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Feldmann hatte also recht: Es gab eine undichte Stelle, die Informationen an die Presse durchsickern ließ, wenn auch unpräzise. Aber die Zeitungen stürzten sich natürlich mit Heißhunger auf jedes noch so kleine Häppchen Insiderwissen, das eine reißerische Überschrift versprach.

»Nein, Marianne, hör zu. Das dürft ihr nicht bringen. Es stimmt so auch nicht.« Ich rang nach Worten, dieser Quatsch durfte nicht in der Zeitung erscheinen. »Alles was ich dir jetzt sage, darfst du nicht verwenden, um es zu drucken, sondern nur um Platner von seinem Unsinn abzubringen. Versprochen?«

Marianne atmete hörbar aus. »In Ordnung, schieß los.« Platner war eine harte Nuss, ein Wadenbeißer. Aus eigener Erfahrung wusste ich von seiner Hartnäckigkeit, wenn es um eine gute Geschichte ging. Nun schickte er Marianne vor und instrumentalisierte unsere Beziehungsebene, um an Informationen zu kommen. Sie war plötzlich in die Knautschzone zwischen ihm und mir geraten.

»Irgendwann werde ich dir hoffentlich die ganze Wahrheit erzählen können. Jetzt nur so viel zu deinen konkreten Fragen: Das Opfer musste Schreckliches erleiden.« Ich bemühte mich, präzise zu formulieren. »Aber nach unseren Erkenntnissen wurde mit Gabi Hellmann nicht das gemacht, was man gemeinhin unter grausam foltern versteht, also das bewusste Zufügen von körperlichen Schmerzen.«

»Und das Zerstückeln?« setzte sie sofort nach.

»Ich dachte, der Hannoversche Anzeiger versteht sich als seriöse Tageszeitung«, stöhnte ich.

Marianne lachte nur kurz auf. »Aber verkaufen wollen wir unser Blatt trotzdem. Und?«

Einen Moment kämpfte ich mit mir, entschied mich dann für einen Mittelweg. »Einigen wir uns darauf: Zerstückeln ist wirklich nicht der richtige Ausdruck. O. K.?«

»Verstanden. Mal sehen, was Platner daraus macht.«

***

Die Hand noch auf dem Hörer verharrte ich in der Überlegung, ob ich gerade einen Fehler begangen hatte, als die Tür geöffnet wurde und ein Kollege eintrat. Während ich noch versuchte, das Gesicht mit einem Namen zu verbinden, zog er eine Mappe aus seiner Aktentasche. »Hier ist unser vorläufiger Bericht. Das Kriminallabor wird wohl morgen fertig werden.«

Ach ja, Spurensicherung. Sein Name wollte mir dennoch nicht einfallen.

Er wünschte mir noch einen schönen Feierabend und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Ich machte mich sofort an die Lektüre. Am Türschloss befanden sich definitiv keine Einbruchsspuren. Eine wichtige Aussage, also hatte der Mörder entweder einen Schlüssel oder sein Opfer hatte ihm die Tür geöffnet.

Laut dem Bericht waren Behnsens Fingerabdrücke tatsächlich nur am Lichtschalter und an den Türklinken nachzuweisen. Alle gefundenen Fingerabdrücke konnten Gabi Hellmann zugeordnet werden. Es sah aus, als habe sie seit dem Frühjahrsputz keinen Besuch empfangen.

Die Faserspuren bestätigten unsere Vermutungen. Das Opfer hatte im Bademantel im Flur auf dem Boden gelegen. Immerhin eine Erkenntnis, die unsere Vorstellungen vom Tatablauf festigte.

Bei den auf ihrem Körper gefundenen Fasern handelte es sich um einen weit verbreiteten Jeansstoff. Nichts, was den Täterkreis entscheidend eingrenzte.

Die Ergebnisse der Spurenanalyse waren ein ziemlicher Flop.

Auch wenn ich keinen Funken Sympathie für Behnsen verspürte, machte sich in mir doch die Überzeugung breit, dass wir ihn als Verdächtigen fallen lassen und uns auf die Suche nach dem großen Unbekannten machen sollten. Was er unter Druck gesagt hatte, klang letztendlich glaubwürdig und war vor allem nicht zu widerlegen. Wir hatten nichts gegen ihn in der Hand, das über Vermutungen hinausging. Die einzige Ungereimtheit in seiner Aussage war die Bemerkung, der Anblick der Leiche habe ihn »umgehauen«, während er am Vortag eine Stunde nach dem Leichenfund auf uns einen durchaus aufgeräumten Eindruck hinterlassen hatte. Ebenso wie Wegener maß ich dem jedoch keine Bedeutung bei, wollte aber noch ein weiteres Mal in Ruhe die Akte über Behnsens Altlast durcharbeiten, um mein Bild über ihn abzurunden.

Förster saß an seinem Schreibtisch. Die Unterlagen, die wir ihm zur Verfügung gestellt hatten, bedeckten die gesamte Tischplatte. Die Akte Behnsen entdeckte ich in Griffweite auf der Fensterbank.

»Nicht gerade ein Arbeitsplatz zum Wohlfühlen.«

Der Raum hätte dringend einen Anstrich benötigt. Da er seit geraumer Zeit unbenutzt war, roch es leicht muffig, obwohl beide Fenster offen standen und frische, kühle Abendluft hineinließen.

Förster nahm seine Brille ab, streckte seinen Körper von den Fußspitzen bis zum Genick und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, bevor er antwortete. »Ich habe es schon in ganz anderen Abstellkammern aushalten müssen, manchmal wochenlang. Wenn wir vor Ort an einem Fall arbeiten, sind wir schon froh, wenn wir ein eigenes Büro bekommen. Einige Ihrer Kollegen sind der Auffassung, wir könnten genauso gut auf dem Hotelbett arbeiten.« Er ermunterte mich mit einer Handbewegung, auf dem schäbigen Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, Platz zu nehmen, was ich auch gerne tat. Mir war nach Unterhaltung zumute.

»Sie sind wohl nicht überall gerne gesehen?«

»Das können Sie laut sagen.« Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Kompetenzgerangel und verletzte Eitelkeit. Eigentlich sollten wir alle dasselbe Ziel haben, aber manchmal habe ich den Eindruck, es wird als Schmach empfunden, wenn wir zur Lösung eines Falles beitragen können.«

»Wie gut kannten Sie Ihre Nichte?«

Er zögerte mit der Antwort. »Nicht besonders gut. Ich hatte in den letzten zwanzig Jahren kaum Kontakt zu meiner Schwester, somit auch nicht zu Gabi.«

»Sie war zwei Jahre jünger als ich.« Wir schwiegen beide, bis Förster mich anlächelte und fragte: »Wie gehen Ihre Ermittlungen voran?«

»Nicht besonders gut. Ehrlich gesagt, wir treten auf der Stelle. Brauchen Sie die Behnsen-Akte noch?«

Er langte zur Fensterbank hinüber und reichte mir die Mappe. »Nein, damit bin ich durch.«

»Danke, kommt Behnsen für unseren Fall als Täter in Frage?«

Förster blickte mich an wie ein verständnisvoller Vater, der seinem Nesthäkchen eine Dummheit nachsieht. »Sie können von mir nie eine definitive Antwort erwarten. Ich kann immer nur Aussagen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf Grundlage der vorliegenden Fakten machen. Und je unvollständiger diese Fakten sind, desto schlechter ist die Trefferquote. Wissen Sie, was Behnsen seit der Vergewaltigung angestellt hat? War er ein braver Bürger, geläutert durch die ihm auferlegte Strafe? Oder hat er ein halbes Dutzend Frauen bestialisch gequält und ermordet?«

Draußen hupte ein Auto, eine Männerstimme schimpfte. Großstadtlärm.

Über Behnsens Leben seit der Entlassung aus dem Gefängnis wussten wir wenig. Ungeklärte Mordfälle, die auch nur annähernd ins Bild gepasst hätten, gab es in den letzten Jahren im Großraum Hannover nicht. »Unterstellt, er hat sich seitdem nichts zuschulden kommen lassen: Kann er es getan haben?«

Förster schmunzelte und setzte seine Brille wieder auf. Der Rahmen passte zu seinem blauen Hemd. Ich fragte mich, ob er einer dieser Typen war, die viel Mühe darauf verwandten, ihre Accessoires auf die Kleidung abzustimmen. »Lassen Sie mich einen Tipp abgeben, was Sie bei der Hausdurchsuchung gefunden haben.« Er sah mich an, als erwarte er Zustimmung oder Ablehnung. Ich nickte erwartungsvoll und er fuhr fort. »Nichts, was ihn in direkten Zusammenhang mit dem Mord bringt, dafür aber pornografisches Material und Damenunterwäsche, aber nicht frisch aus dem Geschäft, sondern getragen.«

Er musste meinen Gesichtsausdruck richtig interpretiert haben und setzte ein Siegerlächeln auf, das ich ihm nicht verübeln konnte.

»Nicht schlecht, Porno-DVDs und gebrauchte Damenwäsche, allerdings nicht aus dem Wäschekorb, sondern frisch gewaschen, direkt von der Leine. Dass er Pornos konsumiert, hätte ich ihm auf den Kopf zugesagt, aber wie kommen Sie auf die Wäsche?«

»Sehen Sie sich seine damalige Tat an.« Förster machte eine Kopfbewegung in Richtung der Akte in meinen Händen. »Er lockt an einem Sommernachmittag eine geistig behinderte junge Frau, Angelika, die Nachbarstochter seiner Eltern, in der Eilenriede ins Unterholz. Er gibt ihr Geld, damit sie sich auszieht, es kommt zum Geschlechtsverkehr. Ob er einvernehmlich stattfand oder ob es eine Vergewaltigung war, da steht Aussage gegen Aussage. Irgendwann beginnt sie jedenfalls zu schreien. Spaziergänger kommen ihr zu Hilfe und Behnsen flüchtet. Strittig ist, wann das Mädchen anfing zu schreien. Sie sagt, sobald er sie berührte. Er hingegen behauptet, sie hätten einvernehmlich Geschlechtsverkehr gehabt und erst hinterher rief sie um Hilfe. Fakt ist, die Spaziergänger waren sehr schnell zur Stelle, und da war bereits alles passiert. Er kann fliehen, wird aber später in seiner Wohnung verhaftet. Es liegt mir fern, jemanden in Schutz zu nehmen, der die Hilflosigkeit anderer Menschen ausnutzt. Dennoch würde ich sagen, er hatte Pech mit dem Richter. Verletzungen, die auf ausgeübte Gewalt hinweisen, wurden bei dem Mädchen nicht gefunden. Eine Verurteilung wegen Vergewaltigung ist in diesem Fall eine harte Entscheidung. Im Zweifel für den Angeklagten würde ich das jedenfalls nicht nennen.«

Er sah mich an, als erwarte er eine Reaktion. Ich hielt mich jedoch bedeckt. »Das für mich Interessanteste an dem Fall ist ein Detail, dem in den Ermittlungen und im Prozess verständlicherweise keine Bedeutung zugemessen wurde, weil es auch auf den verhandelten Straftatbestand keinen Einfluss hatte. Dennoch gibt es uns möglicherweise einen wichtigen Hinweis auf Behnsens Motivstruktur und seine Persönlichkeit.« Er lehnte sich wieder vor, als würde er mit mir konspirieren. »Der Slip des Mädchens blieb verschwunden, obwohl die Umgebung des Tatorts abgesucht wurde. Behnsen muss ihn auf seiner Flucht mitgenommen und dann irgendwo versteckt haben, bevor er festgenommen wurde. Er wusste, dass die Polizei ihn früher oder später erwischen würde, weil das Mädchen ihn kannte. Aber seinen erbeuteten Schatz musste er noch in Sicherheit bringen. Wenn ich mit dieser Kombination richtig liege, belegt dies einen eindeutigen Fetisch, und der lässt den Menschen nicht so einfach wieder los. Daher meine Vermutung, dass Behnsen auch heute noch hinter Damenunterwäsche her ist.«

 

»Glauben Sie, dass dieser Fetisch Behnsen so beherrscht, dass er dafür tötet?«

»Gehen wir einmal anders an Behnsen heran. Beschreiben Sie ihn mir bitte aus Ihrer subjektiven Sicht, körperlich und als Persönlichkeit.«

Ein Trommelfeuer von Aussagen hätte ich abschießen können, bemühte mich jedoch, langsam und gelassen mit nachdenklicher Miene zu antworten. »Arme wie Treckerachsen, nicht so dick, aber mindestens so dreckig. Klein, untersetzt, linkisch, unattraktiv, ungepflegt, unintelligent.« Mir wären noch eine Menge mit »un« beginnende Adjektive eingefallen, ich zog es aber widerwillig vor, »höflich« zu ergänzen, um nicht einseitig und voreingenommen zu wirken. Förster lachte. »Danke, das genügt. Und jetzt lassen Sie uns versuchen, diesen Menschen in das Bild zu integrieren, das Sie sich bisher vom Tatgeschehen gemacht haben. Unterstellt, die Sicherungskette war eingehängt, nützt dem Täter ein eventuell vorhandener Schlüssel nichts. Und die Nachbarin hat ja berichtet, Gabi sei auch in dieser Beziehung sehr gewissenhaft gewesen. Er musste also klingeln, und Gabi kommt zur Tür. Der Täter muss nun eine patente junge Frau im Bademantel dazu bringen, ihm die Tür zu öffnen. Würden Sie Paul Behnsen in dieser Situation in die Wohnung lassen? Sie haben doch Ähnlichkeit mit meiner Nichte: Gleiches Alter, mit beiden Füßen im Leben stehend, ein selbstbewusster, intelligenter, sportlicher und attraktiver Typ.«

Augenblicklich spürte ich die Röte in mein Gesicht schießen und ärgerte mich über meine Hilflosigkeit. Zwar hatte ich gelernt, einem Kerl, der mich bedroht, mit dem Handballen die Nase ins Großhirn zu rammen. Aber einem Kompliment stand ich wehrlos gegenüber.

»Mir fällt ehrlich gesagt so spontan auf Anhieb kein Vorwand ein, mit dem er mich dazu irgendwie überreden könnte.« Jetzt fing ich auch noch an zu stammeln. »Zumindest hätte ich mich vollständig angezogen, bevor ich ihn hereinlasse.«

»Angenommen, Sie hätten ihm dennoch die Tür geöffnet. Könnte er Sie überwältigen, knebeln und an den Besenstiel fesseln?«

»Selbst wenn ich ihm das Überraschungsmoment zugutehalte, glaube ich nicht, dass er das mit mir machen könnte. Jedenfalls nicht, ohne dabei selbst einzustecken. Aber Abwehrverletzungen waren an seinen Armen und im Gesicht nicht zu sehen. Und Gabis Fingernägel sagen auch nichts aus, nicht abgebrochen, nichts darunter.«

»Sehen Sie, jemand, der einer debilen Minderjährigen Geld geben muss, um an ihre Unterwäsche zu kommen, wird vermutlich nicht in der Lage sein, eine Frau wie Gabi dermaßen zu kontrollieren und zu dominieren, wie es ihr Mörder konnte. Ich denke, dass Behnsens Selbstwertgefühl nicht einmal ausreicht, es überhaupt zu versuchen.«

»Fazit: Behnsen scheidet als Verdächtiger aus?«

Förster nickte. »Lassen Sie uns gemeinsam den wirklichen Täter suchen.«

***

Ich war gespannt, was der Hannoversche Anzeiger über den Fall schreiben würde, deshalb führte mich der erste Weg nach dem Aufstehen zum Briefkasten an der Wohnungstür. Als ich aufschließen wollte, musste ich feststellen, dass gar nicht abgeschlossen war. Die Tür war nur zugeschnappt.

Ralf war gestern Abend nach einer studentischen Ausschweifung im semi-komatösen Zustand nach Haus gekommen. Jedenfalls ließ die von ihm entfachte Geräuschkulisse darauf schließen. Wahrscheinlich hatte er es nicht mehr geschafft, hinter sich abzuschließen. Es gruselte mich. Vielleicht hatte eine solche Nachlässigkeit Gabi Hellmann das Leben gekostet.

Ich setzte Kaffee auf, zog mir den Bademantel über und ließ mich mit meiner Lektüre am Küchentisch nieder. Schnell stieg mir der Kaffeeduft in die Nase. In der Wohnung über uns klappten auch schon die Türen.

Der Täter wurde als Sexmonster bezeichnet, was mich rätseln ließ, welche Superlative hierzu wohl den weniger seriösen Presseorganen eingefallen waren. Die Bevölkerung wurde beruhigt, die Polizei verfolge eine heiße Spur. Wenn – wovon ich inzwischen überzeugt war – der Verdacht gegen Behnsen völlig im Sande verlaufen würde, hätten wir ein doppeltes Problem mit der Presse. Zum einen tappten wir auf der Suche nach dem Täter weiter durch dichten Nebel. Zum anderen bestand die Gefahr, dass man über uns herfallen würde, weil wir einen unschuldigen Mitbürger zu Unrecht verdächtigt hatten.

Der Lebenslauf des Opfers war gut recherchiert wiedergegeben. Der Erfolg meines Gesprächs mit Marianne bestand darin, dass anstelle von Zerstückelung nun von Verstümmelung die Rede war. Das kam der Wahrheit zwar wesentlich näher, war jedoch eines der Details, die auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Bekannt war auch, dass Gabi erdrosselt wurde, allerdings nicht, welche Rolle ihre Unterwäsche dabei gespielt hatte. Wenn es bei diesem Informationsstand bliebe, wäre uns wenigstens eine einfache Möglichkeit erhalten, die Geständnisse der üblichen Wirrköpfe, die von spektakulären Morden angezogen werden wie die Schmeißfliegen vom Kuhfladen, schnell auszufiltern. »Wie haben Sie das Opfer erdrosselt? Ach so, mit einem Gürtel?! Danke, Sie können gehen.«

Als ich mich auf den Weg zur Arbeit machen wollte, stand plötzlich Ralf vor mir, nur mit Boxershorts bekleidet. Er sah aus wie durch den Wolf gedreht. Sein Atem hätte Holzböcke aus dem Fachwerk getrieben.

»Du hast heute Nacht nicht abgeschlossen«, begrüßte ich ihn, wobei ich mich um einen vorwurfsvollen Tonfall und einen Schritt Abstand bemühte.

»Sei froh, dass ich nach Hause gefunden haben. Ist heute Beerdigung?«

»Wieso? Wer ist gestorben?«

»Keine Ahnung, du siehst nur so aus«, sagte er und verschwand im Bad.

Nach einem Blick in den Spiegel kam ich nicht umhin, ihm recht zu geben. Schwarze Jeans, dunkelblaue Bluse, das Haar hochgesteckt. Der Fall und seine Begleitumstände zogen mich mehr in seinen Bann, als mir bewusst war.

In meiner weinroten Lieblingsbluse, mit offenem Haar verließ ich das Haus.

Unterwegs hielt ich in der Hildesheimer Straße an einem Kiosk an, wurde meinen Prinzipien untreu, kaufte die Boulevardzeitung mit den großen Buchstaben und setzte mich zum Lesen wieder in den Wagen. Die Kreativität der Journalisten war erstaunlich. Der Mörder hieß bei ihnen der »Ricklinger Ripper«. Hut ab, darauf muss man erst mal kommen. Offensichtlich hatten alle denselben Informanten, denn die beschriebenen Details der Tat entsprachen denen im Hannoverschen Anzeiger, jedoch hatte man sich nicht die gleiche Mühe gemacht wie Marianne und berichtete folglich über eine zerstückelte Leiche.

Es hieß, ein »Top-Verdächtiger« stehe im Zentrum der Ermittlungen, das Netz der Fahndung ziehe sich bereits um ihn zusammen. In einem ergänzenden Artikel wurde krampfhaft versucht, Parallelen zu Fritz Haarmann zu konstruieren, der in den zwanziger Jahren mit einer Mordserie Hannover erschüttert hatte. Allerdings musste das Ergebnis der Bemühungen zwangsläufig recht dürftig ausfallen, denn einerseits ermordete Haarmann, der Metzger war, junge Männer. Andererseits resultierte die Legendenbildung um ihn neben der Anzahl der Morde – mindestens 24 – vor allem aus der nie bewiesenen Vermutung, er habe das Fleisch seiner Opfer an ahnungslose Hausfrauen verkauft, die es ihren Familien als Sonntagsbraten servierten.

Obwohl es erst sieben Uhr war, verstopfte der Berufsverkehr bereits die Zufahrtsstraßen. Eigentlich war es Wahnsinn, mit dem Wagen zu fahren, zumal der öffentliche Nahverkehr eine bequeme Alternative bot. Aber für die Wege, die ich während der Arbeit absolvieren musste, war das Auto erforderlich. Dienstwagen standen nur den höheren Chargen zu. Wenigstens stellte mein Arbeitgeber auch für das Fußvolk ausreichend Parkplätze auf dem Innenhof zur Verfügung.

Ich schaffte es bis in mein Büro im zweiten Stock, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Das Quietschen meiner Schuhsohlen auf dem Linoleumboden hallte durch das Treppenhaus. Noch auf dem Flur hörte ich das Telefon in unserem Büro klingeln und beschleunigte meinen Schritt. Es war Vera Hennings aus dem Kriminaltechnischen Labor, die mir berichtete, es handele sich bei den Rückständen am Knopf des Blazers tatsächlich um Gabis Blut. Unsere Vermutungen zum Tatverlauf waren also in diesem Punkt bestätigt.

Ich hatte gerade Wasser geholt, um Kaffee aufzusetzen, als Frau Wiesner, Feldmanns Vorzimmerdame, ohne zu grüßen den Raum betrat. Sie trug einen Stapel Akten vor sich her wie ein Soldat das Ordenskissen bei einem Staatsbegräbnis. Bei uns hielt sich hartnäckig das Gerücht, Frau Feldmann habe ihrem Mann die Sekretärin ausgesucht. Wenn man Feldmanns Faible für junge Blondinen kannte, war anders auch kaum zu erklären, wieso gerade sie in seinem Sekretariat saß. Frau Wiesner könnte mühelos als russische Kugelstoßerin durchgehen. Ihrer Pensionierung im nächsten Frühjahr und der damit verbundenen Nachfolgefrage wurde allgemein bereits mit Spannung entgegengesehen.

»Herr Wegener hat gestern diese Akten angefordert«, sagte sie und ging zu Hartmuts Schreibtisch. Er hatte mit einem Kollegen von der Sitte den Fall durchgesprochen und ihn gebeten, alle Akten der im Großraum Hannover frei herumlaufenden Sexualstraftäter herauszusuchen.

»Geben Sie sie bitte mir, Herr Wegener kommt etwas später.«

Sie würdigte mich keines Blickes, sondern wiederholte nur mit monotoner Stimme: »Herr Wegener hat die Akten angefordert.«

Ohne Frau Wiesner zu beachten, die den Aktenstapel geräuschvoll auf Wegeners Schreibtisch fallen ließ, kümmerte ich mich weiter um den Kaffee. Auch als sie das Büro verlassen hatte – sie ging ebenso grußlos wie sie erschienen war –, zwang ich mich noch weiterzumachen, bis ich die Maschine einschalten konnte, obwohl die Neugierde auf das Aktenmaterial mich quälte.

***

Als ich über der letzten dieser Dokumentationen grausiger Verbrechen brütete – halb zehn und mein Bürogenosse war immer noch nicht da –, trat Förster mit einem freundlichen »Guten Morgen!« ein und gab mir die Hand. »Darf ich mich setzen?«

Er ließ mich erst los, nachdem ich »Natürlich« geantwortet hatte. Sein Aftershave brachte ihm einen Pluspunkt ein. Gut zu riechen ist auch für Männer keine Schande.

»Ich sehe mir gerade die Akten von einschlägig Vorbestraften an. Sie haben sicher auch Interesse daran?«

Er setzte wieder sein verständnisvolles Lächeln auf. »Ich muss Sie abermals enttäuschen. So weit bin ich noch nicht. Sehen Sie, wir nähern uns dem Fall aus entgegengesetzten Richtungen. Mangels echter Spuren nehmen Sie sich den Personenkreis vor, der aus der Summe Ihrer Erfahrungen heraus für die Tat in Frage kommt, und wollen jetzt den passenden Verdächtigen herausfiltern. Ich wiederum möchte herausfinden, wie der unbekannte Täter strukturiert ist, um ihn dann anhand seiner Merkmale zu identifizieren. Im Idealfall treffen wir uns irgendwann in der Mitte: Ich habe ein Profil entwickelt, das auf Ihren Hauptverdächtigen zutrifft. Aber bis dahin bitte ich Sie noch um etwas Geduld.«

»Verzeihen Sie mir bitte meinen Übereifer, aber wir greifen bei einem solchen Mord ohne Spuren nach jedem Strohhalm«, antwortete ich und hätte die Worte am liebsten zurückgeholt, als mir klar wurde, dass diese Aussage missverständlich war. Bevor ich jedoch erklären konnte, dass ich mit dem Strohhalm die Akten und nicht seine Arbeit meinte, war er zu meiner Erleichterung bereits darüber hinweggegangen.

»Ich benötige Ihre Unterstützung, Frau Denkow. Ich möchte gemeinsam mit Ihnen am Tatort den Ablauf rekonstruieren.«

»Selbstverständlich wird Sie jemand dabei unterstützen. Ich werde mit Herrn Wegener absprechen, wer Ihnen zugeteilt wird.«

»Entschuldigung, jetzt habe ich mich wohl unklar ausgedrückt. Ich brauche Sie persönlich, Frau Denkow. Sie werden mir eine unschätzbare Hilfe sein. Zum einen haben Sie sicher auch schon Theorien zum Tatablauf entwickelt. Zum anderen, weil Sie in Alter und Geschlecht und, soweit ich das beurteilen kann, auch im Wesen Parallelen zu Gabi aufweisen. Ihnen wird es leichter fallen, sich in das Opfer hineinzuversetzen als irgendeinem männlichen Kollegen Mitte 50.«

 

***

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