Gefährliche Liebschaften

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Ich komme ins Dorf und bemerke einen Aufruhr, trete näher, und man erzählt mir den Vorfall. Ich lasse den Steuereinnehmer kommen und zahle mit meinem großmütigsten Mitleid und nobel fünfundsechzig Livres, um deretwillen man fünf Personen auf Stroh und Verzweiflung legen wollte. Nach dieser so einfachen Sache hätten Sie den Chor von Segenswünschen hören sollen, den alle Umstehenden anstimmten! Tränen der Dankbarkeit liefen dem alten Familienoberhaupte aus den Augen, und machten das Gesicht dieses Patriarchen schön, das vorher in der Verzweiflung fast häßlich war. Ich betrachtete noch das Schauspiel, als ein anderer etwas jüngerer Bauer mit einer Frau und zwei Kindern hervortrat, zu denen der Alte sagte: »Fallen wir vor diesem Ebenbild Gottes zu Füßen,« und im selben Augenblick lag diese Familie anbetend zu meinen Füßen. Ich wurde wirklich schwach, und meine Augen wurden naß: ich fühlte eine unwillkürliche aber angenehme Rührung. Ich war ganz erstaunt über das hübsche Gefühl, das man empfindet, wenn man wohltut, und ich möchte glauben, daß diese Leute, die wir nächstenliebende Leute nennen, nicht halb so viel Verdienst bei ihrer Tugend haben, als man uns glauben machen will. Sei das wie immer, ich fand es nur recht und billig, diesen Leuten das Vergnügen zu zahlen, das sie mir soeben bereitet hatten. Ich hatte gerade noch zehn Louis bei mir und gab sie ihnen. Jetzt fingen die Dankeshymnen von neuem an, aber sie hatten schon nicht mehr die gleiche pathetische Höhe: das Nötige hatte den starken echten Effekt verursacht, das übrige war nur einfacher Ausdruck der Dankbarkeit und des Erstaunens über ein Geschenk, das aus dem Überfluß kam.

Ich sah inmitten dieser Segnungen der redseligen Familie wohl recht einem Theaterhelden ähnlich in der entscheidenden Szene. Natürlich war der treue Spion auch inmitten der Menge, und mein Zweck war erfüllt. Ich riß mich los und ging aufs Schloß zurück. Alles in allem gratuliere ich mir zu meinem Einfall.


Und die Frau ist die viele Mühe wirklich wert, die ich mir ihretwegen mache –diese Mühe wird einmal mein Anspruch sein. Und indem ich sie auf diese Weise sozusagen im voraus bezahlt habe, werde ich das Recht haben, nach meiner Laune über diese Frau zu verfügen, ohne mir Vorwürfe machen zu müssen.

Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß ich, um allen Vorteil daraus zu ziehen, die guten Leute noch bat, Gott um den Erfolg meines Vorhabens zu bitten. Sie werden gleich sehen, wie ihre Gebete schon zum Teil erhört wurden ... Ich werde soeben zum Abendessen gerufen, und es würde zu spät für die Post werden, wenn ich den Schluß bis nachher aufheben wollte. Also den Rest am nächsten Posttag. Es tut mir leid, denn dieser Rest ist das Beste: Adieu, meine schöne Freundin. Sie stahlen mir eine Minute »ihres« Anblicks!

Schloß . . ., den 20. August 17..

Zweiundzwanzigster Brief

Die Präsidentin von Tourvel an Frau von Volanges.

Sie werden sich gewiß freuen, gnädige Frau, von einem Zug des Herrn von Valmont zu hören, der, wie mir scheint, um vieles verschieden von der Art ist, wie man ihn Ihnen dargestellt hat. Es ist so unangenehm, unvorteilhaft von irgend jemandem zu denken, so betrübend, nur Laster bei jenen zu finden, die alle nötigen Eigenschaften besitzen, die Tugend zu lieben. Sie üben doch so gerne Nachsicht, und Ihnen Grund zu geben, von einem zu strengen Urteil zurückzukommen, heißt doch Sie verbinden. Herr von Valmont scheint mir wie geschaffen dazu, diese Gunst, – ich möchte fast sagen diese Gerechtigkeit – von Ihnen zu erhoffen, und worauf ich das gründe, ist dies:

Er machte heute früh einen jener Spaziergänge, die bestimmte Pläne seinerseits in der Umgebung vermuten ließen, so wie Sie einmal voraussetzten, und ich muß mich anklagen, diese Ihre Vermutung mit allzu vieler Lebhaftigkeit geteilt zu haben. Zum Glück für ihn und auch für uns, –weil es uns davor bewahrt, ungerecht zu sein, –mußte einer meiner Leute denselben Weg wie er gehen, und auf diese Weise wurde meine sträfliche aber glückliche Neugierde befriedigt. Er brachte uns die Nachricht, daß Herr von Valmont im Dorfe S. eine unglückliche Familie angetroffen habe, deren Möbel verkauft werden sollten, weil sie die Steuer nicht bezahlen konnte; und daß er den Leuten nicht nur den Betrag der Steuern, sondern auch noch eine ansehnliche Summe geschenkt hatte. Mein Diener war Zeuge dieser tugendhaften Handlungsweise und erzählte weiter, daß die Bauern unter sich und zu ihm davon sprachen, daß gestern ein Diener ins Dorf gekommen wäre, um Erkundigungen über jene Bauern einzuziehen, ein Diener, den sie näher beschrieben, und den der meinige als den des Herrn von Valmont erkannte. Wenn dem so ist, so ist das kein gewöhnliches, durch die zufällige Gelegenheit veranlaßtes und vorübergehendes Mitleid, und ist vielmehr die vorgefaßte Absicht, Gutes zu tun; und das ist die schönste Tugend der schönsten Seelen. Aber, sei es nun Zufall oder Absicht, es bleibt immer eine lobenswerte und ehrliche Tat, deren Beschreibung mich schon zu Tränen rührte. Ich füge noch hinzu, und das immer noch aus dem Gefühl der Gerechtigkeit, daß, als ich mit ihm darüber sprach, er selbst kein Wort davon erwähnte, anfangs sogar leugnete und dann, als er es eingestand, so wenig Wert darauf legte, daß seine Bescheidenheit sein Verdienst verdoppelte. Jetzt sagen Sie mir, meine ehrwürdige Freundin, ob Herr von Valmont wirklich ein unverbesserlicher Wüstling ist, und wenn er das ist und sich so benimmt, was für die anständigen Menschen noch zu tun bliebe? Können denn die Bösen mit den Guten die heilige Freude des Wohltuns teilen? Gott würde erlauben, daß eine tugendhafte Familie die Hilfe, deren Dank sie der ewigen Vorsehung schuldet, aus den Händen eines Verbrechers empfängt? Und könnte es ihm gefallen, aus reinem Munde die Segnungen eines Verworfenen zu hören? Ich glaube nein. Ich will lieber glauben, daß seine Verirrungen langdauernde, aber nicht ewige sind, und ich kann mir nicht denken, daß derjenige, der Gutes tut, ein Feind der Tugend ist. Herr von Valmont ist vielleicht nur ein Beispiel mehr für die Gefahren, die in diesen verwerflichen Liaisons liegen. Ich bleibe bei diesem Gedanken, der mir gefällt, und wenn er dazu beitragen kann, Herrn von Valmont in Ihren Augen zu rechtfertigen, so dient er mir auch anderseits dazu, die Freundschaft mehr und mehr kostbar machen, die mich fürs Leben an Sie bindet.

In Ehrerbietung Ihre usw.

P.S. Frau von Rosemonde geht jetzt mit mir diese ehrliche und unglückliche Familie besuchen, um etwas verspätet unsere Hilfe derjenigen des Herrn von Valmont beizufügen. Wir nehmen ihn mit uns und werden den guten Leuten wenigstens die Freude machen, ihren Wohltäter wiederzusehen, was, glaube ich, alles ist, das er uns zu tun übrig ließ.

Schloß . . ., den 20. August 17..

Dreiundzwanzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Wir blieben bei meiner Rückkehr ins Schloß unterwegs stehen; ich nehme meinen Bericht wieder auf.

Ich hatte gerade noch Zeit, Toilette zu machen und begab mich in den Salon, wo meine Schöne an einer Stickerei saß, während der Pfarrer des Ortes meiner alten Tante die Zeitung vorlas. Ich setzte mich neben den Stickrahmen. Noch sanftere Blicke als gewöhnlich, ja fast zärtliche Blicke ließen mich bald erraten, daß der Diener schon seinen Bericht erstattet hatte. Und wirklich konnte meine süße Neugier nicht länger das Geheimnis halten; und unbekümmert, einen ehrwürdigen Priester zu unterbrechen, dessen Vorlesen mehr eine Predigt war, sagte sie: »Ich habe auch meine Neuigkeit,« und erzählte mein Abenteuer, und mit einer Genauigkeit, die der Intelligenz ihres Berichterstatters alle Ehre macht. Sie können sich denken, wie ich alle meine Bescheidenheit paradieren ließ, – aber kann man eine Frau hindern, die ohne es zu wissen, das Lob dessen singt, den sie liebt? Ich ließ sie also erzählen. Man hätte meinen können, sie trüge das Loblied eines Kirchenheiligen vor. Währenddem beobachtete ich nicht ohne Hoffnung alles, was ihr beredter Blick, ihre bereits freiere Bewegung der Liebe versprachen, und besonders den Tonfall der Stimme, deren leichtes Zittern die Bewegung ihrer Seele verriet. Kaum war sie zu Ende, als Frau von Rosemonde zu mir sagte: »Kommen Sie, mein lieber Neffe, kommen Sie, daß ich Sie umarme.« Ich fühlte gleich, daß die schöne Lobpreiserin sich nicht würde erwehren können, ebenfalls umarmt zu werden. Sie wollte entfliehen, aber bald hatte ich sie in meinen Armen, und sie nicht die Kraft zu widerstehen, – kaum konnte sie sich aufrecht halten. Je mehr ich diese Frau beobachte, desto begehrenswerter erscheint sie mir. Sie beeilte sich wieder an ihren Rahmen zu kommen, und es schien für jedermann, daß sie wieder sticke; ich merkte aber wohl, daß ihre zitternde Hand ihr es nicht möglich machte, die Nadel zu führen.

Nach dem Essen wollten die Damen die Unglücklichen aufsuchen, denen ich in so höchst tugendhafter Weise beigestanden hatte, und ich begleitete sie. Ich erspare Ihnen die Langeweile der Schilderung dieser neuen Szene des Dankes und des Lobes. Ich beschleunigte die Rückkehr ins Schloß, denn mein Herz war von einer entzückenden Erinnerung voll. Unterwegs war meine schöne Präsidentin träumerischer als gewöhnlich und sprach kein Wort. Ganz damit beschäftigt, den Nutzen der Wirkungen aus diesem Ereignis des Tages zu finden, war ich ebenso schweigsam. Nur Frau von Rosemonde sprach und bekam von uns nur seltene und kurze Antworten. Wir dürften sie gelangweilt haben, ich hatte wenigstens diese Absicht, und sie gelang. Denn als wir vom Wagen stiegen, ging sie gleich in ihre Zimmer und ließ uns miteinander allein, meine Schöne und mich, im schwach erleuchteten Salon, einem süßen Dämmerlicht, das schüchterne Liebe kühner macht.

 

Es wurde mir nicht schwer, das Gespräch dahin zu lenken, wo ich es haben wollte. Der Eifer der liebenswürdigen Tugendreichen half mehr dabei als es meine Geschicklichkeit hätte tun können.

»Wenn man so bereit ist, Gutes zu tun,« sagte sie mit einem sanften Blick auf mich, »wie kommt es, daß man sein Leben in Schlechtigkeit verbringt?« »Ich verdiene,« antwortete ich, »weder dieses Lob noch diesen Tadel, und ich begreife nicht, daß Sie mit all ihrem Geist mich immer noch nicht erkannt haben. Sollte mein Vertrauen zu Ihnen mir auch schaden, Sie sind dessen zu würdig, als daß es mir möglich wäre, es Ihnen zu entziehen. Sie finden den Schlüssel zu meinem Benehmen in meinem unglücklicherweise zu leichtfertigen Charakter. Von sittenlosen Menschen umgeben, habe ich deren Lasterleben nachgeahmt, vielleicht noch mit dem Ehrgeiz, sie darin zu übertreffen. Hier aber verleitete mich wieder das Beispiel der Tugend, und ich habe ohne Hoffnung wenigstens versucht, Ihnen zu folgen. Aber vielleicht würde die Tat, deren Sie mich loben, in Ihren Augen allen Wert verlieren, wenn Sie deren wirkliche Motive kennten. (Sie sehen, meine schöne Freundin, wie nahe ich der Wahrheit war!) Nicht mir verdanken diese Unglücklichen die Hilfe. Wo Sie eine lobenswerte Tat sehen, suchte ich nichts sonst als ein Mittel zu gefallen. Ich war, da ich es schon sagen muß, nur das schwache Werkzeug einer Göttin, die ich anbete. (Hier wollte sie mich unterbrechen, aber ich ließ ihr keine Zeit dazu.) In diesem selben Augenblick sogar entkommt mir mein Geheimnis – aus Schwäche. Ich hatte mir vorgenommen es vor Ihnen zu verschweigen, und ich machte mir mein Glück daraus Ihrer Tugend wie Ihrer Schönheit eine reine Huldigung darzubringen, von der Sie niemals erfahren sollten. Aber, unfähig zu betrügen, wenn ich unter meinen Augen das Beispiel der Unschuld habe, will ich mir auch keine sträfliche Verheimlichung vorzuwerfen haben. Glauben Sie ja nicht, daß ich Sie durch eine sträfliche Hoffnung beleidige. Ich weiß, ich werde unglücklich sein, aber meine Leiden werden mir teuer sein und mir die Stärke meiner Liebe zeigen; vor Ihre Füße, in Ihre Brust werde ich meine Qual legen und werde da neue Kraft zu neuem Leiden schöpfen. Da werde ich barmherzige Güte finden und werde mich getröstet fühlen, weil Sie mich bedauern. Angebetete! Hören Sie mich an, bedauern Sie mich und helfen Sie mir.« Und da lag ich ihr schon zu Füßen und drückte ihre Hände, aber sie riß sich los und rief verzweifelt und in Tränen: Ach, ich Unglückliche! . . . Glücklicherweise hatte auch ich mich so weit fortreißen lassen, daß ich ebenfalls weinte und ihre Hände, die ich wieder hielt, mit meinen Tränen netzte – eine sehr nötige Sache; denn sie war so sehr mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt, daß sie den meinen ohne dieses Mittel meiner Tränen nicht bemerkt hätte. Die Tränen standen ihrem Gesichte herrlich, was mich so mehr noch erregte, daß ich kaum mehr Herr meiner selbst und versucht war, den Augenblick zu nützen.

Ach über unsere Schwäche! Und wie groß die Macht der Umstände, wenn selbst ich meine Pläne vergessend, in die Gefahr komme, durch einen verfrühten Sieg den Reiz eines langen Kampfes und die Details einer mühsamen Eroberung zu verlieren, wenn ich wie ein von der Sehnsucht genarrter Jüngling dem Sieger über Frau von Tourvel als Preis seiner Arbeit nichts sonst als diese Banalität gegeben hätte, eine Frau mehr besessen zu haben! Ja, sie soll sich ergeben, aber sie soll dagegen kämpfen; ohne die Kraft des Siegens zu besitzen, muß sie doch die des Widerstandes haben; sie soll reichlich das Gefühl ihrer Schwäche genießen und selbst ihre Niederlage gestehen. Der gemeine Wilddieb soll den überraschten Hirsch aus der Sicherheit des Hinterhaltes töten, aber der wahre Jäger muß ihn forcieren. Der Plan ist groß gedacht, nicht wahr? Aber ich würde jetzt vielleicht bedauern können, ihm nicht gefolgt zu sein, ohne den Zufall, der meiner Vorsicht zu Hilfe kam. Wir hörten ein Geräusch. Jemand trat in den Salon. Erschreckt erhob sich Frau von Tourvel, nahm einen Leuchter und ging hinaus. Ich mußte es geschehen lassen. Es war nur ein Diener gewesen. Sobald ich dessen gewiß war, folgte ich ihr. Kaum hatte ich einige Schritte gemacht, als sie, weil sie mich erkannte oder aus einem unbestimmten Gefühl des Schreckens, ihre Schritte beschleunigte und mehr laufend als gehend in ihr Zimmer stürzte, dessen Türe sie ins Schloß fallen ließ. Der Schlüssel steckte von innen. Ich hütete mich wohl zu klopfen, womit ich ihr die Gelegenheit eines allzu leichten Widerstandes gegeben hätte. Es kam mir die ebenso einfache als glückliche Idee, durchs Schlüsselloch zu schauen, und ich sah tatsächlich diese entzückende Frau auf den Knien liegen, in Tränen aufgelöst inbrünstig beten. Zu welchem Gott wohl? Gibt es einen stark genug gegen die Liebe? Umsonst suchte sie fremde Hilfe; denn ich bin es jetzt, der ihr Schicksal bestimmt.

Ich glaubte, es sei genug für einen Tag und zog mich in meine Zimmer zurück, um Ihnen zu schreiben. Ich hoffte, Frau von Tourvel beim Abendessen zu treffen, aber sie ließ sagen, daß sie sich nicht wohl fühle und daß sie zu Bett gegangen sei.

Frau von Rosemonde wollte zu ihr hinauf, aber die maliziöse Kranke schützte Kopfschmerzen vor, die ihr nicht erlaubten, jemanden zu sehen. Sie können sich denken, daß der Abend kurz war, und daß ich auch meine Kopfschmerzen vorgab.


Ich schrieb ihr einen langen Brief, in dem ich mich über ihre Grausamkeit beklagte, und legte mich schlafen mit dem Vorsatz, ihr den Brief morgen früh zu geben. Ich habe schlecht geschlafen, wie Sie aus dem Datum des Briefes sehen. Früh las ich den Brief noch einmal durch und fand ihn schlecht: mehr Leidenschaft darin als Liebe, mehr üble Laune als Traurigkeit. Ich werde ihn noch einmal schreiben müssen, aber mit mehr Ruhe.

Ich merke, daß es Tag wird, ich hoffe von der Frische des Morgens den Schlaf. Ich will wieder zu Bett gehen, und wie groß auch immer die Macht, die diese Frau über mich hat, sein möge, ich verspreche Ihnen, mich nicht so ganz mit ihr zu beschäftigen, als daß mir nicht Zeit übrig bliebe, viel an Sie zu denken.

Adieu, meine schöne Freundin.

Schloß . . ., den 21. August 17.., 4 Uhr früh.

Vierundzwanzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Frau von Tourvel.

Ach, gnädige Frau, aus Barmherzigkeit besänftigen Sie den Aufruhr meines Herzens; seien Sie gnädig, und sagen Sie mir, was ich zu hoffen oder zu fürchten habe. Die Ungewißheit ist ein grausames Los, so zwischen Glück und Unglück gestellt. Warum habe ich es Ihnen auch gesagt! Warum konnte ich dem zwingenden Zauber nicht widerstehen, der Ihnen meine Gedanken preisgab! Zufrieden damit, Sie schweigend anzubeten, freute ich mich wenigstens an meiner Liebe, und dieses glücklich reine Gefühl, das noch nicht das Bild Ihres Schmerzes verwirrte, war Glücks genug. Aber nun ist diese Quelle des Glückes eine der Verzweiflung geworden, seitdem ich Ihre Tränen fließen sah, seit ich dieses grausame »Ach! ich Unglückliche« gehört habe. Gnädige Frau, diese Worte werden noch lange in meinem Herzen sein! Durch welches Verhängnis kann Ihnen das zarteste aller Gefühle nur Entsetzen einflößen? Und worin besteht denn diese Furcht? Ach, es ist nicht jene, die man teilt, denn Ihr Herz, das ich schlecht kannte, ist nicht für die Liebe geschaffen, und nur das meine, das Sie immer verleumdeten, ist es allein, das empfinden kann – das Ihre kennt selbst das Mitleid nicht.

Wäre das nicht so, Sie hätten dem Unglücklichen, der Ihnen sein Leid klagte, nicht das Wort des Trostes versagt, sich nicht seinen Blicken entzogen, der keine andere Freude kennt als die, Sie zu sehen. Sie hätten nicht ein so grausames Spiel mit seinem Kummer gespielt, indem Sie ihm sagen ließen, Sie wären krank, ohne ihm zu erlauben, sich über Ihr Befinden zu erkundigen. Sie hätten in derselben Nacht, die für Sie nur zwölf Ruhestunden bedeuteten, gefühlt, daß sie für mich eine Ewigkeit der Schmerzen sein müßte. Wodurch, sagen Sie, habe ich diese trostlose Strenge verdient? Ich fürchte mich nicht davor, Sie zum Richter anzurufen – was habe ich getan? Was anderes als dem stärkeren Gefühle nachgegeben, das Ihre Schönheit entflammt hat und das Ihre Tugend rechtfertigt, das immer die Hochachtung zurückgehalten hat, und dessen unschuldiges Geständnis aus dem Vertrauen und nicht aus der Hoffnung kam? Werden Sie nun dieses Vertrauen mißbrauchen, das Sie selbst zu erlauben schienen und dem ich mich ohne Rückhalt hingab? Nein, ich kann es nicht glauben; denn das hieße Unrechtes an Ihnen entdecken, und der bloße Gedanke, an Ihnen Unrechtes zu suchen, widerstrebt meinem Herzen – ich nehme alle meine Vorwürfe zurück, die ich wohl schreiben, aber nicht denken konnte. Lassen Sie mich daran glauben, daß Sie vollkommen sind – es ist die einzige Freude, die mir bleibt. Und beweisen Sie es mir, indem Sie mir Ihre großmütige Gnade schenken.

Welchem Unglücklichen haben Sie je geholfen, der Ihrer Hilfe bedürftiger gewesen wäre als ich? Verlassen Sie mich nicht in dieser Verzweiflung, in die Sie mich gebracht haben. Leihen Sie mir Ihre Vernunft, da Sie mich um die meine gebracht haben. Sie haben mich besser gemacht, nun vollenden Sie Ihr Werk, indem Sie mir Klarheit geben in meiner Verwirrung.

Ich will Sie nicht täuschen. Es wird Ihnen nicht gelingen, mich von meiner Liebe abzubringen. Aber Sie werden mich lehren, sie zu mäßigen, indem Sie meine Schritte lenken, meine Worte leiten, und mich damit wenigstens vor diesem Unglück bewahren sollen, Ihnen zu mißfallen. Nehmen Sie mir wenigstens diese verzweifelte Angst, sagen Sie mir, daß Sie mir verzeihen, daß Sie mich bedauern, versichern Sie mich Ihrer Nachsicht. Sie werden ja nie diese Nachsicht haben, die ich ersehne, aber ich verlange die, derer ich bedarf – werden Sie sie mir versagen?

Adieu, gnädige Frau, empfangen Sie mit Güte die Huldigung meiner Gefühle, die denen meiner Hochachtung nicht im Wege sind.

den 20. August 17..


Fünfundzwanzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Hier der Kriegsbericht von gestern.

Um elf Uhr trat ich bei Frau von Rosemonde ein, und in ihrer Begleitung wurde ich bei der Scheinkranken eingelassen, die noch zu Bette lag. Sie hatte blaue Ränder unter den Augen, – ich hoffe, daß sie ebenso schlecht geschlafen hat wie ich. Ich benutzte einen Augenblick, da sich Frau von Rosemonde entfernt hatte, um meinen Brief zu übergeben; sie weigerte sich ihn anzunehmen, ich ließ ihn aber auf dem Bette liegen und rückte ganz artig den Fauteuil meiner alten Tante heran, die so nah wie möglich bei ihrem lieben Kinde sein wollte. Der Brief mußte wohl oder übel versteckt werden, um einen Skandal zu vermeiden. Die Kranke sagte sehr ungeschickt, daß sie glaube, etwas Fieber zu haben. Frau von Rosemonde veranlaßte mich, den Puls zu fühlen, indem sie meine medizinischen Kenntnisse sehr lobte. Meine Schöne hatte nun den doppelten Verdruß: sie mußte mir ihren Arm überlassen und dabei fühlen, daß ich ihre kleine Lüge entdecken würde. Und ich nahm also ihre Hand und drückte sie heftig in die meine, während ich mit der andern ihren frischen, vollen Arm befühlte; die schlechte Person antwortete auf nichts, weshalb ich, als ich mich zurückzog, sagte: es sei nicht die leiseste Spur auch nur der geringsten Erregung vorhanden. Ich war ihres strafenden Blickes so sicher, daß ich ihn, um sie zu strafen, gar nicht suchte. Einen Augenblick später sagte sie, sie wolle aufstehen, und wir ließen sie allein. Sie erschien beim Diner, das recht traurig war; sie kündete uns an, daß sie keinen Spaziergang machen werde, was mir zu verstehen geben sollte, daß ich keine Gelegenheit zur Aussprache haben würde. Ich fühlte, daß hier ein ganz leiser Seufzer und schmerzvoller Blick am Platze war, worauf sie zweifellos wartete; denn das war der einzige Moment am ganzen Tage, wo es mir gelang, ihren Augen zu begegnen. So klug sie auch ist, so hat sie doch ihre kleinen Schwächen wie jede andere. Ich fand einen günstigen Augenblick, in dem ich sie fragte, ob sie wohl die Güte gehabt hätte, mich über mein Schicksal zu beruhigen, und ich war etwas erstaunt über die Antwort: »Ja, ich habe Ihnen geschrieben.« Ich brannte danach, diesen Brief zu haben; aber aus Absicht oder Ungeschicklichkeit oder Schüchternheit – sie gab ihn mir erst am Abend, gerade als sie sich zurückzog. Ich schicke ihn Ihnen mit dem Konzept des meinen: Lesen und urteilen Sie. Beachten Sie, mit welcher vortrefflich gemachten Falschheit sie erklärt, daß sie keine Liebe fühlt, während ich doch das Gegenteil genau weiß, – und dann wird sie sich später beklagen, daß ich sie betrüge, während sie mich schon jetzt betrügt! Meine schöne Freundin, der geschickteste Mann kann sich kaum auf der Höhe der aufrichtigsten Frau halten. Man wird wohl noch so tun müssen, als ob man an all diese Worte glaubte, und sich in Verzweiflung ermüden, weil es der Gnädigen gefällt, die Spröde zu spielen! Das Mittel, sich an all dieser Bosheit zu rächen . . . Aber Geduld . . . Und Adieu, ich habe noch viel zu schreiben.

 

Ja, noch etwas: Sie müssen mir den Brief der grausamen Dame zurückschicken, es könnte sein, daß sie später auf diese Kleinigkeiten Wert legte, und man muß immer korrekt sein.

Ich spreche heute nicht über die kleine Volanges, aber nächstens davon.

Schloß . . ., den 21. August 17..


Sechsundzwanzigster Brief

Die Frau von Tourvel an den Vicomte von Valmont.

Sie hätten nie einen Brief von mir bekommen, wenn mich mein dummes Benehmen von gestern abend nicht zu einer Erklärung zwänge. Ja, ich habe geweint, ich gestehe es und vielleicht sind mir auch jene zwei Worte entschlüpft, die Sie mir mit so vieler Sorgfalt zitieren. Tränen und Worte – Sie haben alles bemerkt, so muß ich Ihnen alles erklären.

Gewöhnt, nur ehrbare Gefühle zu erwecken und nur Gespräche zu hören, die ich ohne zu erröten auch anhören kann, gebe ich mich einer Sicherheit hin, die ich wohl verdiene, und verstehe ich die Eindrücke, die ich empfange, weder zu verbergen noch zu bekämpfen. Die Überraschung, Verwirrung und ich weiß nicht welche Furcht, die die Situation in mir hervorrief, in die ich nie hätte geraten sollen, und dann dieser empörende Gedanke, mich mit den Frauen verwechselt zu sehen, die Sie verachten, und mich ebenso leichtfertig wie diese behandelt zu sehen – alles das verursachte meine Tränen und ließ mich mit Recht, wie ich glaube, sagen, daß ich unglücklich bin. Sie finden dieses Wort stark – es wäre noch viel zu schwach, wenn meine Tränen und Worte einen anderen Grund gehabt hätten, wenn ich, statt Gefühle, die mich beleidigen mußten, zu mißbilligen, sie zu teilen hätte befürchten müssen.

Nein, mein Herr, ich habe diese Furcht nicht, denn wenn ich sie hätte, würde ich hundert Meilen weit von Ihnen gehen, würde ich in einer Wüste das Unglück beweinen, Sie jemals gekannt zu haben. Vielleicht hätte ich, trotz der Gewißheit, daß ich Sie nicht liebe, daß ich Sie nie lieben werde, besser daran getan, die Ratschläge meiner Freunde zu befolgen, Sie nicht in meine Nähe zu lassen.

Ich glaubte, und das ist mein einziger Fehler, ich glaubte, Sie würden eine anständige Frau respektieren, die nichts sehnlicher verlangte, als auch Sie so zu finden, um Ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, eine Frau, die Sie bereits verteidigte, während Sie sie mit Ihren verbrecherischen Wünschen beschimpften. Sie kennen mich nicht, nein, Sie kennen mich nicht. Sonst hätten Sie nicht geglaubt, ein Recht auf Ihr Unrecht zu haben, weil Sie mit mir von Dingen sprachen, die ich nicht hätte anhören sollen; hätten Sie sich nicht für berechtigt gehalten, mir einen Brief zu schreiben, den ich nicht hätte lesen sollen. Und Sie verlangen von mir, daß ich Ihre Schritte lenken, Ihre Gespräche leiten soll! Nun gut: Stillschweigen und Vergessen, das sind die Ratschläge, die mir Ihnen zu geben geziemt, so wie Ihnen, dieselben zu befolgen; dann werden Sie allein das Recht auf meine Nachsicht haben, und es steht nur bei Ihnen, sogar das der Dankbarkeit zu gewinnen. Aber nein, ich richte an den keine Bitte, der mir die Achtung verweigerte, ich will dem kein Zeichen des Vertrauens geben, der meine Sorglosigkeit mißbraucht hat. Sie zwingen mich, Sie zu fürchten, vielleicht sogar Sie zu hassen, und das war nicht meine Absicht, denn ich wollte in Ihnen nichts sonst sehen, als den Neffen meiner besten Freundin, und ich widersprach mit der Stimme der Freundschaft der Stimme der öffentlichen Meinung, die Sie anklagte. Sie haben alles zerstört, und ich sehe voraus, Sie werden nichts wieder gut machen wollen.

Ich erkläre Ihnen daher, daß Ihre Gefühle mich beleidigen, daß deren Geständnis mich beschimpft, und daß, weit entfernt davon sie jemals zu teilen, Sie mich zwingen werden, Sie nie wiederzusehen, wenn Sie sich über diese Sache nicht das Stillschweigen auferlegen, das ich von Ihnen zu erwarten, ja selbst zu fordern das Recht habe.

Ich lege diesem Briefe denjenigen bei, den Sie mir geschrieben haben und hoffe, daß Sie mir den meinen wiedergeben werden; ich wäre betrübt, bliebe auch nur eine Spur dieses Vorfalles zurück, der nie hätte stattfinden sollen.

den 21. August 17..

Siebenundzwanzigster Brief

Cécile Volanges an die Marquise von Merteuil.

Mein Gott, wie Sie gut sind, gnädige Frau! Wie richtig haben Sie gefühlt, daß es mir leichter werden wird, Ihnen zu schreiben, als mit Ihnen zu sprechen! Auch ist das, was ich Ihnen zu sagen habe, sehr schwer zu sagen; aber Sie sind meine Freundin, nicht wahr, meine sehr gute Freundin, und ich will versuchen, keine Angst zu haben, und dann habe ich Sie und Ihre Ratschläge so nötig! Ich habe viel Kummer; es scheint mir, als ob jedermann erraten würde, was ich denke, und ganz besonders wenn er da ist, werde ich immer rot sobald man mich ansieht. Gestern, als Sie mich weinen sahen, wollte ich mit Ihnen sprechen und ich weiß nicht, was mich davon zurückhielt; und als Sie mich dann fragten, was mir fehle, kamen mir die Tranen ohne daß ich's wollte. Ich hätte kein Wort herausgebracht. Ohne Sie hätte es Mama bemerkt, und ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre. Sehen Sie, so verbringe ich seit vier Tagen mein Leben.

An jenem Tag, gnädige Frau, ja ich will es Ihnen sagen, gerade an jenem Tage hat mir der Chevalier von Danceny geschrieben. O! ich schwöre Ihnen, als ich den Brief fand, wußte ich gar nicht was das war; aber ich will nicht lügen und muß sagen, daß ich viel Vergnügen empfand als ich ihn las. Sehen Sie, ich möchte lieber mein ganzes Leben lang leiden, als daß er mir den Brief nicht geschrieben hätte. Ich wußte wohl, ich dürfe ihm das nicht sagen, und ich kann Ihnen versichern, daß ich erklärte, ich zürne ihm darüber, er aber sagte, es wäre stärker als er gewesen, und ich glaube es auch, denn ich hatte mir vorgenommen, ihm nicht zu antworten, und doch konnte ich mich nicht enthalten, es doch zu tun.

Ich habe ihm nur ein allereinzigesmal geschrieben, und das eigentlich nur, um ihm zu sagen, er dürfe mir nicht mehr wieder schreiben – und trotzdem schreibt er mir wieder und wieder; und da ich ihm nicht antworte, sehe ich, daß er traurig ist, und das betrübt mich immer mehr; so daß ich gar nicht mehr weiß, was tun, und ich bin sehr zu bedauern.

Sagen Sie mir bitte, gnädige Frau, wäre es wirklich schlecht, wenn ich ihm von Zeit zu Zeit antwortete? Nur so lange, bis er es über sich bringt, mir nicht mehr zu schreiben und mit mir zu verkehren wie früher, denn wenn das so fort geht, weiß ich nicht, was aus mir werden soll. Sehen Sie, als ich seinen letzten Brief las, mußte ich ohne Aufhören weinen, und wenn ich ihm jetzt wieder nicht antworte, wird es uns viele Schmerzen machen.

Ich will Ihnen auch seinen Brief schicken, oder besser eine Abschrift davon und Sie können selbst urteilen. Sie werden gleich sehen, daß er nichts Unrechtes verlangt. Wenn Sie aber finden sollten, daß sich das nicht schickt, so verspreche ich Ihnen, nicht zu antworten; aber ich glaube, Sie denken wie ich und werden nichts Schlechtes darin finden.

Weil ich doch schon schreibe, erlauben Sie mir, gnädige Frau, noch eine Frage an Sie zu stellen. Man hat mir gesagt, daß es schlecht sei, jemanden zu lieben, aber warum denn? Was mir die Frage aufdrängt, ist, daß der Chevalier von Danceny gesagt hat, daß es gar nicht schlecht wäre, und daß fast alle Menschen lieben. Wenn das so ist, so sehe ich gar nicht ein, warum ich die einzige Ausnahme machen sollte. Oder ist das nur etwas Schlechtes für die Fräuleins? Denn ich hörte Mama selbst einmal sagen, daß Frau von D... Herrn M... liebe, und sie sprach darüber nicht, als ob das etwas Schlechtes wäre und doch bin ich überzeugt, daß sie über mich böse würde, wenn sie nur ahnte, daß ich für Herrn Danceny Freundschaft empfinde. Mama behandelt mich noch immer wie ein Kind und sagt mir gar nichts. Ich glaubte, sie wolle mich verheiraten, als sie mich aus dem Kloster nahm, jetzt scheint mir aber das nicht; doch ich versichere Ihnen, daß mich das gar nicht bekümmert. Aber Sie, die Sie Mamas Freundin sind, Sie wissen gewiß, was daran ist, und wenn Sie es wissen, hoffe ich, werden Sie es mir sagen, nicht wahr? Jetzt habe ich einen sehr langen Brief geschrieben; aber da Sie mir erlaubten, Ihnen zu schreiben, benutzte ich die Gelegenheit, Ihnen alles zu sagen und rechne dabei auf Ihre Freundschaft.