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Dalmatinische Reise

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9

Ich hätte so gern den Milan Begovič kennen gelernt, den die Dalmatiner ihren d'Annunzio nennen. Aber er ist fort. Vor ein paar Tagen erst ist er nach Hamburg abgereist, zum Baron Berger, bei dem er Regie lernen will. Auch wieder ein Beispiel der slawischen Gier, deutschen Geist und deutsche Kunst und unser ganzes Wesen einzusaugen, die mich an den jungen Tschechen so freut. Mein Freund Kvapil, der Dramaturg des böhmischen Landestheaters in Prag, kommt jeden Augenblick nach Berlin, mit einer wahren Todesangst, nur ja nichts zu versäumen, was draußen vorgeht; alles wollen sie wissen, alles haben, und sie glauben es ihrer Nation schuldig, ihr alles zu bringen, was sich nur an neuen Gedanken, Wünschen oder Versuchen irgendwo zeigt. Während in den österreichischen Deutschen eine Neigung ist, hochmütig gegen das Neue sich im Alten zu beruhigen, als ob sie nichts mehr nötig hätten. Hält bei diesen der Dünkel, bei jenen die Gier an, so kann es geschehen, daß in Österreich die neue deutsche Kultur nur noch bei Slawen zu finden sein wird. Wer unsere Deutschen aber warnt, macht sich verdächtig, in dem großen Kampf um den Nachtwächter lau zu sein.

Auf Gundulič folgten noch zwei Dichter, Gjon Palmotic und Ignjat Gjorgjic. Dann war es still. Hundert Jahre lang. Gjorgjic starb 1737. Und 1830 begann der Illyrismus, unter den Slowenen und Kroaten. Ljudevit Gaj, der Steirer Stanko Vraz, Miklosichs Freund, und Ivan Mazuranic, Peter Preradovič, der aus einem General eine Art von slawischem Wotan wurde, und August Senoa sind die Hauptnamen dieser Romantik. 1900 aber erschien in Agram ein Buch, das schlug einen Ton an, den man noch nicht vernommen hatte; seitdem gibt es eine kroatische Moderne. Es war einer Marchesa Zoë Boccadoro gewidmet und nannte sich nach ihr Knjiga Boccadoro, das Buch Boccadoro. Sein Dichter hieß Milan Begovič, war damals vierundzwanzig Jahre alt und dem Studium der romanischen und slawischen Sprachen ergeben. Er hat dann die Locandiera, das goldene Vließ und die Gespenster übersetzt, ein Drama Myrrha, ein Lustspiel Venus victrix, ein historisches Schauspiel Marya Walewska und eine seltsame Dichtung, die im russisch-japanischen Krieg spielt, Das Leben für den Zaren, verfaßt. Die Pracht seiner kunstreichen Sprache wird gerühmt. Seiner Myrrha hat er das Motto vorgesetzt: »Alles für Liebe und Schönheit, Myrrha! Laß dich die Gesetze der Menschen nicht kümmern: sie sind ungerecht, unnütz und selbstisch, sie sind vergänglich. Schönheit und Liebe sind ewig; dies nur ist Verbrechen: ihrem Rufe nicht folgen.« (Ich habe meine Kenntnisse von Murko und unserem Otto Hauser; dieser hat auch seine Venus victrix übersetzt.)

Nach Trau. Immer links das Meer, rechts die kahlen steilen Wände. Das ist der Weg der sieben Kastelle. Warsberg hat recht: »Auch wer das Schönste von Italien und Südfrankreich gesehen, wird hier noch Freude erleben.« Nur der Einwohner erlebt keine.

Rings um Spalato besteht noch das Kolonat. Allgemeines gleiches Wahlrecht und dazu das Kolonat. Ein Haus, ein Feld mit Wein und Ölbäumen wird vom Eigentümer dem Kolonen übergeben, der es bestellt und dem Herrn einen Teil des Ertrages abzuliefern hat. Ein Minimum ist bestimmt. Kann er es nicht leisten, weil etwa der Hagel die Frucht zerschlagen hat, so muß er Geld dafür geben, er hat für den Hagel Strafe zu zahlen. Wenn auf den Feldern des Herrn Arbeit notwendig ist, besorgt sie der Kolone; der Herr bestimmt den Lohn dafür. Sie rechnen, daß ein Viertel, bisweilen ein Drittel ihrer Arbeit im Jahre dem Herrn gehört; und von dem, was der Rest ihnen trägt, haben sie dann erst noch jenen Teil an den Herrn abzuführen. Jede Gefahr trifft den Kolonen; bricht Feuer aus, so haftet er für den Schaden. Das Werkzeug stellt der Kolone. Das Vieh auch. Den Dünger auch (den aber, bevor er ihn verwenden darf, der Herr prüft, ob er gut sei). Meliorationen dürfen ohne Zustimmung des Herrn nicht geschehen; die Kosten trägt der Kolone. Früher konnte der Herr den Vertrag nach Belieben lösen; jetzt ist meistens eine Frist zur Aufkündigung gesetzt. Ein Tagelöhner hat seinen Lohn sicher, der Kolone nichts. Alles Risiko trifft sonst den Herrn, hier trifft es den Knecht. Es ist ein System, das dem Eigentümer unter allen Umständen gegen alle Gefahren einen Ertrag sichert und alle Sorgen des Eigentums auf den Arbeiter wälzt, der ohne Lohn dient, jeden Schaden, keinen Nutzen hat, in schlechten Jahren sich verschulden muß, um den Herrn zu bezahlen, jeden Tag davongejagt werden kann, aber das Gefühl hat, ein freier Mann zu sein, da doch in Österreich die Robot durch das kaiserliche Patent vom vierten März 1849 aufgehoben worden ist.

Heinrich Friedjung erzählt: »In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vernachlässigte das ungarische Königtum seine sozialen Pflichten, während der magyarische Adel sich in einer ruhmvollen politischen Blütezeit zum klaren Verständnisse seiner Aufgaben aufschwang. Baron Eötvös widmete der Schilderung der überlebten Verhältnisse im ungarischen Komitatsleben den besten seiner Romane: »Der Dorfnotär«, und niemand stand feuriger und beredter als Kossuth für die Befreiung des Landvolks ein. So gelang es ihm, der Abgott des Bauers zu werden und darauf sein Volk zum Kampfe gegen das Haus Habsburg mit fortzureißen.« Wenn nun ein dalmatinischer Kossuth aufstünde? Wozu haben wir eigentlich unsere schmerzlichen ungarischen und italienischen Erfahrungen, wenn wir noch immer aus ihnen nichts lernen?

Dann kommt aber der strebsame Mensch der Verwaltung, Austriacus insapiens, und sagt: »Ich bitt' Sie, mit den Dalmatinern ist nichts zu machen, sie sind indolent! Sehen Sie sich doch nur den Boden an! Die schlechteste Wirtschaft, keine Maschinen und keine Spur eines neuen Betriebs!« Wie soll der Kolone Maschinen kaufen, wenn er riskiert, daß ihn sein Herr vertreibt, bevor noch ihr Preis getilgt ist? Woher nimmt er das Geld, da doch unsere Verwaltung keine Sparkassen im Lande will? Was kann er von neuen Betrieben wissen, da doch unsere Verwaltung keine Schulen will? (Neunzig Prozent Analphabeten, hat der Doktor Tartaglia gestern erzählt.) Denn der strebsame Mensch der Verwaltung mag Sparkassen und Schulen nicht, Sparkassen bringen Geld ins Land, Schulen Bildung und wenn es erst Geld und Bildung hat, haben wir die Revolution! Was natürlich ein Unsinn ist, denn wer was zu verlieren hat, macht keine Revolution. Und nichts ist dümmer als die Meinung unserer Verwaltung, Notwendiges lasse sich durch Gewalt verhindern. Als wenn er das jetzige Dalmatien gekannt hätte, hat Goethe einmal gesagt, er sei vollkommen überzeugt, »daß irgendeine große Revolution nie Schuld des Volkes ist, sondern der Regierung. Revolutionen sind ganz unmöglich, sobald die Regierungen fortwährend gerecht und fortwährend wach sind, so daß sie ihnen durch zeitgemäße Verbesserungen entgegenkommen und sich nicht so lange sträuben, bis das Notwendige von unten her erzwungen wird. Ist aber ein wirkliches Bedürfnis zu einer großen Reform in einem Volke vorhanden, so ist Gott mit ihm und sie gelingt.« Aber wer in der Statthalterei kennt Goethe?

(Über das Kolonat hat der Wiener Professor Hofrat Doktor von Schullern zu Schrattenhofen im Auftrag des Ackerbauministeriums geschrieben.)

Dies ist sicher der schönste Weg, den wir in Österreich haben. Die wilde Macht der jähen Felsen, die sanfte Schönheit des breiten Kanals, der nur östlich einen ganz schmalen Pfad ins Meer hinaus hat, die ruhigen Züge der Weingärten und Ölwälder, die Stille der Dörfer, die Klarheit der Luft, in der alles so groß, ganz nahe, ja wie verewigt scheint, die Schwermut langer Mauern, alter Türme, verschlossener Häuser aus grauem Stein, die Lust des schallenden weißen Blühens, die seltsamen Erektionen der Agaven, die, schief von ziehender Sehnsucht, ihre langen Stengel zum Himmel strecken, der silbrige Staub der Straße, das Leuchten überall zwischen der gelben Wand des Bergs und der blauen des Meers, dies hat zusammen solche Größe mit solcher Lieblichkeit zugleich, daß man nur immer ins Unbegreifliche schaut und schaut und schaut. Diese Straße könnte das ganze Land ernähren. Überall fordert sie zu Villen, Schlössern am Meer und Capanen auf. Hier könnte, Sommer und Winter, Europa sein. Hier sind ein paar arme Dörfer.

Manchmal aber bewaffnet sich der strebsame Mensch der Verwaltung noch mit einem Ästheten, der findet, daß es auch schad wäre, den malerischen Reiz des Verfalls zu zerstören. Denken Sie sich hier Amerikanerinnen und Berliner, die ganze Stimmung wäre weg! Wie malerisch aber ist das Elend! Es regt zu melancholischen Betrachtungen, manchen sogar zu Gedichten an. Hüten wir uns, dieser einzigen Stimmung ihre Patina zu nehmen! – Wie man ja auch in Wien die Forderungen des Verkehrs durch ästhetische Bedenken hemmt, plötzlich um irgendein liebes altes Haus besorgt, das im Wege steht; und lieber soll die Stadt ersticken! In der Not, wenn es gilt, Leben zu verhindern, werden sie sogar Ästheten. Denn es wäre bequemer, aus Österreich ein Museum zu machen.

Trau, der Insel Bua gegenüber, auf die man über eine Drehbrücke kommt, ist noch ganz venezianisch, überall sitzt der Löwe noch. Der berühmte Dom, im dreizehnten Jahrhundert, nachdem die Sarazenen den alten zerstört hatten, begonnen, 1600 ausgebaut, hat ein wunderschönes romanisches Portal. Man wird dann in eine Kapelle geführt, hier ist das Grabmal des heiligen Johann Orsini, des ersten Bischofs von Trau. Die Wappen der Bischöfe werden gezeigt, ein kostbarer Schrein, Meßgewänder und Missalen. In Vergangenheiten geht man so herum, und tritt man dann wieder auf den Markt in die Sonne hinaus, ist wieder Vergangenheit überall, und mir ist ganz, wie wenn ich bei Reinhardt oft in der aufgestellten Stadt Verona spazieren ging, während sie leise gedreht wurde; nur die Beleuchtung ist hier besser, ich ziehe die Sonne Homers doch der des Herrn Knina vor. Halb macht es mir Spaß, halb mich ängstlich, Menschen so gleichsam auf einer Bühne wohnen zu sehen. Und nun, da heute ja Fastnacht ist, geschieht es noch, daß auf der Riva vermummte Männer mit Hörnern und langen roten Nasen, verlarvte Frauen mit Mantillen in der Sonne springen. Und in Lumpen liegen alte Bettler und wärmen sich. Gespenstisch ist alles, am blauen Meer in der lieben Sonne.

 

Und da kommt mir plötzlich alles unsäglich albern vor, was wir in den großen Städten tun. In den großen Städten werden die Gedanken gemacht. Menschen sitzen und suchen, bis wieder ein neuer Gedanke gefunden ist. Den legt jeder dann in ein Buch, da wird er aufbewahrt und bleibt eingesperrt. Draußen aber, überall, strecken sich die Hände vergeblich aus! Wie ein Dieb komme ich mir vor. Darf ich mir eine Wahrheit behalten, für mich allein, statt ihre Kraft ohnmächtig verlangenden Menschen zu geben? Dies alles, was ich weiß, was mich stärkt, was mein Trost und meine Sicherheit ist, wovon ich lebe, wodurch ich bin, anderen versagen? Selber reich sein und andere darben lassen, im neidischen Hochmut des Wissenden? Und es reißt mich, in die Loggia hier zu treten und zu rufen, bis aus allen schwarzen Gassen und von der Insel her auf dem hellen Markt um mich alle versammelt wären, und der horchenden Schar zu sagen, was ich weiß, von der Entstehung der Welt und der Abstammung des Menschen und wie jedes Gestein und jedes Gewächs und jedes Getier uns Bruder und Schwester ist, bis alles Leid von den Lauschenden fällt und die Lust des Erkennens in einen einzigen ungeheuren Schrei der Freiheit ausbricht. Aber man ist feig. Auch käme doch sicher gleich ein Gendarm.

Kultur, von der soviel die Rede ist, hätten wir dann erst, wenn, was irgendeiner zu seinem Trost gefunden und erkannt hat, allen zugesprochen würde. Wir aber vergraben unsere Gedanken, wie geizige Bauern die Taler im Strumpf. So liegen sie dann unverzinst. Aber nicht bloß, daß sie nichts tragen, sondern sie gehen ein, trocknen aus und fallen ab. Vielleicht ist keine Zeit noch reicher an Gedanken gewesen als unsere; weil aber keiner in der Erde der Menschheit Wurzeln schlägt, bleibt sie bettelarm.

Der Prasser, der vor seiner Türe verhungern und erfrieren läßt, scheint mir nicht verächtlicher als wer irgend etwas weiß, ohne die Kraft und den Mut dieses Wissens den Schwachen und Ängstlichen zu geben. Und bis zu körperlichen Schmerzen quält es mich oft, daß wir mit unseren höchsten Erkenntnissen unnütz sind, weil von den Wissenschaften und den Künsten kein Weg ins Volk ist. Wir sagen stolz: die Zeit Darwins, Wagners, Ibsens! Aber war es denn ihre Zeit? Sie waren in dieser Zeit. Es ist mir unerträglich, zu denken, daß die Menschen in dieser alten venezianischen Stadt hier nie den Tristan gehört haben. Der Grund gehört den Herren, das Geld gehört den Herren, und die Wahrheit auch und die Schönheit auch. Auch zur Wahrheit und zur Schönheit ist den Armen der Eintritt verboten. Wer nichts zu essen hat, soll auch nichts zu denken, nichts zu fühlen haben. Und der Denker, der Künstler, statt der Herr der Menschheit zu sein, ist ein Knecht der reichen Leute. Und ist es zufrieden! Ich schäme mich manchmal so, daß ich auf und davon möchte, hinaus ins weite Land und zu Menschen, den wirklichen Menschen, und ein Wanderer im Volk werden, weil es doch mehr ist, einem einzigen Menschen zu helfen, als einsam in verwegenen Gedanken und erlauchten Stimmungen zu schwelgen, und weil doch nur der das Leben erst genießt, der überall auf seinen Wegen Freude hinter sich läßt.

Eine Stunde von Spalato liegt ein altes Schloß in Trümmern. Es gehört einem reichen Grafen, der es zerfallen läßt. Selten sieht man ihn in den Gassen der Stadt, meistens hütet er das Bett. Nur wenn eine italienische Truppe kommt, taucht er auf, ladet alle Sängerinnen und Tänzerinnen ein und unterhält sich mit ihnen so lange, bis ihn der Schlag trifft. Dann legt er sich wieder ins Bett, bis wieder eine Truppe kommt. Draußen aber zerfällt sein altes Schloß. Er hat keine Freude daran. Doch gehört es ihm, er gibt es nicht her, so kann es auch keinem anderen Freude machen. Das ist ein Gleichnis unserer Verwaltung in diesem Lande. Sie hat keine Freude daran. Aber sie verhindert es, anderen Freude zu machen.

Nun ist die Fastnacht da. Masken drängen durch die Stadt, Augen glühen, Späße taumeln. In dem Saal des Hotels Troccoli staut sich die Menge. Eng sind die Tische zusammengerückt; wer keinen Stuhl mehr gefunden hat, steht, die schwitzenden Kellner können kaum durch; Militärmusik und Coriandoli. Anfangs gehts noch ganz sittsam zu, die Mädchen verwahren ihre Blicke noch. Diese Kroatinnen sind am hübschesten zwischen fünfzehn und zwanzig, wenn in ganz kindliche Züge plötzlich das heiße Blut schießt; sie kokettieren schon allerliebst, aber mit einer schuldlosen Heiterkeit, die dann bei den Frauen bald einem entschlossenen Ernst der Leidenschaft weicht. Dieser Liebesernst macht den ganz eigenen Reiz kroatischer Schönheiten aus; in ihren Mienen steht, daß sie mit allem anderen spielen, aber die Liebe das Herz ihres Lebens ist. (Ich habe das Gefühl, daß sie so sind, wie Stendhal die Italienerinnen gesehen hat, die mir neben ihnen so vorkommen wie ihm neben den Italienerinnen die Französinnen.)

Oben, ganz am Ende des Saals, ist ein langer Tisch, da sitzen die Offiziere. Es ist aber, als säßen sie hinter einer unsichtbaren Mauer. Niemals springt die Lust bis an ihren langen Tisch, selbst die Coriandolis scheinen Respekt zu haben. Die Herren Offiziere sind ganz unter sich. – Auch auf der Gasse fällt das auf. Man sieht sie nie mit Zivilisten. Sie klagen, es sei ganz unmöglich für den Offizier, in die kroatische Gesellschaft zu kommen, und wenn einmal einer zufällig einer kroatischen Dame vorgestellt worden sei, drehe sie bei der nächsten Begegnung den Kopf weg, um nur seinen Gruß nicht erwidern zu müssen. Sie ziehen es deshalb vor, sich abzusondern und abseits zu bleiben. Man erinnert sich wieder unserer lombardischen Erlebnisse. Ich schlage vor, ein Gesetz zu machen, wonach der Staat jedem Offizier, der eine Kroatin zur Frau gewinnt, die Kaution stellt und jedes Kind erzieht, das ein Offizier, ehelich oder nicht, mit einer Kroatin hat, und dann die Deutschmeister oder das Linzer Regiment hinzuschicken. Da man doch immer von innerer Kolonisation spricht.

Immer enger drängt sich das Gewühl in dem dampfenden Saal, die Freude siedet, Mädchen raffen die Coriandolis von den Tischen zusammen, ballen sie, kneten sie, springen auf die Stühle und schleudern die großen Kugeln, weiße Zähne blitzen und die schwarzen Augen jauchzen, ein Stampfen ist, in den Rauch der Zigaretten fließt der Dunst verwelkender Blumen und erregter Frauen, Gelächter und Trompeten schallen, plötzlich tauchen ungeheure Schädel auf, die Menge rast, die Schädel wanken durch den Saal, es sind meine Maler von gestern, die mich so pariserisch angeheimelt haben, mit gewaltigen künstlichen Köpfen, Karrikaturen städtischer Berühmtheiten. Und nun ist alles nur noch ein einziger Knäuel tosenden Entzückens.

(Diese jungen Maler geben auch eine sehr witzige Zeitschrift heraus, Duje Balavac; sie heißen Emanuel Vidovič, Angelo Uvodič, Virgilius Meneghetto, Anton Katundrič.)

Dann noch ins Café nebenan. Ich sehe durch das Fenster auf die venezianische Loggia. Vom Platz schallt slawischer Gesang. Masken dringen ein und necken die Frauen. Die ganze Stadt des Diokletian hallt von Lust und Gier. Und in der Luft ist das Zittern einer wild verlangenden ungebändigten Kraft.

10

Zu Josip Smodlaka.

Mit Smodlaka ging's mir wie mit dem heiligen Biagio. Den trifft man überall, wo man immer in Ragusa geht. Über jedem Tor steht er, aus jeder Nische schaut er, jede Mauer trägt sein Bild. Immer scheint es ein anderer Heiliger zu sein: bald ein zierliches Männchen, zwischen korinthischen Säulchen, den Bart ganz lang und spitz, die Mütze ganz lang und spitz, den Finger der warnenden und drohenden Hand ganz lang und spitz, so blickt er von der Porta Pile aus dem gelben Stein in den grauen Zwinger, dem lieben Nikolo bei uns zu Haus gleich; bald wieder seltsam feierlich, kindlich stilisiert, ein Sarastro aus Lebzelt, wunderbar hager und steif gehalten, in der rechten Hand das Modell der Stadt, die linke mit einem schmalen Hirtenstab, so hält er im Hafen die Wacht; bald wieder, wie über dem Fenster der alten Dogana, in der anmutigsten venezianischen Nische, ein rechter Kinderschreck und böser Gnom mit einem Umhängbart und fetten kleinen Fäusten, einem ganz kurzen, plumpen, atemlosen Rumpf und den winzigsten zittrigsten Beinchen. Und immer ist's doch derselbe: der Heilige der Stadt, dem auch die schöne Barockkirche am Stradone gehört. Er hat die Stadt in seiner Hut, jeder vertraut sich ihm an; und so geschieht's, daß jeder sich nach der eigenen Not sein Bild von ihm macht. Wie von Smodlaka. Der steht jetzt auch überall in Dalmatien. Wovon man immer mit den Leuten zu reden beginnt, um ihre Sorgen, ihre Hoffnungen, ihre Wünsche zu hören, zuletzt wird plötzlich sein Name laut. Sie klagen, sie sind bettelarm, niemand will ihnen helfen. Sagt man ihnen, es sei doch in Wien mancher gute Wille für ihre Not bereit, so verschleiern sich die mandelförmigen samtenen Augen, argwöhnisch stockt das Gespräch, dunkel wird es. Aber plötzlich lacht dann einer und sagt: »Wir werden Wien nicht brauchen, nein, wir haben ja jetzt den Smodlaka!« Und gleich ist es hell. So viel Sonne bringt ihnen der bloße Name. Oder man spricht von alten Zeiten, unter den Venezianern, unter den Türken, als der Dalmatiner noch mitten im Sturm der Geschichte stand; und die gelben Wangen röten sich, die leisen dunklen weichen Stimmen springen auf, bis einer traurig sagt: Es war einmal! Und aller Glanz ist plötzlich erloschen, und aller Stolz wieder versunken, sie sitzen still, draußen wirft die Bora den weißen Schaum über die Riffe. Sie hören es und horchen. Und in das Zischen hinein, während der Sturm so mit seinen zornigen Schwingen schlägt, daß das eherne Tor des Himmels einzubrechen scheint, fragt einer dann: Und jetzt, und jetzt? Aber da sagt ein anderer, während die scheiternden Wasser heulen: Und jetzt, vergeßt nicht, haben wir doch den Smodlaka! Und es ist, als wäre plötzlich ein großes schweres altes Schwert gezückt, durch seinen bloßen Namen. Oder man fragt etwa, ungewiß, sich in allen diesen Zank von Serben und Kroaten, Alten und Jungen, Bedächtigen und Beweglichen zu finden, fragt nach Programmen, fragt nach der Herkunft und der Richtung der Parteien, da steht mitten im Gespräch plötzlich ein ungeduldiger junger Mensch mit dunklen Locken auf und schüttelt alles ab und sagt: Das ist alles Unsinn, das zählt nicht, das sind Masken, wir haben überhaupt erst seit vier oder fünf Jahren wieder ein politisches Leben, denn unser politisches Leben in Dalmatien besteht nämlich aus Smodlaka! Und so bekam ich's immer wieder zu hören, überall, von Intellektuellen und Bauern und Arbeitern, auf dem Land und in den Städten, von Nationalen und Demokraten und Sozialisten: Smodlaka, Smodlaka! Jeder ruft ihn an, in ihm glauben sich alle zu finden. Er hat jedes Vertrauen, ihm will jeder gehorchen. Er ist die allgemeine Landesfreude. Er ist der neue San Biagio der dalmatinischen Jugend.

Dieser neue Biagio ist Advokat in Spalato, Landtagsabgeordneter und fast Reichsratsabgeordneter. Wer nämlich jetzt eigentlich der Reichsratsabgeordnete von Spalato ist, weiß man seit der letzten Wahl nicht. Die Regierung behauptet, es sei Monsignore Franz Bulič gewählt worden. Monsignore Bulič ist ein unendlich feiner, unendlich liebenswürdiger und unendlich gelehrter alter Herr, der sein Leben damit verbringt, die versunkene Stadt Salona auszugraben. Er hat ein bißchen etwas von einem alten Landpfarrer, ein bißchen etwas von dem deutschen Philologen der »Fliegenden Blätter« und ein bißchen etwas von einem Visionär. Wenn man so neben ihm sitzt, zwischen geborstenen Kapitälen, zersprungenen Aphroditen und verwaschenen Inskriptionen, und er einem nun die Stadt des Diokletian erklärt, sieht man, daß er sie sieht, vor seinen Augen steht sie da, und er geht in ihr herum. Wenn er aber in der heutigen Stadt Spalato herumgeht, hat er diese Sicherheit nicht, und ich zweifle sehr, daß er sie sieht. Was auch vielleicht ein bißchen zuviel verlangt ist von einem und demselben Mann: mit eben denselben Augen zu sehen, was vor tausend Jahren war, und zugleich, was heute ist; es gehörte dazu eine nicht gemeine Fähigkeit der Akkommodation. Die letzte Wahl spielte sich nun so ab: Smodlaka war der Kandidat, der Bezirkshauptmann aber erklärte, Bulič sei der Kandidat, was Bulič, höchst erschreckt, eifrig bestritt. Die Wähler erklärten nach der Wahl, sie hätten Smodlaka gewählt. Der Bezirkshauptmann aber erklärte, sie hätten Bulič gewählt. In Wien hielt man sich an das, was der Bezirkshauptmann erklärte. In Wien glaubt man heute noch, Bulič sei der Abgeordnete von Spalato. Bulič selbst aber glaubt es nicht, ihm ist es nicht geheuer, er übt sein Mandat nicht aus, er weigert sich, er will nicht. Wohl auch weil ihm das versunkene Salona lieber ist, da kennt er sich aus, und dort gab es auch damals noch keinen Bezirkshauptmann. Die ganze Sache ist sehr österreichisch, man muß einen österreichischen Kopf haben, um sie zu verstehen; auch in Galizien gibt es das ja, und nun muß man wissen, daß, was Wahlen betrifft, dalmatinisch noch der Komparativ von galizisch ist.

 

Als ich nun nach Spalato kam, beschloß ich, Smodlaka aufzusuchen. Ich wollte den Mann sehen, an den sein ganzes Volk glaubt. Solche Männer haben wir heute nicht. Wir in Wien, wir in Berlin. Vielleicht gehört es zur »Kultur«, solche Männer des Vertrauens nicht zu haben. Also ging ich aus, sein Haus zu suchen. Wie man in polnischen Städten, wohin man auch gehe, zunächst immer auf den »Ring« kommt, einen Platz, auf dem die Bewohner der Stadt ihr Leben zubringen, so ist es hier der Gospodski Trg, die Piazza dei Signori, zu der jeder Weg führt. Hier ist der Orient, alle Farben sind hier, das Leuchten der ausgebotenen Orangen verblaßt am Feuer dieser Trachten. Wunderschöne alte Leute mit ganz stillen, ganz großen Gebärden. Sie lehnen den weißen Kopf an die Mauer und ruhen aus. Sie ruhen immer aus. Manchmal schreit einer plötzlich etwas, ein anderer springt auf, sie fahren sich an, jetzt sind zehn, jetzt schon zwanzig beisammen, im Rudel so dicht beisammen, daß es ein einziger ungeheurer Rumpf mit unzähligen Köpfen und Armen scheint, sie schreien, sie stoßen, sie drängen und doch bleibt mitten im Lärm die große Ruhe da. Aus dem Gedränge ragt ein starker Arm, der einen Tschibuk hält, mitten im Gedränge. Und wie einen schweren dichten Mantel haben sie noch immer ihre große Ruhe um. Und plötzlich ist es aus. Und plötzlich ist alles wieder still. Und die weißen Köpfe lehnen wieder an der Mauer, ausruhend. Ich gehe auf den mit dem Tschibuk los, um ihn nach Smodlaka zu fragen. Ich frage italienisch. Er versteht mich nicht. Ich zeige den Brief, den man mir für Smodlaka gegeben hat. Und ich wiederhole: Smodlaka, Smodlaka! Ein bildhübscher junger Mensch hört den Namen, tritt auf mich zu und spricht mich kroatisch an. Ich antworte italienisch, er wieder kroatisch. Ich verstehe, daß er italienisch versteht und es nur nicht sprechen will. Pantomimisch bietet er sich an, mich zu führen. Wir gehen. Ein zweiter Jüngling, auch dieser wunderhübsch und von einer merkwürdigen Wildheit, schließt sich an. Und gleich noch ein dritter, sehr groß, mit exzessiven Beinen. Und bald ist es ein ganzer Zug, ich mitten drin, langsam durch die Gassen stapfend, und die schlanken, hitzigen Burschen neben mir mit ihren federnden, drängenden Tritten. Der bloße Name Smodlaka hat mir eine ganze Garde von Jugend gebracht. Und seltsam kommt's mir vor, wie wir so schreiten, so gar nichts Slawisches an ihnen zu finden. Wie junge, frohe, deutsche Turner sind sie.

Smodlakas Zimmer ist ganz einfach. Ein großer Schreibtisch, zwei Sessel, sehr viel Bücher. Kroatische, russische italienische, englische, französische, deutsche Bücher. Viel Staatswissenschaft, Ökonomie, Statistik. Sehr viel Geographie, sehr viel Orient, sehr viel Kolonien. So mags bei Dernburg aussehen. Oder mein lieber Johannes V. Jensen könnte diese Bibliothek haben. Aber da kommt Smodlaka und ich frage, verwirrt, ungläubig, fast erschreckt: Herr Doktor Smodlaka? Er lacht und sagt ein paar freundliche Worte, schon sind wir mitten im Gespräch; er gehört zu den Menschen, die man nach zwei Minuten seit Jahren zu kennen glaubt. Und doch kann ichs noch immer gar nicht glauben, daß dies wirklich, dieser Wikinger, dieser Ibsen-Mensch hier vor mir, Smodlaka sein soll, der Heilige von Dalmatien! Und dann fällt mir ein, daß daran aber bloß Heinrich Mann schuld ist. Nämlich sein Pavic, in den »Göttinnen«, der morlakische Tribun, trifft das, was sich ein Deutscher unwillkürlich unter einem südslawischen Demokraten zu denken gewohnt ist, so sehr, daß man es nun dem Leben gar nicht glauben mag, es könnte doch auch anders sein. Jetzt weiß ich das erst und werde lachend gewahr, daß ich bei mir, ohne es selbst zu wissen, Smodlaka ja die ganze Zeit als Pavic gesehen! Mit wehendem Bart, mit flatternden Gebärden, mit schnaubender Stimme. So einen kleinen kroatischen Gambetta halt. Und nun sitzt eine Art Roosevelt vor mir, ein Luftmensch, ein Ingenieur, stark bäuerisch im Denken, einer, der keine Worte macht, sondern Hand anlegt, kein Phantast, ein Rechner, einer, der sich nicht an Phrasen, sondern an das Bedürfnis hält, einer, der auf kein Programm, sondern auf die Not hört, ein Wegmacher, der vor dem eigenen Hause beginnt, einer, der ausholzen und Luft haben und Licht machen will. Und ich reibe mir die Augen und frage plötzlich: Ja, bin ich denn in Schweden? Da sieht er auf und lacht. Es ist das kurze helle Lachen eines tätigen Germanen. Und dann sagt er: »Der Vergleich wäre gar nicht übel. Wir sind mehr Schweden, als man weiß. Wir sind Bauern. Spalato ist eine von Bauern bewohnte Stadt. Und ganz Dalmatien ist bäuerisch. Aber die Kraft dieser Bauern liegt gebunden. Und wenn Sie mich schon um mein »Programm« fragen: diese gebundene Kraft wollen wir entbinden, damit der Bauer werde, was er sein kann. Das ist unser Hochverrat. Wir haben neunzig Prozent Analphabeten, und wenn wir Schulen verlangen, nennt man es Hochverrat. Wenn wir Wanderlehrer zu den Bauern schicken, weil diese gern lesen und schreiben lernen möchten, kommt der Gendarm über uns, und es ist Hochverrat. Wenn wir Sparkassen gründen, ist es Hochverrat. Wenn wir gegen die Kolonenwirtschaft sind, die jeden modernen Betrieb unmöglich macht, ist es Hochverrat. Wenn unsere jungen Dalmatiner nach Amerika gehen, dort arbeiten und ein höheres Leben kennen lernen, das sie dann mit nach Hause bringen wollen, ist es Hochverrat. Diesen Hochverrat werden wir so lange fortsetzen, bis wir ihn durchgesetzt haben werden. Wir haben keinen besonderen Wunsch, dabei Gewalt anzuwenden. Sollte man dies aber durchaus wünschen, so ist es Bauernart, auch damit dienen zu können.« Und er wiederholt nachdenklich: »Schweden wäre wirklich gar nicht schlecht. Noch lieber aber Norwegen. Das ist es ungefähr, dahin will unsere Zukunft. Nach einer solchen langsamen, bäuerlich behutsamen und bäuerisch beharrlichen, bedächtig zuschreitenden Entwickelung, von unseren Bedürfnissen aus, unseren Möglichkeiten gemäß, verlangen wir. Diese Möglichkeiten möchten wir zu Wirklichkeiten machen. Auf unsere Art wollen wir unser Land bestellen. Das hält man in Wien für gefährlich. Uns aber verhungern zu lassen, wird vielleicht noch gefährlicher sein. Jedenfalls zeigen wir dazu keine Lust. Und das findet man unpatriotisch.«

Und er schildert mir dann das Land und das Volk von den alten Zeiten her. Ich sage, welchen seltsam wehmütigen Zauber es für mich hat. »Ästhetisch,« sage ich, »bin ich in den dumpfen Gehorsam und die fast tierische Treue, die es im Blute hat, ganz verliebt. Politisch freilich –?«

»Nun ja«, sagt er, in seiner stillen Art. »Aber vergessen Sie nicht, daß wir die Regierung haben, das ist unser großes Glück, die wird uns den Gehorsam schon noch austreiben.«

Von Smodlaka zu Bulič. Es ist gar nicht weit. Ein paar Schritte und man ist aus dem zwanzigsten Jahrhundert in das vierte getreten.