Einführung in die Tierethik

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Gleichheit

Wenn SINGER feststellt, dass aus präferenzutilitaristischer Perspektive den Präferenzen anderer Personen genauso viel moralisches Gewicht beigemessen wird wie den eigenen, dann schwebt ihm eine bestimmte Form der Gleichheit vor.

Was SINGER nicht unter Gleichheit verstanden wissen möchte, ist alles, was faktische Gleichheit auszudrücken versucht, denn, und hier dürfte er einen unbestreitbar wahren Sachverhalt benennen, Menschen sind nun einmal in faktischer Hinsicht nicht gleich. Wir alle weisen unterschiedliche biologische Voraussetzungen, unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten und natürlich auch unterschiedliche Wünsche und Interessen auf.

Insbesondere mit Blick auf gängige Diskriminierungsformen wird uns deutlich, wie irrelevant solche faktischen Unterschiede für eine moralische Urteilsfindung sind. Afrikaner etwa neigen aufgrund genetischer Ursachen stärker zu Sichelzellenanämie als Europäer. Und Männer neigen eher zu Gewalt als Frauen. Das ist nachgewiesen, bekannt – und moralisch unerheblich. Wenn solche faktischen Unterschiede tatsächlich moralisch ausschlaggebend wären, dann könnten wir, so SINGERS treffende Beispiele, genauso gut als Unterscheidungskriterium wählen, „ob jemand in einem Schaltjahr geboren wurde“ oder „ob jemand mehr als einen Vokal im Familiennamen“ (PE 53) trägt.

Worum es SINGER also geht, ist das „Prinzip der gleichen Interessenabwägung“ (PE 52), und vom universalistischen Standpunkt aus betrachtet ist es dabei völlig unerheblich, wessen Interessen das sind: „Interesse ist Interesse, wessen Interesse es auch immer sein mag“ (PE 52). Somit funktioniert der Präferenzutilitarismus wie eine Waage: „Interessen werden unparteiisch abgewogen. Echte Waagen begünstigen die Seite, auf der das Interesse stärker ist oder verschiedene Interessen sich zu einem Übergewicht über eine kleinere Anzahl ähnlicher Interessen verbinden; aber sie nehmen keine Rücksicht darauf, wessen Interessen sie abwägen“ (PE 53).

Wenn also im Folgenden von Gleichheit die Rede ist, so versteht SINGER darunter keine faktische Gleichheit, sondern eine Gleichheit der moralischen Rücksichtnahme, die durch das Prinzip der gleichen Interessenabwägung (zumindest prinzipiell) gewährleistet wird: „Das Prinzip der Gleichheit aller Menschen ist nicht die Beschreibung einer angenommenen tatsächlichen Gleichheit der Menschen, sondern es ist eine Vorschrift, die uns sagt, wie wir andere Menschen behandeln sollen“ (AL 32).

Moralische Gleichheit

Tatsächlich ist die Kernidee der moralischen Gleichheit bzw. der gleichen moralischen Rücksichtnahme verblüffend simpel. Sie lautet: Zu berücksichtigen ist, wer leiden kann – wir erkennen die Grundidee des Pathozentrismus. Und leiden können definitiv auch Tiere, zumindest sehr viele von ihnen. Damit betreten wir SINGERS Tierethik.

Doch was genau versteht SINGER unter moralischer Gleichheit bzw. gleicher moralischer Rücksichtnahme, wenn er faktische Gleichheit als Basis einer gleichen Interessensabwägung so vehement ausschließt?

Die Leidensfähigkeit als zentrales Kriterium der moralischen Rücksichtnahme hat SINGER nicht aus der Luft gegriffen, sondern von dem englischen Philosophen JEREMY BENTHAM (1748–1832) übernommen. BENTHAM und mit ihm SINGER sehen in der Leidensfähigkeit „jene entscheidende Eigenschaft […], die einem Lebewesen Anspruch auf gleiche Interessensabwägung verleiht“ (PE 101, vgl. AL 35–37). Und hier gilt es, vor einem Missverständnis zu warnen. Es wäre ja der Einwand denkbar, dass SINGER hier lediglich einen Taschenspielertrick zur Anwendung bringt und mit der Leidensfähigkeit letztlich ebenso willkürlich – aber eben clever durch eine historische Autorität im Nacken gestützt – in den Topf von Eigenschaften bzw. Fähigkeiten greift, wie es auch jene tun, die etwa das Geschlecht oder die Intelligenz herausfischen, und denen SINGER daher Diskriminierung vorwirft. Was also unterscheidet Leidensfähigkeit von Sprach- oder Denkfähigkeit, sodass diese Fähigkeit für SINGER zum absoluten Leitkriterium wird?

Der Unterschied besteht darin, dass die Leidensfähigkeit nicht eine Fähigkeit unter vielen darstellt, sondern die Voraussetzung dafür ist, um überhaupt Interessen ausbilden zu können; „eine Bedingung, die erfüllt sein muss, bevor wir überhaupt sinnvoll von Interessen sprechen können“ (PE 101, vgl. AL 36). Erst wenn etwas leiden kann, kann es auch Interessen ausbilden und erst dann ist es sinnvoll, dieses Etwas in die gleiche Interessenabwägung mit aufzunehmen. Bei einem Stein etwa wäre es unsinnig, zu meinen, es verletze dessen Interessen, wenn er getreten oder für einen Hausbau gebraucht würde.

Umgekehrt aber, und das ist nun der entscheidende Schritt, bedeutet dies auch, dass das Kriterium der Leidensfähigkeit mitnichten nur Menschen aufweisen, sondern Millionen und Abermillionen von Tieren auch. Die Leidensfähigkeit fungiert gleichsam wie ein kleinster gemeinsamer Nenner: Wer immer diese Fähigkeit aufweist, verdient Berücksichtigung bei der gleichen Interessenabwägung. Interesse ist Interesse, und jedes Interesse zählt gleich. Dies verlangt von uns, dass wir die Interessen von dieser enorm großen Menge von Wesen, den Tieren, in unsere alltäglichen Entscheidungen und in unsere gleiche Interessenabwägung miteinbeziehen. SINGER stellt klar:

Leidet ein Wesen, so kann es keine moralische Rechtfertigung dafür geben, sich zu weigern, dieses Leiden zu berücksichtigen. Es kommt nicht auf die Natur des Wesens an – das Gleichheitsprinzip verlangt, dass sein Leiden ebenso zählt wie das gleiche Leiden – soweit sich ein ungefährer Vergleich ziehen lässt – irgendeines anderen Wesens. Ist ein Wesen nicht leidensfähig oder nicht fähig, Freude oder Glück zu erfahren, dann gibt es nichts zu berücksichtigen. (PE 103, vgl. auch AL 37–38)

SINGER, dies als begriffliche Anmerkung, trennt nicht immer scharf zwischen Leidens- und Empfindungsfähigkeit (vgl. PE 102, AL 38). Generell versteht er die Empfindungsfähigkeit als „bequeme, wenngleich nicht ganz genaue Abkürzung für die Fähigkeit, Leid oder Freude bzw. Glück zu empfinden“ (PE 102), und in diesem allgemeinen Sinn sollten wir sie auch verstehen.

Doch wann kann ein Wesen leiden? SINGER bietet für das Tierreich zwei Kriterien an, die erfüllt sein müssen, um bei einem Tier sinnvoll von Leid sprechen zu können: „das Verhalten des Tieres, sei es, dass es sich windet, schreit, der Schmerzquelle zu entkommen versucht und anderes mehr; und die Ähnlichkeit seines Nervensystems mit unserem eigenen“ (AL 277–278).

Speziesismus

Natürlich ist die Weigerung, leidensfähige Lebewesen moralisch zu berücksichtigen, gang und gäbe, das weiß auch SINGER. Allerdings würden sich diese Menschen einer speziellen Form der Diskriminierung schuldig machen, die SINGER Speziesismus nennt. Den Begriff hat er vom britischen Psychologen RICHARD D. RYDER übernommen, der ihn 1970 erstmals gebrauchte (vgl. Ryder 2000, 6). Die Struktur des Speziesismus als Form der Diskriminierung sieht SINGER analog zu Rassismus oder Sexismus: In allen diesen Fällen bevorzugen wir demnach eine Gruppe von Lebewesen vor einer anderen auf Basis zufälliger und damit moralisch irrelevanter Merkmale – sei es nun die Ethnie, das Geschlecht oder eben die Spezies.

Jeder, der sich weigert, die Interessen empfindungs- bzw. leidensfähiger Wesen in eine gleiche moralische Interessensabwägung mitaufzunehmen, macht sich in SINGERS Augen des Speziesismus und damit der – quantitativ betrachtet – größtmöglichen Diskriminierung schuldig.

Sind menschliche Leben unterschiedlich wertvoll?

Nun gilt es etwas sehr Wichtiges an dieser Stelle zu bedenken: SINGER sagt nicht, dass alle Wesen, die in die gleiche Interessensabwägung mit einbezogen werden, auch gleich zu behandeln seien. Nur weil Schweine oder Hunde moralische Rücksichtnahme verdienen, heißt dies nicht, dass es nun sinnvoll sei, ihnen bspw. ein Wahlrecht einzuräumen (vgl. AL 29). Vielmehr ist er davon überzeugt, dass es durchaus möglich ist, Interessen gegeneinander abzuwägen (daher das Bild der Waage), und eine solche Abwägung kann und wird auch zu Nachteilen für die jeweils ‚leichtere‘ (um im Bild der Waage zu bleiben) Gruppe ausfallen. Häufig wird man sich für das kleinere zweier Übel zu entscheiden haben, diese Konsequenz weist der Utilitarismus zwangsläufig auf.

Die Pointe besteht vielmehr darin, dass die Speziesgrenze für diesen Wiegevorgang unerheblich ist. Nicht die Spezieszugehörigkeit entscheidet darüber, ob die jeweiligen Interessen Berücksichtigung finden, sondern der Umstand, dass ein Wesen überhaupt Interessen ausbilden kann. Was SINGER also entwickeln muss, ist ein überzeugendes Argument für eine Grenze zwischen Wesen, die Interessen zumindest rudimentär ausbilden können, und solchen, die es nicht können. Nur die erste Gruppe von Wesen ist folglich für den Präferenzutilitarismus moralisch relevant.

Um diese Argumentation entwickeln zu können, geht SINGER einen Schritt zurück und betrachtet zunächst nur menschliches Leben. Dabei mutet er seinen Lesern im vierten Kapitel der Praktischen Ethik (wie auch in seinem umstrittenen Buch Muss dieses Kind am Leben bleiben?, 1993, im Original Should the Baby Live?, 1988) einen radikalen Gedanken zu: Nicht jedes menschliche Leben ist gleich wertvoll. Und daraus folgt: Es gibt Fälle, in denen die Tötung eines Menschen moralisch legitim sein kann. Das ist SINGERS Gnadenstoß für die ‚Heiligkeit des Lebens‘, worunter er zunächst einmal nur die Annahme versteht, „dass menschliches Leben einen ganz besonderen Wert hat, der deutlich verschieden ist vom Wert des Lebens anderer Lebewesen“ (PE 138). Da diese Annahme vermutlich die Intuitionen sehr vieler Menschen einfängt, bedarf es großer Sorgfalt, das Gegenteil zu begründen.

 

Personales und nichtpersonales Leben

Um dies leisten zu können, unterscheidet SINGER zunächst zwei Bedeutungen von ‚menschliches Wesen‘ oder einfacher, ‚Mensch‘: einmal im Sinne von ‚Mitglied der Spezies Homo sapiens‘ und einmal im Sinne von ‚Person‘. Die Mitgliedschaft zur Spezies Homo sapiens ist empirisch prüfbar und, das überrascht uns nach dem bisher Gesagten nun nicht mehr, kein guter Grund für eine moralische Sonderstellung, schon gar nicht vor anderen Spezies (das wäre nämlich Speziesismus). Eine ‚Person‘ zu sein indes bedeutet für SINGER über mindestens zwei Grundeigenschaften zu verfügen: (1) eine zumindest rudimentäre Rationalität und (2) ein minimales Bewusstsein seiner selbst mit einem Sinn für Vergangenheit und Zukunft (vgl. PE 143–146, AL 52).

SINGERS These: Personales Leben (empfindungsfähig, rational und selbstbewusst) ist wertvoller als nichtpersonales Leben (zwar bewusst und empfindungsfähig, aber weder rational noch selbstbewusst) und im Zweifel können personale Präferenzen nichtpersonale Präferenzen überwiegen. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass nichtpersonales Leben wertlos wäre. Damit ist nur gesagt, dass es die Möglichkeit der Interessensabwägung zugunsten personalen Lebens gibt.

Warum also, so muss SINGER nun begründen, macht es einen moralisch relevanten Unterschied, ob man eine Person ist oder nicht?

SINGERS Argument ist in Kürze dieses: Personale Wesen können etwas, was nichtpersonale Wesen nicht können. Sie können „Wünsche hinsichtlich [ihrer] eigenen Zukunft“ (PE 146) ausbilden. Sie können also Präferenzen entwickeln, die sich nicht nur auf eine aktuelle, sondern auch auf eine Vielzahl zukünftiger Situationen erstrecken. Einen aktuellen Schmerz zu vermeiden ist zwar eine basale, aber meistens punktuelle Präferenz. Doch das eigene Leben so weiterzuführen, wie es den eigenen Vorstellungen gemäß gewünscht wird, beinhaltet eine Vielzahl an Präferenzen. Die Tötung einer Person würde somit „gegen ihren Willen ihren wichtigsten Wünschen zuwiderlaufen“ (PE 146).

Nichtpersonale Wesen, so SINGER, können keine solchen zukunftsbezogenen Wünsche ausbilden, ihre Tötung würde womöglich punktuellen Präferenzen, aber nicht ihren Wünschen zuwiderlaufenden, weil nichtpersonale Wesen keine in die Zukunft gerichteten Wünsche ausbilden können.

Natürlich möchte auch ein nichtpersonales Lebewesen nicht sterben, das weiß SINGER auch. Aber dies ist eine jeweils punktuelle „Präferenz für das Aufhören eines Zustandes, der Schmerz oder Angst verursacht“ (PE 152). Sofern also etwa die Tötung nichtpersonalen Lebens nicht notwendig ist, sollte sie tunlichst unterlassen werden. Eine schnelle und schmerzlose Tötung indes ist bei entsprechender Not aus präferenzutilitaristischer Sicht durchaus in Erwägung zu ziehen, in jedem Fall aber besser als die Tötung personalen Lebens.

Das Problem der nicht-paradigmatischen Fälle

Die moralisch relevante Grenze zwischen personalem und nichtpersonalem Leben zu ziehen, birgt ein folgenschweres Problem: Nach SINGERS Definition wären nicht nur Embryonen und Föten, sondern auch Säuglinge, Bewusstlose, schwer geistig behinderte Menschen, Komapatienten und Demenzkranke unter Umständen keine Personen – in manch radikaleren Konzeptionen könnte dies sogar auf Schlafende zutreffen, also auf die nicht-paradigmatischen Fälle (manchmal auch Quasi-Personen, vgl. Birnbacher 1997). Sie zu integrieren ist oftmals die schwerste Aufgabe für Ausnahmen vom allgemeinen Tötungsverbot.

Wie kompliziert diese nicht-paradigmatischen Fälle werden, zeigt SINGERS Beschäftigung mit der Frage nach einem Recht auf Leben. SINGER zieht hier den US-amerikanischen Philosophen MICHAEL TOOLEY heran, der in seinem kontrovers diskutierten Aufsatz Abortion and Infanticide (1972) sowie dem titelgleichen Buch von 1983 die Ansicht vertritt, dass ein Recht nur verletzt werden kann, wenn ein entsprechender Wunsch existiert, und folglich nur Wesen Rechte beanspruchen können, welche die Fähigkeiten besitzen, relevante Wünsche auszubilden. Das gilt damit auch – grob zusammengefasst – für das Recht auf Leben: Nur wer wünschen kann, als distinktes Wesen weiter zu existieren, hat das Recht darauf, als distinktes Wesen weiter zu existieren. Will sagen: Nur Personen können diese Wünsche hegen, und damit besitzen auch nur Personen ein Recht auf Leben (vgl. Tooley 1972).

Doch was ist mit den dauerhaften oder zumindest aktuellen Nichtpersonen, also etwa mit Säuglingen oder Komapatienten? Nun, es ist natürlich korrekt, dass ein Säugling keine selbstbewusste Präferenz seiner eigenen Weiterexistenz entwickeln kann. Aber einem Wesen, das zumindest irgendwann die Vorstellung einer fortdauernden Existenz gehabt hat, können wir problemlos unterstellen, dass es diese Vorstellung und den Wunsch seiner Weiterexistenz aufweisen kann (vgl. PE 154–157). Die bedeutsame Konsequenz dieser Annahme besteht nun darin, dass mit TOOLEYS und SINGERS Auslegung des Rechts auf Leben Embryonen, Föten und Säuglinge im Gegensatz zu Bewusstlosen, Schlafenden, Komapatienten oder Demenzkranken aus der Gruppe jener Wesen, die ein Recht auf Leben beanspruchen können, herausfallen.

Die Tötung personalen Lebens

Die eigentliche Pointe der Tierethik SINGERS wird im ersten Kapitel von Animal Liberation grundsätzlich, im fünften Kapitel der Praktischen Ethik dann systematisch entfaltet und besteht schlicht und ergreifend in der durch eine große Menge an empirischen Belegen gestützten Behauptung, dass es sich bei sehr vielen Tieren ebenfalls um personales Leben handelt, wir also bei sehr vielen Tieren ebenfalls eine Form von Rationalität sowie eine Form von Selbstbewusstsein in der für SINGER relevanten Art und Weise finden können.

Diese Behauptung bildet das Epizentrum der Tierethik SINGERS. Nun verläuft die moralisch relevante Grenze nicht mehr wie bisher gewohnt entlang der Speziesgrenze. Sie verläuft nun vielmehr quer dazu entlang der Grenze zwischen personalem und nichtpersonalem Leben. Und sowohl auf Seiten des personalen als auch auf Seiten des nichtpersonalen Lebens finden sich Menschen und Tierarten wieder.

Wir finden in diesem präferenzutilitaristischen Konzept also personales menschliches und personales tierisches Leben. Zu letzterem zählt SINGER natürlich nicht alle Tierarten, aber zumindest alle, die durch Massentierhaltung und Tierversuche unmittelbar betroffen sind, etwa Menschenaffen, Bären, Rinder, Schafe, Delphine, Elefanten, Schweine, Seehunde, Hühner, Hunde und Katzen (vgl. PE 174–191, 218). Möglicherweise kommen auch Vögel und bestimmte Fischarten hinzu. Und es besteht durchaus Grund zu der Annahme, dass insbesondere die Gruppe der Säugetiere, auf welche die Definition personalen Lebens zutrifft, noch deutlich umfangreicher sein dürfte (vgl. PE 187).

SINGER gibt sich viel Mühe bei der Darstellung und Auswertung einer Vielzahl an Experimenten, bei denen Tiere Formen von Selbstbewusstsein, Antizipation oder Vernunft gezeigt haben. Dabei wird auch deutlich, dass es Tierarten gibt, auf welche die Kriterien für personales Leben offenbar nicht zutreffen: Womöglich könnten bestimmte Fischarten darunter fallen (vgl. PE 188–189). SINGER ist völlig klar, dass es „schwierig [ist], exakt zu definieren, wann ein anderes Wesen über ein Bewusstsein seiner selbst oder einen Sinn für Vergangenes und Zukünftiges verfügt“ (PE 189). Sollten wir uns also nicht sicher sein oder sollte es zumindest schwache Anzeichen für Personalität geben, dann fordert SINGER nach dem bekannten Grundsatz ‚Im Zweifel für den Angeklagten‘ vorzugehen und die Tötung dieser Tiere zu unterlassen (vgl. PE 189, AL 281–282).

Die Konsequenz dieser Auslegung von Personalität liegt nun auf der Hand: Schweine, Rinder, Pferde oder Hühner zum Zweck der Nahrungsaufnahme zu töten oder ihnen im Tierversuch Leid zuzufügen, ist moralisch ebenso verwerflich, als würden wir dies mit menschlichen Personen tun, die sich auf einem vergleichbaren rationalen Niveau bewegen. Umgekehrt heißt dies aber auch, dass nichtpersonales Leben sowohl Tierarten als auch bestimmte Gruppen von Menschen umfasst, die wir, bei entsprechender Interessensabwägung, durchaus töten dürfen, sofern dies schnell und schmerzlos geschieht. Hierzu gehören für SINGER konsequenterweise nun auch Embryonen, Föten (bis zu einem bestimmten Alter) und bestimmte schwerst geschädigte Neugeborene.

Die Tötung nichtpersonalen Lebens

SINGER bietet also eine Begründung dafür an, die Präferenzen personalen Lebens denen nichtpersonalen Lebens moralisch vorzuziehen. Es ist damit moralisch schwerwiegender, personales Leben zu beenden als nichtpersonales.

Die Tötung nichtpersonalen Lebens verstößt nämlich nicht gegen zukunftsorientierte Präferenzen, sie würde keine Pläne durchkreuzen oder Wünsche vereiteln. Es würde – und dies ist nun die heikle, aber konsequente Annahme – nicht einmal der Präferenz, nicht sterben zu wollen, zuwiderlaufen, weil nichtpersonales Leben nicht weiß, dass der Tod droht: „Das bloß bewusste, also nicht selbstbewusste Wesen hat keine Präferenz in Bezug auf die Fortdauer seines Lebens“ (PE 161). Es würde also ‚lediglich‘ der aktuellen Präferenz, keine Schmerzen zu leiden, zuwiderlaufen. Und diese Präferenz könnte durch einen schnellen und schmerzlosen Tod berücksichtigt werden: „Urteilen wir also lediglich unter dem Aspekt der Vereitelung von Präferenzen, so erscheinen für ein bloß bewusstes Wesen die schmerzlose Tötung und die Verabreichung eines Betäubungsmittels gleichwertig“ (PE 162).

Aber heißt dies nun im Umkehrschluss, dass wir bewusstes, aber nicht selbstbewusstes, also nichtpersonales Leben bedenkenlos töten dürfen? Nein, das heißt es nicht. Auch nichtpersonale Wesen sind empfindungsfähige Wesen und diesen Wesen Leid zuzufügen hieße, gegen ihre, wenn auch nur punktuellen Präferenzen zu verstoßen. Und sobald auch nur gegen irgendeine Präferenz verstoßen wird, gilt es, die Handlung zu rechtfertigen. Allerdings lässt SINGERS Konzept des Präferenzutilitarismus Interessensabwägungen zu. Sollte es also Präferenzen personaler Wesen geben, die jene nichtpersonaler Wesen aus guten Gründen überwiegen, dann ist die Tötung nichtpersonalen Lebens moralisch zu rechtfertigen (eine solche Abwägung ist grundsätzlich natürlich auch zwischen Interessen personalen Lebens möglich).

Der Punkt der Tötung nichtpersonalen Lebens ist von Beginn an eine Sollbruchstelle in SINGERS Argumentation gewesen, das hat er selbst gesehen. In Animal Liberation vertrat er noch die recht allgemeine Auffassung, dass die Frage, „wann es falsch ist, ein Tier (schmerzlos) zu töten, keine [ist], auf die wir eine präzise Antwort geben müssen“ (AL 56). Die grundsätzliche Beachtung der Gleichbehandlung personalen bzw. nichtpersonalen Lebens sei eine Haltung, mit der „wir nicht viel falsch machen [können]“ (AL 56).

Nach einer längeren Argumentation, die wir hier nicht im Detail nachzeichnen müssen, kommt SINGER allerdings zu der Annahme, dass personales Leben nicht ‚ersetzbar‘ ist (denn dieses genießt durch die zukunftsorientierten Präferenzen einen besonderen moralischen Wert), personales Leben aber schon. Nichtpersonales Leben ist alles in allem ‚ersetzbar‘, wenn ein Tier „durch ein anderes Tier ersetzt wird, das ein ebenso angenehmes Leben führen kann“ (PE 219) wie das getötete. Kein direktes Unrecht geschieht indes, wenn ein nichtpersonales Leben getötet wird, das „alles in allem kein angenehmes oder erfreuliches“ (PE 218–219) Dasein genießen konnte, Stichwort ‚Gnadentod‘. Somit ist es für SINGER „möglich, bewusste, aber nicht-selbstbewusste Wesen als untereinander austauschbar zu betrachten in einer Weise, wie Wesen mit einem Begriff von ihrer eigenen Zukunft es nicht sind“ (PE 219, vgl. AL 365–368).

Tieren Leid zufügen und Tiere töten

In Animal Liberation misst SINGER einem bestimmten Punkt sehr viel mehr Gewicht bei als in der Praktischen Ethik, nämlich der Unterscheidung zwischen Leidzufügen und Töten. Tieren Leid zuzufügen ist, wir haben es gesehen, zunächst einmal immer falsch, sofern es sich um empfindungsfähige Wesen handelt. Deren Präferenzen zu berücksichtigen, ist moralisch geboten, auch wenn diese im Falle einer Abwägung durchaus zugunsten anderer Präferenzen nachgeordnet werden können – was aber Menschen auch passieren kann. Und um dieses Leid ist es SINGER insbesondere in Animal Liberation zu allererst zu tun.

Tiere zu töten ist aber für SINGER etwas anderes. Die Tötung schwach personaler oder nichtpersonaler Tiere könnte immer dann gerechtfertigt sein, wenn das Leben des Tieres angenehm gewesen ist und die Tötung schnell und absolut schmerzfrei geschieht. Wenn es sich also um eine wirklich artgerechte Aufzucht nichtpersonaler Tiere handelt, und das Tier durch ein anderes gleichartiges Tier ersetzt wird, dass ein ebenfalls angenehmes Leben führen kann. Damit wäre der Idee der maximalen Glückssumme des Utilitaristen genüge getan. Es wäre durchaus möglich, dass das Argument, „man tue den Tieren etwas Gutes, indem man ihnen zum Leben verhilft“, es rechtfertigt, „im Freien lebende Tiere (eine Spezies, die keine zukunftsgerichteten Wünsche haben kann) zu essen, die ein erfreuliches Leben in einer ihren Verhaltensbedürfnissen angemessenen sozialen Gruppe verbracht hätten und dann schnell und schmerzlos getötet würden“ (AL 367).

 

Zwischenfazit

Wir können an dieser Stelle also zusammenfassen: Grundsätzliche moralische Berücksichtigung bei der gleichen Interessensabwägung haben alle Lesewesen zu erhalten, die empfindungsfähig sind, und das bedeutet, dass sie Leid und Freude verspüren können. Hierzu hatte SINGER, zumindest für das Tierreich, zwei Kriterien angeboten, die erfüllt sein müssen, um bei einem Tier sinnvoll von Leid sprechen zu können: „das Verhalten des Tieres, sei es, dass es sich windet, schreit, der Schmerzquelle zu entkommen versucht und anderes mehr; und die Ähnlichkeit seines Nervensystems mit unserem eigenen“ (AL 277–278). Alle Lebewesen, die diese beiden Kriterien nicht erfüllen, brauchen keine Berücksichtigung zu erfahren, weil sie keine Interessen ausbilden können, die es zu berücksichtigen gäbe.

Innerhalb der Gruppe empfindungsfähiger Wesen gilt es also, im Konfliktfall Abwägungen vorzunehmen, wobei personales Leben als grundsätzlich wertvoller eingestuft werden kann als nichtpersonales Leben. Was SINGER aber völlig bewusst ist, ist der Umstand, dass sich Personalität graduell verhält. Ein erwachsener Mensch ist nicht in identischem Sinn personal wie ein Rind, und ein Rind ist nicht in identischem Sinn personal wie ein Huhn usw. Dass es hier Abstufungen gibt, muss und soll gar nicht bestritten werden, auch wenn diese oft wenig randscharf sind. Es heißt nur, dass im Konfliktfall, das bedeutet: bei besonders dringlichen und guten Gründen, auch hier eine Interessenabwägung vorgenommen werden kann. Ein Tier leiden zu lassen und es zu töten, nur um es zu essen, ist für SINGER aber in allen Fällen, wo es nicht um das unmittelbare Überleben des Menschen geht, kein guter Grund.

SINGER weist immer wieder darauf hin, dass die Interessenabwägung unter Lebewesen auf einer prinzipiellen Vergleichbarkeit basiert. Die Kernidee lautet stets: ‚Stellen wir uns ein menschliches und ein nichtmenschliches Wesen mit vergleichbaren Eigenschaften vor‘. Erst aus diesem Vergleich gewinnen die Analogien SINGERS ihre Kraft. Sobald der Speziesismusvorwurf SINGERS sowie sein Prinzip der gleichen Interessenabwägung ernst genommen werden, ist es also weniger aufregend, die Präferenzen eines erwachsenen Menschen (‚Ich habe Hunger auf Fleisch‘) und die eines Rindes (‚Ich möchte nicht leiden und sterben‘) zu vergleichen, denn da schneidet der Mensch auffallend schlecht ab. Knifflig wird es immer da, wo sich Eigenschaften (ob personal oder nichtpersonal) besonders ähneln: Warum essen wir Rinder, aber keine Säuglinge, obgleich sie in pucto Rationalität und Selbstbewusstsein vergleichbar sind? Warum forschen wir an Affen aber nicht an Kleinkindern, obgleich sie in puncto Rationalität und Selbstbewusstsein vergleichbar sind?

Insbesondere mit Blick auf den Mensch-Tier-Vergleich stellt SINGER klar: „Ich habe niemals die absurde Behauptung aufgestellt, es gebe keine bedeutsamen Unterschiede zwischen normalen erwachsenen Menschen und anderen Tieren. Ich behaupte nicht, dass Tiere moralisch handeln können, sondern dass der moralische Grundsatz der gleichen Berücksichtigung von Interessen ebenso anzuwenden ist wie auf Menschen“ (AL 360). Wie sinnvoll es ist, auch Wesen zu berücksichtigen, die keine moralischen Akteure sind, sehen wir ja immer dann, wenn wir auf die nicht-paradigmatischen Fälle schauen.

Müssen alle Lebewesen gleich berücksichtigt werden?

Es wäre nicht korrekt, SINGER, wie oft geschehen, zu unterstellen, er würde jedem Tier auf der Welt den gleichen moralischen Wert beimessen und wir dürften nun im Prinzip keinen Schritt mehr tun, weil die mögliche Tötung eines Insektes am Boden dessen Präferenzen in gleichem Maß verletzen würde, als würden wir einen Menschen tottreten. Diese Konsequenz wäre auch in SINGERS Augen absurd. Es gibt gute Gründe dafür, die Präferenzen personalen Lebens denen nichtpersonalen Lebens vorzuziehen. Und es kann natürlich auch gute Gründe geben, die Präferenzen personalen menschlichen Lebens den Präferenzen personalen tierlichen Lebens vorzuziehen, auch das gestattet der Präferenzutilitarismus. Allerdings gestattet der Präferenzutilitarismus in SINGERS Sinn durchaus auch den Fall, dass es gute Gründe gibt die Präferenzen personalen nichtmenschlichen Lebens denen personalen menschlichen Lebens vorzuziehen.

Lassen wir uns auf ein zwar langweiliges, aber effektives Gedankenspiel ein, um dies zu veranschaulichen: Sie haben zu entscheiden, ob Sie einen Menschen oder einen Hund aus einem brennenden Haus retten, Sie können nicht beide retten. Nun gibt es zwei denkbare Prototypszenarien.

(1) Nehmen wir an, in dem brennenden Haus befände sich ein Neugeborenes mit einem Hirnschaden, der es ihm unmöglich macht, in den wenigen ihm noch verbleibenden Wochen irgendetwas anderes außer Schmerzen zu empfinden, sowie ein ausgewachsener gesunder Hund. In diesem Fall könnte es aus präferenzutilitaristischer Sicht moralisch vertretbar sein, den Hund zu retten, weil dieser (personal) das Kind (nichtpersonal) an Rationalität und Selbstbewusstsein überträfe und zudem eine sehr viel höhere Lebenserwartung hat, die mit der Möglichkeit des Glückempfindens einhergeht, alles Dinge, die wir von dem Neugeborenen nicht sagen können.

(2) Nehmen wir nun an, der Mensch und der Hund wären sich hinsichtlich Rationalität und Selbstbewusstsein sehr ähnlich (es würde sich um einen ausgewachsenen Hund und, ich spreche etwas ungenau ins Blaue, ein Kind im Alter von einem Jahr handeln), dann ergäbe sich eine Pattsituation. Wir hätten es in beiden Fällen mit einer, wenn auch schwächeren Form personalen Lebens zu tun. Was nun? Es wäre denkbar, dass es unerheblich sei, was wir tun, da beide Leben gleich wertvoll sind. Doch aus dem Umstand, dass beide Leben gleich wertvoll sind, folgt nicht, dass es unerheblich ist, was wir tun. Erinnern wir uns: Es ging und geht stets um das Abwägen von Präferenzen und dieses Abwägen ist natürlich auch in diesem Fall des brennenden Hauses möglich. Und je nachdem, wer sich in diesem Haus befindet, kann es enorm gute (utilitaristische) Gründe geben, das Kind zu retten (etwa, wenn es unser eigenes ist). Es könnte aber auch sehr gute (utilitaristische) Gründe geben, den Hund zu retten (etwa, wenn es ein Spürhund ist, der innerhalb weniger Minuten eine Bombe zu finden hat, die eine Millionenmetropole in die Luft sprengen würde).

Wir sehen schon: Gründe für die Bevorzugung des Hundes zu finden verlangt mehr Fantasie, aber das ist wenig überraschend, weil (a) uns menschliche Kinder zumeist näher stehen als Hunde (vgl. AL 55) und (b) personales Leben Graduierungen aufweist. Wir dürfen nicht vergessen, aus welchem Anlass SINGER eigentlich argumentiert hat: Es geht ihm um die Berücksichtigung tierlicher Interessen, insbesondere mit Blick auf Massentierhaltung und Tierversuche. Er will, dass wir Tiere überhaupt in unsere Interessensabwägungen mit einbeziehen und zwar in demselben Maß, wie wir dies bei Menschen tun. Daraus folgt aber nicht, dass wir in allen Fällen Menschen und Tiere auch tatsächlich gleich zu gewichten haben (vgl. AL 360). Daraus folgt nicht einmal, dass wir Menschen gleich zu gewichten haben. Es wäre völlig plausibel, bei der Rettung einen geliebten Verwandten einem Fremden vorzuziehen, genauso wie es plausibel wäre, einen Menschen einem Hund vorzuziehen.

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