Die Sphinx des digitalen Zeitalters

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3. Die unauflösliche Ambivalenz digitaler Medien





Die höchst fragwürdigen Geschäftspraktiken der Medienkonzerne, von denen im vorigen Kapitel berichtet wurde, hätten noch vor wenigen Jahrzehnten als schlechthin unannehmbar gegolten, ja als Gräuelmärchen. Heute sind sie Wirklichkeit geworden, ohne dass ein Entrüstungssturm ausgebrochen wäre, der dem Treiben Einhalt geboten hätte. Obwohl die Tatsachen allgemein bekannt sind, reagieren die meisten darauf noch immer mit einem Schulterzucken. Wie kann es sein, dass eine sonst so protestfreudige Bevölkerung das eigentlich Unannehmbare lethargisch in Kauf nimmt statt dagegen vorzugehen?



Verbal wird wohl niemand die Auswüchse des skrupellosen Gewinnstrebens der Medienkonzerne gutheißen, und doch ist kein ernsthafter Widerstand in Sicht, weil das System den Alltag der Menschen bereits voll durchdrungen hat, sprich: niemand möchte auf die Leistungen seiner Hightech-Geräte verzichten, auf all den Komfort und Service, der so selbstverständlich geworden ist wie die Waschmaschine und das Auto. Wie also soll man sich verhalten?



Die Begeisterung für die «schöne neue Welt» der Medien ist einem eher zwiespältigen Gefühl gewichen. Man möchte nicht von ihr lassen, sieht sich aber genötigt, sich dafür zu rechtfertigen. In dieser verfahrenen Situation bietet sich der Ausweg an, dialektisch die Gegenfrage zu stellen, ob die Bedrohung überhaupt existiert. Das Argument lautet dann etwa so: Sind die Medien wirklich schlecht? Liegt die eigentliche Gefahr vielleicht gar nicht bei den Medien selbst, sondern bei den Menschen, die mit ihnen nicht sachgerecht umzugehen wissen? Wird die Gefahr nicht unmäßig aufgebauscht?



Wer so argumentiert, erhält dann auch noch Schützenhilfe von angeblichen Experten, die der Öffentlichkeit und vor allem den besorgten Eltern kleiner Kinder predigen, die Medien seien weder gut noch schlecht, sondern ein ganz neutrales Instrument wie andere technische Geräte auch, man müsse nur vernünftig mit ihnen umgehen. Diese These wirkt auf verunsicherte Zeitgenossen ungemein beruhigend, weil sie suggeriert, dass die von den Medien ausgehenden Gefahren, wenn es sie denn gibt, grundsätzlich beherrschbar sind und folglich kein Anlass besteht, sich einzuschränken oder gar radikale Änderungen zu fordern.

Don’t worry, be happy,

 denkt sich da mancher und geht zur Tagesordnung über. Dass die meisten «Experten» in Wirklichkeit im Sinne oder sogar im Auftrag der Medienkonzerne handeln, trifft auf taube Ohren.








Der gutgläubige Nutzer wird zum «Nutzvieh»





Für Digitalkonzerne wie Facebook und Google, YouTube und Instagram könnte es keine bessere Tarnkappe geben als die These von der Neutralität der Medien. Sie verhindert, dass man ihnen in die Karten schaut und erkennt, wie der gutgläubige Nutzer zum Nutzvieh gemacht wird, aus dem man Gewinn ziehen kann.



Von früheren Medien wie Schallplattenspieler, Telefon oder Filmprojektor konnte man noch mit einem gewissen Recht sagen, sie seien neutrale Vermittler von Inhalten. Beim Fernsehen traf das wegen der unbemerkt bleibenden physiologischen Wirkungen auf den Organismus des Betrachters

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 schon nur noch bedingt zu, von der Gestaltung der Inhalte ganz abgesehen. Spätestens aber seit der Einführung digitalisierter Medien kann von Neutralität keine Rede mehr sein. Um das zu illustrieren, füge ich hier einen Ausschnitt aus einem bemerkenswerten Interview ein, das die

Süddeutsche Zeitung

 (SZ) 2019 mit dem «Digitalaktivisten»

Aral Balkan

 führte, der mit seiner Organisation «Small Technology Foundation» gegen das kommerziell geprägte Internet und seine Überwachungstechnik kämpft.

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«

Aral Balkan:

 Wenn Sie früher eine Zeitung lasen, las die Zeitung nicht auch Sie. Wenn Sie fernsahen, sah der Fernseher nicht auch Sie. Das Internet hat das verändert. Wenn Sie heute auf YouTube ein Video anschauen, beobachtet YouTube Sie. Überwachung ist das Herz des Geschäftsmodells. Ich nenne es ‹people farming›.





SZ: Das klingt nach Landwirtschaft. Was verstehen Sie darunter?





Aral Balkan:

 Es ist wie in landwirtschaftlichen Betrieben, nur für Menschen. Wir sind das Nutzvieh, wir werden bewirtschaftet. Google und Facebook beackern uns und extrahieren Informationen aus uns, während wir uns mit ihren funkelnden Spielzeugen beschäftigen. Diese Unternehmen überwachen alles, was Sie im Netz tun. Wenn Sie eine Webseite besuchen, die einen Like-Button von Facebook eingebaut hat, trackt Facebook Ihr Verhalten. Wenn irgendetwas von Google – etwa ein YouTube-Video – in eine Website eingebaut ist, trackt Google Sie damit. Auch dank seines Analytic-Programms, das viele Webseiten verwenden, hat Google 70 bis 80 Prozent des Webs im Blick. Die Tech-Konzerne kombinieren diese Daten mit anderen, zum Beispiel denen von Datenbrokern, die jedes Mal Informationen bekommen, wenn Sie Ihre Kreditkarte in der Apotheke an der Ecke benutzen. Und bald kommen noch Daten aus der ‹smarten Stadt› hinzu. Auch da hängt Google mit drin.





SZ: Was machen die Unternehmen mit den so erstellten Profilen der Menschen?





Aral Balkan:

 Sie wollen eine Simulation unseres Selbst besitzen, einen digitalen Zwilling von jedem. So ein Profil ist nicht statisch. Es verändert sich ständig, wird dauernd von Algorithmen analysiert. Damit verdienen die Unternehmen das Geld. Den Zugang dazu vermieten sie an ihre echten Kunden. Denn vergessen Sie nicht, dass Sie nicht deren ‹Kunde› sind. Sie sind deren ‹User›. Die einzige andere Branche, in der das Wort [

user

 RP] im Englischen noch verwendet wird, ist die des Drogenhandels.





SZ: Aber die Apps sind äußerst beliebt, Millionen Menschen benutzen sie freiwillig.





Aral Balkan:

 Das liegt daran, dass wir Programmierer keine Werkzeuge bauen, sondern Fallen. Die Produkte machen süchtig. Denn nur wenn die Menschen sie ständig nutzen, fallen weiter Daten an, die abgebaut werden können. Google muss hart dafür arbeiten, dass YouTube-Zuschauer nicht merken, dass YouTube zurückschaut. Sie müssen jedes Mal zwei Produkte bauen: Eines, das Menschen jeden Tag nutzen, sie vielleicht sogar süchtig macht. Und eines, das Menschen überwacht, wofür das Unternehmen seine Kunden zahlen lässt.»



Wer die zitierten Ausführungen von Aral Balkan verallgemeinert, könnte zu dem Schluss kommen, digitale Medien seien grundsätzlich kein neutrales Werkzeug, sondern Suchtfallen, die den Nutzer ungewollt zum Datenlieferanten degradieren. In dieser Allgemeingültigkeit jedoch trifft die These nicht die volle Wirklichkeit und wäre auch nicht im Sinne von Aral Balkan, denn sein antizyklisches Bemühen gilt ja dem Ziel, Programme zu kreieren, die dem Nutzer einen Service bieten, ohne ihn seiner Menschenrechte zu berauben. Die Wurzel des Problems sieht er in der

Kommerzialisierung

 des Internets, die eine kaum beherrschbare Eigendynamik entfaltet und folgerichtig zur Ausbeutung der Nutzer führt. Er schließt damit nicht aus, dass es auch Möglichkeiten geben kann, die Technik in einer menschenwürdigen, positiven Weise zu entwickeln. Inwieweit das gelingt, ist eine offene Frage. Immerhin aber sind positive Anwendungen möglich, wie sich schon beim Fernsehen andeutete. Auch beim Smartphone ist das zu beobachten.








Die lichte Seite des Smartphones: Werkzeug weltweiter Protestkultur





Noch nie hat sich der Mensch mit einem elektronischen Medium so rund um die Uhr und vor allem so hautnah verbunden wie mit dem Smartphone. Etwas wie eine Symbiose ist entstanden: Wird das Haus verlassen, steckt das schmeichelnd glatte, allzeit dienstbereite Gerät in irgendeiner Hosen- oder Westentasche bzw. bei den Damen in der Handtasche, und es wird unterwegs bei jeder sich bietenden Gelegenheit gezückt. Nach Hause zurückgekehrt, legt man es keineswegs beiseite, sondern hält es immer griffbereit, und sogar auf manchem Nachttisch findet es seinen Platz.



Bei einer so engen Bindung ist es verständlich, dass dieses Gerät hartnäckig gegen jegliche Kritik verteidigt wird. Ein ganzes Arsenal von Argumenten wird aufgefahren, um zu beweisen, dass das Smartphone ein überaus nützliches, ja sogar unentbehrliches Instrument ist. Und in der Tat, das ist es – vor allem in den Fällen, in denen man auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Manch ein im Hochgebirge verunglückter oder verirrter Kletterer oder Wanderer verdankte schon sein Leben der Tatsache, dass er in der Not die Bergwacht oder andere Retter herbeirufen konnte. Ebenso hilfreich ist das Gerät bei schweren Unfällen im Straßenverkehr, bei der Suche nach Vermissten, bei drohenden Naturkatastrophen usw.



Seine Feuerprobe aber hat das Smartphone auf einer ganz anderen, übergeordneten Ebene des menschlichen Zusammenlebens erfahren, nämlich im Bereich der Politik. In den letzten Jahren und ganz besonders 2019 gingen weltweit Massen von Menschen auf die Straße, um gegen unerträgliche Zustände zu protestieren: gegen den Klimawandel, gegen korrupte Regierungen, gegen Wahlfälschung, Aushöhlung der Demokratie, soziale Ungleichheit, extreme Preiserhöhungen und wirtschaftliche Not. Ein wichtiger Faktor war dabei der steigende Anteil junger Menschen, denn sie nutzen die neuen Formen der Kommunikation. Durch die sozialen Medien haben sie die Möglichkeit, in Sekundenschnelle Millionen von Menschen zu erreichen, und das hat das Tempo der Protestbewegungen wie ein Brandsatz beschleunigt. Was früher undenkbar gewesen wäre, trat ein; innerhalb von Stunden konnten sie ganze Länder in den Ausnahmezustand stürzen. Besonders eindrücklich zeigte sich das in dem monatelangen Kampf der Bevölkerung in Hongkong. Dazu hier ein Auszug aus einem Zeitungsbericht vom Ende des Jahres 2019:

 



«In Hongkong trotzen die Menschen seit Monaten dem massiven Polizeieinsatz. Die Aktivisten, die mehr Freiheit und Demokratie in der chinesischen Sonderverwaltungszone fordern, tauchen meist in einem Stadtviertel auf, blockieren die Straßen und verschwinden, wenn die Polizei zugreift. Sei wie Wasser, sagen die Demonstranten. Dabei folgen sie vor allem einem Strom: dem der Daten. Während die Behörden bei Protestmärschen regelmäßig den U-Bahn-Verkehr lahmlegen, organisieren sich die Demonstranten im Netz. Ihr wichtigstes Werkzeug: das Smartphone.



Ihr langer Atem, ihre Widerstandskraft gegen die Wut Pekings erklären sich zum großen Teil durch die neuen technologischen Möglichkeiten. Da politischen Anführern Verhaftung und Verfolgung drohen, ist die Bewegung gesichtslos. Strategieentscheidungen werden nicht in Versammlungen getroffen, sondern anonym und von Hunderttausenden im Netz. Dafür organisieren sie sich in Chatgruppen auf dem verschlüsselten Messenger Telegram und in Diskussionsforen wie LIHGK. (…) Sie setzen Verschlüsselungssoftware gegen die Ausspähung im Netz ein, Regenschirme und Masken gegen die Kameras auf der Straße. Um Zensur zu verhindern, hat die Bewegung Airdrop genutzt, eine Apple-Technologie zum drahtlosen Übertragen von Daten. Da bei Massenveranstaltungen das Netz häufig zusammenbricht, kommunizieren die Demonstranten über diese Funktion, die keine Netzverbindung braucht.»

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Auch wenn dieser Bericht rückblickend, im Abstand von einem Jahr, eine bittere Note bekommen hat, da die chinesische Zentralregierung mittlerweile die Freiheitsbestrebungen der Hongkonger Aktivisten weitgehend niedergeschlagen hat und die ehemalige britische Kolonie mehr und mehr in das totale chinesische Überwachungssystem zwingt, dürfen wir im Blick auf solche Protestbewegungen dennoch allgemein feststellen: Das Smartphone kann ein hochwirksames Werkzeug sein für den Kampf ganzer Völker gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit, gegen Machtmissbrauch und Korruption und für die Rechte des Individuums. Die 1789 erstmals propagierten allgemeinen Menschenrechte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wurden mit seiner Hilfe zum leuchtenden Stern einer wieder erwachenden allgemein-menschheitlichen Bewegung. Neu hinzugekommen ist durch den weltweiten Jugendprotest

Fridays for Future

 die Forderung, den Klimawandel zu stoppen und für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu sorgen, oder anders gewendet, die zerstörerische Kraft des wirtschaftlichen Egoismus zu überwinden. Ein geradezu idealischer Zug wehte – und weht – durch die Proteste, befeuert durch ein kleines elektronisches Gerät, mit dem der Einzelne seine Stimme in den Chor Hunderttausender einbringen kann und so seine Ohnmacht überwindet.








Die dunkle Seite des Smartphones: Das Ich im elektronischen Kokon





Bedenkt man die in Kapitel 2 ausgeführten Machenschaften der Geheimdienste und der großen Digitalkonzerne, die im Hintergrund ihren fragwürdigen Zwecken nachgehen, so könnte der Kontrast kaum größer sein zu den soeben angedeuteten positiven Möglichkeiten des Smartphones. Das bedrängende Problem dabei ist, dass der Mensch, indem er die lichte Seite des Smartphones für sich nutzt, sich zugleich auch der dunklen Seite aussetzt. Er kann nicht das eine ohne das andere haben, es sei denn, er würde konsequent das Smartphone ausschließlich zur Telekommunikation benutzen und auf den Komfort aller anderen Anwendungsmöglichkeiten verzichten. Aber warum sollte er das? Die positive Kraft des Instruments wird so stark erlebt, dass sie die negative Seite überdeckt, als sei sie nicht vorhanden. Und selbst wenn jemand den Verzicht tatsächlich realisieren wollte, wird er es bald nicht mehr können, denn das Smartphone ist schon jetzt auf dem besten Wege, nach und nach zum alleinigen Bestell- und Zahlungsmittel und zum alleinigen Verkehrsmedium mit Ämtern und öffentlichen Einrichtungen zu werden, sodass die traditionellen Wege vermutlich in absehbarer Zeit verschlossen sein werden.



Wie stark das Smartphone den Nutzer beeinflusst, selbst wenn er mit ganz anderem beschäftigt ist und das Gerät nur in seiner Nähe hat, beweist ein interessantes Experiment:

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«Schon allein die Präsenz eines Smartphones reduziert die Fähigkeiten zu denken und sich zu konzentrieren. Das haben Forscher an der University of Texas in Austin in einem Experiment herausgefunden. Die Wissenschaftler baten Testpersonen, an einer Reihe von computerbasierten Tests teilzunehmen, für die sie ihre volle Konzentration benötigten. Die Tests, so wurde es ihnen erklärt, dienten dazu, die Fähigkeiten des Hirns zu messen, sich Daten zu merken und sie zu verarbeiten. Per Zufallsauswahl wurden die Versuchspersonen dabei gebeten, ihr Smartphone mit dem Display nach unten auf den Tisch zu legen, in ihre Tasche zu stecken oder in einem anderen Raum abzulegen. Alle mussten das Telefon stumm schalten und Vibrationen abschalten. Das Ergebnis zeigt, dass die Personen, deren Handy in einem anderen Raum lag, signifikant besser bei den kognitiven Tests abschnitten als diejenigen, die ihr Smartphone auf dem Tisch liegen hatten, und auch etwas besser als diejenigen, die es in ihrer Tasche hatten.»

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Das Sphinx-Rätsel der Gegenwart





Das beunruhigende Ergebnis des Experiments deutet auf ein subtiles Suchtphänomen hin, von dem der Nutzer keinerlei Wahrnehmung hat, weil es unterhalb der Bewusstseinsschwelle bleibt. Das wirft die Frage auf: Wie ist es möglich, dass ein so geniales Instrument wie das Smartphone sehr wohl die menschliche Freiheit und Unabhängigkeit stärken und idealen Zwecken dienen kann, dasselbe Instrument aber allein schon durch seine Gegenwart auch das Gegenteil fördert, indem es den Menschen in seiner kognitiven Leistung schwächt, ihn von sich abhängig macht und somit in die Unfreiheit führt?



Immer mehr verdichtet sich das Rätsel, auf das wir in den vorangegangenen Abschnitten schon stießen: Digitale Technik, so konnten wir feststellen, führt nicht zwangsläufig zu negativen Effekten, sondern bietet auch bemerkenswerte Möglichkeiten für einen echten, uneingeschränkt positiv zu nennenden Fortschritt, für Chancen, die im wohlverstandenen Interesse der Menschheit zu nutzen wären. Man denke nur an die vielen segensreichen diagnostischen Geräte in der Medizin. Und doch erleben wir bedrängend viele Phänomene, bei denen die positiven Möglichkeiten der Technik trotz bester Absicht in ihr Gegenteil umschlagen. Woher rührt diese Ambivalenz? Und was können wir gegen sie tun?



Bei nüchterner Betrachtung müssen wir zugeben, dass wir vor einer Herausforderung stehen, der wir noch nicht gewachsen sind. Denn wie sollen wir gegensteuern, wenn wir nicht einmal die tieferen Ursachen für das Dilemma kennen?



Wir befinden uns in einer ähnlich irritierenden Lage wie die Menschen vor mehr als 2500 Jahren, die am Morgen des griechischen Zeitalters um die Lösung des Rätsels rangen, an dem ihre Zukunft hing. Ihr mythisches Bild für dieses Ringen hat seine spirituelle Wahrheit bis heute bewahrt: Auch vor uns taucht imaginativ das widersprüchliche, furchterregende Mischwesen auf, das weder Mensch noch Tier ist, sondern beides zugleich – ein Wächter an der Schwelle, der die Menschheit unerbittlich und geheimnisvoll vor eine unlösbar erscheinende Aufgabe stellt, verbunden mit dem Hinweis, dass wir sie unbedingt lösen müssen, wenn wir nicht ins Verderben rennen wollen.








Die Ohnmacht des überkommenen Denkens





Wie kommen wir der Lösung näher? Wir sollten uns vergegenwärtigen, was das Verbindende ist zwischen dem damaligen Sphinx-Rätsel und dem neuen Rätsel, das sich uns heute stellt. Damals ging es, wie in Kapitel 1 dargestellt, darum, sich von der seit Jahrtausenden gepflegten Intelligenz zu lösen, die wie selbstverständlich bestimmt war von der Verwandtschaft der eigenen Wesenheit mit dem ganzen Kosmos. Mit dem Verglimmen des alten Hellsehens, das hinter der sinnlichen Welt noch übersinnliche Kräfte und Wesenheiten wahrgenommen hatte, war diese Form der Intelligenz (die, wie wir aus der Archäologie wissen, eine gewaltige kulturschöpfende Kraft besaß) an ihr Ende gekommen. Sie musste sich verwandeln in eine ganz der Erde und dem eigenen Ich zugewandte Intelligenz abstrakter, bildloser Natur, und ebendie forderte die Sphinx mit ihrem radikalen Rätsel heraus.



Auch diese neue Intelligenz wurde kulturschaffend und legte die Grundlagen für das gesamte Abendland. Mehr als zweitausend Jahre später, am Beginn der Neuzeit, war sie an ihr Ziel gelangt und stand nun, wie Steiner es andeutet, vor einer erneuten, dieses Mal aber hochproblematischen Verwandlung: Sie entwickelt jetzt die Neigung, «nur das Falsche, den Irrtum, die Täuschung zu begreifen, und auszudenken nur das Böse».



Ebendiese beginnende Neigung springt uns aus den angesprochenen, rätselhaft ambivalenten Phänomenen der Digitaltechnik entgegen. Dabei ist zu beachten, dass Steiner vorsichtig von einer «Anlage» zum B�

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