Als Gott dem Unternehmensberater R. begegnete

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Werner allerdings verzog keine Miene. Er saß wie versteinert auf seinem Platz und starrte gedankenverloren auf den Sarg: „Mensch, Alter, was mache ich jetzt bloß ohne dich?“

Er trauerte tatsächlich um mich und machte sich die größten Sorgen darüber, wie es nun ohne mich mit der Firma weitergehen sollte - vor allem finanziell. Werner geriet hierbei geistig in Panik. Er tat mir aufrichtig leid, denn er sorgte sich völlig umsonst. Ich versuchte, mich in seine Gedanken einzuschleichen. Aber es war schwer, seinen wirren Geist zu erreichen:

„Keine Angst, mein Freund, dafür habe ich gesorgt, dass du nichts von unserer Firma an meine gierigen Verwandten abtreten musst!“

Meine Botschaft kam nicht an. Werner war vollkommen durcheinander.

Nun, dann musste er jetzt da durch. Ich konnte es nicht ändern.

So langsam hatte ich auch die Nase voll von dieser Feier. Eigentlich interessierte es mich absolut nicht mehr, was die Leute über mich sagten oder dachten. Es fiel mir schon wesentlich leichter, alles hinter mir zu lassen.

„Nun, das hört sich gut an - er macht Fortschritte“, werdet ihr jetzt denken. Aber für einen Jenseitigen sieht das alles ein wenig anders aus. Hier kann man keine Zukunftspläne schmieden und keinen neuen Weg beschreiten. Hier ist nichts, aber auch wieder alles.

Jedenfalls befand ich mich derzeit im Nichts und ich suchte das Alles.

Haltet mich nicht für verrückt. Besser kann ich es euch momentan nicht erklären. Das Nichts nahm ich als Seinsform ohne jegliche Bedürfnisse wahr. Aber ich empfand diesen Zustand nicht als Frieden oder gar Glückseligkeit, sondern eher als unerträgliche Langeweile ohne Hoffnung auf ein wenig Abwechslung. Einfach öde, das könnt ihr mir glauben.

„Rainer, was ist denn jetzt so öde an deinem jetzigen Zustand?“

Das andere Bewusstsein meldete sich wieder.

„Das fragst du noch? Was bitte soll ich jetzt tun?“

„Sei doch nicht so ungeduldig, mein Sohn. Vertraue mir!“

„Ach, lass mich doch in Ruhe. Warum hast du mich nicht noch ein wenig leben lassen? Ich habe mein Leben wirklich genossen, und jetzt hänge ich hier ab und weiß nicht, wie es mit mir weitergeht.“

„Ich verstehe dich!“

„Na, das ist ja mal was!“

„Geduld ist nicht gerade deine Stärke. Aber das lernst du schon noch. Nun sage mir erst einmal, was du an deinem Leben derart wunderbar empfunden hast, dass du es so sehr vermisst?“

„Nun, ich war beruflich ziemlich erfolgreich. Ich hatte genügend Geld, um mir alle Annehmlichkeiten des Lebens zu ermöglichen. Gut, ich gebe zu, dass ich sehr wenig Zeit hatte, um etwas für mich zu tun.“

„Um etwas für dich zu tun?“

„Ja, ich hatte nicht viel Freizeit, um mein Leben ausgiebig zu genießen. Aber ich war zufrieden - meine Arbeit füllte mich aus!“

„Ich nehme bei all deinen Aussagen immer nur die pure Ichbezogenheit wahr. Hast du jemals versucht, Licht in die Welt zu bringen?“

„Licht in die Welt bringen? Was meinst du damit?“

„Rainer, Rainer, du bist wahrlich ein harter Brocken. Nun gut, dann werde ich mich deutlicher ausdrücken. Hast du in deinem Leben auch einmal an andere gedacht? Hast du vielleicht einmal völlig selbstlos ohne Berechnung für irgendjemanden ein Opfer gebracht?“

„Nein, das habe ich nicht. Andere Menschen waren mir egal. Ich hatte eine schlechte Meinung von ihnen. Du hast es doch auf meiner Beerdigung gesehen, wie sie sind - heuchlerisch, gierig und berechnend, völlig auf sich selbst ausgerichtet und wenig liebenswert!“

„Empfindest du dich anders, mein Sohn?“

„Nein, ich bin nicht besser als sie. Jetzt kannst du mich verurteilen - ist mir auch egal!“

„Warum sollte ich?“

„Nun, weil ich ein so schlechter Typ bin!“

„Bitte, Rainer, beruhige dich. Ich bin nicht der, der anklagt und richtet. Ich bin der, der versteht - der hilft - der liebt. Ich will, dass du mich kennen lernst, damit du verstehst!“

„Du liebst mich trotzdem?“

„Ja, ich liebe dich trotzdem. Ich nehme dich an - so wie du bist und ich helfe dir, dich weiterzuentwickeln. Hierbei geschehen manchmal Dinge, die du zunächst negativ einstufst, weil sie dir unangenehm sind. Du siehst keinen Sinn darin - kein Fortkommen, sondern eher eine Blockade, eine Strafe. Aber glaube mir, sie sind wichtig für deinen Entwicklungsprozess.

„Dann ist mein viel zu frühes Ableben also wichtig für meinen Entwicklungsprozess?“

„Auf geistiger Ebene - ja!“

„Ich war also zu nichts mehr nütze in der materiellen Welt.“

„So würde ich es nicht sagen. Alles hat nun einmal seine Zeit in der vergänglichen materiellen Welt. Dass dein Herz versagte, hast du dir allerdings selbst zuzuschreiben. Es war deine eigene Dummheit, die dich aus dem Leben gerissen hat.“

„Aber du hättest mein Herz wieder zum Schlagen bringen können!“

„Es hat mich niemand darum gebeten!“

„Was sagst du da? Hätte dich jemand darum gebeten, dann hättest du mir geholfen?“

„Ja - schon möglich, wenn dich jemand sehr gebraucht hätte!“

„Ich glaube das nicht - ich bin empört!“

„Du hast deinem Leben selbst ein Ende gesetzt, weil du mit deinem alternden Körper nicht klargekommen bist. Du wolltest die ewige Jugend. Warum hast du nicht innegehalten, als dir die Luft ausging? Deine Eitelkeit hat dich so weit getrieben, dass du dein Herz überfordert hast. Meine warnende Stimme konntest du nicht hören, weil du nicht an mich geglaubt hast. Es war deine Entscheidung. Was hätte ich tun sollen?“

„Aber du hättest mich doch wieder ins Leben zurückbringen können, als es geschehen war. So eine Art Wunder - das wäre es doch gewesen!“

„Niemand hat dich wirklich gebraucht!“

„Also, das sagte ich doch, ich war zu nichts mehr nütze!“

„Ich sage dir, dein Tod war ganz einfach die natürliche Konsequenz deiner Leichtsinnigkeit. Nimm es bitte so an. Es gibt keinen Weg in dein Leben zurück. Du weißt, dass ich nicht wie ein Zauberkünstler arbeite.“

„Nun, das erwarte ich auch nicht, nachdem ich meine sterbliche Hülle im Sarg gesehen habe. Dieser Anblick hat mir schon einen gehörigen Schreck eingejagt.“

„Du siehst, Rainer, man darf der Materie nicht zu viel Bedeutung beimessen. Sie ist vergänglich. In diesem Bewusstsein solltet ihr Menschen eigentlich leben, damit ihr wirklich jede Sekunde voll auskostet. Aber ihr sträubt euch gegen den Prozess des Alterns und stemmt euch somit gegen den Fluss des Lebens. Wer gegen den Strom schwimmt, macht es sich unnötig schwer. Derjenige muss ständig gegen das Ertrinken ankämpfen. Wer sich aber mit dem Strom treiben lässt, der wird getragen.

Jetzt, mein lieber Rainer, existierst du als wahres Ich - als Bewusstsein ohne jegliche Bindung an einen Körper. Dieser hat ausgedient und löst sich auf.“

„Demnach ist er also austauschbar? Ist das richtig? Könnte ich dann bitte jetzt sofort einen neuen Körper bekommen?“

„So weit sind wir noch nicht. Du bist mal wieder viel zu ungeduldig!“

„Das verstehe ich nicht. Hier vergeude ich doch nur die Zeit. Mit einem neuen Körper könnte ich wieder von Nutzen sein. Ich will dann auch ein wenig anders leben - das verspreche ich dir. Jetzt weiß ich, wie man es besser machen kann.“

„Rainer, Rainer, du bringst mich mal wieder zum Lachen. Hier gibt es keine Zeit. Begreife, dass du in der Schule des Geistes in der ersten Klasse sitzt - und hier haben wir erst angefangen. Du hast gerade die Einschulung hinter dich gebracht.“

„Es freut mich, dass ich dir so viel Spaß bereite. Wenigstens als Hofnarr scheine ich mich zu eignen. Aber sage mir, hört das eigentlich niemals auf mit der Lernerei?“

„Nein, niemals!“

„Das sind ja schöne Aussichten!“

*

Leute, ich sage euch, ich begriff zu diesem Zeitpunkt noch sehr wenig und sehnte mich nach meinem Leben zurück. Das andere Bewusstsein ging mir - wie ihr es sicher schon bemerkt habt - ganz schön auf den Wecker. Obwohl es mir nun wirklich gut gesonnen war und mir in meiner Verlorenheit als Jenseitiger sehr liebevoll und hilfreich zur Seite stand, konnte ich nicht anders, als ihm mit Trotz zu begegnen, weil ich mit meinem Zustand irgendwie nicht zurechtkam. Es war ja auch sonst niemand da, an dem ich hätte meinen Frust ablassen können.

Ich glaube, ihr versteht mich, denn ihr werdet als Lebende die gleichen Fragen und Bedenken haben. Damit es euch nicht langweilig wird, erzähle ich euch am besten mal wieder eine Episode aus meinem irdischen Leben.

Ihr erinnert euch gewiss noch an Röschen, meine gutherzige Sekretärin, die auf meiner Beerdigung aufrechte Tränen der Trauer vergoss. Ich sage euch, es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden, wie abscheulich ich mit Röschen umgegangen bin, so dass ich mich noch als Jenseitiger dafür schämen muss. Wahrscheinlich habe ich damals den größten Fehler meines Lebens begangen, weil ich viel zu sehr auf mich selbst ausgerichtet war.

Na ja, ihr wisst ja bereits, dass ich zu meinen Lebzeiten kein Sängerknabe war, so dass ich euch wahrscheinlich mit nichts mehr schocken kann. Es ist wichtig, dass ihr aus meinen Geschichten lernt, damit ihr nicht die gleichen Fehler begeht.

Nun bin ich der Letzte, der euch belehren kann. Hierzu eigne ich mich wirklich nicht. Aber als leuchtendes Beispiel, wie man es besser nicht machen sollte, bin ich perfekt.

Unsere Weihnachtsfeier im Jahr 2011 sollte der krönende Abschluss eines äußerst erfolgreichen Jahres werden. Werner und ich hatten hierfür ein Restaurant der Extraklasse ausgewählt. Die gesamte Belegschaft hatte sich schwer in Schale geworfen, zumal nach dem Speisen noch der Besuch einer Edeldisco auf dem Programm stand. Aber Röschen übertraf sie an diesem Abend alle. Bei ihrem Erscheinen blieb uns allen die Spucke weg. Sie hatte sich mächtig ins Zeug gelegt. Röschen musste wohl offensichtlich bei einem Stylisten gewesen sein. Ihr Outfit war atemberaubend. Sie trug ein schlichtes kleines Schwarzes, das ihre mollige Figur fast schlank erscheinen ließ. Ihre bequemen Leisetreter, die kein Männerherz höherschlagen ließen, hatte sie treffsicher, passend zum Kleid, gegen aufregende Highheels eingetauscht, die das kleine Persönchen mindestens zehn Zentimeter größer erscheinen ließen. Ihr liebes Gesicht strahlte jetzt eine vornehme Schönheit aus. Es war raffiniert, aber dennoch dezent geschminkt. Auch das lange blonde Haar, das Röschen im Alltag stets einfallslos zusammengebunden trug, fiel ihr heute in weichen Wellen über die Schultern. Ich konnte meinen Blick gar nicht von ihr wenden und überschüttete sie mit Komplimenten, die sie einerseits sehr genoss, ihr aber andererseits auch sichtlich peinlich waren, so dass sie hierbei öfter errötete und verschämt zur Seite blickte.

 

Röschen war nun einmal ein sehr bescheidener, zurückhaltender Mensch, der nicht gern im Mittelpunkt stand. Jedenfalls wich ich an diesem Abend nicht von ihrer Seite. Für mich stand fest, dass ich mit diesem scheuen Aschenputtel die Nacht verbringen würde. Hierzu musste ich meine Beute erst einmal enthemmen. In der Disco flößte ich Röschen dann einen Cocktail nach dem anderen ein. Nachdem sie schon ziemlich angeheitert war, ging ich über zum Balztanz. Das war so meine Vorgehensweise, die eigentlich immer zum Erfolg führte. Eng umschlungen schwebte ich nun mit Röschen zu schwülstiger Schmusemusik über die Tanzfläche und flüsterte ihr Worte meiner Begierde ins Ohr. Ich sage euch, das haut die standfesteste Maid aus den Schuhen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich spürte, dass Röschen am ganzen Körper vor Erregung zitterte und zu Wachs in meinen Händen wurde. Jetzt wurde es höchste Zeit, die Örtlichkeit zu verlassen, damit mir mein Opfer letztendlich nicht noch entwischte, weil es nach dem reichlichen Alkoholgenuss von plötzlicher Müdigkeit übermannt wurde. Das konnte alles passieren und mir einen Strich durch die Rechnung machen.

Werner schüttelte den Kopf, als ich mit Röschen verschwinden wollte. „Du wirst doch wohl nicht mit Röschen!“

„Halte dich da gefälligst raus, mein Alter, schließlich ist sie meine Sekretärin“, entgegnete ich genervt.

Ziemlich empört rief er mir nach: „Du gehst über Leichen, Rainer, das ist wirklich zum Kotzen!“

Werners Moralpredigten waren mir völlig egal. Er war nun einmal der Bessere, aber auch der Langweiligere von uns beiden. „Kein Wunder, dass er sich so schwer tut mit den Frauen“, dachte ich im Hinausgehen.

Jedenfalls verbrachte ich eine heiße Liebesnacht mit Röschen und kam hierbei voll auf meine Kosten. Ihr mit reizvollen Rundungen gesegneter Körper war weich und anschmiegsam. Ich muss es zugeben, es war mit Abstand das Beste, was ich je erlebt hatte. Röschen war sehr sinnlich. Sie gab mir das Gefühl der absoluten Überlegenheit. Ihr zitternder Körper drängte sich dem meinen verlangend entgegen. Jede ihrer Bewegungen erschien mir wie eine Bitte um eine sofortige Erlösung der süßen lustvollen Qual. Ich genoss ihr großes Verlangen nach der Vereinigung und fand es wunderbar, dass sie hierbei nicht fordernd wurde, sondern mir die Alleinherrschaft des reizvollen Spiels übertrug. So ließ ich sie so lange unter mir zappeln, bis ich selbst vor lauter Lust kurz vorm Explodieren war. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je ein Vorspiel derart lang hinausgezögert zu haben. Aber mit Röschen war es für mich ein Riesengenuss.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, schlief Röschen noch tief und fest. Sie sah aus wie ein Engel, unschuldig und verletzbar. Ich erwischte mich dabei, dass ich es schön fand, neben ihr aufzuwachen. Es war das erste Mal, dass es mich nicht nervte, eine Frau, mit der ich die Nacht verbracht hatte, am nächsten Morgen noch um mich zu haben. Jetzt freute ich mich sogar auf ein gemeinsames Frühstück.

Ich ging gut gelaunt in die Küche, kochte Kaffee und deckte den Frühstückstisch. Aber plötzlich wurde ich vom Teufel geritten. In meinem Kopf wüteten Attacken der bösesten Vorwürfe, die jenes zart aufkeimende Pflänzchen von Liebe auf der Stelle töteten: „Jetzt reicht es aber - höre sofort mit dieser Gefühlsduselei auf - du hast dich nicht mehr im Griff! Was ist mit deinen guten Vorsätzen? Eine feste Bindung ist nichts für dich - sie macht dich unfrei!“

Ich gehorchte dem bösen Geist und räumte den Frühstückstisch wieder ab. Der Höflichkeit wegen brachte ich Röschen lediglich einen Kaffee ans Bett und erklärte ihr hierbei ziemlich förmlich, dass ich jetzt schnellstens zu einem Termin aufbrechen müsste.

Röschen schluckte und ich bemerkte, dass es ihr schwer fiel, ihre Enttäuschung zu verbergen. Aber sie hatte sofort begriffen. Ich war ihr dankbar dafür, dass sie kein großes Trara darum machte und der vergangenen Nacht offensichtlich nicht allzu viel Bedeutung beimaß. Während ich ihr ein Taxi bestellte, zog sie sich rasch an und begegnete mir ebenso förmlich, wie ich es ihr gegenüber tat. An der Haustür drehte sie sich noch einmal um, sah mit ihren großen blauen Augen direkt in die meinen und erwähnte abschließend: „Ich möchte Sie noch um eines bitten, Rainer.“ Sie siezte mich wieder. „Das Mädchen lernt schnell“, dachte ich voller Erleichterung, nicht ahnend, was jetzt kam.

„Nennen Sie mich bitte nicht immer Röschen, das klingt einfach respektlos. Mein Name ist Rosemarie!“

Bums - das hatte gesessen. „Röschen“ klang für mich ganz und gar nicht respektlos, sondern eher liebevoll. Mir war schon klar, dass sie mit ihrer diesbezüglichen Entscheidung künftig jegliche Vertrautheit, die über unsere Arbeit hinausging, ausschließen wollte. Nun, ich war gekränkt und wusste nichts zu erwidern. An diesem Tag plagte mich wirklich das schlechte Gewissen. Ich schämte mich für meine Verantwortungslosigkeit. Aber letztendlich war ich davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Alles andere hätte zu einer tieferen Beziehung geführt - und das wollte ich nicht.

Nie wieder erwähnten Röschen und ich ein Wort über die besagte Nacht. Wir verbannten sie einfach aus unserem Gedächtnis und machten arbeitsmäßig weiter wie bisher, allerdings mit einer sich hieraus ergebenden Konsequenz - aus dem naiven „Röschen“ wurde „Rosemarie“, die Respektperson.

*

„Bereust du dein Vorgehen?“

„Ach, du schon wieder!“

„Ja, ich schon wieder. Bereust du nun dein Vorgehen?“

„Irgendwie schon! Mit Röschen hätte ich wohl einen guten Fang gemacht. Ich glaube, mit ihr wäre ich glücklich geworden. Aber ich hatte Angst, mich zu binden und hierdurch unfrei zu werden.“

„Wer Angst vor Bindung hat, der ist unfrei!“

„Das kann ich so nicht sehen. Ich konnte schließlich machen, was ich wollte - war niemandem Rechenschaft schuldig.“

„Warst du glücklich dabei?“

„Es kommt darauf an, was man unter Glück versteht. Ich wollte allein leben und frei sein. Das habe ich getan. Ergo war ich wohl glücklich.“

„Ich sage dir, du warst es nicht!“

„Woher willst du wissen, was mich glücklich macht?“

„Weil du ein Teil von mir bist - weil ich alles über dich weiß - weil ich Dinge weiß, die du nicht weißt!“

„Ja, dann nenne mir die Allheilformel und lasse mich hier nicht so dumm dastehen!“

„Hier wären wir wieder bei deiner Ungeduld. Du willst die Lösung, aber verstehst den Rechenweg nicht. Ein Bergsteiger muss auch Schritt für Schritt alle Hindernisse an der steilen Wand überwinden, um den Gipfel zu erreichen. Du aber willst die schöne Aussicht genießen, ohne den Berg zu erklimmen. Wir sind also wieder auf dem Jahrmarkt, im Land der Zauberei, mein Lieber!“

„Warum muss denn immer alles mit derart viel Mühe verbunden sein? Wer sich nicht müht, hat demnach nichts zu erwarten. Manchmal hat man aber die Schnauze voll von all dem Mühen. Warum bekommt man dann nicht auch einmal etwas geschenkt, ein kleines Wunder - so ganz ohne Mühe? Das könntest du doch auch einmal tun in all deiner großen Barmherzigkeit!“

„Dein Sarkasmus belustigt mich!“

„Freut mich, dass du was zum Lachen hast. Aber was ist mit mir?“

„Was ist mit mir - was ist mit mir - was ist mit mir! Immer wieder dasselbe Lied. Rainer, lege doch mal bitte eine neue Platte auf!“

„Jetzt muss ich aber lachen. Diese Art von Humor liebe ich!“

„Siehst du, schon hast du dein kleines Wunder!“

„Das ist nicht dein Ernst!“

„Nein, ist es nicht!“

„Gibt es überhaupt Wunder?“

„Ja, Rainer, es gibt sie. Röschen war so ein Wunder. Leider hast du es zurückgewiesen. Wunder geschehen hinter den Dingen. Es sind positive Energien, die Ereignisse hervorrufen, auf die ihr keinen Einfluss habt. Ereignisse, die ihr als glückliche Zufälle bezeichnet. Es gibt aber auch die so genannten unglücklichen Zufälle. Das sind negative Einflüsse - also Negativenergien, die - naiv ausgedrückt - durch dunkle Gedanken hervorgerufen werden.“

„Also erschaffen wir unser Glück oder Unglück kraft unserer Gedanken selbst!“

„Im Prinzip ist das schon so, aber auch wieder nicht. Ganz so einfach ist das nicht. Aber durch eure Gedanken könnt ihr schon einiges in Gang setzen. Sie können wie ein Bumerang im positiven wie auch im negativen Sinne auf euch zurückkommen. Die Saat, die ihr aussät, trägt die entsprechende Frucht. Kraft der Gedanken übt jeder Einzelne unbewussten Einfluss auf das Weltgeschehen aus. So üben aber auch die gesamten Gedanken der Weltbevölkerung Einfluss auf jeden einzelnen Menschen aus. Die Gedanken eines Einzelnen sind aber nur ein winziger Draht im mächtigen Vernetzungskabel des Ganzen, dessen Energien gemischt und sehr konfus sind. Sie sind nicht rein - nicht weiß - nicht schwarz - nicht eindeutig zu definieren. Ein jeder wird unbewusst von ihnen beeinflusst!“

„Also haben wir bei aller Anstrengung so gut wie keinen Einfluss. Ist das so?“

„Rainer, stelle dir vor, du bist jetzt das winzige Drähtchen. Du bist das kleinste Teilchen in diesem mächtigen Vernetzungskabel, das überwiegend dunkle, zerstörerische Energie erzeugt. Du, das kaum zu erkennende Mikrodrähtchen, das positiv dagegen steuert, wirst nicht genügend Impulse geben können, um die Energie des Kabels umzupolen. Aber du gibst trotz aller Mühe nicht auf, sondern gehst unbeirrbar deiner Bestimmung nach. Es gelingt dir hierdurch, eine kleine Störung im System zu verursachen. Du tust, was du tun kannst. Darauf kommt es an!“

„Was nützt die kleine Störung, wenn sich hierdurch doch nichts ändert. Was würde demnach eine Änderung bewirken?“

„Viele kleine Störenfriede, die einen Kurzschluss verursachen.“

„Ich verstehe! Aber sage mir, kann man denn ausschließlich rein positiv sein?“

„Eine gute, sehr wichtige Frage!

„Stelle dir das Sein wie eine riesige Waage vor. Alles läuft rund, wenn die Waagschalen sich ausgleichen. Aber ist eine von ihnen überladen, so wird die Waage über kurz oder lang aus den Angeln gehoben. Jeder Mensch benötigt zum Ausgleich seiner Lebenswaage auch Negativenergie, um im Leben bestehen zu können. Sie ist sehr wichtig und nutzbar als Durchsetzungs- und Verteidigungskraft. In diesem Sinne ist Negativenergie absolut nichts Schlechtes, sondern etwas Notwendiges. Die Energien der beiden Waagschalen müssen sich gegenseitig unterstützen und harmonisch zusammenarbeiten, damit das Leben fließen kann.“

„Bedeutet das, dass selbst du zu einem Teil negativ bist?“

„Im naiven Sinne - ja!

Ich wusste, dass du diese Frage stellst. Nun, eure Wissenschaft ist derart weit gekommen, dass sie durch ihre Erkenntnisse Gott vollkommen ausschließt. Gott zu verstehen ist für euer kindliches Denken nicht ganz einfach. Die Entstehung des Universums erklärt ihr mit dem Urknall - eine Megaexplosion, die zufällig aus dem Nichts entstanden ist. Jeder Physiker sollte eigentlich wissen, dass aus einem Nichts auch nichts entstehen kann. Demnach müsste das Nichts neu definiert werden. Was ist es - und wer oder was hat die Energie zur Entstehung des Universums freigesetzt? Diese Fragen solltet ihr euch stellen. Ihr kommt gar nicht auf den Gedanken, dass hinter allem Geschehen eine mächtige, alles auslösende Intelligenz steht, die ihr das Nichts nennt. Nun, mir ist es gleich, wie ihr mich bezeichnet, sofern ihr mich nicht leugnet. Für euch sind alle Geschehnisse, deren Hintergründe ihr nicht erklären könnt, reiner Zufall. Zufall ist für euch auch, dass ihr Bewusstsein habt. Ihr seid aus Sternenstaub entstanden, durch die Explosion eines massereichen Sternes. Die Supernova enthielt bereits alle Daten der Evolution, um letztendlich euer Sonnengestirn und alles Leben auf dem Planeten Erde entstehen zu lassen. Wirklich nur Zufall - nicht vielleicht doch eine Intelligenz, die hinter allem steht? Ihr macht euch überhaupt keine Gedanken darüber, woher euer Bewusstsein kommt. Nach euren Theorien ist es einfach aus der Materie rein zufällig entstanden. Für die Materie ergibt der Geist aber keinen Sinn. Demnach wäre der menschliche Geist aus einem Nichtsinn entstanden und somit eigentlich ein Unsinn, der absolut keinen Sinn ergibt.

 

„Nun zu deiner Frage, Rainer. Eine Explosion erscheint zunächst einmal negativ, weil hier zerstörerische Energie am Werk ist, die alles bis dahin Gewesene vernichtet. Ich zerstöre aber niemals etwas aus purer Zerstörungslust, sondern aus Notwendigkeit, um etwas Neues, Besseres entstehen zu lassen. Energie ist zudem unzerstörbar - sie ist aber wandelbar. Auch ihr besitzt die Schöpferkraft, weil ihr ein Teil von mir seid. Ihr könnt erschaffen und zerstören und selbst entscheiden, welcher Kraft ihr dienen wollt. Nun ist, wie ich es bereits erwähnte, Zerstörung äußerst konstruktiv, um etwas Neues entstehen zu lassen. Altes muss gehen, damit Neues kommen kann. Das ist der gesunde Fluss des Lebens, in dem sich Negativ- und Positivenergie die Waage halten und beim Einsetzen der Schöpferkraft zusammenfließen.“

*