FREMDE HEIMAT

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Alan hatte das Gefühl, Stark wolle auf ihn zugehen, doch da wankte dieser wie ein Baum, der gefällt wird, und stürzte zu Boden. Mit starrem Blick blieb er liegen. Ein Röcheln drang aus seinem Mund. Dann herrschte Stille.



Stark war tot.




Gift.



Alans Blick fiel auf die Waffe in seinen Händen, deren Klinge gerötet war von Blut – Starks und das seine.



Ungebeten drängte sich die Erinnerung an Whites Tod in sein Bewusstsein. Er dachte an das Entsetzen in ihrem Blick, das selbst der Tod nicht auszulöschen vermochte.



Nein

, war alles, was er denken konnte.



Voll Abscheu warf er die Waffe von sich, den umstehenden Krail-on vor die Füße. Sie sprangen beiseite, aus Furcht, mit ihr in Berührung zu kommen.



Alan spuckte aus. »Betrüger«, keuchte er. »Elende, verlogene Bastarde!«



Mit einem Ruck drehte er sich um und schritt auf den Ausgang der Halle zu, blind für das, was um ihn herum geschah. Ohne an Benton und Dean zu denken, die er in der Menge verloren hatte. Niemand wagte, sich ihm in den Weg zu stellen. Mit geballter Wut stieß er die zweiflügelige Tür auf, sodass die Stahltüren gegen die Wand krachten, und stürmte aus der Halle.



Das Shuttle, durchschoss es ihn. Er musste zurück zum Shuttle …



Da packte ihn jemand am Arm und hielt ihn fest. »Alan! Ist alles in Ordnung?« Dean.



»Gift«, keuchte Alan und riss sich los, »das Shuttle …«



Aus Deans Gesicht wich alles Blut. »Komm«, sagte er.



Seite an Seite rannten sie im Laufschritt zurück durch die düsteren Gänge, Benton auf ihren Fersen. Die Wunde an Alans Seite pochte. Er tastete danach, suchte nach der Nässe, die sein Shirt tränkte, aber da war nichts. Seine Finger fühlten nur Leere. Alan strauchelte vor Entsetzen.



Dean packte ihn am Arm und zog ihn wieder in die Höhe. »Komm«, sagte er. Ohne Alans Antwort abzuwarten, legte er sich dessen Arm über die Schulter und stützte ihn. Wortlos zerrte er ihn weiter, das Gesicht zu einer Maske erstarrt.



Der Boden unter Alans Füßen schwand. Übelkeit würgte in seiner Kehle. Er wusste nicht mehr, ob er noch lief oder schwebte. Merkte nur, dass der Boden ihm mit einem Mal entgegenkam. Deans Gesicht näherte sich ihm. Jemand schlug ihm ins Gesicht. Den Schmerz zu fühlen, brachte ihn zur Besinnung.



»Alan, steh auf!«



Mit Deans Hilfe stemmte er sich wieder auf die Füße. Er lehnte sich gegen ihn, sah, dass sich Dean seinen Arm wieder um die Schultern legte und ihn um die Taille fasste, aber er fühlte seine Hände nicht. Die Luft wurde ihm knapp.



»Die Tasche, Mister Benton«, schrie Dean den Pfleger an. »Laufen Sie!«



Alan hörte nur sich entfernende Schritte. Endlich merkte er, dass Dean ihn weiter zog. Die Wände des Ganges wurden zu einem Tunnel aus Schwärze, in der ihre Schritte widerhallten. Aus der Schwärze schälte sich eine weiße Gestalt, die ihnen den Weg versperrte.



»Kass-Un«, sprach sie Alan an.



Er starrte sie an, das herzförmige Gesicht mit den dunklen Mandelaugen wurde von Spinnweben aus schwarzer Seide umrahmt.



»Katsuko«, flüsterte er. Zitternd streckte er die Hand nach ihr aus, wollte fühlen, ob das, was er sah, wirklich der Realität entsprach oder nur einem Traum entsprungen war.



»Lassen Sie uns vorbei«, schrie Dean.



Alan hatte nur Augen für die Frau, die aussah wie Katsuko. Diese blickte auf seine Hand. Ihr Mund öffnete sich. Sie griff nach seinen Fingern und sank vor ihm auf die Knie.



Alan sah es, aber seine Hand fühlte nur Leere. Träumte er etwa? Oder war sie ein Geist?



Katsuko führte seine Hand an ihre Stirn, bis seine Fingerspitzen sie berührten. »Dersach«, hauchte sie und sah ihn an.



Aber Dean stieß sie beiseite, zerrte Alan mit sich, dass dieser stolperte.



»Nein«, keuchte Alan. Mit einer Drehung entwand er sich Deans Griff. Die Welt um ihn kippte. Keuchend fand er sich am Boden wieder.



»Katsuko …«



Sein Blick suchte sie. Er wollte sich aufrichten, aber seine Gliedmaßen gehorchten ihm nicht mehr. Watte füllte seine Ohren. Jeder Atemzug verlangte inzwischen seine ganze Kraft. Bald würde sie nicht mehr ausreichen.



Da dröhnten Schritte in Alans Kopf. Etwas knallte neben ihm auf den Boden. Deans Gesicht füllte sein Sichtfeld aus, versperrte ihm den Blick auf die helle Gestalt.



»Still«, keuchte Dean, »still. Es ist gleich vorbei …« Seine Stimme schaffte es kaum noch, das Rauschen in Alans Kopf zu übertönen. Deans Hand strich über Alans Stirn.



Alan fühlte die Berührung nicht. »Katsuko«, ächzte er. Er versuchte, weiter den Atem durch seine Kehle zu zwingen, aber seine Kraft reichte nicht mehr aus. Etwas tropfte auf sein Gesicht.



»Nun machen Sie doch schon«, hörte er Dean rufen.



Ein Fauchen ertönte neben Alans Ohr. Etwas biss in seinen Hals. Er stöhnte auf, riss sich aus Deans Griff. »Ka…tsu…ko«, stöhnte er.



»Sie ist hier«, schrie Dean durch das Rauschen. »Sie ist hier. Alan, hörst du mich?«



Ein heller Fleck tauchte über dem dunklen auf. Eine Stimme flüsterte etwas in einer Sprache, die er nicht verstand. Da übertönte das Rauschen alle anderen Geräusche, und es wurde still um Alan. Erstickt wollte er nach Atem ringen, doch sein Brustkorb bewegte sich nicht mehr. Der rasende Schlag seines Herzens verlangsamte sich, stolperte.



Er riss die Augen auf, suchte die Konturen seiner Umgebung auszumachen, doch sie verwischten immer mehr. Das Letzte, was er sah, waren Katsukos Mandelaugen. Dann lösten die Flecken sich auf, wurden zu Grau, das ihn überschwemmte und allein zurückließ. Endlich erreichte das Grau sein Denken und löschte es aus.







Zwei Tage liegt die Schlacht nun hinter uns. Ich wundere mich, dass wir entkommen konnten. Nur drei Mann fanden die Kraft, mit mir die letzten Tage auf der Brücke auszuharren: White, Harrison und der junge McBride. Insbesondere McBride gilt meine Bewunderung. Zu keiner Sekunde war er bereit aufzugeben, obwohl selbst ich mehr als einmal fast der Versuchung erlag. Wenn unsere Lage nicht so absurd wäre, würde ich ihn zum Lieutenant befördern.



Persönliches Logbuch, Commander Jean-Pierre Delacroix,

Sydney






4.



Irgendwann, nach Ewigkeiten oder dem Bruchteil einer Sekunde, änderte sich etwas. Ein Flüstern drang von weit her in Alans Bewusstsein, löste sich langsam aus dem Rauschen. Ein rhythmisches Zischen begleitete es, das in Alan einen Alarm auslöste. Ein leises Piepen ertönte. Er glaubte, eine Hand auf seiner Stirn zu fühlen, aber der Eindruck war so flüchtig, dass er vorüber war, ehe er ihn ausloten konnte. Dann hörte er die Stimme wieder, näher jetzt. Sie schien einer Frau zu gehören.



»Mister McBride, können Sie mich hören?«



Alan versuchte, die Augen zu öffnen, um zu sehen, wer da sprach. Er wunderte sich, woher das Zischen stammte. Doch seine Augenlider wollten ihm nicht gehorchen, ebenso wenig wie die anderen Muskeln seines Körpers. Das Einzige, was er fühlte, war sein Herz, das gegen seine Brust hämmerte. Er lebte noch, begriff er endlich, und der Gedanke ließ ihm zur gleichen Zeit heiß und kalt werden.



Da bemerkte er den Schlauch, der durch seinen Mund in die Luftröhre führte, und plötzlich wusste er, woher das Zischen stammte. Der Moment brach über Alan zusammen.



Plötzlich war er wieder ein Kind. Er war allein. Vater und Mutter waren nicht bei ihm …



Sein Schrei wurde von dem Tubus erstickt. Das Piepen wurde hektisch. Er tastete nach dem Schlauch, versuchte, ihn von sich zu reißen, doch jemand hielt seine Arme fest und beugte sich über ihn.



»Mister McBride! Kommen Sie zu sich! Es ist alles in Ordnung. Sie sind auf der Krankenstation.«



Nein

, wollte er rufen,

lassen Sie mich los.

 Aber der Schlauch hinderte ihn daran. Er kämpfte darum, seine Arme freizubekommen. Tränen rannen über seine Wangen. Hilflos schloss er die Augen. Mit ganzer Willenskraft schaffte er es, die Erinnerungen in sein Gedächtnis zurückzusperren.



»Beruhigen Sie sich!«



Das Piepen im Hintergrund nahm wieder einen stetigen Rhythmus an. Als Alan die Augen öffnete, erkannte er Doktor Hayes, die sich über ihn beugte. Scham überflutete ihn.



Hayes ließ ihn los und fasste seine Hände. »Wenn Sie mich verstehen können, drücken Sie meine Hände. Ja?«



Er gehorchte, schaffte es, die Finger zu bewegen, und bemerkte seine Schwäche.



Hayes lächelte ihn an. »Ich wusste, dass Sie es können.«



Als sie ihn losließ, zuckten Alans Finger und streckten sich nach ihr aus. Sie schien es nicht zu bemerken, legte seine rechte Hand in die ihre und setzte sich auf den Bettrand.



»Ihre Atmung hat ausgesetzt. Wir mussten Sie zwei Tage beatmen, deshalb sitzt der Schlauch in Ihrer Luftröhre. Haben Sie das soweit verstanden?«



Zuerst wollte Alan nicken, aber er besann sich und drückte stattdessen ihre Finger.



»Gut.« Hayes nickte. »Ich habe Sie aufgeweckt, weil ich der Ansicht bin, dass Sie so weit sind, etwas mitzuhelfen. Das heißt, ich werde die Beatmungsmaschine so umstellen, dass Sie ein paar Atemzüge pro Minute selber übernehmen müssen. Es kann sein, dass es nicht sofort klappt. Aber ich bleibe bei Ihnen und passe auf Sie auf. Haben Sie das verstanden?«



Wieder drückte Alan ihre Hand.



»Schön! Geben Sie mir ein Zeichen, wenn Sie soweit sind.«



Einen Herzschlag lang zögerte Alan, bevor er sich erneut darum mühte, seine Finger zu bewegen.



»Gut, dann versuchen wir es jetzt.« Sie lächelte ihn noch einmal an, ging zu einer Wandkonsole und gab Daten ein. In der Rhythmik des Zischens veränderte sich etwas, er verlangsamte sich und nach einigen Momenten hatte Alan das Gefühl, er müsse nach Atem ringen.

 



»Sie machen das wunderbar. Ich wusste, dass Sie es können.« Hayes beugte sich über ihn.



Erst in diesem Augenblick begriff Alan, dass er selbstständig geatmet hatte. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Er blickte Hayes an und wusste nicht, ob er sich freuen oder weinen sollte.



»Ich habe nebenan eine Simulation laufen«, fuhr Hayes fort. »Ich sehe regelmäßig nach Ihnen. Wenn Sie etwas brauchen, müssen Sie nur auf diesen Knopf drücken. Schaffen Sie das?«



Bei den Worten legte sie ihm einen kleinen Sender mit einem Knopf in die Hand. Er schloss kurz die Augen als Zeichen dafür, dass er verstanden hatte. Doch als er begriff, dass sie ihn verlassen wollte, hörte er, dass das Piepen sich wieder beschleunigte.



Mit einem Ruck wandte Hayes sich den Kontrollen zu. Nachdem sie sie studiert hatte, trat sie an sein Bett und beugte sich über ihn. »Alles in Ordnung?«, fragte sie.



Er starrte sie an, kämpfte gegen die Scham darüber, dass er Angst hatte, alleine zu sein. Seine Finger zuckten, verloren den Sender.



»Hier«, sagte sie und drückte ihn Alan wieder in die Hand.



Aber Alans Finger wollten nicht gehorchen. Der Sender fiel aus seinen Fingern, rutschte über die Decke, und wäre zu Boden gefallen, wenn sie ihn nicht aufgefangen hätte. In sinnlosem Zorn krampften sich seine Hände zu Fäusten.



Hayes tat, als sei nichts geschehen und schloss seine Finger um den Sender. Alans Hand zitterte.



»Sie sind unser Held«, sagte sie.



Die Worte trieben das Blut in seine Wangen. Er war kein Held. Sein Blick irrte fort von ihrem Gesicht, blieb an der Maschine hängen, die ihn mit Luft versorgte, fand schließlich den Schlauch, der in seiner linken Armvene endete, und einen weiteren, der unter der Decke verschwand. Ihm wurde so elend bei dem Anblick, dass er zu atmen vergaß.



Hayes runzelte die Stirn. Ihr Blick fiel auf die Apparate. »Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie schön mitmachen, kann ich vielleicht schon morgen den Tubus entfernen, spätestens übermorgen. In einer Woche sind Sie wieder fit.« Sie lächelte.



Das Gift fiel ihm ein. Seine Finger umklammerten den Sender. Er hörte, wie das Piepen sich wieder beschleunigte, begriff in diesem Moment, dass es seinen Herzschlag anzeigte, und bemühte sich um Ruhe. Das Piepen verlangsamte sich wieder, nur seine Hand bebte, als Hayes sie zum Abschied tätschelte.



»Alles in Ordnung?«, fragte sie.



Als Antwort schloss er kurz die Lider.



»Schön. Dann bis gleich. Ich bin bald wieder da.« Damit verließ sie seinen Sichtkreis.



Er betastete den Sender, fühlte den Schweiß, der sich in seinen Handflächen und auf seiner Stirn sammelte. Doch bevor das Piepen sich wieder beschleunigen konnte, zwang er seine Aufmerksamkeit auf Hayes. Er hörte, wie sie sich entfernte, um irgendetwas in einer Computerkonsole einzugeben. Die Tastatur klapperte. Eine Weile herrschte Stille, bis sich ihr ein Fluch entrang. Danach klapperten wieder die Tasten.



Das Klappern fraß sich in Alans Bewusstsein. Hayes belog ihn. Er wusste es so sicher, als hätte es ihm jemand gesagt. Leere füllte mit einem Mal seine Eingeweide. Er starrte an die Decke, streichelte den Sender in seiner Hand und suchte nach einem Halt, der ihn aus dem Sog retten konnte, der ihn zu erfassen drohte.



Nein, rief er sich zurecht. Das bildete er sich nur ein. In einer Woche war er wieder fit, hatte sie gesagt. Sie würde ihn nicht anlügen. Nicht Hayes. Er klammerte sich an den Gedanken. Aber der Zweifel blieb.




Wenig später kam sie zurück. Sie starrte auf den Boden, bis sie bemerkte, dass Alan sie beobachtete. Scheinbar ertappt straffte sie sich und lächelte ihn an. »Sie haben Besuch«, verkündete sie. Als sie an die Wandkonsole trat, um die Daten zu studieren, gab sie den Blick auf Mabuto frei.



Das Piepen beschleunigte sich wieder.



Hayes drehte sich zu Alan um. Als das Piepen wieder langsamer wurde, nickte sie den beiden Männern zu. »Ich lasse Sie jetzt allein.« Ihre Schritte entfernten sich.



Einen Moment lang starrte Mabuto ihn nur an, ehe er auf ihn zutrat. Seine Kiefermuskeln traten hervor. »Ich nehme an, Doktor Hayes hat Ihnen Ihren Zustand erklärt.«



Alan nickte. Natürlich! Hayes hatte ihm erklärt, dass er seit zwei Tagen künstlich beatmet wurde. Dieser »Zustand« war ja schwer zu übersehen.



»Mister Fiorentino und Mister Benton haben mir von Ihrem Kampf berichtet. Ich habe Ihren Einsatz in Ihrer Akte lobend erwähnt.«



Super! Glaubte Mabuto im Ernst, dass er sich irgendetwas aus einem Lob in seiner Akte machte? Kam es in der aussichtslosen Situation, in der sie sich befanden, wirklich noch darauf an?



»Die … Crew vergöttert Sie …«



Wie es schien, wollte Mabuto ihm danken.



»Die Krail-on sind abgezogen, ohne uns weiter zu belästigen. Dank Ihnen. Ich wollte, dass Sie das wissen.« Mabuto rang nach Atem. »Es … tut mir leid.«



Ein Bild entstand vor Alans Augen. Eine Blutlache überschwemmte den Boden, nässte Katsukos Haar. Schwarz und rot bildeten einen seltsamen Kontrast zu ihrem weißen Gesicht. Wie durch einen Nebel hörte er das hektische Fiepen des Herzmonitors. Mit aller Kraft zwang er sich zur Ruhe.



Alan ließ den Sender los, den Hayes ihm gegeben hatte, und zwang seine Muskeln, Mabuto die Hand entgegenzustrecken. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Die Hand zitterte.



Mabutos Griff war so hart, dass es schmerzte. Alan zuckte mit keiner Wimper.



»Ich danke Ihnen«, keuchte Mabuto. Abrupt ließ er Alans Hand los und eilte aus dem Raum.




Hayes nahm Alans Hand. »Lust, ein bisschen was zu tun?«



Er wusste zwar nicht, was sie meinte, aber er war froh, dass sie ihn aus seinen Gedanken riss, und drückte ihre Finger.



Hayes lächelte. »Gut, dann wollen wir mal.« Bei den Worten winkelte sie seinen rechten Unterarm an. »Jetzt drücken Sie mal dagegen, so fest Sie können.«



Alan fand zwar reichlich albern, was sie von ihm verlangte, entdeckte aber mit Bestürzung, dass sie seinen Arm ohne Mühe aufs Bett drücken konnte. Für ihn, der sonst mit Leichtigkeit zwanzig Klimmzüge an einer Hand schaffte, war das ein Schlag ins Gesicht. Als sie die Übung wiederholten, biss er die Zähne zusammen und strengte sich so an, dass ihm der Schweiß auf der Stirn ausbrach.



Hayes lachte und schüttelte seine Hand. »Wir machen kein Armdrücken. Sie dürfen sich nicht gleich überanstrengen. Morgen ist auch noch ein Tag. Verstanden?«



Als Antwort nickte er. Sie würde sich sicherlich nicht soviel Mühe mit ihm geben, wenn er keine Chance hatte, zu überleben. Der Gedanke gab ihm Kraft. Der Zweifel, der in ihm gewachsen war, schrumpfte in sich zusammen. Mit neuem Mut setzte er die Übungen fort.



Hayes ließ keine Muskelpartie aus, ging erst zum nächsten Körperteil über, wenn sie wirklich zufrieden war, und bewies dabei so viel Geduld, dass es Alan schwerfiel, sich ihr zu verweigern. Doch die Übungen zeigten ihm seine Schwäche und Hinfälligkeit. Eine Erkenntnis, die ihm umso weniger schmeckte, je länger er sie kosten musste. Wut überfiel ihn, weil sein Körper ihm nicht gehorchte, wie er es wollte, sodass er ihre Hand abschüttelte, als sie erneut nach seinem Bein greifen wollte.



Sie hielt inne, ging um das Bett herum und blickte auf ihn herab. »Sollen wir aufhören?«



Aber er weigerte sich, sie anzusehen, starrte stattdessen an die Decke und kämpfte mit seinem Stolz.



Als er ihr kein Zeichen gab, griff sie nach der Decke und zog sie mit einem Seufzen wieder über seine Beine. »Wie Sie wollen«, sagte sie. »Ich will Sie zu nichts zwingen.«



Einen Herzschlag lang hatte Alan das Gefühl, sie wolle noch etwas sagen, doch dann kramte sie in ihrer Tasche nach dem Sender und legte ihn in seine Hand. Ihm wurde heiß im Gesicht. Bevor sie die Hand wegziehen konnte, packte er sie und hielt sie fest. Sie wandte sich ihm zu und studierte sein Gesicht, während er ihre Hand umklammerte.



Eine Weile starrten sie sich an, bis sie plötzlich ihre andere Hand auf die seine legte. »Heißt das, wir machen weiter?«



Er rang nach Atem und nickte.



»Das freut mich.«



Mehr sagte sie nicht, aber Alan hörte den Ernst in ihrer Stimme. Deshalb schwor er sich, sich zusammenzureißen. Er wollte ihr nicht noch einmal seine wunde Seite zeigen.



Katsukos Bild drängte sich ungebeten in sein Bewusstsein. Hayes hatte schon einmal in sein Inneres geschaut. Damals, als Katsuko starb. Der Gedanke verwirrte ihn. Irgendwo unter der Oberfläche seines Gedächtnisses lauerte eine Erinnerung, die er nicht abrufen konnte.



Nach einer Weile hielt Hayes inne und wischte ihm den Schweiß von der Stirn. »Es reicht«, sagte sie. »Sonst kriegen Sie Muskelkater. Heute Nachmittag wiederholen wir das Ganze. In Ordnung?«



Er nickte und hielt ihre Hand fest. Irgendwie wollte er ihr begreiflich machen, dass er sich für ihre Mühe bedanken wollte, doch er wusste nicht wie. Mit einem Schnaufen ließ er ihre Hand endlich wieder los.



Hayes schien ihn missverstanden zu haben. »Sie wollen weitermachen? Warten Sie einen Moment.« Nach wenigen Augenblicken tauchte sie mit einem Silikonball wieder auf. »Hier«, meinte sie. »Den hat mir mein Mann geschenkt, damit ich meinen Frust abreagieren kann. Trainiert auch die Fingermuskulatur.«



Gegen seinen Willen musste Alan grinsen, als sie ihm den Ball in die Hände legte.



Hayes tätschelte seine Schulter. »Viel Spaß beim Trainieren. Wenn Sie mich brauchen, benutzen Sie den Sender. Stört es Sie, wenn ich Musik höre?«



Alan schüttelte den Kopf.



»Fein«, meinte sie.



Wieder hörte er, wie sich ihre Schritte entfernten. Es klackte, bevor sie sich setzte, dann drangen die Töne einer Opernarie an seine Ohren. Ridi, pagliaccio, erkannte er endlich. Aber nach Lachen war ihm wirklich nicht zumute. Er lauschte, während seine Finger mit dem Ball spielten, und hörte, wie Hayes nach einer Weile mitsummte.



Plötzlich hielt er inne. Ein Bild fiel ihm ein. Eine weiße Gestalt, die Dean und ihm den Weg zum Shuttle versperrte. Katsuko war tot, rief er sich ins Bewusstsein. Es musste ein Traum gewesen sein, mehr nicht. Aber Dean hatte sie beiseitegeschoben. Oder irrte er sich? Aber wenn es nicht Katsuko gewesen war, die Dean beiseitegeschoben hatte, wer war es dann gewesen?




»Heh, Alter!«



Der Vorhang, mit dem Alans Bett vom Rest des Zimmers abgeteilt war, raschelte und gab den Blick auf Dean frei, der mit einem Grinsen an das Bett trat. Er sah sich nach einer Sitzgelegenheit um und setzte sich schließlich auf die Bettkante.



»Du siehst scheiße aus, Alter.«



Als Antwort hob Alan die Hand und deutete einen Boxhieb in Deans Richtung an.



»Heh, so dankst du es mir, dass ich dich gerettet habe? Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr Benton und ich geschuftet haben, damit dir nicht die Lichter ausgeblasen werden?«



Alans Finger krampften sich in die Decke. Das Zimmer stürzte auf ihn ein, wurde zu einem Tunnel aus Schwärze, aus dem sich eine weiße Gestalt schälte. Das Fiepen des Herzmonitors riss Alan in die Realität zurück. Er schwitzte.



»Benton hat dich ins Shuttle getragen. Und ich habe mindestens eine Viertelstunde lang Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht, bis Benton dich endlich an den Schlauch angeschlossen hatte. Scheiße, Alan, ich hab wirklich gedacht, du springst uns über die Klinge …«



Deans Augen schimmerten. Er tastete nach Alans Hand und tätschelte sie. Seine Handfläche fühlte sich feucht an.



»Der Lieutenant hat sich öffentlich bei dir bedankt. Wenn’s die Erde noch gäbe, dann würden sie jetzt bestimmt ’ne Straße nach dir benennen.«



In Alans Kehle zuckte es. Er keuchte, Lachtränen in den Augen.



Deans Pupillen weiteten sich. »Heh, alles in Ordnung?«



Er wollte Alan an den Schultern fassen, doch Alan packte sein Handgelenk und hielt ihn fest. Eine Weile starrten sie sich nur an. Das Beatmungsgerät zischte. Wie um alles in der Welt brachte er Dean dazu, dass er ihm erzählte, was mit der Gestalt in Weiß geschehen war?



Endlich löste sich Dean aus seiner Starre und richtete sich wieder auf. »Übrigens. Wenn ich gewusst hätte, dass du so gut mit dem Ding umgehen kannst, hätte ich mir nicht vor Angst in die Hosen machen müssen. Das sah aus wie in einem dieser Eastern. Ohne das Gift hätte dieses Affengesicht echt alt ausgesehen. Gut, dass Doktor Hayes ein Gegengift gefunden hat.«

 



Hatte sie das? Der Zweifel wuchs wieder.



Dean grinste. »Wart’s nur ab, bis du wieder auf dem Damm bist. Vielleicht finden wir ja den Whiskey, den Mister Racek im Maschinenraum versteckt hat.« Er setzte sich zurecht. »Dass die Krail-on den Schwanz eingezogen haben, hat dir Mister Mabuto bestimmt schon erzählt. Yael ist mir vor Freude um den Hals gefallen, als wir zurück waren. Du hast wirklich was verpasst, Alter. Aber das Essen in der Kantine ist immer noch nicht viel besser.«



Eine Weile sahen sie sich nur an, bis Dean grinste. »Du hast mich erwischt. Mir ist tatsächlich der Gesprächsstoff ausgegangen.«



Rede weiter

, dachte Alan.

Erzähl mir mehr!



Als er begriff, dass Dean nach Gründen suchte, um noch bei ihm zu bleiben, wurde ihm eng. Ohne sich dessen bewusst zu sein, verstärkte er den Druck um Deans Handgelenk.



Du musst nicht reden

, wollte er ihm sagen.

Es ist schön, dass du da bist.



Aber Dean gab sich nicht so einfach geschlagen. »Ich hab’s«, sagte er. »Wir könnten Schach spielen. Was hältst du davon?« Er schüttelte Alans Hand ab, kramte ein Notepad hervor und drückte ein paar Tasten. »Okay. Du hast den ersten Zug.« Mit Triumph hielt er Alan das Notepad entgegen.



Alans Finger bebten, als er das Notepad ergriff. Er drückte das Schachspiel weg und suchte den Eingabemodus. Dann tippte er den Satz ein: »Das Ding hättest du mir gleich geben können.«



Als er Dean das Notepad zurückreichte, schlug dieser sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ich bin ein Idiot. Asche auf mein Haupt. Okay, nein, sag nichts. Ich meine …« Dean grunzte. »Ich labere und labere. Hier nimm!«



Alan nahm das Notepad und löschte den letzten Satz. »Was ist mit der Frau, die uns aufhalten wollte?«, gab er stattdessen ein. Gespannt sah er Dean an, als dieser den Blick darüber fliegen ließ.



»Frau?« Dean runzelte die Stirn. »Oh, die Krail-as meinst du. Nachdem sie dir die Hand geschüttelt hatte, wurde sie ziemlich hartnäckig. Sie bestand darauf, mitzukommen. Ich meine, was sollte ich tun? Ich saß da, machte Mund-zu-Mund-Beatmung. Benton suchte das Erste-Hilfe-Set. Wir hatten wirklich keine Zeit, sie aus dem Shuttle zu bitten. Und als Benton dich endlich angeschlossen hatte, kamen die Krail-on. Benton hat versucht, sie … äh … rauszuwerfen. Aber ich dachte mir, dass es nicht klug ist, zu lange zu warten – schon deinetwegen nicht – und bin gestartet. Den Rest kennst du.«



Alan traute seinen Ohren nicht. Er riss Dean das Notepad aus der Hand. »Sie ist hier?« Mit zitternder Hand hielt er Dean den Satz vor die Nase.



»Jep. Du hättest Mister Mabutos Gesicht sehen sollen, als sie ausstieg. Ich dachte, er würde gleich explodieren. Er wollte die Krail-on kontaktieren, aber die waren schon abgehauen, bevor er dazu kam.« Dean schnaubte. »Ich dachte, er lässt mich die Kombüse schrubben, als ich ihm alles erzählt hatte. Er war ganz aus dem Häuschen. Aber Doktor Hayes hat ihn zu sich gerufen, bevor er mit mir fertig war. Schien wichtig zu sein. Seitdem hat er sich nicht mehr gerührt.«



Es schien Alan, als warte Dean immer noch auf seine Hinrichtung. Ungeduldig nahm er ihm wieder das Notepad aus der Hand. »Wer ist sie?«, hielt er Dean entgegen.



»Keine Ahnung.« Dean breitete die Arme aus. »Ich weiß nur, dass Mister Mabuto sie im Quartier des Commanders untergebracht hat und sie bewachen lässt. Mister Graham hat mir erzählt, dass er sie ein paar Mal besucht hat. Aber der Lieutenant schien nicht glücklich zu sein, als er sie verließ. Graham sagt, sie habe ihn gefragt, wo der Kass-Un sei. Daraufhin hat der Lieutenant ihm verboten, mit ihr zu reden, wenn er ihr das Essen bringt.« Dean gluckste. »Scheint nicht mit ihm reden zu wollen, die Gute.«



Sie wollte nicht Mabuto, sondern ihn sprechen, erkannte Alan. Und er bezweifelte, dass Mabuto das schmeckte.




Als sie am Nachmittag die Übungen wiederholten, stellte Hayes die Atemfrequenz um eine weitere Stufe herab.



»Sie machen das wunderbar«, meinte sie, während sie sein Bein beugte. »Wenn Sie sich weiter so anstrengen, dann können wir morgen bestimmt den Tubus entfernen.«



Nur um ihr einen Gefallen zu tun, versuchte er ein Lächeln und sie schien es zu bemerken.



Kuosmanen kam einige Male herein und schenkte ihm jedes Mal ein Hallo, bevor sie wie