Das verlorene Seelenheil

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Der geheime Garten

Herzog Rudolf lehnte sich zurück. „Der König hat jetzt also einen Erben“, sagte er grübelnd. „Und lädt zu dessen Taufe ein.“

„Werdet Ihr dem etwa nachkommen?“, fragte der Herzog von Savoyen aufgebracht und Rudolf sah ihn erstaunt an.

„Selbstverständlich! Wir müssen dieser Taufe beiwohnen, wohl oder übel! Heinrich ist schließlich mein Schwager!“, antwortete er verständnislos. „Und Ihr werdet ebenfalls dort erscheinen! Außerdem ist dies doch eine hervorragende Gelegenheit, um sich selbst ein Bild der Lage machen zu können!“

Satorius verzog mürrisch die schmalen Lippen. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich dazu in der Lage bin, diesen verdammten Mistkerl auch noch zu beglückwünschen!“, raunte er abfällig und Rudolf bedachte ihn mit einem abwiegelnden Blick.

„Natürlich könnt Ihr es! Mein lieber Herzog, denkt einfach bei seinem Anblick an die süßen Früchte unserer bisherigen Bemühungen! Unser baldiger Triumpf über diesen `Mann´“, spie er voller Hohn aus. „Gönnen wir ihm also noch diese kleine Freude, bevor sein Kopf fällt!“

Herzog Satorius wanderte vor ihm auf und ab. „Ich weiß nicht, mir gefällt das nicht!“, brummte er vor sich hin und blieb stehen. „Heinrich ist gerissen! Was, wenn er uns ebenfalls ausspioniert und diese Einladung nur ein Vorwand ist, um uns an seinen Hof zu bekommen? Was, wenn er uns gefangen nimmt?!“

Herzog Rudolf von Schwaben winkte lässig ab. „Ihr seht Gespenster, wo keine sind! Phineas berichtete mir, dass Heinrich nicht die geringste Ahnung von uns hätte! Alles, was ihn interessiert, ist einen gefügigen Mann in seinem Bett zu haben!“

„Die arme Königin“, murmelte der Savoyer fassungslos.

„Eben! Sybilla wird froh sein, wenn sie ihren sodomitischen Gatten los ist!“, erwiderte Rudolf lächelnd, doch nun sah Satorius ihn verständnislos an.

„Und was soll aus ihr werden? Ich bin jetzt der rechtmäßige Herzog von Savoyen! Und ich werde mir diesen Titel nicht wieder wegnehmen lassen!“, regte er sich auf.

„Aber, aber, mein Lieber! Niemand wird Euch das Herzogtum streitig machen! Sybilla wird sich eben fügen müssen oder sie verschwindet als trauernde Witwe in einem Kloster!“

„Und was wird aus dem Kind? Verdammt! Wieso musste sie auch ausgerechnet jetzt diesen Balg werfen! Auch wenn Heinrich fällt, so ist sein Sohn immer noch der Thronerbe! Und sie damit die Königinmutter! Denkt Ihr ernsthaft, Sybilla wird so mir nichts, dir nichts abdanken und in der Versenkung verschwinden? Da kennt Ihr meine Cousine schlecht! Diese Frau hat Haare auf den Zähnen, glaubt mir und ihrem treulosen Gatten tief ergeben, dass sah ich mit eigenen Augen, als die beiden mir im letzten Sommer auf ihre unverschämt dreiste Weise einen Besuch abstatteten! Sie hat mich wie ein Idiot dastehen lassen und was Heinrich anbelangt, er schien mir recht verliebt in seine Königin zu sein! Jedenfalls war er sehr bemüht um sie“, warf Satorius wieder ein.

„Jaa“, raunte Rudolf gedehnt, „dies hat mir Phineas ebenfalls berichtet. Heinrich soll sich die ganze Rundreise über geradezu vorbildlich gezeigt haben. Er hatte zwar ein eigenes Zelt, soll aber der Königin sehr zugetan gewesen sein und nicht ein einziges Mal seinen abartigen Gelüsten nachgegangen sein. Nicht einmal Eurem süßen Sohn soll er nachgegeben haben, obwohl dieser ihm oft genug Avancen gemacht haben soll“, meinte er nachdenklich.

„Ich hasse ihn! Heinrich, meine ich! Er hat meinen Sohn verführt, nein, vergewaltigt, hat er ihn!“, ereiferte Satorius sich erneut.

Wieder sah der Herzog von Schwaben ihn gelassen an. „Vergewaltigt? Warum ist Euer Sohn ihm dann derart verfallen?“, fragte er voller Hohn. „Würde Nicolas gegen ihn aussagen? Nein?“

Satorius warf ihm einen bösen Blick zu und wandte sich halb ab. „Heinrich hat ihm den Kopf verdreht! Oder vielleicht sogar verhext! Dieses, Ding! War nicht mehr mein Sohn, sondern nur noch ein willenloses Geschöpf“, antwortete er zermürbt.

„Aah! Da kommen wir der Sache schon näher! Hexerei! Ja, genau dies habe ich auch unserem Heiligen Vater geschrieben, dass sich unser `geliebter König´“, sagte er triefend vor Spott, „mit dunklen Mächten eingelassen hat und sein Adjutant ein Hexenmeister wäre! Also, wenn wir Heinrich schon nicht der Sodomie überführen können, dann eben wegen Ketzerei! Fallen, wird er so und so“, meinte er achselzuckend.

Der Herzog von Savoyen runzelte die Stirn. „Ich habe kein gutes Gefühl dabei, diesen armen Jungen zu opfern! Amanoue ist nicht böse, glaubt mir! Der Junge hat vielleicht das zweite Gesicht, aber ein Hexer ist er nicht“, raunte er irgendwie betroffen.

„Na und? Bei unserem Kampf gegen diesen Tyrannen geht es um größeres und Opfer wird es dabei immer geben. Hauptsache, wir haben gegen Heinrich irgendetwas Triftiges in der Hand!“

Satorius nickte nachdenklich. „Habt Ihr Euch eigentlich an dieses seltsame Gebot des Königs gehalten? Wegen diesem Befehl, wir sollten alle Kornspeicher und Wasserzisternen anlegen?“, fragte er plötzlich.

Rudolf schnaubte voller Hohn. „Nein, natürlich nicht! Warum auch? Meine Kornspeicher sind voll und die Flüsse führen genügend Wasser! Habt Ihr Euch etwa an diesen Blödsinn gehalten?“

Satorius zuckte die Schultern. „Nun, ja, also wenigstens habe ich mehr Korn eingelagert, als sonst“, gab er beinahe verlegen zu, worauf sein Kumpan in Gelächter ausbrach. „Lacht lieber nicht zu früh! Wenn dieser Rat von Amanoue kam, dann, ich weiß nicht, aber ich sagte es Euch bereits, dieser Junge weiß Dinge im Voraus! Er…“

„Ja, ja, er hat das zweite Gesicht und euch alle gewarnt“, unterbrach Rudolf ihn gelangweilt.

„Ihr wart nicht dabei! Aber ich! Und ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie er eine Vision hatte! Er stand da, fiel um und plötzlich begann er am ganzen Leibe zu zittern und zu zucken. Es war schrecklich mit anzusehen und dann sagte er Dinge, die er unmöglich wissen konnte! Er beschrieb exakt ganze Landstriche, obwohl er dort nie zuvor gewesen war und zeigte uns auf einer Landkarte den genauen Ort an, wo die Tiraner auf uns lauerten!“, ereiferte sich Satorius regelrecht, doch auch dies ließ Rudolf kalt.

„Mein lieber Herzog! Es ist mir gleich, ob dieses Geschwafel wahr ist oder was sonst dahintersteckt! Wie ich Euch bereits sagte, Hauptsache ist, dass der König fällt und das wird er“, unterstrich er seine Worte noch mit einer vollkommen überzeugten Geste seiner rechten Hand. Er hob sie wie zu einem Schwur und lächelte Siegesgewiss. „Heinrichs Zeit als König ist abgelaufen und ich schwöre bei Gott alles dafür zu tun, was nötig ist!“

Satorius sagte nichts mehr dazu, aber bei dem Gedanken daran Amanoue zu opfern, war ihm alles andere als wohl.

***

Während Gregorius friedlich neben Henry schlummerte, fand der mal wieder keinen Schlaf. Seufzend setzte er sich auf und warf einen nachdenklichen Blick auf das entspannte Gesicht des Heilers.

Ihr Liebesspiel war nicht ganz so verlaufen, wie damals, als sie von Phineas unterbrochen worden waren. Gregorius hatte zwar zuerst die Oberhand behalten und war sehr zärtlich dabei vorgegangen, doch dann hatte Henry das Ruder übernommen und die Initiative ergriffen. Auch weil es ihm schlichtweg zu langsam gegangen war, sein Körper hatte nach Befriedigung verlangt und das hatte er sich geholt. Aber jetzt?

Warum fühlte er sich plötzlich so unwohl in seiner Haut? Fast so, als hätte er ein schlechtes Gewissen und obwohl er Gregorius wirklich ordentlich durchgenommen hatte, fühlte er sich dennoch nicht richtig befriedigt. Sein kleiner König da unten vielleicht, aber er selbst spürte gar nichts außer der gleichen Leere wie zuvor. Schlug sein Herz überhaupt noch? Kann ein Herz auch dann noch weiterhin Blut durch die Adern pumpen, obwohl es tot war? Denn genauso fühlte es sich in diesem Moment für ihn an, als wäre er tot.

Amanoue. Mit ihm war es jedes Mal die reinste Erfüllung gewesen…

Henry schüttelte sachte den Kopf, bei dem Gedanken an ihn und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Warum? Wieso nur, musste er immer wieder an ihn denken? Liebte er ihn wirklich noch oder waren seine Gefühle längst zu Hass geworden? Liebe und Hass lagen manchmal so nah beieinander…

Wieder seufzte er schwer und Gregorius blinzelte verschlafen zu ihm hoch. „Eure Majestät?“, fragte er schläfrig und Henry hätte am liebsten gelacht. Er hatte diesen Mann gerade dermaßen durchgevögelt und doch sprach er ihn mit diesem blöden Titel an! Sie hatten sich geküsst, nein, fast aufgefressen hatten sie sich gegenseitig, überall beleckt und geschmeckt, Henry hatte ihn sogar mehrfach gebissen, weil er einfach nicht genug kriegen konnte, von diesem Gefühl endlich mal wieder begehrt zu werden und alles was davon übriggeblieben war, war doch nur ein schaler Nachgeschmack.

„Ihr solltet gehen“, sagte er schlicht und einfach.

Gregorius kniff kurz stutzend die Augen zusammen, wodurch sich auch auf seiner Stirn etliche Furchen bildeten. Warum machte ihn dieses Gesicht plötzlich nur noch wütend? Henrys Magen krampfte sich bei dem Blick in diese verdutzte Visage nur noch weiter zusammen und er musste sich ernsthaft zusammennehmen. „Geht!“, wiederholte er daher lediglich und endlich nickte der Heiler.

„Ist vielleicht besser so“, meinte Gregorius nur und rutschte zur anderen Seite des Bettes rüber. Während er sich anzog, sah Henry stur weiterhin in die andere Richtung und erst als Gregorius sich direkt vor ihm verbeugte, blickte er wieder zu dem hin. „Geht es Euch gut?“, fragte der Heiler vorsichtig und Henrys Kopf bewegte sich sachte hin und her. „Eure Majestät?“

„Geht einfach!“, presste Henry zwischen den Zähnen hervor, Gregorius nickte erneut und schlurfte hinaus.

 

Vielleicht war sein Herz ja tatsächlich tot, es fühlte sich jedenfalls so an, nur noch kalt, wie ein lebloser Stein, aber sein Körper funktionierte trotzdem noch. Na und? Sie hatten ihm eh immer vorgeworfen, dass er ein zu weiches Herz hätte. Diese Zeiten waren von nun an vorbei, denn alles was er in Zukunft noch brauchte, war ein funktionierender Körper…

„Gregorius?“

„Ja?“, kam es augenblicklich zurück.

Oh Gott, wieviel Hoffnung in diesem einen Wort lag! Henrys Magen drehte sich beinahe bei diesem Klang um und er war ehrlich kurz davor, sich zu übergeben. Zum Glück hatte er nichts zu Abend gegessen! „Lasst Kai zu mir schicken! Und nur den! Ich möchte mit ihm reden und seid so gut und legt noch Holz nach, bevor Ihr geht!“

„Wie Ihr wünscht, Eure Majestät“, antwortete Gregorius aus dem Vorzimmer heraus und kurz darauf hörte Henry wie sich die Türe schloss.

Erstmal durchschnaufen! Einmal, zweimal, dreimal, besser! Henry stand auf, zog sich den Morgenmantel an und schlenderte nach vorn. Sollte er sich setzen? Vor den Kamin oder besser auf eine der Liegen? Nein, die Stühle sind eindeutig die bessere Wahl für ein ernsthaftes Gespräch! Denn dieses würde er gleich mit Kai führen und dem mal wieder ordentlich den Kopf zurechtrücken! Was erlaubte der sich überhaupt, IHM Forderungen zu stellen?

Kopfschüttelnd setzte sich der König in einen der beiden römischen Scherenstühle und wartete.

Kai ließ ihn allerdings nicht lange warten und schon kurze Zeit später klopfte es an der Tür. Ach ja, die Wachen sollten ja niemanden mehr zu ihm reinlassen! „Herein!“, rief Henry deswegen laut und einer der Gardisten steckte den Kopf durch den nur wenig geöffneten Türspalt.

„Eure Majestät, Vergebung, aber der Heiler sagte uns, dass Ihr Kai zu sehen wünscht?“, fragte ausgerechnet Matto. Wieder einer von Bracs Leuten, anscheinend hatten die heute Wachdienst! Und seltsamerweise schürte dessen Anblick Henrys Wut wieder an. Warum konnte er keinen mehr von diesem Trupp ertragen? Sie hatten ihm doch nichts getan, oder? Doch! Die hatten ihn alle mit verraten! Hatten sicher alle gewusst, dass ihr `geliebter Manou´, ihm wieder einmal Hörner aufgesetzt hatte!

„So lasst ihn schon durch!“, schnauzte Henry den Soldaten an und der schluckte tatsächlich.

„Jawohl, Eure Majestät“, erwiderte der Kerl auch noch und brachte Henry damit beinahe zum Platzen. Warum mussten die alle immer so viel quatschen und zu allem ihren Senf dazugeben? Wie ihn das nervte!

Endlich drückte sich Kai herein und verbeugte sich wenigstens noch vor ihm. „Da bist du ja endlich!“, fuhr der König ihn auch gleich an und der junge Diener richtete sich erstaunt auf.

„Eure Majestät? Ich bin mir keiner Schuld bewusst?! Ich war vorhin schonmal da, aber da hieß es…“

„Halt die Klappe!“, unterbrach Henry ihn barsch. „Ich rede jetzt! Und du hörst zu! Ich bin gewillt, dich weiterhin in meinen Diensten zu behalten! Von mir aus auch als mein Leibdiener, vorerst! Allerdings bin ich nicht länger gewillt, mir deine Frechheiten gefallen zu lassen! Bis ich einen neuen Diener habe, den ich mir nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln kann, wirst du hier in meinen Gemächern deine Arbeiten erledigen und zwar alle! Und ohne zu murren! Wenn ich nach unten gehe, wird Laurin mich begleiten und mir zu Diensten stehen! Damit bist du in dieser Hinsicht ja wohl redlich genug entlastet und hast dann Zeit genug, um dir den Bauch voll zu stopfen oder auszuruhen! Ich will jetzt keine Widerworte hören! Entweder du nimmst es an oder du gehst, aber dann endgültig und auf nimmer wiedersehen! Ich habe es satt, dass mir hier jeder auf der Nase herumtanzt und denkt, er könne mit mir machen, was er will! Und wage es ja nicht, noch einmal meine Entscheidungen was Laurin betrifft, in Frage zu stellen“, drohte er gefährlich leise. „Du hast mir nur allzu deutlich zu verstehen gegeben, dass du es bereust, hinter mir gestanden zu haben, wenn du dies überhaupt jemals wirklich getan hast! Dir war doch Amanoue viel wichtiger, als ich und du hast damit genauso Verrat an mir begangen, wie er, indem du ihn decktest!“, warf er Kai voller Zorn vor, woraufhin der ihn maßlos empört ansah.

„In diesem Fall muss ich eben doch widersprechen, Eure Majestät und zwar entschieden! In all den Wochen, in denen Ihr ihn eingesperrt hattet, war ich immer für Euch da und ich habe nicht ein einziges Mal Amanoue aufgesucht!“, verteidigte der junge Mann sich sofort, doch Henry schnitt ihm wieder mit einem höhnischen Gelächter das Wort ab.

„Erzähl mir nicht, dass du dich nicht mit Marius ausgetauscht hättest! Denkst du, ich wüsste es nicht? Dass du jeden Tag heimlich zu Gregorius` Gemächern gerannt bist, um mit dessen Gehilfe zu plaudern?“, fuhr der König ihn an und Kai senkte unwillkürlich den Blick vor ihm. „Worüber wohl? Über das Wetter bestimmt nicht, also mach mir nichts vor! Und jetzt, gebe ich dir Zeit, um über meinen Vorschlag nachzudenken! Allerdings nicht lange und ich werde kein zweites Mal nach dir schicken lassen! Wenn du morgenfrüh nicht pünktlich wieder hier erscheinst, wars das und du verlässt somit augenblicklich das Schloss! Aber wo willst du dann hin? Zurück zu deinem Vater? Als drittgeborener Sohn hast du keinerlei Aussicht auf ein Erbe. Dein ältester Bruder bekommt die kläglichen Güter deiner Familie und dein zweiter Bruder hat bereits seinen Dienst beim Militär begonnen, welche Alternative dir damit bleibt, weißt du selbst. Richtig, das Kloster! Dein Vater hat dich mir damals schon regelrecht aufgedrängt, weil du einem Leben als Mönch auf keinen Fall zustimmen wolltest. Also entscheide dieses Mal selbst! Und jetzt raus“, beendete er seinen Vortrag gelassen.

Kai nickte, was allerdings eher wie zu sich selbst wirkte und verließ ohne jegliche Verbeugung oder höfische Verabschiedung das königliche Gemach. Am nächsten Morgen brachte er dem König das Frühstück und nahm damit seinen Dienst wieder auf. Mit der Hoffnung, dass Sebastian endlich zurückkehren und alles wieder richten würde.

Doch er war nicht der Einzige, der in jener Nacht eine Entscheidung traf. Als Gregorius in sein Gemach zurückkehrte, erwartete ihn Marius am Tisch sitzend. „Wo warst du so lange?“, fragte er und Gregorius wich seinem Blick aus. „Natürlich! Warum frage ich überhaupt noch“, höhnte Marius daraufhin und stutzte. „Was ist geschehen? Weshalb siehst du mich nicht an?“, verlangte er zu wissen.

Gregorius schloss kurz die Augen, ging dann um den Tisch herum und blieb stehen. „Marius, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, ES, ist geschehen“, stammelte er unerträglich leise und zermürbt.

Er brauchte es gar nicht auszusprechen, Marius wusste sofort, was er damit meinte. Langsam schüttelte er den Kopf, voller Unglauben. „Was?“, fragte er dennoch.

„Ich habe mit ihm geschlafen“, flüsterte Gregorius erstickt, setzte sich und lehnte sich mit den Ellenbogen auf den Knien und den Kopf in beide Hände gestützt, nach vorn. „Ich liebe ihn“, kam kaum noch verständlich aus seinem Mund und Marius stand zitternd auf.

Ohne ein weiteres Wort ging er nach nebenan und packte seine Sachen.

***

Amanoue beugte den Kopf leicht in den Nacken, um die Verspannungen etwas abzumildern. „Halt still!“, befahl ihm Rafael sogleich.

„Können wir nischd eine Pause machen? Diese Haltung ist anstrengend und ich stehe schon seit Stunden so da“, nörgelte Amanoue zum wiederholten Male.

„Gleich! Nur noch ein paar Striche“, antwortete der Künstler konzentriert.

„Ich kann aber nischd mehr, meine Arme tun weh und meine Rücken auch!“, jammerte sein Modell und sackte auch gleich stöhnend in sich zusammen. „Aua!“

„Verdammt! Was machst du? Ich habe die Skizze noch nicht fertig! Und wir müssen das Licht ausnützen“, tadelte Meister Rafael ihn, mit dem Kohlestift in der Luft herumfuchtelnd.

„Alles, was Ihr ausnutzt, bin ja wohl isch“, murmelte Amanoue geschafft. „So `abe isch mir das nischd vorgestellt, da mache isch lieber die Beine breit…“

„Was sagst du? Rede lauter!“, forderte Rafael ihn auf und versuchte noch einige Linien aus dem Gedächtnis heraus zu vervollständigen.

„Nischds! Isch, ich, habe Hunger!“, rief Amanoue betont laut zu ihm rüber und sprang vom Podest runter.

„Du bekommst gleich etwas zu essen“, meinte Rafael, ohne weiter auf ihn zu achten.

„Ja, fragt sisch nur, ob es noch bevor isch verhungert bin, kommt!“, maulte Amanoue vor sich hin und machte einige Streckübungen. „Oh, was gäbe isch jedsd für eine Massage!“

Rafael legte endlich den Stift weg und lächelte zu ihm hin. „Ich sagte nie, dass es nicht anstrengend werden würde“, erwiderte er neckisch, während er sich die Hände säuberte. „Na komm, lass uns zu Mittagessen“, winkte er ihn gutgelaunt mit sich.

„Wenn das jedsd das Mittagessen ist, wann esst Ihr dann su Abend? Um swölf Uhr nachts?“, spöttelte Amanoue wieder und der Maler lachte herzlich auf.

„Das würdest du dann aber verpassen! Warum ziehst du nicht bei mir ein? Ich hätte noch eine Kammer frei“, schlug er ihm fröhlich vor, während sie sich an den Tisch setzten.

Amanoue überlegte kurz und schüttelte den hinreißend hübschen Kopf. „Mh, nein, lieber nischd! Nischds gegen Euch, aber isch möchte misch nischd mehr von jemandem abhängig machen“, meinte er skeptisch.

„Warst du denn von jemandem abhängig? Von wem?“, fragte Rafael interessiert.

Amanoue zog seine Schüssel zu sich heran und begann seine kalte Suppe zu löffeln. „Esst Ihr eigentlisch jemals warm? Die Essen ist immer schon kalt“, beschwerte er sich mürrisch, ohne auf die Frage einzugehen.

Rafael brach sich ein Stück Brot ab. „Warum antwortest du mir nicht?“

Amanoue schnaufte durch, spitzte den Mund und lutschte an seiner Unterlippe. „Ich möchte nischd darüber reden“, brummte er schließlich und sein Gegenüber nickte nachdenklich.

„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte er, ihn abschätzend musternd.

„Soll das eine Verhör werden? Isch bin so alt, wie es meine Kunden von mir wünschen! Wenn sie eine Knabe wollen, dann bin isch swölf und wenn sie misch lieber erwachsen mögen, dann bin isch es eben auch! Wieso interessiert Ihr Euch plödslisch dafür? Als Ihr misch sum ersten Male gevögelt habt, war es Euch doch auch gleich“, antwortete Amanoue recht schnippisch.

„Mir war klar, dass du noch sehr jung bist, aber ich erkannte auch, dass du nicht mehr so jung bist, wie du scheinst!“, erwiderte Rafael gelassen.

Amanoue sah ihn zweifelnd an. „Ach ja? Und wie alt schädsd Ihr misch?“

„Wenn man dich zum ersten Male sieht, wirkst du fast noch wie ein Kind. Dein zierlicher schlanker Körper, dein weiches Gesicht, deine nicht gerade stark ausgeprägte Körperbehaarung, insbesondere was den Bartwuchs angeht, lassen alles darauf schließen, dass du dem Knabenalter noch nicht entwachsen bist. Aber wenn man etwas mehr Menschenkenntnis besitzt und als Maler habe ich mir eine sehr gute angeeignet, erkennt man, dass deine Augen nicht mehr die eines Kindes sein können. Als ich in deine Augen schaute, las ich wie in einem offenen Buch darin und was ich darin sah, zeigte mir, dass du schon sehr viel erlebt haben musst“, erläuterte ihm Rafael wieder sehr grübelnd und zu seinem Erstaunen schnaubte Amanoue wie ein zynischer alter Mann.

„Da könntet Ihr sogar recht haben, was isch erlebt habe, reicht eschd für eine Leben, mindestens! Allein in den ersten fünfsehn Jahren habe isch wahrscheinlisch schon mehr erlebt, als andere in ihre ganse Leben“, brummte er voller Hohn und widmete sich wieder seinem erkalteten Eintopf.

Rafael nickte nur und begann ebenfalls zu essen. „Warum sagst du mir nicht wenigstens, wie du heißt?“, begann er aber schon kurz darauf erneut mit seinem Verhör.

„Wem interessiert`s?! Wenn Ihr mich rufen wollt, dann gebt mir doch einfach einen Namen“, antwortete Amanoue achselzuckend.

„Du bist wirklich eine harte Nuss, hm?“, seufzte Rafael und Amanoue sah ihn an.

„Isch bin hier, damit Ihr misch malen könnt und Ihr besahlt misch dafür, genau wie fürs vögeln! Alles andere geht Eusch nischds an!“

„Wer hat dich nur so verletzt?“, sinnierte Rafael leise, Amanoue warf den Löffel auf den Tisch und sprang auf.

„Hunderte! Seid Ihr nun sufrieden? Isch wurde von meine eigene Familie verkauft wie eine Deckhengst und landete in eine Bordell! Von da an war isch nur noch eine Lustsklave, der jedem su Willen sein musste! Jedsd bin isch swar immer noch eine Hure, aber isch kann mir wenigstens meine Kunden selbst auswählen!“, fuhr er den Künstler über den Tisch hinweg an. „Mir reischds für Heute“, brummte er dann, drehte sich um und stampfte wieder hinüber. Während er sich umzog, stand Rafael auf und kam ihm gelassen hinterher.

 

„Was machst du? Unsere Sitzung ist noch nicht fertig“, meinte er rügend.

„Für misch schon!“, schnauzte Amanoue ihn an.

„Wir haben eine Vereinbarung getroffen! Und du wirst dich daranhalten“, wurde nun auch Rafaels Ton schärfer.

„Ach!“, erwiderte Amanoue nur und sah ihn höhnisch an. „Und was wollt Ihr jedsd tun? Ihr könnt misch nischd swingen, hier su bleiben und könnt froh sein, wenn isch überhaupt noch eine Mal wieder komme, damit Ihr Eure blöde Bild fertig bekommt!“, sagte er trotzig.

Zu seiner Überraschung lächelte Rafael lediglich milde. „Du wirst wiederkommen! Denn irgendetwas sagt mir, dass du mir nicht nur um meinetwillen Modell dafür, stehst! Du hast Freude daran und möchtest dieses Werk genauso beenden, wie ich! Weshalb auch immer“, erwiderte er kühl.

Amanoue kniff ärgerlich die Augen zusammen, da es der Wahrheit entsprach. Oh ja, er wollte, dass dieses Bild fertiggestellt wurde! Auch wenn er Henrys dummes Gesicht niemals würde sehen können, aber allein die Vorstellung daran, wie der darauf starren und es nicht würde glauben können, war es ihm wert! Denn allmählich begann auch er sich mehr und mehr über Henrys Rauswurf zu ärgern. Nicht mal zu Wort hatte der ihn kommen lassen! Wenn er ihn wenigstens noch ein einziges Mal angehört hätte, ihm die Möglichkeit sich zu erklären gegeben hätte, aber was machte der stattdessen? Holte sich sofort den nächsten ins Bett! Und wie sah der aus? Natürlich blond und mit einer Haut, so weiß wie frischgefallener Schnee! Und noch dazu blutjung! Wahrscheinlich, nein, ganz sicher, auch noch unberührt!

Tief durchatmend wandte Amanoue sich halb um. „Ich komme morgen wieder, heute bin isch su aufgebracht dafür! Da kann isch nischd dümmlisch grinsen und so tun, als würde isch der gansen Menschheit ihre Sünden vergeben“, sagte er brummig und stiefelte hinaus. Rafael blickte ihm lächelnd nach und nickte zufrieden.

Es war ja erst früher Nachmittag und so schlug Amanoue den Weg zum Schloss ein. Wie immer nahm er die Landstraße, die ihn über die Felder zum Bach führte und er somit unentdeckt in den Garten gelangte.

Nachdem er sich im Pavillon eine Weile ausgeruht hatte, schlenderte er wie so oft durch die angelegten Blumenbeete, zupfte hier und da ein paar Unkräuter heraus und marschierte schließlich auf das verschlossene Tor zu. Sollte er einfach mal drüber klettern? Er könnte sich ins Wachgebäude schleichen und seine Freunde besuchen, nur auf einen kurzen Plausch und einem Bierchen…

Vielleicht könnte er dabei auch ein bisschen mehr über diesen Laurin erfahren, Benny würde ihm sicher mit Freuden alles über den berichten! Aber warum eigentlich? Was ging ihm es noch an, mit wem Henry das Bett teilte? Nichts! Und doch nagte es an ihm. Wo er den wohl durchvögelte? Womöglich sogar in seinem ehemaligen Bett? Oder gleich in Henrys eigenem?

Dessen Heiligtum, dachte Amanoue spöttisch und ärgerte sich prompt noch mehr. Was hatte damals Kai zu ihm gesagt? In dieses Bett, würde Henry nie jemanden mitnehmen, darin würde nur er allein schlafen! Ha! So ein Heuchler, immerhin hatte er selbst mal gesehen, dass das ja wohl nicht der Wahrheit entsprach und wer weiß wie viele noch darin gelegen hatten! Ja, außer ihm selbst.

Niemals hatte Henry ihn in dieses Bett gelassen, selbst als sie es kaum noch abwarten konnten, um endlich über einander herfallen zu können, hatte dieser Mistkerl ihn jedes Mal bis in das geheime Gemach geschleift!

Warum regte er sich eigentlich so auf? War ihm doch egal, wen Henry wo fickte!

Behände wie eine Katze kletterte er die hohe Steinmauer hinauf und lugte vorsichtig über den Rand. Einige Mägde kehrten gerade den Hof, ein Knecht schöpfte einen Eimer Wasser aus dem Brunnen, ein anderer trug einen Arm voll Holz zum Eingang der Küche und nur ein paar Soldaten standen dösend in der Nachmittagssonne Wache. Alles ruhig und friedlich, wie immer. Keine gesattelten Pferde standen für etwaige Ausritte bereit und vor allem nicht der weiße Hengst des Königs, nach dem Amanoue besonders Ausschau hielt.

Die Luft war also rein und so kletterte er auf der anderen Seite wieder hinab und schlich sich flink wie ein Wiesel zum Wachgebäude. Noch einmal um die Ecke gucken, alles klar und husch, husch, war er schon im Inneren des Langhauses verschwunden. Kurz blieb er nochmals hinter dem ersten Balken versteckt stehen und sondierte erstmal die Lage. Kaum einer da, gut! Ah, da hinten, die Jungs! Wenigstens ein paar von ihnen!

„Huhu?“, rief er hinter dem Balken hervor und alle anwesenden Soldaten drehten sich überrascht zu ihm um.

„Amanoue!“, entkam es nicht nur Brac erschrocken, doch der riesige Mann war der Einzige, der sogleich aufstand. „Was machst du hier?“

„Na was wohl, eusch besuchen“, antwortete Amanoue und schlenderte auf sie zu. „`allo, erstmal“, meinte er grüßend nickend, auch zu den anderen Gardisten hin und baute sich vor dem Tisch der Jungs auf. „Wieso starrt ihr misch alle so an?“, fragte er etwas irritiert, da die ihn tatsächlich wie einen Geist anstierten.

„Kleiner, bist du`s wirklich?“, brabbelte Brac und hatte ihn schon an den Schultern gepackt. „Mein Kleiner! Wusst` ich`s doch, dass du nich einfach so abhaust“, brummte der Riese gerührt und presste ihn an sich.

„B,B,B, Bra-ac, autsch, isch kriege, kei-ne Lu-uft!“, stotterte Amanoue erstickt, da Brac ihn mit einer seiner Riesenpranken am Hinterkopf haltend, gegen sich presste.

„Mein Kleiner! Hach! Und ich dachte schon, du wärst fort“, schluchzte der starke Mann nur und hob ihn auch noch hoch, um ihn besser herzen zu können.

„Ähm, Brac, wenn du mit ihm fertig bist, also vielleicht noch bevor du ihn zu Tode gequetscht hast, könntest du uns mal ranlassen?“, meinte Matto trocken und klopfte seinem Vorgesetzten auffordernd auf die Schulter. „He, Mann, es reicht! Der Kleine läuft schon blau an und zappelt wie ein Fisch an der Angel!“

„Is ja schon gut“, räusperte sich Brac schniefend und ließ Amanoue endlich los. Der plumpste wackelig auf seine Füße zurück und wurde umgehend in die nächste Umarmung gezogen, während sich alle anderen um sie herumstellten und ihm von allen Seiten auf Rücken und Schultern klopften.

„Du liebe Seit, isch war doch nur ein paar Tage weg“, murmelte er und entwand sich aus Mattos Arme. „Was ist denn mit eusch los?“

„Da fragst du noch?! Mann, wir dachten echt, dass du einfach auf und davon bist!“, antwortete Finn, ihn noch immer recht ungläubig musternd.

„Ohne misch su verabschieden?“, erwiderte Amanoue regelrecht empört und setzte sich auf seinen Stammplatz. „Kann isch eine Birr haben?“

Ausgerechnet Benny nickte wieder als erster und spurtete auch schon los. Amanoue sah ihm verdutzt nach und dann alle anderen am Tisch. „Was ist hier los?“, fragte er nochmals.

„Hast uns halt gefehlt“, meinte Matto achselzuckend.

„Benny?“, entkam es Amanoue zweifelnd und alle lachten.

„Ach Kleiner, alles ist irgendwie anders, seit du fort bist, also, seit du nich mehr drüben bist, bei…“, brummte Brac und seufzte schwer.

„So? Na was denn?“, wollte Amanoue neugierig wissen.

„Alles, eben!“, wiederholte Benny höhnisch und stellte ihm ein frisch gezapftes Bier hin. „Es ist, ach, wie soll ich es sagen, völlig beschissen, um es mal wie Matto es nennt, auszudrücken“, sagte er, die Augen verdrehend und seine Kameraden nickten einstimmig.

Amanoue starrte ihn ungläubig an. „Aha. Und weshalb? Isch hörte, dass es bald eine große Feier geben würde, zu eine Taufe, von wem auch immer“, meinte er darauf und Brac stieß ihn sofort sich laut räuspernd an. Amanoue sah blinzelnd zu ihm und der Riese schüttelte ermahnend den Kopf.