieder unbegreiflich sein, daß ihnen das unbegreiflich ist. So geht es in der Welt, und einer hält dann den anderen für schlecht und dumm.

Nun schildert er mir die Leiden seiner Ausgrabungen. Der Taglohn steigt, der Betrag, den man ihm in Wien ausgesetzt hat, bleibt lächerlich klein, so stockt das Werk. Und was gefunden wird, kann er nicht unterbringen. Der enge Raum des Zimmers, das einstweilen als Museum dient, ist längst überfüllt. Seitdem liegt alles in Kisten verpackt, die in Kellern warten. Er kann nicht wissenschaftlich arbeiten, weil er nichts mehr aufstellen, nichts mehr ordnen kann. Und die Miete der Keller, in denen die Kisten liegen, verringert noch den Betrag, mit dem er für sein Werk auskommen soll. Endlich ein wirkliches Museum zu bauen ist unabweislich. Dann kann endlich erst alles ausgepackt und aufgestellt werden, dann erst wird er arbeiten können, dann erst ist es möglich, junge Gelehrte herzuziehen, die ihm helfen, dann wird man die Wunder von Salona sehen, dann werden die Fremden kommen! Ein Architekt hat ihm den Plan dieses Museums entworfen. Damit ist er dann wieder einmal nach Wien gereist und hat die in Wien so bedrängt, daß sie schließlich, um ihn nur wieder los zu werden, sich nicht anders zu helfen wußten, als durch die Zusage, die Baukosten zu bewilligen, unter der Bedingung jedoch, daß die Stadt Spalato dafür aus Eigenem den Bauplatz beizustellen hätte. Sie dachten wohl, er könnte dies von der Gemeinde niemals erreichen und sie stünden dann noch als die verkannten Wohltäter da, ohne Kosten, und hätten Ruhe. Und wirklich wollte die Gemeinde zuerst nicht. Bulič aber, der selbst im Rat der Stadt sitzt, bedrohte sie so, daß endlich keiner mehr zu widersprechen wagte. Nur versuchten sie noch, sich auszureden, indem sie behaupteten, es werde ja doch nichts nützen, denn die Regierung werde nicht halten, was sie versprochen, weil sie noch nie gehalten hat, was sie versprochen hat. Aber da sprang Franz Bulič auf, und indem er drohend seine schwere Hand gegen die Zweifler hob, sprach er: »Ich habe das Wort der Regierung und so kann ich, Franz Bulič, den Ihr kennt als einen wahrhaft gesinnten Mann, der nie gelogen hat, ich kann euch schwören, daß, wenn ihr den Grund gebt, die Regierung das Geld geben wird, und wer ist unter euch, der an meinem Eide zweifelt?«

Mitten im Zimmer steht er, erzählend, mit erhobener Hand, wie wirklich vor der ganzen Gemeinde. Dann besinnen sich seine fernen Augen, kommen langsam zurück, und indem er sich wieder zu mir setzt, sagt er: So sprach ich ins Gewissen der versammelten Gemeinde, da gaben sie den Grund, aber die Regierung gab das Geld nicht, jetzt lachen sie mich aus, und ich muß mich schämen!

Natürlich ist man in Wien empört, daß die Regierung verdächtigt wird, nicht zu halten, was sie versprochen hat. Das ist auch eine Verleumdung, denn die Regierung sagt keineswegs, daß sie das Geld nicht geben wird. Sie wird es schon geben, sie läßt sich nur Zeit. In dieser Zeit aber (fünf Jahre mag es her sein) ist es geschehen, daß inzwischen in der Stadt der Arbeitslohn um etwa vierzig Prozent gestiegen ist. Wenn nun also, nachdem die Gemeinde den Grund gegeben hat, die Regierung, wie sie versprochen hat, schließlich doch einmal das Geld geben wird, das der Architekt damals gefordert hat, so wird man nun erst wieder nicht bauen können, denn das Geld reicht jetzt nicht mehr, und mehr als sie versprochen hat, wird die Regierung nicht geben, und sie kann dann noch sagen, daß man eben wieder einmal sieht, wie mit diesen Dalmatinern nichts zu machen ist, und das ausgegrabene Salona bleibt weiter in Kisten verpackt, in Keller versenkt, und kein Forscher, kein Fremder kriegt es zu sehen, und kein Forscher, kein Fremder kommt mehr, und die in Wien haben Ruhe.

Mitternacht. In der Kabine, heimwärts zu fahren. Langsam stößt das mächtige Schiff aus dem Hafen, die Lichter der frohen Stadt erblassen. Und in mir ist eine wunderbare Sicherheit: Diese Menschen hier sind stark, sie werden stärker sein als alles!

Und dann fragt es noch in mir: Warum? Warum wollen wir dieses kräftige Volk voll Zukunft nicht für uns haben? Es ist bereit, warum stoßen wir es weg?

Ich hätte manchmal weinen mögen, über unsere Dummheit. Das schönste Land mit den treuesten Menschen trägt sich uns an und wir wollen es nicht. Warum, warum?

Aber dann denke ich, daß selbst die Dummheit vergebens gegen die Götter kämpft. Die Götter sind stärker, die Macht der Entwicklung siegt. In unserer ganzen Geschichte geht es ja doch immer so, daß wir dumm sind und doch zuletzt etwas Gescheites daraus wird. Wir sind dumm gewesen und haben Deutschland führen wollen. Da sind wir aus Deutschland geworfen worden und nun bleibt uns doch nichts übrig als auf den Balkan zu gehen. Wir sind wieder dumm, wir wehren uns, wir wollen nicht. Aber wir müssen. Wenn es um das Leben geht, hört der Mensch auf, dumm zu sein. Wir müssen auf den Balkan. Wir können aber nicht auf den Balkan, wenn wir unserer Südslawen nicht sicher sind. Bosnien und die Herzegowina zu nehmen kann nur den Sinn haben, daß Österreich seine Zukunft auf dem Balkan sucht. Dazu braucht es das Vertrauen der Slawen auf dem Balkan. Diese muß es sich zu Freunden machen. Kann es sich diese zu Freunden machen, wenn es der Feind ihrer Brüder, seiner eigenen Slawen, bleibt? Sollen uns die Slawen auf dem Balkan vertrauen, so kann es nur geschehen, wenn unsere Slawen in Dalmatien und Kroatien ihnen Lust dazu machen. So lange wir hier aber wie in Feindesland hausen, wird dies die drüben nicht verlocken, sich uns anzuschließen. Wir müssen auf den Balkan, aber wir können es erst, wenn Bosnien und die Herzegowina, Dalmatien, Kroatien und Slawonien beisammen und für Österreich bereit gemacht sind.

Die Geschichte wird sicher wieder gescheiter sein als wir, mir ist gar nicht bange. Still atmet die Nacht zu den Luken herein und wiegt mich; das Wasser schlägt ans Schiff. Mich schläfert, es kreiselt durch das Hirn und ich denke noch, daß ja sicher, bis ich wieder, vielleicht im Herbst, nach Dalmatien komme, diese Verwaltung schon weggejagt und hier ein freies Volk sein wird, an Österreich gläubig, durch Österreich stark, für Österreich bereit, da die Geschichte ja noch immer gescheiter war als wir.

11

Nach Agram. – Architektonisch läßt sich nichts Österreichischeres denken als die alte Stadt Agram, oben beim Palast des Banus und rings um den Dom. Schönstes österreichisches Barock, in welchem sich der südlichen Anmut gleichsam ein bedächtiger deutscher Ernst, ein bürgerlich haushaltender Sinn auf die Schulter setzt. Häuser von einer so lieben Einfalt, stille Balkone, Fenster mit verkrausten Kranzeln sind da im Gewinkel und Gewirr verschlafener Gassen und verbogener Ecken, daß man sich die Augen reibt und verwundert fragt: Ja, bin ich denn in Salzburg oder der alten Stadt Steyr? Und unwillkürlich glaubt man, gleich wird aus einem der engen Fenster ein Wiener Hofrat seinen alten Kopf stecken, um das Land zu mustern! Tritt man dann, an dem Wohnhaus des Barons Rauch vorbei, das wie aus einem Stück von Goldoni aussieht, auf die Promenade hinaus, die nach dem Bischof Stroßmayer heißt, so breitet sich das lieblichste Tal aus, mit anmutigen Villen auf sanften Gehängen, und in der Ferne glänzt die Save weiß. In die untere Stadt zurückgekehrt, steht man vor dem Jelacic, den Fernkorn auf den großen Platz gestellt hat, hoch zu Roß und den Säbel froh gezückt, gegen Ungarn hin. Da brechen Erinnerungen auf, und man kann die Wandlungen der abwechselnden österreichischen Geschichte repetieren.

 

Ich ging dann ins Gericht, wo jetzt dieser Prozeß gegen die Serben spielt. Ich meine nämlich, daß man Menschen aus ihren Reden niemals erkennen kann, wenn man sie nicht leibhaftig vor sich gesehen hat. Die Gesichter der Menschen muß man sehen, dann bekommen ihre Reden erst den rechten Sinn. So saß ich denn und sah mir die Gesichter an, der Richter oben und der Beschuldigten. Ich erlebte dabei wieder einmal, was ich doch im Grunde für ein Theatermensch bin. Gleich waren meine Gedanken bei Reinhardt, als hätte der ein Stück zu inszenieren, und ich säße bei seiner Probe. Irgendein Stück von der Tolstoischen Art, wo denn immer, wie das schon Tolstoischen Gedanken entspricht, das Licht den Angeklagten günstiger ist als den Klägern. Aber ich würde da sicher zu Reinhardt sagen: »Das ist nun wieder recht Ihre Art mit Ihrer Vorliebe für die ganz starken Ausdrücke, durch die gleich im ersten Augenblick dem Publikum alles handgreiflich gemacht und seine Sympathie sogleich entschieden werden soll! Ich verstehe das schon, aber, lieber Max Reinhardt, übertreibt denn das Leben so? Ich dächte, so drastisch klar abgeteilt sind die Dinge doch im Leben nicht. Und mir wird angst, ob wir da nicht auf einmal wieder in der alten Komödie sind, mit den fuchsroten Bösewichtern und der schwanweißen Unschuld. Geben Sie nur acht!« Es kann aber sein, daß Max Reinhardt mehr vom Leben weiß als ich; die Dinge teilen sich da manchmal wirklich gar drastisch ab, und der Unterschied von der alten Komödie ist vielleicht nicht so groß.

Ein kahler, heller Raum. Die Luft ist trüb. Wenig Publikum. Und diese paar Leute drücken sich eng aneinander und halten sich ganz still. Sie sind scheu und regen sich nicht. Denn das Publikum wird hier sehr streng gehalten. Die Frau des Doktors Hinkovic, des Hauptverteidigers, hat neulich mit ihrer Nachbarin gesprochen, gleich hat sie fort müssen.

Im Halbrund am Fenster sitzen die Richter mit großen vorhängenden kupfrigen Gesichtern, dicken Schnauzbärten und vagen, wie verlorenen Augen, aus denen nur Gehorsam blickt. Merkwürdig ist der stets gereizte Präsident, der aussieht wie jemand, der schlecht schläft und böse Träume hat. Er hört nicht gern zu, besonders den Anwälten nicht. Lieber spricht er selbst. Er kann kaum seine nervösen Hände beherrschen; immer auf dem Sprung sitzt er da. Nimmt einer der Anwälte das Wort, so schüttelt's ihn, und er fährt los. Sie wollen immer beweisen, daß diese oder jene Handlung nicht geschehen sei; ihn aber scheint mehr die Gesinnung zu interessieren. Und er führt manche Neuerungen in den Prozeß ein; wie er z. B. den Verteidigern verboten hat, den Angeklagten, die doch noch gar nicht verurteilt sind, die Hand zu reichen. Eine gute Figur macht der Staatsanwalt. Er zeichnet sich dadurch aus, daß er Talent zu haben scheint. Noch jung, schlank, kampfbereit, agil mit seinem Zwicker hantierend und von einer fast katzenhaften Anmut der beweglichen Gebärden, weiß er seine Sache unbedenklich zu führen. Besonders geschickt ist er im Angriff, wobei ihm eine gewisse geistige Gelenkigkeit hilft, die jeden Augenblick die Stellung wechselt und, wenn ein Argument versagt hat, es sogleich mit dem Gegenteil versucht, immer wieder von einer anderen Seite her. Er hat eine geschmeidige Intelligenz, die jeden Sprung wagt, in dem sicheren Gefühl, zuletzt schon irgendwie wieder auf die Füße zu fallen. Und wenn es einmal für ihn gefährlich wird, läßt er sein Temperament schießen und will überrennen. Seine Begabung wird sichtlich vom Präsidenten gewürdigt. Der Staatsanwalt heißt Accurti, und für die angeklagten Serben soll es eine Art Trost sein, daß seine Frau von dem letzten serbischen Wojwoden Suplikac stammt.

Die Angeklagten sind Lehrer, Popen, Händler und kleine Beamte vom Land, fast durchaus ganz arme Leute. Sie sitzen ergeben da, halb ermüdet, und halb schon ein bißchen gelangweilt; und manchmal reißt einer weit die traurigen Augen auf, als müßte das alles, was er hier hört, doch nur ein einziges großes Mißverständnis sein, und dann senkt er den Kopf wieder und ergibt sich, es gelassen zu tragen, oder sein stiller Blick geht langsam im Saal herum, Menschen suchend. Seit Monaten sind sie in Haft, Monate haben sie noch vor sich. Und dann? Sie sind angeschuldigt, den Tod durch den Strang verdient zu haben. So sitzen sie halt in dem kahlen Raum mit dem trüben Licht und erwarten. Einer fällt unter ihnen auf, Adam Pribicevic, der Hauptangeklagte, mit seinem weißen, geistig zerquälten Gesicht und den großen, fernblickenden Augen. Es ist das Gesicht eines logischen Schwärmers, den viele Fragen gepeinigt haben, eines Suchenden, der sich mit der Welt nicht abfinden kann, eines Unsteten im Geiste, der alles Leid austrinken will, um die Wahrheit über das Leben zu erfahren; einen Hamlet-Zug hat es. Er und der Staatsanwalt, da sieht man vielleicht nebeneinander die beiden Enden der Menschheit. Stark scheint in ihm das Bedürfnis zu sein, ins Volk zu gehen und zu helfen. Was er zu wissen glaubt und für recht hält, will er nicht für sich behalten, sondern es soll unter die Menschen kommen, um die Leiden zu lindern. Dieses Bedürfnis haben junge Russen oft; bei uns ist es ziemlich unbekannt, weshalb es für ihn schwer sein wird, sich hier verständlich zu machen. Man sieht ihm an, daß er mit Zweifeln gerungen hat, und er macht den Eindruck, ein sehr zartes und reizbares Gewissen zu haben. Deshalb sind auch seine Antworten zuweilen von einer Art, die nicht üblich ist. In einer Verhandlung ist ihm gedroht worden, in Ketten geschlossen zu werden. Er antwortete: »Ich fürchte das nicht. Denn körperliche Qualen können mich nicht schrecken. Sie sind mir eher erwünscht, weil sie die anderen, die geistigen, betäuben und die Seele besänftigen.« Zu einer solchen Menschenart, wie sie sich in diesen Worten ausspricht, wird man hier vielleicht kein rechtes inneres Verhältnis finden, aber dies scheint er nicht zu bemerken. Er gehört wohl zu den gläubigen Seelen, die sich, wenn sie etwas für recht halten, ganz sicher fühlen, und er weiß noch nicht, wie die Menschen einander oft mißverstehen.

Die Verteidigung führt der Doktor Hinkovic. Er wird hier jetzt ebenso geschätzt als gehaßt. Mit einer gewissen großen Vereinfachung, die dann freilich im einzelnen nie völlig stimmt, kann man sagen, daß einst Kroatien zwischen Stroßmayer, dem großslawischen Schwärmer, und dem alten Starcevic, für den es auf der Welt nur Gott und die Kroaten gab, geteilt war. Wer nun in dieser Richtung des Starcevic weiter denkt, hält sich jetzt an den Doktor Josip Frank, während die Gläubigen des großen Bischofs zur serbokroatischen Koalition gekommen sind, der der Doktor Hinkovic angehört. Er ist ein unermüdlicher Verstandesmensch, der ganz genau weiß, was er will, und seine Zeit abwartet. Die Neigung, eher ein Wort zu wenig als ein Wort zuviel zu sagen, hilft ihm sehr, und es ist sein Sport, sich um keinen Preis provozieren zu lassen. Als seine Frau neulich aus dem Saal verwiesen wurde, ist er ganz still gesessen, man hat ihm nichts angesehen, und es war nichts zu machen. Seinem Kollegen, dem Serben Doktor Dusan Popovic wird dies weniger leicht, er hat ein prachtvolles Temperament, gleich schießt ihm das Blut in den ehrlichen Kopf, und er ringt insgeheim die Hände, weil er, ganz wie die Angeklagten selbst, gar nicht verstehen kann, warum man denn oft, statt Aufklärungen hinzunehmen, die ganz plausibel sind, noch nach ferneren und unwahrscheinlichen Motiven sucht.

Dann ist mir noch was Lustiges passiert, wie es schon mein Schicksal scheint, in meinem Vaterland nirgends unangefochten zu bleiben. Die Bank der Journalisten war besetzt, so luden mich die Verteidiger ein, zu ihnen zu kommen. Dies war mir erwünscht, weil sie mir ja manches erklären konnten. Auch habe ich einen Hang zu symbolischen Akten, da war es mir recht, mich an die Seite des Mitleids zu setzen. Wohl eine Stunde saß ich dort, sehend und hörend, bis dann plötzlich der Staatsanwalt in einen Zwist mit dem Doktor Popovic neben mir geriet. Da fragte der Präsident, wer denn eigentlich der neue Verteidiger da wäre, nämlich ich. Und ich verstehe ja gewiß, daß Zuschauer und Zuhörer aus dem Norden oder Westen hier jetzt nicht gerade sehr erwünscht sind oder doch sich so plazieren sollen, daß sie nichts davon verstehen. Übrigens weiß ich dem Präsidenten allen Dank, es ist mir lieber, daß er mich fortgeschickt hat, als wenn er mich am Ende dort behalten hätte.

Nachts fuhr ich heim. Die Strecke nach Steinbrück scheint die Bestimmung zu haben, die Entfernung zwischen Agram und Wien zu vergrößern. Der Zug war mit Auswanderern voll. Bauern vom kroatischen Land, nach Amerika getrieben, ein paar hundert. Ächzend schob der Zug sich in die schwarze Nacht hinein. An den Stationen, im Dunkel, ihre Mütter, Weiber und Kinder, mit den Schürzen winkend, in die Hände weinend. Der ächzende Zug aber unerbittlich fort in die schwarze Nacht. In der Ferne verhallt das Wimmern. Und die Bauern schreien, gewaltsam: Nach Amerika!

12

Als Epilog noch einiges, was die Fahrt ergab.

Von Ragusa schrieb ich an das Berliner Tageblatt um Hilfe:

Um Berliner wird gebeten.

Nämlich in Dalmatien.

Ich war jetzt wieder unten. Und überall dieselbe Klage, noch immer: Wir haben keine Fremden! Und überall derselbe Wunsch, wieder: Ja, wenn wir Berliner hätten! Allen ist es ausgemacht: Nur Fremdenindustrie kann uns retten. Oder wie sie's gern sagen: Nur als Adriatische Schweiz können wir leben. Und dürfen wir es nicht ansprechen? Wird nicht die Landschaft der Bocche, mit den weißen Bergen am blauen Golf, nordischen Fjorden verglichen? Lockt Lakromas verwunschener Hain nicht weicher als Korfu? Haben wir in Salona, kaum eine halbe Stunde von Diokletians verwittertem Palast, nicht unser Pompeji? Nicht die ganze Küste von Arbe bis nach Ragusa hinab Reste der venezianischen Herrlichkeit, mit einer Kraft im Zierlichen, einer Unschuld im Prächtigen, einem Frühling in der Anmut hier, die daheim, in der Sicherheit des eigenen Landes, längst zum Buhlerischen, Üppigen, Prahlerischen entartet? Und dazu das Gewimmel serbischer, albanischer, türkischer Trachten, in durchsonnten Farben! Und auf dem angestammten Stolz ungebrochener Leidenschaften liegt der bronzene Glanz der slawischen Wehmut! Uralte Sitten, aus griechischer Zeit noch, walten im Land, der Orient greift herein, aber schon wühlen westliche Gedanken, Hoffnungen aus dem Norden das Volk auf; und dies alles wird von dem ahnungslosen österreichischen Militär bewacht! Galizien und Castilien und der Peloponnes ist hier, aber in die Jugend bläst ein Alarm von Amerikanismus, Jugend dehnt sich, Jugend streckt die kühnen Arme, während von den Forts der Radetzky-Marsch klingt! Wo gibt es das noch, extremen Osten und Westen, Süd und Nord, Urzeit und Zukunft so beisammen? Hier könnt ihr ein totes Land sehen! Und hier könnt ihr ein Land erwachen sehen! Es ist ein ganz einziger Augenblick. Und hier könnt ihr den Orient begreifen, in seiner stillen Heiligkeit, und den österreichischen Bezirkshauptmann, in seiner lauten Albernheit! Aber sachte gleiten diese neuen großen, schönen Dampfer des Lloyd durch die glitzernde See, weiße Möwen ziehen mit. Möwen, aber keine Fremden. Warum kommen keine Fremden? Warum kommen die Berliner nicht? In zwei Tagen kann man von Berlin in Triest, in vierundzwanzig Stunden von Triest in Ragusa sein. Warum kommen die Berliner nicht? So hat man mich überall gefragt.

Es gibt drei Gattungen von Berlinern, die im Winter reisen. Erstens die reichen Berliner. Sie gehen nach Schierke oder nach Kitzbühel oder auf den Semmering. Dann die sehr reichen Berliner. Sie gehen nach Sankt Moritz. Endlich die ganz reichen Berliner. Die gehen an die Riviera oder an den Nil. Den Dalmatinern wäre jede der drei Gattungen recht. Warum kommt keine?

Ich habe den Dalmatinern auf ihre Fragen gesagt, daß wahrscheinlich deswegen kein Berliner nach Dalmatien kommt, weil noch kein Berliner nach Dalmatien gekommen ist. Ich meine damit nicht bloß, daß der Berliner wenig Neigung hat, einen Ort aufzusuchen, wenn er nicht sicher ist, dort schon einen anderen Berliner vorzufinden. Er geht dorthin, wohin »man« geht. Er gehört nicht zu den Entdeckern im Reisen. Dies überläßt er den Engländern, deren Stolz es ist, die ersten zu sein und ein Land sozusagen zu deflorieren. Aber ich meine damit auch noch, daß hier erst einmal ein paar Jahre lang Berliner gehaust haben müßten, um Dalmatien für Fremde einzurichten. Denn wenn der Berliner auch kein Entdecker im Reisen ist, so gleicht er doch dem Engländer darin, daß er als Reisender produktiv ist, indem er seine Gewohnheiten, Sitten und Ansprüche in das Land mitnimmt und hier unterbringt. Dies aber ist es, was wir hier brauchen, um Dalmatien erst für Europäer wohnlich zu machen; und die Kraft dazu fehlt den Ungarn und den Wienern ganz, den einzigen Gästen, die Dalmatien bisher hat. Nachdem man der österreichischen Regierung zwanzig Jahre lang vorgesagt hat, es könne doch auf die Dauer nicht genügen, dieses Land immer noch bloß militärisch besetzt zu halten, sondern sie müsse nun doch auch einmal mit einer Art Verwaltung beginnen, es müsse für das Land irgend etwas einem Regieren Ähnliches geschehen, und das Nächste sei, Fremde herzubringen, fängt sie jetzt langsam mit Erstaunen an, dies einzusehen, glaubt nun aber alles getan, wenn sie den Lloyd verhält, diese beiden neuen schönen großen Dampfer auszurüsten, den »Baron Gautsch« und den »Prinzen Hohenlohe« (im Ministerium gilt es nämlich für die Hauptaufgabe unserer Schiffahrt, eine Art Walhalla der großen österreichischen Politiker zu sein), und wundert sich baß, daß diese behaglichen Schiffe mit ihren liebenswürdigen Kapitänen dreimal wöchentlich leer sind. Achthundert hätten Platz, meistens sinds keine Zwanzig: ein paar Offiziere, nach Cattaro versetzt, ein paar Offiziersfrauen, die ihre Männer auf vierzehn Tage besuchen, und die paar Ungarn und Wiener, die eine Woche im Hotel Imperial in Ragusa verbringen wollen, um einen Schnupfen loszuwerden. Läßt sich ein solcher einmal verlocken, auch nach einer anderen Stadt oder gar nach einer der Inseln zu gehen, so kommt er eilends zurück, entsetzt, zerstochen und halb verhungert. Er ändert aber nichts. Denn Ungarn und Wiener sind als Reisende ganz unproduktiv. Der Engländer, der ein produktiver Reisender ist, sagt: Nein, das ist kein Bett, das ist kein Essen, das ist kein Waschtisch, sondern das Bett muß so sein, das Essen so, der Waschtisch so, vorwärts! und außerdem will ich noch folgendes! Der Engländer weiß genau, was er will, zeigt es und läßt nicht ab, bis er es durchgesetzt hat. Der Ungar schimpft, reist ab und schließt daraus, daß Dalmatien ungarisch werden müsse. Der Wiener verdirbt sich den Magen, aber gern, weil ihm das wieder einmal beweist, daß es nur eine Kaiserstadt gibt. Und so zeigt niemand diesen höchst willigen Leuten hier, was der Fremde braucht. Sie sind bereit, man muß es ihnen nur sagen, denn sie wissen es nicht, man muß sie nur erziehen. Weshalb ich wiederhole: Um Berliner wird gebeten! Denn der Berliner nimmt seine Sitten, seinen Geschmack, seine Gewohnheiten auf Reisen mit und weiß sie überall mit Entschiedenheit zu installieren. Beliebt macht er sich dadurch wenig, was ja wohl auch kaum sein eigentlicher Ehrgeiz ist. Aber man weiß: wo Berliner einmal einige Zeit waren, da kann man getrost hin. Es gibt unter den Deutschen keinen anderen Stamm, der so sehr die Kraft hat, zu kolonisieren.

 

Um Berliner wird gebeten. Noch aus einem dritten Grunde. Wo nämlich ein Berliner hinkommt, entsteht eine G. m. b. H. Jedes Gespräch in Dalmatien aber schließt damit, daß man überall eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht nötig hätte. Mit Wienern geht das nun leider nicht, weil der Wiener seinen ganz eigenen Begriff von Geschäften hat. Ein Geschäft, meint er, ist, was nachweisbar acht Prozent trägt, aber pupillarsicher. Der Berliner weiß, daß man bei einem Geschäft auch verlieren kann. Der Wiener sagt: Dann kaufe ich mir lieber gleich ein Los. Als Argument führt er dafür an: Wenn schon, denn schon! Und so geschieht's, daß man in Istrien und Dalmatien, die ganze Küste hinab, alle zwei Stunden an ein Geschäft kommt, das bereit steht, für das aber kein Geld zum Betrieb zu finden ist. Bei den Leuten hier nicht, denn sie sind bettelarm. Bei der Regierung nicht, die sie mit Flausen betrügt; auch ist sie der Ansicht, Brücken oder Straßen nicht nach der Notwendigkeit, sondern nach dem Servilismus der Ortschaft zu vergeben: Wählt klerikal, dann kriegt ihr die Eisenbahn! Und ein alter Grundsatz bei uns ist: daß man, um Zement machen zu dürfen, erst eine patriotische Gesinnung nachweisen muß. Was nun die guten Kroaten noch nicht begreifen wollen; sie sind erst hundert Jahre lang österreichisch. Sehen sie sich nun aber sonst nach Geld um, so tritt ihnen die Wiener Forderung der sicheren acht Prozent in den Weg. Und so bleiben die Geschäfte stehen und warten. Mir ist es eine Qual, hier zu reisen, mit den wartenden Millionen am Ufer. Da ist Opcina, oberhalb von Triest, die seligste Höhe, die ich weiß, im Schutz der Berge, mit dem Blick übers Meer, auf Miramar und Grignano, bis zu den Lagunen des weißen Grado hin, Alpenmacht und Meerespracht in der düsteren Einsamkeit des Karst; lind lächelt die Luft, die Welle tanzt, Segel leuchten, Möwen blinken, die Erde hat kein helleres Glück, und da steht ein elendes, lächerliches Wirtshaus zwischen drei verschlafenen Villen. Und so geht's die ganze Küste hinab, aus einem Entzücken ins andere, aus einem Elend ins andere. Dort ragt der Monte Maggiore, aber die Bahn wird nicht gebaut. Noch immer ist Triest mit Abbazia durch kein Automobil verbunden, sie bringen die fünfzigtausend Kronen nicht auf. Dort ist Medolino, der schönste Hafen, den wir haben könnten. Gewiß, sagt die Regierung, gewiß! Drüben ist Arbe, unser Venedig, hier winkt das Eiland Sansego! Schade, sagt die Regierung, daß hier keine Fremden sind! Man kann aber hier nicht wohnen, kriegt nichts zu essen und hat kein Bad. Und dann gar, zwischen Trau und Spalato, der Märchenweg der sieben Kastelle, unsere Corniche! Man kann aber nirgends wohnen, kriegt nichts zu essen und kann nicht baden. Und die Halbinsel Lapad bei Gravosa mit den uralten Zypressen! Und San Giacomo bei Ragusa mit den schiefen Agaven! Unheimlich ist es, wenn man so zwei Tage lang immer an Millionen vorbeifährt! Überall winken die reifen Millionen am Ufer und warten und scheinen die Hände zu ringen, zwischen den schwarzen Pinien und den silbernen Ölbäumen: Fremdling, heb' mich doch auf, nimm mich doch mit! Aber der Wiener sagt: Das ist mir ein unsichere Geschichte, mit solchen Millionen; wenn man Pech hat, tragen sie einem fünf, sechs Jahre lang nichts!

Um Berliner wird gebeten! Ich habe mir auf dieser ganzen Fahrt, an den flehenden Millionen vorbei, nur in einem fort gedacht, wie ich's denn bloß machen könnte, daß einmal zehn Berliner mit mir nach Dalmatien kämen. Freche, hämische, Skat spielende Berliner; Berliner, die mir schnoddrig den schönsten Sonnenuntergang verwitzelten: Berliner, die mir vor dem Rektorenpalast der Ragusaner jüdische Anekdoten erzählten; Berliner, die auf Lakroma, während aus dunklem Busch der Faun hinter der Nymphe her über den gelben Fels springt, Sehnsucht nach dem Ball der bösen Buben hätten. Ich will alles ertragen. Denn ich weiß, daß mich am zweiten Tag doch einer mit seiner zottigen Hand auf die Schulter schlagen wird, um mir zu sagen: Machen wir! Und nichts braucht Dalmatien als so einen mit einer großen dicken schwarzen Importe in der rauhen Hand, der es »macht«. Um Berliner wird gebeten!

Sagt aber doch ja nicht, ihr Herren, daß dies ein guter Spaß sei, sondern merkt lieber auf, ob denn keiner hört, wie weh mir dabei ist.