Homo sapiens movere ~ geliebt

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Z serii: geliebt #5
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Den Abend verbrachten wir mit Scrabble und Monopoly.

Ganz bestimmt das erste und letzte Mal.

Roman spielte unfair.

Er schummelte… was er beharrlich abstritt.

Aber ich las es in seinen amüsiert funkelnden Augen. In meiner Nähe vergaß Roman hin und wieder, sich wie ein Vampir zu benehmen.

Das wusste ich durchaus zu schätzen.

Seine menschliche Seite gefiel mir sehr, sehr viel besser; wenn wir nicht gerade in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt waren. Und dabei auf der gleichen Seite standen. Vielleicht fiel es ihm aber auch gar nicht so schwer, zwischen seinem vampirischen Selbst und dem menschlichen Schauspiel, zu wechseln. Möglicherweise war dies ein untrügerisches Zeichen für seine raubtierhafte Spezies. Das Opfer in Sicherheit wiegen. Klar. Wären Vampire weniger anpassungsfähig, hätten sie kaum so lange überlebt.

Wäre doch schade, wenn einem das Essen ständig davon lief.

Obwohl… Herrje!

Ich fragte mich, wohin meine Gedanken führen sollten. Roman verhielt sich so, weil er mein Freund war. Ein platonischer Freund, der sich in meiner Gegenwart wohl fühlte. Der wollte, dass ich mich wohl fühlte. Das war eine plausible Erklärung.

Wäre es ihm egal, würde er wie eine Statue verharren. Das konnten Vampire ziemlich gut – wie ich eben feststellte. Wahrscheinlich so ein Vampirdings… das Äquivalent zu einem Telefongespräch. „Ich würde dir gern noch ein wenig Gesellschaft leisten, Sam. Doch ich fürchte, das muss warten.“ Ich winkte ab. Ich war schon groß. „Keine Sorge. Mach du dein Ding. Ich bin sowieso müde. Bis morgen.“ Gleich nach Romans Verschwinden hievte ich meine müden Glieder ins Gästezimmer.

Ich nutzte das integrierte Bad und fiel kurz darauf ins Bett.

Augenblicklich schlief ich ein.

2

Das Bett in Romans Gästezimmer war ein Traum. Ich hatte wunderbar geschlafen. Dementsprechend fiel es mir schwer, aus dem gemütlichen wolkenweichen Bett aufzustehen. Gern wäre ich noch liegen geblieben. Nur, um das herrliche Gefühl auszukosten. Ich fühlte mich wie eine Königin. Eine zerzauste, vom Schlaf noch zerknitterte, grinsende Königin.

In Unterwäsche.

Bei mir daheim schlief ich ab und zu nackt. Hier würde ich mich das nie wagen. Zum Glücklichsein fehlte mir nur noch das Frühstück ans Bett. Hm, wollte ich das wirklich?

Nein.

Edgar musste meine Unterwäsche nun wirklich nicht sehen.

Ich grinste noch ein bisschen breiter. Mit einem tiefen Atemzug sprang ich beschwingt aus dem Bett, trottete ins Bad und stellte mich unter die Dusche.

Eine halbe Stunde später saß ich mit Edgar am Frühstückstisch. Von Roman keine Spur. Super. Dabei wollte ich gern wieder heim. Es ging mir gut. Falls ich nochmal umkippte, konnte Roman sowieso nichts dran ändern. Ich ebenso wenig. Solange mir die Ursache unbekannt war, blieb mir nur ins Blaue zu raten. Zu hoffen, dass mir bis zum nächsten Blackout etwas Zeit blieb.

Ein paar Jahre oder so.

Den Vormittag verbrachte ich faul in Romans Garten. Einem sehr schönen Garten. Mit viel Gras und Blumen und einem Pool. Einem echten. Riesengroßen. Mit türkisblauem Wasser. Rings um das weite Grundstück gab es perfekt gestutzte Hecken. Um den Pool standen blaue und gelbe Büsche. Ebenfalls korrekt gestutzt und blickdicht. Sollte Roman ein paar Kumpel zum Fußballspielen einladen, würden die mich nicht sehen. Ich lachte heiser bei der Vorstellung. Roman und Fußballspielen? Ebenso gut könnte ich mir vorstellen, dass er häkelte. Das wäre zum Brüllen komisch.

Das Wasser lockte mich.

Zu schade.

Denn Badesachen hatte ich unter den Klamotten nirgends entdeckt. Seufzend drehte ich mich auf den Rücken. Schlimm genug, dass ich in Unterwäsche am Pool lag. Rosa Spitze. Nicht zwingend unsexy, aber kein Ersatz für einen Bikini. Woher kannte Roman meine Kleidergröße? Gut geraten? Schon wieder seufzte ich. Die Sonne schien erbarmungslos. Wenigstens hatte ich mir von Edgar etwas Sonnencreme ergattert. Ansonsten würde sich die Farbe meiner Haut nur noch dezent von der einer Tomate unterscheiden.

Ach was soll‘s!

Kurz entschlossen stand ich auf, schlüpfte aus dem BH, stieg aus dem Höschen und glitt in das kühle Nass.

Herrlich.

Unbezahlbar.

Ich schwamm ein paar Bahnen. Dann ließ ich mich auf dem Rücken treiben. Toter Mann –har har. Dabei hatte mich die Presse oft genug den ‚grauen Mann‘ genannt. Tja… ich war weder tot noch grau noch ein Mann.

Gott sei Dank.

Ein Räuspern hätte fast dafür gesorgt, dass ich mich selbst ersäufte. Edgar stand neben dem Pool. In der Hand ein Telefon. „Ihre Mutter, Samantha.“ Jetzt war ich dunkelrot.

Trotz Sonnencreme.

„Danke.“

Ich glitt an den Rand des Pools und nahm das Telefon entgegen. Es wäre idiotisch, würde ich jetzt noch versuchte meine Blöße zu bedecken – indem ich erst aus dem Wasser stieg und das Handtuch um mich schwang. Was Edgar gnädigerweise gleich mitgebracht hatte.

Ich Trottel. An ein Handtuch hatte ich natürlich nicht gedacht. Edgar ging unbeeindruckt wieder hinein. Als wäre es alltäglich, einer nackten Frau das Telefon zu bringen.

„Bin dran.“, meldete ich mich. Mein Kopf fühlte sich immer noch heiß an. Mein Körper war schön. Peinlich war es mir trotzdem. Am liebsten wäre ich untergetaucht. Nur für ein paar Minuten. Aber dann hätte ich meine Mutter nicht mehr gehört. Zudem war Edgar längst außer Sichtweite. Und vermutlich auch außer Hörweite.

Meine Mutter fragte mich aus. Ich glaubte, um sich selbst zu beruhigen. Die Telefonnummer hatte sie von Roman bekommen, der sie bereits in Einiges eingeweiht hatte. Deshalb fiel es mir auch ziemlich leicht, Auskunft zu geben. Ich musste nichts für mich behalten.

Es war … erleichternd.

Nach dem Vormittag am und im Pool war ich hungrig. Ich aß mit großem Appetit. Edgar benahm sich ganz wie er selbst. Falls ihn mein Anblick schockiert haben sollte, konnte er das gut verstecken. Oder aber, ich interpretierte zuviel hinein. Edgar hatte mit Sicherheit schon mehr als eine Frau nackt gesehen. Er schien meinen inneren Zwiespalt zu bemerken. „Machen Sie sich nicht so viele Sorgen, Samantha. Ich kann mich, damit es ihnen besser geht, selbstverständlich ebenfalls ausziehen. Allerdings ist mein Körper nicht halb so ansehnlich wie ihrer. Nun? Was meinen Sie?“ Prompt verschluckte ich mich. „Äh… danke. Nein. Ich… es ist mir bloß peinlich.“ Edgar nickte. „Das muss es Ihnen nicht sein. Ich werde jetzt allerdings nicht sagen, dass Sie meinen Tag gerettet haben. Eine solche Abwechslung könnte zu aufregend für mich sein.“ Meine Lippen zitterten.

Nur kurz.

Dann prustete ich los.

Lauthals.

Edgar schloss sich meinem Ausbruch von Heiterkeit an. Das Thema hatte sich damit erledigt.

„Was ist denn hier so lustig?“ Roman. „Nichts.“, antworteten Edgar und ich unisono. Mit dem feinen Unterschied, dass ich nach wie vor kicherte. Edgar hingegen offenbarte stoische Bescheidenheit. Noch nicht mal ein Mundwinkel zuckte. Alles an ihm schrie ‚Perfekter Butler‘.

Man!

Soviel Selbstbeherrschung hätte ich auch gern. Ob man die irgendwo kaufen konnte? Bei meinem Glück musste die hart erarbeitet werden.

Also fragte ich nicht.

„Wenn du dann fertig bist, Sam, komm bitte in den Salon.“ Ich schluckte, weil Roman sehr ernst aussah. Salon – das klang scheiße vornehm. Für mich war das ein Wohnzimmer. Eine verflixt großes. Falls er mir irgendwas predigen wollte, konnte ich es sowieso nicht ändern. In aller Ruhe aß ich mein Mittag. Edgar hatte frischen Kaffee angesetzt. So ein netter Mann. Ob ich mir den hin und wieder borgen konnte?

Mit einer Tasse des frischen, herrlich duftenden Getränks ging ich in den Salon.

Wenigstens erwartete mich keine Grabesstimmung.

Keine allzu erdrückende.

War jemand gestorben?

Bei dem Gedanken zuckte ich innerlich zusammen. „Ganz ruhig, Sam. Du siehst aus, als hättest du etwas überfahren.“

Ach, wirklich?

Ich war froh, mich setzen zu können. Meine Hände zitterten leicht. Ich wollte keinesfalls etwas verschütten, weswegen ich die Tasse vorsichtshalber abstellte. Seine Worte hatten mich nur bedingt beruhigt. Vor allem, da er keinen meiner Gedanken aussprach. Er wollte mich demzufolge auf keinen Fall gegen sich aufbringen.

Doch ein Überbringer von schlechten Botschaften?

„Nun fang schon an, Roman. Bevor ich vor Neugier platze.“ Oder vor Herzklopfen. Und er sollte sich verflixt nochmal hinsetzen. Sein Herumstehen machte mich nervös.

Zumindest diesen Gedanken schien er offenbar zu hören.

Roman setzte sich neben mich. Die Beine lang von sich gestreckt. Unwillkürlich fiel mein Blick auf seinen flachen Bauch. Durch das Shirt sah ich deutlich seine straffen Muskeln. Da es zudem ein kleines Stück nach oben gerutscht war, einen Streifen seiner leicht gebräunten, makellosen Haut. Augenblicklich lief mir das Wasser im Mund zusammen. Herr Ober, eine Serviette bitte!

Romans Worte holten mich in die Gegenwart zurück. „Ich habe mit Stépan gesprochen. Laut seiner Aussage sind deine Körperfunktionen allesamt hundertprozentig intakt.“ Mein Stirnrunzeln wetteiferte mit dem Aufreißen meiner Augen. „Ich hatte ihn darum gebeten. Während der Aktion vor drei Tagen hat Stépan an dir nichts Ungewöhnliches feststellen können. Abgesehen von der Lappalie mit deinen Stimmbändern.“ Die waren fein säuberlich durchtrennt gewesen. Ein Werk der Feen, das der Pir glücklicherweise behoben hatte. Ich zuckte mit den Achseln. Exakt das Gleiche hatten die Ärzte auch gesagt – nur, ohne meine Stimmbänder zu erwähnen.

 

„Dann reagiere ich wohl auf das Wetter; leide unter Luftschwankungen.“

„Ich bezweifle, dass du wetterfühlig bist. Davon fällt man kaum in Ohnmacht. Menschen bekommen Kopfschmerzen, Kreislaufschwankungen. Hin und wieder kann das abweichen. Doch mir ist kein Fall bekannt, in dem es jemandem einfach die Lichter ausknipst. Dass ich im Vorfeld Stimmen oder was auch immer höre – so wie du – weist ebenfalls auf etwas vollkommen anderes hin.“ Verwirrt sah ich ihn an. „Voodoo?“ Glaubte Roman nicht. Sonst würde er kaum den Kopf schütteln. „Stépan denkt, es hängt möglicherweise mit dem Einsatz deiner Kräfte zusammen. Natürlich können wir das nicht beweisen.“ Ich nickte vorsichtig. „Müsste dann nicht ein Muster erkennbar sein? Es können Monate zwischen den Anfällen liegen, und dann wieder nur wenige Wochen. Wie erklärst du dir das?“ Roman fuhr sich durch seine schulterlangen Haare. Rückte mit dem Hintern ein wenig zurück und ließ die Unterarme über seine Oberschenkel baumeln. „Vielleicht wirst du ja verrückt?“ Hmhm… vielen Dank auch! Roman hielt ein Lachen zurück. „Genau. Pass bloß auf, dass ich nichts Verrücktes anstelle.“

Mit dir!

Aufsässig wackelte ich mit den Augenbrauen. „Schwestern stellen mit ihren Brüdern nichts Verrücktes an, Sam.“ Mein Schmollmund war eine Meisterleistung. „Das musst du mir nicht auf den Bauch malen.“

„Auf die Stirn schreiben.“ Meine Schultern zuckten. „Wortklauberei. Ich habe lediglich daran gedacht, dein Shirt in Brand zu setzen. Oder deine Hosen. Und ja, Schwestern tun solche verrückten Dinge. Frag meine Brüder.“

„Du hast die Klamotten deiner Brüder angebrannt?“

„Nö. Aber die Schlafanzughosen zugenäht und die Ärmel ihrer Hemden.“ Nimm das! Ich lächelte boshaft. „Seitdem weiß ich, dass meine Brüder sehr kreativ fluchen können. Und das jede Schandtat ein Nachspiel hat.“

„Dann fürchtest du dich nicht vor meinem Nachspiel?

„Du bist erwachsen. Außerdem kratzen dich solche Neckereien doch überhaupt nicht.“

„Du scheinst dir dessen ziemlich sicher zu sein, Sam.“ War ich auch. Je zuversichtlicher ich mich gab, desto weniger war die Wahrscheinlichkeit, dass er doch ausrastete.

Sein Echo würde ich bestimmt nicht vertragen.

Romans Blick sagte mir, dass er wusste, dass ich ganz bestimmt nicht an seine Klamotten gedacht hatte. Zumindest nicht, was ein kleines Feuer oder eine Nähnadel betraf.

Er sagte nichts dazu; wechselte schlichtweg das Thema. „Lass uns heute Nachmittag ein wenig in die Stadt gehen. Bummeln. Einkaufen.“ Mein Mund klappte auf.

Einige Sekunden – oder auch Minuten – starrte ich ihn an.

Roman war ein Mann.

Die Worte Bummeln oder Einkaufen gehörten im Grunde nicht in deren Repertoire. Gleichzeitig erinnerte ich mich daran, dass ich schon mal mit ihm einkaufen gewesen war. Er hatte es damals sichtlich genossen. „Äh… eigentlich würde ich lieber heim. Mir geht’s prima. Siehst du doch, oder?“ Roman bedachte mich mit einem Blick, den ich bis in die Fußzehen spürte. So hatte mich noch nie ein Mann angesehen. Auch Alan nicht.

Mir wurde heiß.

Im selben Augenblick hatte ich das Bedürfnis, mich vor ihm auf die Knie zu werfen und meinen Blick zu senken.

Ich tat weder das eine noch das andere. Ich schnappte lediglich kurz nach Atem. Wie ein Fisch auf dem Trockenen. Genauso fühlte ich mich.

„Ich kenne keine einzige Frau, die eine Einladung zum Einkaufen ablehnt, Sam.“ Und ich keinen einzigen Mann, der freiwillig eine solche Einladung ausspricht. Damit waren wir quitt.

Er lachte leise.

Meine Gedanken amüsierten ihn offensichtlich.

„Hast du Angst mit mir gesehen zu werden?“ Ich rollte mit den Augen. Diese Frage war absurd; das wusste Roman. Ich schnaubte. „Du bildest dir zuviel ein. Es ist nur… hallo? Welcher gesunde Mann tut sich sowas freiwillig an?“ Noch nicht mal ich war jederzeit in Shoppinglaune. „War nur eine Idee. Vielleicht willst du ja lieber wieder an den Pool? Nackt?“ Träge zog er eine Augenbraue in die Höhe. Fast tadelnd. „Tja, den Taucheranzug habe ich leider in den mir bereitgestellten Klamotten nicht finden können.“, antwortete ich ungeniert. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass es mir peinlich war von seinem Angestellten erwischt worden zu sein? Und woher wusste Roman…

Ich Depp!

Bestimmt aus Edgars Gedanken. „Du hättest nur etwas sagen müssen, Sam. Natürlich kannst du – statt einkaufen zu gehen – auch nackt am Pool liegen. Es stört niemanden.“ Was für ein Zugeständnis. Ich nickte. „Verlockend. Ehrlich. Aber ich möchte nach Hause.“ Roman schüttelte langsam den Kopf. Mit derart viel Nachdruck, dass mir keine Widerworte über die Lippen huschten. „Morgen. Vielleicht.“ Das letzte Wort löste Unbehagen in mir aus. „Ich bin erwachsen, Roman. Und mir geht es gut. Du musst dich keineswegs für mich verantwortlich fühlen. Ich komm alleine klar.“ Sein Lächeln war… Ich schluckte. Eine kribbelnde Gänsehaut floss meinen Rücken hinunter. Ob aus Angst oder Verlangen konnte ich im Augenblick nicht unterscheiden.

„Drei Möglichkeiten, Sam. Wir gehen in die Stadt. Bummeln, einkaufen, essen; heute Nacht schläfst du hier. Wir legen uns an den Pool; in der Nacht schläfst du hier. Wir gehen zu dir; ich bleibe über Nacht. Deine Entscheidung.“ Ganz lustige – und gänzlich unangebrachte – Gedanken gesellten sich zu meinen durchdrehenden Hormonen, die meinen Verstand übernehmen wollten. Ich rang sie allesamt nieder.

Roman sah mich nicht so.

Leider.

Also entschied ich mir für das Harmloseste.

„Einkaufen. Aber zu zahlst. Alles.“ Mit einem hämischen Grinsen im Gesicht sah ich zu ihm auf. Er nickte. Ein selbstgefälliges Glitzern in den Augen. „Wie du wünschst.“ Das klang doch schon viel besser. Als wäre ich eine Königin, der man die Wünsche von den Augen ablas. Hm, genau. Die Königin von Frusthausen. Ob Roman mir einen Callboy kaufte? Wenn ich ganz lieb danach fragte?

Ich biss mir auf die Unterlippe.

Sie zitterte ein wenig, aber das Kichern blieb, wo es war. „Sehr laute Gedanken, kleine Sam.“ Abermals zog ein Schauder über meinen Rücken. Diesmal von schlechten Erinnerungen. So hatte er mich genannt, als er… nicht ganz er selbst gewesen war.

Behutsam zog er mich an den Schultern zu sich. Küsste mir beruhigend auf den Scheitel. „Du bist klein, Sam.“ Witzig. Für eine Frau war ich nämlich groß genug. Naja… neben ihm – und einigen anderen Kerlen, die ich jetzt nicht nennen möchte – wirkte ich tatsächlich klein. „Möchtest du lieber eine Schwester, die dir auf den Kopf spucken kann?“ Roman lächelte. Ein echtes Lächeln voller Wärme und Zuneigung. Genau so eins schenkte man seiner Schwester.

Ich seufzte innerlich. Ich brauchte keinen weiteren Bruder. Was ich brauchte, war ein Mann. „Du bist genau richtig.“ Das tröstete mich jetzt ungemein.

Nun gut.

Die Schiene konnte ich auch fahren. „Dann kaufst du mir also einen Mann?“ Tadelnd legte er seinen Zeigefinger auf meinen Mund. „Du brauchst keinen Mann. Du hast mich.“ Hmhm. „Och bitte… das kann nicht dein Ernst sein. Dann muss ich Edgar anbaggern. Oder ist der verheiratet?“ Nicht, dass ich diesen Gedanken ernsthaft in Erwähnung zog. „Er ist zu alt für dich.“ Ich rollte mit den Augen. Schon wieder. „Der letzte Kerl, mit dem ich zusammen war, ist locker doppelt so alt wie Edgar. Wie du übrigens auch.“ Roman seufzte. „Samantha.“ Ich wusste, wie ich hieß. „Ja, Roman?“ Ich lachte innerlich laut auf.

Denn sein Augenrollen war fast schöner als sein verzerrter Mund.

„Du bist morgen wieder daheim. Dann kannst du tun, wonach immer dir ist. Aber heute solltest du dich noch schonen.“ Aha. Als ich das letzte Mal umgekippt war, hatten wir tags darauf schon wieder trainiert. Oder irrte ich mich?

Hm, ich konnte es nicht mehr mit Gewissheit sagen. Aber Roman hatte sich damals definitiv nicht derart um mich gesorgt.

„Na gut. Du hast recht. Sex ist sowieso überbewertet. Und so lange, wie ich schon keinen mehr hatte, sind ein oder zwei Tage unwichtig.“ Er nickte. Murmelte etwas. Es klang ein wenig danach, dass er es nicht so genau wissen wollte.

Jepp, eindeutig wie meine Brüder. Die taten auch immer so, als dürfte ihre Schwester kein aktives Liebesleben haben. Roman sagte mir, dass wir uns in zwanzig Minuten auf den Weg machten.

Während ich mich umzog, stellte ich mir im Kopf eine Liste zusammen. Es wartete kein Unheil auf mich. Weder ein Wandler, noch ein durchgeknallter Vampir-Briam noch irgendwelche Feen oder Gargoyle. Als erstes würde ich in einen Club gehen. Mir dort einen Mann aufreißen – oder auch zwei. Und sobald mein sexueller Hunger befriedigt wäre, könnte ich weitere Punkte auf die Liste setzten. Zum Beispiel, mich endlich nach einem neuen Haus umzusehen. Es war an der Zeit. Obwohl ich noch gar nicht so lange in der Mietwohnung lebte, wusste ich doch, dass ich etwas Eigenes brauchte.

Pünktlich zur vereinbarten Zeit wartete Roman auf mich. Ich hakte mich bei ihm unter. Doch entgegen meiner Erwartung, dass er teleportierte, führte er mich zu seinem beeindruckenden Fuhrpark.

Ich keuchte.

So viele Autos. So viele schöne Autos. Na ja, so viele waren es gar nicht. Höchstens… ich zählte. Elf Stück! Also doch eine ganze Menge. Und eins teurer als das andere. Sogar ein alter Maserati. Meine Güte!

Womit – zum Teufel – verdiente Roman sein Geld? Sein Blick durchbohrte mich. „Das willst du nicht wissen.“

Wollte ich wohl!

Aber da sein Blick wie Panzertape wirkte, blieben meine Lippen versiegelt.

„Komm.“ Roman hielt mir die Fahrertür auf. Woah. Edel! Und schon wieder fühlte ich mich wie eine Königin. Oder zumindest wie eine ganz, ganz wichtige Person.

Der Nachmittag wurde kurzweilig.

Wir bummelten durch zig Geschäfte. In einigen davon kaufte ich mir etwas. Roman zahlte. Offenbar amüsiert über meine Zurückhaltung.

Hey, ich hatte genug eigenes Geld.

Wir setzten uns zusammen in das kleine Café, in dem ich ein paar Mal mit Alan gewesen war. Wir plauderten, tranken Kaffee. Schlenderten anschließend durch den Park. Wir lästerten, redeten über Gott und die Welt, neckten uns. Ein wenig kam es mir vor wie Flirten. Ich interpretierte es fehl – wusste ich. Trotzdem fühlte es sich so an. Wir sprachen sogar über Zukunftspläne. Na ja, ich sprach über Zukunftspläne. Roman hielt sich erstaunlich bedeckt. Zwar plante er eine berufliche Erweiterung, aber wie genau die aussah, verschwieg er. Auch was seinen Wunsch nach Familie und Kindern anging, äußerte er sich nicht. Vielleicht, weil er als Vampir noch zu jung dafür war. Dann verblüffte er mich jedoch. „Ich werde mich nie mit einer Vampirin einlassen können.“ Verstand ich nicht. Vampire konnten nur mit ihrer Art Nachkommen zeugen. Zumindest war mir nichts anderes bekannt. Wollte er keine Kinder? „Ich wollte immer Kinder haben, Sam. Doch in meinem Adern fließt das Blut eines Ker-Lon. Meine Geliebte, Frau – wie auch immer – wird irgendwann im Rausch der Leidenschaft von mir trinken. Es wäre ihr Tod. Das kann ich weder verantworten noch will ich mir derartiges antun.“ Betroffen sah ich ihn an. „Kein Mitleid, Sam. Das habe ich nicht verdient. Ich habe mich aus freien Stücken an Letia gebunden. Ich bereue es nicht.“ Für einen Augenblick schien er in der Vergangenheit zu sein. Seine Augen waren weit in die Ferne gerichtet. Dann schüttelte er den Kopf. Besann sich, wo er war.

„Ok. Bereit für ein ausschweifendes Abendessen?“ Klang gut. Nur, um ehrlich zu sein, taten mir die Füße weh. Ich war es einfach nicht gewohnt, in hochhackigen Schuhen zu laufen. „Sag mir, dass Edgar kocht. Meine Füße bringen mich um. Ich will mich auf deine Couch fläzen, meine Füße hochlegen und mich von dir füttern lassen.“ Roman schmunzelte. „Edgar kocht. Und während des Essens können wir uns einen Film anschauen.“ Das klang nach einem sehr gemütlichen Abend.

Irgendwie… nun ja… freute ich mich darauf.

Zwei Stunden später war ich pappsatt. Edgar hatte sich selbst übertroffen. Leise seufzend schob ich die Dessertschüssel von mir. „Noch ein Löffel und ich platze.“ Roman lachte. „Die Schüssel ist doch leer.“ Ich nickte demonstrativ. „Ich meinte damit, dass ich keinen Nachschlag möchte.“

Vorsichtig lehnte ich mich zurück. Bloß gut, dass ich jetzt bequeme Shorts trug. Die kurzen Jeanshosen hätten mich längst in Atemnot gebracht. „Noch Wein?“ Protestierend hob ich eine Hand. „Später. Viel später. Im Moment fühle ich mich, als ob gleich alles überschwappt.“

 

Das war die reine Wahrheit.

Edgar hatte sich eine Medaille verdient. Denn es gehörte einiges dazu, einen movere soweit zu bringen. Vampire hingegen schienen sogar noch einiges mehr verdrücken zu können. Dabei hatte ich immer geglaubt, der Grundumsatz von movere und Gestaltwandlern sei hoch.

Eine halbe Stunde später saß ich zufrieden auf der Couch. Meine Füße auf Romans Schoß; einen zweiten Film schauend. Inzwischen konnte ich mich sogar wieder bewegen, ohne befürchten zu müssen, dass ich mich jeden Moment übergab. Meine Güte. So viel hatte ich schon lange nicht mehr gegessen. Das – oder Edgar hatte irgendwelche Mittelchen unters Essen gemischt. „Dein Telefon klingelt.“, murmelte ich träge, weil Roman es ignorierte. „Edgar kümmert sich darum.“ Oh? Der gute Vampir schien etwas vergesslich zu sein. „Du hast Edgar vor zehn Minuten in den Feierabend geschickt. Gleich nachdem er gefragt hat, ob wir noch etwas brauchen.“ Roman fluchte leise. Ich kicherte. Immerhin hatte Roman seinem Angestellten sogar versichert, dass der Geschirrspüler auch morgen früh ausgeräumt werden könnte. Edgar hatte partout bleiben wollen, bis dieser fertig war.

Mit mehr Vorsicht als notwendig, hob Roman meine Füße von seinem Schoß, stand auf und verließ den Salon.

Für mich blieb es – wenn auch mit gigantischen Ausmaßen – eine Wohnstube.

Ich hörte nicht, was er sprach. Sah lediglich sein leicht geknautschtes Gesicht, als er zur Tür hereinkam. „Ich muss nochmal kurz weg. Du bleibst hier und bewegst dich keinen Zentimeter.“ Ich nickte langsam. Ein paar Zentimeter würde ich mich dennoch bewegen. Müssen. Sonst käme ich nie und nimmer an mein Weinglas.

Eine Stunde später lief der Abspann des Films. Er tanzte in einem Hologramm um mich herum, während ich überlegte, nach einem unsichtbaren Edgar zu schreien. Andererseits hatte Roman sicher nur gemeint, dass ich nicht heimgehen sollte. Es war demnach vertretbar von der Couch aufzustehen und seine Datenchips durchzusehen.

Die Filme, die noch auf dem jetzigen gespeichert waren, entsprachen nicht meiner Vorstellung von einem gemütlichen Fernsehabend. In letzter Zeit hatte ich genug gruselige Dinge erlebt. Die musste ich mir auf keinen Fall in einer Super-Duper-Highend-Realitäts-Dimension antun. Mein Weinglas greifend erhob ich mich, lief zu Romans TV-Board und ließ mich im Schneidersitz davor nieder.

Wow, das nannte ich mal eine Sammlung!

Wozu brauchte Roman Pay-TV und einen Zugang zur Onlinedatenbank, wenn er die besten Filme aller Zeiten auf Videobildspeicherchip besaß? Hey, sogar mit Speicherliste! Ich scrollte durch das Menü der elektronischen Liste, fand einen mir zusagenden Film, tippte das Symbol daneben an und tadaaa – der Chip wurde mir direkt ausgeworfen.

Ein bisschen wie ein Colaautomat.

Nur wesentlich kleiner; dafür jedoch besser bestückt. So ein niedliches Teil sollte ich mir auch zulegen.

Grinsend tauschte ich die Chips, trank einen Schluck Wein, erhob mich elegant und pflanzte mich wieder auf die Couch. Ohne die Fernbedienung zu nutzen, blätterte ich durch das Standardmenu und startete den Film.

Ich liebte es, eine movere zu sein. Yeah! Die ganz coolen movere bedienten einen Fernseher wie von Geisterhand.

Ich kicherte, nippte an meinem Wein und machte es mir gemütlich.

Bereits eine viertel Stunde später musste ich das Glas abstellen. Ansonsten hätte ich mich beim Lachen bekleckert. Oder Romans Couch ruiniert. Bloß gut, dass mich niemand gackern hörte. Ich klang wie eine Mischung aus altersschwachem Gaul, Meerschwein und Huhn. Vor Lachen liefen mir die Tränen, gleichzeitig hielt ich mir den Bauch und kniff die Beine zusammen. Ich wusste, dass die Komödie noch besser wurde. Vorher sollte ich dringend auf Toilette gehen. Ich wollte mich beim besten Willen nicht vor Lachen einpinkeln.

Nur wenig später hockte ich wieder auf der Couch und wandt mich vor Lachen. So fand mich Roman vor. Aber egal, wie sehr ich mich auch bemühte: Das Ganze einzustellen klappte nicht. Nicht, solange der Film lief und eine Pointe die nächste jagte. „Wie ich sehe, amüsierst du dich.“ Tat ich. Störte es ihn? Roman schüttelte den Kopf, zog leicht die Mundwinkel nach oben und setzte sich neben mich. „Füße.“

Füße?

Ah ja.

Ich schob meine Füße auf Romans Schoß. Hoffentlich war ihm bewusst, wie gefährlich er lebte. Wenn ich lachte, hatte ich meinen Körper ganz, ganz, ganz schlecht unter Kontrolle. Ich wollte ihn wirklich ungern entmannen.

Roman entspannte sich zusehends. Fiel in das alberne Lachen ein. Ich sah sogar die ein oder andere Träne. Und selbst er stellte irgendwann sein Weinglas weg.

Ha!

Wie schön, dass ein Vampir ebenso befreit über diesen Blödsinn wiehern konnte. Andererseits – es war schließlich sein VBSC. Er kaufte sich bestimmt keine Filme, die er nicht mochte. Oder aber er sammelte sie.

Einfach so aus Spaß.

Denn ich hatte auch Titanic und die Sesamstraße entdeckt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Roman sowas anguckte. „Versuche nicht, mich zu analysieren, Sam.“ Na sowas. Er konnte also fernsehen und meine Gedanken hören.

Multitasking.

Meine Augenbrauen wackelten aufmüpfig. „Käme ich nie auf die Idee.“ Dafür würde ich nämlich Jahre brauchen und wäre hinterher genau so schlau wie jetzt. Außerdem musste ich ihn nicht analysieren. Ich mochte ihn – mit all seinen Eigenheiten als Vampir. Sogar unter dem mörderischen Aspekt unserer gemeinsamen Vergangenheit.

Mehr musste ich nicht wissen.

Nach dem Film wollte Roman mich ins Bett schicken. „Warum? Ich bin noch nicht müde.“

„Es ist Mitternacht.“

„Roman, ich bin kein Kind mehr. Ich weiß, wie spät es ist. Oder stört dich meine Anwesenheit?“ Roman seufzte. „Das meine ich nicht. Du musst dich schonen.“ Was meinte er, was ich hier machte? Bergsteigen? „Ich schone mich doch! Ich liege. Ich bin faul. Ich schaue fern. Das heißt, ich nutze nicht mal meine grauen Zellen. Fehlt nur noch eine Massage, dann bin ich die faulste Person der Welt. Und ich bin wirklich nicht müde.“

„Wie du meinst. Also noch einen Film?“ Ich nickte. Roman tätschelte meine Füße. „Egal was?“

„Keinen Horror.“ Roman lachte leise. Ich fragte mich, wie er das machte. Ich hatte vom vielen Lachen einen Muskelkater. „Noch irgendwas?“ Einen Mann, dachte ich. „Wein.“, sagte ich stattdessen. Galant zog Roman eine Augenbraue in die Höhe. Füllte mein Glas. „Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, Sam.“ Seine leise Stimme bescherte mir eine Gänsehaut.

Die sanfte Drohung überhörte ich nicht.

Betont lässig zuckte ich mit den Schultern. Halb sitzend, halb liegend, nahm ich das Weinglas entgegen. Nippte daran. Zappte mit meinen Fähigkeiten durch das Menü des Chips. „Komödie? Action? Drama? Egal?“ Roman ließ mir freie Hand bei der Auswahl. Ein Actionfilm erschien mir ideal. Noch mehr Lachen vertrug mein Bauch nicht. Zudem musste man bei Actionfilmen ebenso wenig nachdenken. Ich machte es mir etwas bequemer, indem ich mit dem Hintern ein Stück weiter vor rutschte und dabei meine Beine über Romans Schoß schob.

Schon bald war ich von dem Film gefangen. Allerdings schwirrte mir dadurch mit jeder vergehenden Minute eine Frage immer drängender im Kopf herum. Die stellte ich nur wenig später. „Dieser Jean-Luc Irgendwas, ist er eigentlich ein Vampir oder ein Gestaltwandler?“ Ich vermochte es nicht zu sagen. Er besaß sowohl die Eleganz und das androgyne Aussehen der Vampire als auch die animalische Ausstrahlung der Gestaltwandler. „Weder noch. Er ist ein Mensch.“ Mein Mund klappte auf. „Du machst Witze.“ Roman schüttelte den Kopf.

Wow!

Es gab also auch unter uns Menschen schnuckelige Männer. Unerreichbar für mich, aber gut zu wissen. Unauffällig wischte ich mir über den Mund. Ich befürchtete zu sabbern. Roman streichelte meine Beine. Vermutlich unbewusst. Es fühlte sich trotzdem gut an.

Je weiter der Film voranschritt, umso unruhiger wurde ich. Romans Hände. Dazu der Kerl auf dem Bildschirm. Der Typ war wirklich heiß. Da würde sogar meine Mutter auf dumme Ideen kommen. Als er dann auch noch eine seiner Frauen küsste und ins Bett zerrte, seufzte ich. „Mit der würde ich jetzt gern tauschen.“ Roman sah mich fragend an. „Was denn? Die Frau ist auch ein Hingucker. Richtig?“ Romans vorsichtiges Nicken fand ich lustig. „Gut. Du tauschst mit ihm. Ich mit ihr. Dann haben wir beide unseren Spaß.“ Reine Theorie. Aber eine sehr schöne Vorstellung. „Weißt du, was du eben vorgeschlagen hast?“