Rabenflüstern

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Er lachte kurz auf. »Du bist ein unverbesserlicher Weichling, Kraeh«, stieß er hervor in der Art, wie er etwas zu sagen pflegte, das ihm schwerfiel. »Du hängst an den Kindern, obgleich du weißt, welche Dummheit das bedeutet und welch Unheil es nach sich ziehen wird, wenn du dich auf die Seite der Schwachen stellst.«

Kraeh wollte einhaken, aber Sedain fuhr unbeirrt fort.

»Dir ist klar, ich teile deine Sentimentalität nicht, ebenso solltest du mittlerweile wissen, dass ich immer an deiner Seite kämpfen werde. Also …« Er musste sich sichtlich überwinden, »… bringen wir diese Königsbrut in Sicherheit, holen jenes Steinchen und danach ziehen wir meinetwegen gegen die ganze Welt in den Krieg. Wir machen es zusammen.«

Es war heraus und beide schwiegen; Sedain ahnte nicht, welch prophetischen Gehalt seine Äußerung hatte. Der Hauptmast knarrte, als ein Windstoß das Tuch der Segel spannte.

»Danke«, erwiderte Kraeh.

Noch in den frühen Morgenstunden standen sie in Gedanken versunken nebeneinander da. Der im Unterdeck dösende Rhoderik vermuteten sie bei den Kindern. Übernächtigt sah auch die Mehrzahl der Soldaten auf die nicht enden wollenden Zeichen der Abschreckung, die zu beiden Seiten ihren Weg begleiteten. Der Kapitän spielte mit einigen seiner Männer schon seit Stunden ein Würfelspiel, wohl um sie und sich selbst abzulenken.

Gerade wollte Sedain seinen Fellmantel gegen die einziehende Kälte holen, als ein Blick nach vorne seine Aufmerksamkeit erregte.

Der Fluss teilte sich. Auch Thorwik hatte es bemerkt und ließ von den Würfeln ab. Einige Augenblicke lang begutachtete er die beiden Wege, ihm war diese Stelle ebenso unbekannt wie allen anderen. Berbast hatte offenbar Anweisung gegeben, dem linken Arm zu folgen, und so schlug die Fraja denselben Kurs ein.

»Besser die Orks als die Hexen«, gesellte sich der Kapitän zu den zwei Kriegern. »Da stimme ich zu.«

»Wie die Scheiße nach Farben zu sortieren«, grummelte Sedain und spannte seine zweite Armbrust.

Zwei Stunden trieben gleichmäßiger Ruderschlag und Wind sie voran, bis Alarmrufe von vorne zu hören waren. Kurz darauf sahen sie, worauf sie sich bezogen. Ein aus dicken Baumstämmen bestehender Steg schnitt ihnen den Weg ab. Schon stürmten massige Körper darauf zu. Schwarze Haare auf grüner Haut, wo sie durch zusammengestückelte Rüstteile lugte, füllten die Szenerie vor ihnen.

»Orks!«, schrie der Kapitän. »Holt die Speerschleuder!« Auf einmal war das ganze Deck in Bewegung. Die Soldaten nahmen mit gezogenen Waffen geduckt hinter der Reling Aufstellung. Wenige Momente waren verstrichen – schon waren beide Schiffe kampfbereit.

Die Idee eines Rückzuges erstarb im Keim, als hinter ihnen mächtige Bäume quer über das Wasser platschten; aus dem Unterholz drangen quietschende Geräusche, die das Heranschaffen von schwerem Kriegsgerät verrieten.

Rhoderik war mit blanker Klinge neben sie geeilt. »Eine Falle«, stellte er fest.

»Scharfsinnig beobachtet.« Ein Grinsen breitete sich auf Sedains Gesicht aus. »Endlich wieder Spaß!«

Der Ältere besah die Horden, die sich vor, hinter und neben ihnen sammelten. Es waren Hunderte. Doch noch flog kein Pfeil, keiner der schweren Steine, die auf den Körben der Katapulte lagen, zerriss die klare Morgenluft. Unbeweglich lagen die Schiffe da, um die sich eine ganze Armee zu sammeln schien.

Kraeh trat aus der Deckung und bestieg das Heck der Fraja.

»Was macht er?«, wollte Rhoderik wissen.

»Er zeigt diesen Bastarden, wo es langgeht«, lächelte der Halbelf.

Breitbeinig stellte Kraeh sich auf das Geländer. Eine leichte Brise spielte mit seinen dunklen Beinkleidern und dem weiten Hemd, das vom Schwertgurt an seine Brust gedrückt wurde. Er stieß den Anderthalbhänder in das Holz und breitete die Arme aus, dem Feind seine Furchtlosigkeit zu demonstrieren.

»Ist Gorka Hasenfuß bei seinen Weibern oder versteckt er sich in der hintersten Reihe?«, rief er, so laut er konnte.

Es dauerte einen Moment, dann bildete sich in den Reihen der Feinde eine Schneise. Hinein stapfte würdevoll der bulligste Ork, den Kraeh je gesehen hatte. Seine langen, schwarzen Haare auf dem Kopf und am Kinn waren zu Zöpfen geflochten. Außer einer rostigen Brustplatte und einem aus Bronzetellern gearbeitetem Gürtel trug er keine Rüstung. Zahlreiche Schrumpfköpfe schmückten ihn und baumelten bei jedem seiner Schritte gegen muskulöse Oberschenkel. In seiner Rechten hielt er lässig eine wuchtige, zweischneidige Kriegsaxt; um die andere Hand war das Ende einer Kette geschlungen, an der er eine schlanke Frau in abgewetzten Kleidern neben sich herzog. Bis auf den Eisenring um ihren Hals war sie von makelloser Schönheit, ihre fein geschnittenen, fremdländisch anmutenden Züge standen in krassem Kontrast zu dem grobschlächtigen Häuptling, dessen Gefangene sie war. Hinter ihm hüpfte auf einem Bein sein Schamane. Er war bis auf einen aus Federn bestehenden Umhang nackt. Blaue und weiße Runen überzogen seinen Körper, er pfiff, spuckte und stieß Verwünschungen aus, bis Gorka die Hand mit der Kette hob. Er verstummte und wechselte das Standbein.

Erst jetzt hob Gorka den Blick und betrachtete den Wahnsinnigen, der es sich erlaubte, so mit ihm zu sprechen. Dann stieß er unwillkürlich ein tiefes grunzendes Gelächter aus; die Umstehenden fielen begeistert ein und stampften mit den Füßen auf. Noch einmal hob er seine Pranke, dass die Frau an der Kette würgte.

Auch Berbast hatte sich erhoben und fixierte den Orkhäuptling.

»Ihr brisakschen Hunde, Söhne von Huren und Schweinen«, tönte Gorkas Bassstimme über den Fluss, »ihr habt keine Gnade verdient und doch nötigt mich mein Großmut, euch ebendiese widerfahren zu lassen.«

Die Menschen, einschließlich Kraeh und Berbast, waren erstaunt über die Wortgewandtheit dieses wilden Monsters.

»Springt von euren Schiffen und schwimmt zurück in die vermeintliche Sicherheit eurer lächerlichen Stadt und ich garantiere freien Abzug. Tut es nicht und ihr begegnet noch heute eurem unfähigen Schöpfer!«

Gegröle folgte seinen Worten; als es nachgelassen hatte, antwortete Kraeh schnell, in der Befürchtung, Berbast könne sich einmischen.

»Meine Männer strotzen nur so vor Tatendrang. Kaum kann ich sie zurückhalten, dir und deiner verlausten Rotte den Garaus zu machen.« Er machte eine Pause. »Aber ich gebe euch«, sagte er und wandte sich dabei an die versammelte Übermacht, »eine Chance, am Leben zu bleiben. Du und ich«, er zeigte mit dem Finger auf Gorka, »machen die Sache unter uns aus!«

Der Ork verzog hämisch das Gesicht. Darauf schien er gewartet zu haben.

Er machte eine großzügige Geste und rief zurück: »Abgemacht!« Sogleich jedoch schränkte er den Einsatz ein: »Wenn du mich schlägst, fährt dein Schiff weiter.« Berbast wollte Einspruch erheben. »Ihr«, kam Gorka ihm zuvor, »segelt unversehrt nach Brisak … Natürlich nur, sollte das Großmaul siegen, was nicht geschehen wird.«

Der General fühlte sich übergangen, aber was hatte er schon zu verlieren? Wenn Kraeh getötet wurde, würden sie eben kämpfen. Er hatte sich nicht mit einem Wort verpflichtet. Tötete Kraeh Gorka, wären die Orks führerlos und moralisch angeschlagen, sodass sie daraus, falls die Orks dann überhaupt noch kämpfen wollten, einen Vorteil gewönnen. Fiel Kraeh im ehrlichen Zweikampf, konnte Bran ihm keinen Vorwurf machen. Also schwieg er und beobachtete teilnahmslos das weitere Verfahren.

Die Orks schafften ein großes Floß herbei und ließen es platschend ins Wasser gleiten. Gorka übergab die Gefangene an einen seiner Hauptleute, während der Schamane ihm ein rotes Zeichen auf die Stirn malte. Er packte ihn bei den Schultern und ließ ihn niederknien, raunte ihm Worte der Macht zu, die seine Kampfeswut entfesseln sollten. Die Axt über den Kopf schwingend sprang er auf und gab einen grunzenden Laut von sich. Als er das Floß bestiegen hatte, stakten zwei der hässlichen Kreaturen es von einem Ruderboot begleitet den halben Weg zur Fraja. Sodann wechselten sie in das kleine Boot und ließen ihren Häuptling allein zurück. Sich im Kreis drehend rief er seine Krieger an. »Wer ist euer Kriegsherr?« Aus Hunderten von Kehlen kam der gutturale Schrei seines Namens. Die Orks klopften wild mit ihren Waffen auf die Schilde, woraus bald ein rhythmisches Klopfen anschwoll; eine Herausforderung an den weißhaarigen Krieger, der den Stärksten unter ihnen beleidigt hatte und nun seine Rechnung dafür bezahlen würde.

Kraeh löste sein Schwert aus dem Holz, schob es in den Schultergurt, suchte kurz nach Balance und sprang Kopf voran in den Nebenarm des Rheins. Er tauchte in das grünliche Wasser und bewegte sich tauchend mit kräftigen Zügen auf den wabernden Schatten des Floßes zu. Dabei ging ihm das sonderbare Vorgehen des Orkhäuptlings durch den Kopf. Seine Konditionen ergaben wenig Sinn. Wie dem auch sei, dachte er sich in den kurzen Momenten der Einsamkeit und Stille, die er unter Wasser erlebte, mit seiner Niederlage rechnete Gorka wohl kaum. Wie ein Pfeil schoss er aus dem Nass und zog sich behände auf das schwankende Floß.

Sedain hatte es sich auf dem Rücken liegend bequem gemacht. Der schräge Winkel der Sonnenstrahlen blendete ihn. So kniff er die Augen zusammen und ärgerte sich ein wenig über das laute Geklopfe, das ihn in seinen Tagträumen störte.

»Willst du nicht wissen, wie der Kampf ausgeht?«, fuhr ihn Rhoderik an.

»Wie er ausgeht?«, fragte er irritiert zurück. »Du hast Kraeh noch nicht kämpfen sehen …«

Die Zuversicht seines Freundes überschnitt sich nicht ganz mit der Kraehs. Den Muskelberg vor ihm beäugend stand er auf den fahrig zusammengebundenen Baumstämmen. Doch jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. Ein Kampf entscheidet sich meist beim Vorspiel – dessen war er sich nur allzu bewusst.

 

Gorka feixte ihn streitsüchtig an; seine Nüstern blähten sich: »Wenn du tot vor mir liegst, werde ich auf dich herabspucken.«

»Dafür bräuchtest du einen Kopf. Ein Luxus, auf den du von nun ab verzichten musst«, funkelte Kraeh zurück und zog sein Schwert.

Ohne Vorwarnung führte der Ork einen mächtigen Streich, gemünzt, den Kampf zu beenden, bevor er richtig begonnen hatte. Gerade noch rechtzeitig schaffte es der Krieger, sich zu ducken. So knapp, dass er den Luftzug über seinem Kopf spürte. Von den Ufern dröhnte Begeisterung.

Die Axt sauste von oben auf ihn herab; er rollte sich zur Seite, sprang auf und trat Gorka in die Seite – wirkungslos. Der mächtige Körper zeigte nicht die mindeste Reaktion. Bedrohlich langsam drehte er sich zu ihm. In seinen glühenden Augen war Siegessicherheit zu lesen. Eine Überheblichkeit, die es auszunutzen galt – aber wie? Trotz seiner Stämmigkeit waren die Hiebe außerordentlich schnell und tödlich. Kraeh brauchte Zeit, eine Schwäche zu finden – Zeit, die ihm der Orkhäuptling nicht zugestand. Der nächste Angriff kam unerwartet. Das Axtblatt schoss in gerader Richtung auf seine Brust zu. Er sah keine andere Möglichkeit, als seinen Körper mit einer direkten Parade zu schützen. Das hatte Gorka beabsichtigt. Ihre Waffen waren ineinander verhakt. Mit seiner überlegenen Stärke zog er am Stiel der Axt und riss seinen leichteren Gegner von den Füßen. Einen kurzen Augenblick wurde Kraeh durch die Luft geworfen, bevor er hart am anderen Ende der Plattform aufprallte. Immerhin hatte er es geschafft, das Schwert nicht zu verlieren. Er begab sich in die Hocke. Ein stechender Schmerz deutete darauf hin, dass einige seiner Rippen beim Sturz geprellt worden waren. Gorka lachte ihn höhnisch aus, während er sich ihm näherte, um ihm den Rest zu geben. Zorn stieg in Kraeh auf, trübte seinen Geist, und schoss siedend heiß durch seine Adern. Heute würde er nicht sterben. Er sah zu Boden, auf dem sich der Schatten des Henkers abzeichnete. Beinahe demütig bot er seinen Nacken feil. In einem Halbkreis schoss der schwere Stahl auf ihn zu, ihn mit einem Schlag zu enthaupten. Den Bruchteil eines Augenblicks bevor das Axtblatt ihn niederstreckte, legte er seine ganze Kraft in einen aufwärts nach vorne gerichteten Satz. Der Stiel der Axt traf ihn heftig und riss ihn abermals von den Beinen, doch im gleichen Moment zerschmetterte der Knauf seines Schwertes den Kiefer des Kontrahenten. Das knackende Geräusch gebrochener Knochen musste in seinem Kopf nachhallen, wie er benommen zurücktaumelte. Kraeh hatte sich blitzschnell wieder aufgerichtet und setzte Gorka nun mit schnellen Hieben und Stichen seinerseits hart zu. Der Krieger befand sich in Raserei. Er hatte seinen Gegner an den Rand des Floßes gedrängt, wo jener strauchelnd Parade um Parade führte. Durch Kraehs Kampftechnik, die den schweren Knauf seines Anderthalbhänders voll ausnützte, blieb das Schwert immer im Schwung. Einen von unten geführten Streich erkannte Gorka schließlich zu spät, versuchte, ihn noch mit dem Schaft seiner Waffe abzulenken, doch Kraehs Klinge ließ das Holz splittern und fraß sich durch das Eisen der Brustplatte in sein Fleisch. Blind vor Schmerz und Wut holte Gorka mit dem aus, was von der Axt noch übrig war. Doch Kraeh packte ihn am Arm, ehe die Axt ihn erreichen konnte, und gab ihm einen Kopfstoß, der ihn rücklings ins Wasser befördert hätte. Doch er hielt den Ork an den Haaren fest, zog ihn ruckartig zu sich und stellte ihm ein Bein. Gorka fiel hart auf den Boden. Bäuchlings lag er danieder; seine Muskeln gehorchten ihm nicht mehr. Ausgeliefert, die Arme und Beine von sich gestreckt, wartete er auf den Todesstoß. Kraeh war über ihn getreten und richtete die Schwertspitze auf den grünen Nacken. Mit aller Macht rammte er den Schaft neben den am Boden liegenden in die breiten Planken.

Die Zurufe waren verstummt. Stille hatte sich über dem Schauplatz ausgebreitet.

Sedain räusperte sich; er hatte während der ganzen Zeit nicht einmal aufgeschaut.

»Na«, ging er fahrig Rhoderik an, »was habe ich gesagt?«

Langsam gewannen die Orks ihre Fassung wieder. Der Schamane klagte laut die Götter an, schrie nach dem kleinen Boot, das sofort bemannt wurde und auf den verletzten Häuptling zusteuerte. Auch der Orkhauptmann, der die Gefangene hielt, war unter ihnen. Kurz bevor sie ihn erreichten, befahl Kraeh ihnen mit einer Handbewegung zu stoppen.

Er drehte den massigen Leib auf den Rücken. Dann spritzte er etwas Wasser in das anschwellende Gesicht. Schwer keuchend brachte Gorka sich in eine halbwegs aufrechte Sitzposition.

»Du hast mich geschlagen«, brachte er mühsam hervor.

»Aye.«

Der Häuptling nickte. »Ich stehe zu meinem Wort«, beteuerte er, wobei er seinen zertrümmerten Unterkiefer halten musste. Das Sprechen bereitete ihm sichtbar Schmerzen.

»Ich stehe in deiner Schuld.«

»Aye«, sagte Kraeh wieder und ließ einige Momente verstreichen. Sein Blick fiel auf die gefesselte Frau und ihm fiel das gestrige Gespräch über eine Amme ein.

»Für deinen Kopf verlange ich nichts weiter als freie Fahrt wie versprochen und …« Er spannte ihn ein wenig auf die Folter. »… das Weib.«

Gorka rang sich ein Lächeln ab.

»Gern«, gab er rülpsend von sich. »Sie gehört dir.«

Es dauerte eine Weile, bis alles geregelt war. Die Frau wurde übergeben; Gorka stellte zwei Männer ab, die sie und Kraeh zur Fraja stakten. Als sich Floß und Ruderboot trennten, sprach der Schamane den siegreichen Krieger an. »Der Häuptling möchte wissen, wie du heißt.«

Er wandte sich noch einmal um. »Mein Name ist Kraeh.« Gorka schenkte ihm zum Abschied ein schiefes Lächeln.

Erst an Deck des Schiffes, wo er mit offenen Armen empfangen wurde, gönnte er es sich, seine Schwäche zu zeigen, und stützte sich, schwer atmend und die schmerzende Brust haltend, an den Mast. Sedain gab ihm, die Fremde nicht beachtend, einen freundschaftlichen Klaps. »Warum hat das so lange gedauert, Rhoderik hat sich schon Sorgen gemacht«, sagte er süffisant.

Kraeh betastete seine Rippen und stöhnte. Wie so häufig war er sich nicht sicher, ob die Gelassenheit seines Freundes gespielt war. »Diesmal wäre es um ein Haar schiefgegangen«, presste er hervor. »Ich habe keine Ahnung, woran es lag, aber …«

»Ich schon«, sagte die Gefangene, immer noch ihren Halsring tragend, wenig mitleidig. »Er ist besser als du«, fügte sie trocken hinzu.

Die beiden Freunde musterten sie verwirrt ob dieser Dreistigkeit. In völliger Ruhe saß sie im Schneidersitz vor ihnen. Ihre langen, schwarzen Haare waren zerzaust und ihre Kleidung ein vor Dreck strotzender Fetzen, aber in ihrer Haltung zeigte sich nicht die mindeste Regung von Furcht.

»Vermutlich ist Gorka froh, dieses Biest vom Hals zu haben«, scherzte Sedain und rieb sich dabei provozierend über denselben. Sie schenkte ihm einen mörderischen Blick, blieb aber still.

An dem Steg, der sie an der Weiterfahrt gehindert hatte, war eine Vorrichtung angebracht, die jetzt zum Einsatz kam. Zu beiden Seiten war er mit dicken Tauen bestückt, an denen sich die Orks zu schaffen machten. Der Kapitän erkannte, dass es sich um ein Tor handelte. Mit purer Körperkraft wurden die Flügel auseinandergezogen und der Weg damit freigegeben.

Berbasts Schiff hatte ein Wendemanöver eingeleitet. Der General platzte beinahe vor Wut und Ohnmacht. Wie hätte er damit rechnen können, dass Kraeh den Orkhäuptling verschonen würde? Nun sah er keinen anderen Ausweg, als sich an die Abmachung zu halten. Dieser Emporkömmling hatte ihn überlistet, aber das würde er büßen. Grußlos segelten die beiden Schiffe in entgegengesetzter Richtung davon.

Vonseiten der Orks brauchten sie bis auf Weiteres nichts mehr zu befürchten; es würde eine Weile dauern, bis Gorka die Hierarchie wiederhergestellt haben würde, sofern es ihm überhaupt gelang. Sich ihres Glückes bewusst, mit heiler Haut davongekommen zu sein, brachten Thorwik und seine Seeleute ihre Passagiere weiter nach Norden.

***

Nach zwei Tagen unbehelligter Fahrt steuerte das Schiff zurück auf den Hauptfluss, dessen Strömung es in schnellem Tempo Richtung Meer trug. Erleichterung machte sich breit, als der Kapitän lautstark verkündete, sie hätten den Einflussbereich der Druden verlassen. Das Landschaftsbild um sie herum hatte sich geändert, vereinzelt standen Obstbäume unweit der Ufer; Wiesen, auf denen weiße und gelbe Blumen wuchsen, erstreckten sich vor ihnen. Die Waldgrenze hatte sich ein gutes Stück zurück verschoben.

Trotz der Einwände Thorwiks, der befürchtete, unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, spielten die Kinder fröhlich auf der Fraja; überhaupt war das Schiff zu ihrer Spielwiese geworden; sie kannten jeden Winkel und jedes noch so unscheinbare Versteck, womit sie ihr neues Kindermädchen, das sich sowieso als denkbar ungeeignet für diese Art Arbeit herausgestellt hatte, gerne in die Verzweiflung trieben.

Mit Kraeh, Sedain und dem Kapitän wechselte die Fremde kein Wort mehr als nötig, Rhoderik gegenüber war sie nicht ganz so abweisend. Einmal hatte er sie gefragt, ob sie ein Handwerk erlernt hätte, worauf sie antwortete, sie habe sich zeitweise in einer Schmiede verdingt, ansonsten habe sie auf dem Hof ihrer Eltern bei der Ernte geholfen. Ihre kühle, überlegene Art hatte ihn im Zusammenhang mit seinen Schützlingen anfänglich beunruhigt, doch schnell hatte sich herausgestellt, dass die Kinder sie gern hatten. Auch, weil sie ihr so gut auf der Nase herumtanzen konnten. Seltsamerweise war die kühle Frau mit den Kindern weich wie Butter. Zudem hatte Kraeh ein Auge darauf, dass sie ihrer Aufsichtspflicht, so gut es eben ging, nachkam.

Zu dritt hatten sie sich in der prallen Sonne auf dem Deck ausgestreckt und sahen dabei zu, wie Heikhe die Frau – deren Namen ihnen ein Geheimnis geblieben war – drangsalierte, ihr den Umgang mit dem Messer beizubringen. Auf den freien Oberkörpern der drei Männer glitzerte Schweiß zwischen Haaren und Narben verschiedenster Arten und Größen, die sie nicht ohne Stolz zur Schau stellten. Der Halbelf bot mit seinen Tätowierungen, die sich über Rücken und ausgeprägte Brust erstreckten und sich über die muskulösen Arme in Schnörkeln und dornenbewehrten Wucherungen fortsetzten, freilich den aufregendsten Anblick. Kraeh war ebenfalls gut gebaut, aber seine Haut war bleich und schmucklos. Rhoderik hatte einen kleinen Bauchansatz, war für sein Alter aber in erstaunlich guter Form.

»Das wird lustig«, kommentierte Sedain das Treiben.

»Oder gefährlich«, befürchtete Rhoderik und kratzte sich am Kinn.

Das Mädchen ließ nicht von ihr ab. Die Frau stellte die erste weibliche Bezugsperson für sie seit Langem dar; auch verstand Heikhe, zumindest im Ansatz, dass sie eine gewisse Macht über sie ausüben konnte. Es war offensichtlich ihre Aufgabe, sie zu unterhalten, daran bestand für die kleine Königstochter kein Zweifel.

»Ich verstehe nichts von Messern«, wiederholte die Bedrängte genervt und behielt dabei Gunther im Auge, der eine Schnur ins Wasser hielt und ungeduldig darauf wartete, dass ein Fisch anbiss. Sein Körper neigte sich dabei riskant über die Kante.

»Der Kleine!«, pfiff Kraeh ihr überflüssigerweise zu. Ein vollbärtiger Matrose reichte den drei Kriegern Krüge und eine Karaffe voll Wasser. Erst goss er sich selbst, dann ihnen ein.

»Was wird das?«, fragte er, den Blick auf den Ausschnitt der Bluse gerichtet, die der Kapitän ausgegraben und dem neuen Kindermädchen vermacht hatte, ohne ein Wort des Dankes dafür zu ernten. Nur der rote Streifen um ihren Hals, wo der Ring gelegen hatte, zeugte noch von ihrer Gefangenschaft »So ’ne Art erotische Komödie?«

Alle lachten. »Wie wäre es mit einer kurzweiligen Tragödie?«, fauchte sie feurig zurück, das kleine Mädchen vor sich vergessend.

Kraeh schoss ein Gedanke durch den Kopf. Er erhob sich. Nur noch selten spürte er die Blessuren, die er von dem Kampf mit Gorka davongetragen hatte. Lediglich ein leichter Druck auf der Brust war zurückgeblieben. Schlendernd kam er auf die Frau zu. Einige Schritte von ihr entfernt blieb er stehen. »Mir fielen da noch ganz andere Dienste ein, mit denen du dich hier, vor allem bei den Soldaten, beliebt machen könntest …«

Jetzt nahm sie dem Mädchen doch den Dolch ab und wog ihn sacht in der feingliedrigen Hand. »Jau«, stimmte der Bärtige von hinten zu. »Die einsamen Seeleute nicht zu vergessen!«

Der Krieger lächelte böse. »Siehst du?« Sie genau in Augenschein nehmend, führte er mit lüsternem Tonfall aus: »Deine Brüste sind straff, die Taille eng, nur dein Hintern ist eher mittelprächtig, aber …« Weiter kam er nicht. Ihre Hand zuckte vor und schleuderte die kleine Klinge durch die Luft. Sie beschrieb zwei Drehungen und blieb schließlich zitternd in dem Becher stecken, den Kraeh in Schritthöhe vor sich hielt. Unbeirrt trat er weiter auf sie zu. »Was man als Schmied nicht alles lernt?«, flüsterte er ihr ins Ohr. Mit einem Ruck zog er das Messer aus dem Trinkgefäß und reichte es Heikhe.

 

Der Schock über ihren unbeherrschten Ausfall war ihr deutlich anzusehen, doch sie fasste sich schnell wieder. »Das nächste Mal wird es keinen Becher geben.«

Grob riss sie sich von dem irritierten Mädchen los und lief zu Gunther. »Ich habe dir schon tausendmal gesagt: Du sollst dich nicht zu weit hinauslehnen!«

Heikhe starrte mit großen Augen ihr Kindermädchen an, während Kraeh sich abwandte und zu den faulenzenden Männer zurückging.

»Zucker, die Kleine«, kommentierte Sedain und meinte damit nicht Heikhe. Rhoderik hingegen blickte finster drein.

Als der Abend nahte, verdunkelten schnell aufziehende Wolken den Himmel, doch es war noch immer angenehm warm. Auf der Steuerbordseite, erklärte Thorwik, beginne nun das kleine Fürstentum Mont. In violettes Licht getaucht konnten sie bebaute Felder ausmachen.

Die größten Gefahren – zumindest die, von denen sie wussten – lagen damit hinter ihnen. Sie hatten beschlossen, diese Nacht nicht an Bord des Schiffes zu verbringen. Kraeh stand am Bug der Fraja, Gunther auf den Schultern. Heikhe hockte vor ihm, und gemeinsam hielten sie Ausschau nach einer geeigneten Anlegestelle. Die Kinder waren glücklich, für voll genommen zu werden, und Kraeh war ebenfalls guter Laune. Hier, weit entfernt von Berbast und Bran, waren sie ihre eigenen Herren.

»Wem gehört das Land?«, fragte Heikhe neugierig und zeigte auf das linke Ufer. Der Krieger inspizierte das wiesenreiche Gebiet, wo der Wind sanft durch Pappelblätter fegte. »Ein Land gehört niemandem, es gibt nur Verwalter, die, wenn sie gut sind, wissen, dass die Erde sich selbst gehört und es ihre Aufgabe ist, jene, die auf ihr leben, zu schützen.«

»Und wer ist der Verwalter?«, beharrte Gunther auf der Frage seiner Schwester. Der Krieger bastelte aus Erzählungen, die ihm gefielen, eine Wahrheit zusammen. »Es ist wild. Niemand erhebt Anspruch darauf …« Ein Dorf, das sich in einer felsigen Biegung befand, tauchte auf und ließ ihn innehalten.

»Dort will ich hin«, sagte der Junge emphatisch.

»Lasst es uns erst mal genauer ansehen«, bremste ihn Kraeh. Langsam dümpelte ihr Schiff an den wenigen Häusern vorbei. Alle bis auf zwei waren aus Lehm erbaut, die Dächer mit Reisig und Stroh gedeckt. Die Ausnahmen bildeten ein rundes Versammlungshaus und eines, das offensichtlich eine Schenke darstellte. Kraeh stellte sich vor, wie die Bewohner bei dem Sturm von neulich, dicht aneinandergedrängt, Schutz in den beiden Steinhäusern unter ihren Holzdächern gesucht hatten. Es wunderte ihn, keinen Ritualplatz oder Tempel vorzufinden. Einer der Dorfbewohner deckte gerade sein Dach, zwei andere wuschen sich am Flussufer. Als sie das Schiff erblickten, winkten sie ihnen zu, die Kinder und einige andere, die sich auf Deck befanden, winkten zurück.

Nach Absprache mit dem Kapitän legten sie in der nächsten Bucht an. Schnell hatte sich auch unter Deck herumgesprochen, dass Met oder zumindest Ale in Aussicht stand. Vor allem die brisakschen Soldaten wünschten sich wieder einmal festen Boden unter den Füßen. Und so ließ sich Thorwik erweichen, zumal es ihm lieber war, ein unschuldig wirkendes Dorf zu besuchen, als sich auf der anderen Seite mit den strengen Gesetzen des Maet von Mont konfrontiert zu sehen. Außerdem wurden die Nahrungsmittel allmählich knapp.

Dennoch wurde eine stattliche Wache, die zur Mitternacht hin abgelöst werden sollte, zurückgelassen, als sie an Land gingen. Der Kapitän selbst blieb ebenfalls zurück und mahnte die Ablösung unter Androhung von Strafe, nicht allzu viel über den Durst zu trinken. Eigentlich war es nicht angemessen, überlegte Kraeh, dass der Kapitän über seine Männer verfügte, andererseits kam es ihm gerade recht, ein wenig Verantwortung abzugeben.

Zwanzig Mann wateten leicht gerüstet ans Ufer. Die Kinder waren natürlich nicht bereit, dieses Abenteuer zu versäumen, und so befahl Kraeh drei Soldaten, die er besonders gut kannte, sich an Rhoderik zu halten und die Kinder nicht aus den Augen zu lassen. Auch die immer noch namenlose Frau war unter ihnen, mit steinernem Blick hielt sie Schritt.

Als sie weichen Moosboden unter den Stiefeln hatten, war es Kraeh, als rief ihn eine wohlmeinende Stimme. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, wandte sich der weißhaarige Krieger an Sedain.

»Ich brauche etwas Zeit für mich.«

Der Halbelf nickte und übernahm damit das Kommando. Kraeh trennte sich von dem Rest der Truppe und hielt auf den Wald zu.

Die Sonne war hinter den hohen Bergen im Westen untergegangen, ein rotes Schimmern in den Wolken über ihren schneebedeckten Gipfeln war das letzte Zeugnis des Tages. Das hohe Gras, das sie durchschritten, war nass, roch aber herrlich nach Frühling. Eine alte Weise auf den Lippen bewegte sich die Gruppe, von Sedain geführt, gegen den Flusslauf auf die Siedlung zu. Heikhe und Gunther kannten die Strophen nicht, summten aber freudig die hellen Klänge mit. Sie wanderten an einer stillgelegten Windmühle vorbei, aus deren halb zerfallenem Dach ein Kuckuck rief.

Auf halbem Weg, die ersten Hütten waren schon in Sichtweite, trat ihnen eine vierköpfige Delegation entgegen. Die Männer waren ärmlich gekleidet, nur einer, der ihr Anführer zu sein schien, trug einen bronzenen Halsring. Mit einer freundlichen Gebärde richtete er das Wort an sie: »Seid willkommen in Ertingen. Wir hofften, ihr würdet hier Einkehr halten.«

Kein Hauch von Unterwürfigkeit oder Angst lag in seinen Worten, was Sedain wunderte; immerhin standen über ein Dutzend Soldaten in seinem Rücken und die Dorfbewohner konnten nicht wissen, woher sie kamen. Die brisaksche Fahne hatten sie seit Tagen nicht mehr gehisst.

So höflich, wie es ihm möglich war, entgegnete er: »Dankend nehmen wir das Gastrecht an. Sedain ap Nepdu ist mein Name.« Sie schüttelten sich die Hände.

»Lothar, Caervorstand von Ertingen«, sagte der gut aussehende Mann mit den offenen Zügen, dessen rotblonder Schnurrbart ihm ein lustiges Aussehen verlieh. »Über dem Feuer brät Fleisch und unser Wirt sticht bereits die Fässer an.« Der Halbelf konnte spüren, wie sich Erleichterung und Vorfreude hinter ihm ausbreitete. Schon waren sie einige Schritte gegangen, da drehte sich Lothar noch einmal um. »Eure Waffen«, sagte er, als wäre es ihm im Moment eingefallen, »werdet ihr nicht brauchen. Ich muss euch bitten, sie nicht mit ins Dorf zu nehmen.«

Nicht sonderlich überrascht und doch innerlich fluchend, ordnete Sedain an, das Kriegswerkzeug auf eine Schubkarre zu laden, die von den Dörflern vorsorglich bereitgestellt worden war. Natürlich behielt er zwei versteckte Dolche am Körper und ging davon aus, dass auch die anderen Reserven hatten.

Ein junger Mann, der sich mit dem Namen Ludigor vorgestellt hatte, zog die Schubkarre hinter sich her; verfolgt von Sedains Blick schaffte er sie in eine vorgelagerte Hütte am Dorfrand.

Der Caervorstand führte sie zu dem steinernen Haupthaus, vor dem sich die kleine Gemeinde im Sitzkreis versammelt hatte. An einem Spieß drehte man mehrere Hasen über einem knisternden Feuer. Sie reichten sich die Hände und die Soldaten mischten sich unters Volk. Als mit Birkenwein gefüllte Hörner und Krüge kreisten, wurden Geschichten ausgetauscht und Lieder gesungen. Heikhe und Rhoderik tanzten vergnügt zu einer Laute, während Gunther sie gemeinsam mit Lothar auf einer Trommel begleitete. Es wurde gegessen und getrunken. Eine heitere Feier im Auge des Sturms, dachte Sedain, der etwas abseits mit einem Horn in der Hand auf einem Stein saß. Sein Kopf fühlte sich schwer, sein Geist benommen an, obwohl er nicht viel getrunken hatte.

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