Homo sapiens movere ~ geliebt

Tekst
Z serii: geliebt #5
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Warum war er eigentlich hier?

Dumme Frage.

Er war Alan.

Wenn ich ihm sagte, dass ich mich melden würde, sobald ich etwas erfuhr, hieß das für ihn, ich schaue nach so oft ich will und gehe ihr auf die Nerven. Dann arbeitet der Mensch schneller. „Ich warte noch auf Informationen. Du siehst, es geht nicht schneller.“ Alan verzog seinen Mund. „Du solltest dir vielleicht einen anderen Informanten suchen. Einen, der effektiver arbeitet. Menschen sind dafür nicht gut genug.“ Oh? „Tja, wie wär’s, wenn du dir dann statt mir auch lieber jemand anderen suchst? Ich bin schließlich auch nur ein Mensch.“ Alan atmete tief ein, so dass sein Brustkorb drohte sein Hemd zu sprengen. „Du bist gut, in dem was du tust. Ich rede von deiner Quelle.“

Warum habe ich Alan gleich nochmal aus dem Teppich gewickelt?

„Hör mal, ich habe mich erst vorhin mit ihm getroffen, ihm den Auftrag erteilt und ihn bezahlt. Natürlich erstattest du mir die anfallenden Kosten. Und glaub mir, wenn Vine nichts findet, dann tut es auch keine andere Quelle.“ Alans Blick verdunkelte sich und jagte mir eisige Schauer über den Rücken. „Vine?“ Vielleicht hätte ich seinen Namen nicht erwähnen sollen, ging mir aber an meinem Hintern vorbei. Es war nicht mein Problem, dass Alan ihn nicht leiden konnte. Also zuckte ich nur mit den Schultern. „Und?“ Alan holte tief Luft und fuhr sich aufbrausend durch die Haare. „Was weißt du über ihn?“ Was sollte denn diese Frage? „Dass er gut in dem ist, was er tut. Mehr muss ich nicht wissen.“ Alan stellte sehr geräuschvoll seine Tasse ab, nahm mir meine aus der Hand und packte meine Oberarme, um mich kräftig zu schütteln… mir zu drohen, mir kostenlose Fingerabdrücke zu verpassen oder was auch immer.

Das war jedenfalls der Moment, in dem ich die Kontrolle verlor.

Gepeinigt von dem heftigen Schmerz, der von meiner Schulter ausging, entlud ich genug Energie, um Alan quer durch meine Küche gegen den Küchenschrank zu schleudern. Nur das Klingeln hielt mich davon ab, ihm noch ein paar Wörtchen zu sagen.

Meine ächzende Schulter festhaltend, lief ich zur Tür, schaute durch den Spion und öffnete den drei Rudelmitgliedern die Tür. Einer von ihnen war Josh. Er fragte mich sofort, wo Alan sei. Ich deutete mit dem Kopf Richtung Küche. Mir war egal, was Josh dachte. Oder Alan. Ich hatte es satt, ständig für das Rudel oder andere Kreaturen den Sandsack zu spielen. In meiner Wohnstube lagen drei Frauen ohne Gehirnströme. Praktisch gesehen waren sie tot, obwohl sie noch atmeten.

Mein Stubentisch war verschwunden, meine Schulter pochte dröhnend und ich musste ein blödes, altes Buch finden.

Meine Nerven flatterten wie junge Vögel, die das erste Mal versuchten zu fliegen. Gleich würden sie auf den Boden klatschen. Bloß gut, dass ich keine Katze hatte…

Die Augen weit aufgerissen, sank ich am Türrahmen zu Boden und fing an zu lachen. Ein schrilles, hysterisches Lachen, das von Bitterkeit getränkt war. Obwohl ich lachte wie eine Irre, liefen mir brennende Tränen über die Wangen. „Kannst du die Frauen zurückbringen?“ Joshs tiefe Stimme durchdrang meine Niedergeschlagenheit effektiver als das liebevolle Streicheln einer Mutter. Mein Lachen verebbte. Nur die Tränen blieben, die ich mir wirsch von der Wange wischte. „Zurück? Wohin?“ Josh hockte neben mir. „Du hast Alan gesagt, dass ihre Chakren im Kopf nicht da sind. Kannst du das umkehren?“ Ich zuckte vorsichtig mit den Schultern. „Ich kann es probieren, aber ich gebe keine Garantie. Ich tue es auf keinen Fall in meiner Wohnung. Und ich weiß nicht, wie sie es aufnehmen. Ich meine, hast du sie dir angesehen? Ihre Augen fehlen, ihre Finger sind…“ Ich hatte Mitleid mit den Mädchen, aber ich war nicht blöd.

Er nickte, stand auf, hielt mir seine Hand hin und zog mich nach oben. Gott sei Dank mit wenig Schwung. Das hätte meine Schulter nicht vertragen. „Du fährst mit Alan.“ Irritiert mustere ich Josh, der wiederum mich mit kritischen Augen betrachtete. „Ist das ein Problem?“ So, wie er sein Grinsen unterdrückte, hätte er sich die Frage auch sparen können. „Solange er mich nicht anfasst, wird er die Fahrt schon überleben.“ Das ließ ihn nun endgültig grinsen. „Gut. Dann los.“

Niemand auf der Straße sprach die Gestaltwandler an, die drei bewusstlose Frauen in ihrem Van verstauten.

Vermutlich war das Alan zu verdanken. Mir war es egal – ich musste mit diesem Vollpfosten mitfahren.

Während der Fahrt sagte Alan kein einziges Wort, was mir ganz recht war. Wir hatten heute schon genug miteinander gesprochen.

Zwei Stunden später saßen die Mädchen reichlich verwirrt auf der Couch in Alans großem Salon. Es war schwierig gewesen, ihre Energiepunkte wieder herzustellen. Doch dank meinem Status als Saphi, wenn auch keiner vollwertigen, ließ mich das Anwenden meiner Kraftstimme wenigstens nicht mehr in Ohnmacht fallen. Ich hatte sie angewiesen ihre Augen geschlossen zu halten, ihre Hände auf die Knie zu legen und ein paar Fragen zu beantworten. „Denkst du, sie werden so bleiben?“ Ich zuckte mit den Schultern und sah zu Josh, der mir diese Frage stellte. Ich hatte keine Ahnung, was mit den Mädchen passieren würde, vermutete jedoch, dass ihr jetziger Zustand nur von kurzer Dauer wäre. Die Energiepunkte in ihren Köpfen flackerten. Lange würden sie nicht leuchten.

„Sam?“, Alan sah zu mir, „Du kannst jetzt gehen.“ Verdutzt sah ich ihn an. „Was? Vergiss es, ich habe das Recht hier zu sein.“ Alan lachte anmaßend. „Nein, hast du nicht. Es sei denn, ich habe etwas verpasst und du gehörst wieder zum Rudel.“ Oh, meine Anwesenheit war nur erwünscht, wenn es ihm gerade in den Kram passte? Perfekt. „Das trifft sich gut, Alan. Der Deal ist hiermit geplatzt. Ich werde dir mitteilen, was Vine herausfindet. Alles andere ist dein Problem und das des Rudels. Mach dir keine Mühe, ich finde allein raus.“ Ich hörte, wie Josh fragend murmelte, ob ich tatsächlich Vine, den Vampir meinte.

Nein, ich meinte Vine, den Zirkusclown!

Die Tür des Salons fiel hinter mir zu und mit großen, wütenden Schritten durchquerte ich die Eingangshalle. Wenn es mir nicht um die Mädchen ginge, hätte ich sie aus ihrer Trance geholt und es den Weren überlassen, mit ihnen klar zu kommen. Aber damit war niemandem geholfen.

Alan kam hinter mir her. „Was soll das heißen, der Deal ist geplatzt?“ Abrupt blieb ich stehen, drehte mich zu ihm um und schaute in sein fragendes Gesicht. „Dass du dein Buch alleine suchen kannst. Ich bin da raus.“ War ich denn nicht deutlich genug gewesen? „Das kannst du nicht. Denk an deine Freunde.“, drohte er leise mit einem bösartigen Lächeln. „Und du an dein Rudel.“ Sein Lächeln wurde noch grimmiger, bis er schallend lachte. „Dazu bist du doch gar nicht fähig. Du und deine menschliche Moralvorstellung können es doch gar nicht verkraften, einem anderen weh zu tun.“ Ich legte meinen Kopf schräg. „Meine Moral, was dich und dein Rudel betrifft, ist eben erschreckend gesunken und nicht mehr annähernd so hoch, wie du es erhoffst. Ich mag ein paar deiner Leute. Die meisten allerdings nicht; was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Und wenn du meinen Freunden auch nur einen schiefen Blick gönnst, werde ich dir zeigen, wie niedrig meine Toleranzschwelle wirklich ist. Oder meinst du, du bist vorhin in meiner Küche gestolpert?“

Jeglicher Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand.

„Willst du mir drohen, Sam?“ Ich erwiderte seinen bohrenden Blick. „Nein, nur ein gut gemeinter Ratschlag, Alan. Was du daraus machst, ist dir überlassen. Aber mache mich nicht für die Konsequenzen verantwortlich. Ich habe es satt von dir und deinesgleichen nur gebraucht zu werden, wenn es euch in den Kram passt. Die Frauen waren in meiner Wohnung und sie hätten mich ebenso angegriffen wie dich, wenn ich meine Fähigkeiten nicht hätte. Ich habe dasselbe Recht, wie dein ach so wertvolles Rudel, zu erfahren, was sie dort zu suchen hatten.“

„Sie haben mich angegriffen, nicht dich!“, brüllte er zischend, und ich erkannte, dass es keinen Sinn hatte mit ihm zu diskutieren. Er wollte es nicht begreifen; er hatte mir nicht mal gedankt. Denn hätte ich meine Fähigkeiten nicht eingesetzt, wäre er immer noch geschminkt und in einem Teppich gewickelt. „Stimmt, das habe ich vergessen.“, murmelte ich leise, drehte mich und ging zur Tür. Doch bevor ich hinausging, schaute ich ihn über meine Schulter hinweg an. „In deiner Welt dreht sich alles nur um dich.“ Alan ließ mich gehen.

Sein Glück.

Der Rest des Abends war schrecklich. Ich fühlte mich in meinen eigenen vier Wänden unwohl.

Wie waren die Frauen hier rein gekommen?

Wann waren sie in meine Wohnung gekommen.

Hatten sie abgewartet, bis ich ging oder war es purer Zufall, dass ich bereits fort gewesen war?

Was, wenn andere kämen und mich im Schlaf überraschten?

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Es wäre egal. Ihre Magie konnte mir nichts anhaben. Waffen hatten sie nicht getragen. Aber was, wenn die nächsten besser vorbereitet waren? Tja, dann würde ich sie grillen. Bäh. Und anschließend die Leichen entsorgen müssen. Doppelt bäh.

Frustriert schaute ich in den Kühlschrank, weil mein Magen mir knurrend meldete, dass er dringend Nahrung brauchte. Ich wünschte, Alan würde anrufen und mir erzählen, was die Frauen gesagt hatten. Und ich wünschte, ich könnte Magie ebenso effektiv anwenden wie Humphrey oder Roman. Natürlich war beides reines Wunschdenken.

Hm, Roman könnte mir den einen oder anderen Kniff zeigen. Ich könnte lernen Magie anzuwenden. Schließlich hatte ich sie in mir. Wenn auch als Energie. Jederzeit griffbereit. Andererseits war es bestimmt gut so, wie es war. Roman konnte zwar Magie wirken, aber dafür war er nicht in der Lage, diese als reine Energie zu benutzen. Es sei denn, ich gab sie ihm vorher ab. Allein schaffte er das nicht. Vielleicht wäre er dann zu mächtig. So wie ich mit beidem zu mächtig wäre. Ich stellte mir vor, wie ich an zwanghaftem Höhenkoller litt und nach der Weltmacht strebte.

 

Ach quatsch, das war lächerlich.

Ich war und blieb Samantha Bricks. Nicht mehr und nicht weniger. Trotzdem war es interessant mir vorzustellen, was ich alles tun könnte… wenn ich die Macht besäße.

Oh weh, genau so fing es an.

Mit Vorstellungen.

Und sobald ich die Macht hatte, würde ich sie auch benutzen. Wäre das richtig? Ja. Ein glasklares Ja! Bis ich meine Träume aus den Augen verlor. Dann könnte die ganze Sache tierisch aus dem Ruder laufen.

In meinem Kühlschrank gab es nichts, was mich ansprach. Gemüse. Ich hatte Gemüse im Kühlschrank! Verdammt, ich wollte ein Steak. Oder zwei. Oder am besten noch mehr. Im Gefrierfach fand ich Fleisch. Ich könnte es in die Mikrowelle werfen, auftauen und braten. Schon beim Gedanken daran lief mir das Wasser im Mund zusammen. Während das Fleisch in der Mikrowelle seine Runden drehte, schälte ich Zwiebeln, die ich in Ringe schnitt.

Wenig später brutzelte das in Scheiben geschnittene und gewürzte Fleisch in einem großen Tiegel.

Ich schnitt gerade einige Scheiben Brot ab, als plötzlich Roman in meiner Küche auftauchte, mich von hinten umschlang, seine Nase in meiner Halsbeuge vergrub und an mir schnupperte. „Ähm, hi. Was tust du hier?“, stammelte ich, immer noch das Brot festhaltend. „Mich vergewissern, dass es dir gut geht.“ Ich drehte mich in seinen Armen um und schob ihn ein Stück von mir. Fragend sah ich ihn an.

Oh Gott.

Roman wirkte so… menschlich!

„Alan hat mich angerufen und mir gesagt, ich solle nach meiner Frau sehen.“ Spöttisch lachend drehte ich mich von ihm weg und wendete das Fleisch. „Ich wusste gar nicht, dass du verheiratet bist.“ Ich drehte mich wieder zu ihm um. „Wusste ich auch nicht. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, dass er von dir spricht. Was zum Geier hast du ihm bloß erzählt?“ Oh ja, er wirkte absolut menschlich. Mit Gefühlen! Ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, als würde er sich köstlich über Alan amüsieren. „Gar nichts. Er scheint mehr zu wissen als wir. Schon, seitdem er mich das erste Mal bei dir gesehen hat.“ Roman lehnte sich an den Küchentisch und stützte sich mit beiden Händen nach hinten ab. „Typisch für ihn. Ich würde es als Eifersucht bezeichnen, er als… ach, was weiß ich. Er würde es jedenfalls abstreiten.“ Jepp, genau das tat Alan auch. „Erzähl, was ist heute passiert, dass er der Meinung ist, ich solle mich um dich kümmern? Ich weiß zwar, dass innerhalb des Rudels etwas vorgefallen ist, aber ich hatte Verpflichtungen, von denen ich mich nicht entfernen konnte. Stépan ist in solchen Dingen ziemlich penibel.“ Stépan? Was hatte Roman denn mit dem Pir zu schaffen? Egal… es war eine Rudelsache gewesen, in die er sich sowieso nicht einmischen durfte.

Und konnte.

Nur im Anschluss.

Aber hey, ich wollte mich nicht beschweren, wenn ich meine verworrenen Gedanken mit ihm teilen konnte. Und ich wollte nicht allein sein!

Während ich mich um die Steaks kümmerte, erzählte ich Roman vom gestrigen Abend, von Alans Auftrag, von seiner Drohung und von heute Nachmittag, den Frauen, der Magie und wie ich ihre Chakren wieder hergestellt hatte. Leider nur vorübergehend und ohne den Frauen die Verstümmelungen nehmen zu können. „Das klingt mir sehr nach Hexen.“, überlegte Roman laut. Nachdem ich seine Meinung – was Alan betraf – in meinem Kopf gehört hatte. „Kennst du welche?“ Sein leises Lachen war angenehm. „Mein Vater kannte welche. Früher mal.“ Ich vergaß immer wieder, wie alt er war. „Wie waren sie früher?“ Roman holte tief Luft, legte seinen Kopf in den Nacken und schaute an meine Küchendecke. „Soweit ich weiß, nervig. Sie dachten, sie seien etwas Besseres als normale Menschen. Mit all ihrer Zauberkunst. Habgierige Miststücke, die alles taten, um Missgunst zu säen. Ihnen ging es immer nur um Ansehen und Geld. Je mehr, desto besser. Sie wussten von der Anderswelt und waren bestrebt danach, ein Teil davon zu sein. Aber im Endeffekt waren sie auch nur Menschen. Zu schwach. Aber größenwahnsinnig.“

Stirnrunzelnd sah ich ihn an. „Du meinst, die Hexenverfolgungen im Mittelalter, das waren echte Hexen?“ Roman lachte schallend. „Sam, ich bitte dich! Die hätten sich niemals einfangen, geschweige denn foltern oder töten lassen. Nein, ich fürchte, damals hat es ausschließlich Unschuldige erwischt. Einige aus der Anderswelt, die von den Hexen verzaubert waren, so dass sie ihre Fähigkeiten nicht einsetzen konnten. Vor allem Gestaltwandler. Du hast selbst gesagt, Alan war mit Magie geknebelt.“ Ja, das hatte ich. Außerdem mit einem Teppich. Aber der war nicht die Ursache seiner Bewegungsunfähigkeit gewesen. Das hatte ich Roman bisher verschwiegen. Was jetzt ein Glucksen in meiner Kehle formte.

Schnell drehte ich mich wieder zu meinem Fleisch, was ich mit einer Gabel auf einen Teller legte, um die Zwiebel braten zu können. „Was ist so lustig?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nichts.“ Roman trat hinter mich und legte die Hände auf meine Schultern. Ziemlich schmerzhaft, was mich sofort zusammen zucken ließ. Die Schlinge hatte ich vor dem Kochen abgenommen. Ein Fehler, wie ich jetzt bemerkte. „Du bist verletzt!“, zischte er und lockerte seine Hände. „Das wird schon wieder. Sie war nur ausgekugelt, ok?“ Stoisch stocherte ich im Tiegel, aber Roman sagte das, was ich nicht hören wollte. „Dein Gesicht ist auch nicht ok. Deine Nase meine ich. Waren das die Frauen?“ Als ich nichts sagte, las er es in meinen Gedanken. „Ich hoffe, du hast dich revanchiert.“ Ich hörte mich selbst lachen. „Du hättest sehen sollen, was die Frauen mit ihm gemacht haben. Eigentlich soll ich es keinem sagen, aber da wir in seinen Augen eine Beziehung führen, kann ich dir das schlecht vorenthalten, oder?“ Roman strich sanft über meine Oberarme und küsste spielerisch meinen Nacken. „Das ist wahr. Also?“ Ich erzählte es ihm – während er es nebenbei live in meinem Kopf sah. Wie erwartet entlockte es sogar ihm eine Reaktion. „Zu schade, dass du keine Fotos gemacht hast.“ Jepp, das bereute ich ebenfalls. Sehr sogar. „Und dein Wohnstubentisch ist weg?“ Ich nickte. Außerdem waren auch Alans Schuhe und Socken verschwunden. Aber das interessierte mich weniger. „Der Tisch hat sich in Luft aufgelöst.“ Erneut küsste er meinen Nacken, was sich viel zu gut anfühlte. „Das gefällt mir gar nicht.“, sinnierte er, „Wenn Hexen dazu in der Lage sind, etwas verschwinden zu lassen, dann sind sie sehr mächtig. Und was du über die Mädchen erzählt hast …“ Er seufzte. „Ich werde mit meinem Vater sprechen. Vielleicht kann er sich an etwas Ähnliches erinnern. Wenn es wirklich Hexen sind, und davon bin ich überzeugt, muss es sich um einen bestimmten Zirkel handeln. Und wenn wir den finden …“

„... können wir ihn ausräuchern.“, beendete ich seinen Satz, was er mit einem knappen Nicken quittierte. „Ich hätte es ein wenig anders ausgedrückt, aber das passt auch.“ Er zwinkerte mir zu. „Noch was: Ich bin ein Vampir, Sam und ich habe die ein oder andere Eigenart, die dir fremd ist. Das heißt aber nicht, dass ich es gut heiße, wenn Alan dich wie seinesgleichen behandelt.“ Betroffen schaute ich auf meine Fußspitzen und lachte leise. „Ich auch nicht. Ich wollte ihn darauf hinweisen, dass er vergisst, dass ich kein Wer bin. Wie du siehst, bin ich damit nicht sehr weit gekommen.“ Roman verschränkte seine Hände hinter seinem Rücken und sah an mir vorbei in die Ferne. „Er betrachtet dich als meine Frau. Und trotzdem wagt er es, Hand an dich zu legen. Ich frage mich, ob ich ihm später einen Besuch abstatten soll. Ein kleiner Schlagabtausch unter Freunden soll erholsam sein… Habe ich gehört.“ Bei diesem letzten Satz drehte er den Kopf zu mir und sah mir direkt in die Augen. In seinem Blick lag ein Versprechen, das mir nicht behagte.

Nur eine Sekunde lang, und es jagte mir Schauer über den Rücken.

Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet.

„Komm her.“ Langsam zog Roman mich in seine Arme und küsste mich. Vorsichtig und sanft, als befürchtete er, er könnte mich zerbrechen. Sein Mund wanderte an meinem Hals entlang nach unten. Das Schaben seiner Zähne schickte ein köstliches Schauern durch meinen Körper. „Schhhh.“, murmelte Roman, leckte über meine Halsschlagader und biss zu. Am Schlimmsten war der Schmerz des Eindringens. Doch der verging. Stattdessen spülte eine angenehme Wärme durch meine Adern. Erst da erkannte ich, dass Roman nicht von mir trank, sondern mich heilte. Ich war ihm wirklich dankbar, aber gegen ein wenig mehr hätte ich auch nichts einzuwenden. „Ein faszinierender Gedanke, den ich gern in die Tat umsetzen würde. Aber leider kann ich nicht. Behalte ihn im Kopf. Ich komme darauf zurück.“, flüsterte er mir ins Ohr, drückte sich eng an mich, so dass ich seine Erregung deutlich fühlte und seinen angenehm vampirischen Duft tief einatmen konnte. Sein Abschiedskuss glich einem Versprechen. Einem, bei dem mich die Vorahnung beschlich, dass er es nie einhalten würde. „Einen schönen Abend noch, Sam.“ Er neigte leicht den Kopf zum Abschied und verschwand.

Auf Vampirart.

Wusch und weg.

Also das würde ich wirklich gern können.

Nachdem Roman gegangen war, hatte ich die Steaks gegessen, mir anschließend ein Buch geschnappt, es mir auf der Couch gemütlich gemacht und war schließlich sehr spät ins Bett gegangen. Obwohl ich todmüde war, schlief ich schlecht. Beim kleinsten Geräusch schreckte ich auf, streckte meine Sensoren aus und ließ mich, für den Moment beruhigt, zurück ins Bett fallen.

Bis zum nächsten Geräusch.

Missbilligend schaute ich an den Wecker, dessen Zeiger auf die Sieben vorrückte. Ich konnte ebenso gut aufstehen.

Seufzend schlug ich die Bettdecke zurück, stand leise vor mich hingrummelnd auf, stampfte ins Bad, schmiss mir einen Liter kaltes Wasser ins Gesicht, putzte die Zähne und kämmte meine vom hin- und herwälzen zerzausten Haare.

Hallöchen!

Ich sah wirklich hübsch aus mit den blaugrauen Augenringen. Und abartig phänomenal mit den Haaren, die in alle Richtungen abstanden. Abgesehen davon zeigte mein Gesicht keine Spuren mehr von der Verletzung; meine Schulter schmerzte nicht mehr. Jepp, der Tag konnte nur besser werden.

Solange Alan nicht klingelte.

Oder ein paar Frauen auftauchten, die von Hexen manipuliert wurden.

Vorausgesetzt, Romans Theorie stimmte.

Hexen… Hatte Roman die nicht erst im Zusammenhang mit meinen Ohnmachtsanfällen angedeutet? Hm… wie hatte er es genannt? Eine Beschwörung? Das musste ich ihn definitiv fragen. Vielleicht hing das eine mit dem anderen zusammen. Meine Laune hob sich trotz meiner nicht mehr vorhandenen Blessuren erst, als ich mit einer Tüte frischer Brötchen vom Bäcker zurückkam, keine Magie oder unwillkommene Besucher auf mich warteten und mich der Duft von frischem Kaffee empfing. Den hatte ich vor meinem kurzen Ausflug zum Bäcker angesetzt.

Doch sie sank wieder auf den Nullpunkt, als ich nach dem Frühstück die Zeitung aufschlug. Mir sprang ein Artikel direkt ins Auge. Er ließ mich wünschen, ich hätte nichts im Magen. Die Fotos der drei Frauen blickten mich anklagend von der ersten Seite an. Die Überschrift ließ mich die Hände zusammenballen.

Mysteriöser Tod – neue Seuche?

Am gestrigen Abend wurden drei junge Frauen von besorgten Bürgern ins nahe gelegene Krankenhaus gebracht, nachdem sie im Bus zusammengebrochen waren. Laut Zeugenaussagen waren die Frauen an der Haltestelle ‚Zum Brunnen’ eingestiegen und hatten Platz genommen. Nach etwa fünf Minuten seien sie von ihren Plätzen aufgesprungen und kurz darauf schreiend zusammen gebrochen. Im Krankenhaus fielen dem Personal barbarische Verstümmelungen auf. Der Chefarzt, Dr. Cassius, meint, er hätte in seiner medizinischen Karriere noch nie etwas Derartiges erlebt. Es schien, als wären sie bereits seit mehreren Tagen tot, obwohl zum Zeitpunkt der Untersuchung sämtliche Vitalfunktionen messbar waren. Der Verwesungsprozess hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eingesetzt. Dagegen seien die Verstümmelungen, auf die er aus ästethischen und kriminaltechnischen Gründen nicht näher eingehen wollte, den jungen Frauen vermutlich bei vollem Bewusstsein zugefügt worden. Es sei ein Segen, so Dr. Cassius, dass die Mädchen nur eine Stunde nach ihrer Einlieferung eingeschlafen seien. Eine weitere Angestellte, die anonym bleiben möchte, sagte aus, dass es mysteriös gewesen sei. Bei allen dreien war zur selben Zeit ohne jegliche Vorwarnung das Herz stehen geblieben, und die schon vorher nur schwach vorhandenen Hirnströme seien einfach verschwunden. Der Tod der Frauen gibt dem Krankenhaus und der Gesundheitsbehörde Rätsel auf ...

 

Es folgte das Übliche bla, bla, indem man um die Mithilfe der Bürger bat und den Hinterbliebenen sein Mitleid aussprach. Ich fand das fadenscheinig. Die Zeitungen waren auf eine Story aus, die möglichst viele Leser gewann. Die interessierte einen Scheißdreck, wie sich die Familien fühlten. Andererseits: Wer war ich schon, dass ich das beurteilen sollte?

Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schock: Ich hatte Tote zum Leben erweckt. Und Alan hatte sie in einen Bus gesetzt? Die Haltestelle lag ziemlich zentral. Wie waren sie dort hingekommen?

Oh, oh… das war … zum Kotzen.

Warum hatte ich das getan? War mir nicht klar gewesen, dass sie sowieso keine Chance hatten? Hatte Alan etwas von ihnen erfahren?

Oh Gott, oh Gott, oh Gott.

Wenigstens hatte er sie nicht einfach entsorgt. So bekamen zumindest ihre Familien eine Chance zu erfahren, was mit ihren Töchtern passiert war. Außerdem würde es aber auch die Hexen alarmieren – falls Roman mit seiner Annahme richtig lag.

Wäre das gut oder schlecht?

Das wollte ich gar nicht wissen. Nein, wirklich nicht.

Natürlich gab es auch noch andere sensationslüsterne Reportagen. In einem Kuhkaff, nur zehn Kilometer von meiner Stadt entfernt, hatte ein Familienvater erst seine zwei kleinen Kinder, dann seine Frau und schließlich sich selbst erschossen. Ein Teenager war vergewaltigt und erdrosselt worden. Ein Vampir zur Ader gelassen und seitdem geistig völlig instabil und nicht in der Lage zu erzählen, was passiert war. Mehrere junge Paare wurden vermisst. Ein Gestaltwandler war mit gebrochenem Genick im größten und dreckigsten Fluss der Stadt aufgetaucht. Kein schöner Anblick.

Meine Güte!

Drehte denn die gesamte Welt durch?

Es sah beinah so aus.