Das verlorene Seelenheil

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Laurin sah ihn dermaßen schockiert an, dass es schon albern wirkte aber Henry fand den Vorwurf keineswegs zum Lachen. Der König war schlichtweg baff. „Ja, und jetzt?“, fragte er vollkommen überfordert.

„Mit Verlaub, Eure Majestät, ich habe es Euch schon gestern Abend erklärt, ich habe die Nase gestrichen voll! Seit Jahren bin ich in Euren Diensten, habe Euretwegen auf ein Privatleben verzichtet und meine beste Freundschaft zerstört. Oh ja, ich meine Amanoue damit, auch wenn Ihr mir verboten habt, diesen Namen je wieder in Eurer Gegenwart zu erwähnen! Euretwegen, habe ich ihn ausspioniert und verraten und, ich bedauere es zutiefst! Vergebung Majestät, aber diese Scheißstellung, war es schlichtweg nicht wert und noch zu allem Überfluss habt Ihr mir aus Eurer grenzenlosen Dankbarkeit und Güte heraus, auch noch Phineas vor die Nase gesetzt! Ihr habt diesem Verräter den mir zustehenden Posten als Sebastians Nachfolger überlassen und ich habe stillgehalten! Aber jetzt ist meine Geduld am Ende und ich quittiere hiermit meinen Dienst. Sucht Euch fortan einen anderen Deppen und, für den Übergang, habt Ihr ja noch Euren Pagen. Ich wünsche Eurer Majestät alles Gute für die Zukunft“, meinte er mit einer tiefen Verbeugung und Henry stand da wie vom Donner gerührt.

Der König schluckte tatsächlich erst einmal und holte tief Luft. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?!“, donnerte es aus ihm heraus und Kai nickte.

„Seht Ihr, das ist es, was ich damit meinte! Diese rotzfreche Göre macht was er will, Benny war zwar gegen den noch ein Waisenknabe, hatte aber auch seine Freiheiten Euch gegenüber und Ihr wart immer voller Nachsicht ihm gegenüber. Aber ich? Was bin ich für Euch? Richtig, nur ein Dienstbote und die sind ersetzbar! Das galt jedoch nie für mich! Ich war gerne in Euren Diensten, aus ehrlicher Liebe zu Euch und habe mein Leben gerne für Euch aufgegeben aber ich möchte nicht irgendwann als alter verbitterter Diener enden, für den man nur noch das Gnadenbrot übrighat. Verzeiht Eure Majestät, aber ich kann nicht länger in Euren Diensten stehen! Vielleicht hätte ich ja auch einfach frecher und dreister Euch gegenüber sein sollen, wer weiß, aber so bin ich nicht“, meinte er bedauernd, drehte sich um und ging.

Henry starrte ihm vollkommen fassungslos nach und Laurin schlich sich an ihm vorbei. „Ich räum dann mal ab, ja?“, meinte er vorsichtig, schnappte sich das Frühstückstablett und stahl sich hinaus.

Mit einem ungläubigen Kopfschütteln ging Henry hinüber ins Schlafzimmer und setzte sich erst einmal aufs Bett. „Das kann doch alles nicht wahr sein“, murmelte er vor sich hin. „Und jetzt?“ Seufzend stand er wieder auf und begann sich selbst zu entkleiden. Er zog sich seinen Morgenmantel an, schlurfte entnervt zurück zur Türe und öffnete sie. „Lasst niemanden mehr durch!“, befahl er den Wachen und die nickten salutierend. Henry knallte die Tür wieder zu, marschierte wieder ins Schlafgemach und blickte säuerlich in den vollen Nachttopf, da er sich vor dem zu Bett gehen nochmals erleichtern wollte. „So eine verdammte Scheiße!“, schimpfte er und hätte das Ding am liebsten davongeschossen. Kurzerhand hob er die Schüssel hoch und war schon versucht den Inhalt einfach aus dem Fenster zu kippen, doch dann besann er sich doch noch. Auch, weil er sich schlichtweg ein wenig schämte. Wie würde das denn wieder aussehen, wenn ihn dabei jemand beobachten sollte. Der König entleert seinen eigenen Nachttopf aus dem Fenster, nein, soweit war er dann doch noch nicht gesunken! Sollte er…

Im geheimen Gemach befand sich ein eigener Abort…

Aber dafür müsste er hinübergehen…

Seit Monaten hatte er es nicht mehr betreten, warum eigentlich nicht? Es war doch leer…

Henry schnaufte tief durch und öffnete vorsichtig die verborgene Tür. Keine Fackel brannte und so nahm er den Nachttopf in die eine und eine brennende Kerze in die andere Hand. Mit einem seltsam mulmigen Gefühl in der Magengegend machte er sich auf den Weg, den Weg, den er oftmals voller Vorfreude und manchmal auch wütend beschritten hatte, hinüber zu, ihm.

Seufzend verscheuchte er die Gedanken daran und zog den Riegel der schweren Eichenholztüre zurück. Ein leichter Veilchenduft schlug ihm entgegen, als er das geheime Gemach betrat und sofort schlug ihm das Herz bis zum Hals. Dieser Duft, sein unverkennbarer Duft, wie sehr er ihn vermisst hatte, auch wenn es immer bedeutet hatte, dass es ihm nicht gut ging…

Es war stockdunkel in dem kalten Raum und so zündete er erst einmal zwei weitere der dicken Kerzen an. Erneut holte er tief Luft, um sich selbst zu beruhigen und marschierte entschlossen ins Nebenzimmer. Nachdem er den Nachttopf entleert hatte, erleichterte er sich noch und drehte sich wieder um. Nichts wie raus hier, schoss es ihm durch den Kopf und so beeilte er sich so schnell wie möglich das Gemach wieder zu verlassen. Er pustete die erste Kerze aus, damit flackerte auch die zweite heftig und irgendetwas Funkelndes fiel ihm dadurch ins Auge. Es kam vom Bett her und Henry hielt augenblicklich den Atem an, als er das goldene Etwas erkannte, in dem sich das flackernde Licht widerspiegelte. Oh nein…

Henry ging wie automatisch darauf zu und erstarrte. Das Bett war ungemacht, die Decken zerwühlt und halb zurückgeschlagen, ein Kissen zeigte noch die Mulde, die ein Kopf hinterlassen hatte und alles wirkte so, als wäre es geradeerst verlassen worden. Ob es vielleicht sogar noch nach ihm roch?

Der Armreif lag auf der anderen Seite, seiner eigenen Seite, auf seinem unberührten Kopfkissen und so beugte er sich hinüber. Dabei musste er sich mit einem Knie aufstützen und ganz plötzlich entkam ihm ein leiser Schluchzer. Er berührte das kühle Metall, griff danach und presste den Armreif gegen seine stechende Brust. Der Schmerz war so groß, dass es ihm fast die Luft nahm und er ließ sich fallen. Laut schluchzend verbarg er sein Gesicht in Amanoues nach Veilchen duftendem Kissen und wiegte sich verzweifelt weinend hin und her. Irgendwann kamen keine Tränen mehr, er zog die Decken über sich und kauerte sich wie ein Embryo zusammen.

***

Irgendetwas kitzelte ihn an der Wange, als würde eine weiche Haarsträhne darüberstreichen und er öffnete die Augen. „Kätzchen?“, krächzte Henry heiser und fuhr hoch. Doch da war niemand, er starrte verwirrt umher und erkannte im selben Augenblick, dass es wieder nur ein Traum gewesen war. Ein Traum, den er so oft schon geträumt hatte, von ihm und ihren glücklichen Zeiten und der nun endgültig geplatzt war. Amanoue war fort, das machte ihm auch der zurückgelassene Armreif unmissverständlich klar. Seinetwegen. Und er wusste noch nicht einmal, wohin.

Obwohl es sehr kalt in dem seit Wochen ungeheizten Raum war, hatte er stark geschwitzt und so fröstelte er nun, als er sich aus den wärmenden Decken schälte. Die Kerzen waren heruntergebrannt, er musste also mehrere Stunden geschlafen haben, aber wie lange? War es schon morgens? Er sollte schnellstens wieder in seine Gemächer gehen, bevor noch irgendjemand nach ihm suchen und ihn hier entdecken würde. Rasch griff er nach der obersten Decke, damit er nicht noch mehr auskühlte und legte sie sich zitternd um. Dass es die Fuchsfelldecke war, fiel ihm gar nicht auf.

Verdammt, war ihm kalt. Seine bloßen Füße fühlten sich eisig an, als er über den kalten Steinboden zurück in seine Gemächer eilte. Er setzte sich aufs Bett, ließ die Decke von seinen Schultern gleiten und starrte das goldene Armband an, das er noch immer krampfhaft in seiner rechten Hand festhielt. Langsam öffnete er die steifen Finger und betrachtete die Linien, die die Kanten in seiner Haut hinterlassen hatten. Wie in Trance legte er es sich um sein linkes Handgelenk, verschloss es sorgfältig und ohne sich noch vorher zu waschen, zog er sich rasch an. Allein.

Klar, er hatte ja auch die Anweisung gegeben, niemanden mehr hereinzulassen und wahrscheinlich stand der arme Kai schon mit dem Frühstück wartend vor der Tür. Doch dem war nicht so, denn als Henry diese öffnete, erblickte er nur die beiden Wachen. „Ist es schon morgens?“, fragte er und die Gardisten sahen ihn fragend an.

„Eure Majestät?“

„Wie spät ist es?“

„Bereits Vormittag, Eure Majestät“, antwortete einer der Soldaten verwirrt.

„Wie bitte?! Warum hat mich keiner geweckt?“, fuhr der König ihn an.

„Vergebung, Eure Majestät, aber wir haben die Weisung bekommen, niemanden zu Euch vorzulassen und, naja, es war auch niemand da“, antwortete der Mann.

„Niemand? Wieso? Was ist mit Kai? Und meinem Frühstück?“, zeterte der König sie verständnislos an und die beiden wirkten fast geknickt. „Ach, egal!“, winkte Henry ab und marschierte an ihnen vorbei. „Ich fasse es nicht“, brummte er, als er die Treppe hinabstieg und wenig später die leere Halle betrat. „Nanu? Warum ist hier keiner?“, fragte er die Wachen, die ihm selbstverständlich gefolgt waren und die sahen sich seltsam erstaunt an.

„Eure Majestät? Heute ist Samstag, da finden keine Audienzen statt“, meinte einer von ihnen.

„Ach ja! Hab ich ganz vergessen“, murmelte der König fahrig. „Naja, dann begebe ich mich eben in mein privates Audienzzimmer! Könnte mir einer von euch was zum Essen besorgen?“, fragte er, als sie dort angelangt waren und wieder sahen die sich auf diese merkwürdige Art an.

„Sofort, Eure Majestät“, antwortete diesmal der andere und marschierte die Augen verdrehend, davon.

Henry war dies nicht entgangen, allerdings sah er einfach darüber hinweg und eigentlich war er froh, in diesem Moment allein zu sein. Er machte die Türe hinter sich zu und setzte sich vor den brennenden Kamin. Warum fror er nur so? Hoffentlich hatte er sich nicht erkältet…

Aufbruchstimmung

Henry war gerade mit seinem verspäteten Frühstück fertig, das ein gewöhnlicher Diener ihm gebracht hatte, als sein Onkel und Wilhelm hereinkamen. „Nanu, ganz allein? Wo ist denn deine kleine Zecke?“, fragte Richard spöttisch. „Und wo ist Kai?“, hängte er mit einem Blick auf den fremden Bediensteten an.

 

„Keine Ahnung“, antwortete Henry mürrisch und hielt seine Hände nah ans Kaminfeuer.

„Hm?“, machte sein Bruder und setzte sich neben ihn.

„Was weiß denn ich! Wahrscheinlich abgehauen, so, wie mir in letzter Zeit alle Diener weglaufen! Er hat mir gestern einen Vortrag gehalten, dass ich ihn anscheinend jahrelang benachteiligt hätte und weg war er“, knurrte Henry, ohne sie anzusehen.

„Na endlich“, entgegnete Richard nüchtern und setzte sich auf die andere Seite.

„Wie bitte? Was soll das heißen?“, fuhr Henry auf.

„Heinrich! Du hast den armen Jungen wirklich, also wie soll ich es sagen, jahrelang hingehalten?“, antwortete sein Onkel verständnislos.

„Verarscht“, korrigierte Wilhelm unverblümt. „Das wolltest du doch eigentlich damit sagen, oder?“

Richard nickte einmal aussagekräftig. „Ja!“

Henry sah zwischen ihnen hin und her und setzte sich empört zurück. „Der Meinung bin ich ganz und gar nicht! Ich habe ihm niemals Versprechungen gemacht, was Sebastians Nachfolge betrifft!“

„Ach, Sebastian“, seufzten die beiden wie aus einem Munde.

„Was soll das wieder heißen?“, beschwerte Henry sich zickig.

„Gar nichts! Aber ehrlich? Wäre es nicht an der Zeit, ihm mal eine Nachricht zu schicken? Ich verstehe dich nicht“, blaffte Wilhelm ihn an.

Henry straffte sich augenblicklich, was fast lächerlich schnippisch wirkte und die beiden verdrehten die Augen. „Heinrich, du brauchst ihn! Gerade jetzt, da du dir offenbar auch noch Kai verscherzt hast und das, bitte entschuldige, mit recht!“, sagte Onkel Richard vorwurfsvoll.

„Na klar! Fallt mir nur alle in den Rücken!“, fuhr Henry hoch und begann wieder einmal seine Runden zu drehen. „Sebastian hat mich verlassen, ja?! Er ging von sich aus, weil“, plötzlich hielt er sich die Stirn und schluckte dermaßen schwer, dass sich Wilhelm sofort erhob.

„Raus!“, sagte er energisch zu dem Diener und der suchte sofort das Weite. „Henry, ach verdammt! So geht das doch nicht weiter, wir beide, so sehr ich es auch bedaure, können dir anscheinend nicht helfen! Sebastian war immer für dich da, auch, nach der schlimmen Sache damals“, wurde er immer leiser. „Er bedeutet dir wahrscheinlich mehr, als jeder andere auf dieser Welt und ich bitte dich nochmals, ihn endlich zurückzuholen! Für dich selbst“, bat er seinen Bruder inständig.

Henry schüttelte nur den Kopf, so verzweifelt, dass es den anderen beiden zu Herzen ging. „Ich kann nicht“, stammelte er erstickt.

Wilhelm schnaufte schwer aus. „Weil du befürchtest, dass er zu Amanoue halten könnte, ja?“, sprach er es endlich aus und sein Bruder schluchzte auf.

„Ja!“, kam es kläglich über dessen Lippen und jetzt stand auch Richard auf.

Erschüttert trat er neben seinen Neffen und umarmte ihn fest. „Das weißt du doch gar nicht“, sagte er leise zu ihm, doch Henry nickte überzeugt.

„Er war immer auf seiner Seite“, schluchzte er.

„Wenn Sebastian die Wahrheit erfährt, ganz sicher nicht!“, brummte Wilhelm. „Und ganz ehrlich? Du hättest dem kleinen Bastard doch den Kopf abschlagen lassen sollen!“

Henry schluchzte noch lauter und Richard warf seinem anderen Neffen einen bitterbösen Blick zu. „Wilhelm, sei jetzt einfach still!“, zischte er dem zu und führte Henry zurück zu den Sesseln. „Setz dich, ja?“, sagte er liebevoll und Henry ließ sich einfach darauf fallen.

„Aber so“, Wilhelm deutete genervt auf ihn, „geht es doch wirklich nicht weiter!“

„Das sehe ich selbst ein und er, auch“, erwiderte Richard sanft. „Heinrich, bitte, du musst endlich wieder du selbst werden! Auch, wenn es bedeuten würde, Amanoue wieder zurückzuholen“, flüsterte er nur noch und Henry sah ihn erschrocken an.

„Das, kann ich nicht“, murmelte er zurück und die beiden ließen ihre Köpfe hängen. Jeder auf eine andere Art, Richard völlig betrübt und Wilhelm maßlos verzweifelt.

„Dann musst du dich endlich aufraffen und darüber hinwegkommen!“, raunte er seinem Bruder zu. „Du bist betrogen worden, ja! Aber sei jetzt endlich ein ganzer Kerl und scheiß auf die beiden! Sybilla wird nach der Taufe in der Versenkung verschwinden und Amanoue ist doch offenbar schon weg! Er ist einfach auf und davon! Ohne irgendeine Nachricht zu hinterlassen! Keine Entschuldigung, keine Erklärung, nichts! Kapier` es endlich, der ist einfach nur froh, endlich frei zu sein und sicher schon über alle Berge“, versuchte er Henry klarzumachen und ganz plötzlich begann der zu nicken.

„Du hast recht! Es ist an der Zeit, endlich wieder vorauszuschauen“, erwiderte er und richtete sich auf.

„Wie wäre es, wenn wir morgen mal wieder zur Jagd gehen würden?“, schlug Richard vorsichtig vor. „Nur wir drei und Falco, das würde dich mal auf andere Gedanken bringen, hm?“

„Ein sehr guter Vorschlag!“, stimmte Wilhelm sofort begeistert zu. „Henry, du musst mal hier raus! An die frische Luft! Du darfst dich nicht länger verstecken! Immerzu sitzt du entweder in der Halle herum oder vergräbst dich hier oder sperrst dich in deinen Gemächern ein! Da muss man ja trübsinnig werden“, raunte er brummig und Henry nickte wieder.

„Ja, ihr habt recht, so geht das wirklich nicht weiter! Und ich werde gleich heute damit anfangen! Ich möchte ausreiten, gleich!“, sagte er entschlossen und die beiden anderen schnauften geradezu befreit auf.

„Ich lasse sofort die Pferde bereitstellen, sagen wir in einer halben Stunde?“, fragte Wilhelm übermäßig erfreut.

„Noch vor dem Mittagessen?“, warf Richard überrascht ein, was ihm einen verständnislosen Blick von Wilhelm einbrachte.

„Naja, wir könnten auch noch warten oder ich reite allein. Ich habe gerade etwas gegessen“, meinte Henry ein wenig geknickt und sein Onkel schüttelte schnell den Kopf.

„Nein! Scheiß auf das Mittagsmahl, du bist viel wichtiger und wir kommen sehr gerne mit“, erklärte er rasch und die Miene des Königs hellte sich ein klein wenig auf.

„Also dann, bis gleich!“, rief Wilhelm und machte sich auf den Weg.

Auch Henry und Richard gingen nach oben, um sich umzuziehen und vor dem königlichen Gemach fand Henry auch die `kleine Zecke´, wartend vor. „Eure Majestät“, begrüßte Laurin ihn mit einer vollendeten Verbeugung.

„Auch schon da?“, brummte der König etwas missmutig und betrat sein Gemach.

Der Kleine folgte ihm unaufgefordert und Henry blieb überrascht stehen. Der Tisch war endlich abgeräumt und als er in sein Schlafgemach hinüberging, stellte er fest, dass auch hier jemand aufgeräumt hatte, zumindest war das Bett einigermaßen gemacht. „Nanu?“, sagte er und drehte sich um.

Laurin stand mit verlegen gesenktem Haupt da und hob verschämt die Schultern. „Ich dachte, naja, ich mache es, zumindest habe ich es versucht“, meinte er schüchtern.

Henry lächelte ihn an. „Und wo ist Kai?“, fragte er, ohne jeden Vorwurf.

„Ich weiß es nicht, Eure Majestät“, antwortete sein Page achselzuckend.

Henry nickte seufzend, trat zu ihm und hob ihm das schmale Kinn an. „Naja, Bettenmachen scheint nicht deine Stärke zu sein, hm?“

Ein kleines Lächeln stahl sich auf Laurins Lippen und er sah zu ihm hoch. „Muss ich wohl noch lernen“, nuschelte er und der König grinste ihn fast zärtlich an.

„Du hast ja jede Menge Zeit, dazu! Immerhin, ein ganzes Jahr“, sagte er ein wenig spöttelnd und der Bengel gluckste leise.

„Ich werde mir redlich Mühe geben“, meinte er spitzbübisch und Henry nickte schmunzelnd.

„Tja, da ich im Moment wohl ohne Leibdiener bin, würdest du mir vielleicht beim Umziehen helfen? Ich möchte gerne einen Ausritt machen und so“, er deutete an seiner langen edlen Robe entlang, „geht das wohl schlecht! Es sei denn, ich setze mich schräg auf den Sattel!“

Laurin nickte kichernd. „Wie eine Dame!“, sagte er frech und Henrys Herz ging wieder ein kleines bisschen weiter auf. „Ich helfe Euch gerne!“, rief sein Page freudig aus und sah sich suchend um. „Wo?“

Henry blinzelte kurz. „Äh, ja, wo? Gute Frage, keine Ahnung? Wahrscheinlich in einer der Kleidertruhen“, meinte er und Laurin legte den Kopf schief.

„Na klar! Wo sonst“, erwiderte er, sich selbst an die Stirn fassend, weil er nicht selbst daraufgekommen war und machte sich auf die Suche nach Henrys Jagdgewänder.

***

Falco hatte einen Trupp aus Herriks Abteilung dazu bestimmt, um seine Majestät zu begleiten und die stand wartend im Innenhof bereit.

Da es ein wirklich warmer Frühlingstag war, standen oder saßen auch etliche andere Soldaten vor dem Wachgebäude herum und sahen eher gelangweilt zu ihnen hin. „Ist ja ein echtes Wunder“, meinte Matto spöttisch, „glaubt ihr, dass der Alte auch wirklich mal seine Höhle verlässt?“

„Hm“, machte Bernard achselzuckend und nicht gerade überzeugt. „Würde aber auch endlich mal Zeit werden! Mittlerweile ist unser König so blass wie ein gekochter Weißfisch und macht sogar unserem Benny damit Konkurrenz“, antwortete er, mit einem Seitenblick auf den.

„He!“, empörte der sich auch sogleich und rempelte ihn an.

„Was ist denn hier los?“, fragte Amanoue erstaunt, als er gerade aus dem Gebäude heraustrat.

„Seine Majestät möchte ausreiten“, raunte Matto ihm zu und hielt ihn mit einem erhobenen Arm auf. „Du solltest also lieber drinbleiben!“

Amanoue trat sofort wieder einen Schritt zurück und versteckte sich hinter dem breiten Türpfosten. Unwillkürlich musste er schwer schlucken und war schon drauf und dran, die Flucht zu ergreifen, als der König auch schon erschien. Amanoue konnte sich kaum noch bewegen und starrte wie gebannt hinüber. „Hau ab!“, zischte jetzt auch Bernard ihm ermahnend zu, aber Amanoue blieb trotzdem.

„Verdammt, Manou! Wenn der Alte dich sieht, ist der Teufel los! Der denkt, dass du längst weg bist“, raunte Matto wieder und so trat Amanoue wenigstens ein kleines Stückchen weiter zurück.

Zu ihrer aller Überraschung, stellte sich Benny direkt vor ihn und gab ihm dadurch noch zusätzlich einen Sichtschutz, da Amanoue weiterhin wie gebannt zu Henry hinübersah. Neben dem König stand ein recht kleiner, fast zierlicher Junge und grinste den ganz offen an. „Wer ist das?“, fragte Amanoue flüsternd.

Benny entkam ein dermaßen angewidertes Schnauben, dass es ihm fast den Rotz aus den Nasenlöchern blies. „Der neue Page des Königs!“, zischte er höhnisch, aber die Eifersucht konnte es nicht überdecken. „Laurin von Lothringen! Und der ist sowas von einem Miststück, da kommst nicht mal du ran!“

„Oh, viele Dank auch“, sagte Amanoue schnippisch.

„Nein, echt jetzt, von dem könntest sogar du noch was lernen, so wie der seine Majestät um den Finger wickelt“, setzte Benny noch nach und jetzt kam auch Brac heraus.

„Hast du sie noch alle? Mach, dass du hier wegkommst!“, fuhr er Amanoue erschrocken an und der zog eine beleidigte Schnute.

„Er sieht misch doch gar nischd! Isch wollte ihn doch nur mal sehen!“, erwiderte er trotzig.

„Ja! Und wenn er dich sieht, macht er dich wahrscheinlich einen Kopf kürzer! Mann, Kleiner, so leid es mir auch tut, der Alte hasst dich inzwischen wie die Pest! Wehe, es wagt einer auch nur deinen Namen zu erwähnen und schon rastet er aus und Wilhelm bekräftigt ihn noch! Also, rein mit dir, aber schnell!“, befahl Brac ohne noch einen Widerspruch zuzulassen. „Ist eh `n Wunder, dass du überhaupt noch bis jetzt hierbleiben konntest und dich noch keiner verraten hat“, raunte er ihm noch zu und Amanoue marschierte mürrisch nach hinten. In der Tat deckten auch die anderen Soldaten, jedenfalls die der ersten und zweiten Abteilung Amanoue bisher und Ulrichs Leuten schien seine Anwesenheit nicht weiter zu kümmern. Sie kannten ihn ja nicht und da sie keiner danach fragte, war er ihnen schlichtweg egal. Außerdem hatte Brac diejenigen von ihnen zur Brust genommen, die Amanoues Schreibdienste in Anspruch genommen hatten und ihnen dringlich geraten, ihre Klappen darüber zu halten, wenn sie hier noch ein schönes Leben zu führen gedachten.

Amanoue schlurfte dennoch lieber in den Schlafraum, sicher war sicher, nicht dass Henry doch noch einer plötzlichen Eingebung folgte und Lust auf ein Bierchen mit seinem besten Freund bekam. Ach, wie sehr er es doch vermisste, die ungezwungenen Abende, die er und die Jungs oft mit Henry verbracht hatten…

 

Und wie wundervoll er ausgesehen hatte. Genau wie früher, dachte er seufzend. Tatsächlich trug der König mittlerweile wieder einen dichten Vollbart und sein Haar war fast schulterlang geworden, in den letzten Monaten. Amanoue hatte es von Anfang an gemocht, ihm in dieses seidige Haar zu fassen, immer, wenn sie sich geliebt hatten und auch den Bart hatte er irgendwie vermisst, als er Henry zum ersten Male glattrasiert gesehen hatte, damals in Averna…

So lange her, so viel war geschehen, in der Zwischenzeit. Sehr viel Schlechtes aber auch manch Gutes. Und, wie er zugeben musste, sehr viel Schönes! Besonders im letzten Jahr…

Verdammt, warum musste er sich auch ausgerechnet da in ihn verlieben? Warum nicht früher, dann wäre dieser ganze Mist nicht passiert! Auch die Sache in Averna wäre mit Sicherheit ganz anders zwischen ihnen verlaufen, aber nein, sein blödes Herz musste ja Falco nachheulen und alles kaputtmachen! Eigentlich konnte er Henrys Reaktion echt nachvollziehen! Der hatte sich so auf ihn gefreut und was hatte er gemacht? Ihm immer wieder vor den Kopf gestoßen, beleidigt und betrogen!

Und ausgerechnet jetzt, als auch er sich in Henry verliebt hatte, kam alles genau anders herum! Ja, er konnte es nicht verleugnen, er liebte ihn inzwischen wirklich und dafür brachte Henry jetzt ihm nur noch Hass und Abscheu entgegen. Was war das Schicksal doch manchmal für ein mieses Miststück, dachte er seufzend und setzte sich auf sein Bett.

Wenig später betrat auch Benny den Raum und sah unschlüssig zu ihm hin. Doch dann wandte er sich ab und tat so, als würde er etwas suchen. Kurz darauf drehte er sich wieder um und blickte zu Amanoue hinter, der frustriert vor sich hinstarrte. „Tut mir echt leid“, murmelte er plötzlich und kam einige zögerliche Schritte näher.

„Hm?“, machte Amanoue, zu ihm hinsehend. „Warum bist du eigendlisch nischd mitgeritten? Du hast seine Majestät doch sonst immer begleiten dürfen“, fragte er, ohne auf dessen vorangegangenen Ausspruch einzugehen.

„Weil ich nicht mitdurfte?“, schnappte Benny zickig zurück. „Seine Majestät sieht mich doch gar nicht mehr an! Seit Monaten, behandelt er mich und uns alle, nur noch wie Luft! Und, seit dieser Giftzwerg da ist, hat er nur noch Augen für den!“, regte er sich noch weiter auf.

„Ach“, meinte Amanoue nur.

„Was, ach?! Regst du dich nicht darüber auf? Und übrigens, ich habe dir vorhin etwas gesagt! Nämlich, dass es mir leidtut!“, warf Benny ihm vor.

Amanoue seufzte erneut. „Warum solllte isch misch aufregen? Und worüber? Isch hoffe, dass Henry wieder glücklisch werden kann, mit wem auch immer“, erwiderte er betrübt. „Und was die andere Sache betrifft, entschuldige, wahrscheinlisch habe isch es nischd gehört und isch verstehe es ehrlisch gesagt auch nischd. Was, tut dir leid?“

„Na alles! Dass ich immer so zickig zu dir war und auch, naja, dass du jetzt fortmusst“, gestand er leise.

Amanoues Augenbrauen wanderten verdutzt nach oben, was seine Augen noch größer erscheinen ließ. „Aha, na dann, danke, für die Auskunft. Allerdings weiß ich das ohnehin schon“, meinte er und stand schwerfällig auf. Er begann seine Sachen zusammenzulegen und Benny schlurfte zu ihm hin.

„Was machst du?“, fragte er, als er sah wie Amanoue anscheinend tatsächlich seine wenigen Habseligkeiten zusammenpackte. Zu unterst lag der Umhang und darauf legte er gerade die warmen Wintersachen, da er in den letzten Tagen eh nur das dünne Unterhemd und eine leichtere Leinenhose getragen hatte.

„Ich packe wohl lieber schonmal alles susammen. Viel ist es ja nischd und wer weiß, vielleischd muss isch morgen schon gehen? Jedsd, da es `enry wieder besser geht und er die Schloss wieder verlässt? Isch möschte ihm lieber nischd begegnen, vor allem nischd um seinetwegen. Er hat genug Schmers durch misch erfahren müssen“, antwortete Amanoue und Benny fiel ihm plötzlich um den Hals.

„Es tut mir sooo leid! Ehrlich! Ich war oft so ungerecht zu dir, das habe ich inzwischen begriffen! Ich war so eine dumme Nuss“, heulte er los und Amanoue erstarrte regelrecht, vor Überraschung. „Wie kannst du nur so gelassen bleiben und so guuut!“

„Äh, naja, hilft ja nischds und es war doch meine Schuld, dass er misch rausgeworfen `at“, stammelte Amanoue, noch immer verblüfft. „Ist ja schon gut“, meinte er und schob Benny zurück.

Sein ehemaliger Erzrivale hatte tatsächlich Tränen in den Augen und zog schniefend die Nase hoch. „Ich werde dich vermissen, du Nervensäge“, sagte er leise und Amanoue nickte leicht.

„Mir tut es auch leid, dass ich manchmal so gemein su dir war“, meinte auch er jetzt und hob betreten die Schultern.

Benny zog nochmals ungeniert die Nase hoch. „Und wo willst du hin?“

Amanoue zuckte die Achseln. „Weiß nischd, vielleischd suche isch mir erstmal eine Bleibe in der Stadt.“

„Hast du denn Geld?“, fragte Benny erstaunt.

Amanoue zog einen Geldbeutel unter der Matratze hervor und schüttete ihn aus. „Das ist alles.“

„Ist ja nicht grad viel“, meinte Benny skeptisch und verteilte die Münzen mit den Fingern. „Mit den paar Kröten kommst du aber nicht weit, das langt dir gerademal für ein schäbiges Hinterhofzimmer und auch nicht gerade für länger.“

„Isch weiß, aber was bleibt mir anderes übrig? Isch möschte Brac und eusch nischd unnötig in Misskredit bringen! Wer weiß, wie `enry reagiert, wenn er erfährt, dass ihr misch hier versteckt haltet“, antwortete Amanoue durchschnaufend. „Isch werde schon irgendwie sureschdkommen, habe isch doch immer getan“, sagte er beinahe tröstend, als er Bennys traurige Miene sah.

Und genau das tat er dann auch. Schon am gleichen Nachmittag machte er sich auf den Weg und suchte sich in einem der ärmeren Viertel der Stadt ein billiges Zimmer.

***

Henry hatte sich doch erkältet. Noch während des Ausritts bekam er immer schlechter Luft, seine Nase war zu, sein Schädel brummte wie nach einer durchzechten Nacht und seine Glieder schmerzten. Nach einem kurzen aber schnellen Galopp bremste er deshalb den erstaunlich ruhigen Schimmel wieder ab und Wilhelm sah besorgt zu ihm rüber. „Was ist los?“, fragte er, seinen Bruder musternd.

„Ich weiß nicht, irgendwie fühle ich mich nicht gut. Irgendwie so schlapp und meine Beine tun weh“, gab Henry ehrlich zu und bei Richard und Wilhelm schrillten alle Alarmglocken los.

„Naja, du bist ja auch schon länger nicht mehr geritten, vielleicht liegt es daran“, meinte Wilhelm dennoch beruhigend.

„Ach was! Reiten hat mir noch nie was ausgemacht und die paar Wochen?“, widersprach Henry fast beleidigt.

„Wir sollten zurückreiten“, sagte Richard besorgt. „Wenn du mal zugibst, dass es dir nicht so gut geht, dann muss es dir wirklich grottenschlecht gehen!“

Zu ihrer Überraschung nickte Henry nur und holte mit zusammengekniffenen Augen tief Luft. „Mir ist schwindlig“, murmelte er und kippte vom Pferd. Der sonst so schreckhafte Apollo blieb einfach stehen und sah sich fast bedauernd nach seinem Herrn um, während um ihn herum das reinste Chaos herrschte. Falco war als erster aus dem Sattel gesprungen und eilte zu dem am Boden liegenden König, die beiden Herzöge fielen als nächste daneben nieder und die Soldaten hatten Mühe ihre Gäule unter Kontrolle zu halten, da die ja gerade noch im vollen Galopp hinter der vorderen Gruppe nachgejagt kamen. Der weiße Hengst drehte um, trabte an den vieren vorbei und stellte sich den anderen wiehernd entgegen. Wie ein Schutzschild baute das große Tier sich auf und drohte seinen Artgenossen mit hochgeworfenem Kopf und weit ausholenden Tritten seiner Vorderhufe. Immer wieder hob er sie hoch an, so als wolle er damit sagen, noch einen Schritt weiter und ich verpasse euch eine damit.