Die Blaue Revolution

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Die Blaue Revolution
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Die Blaue Revolution

Die Blaue Revolution von Peter Staub wird unter Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International lizenziert, sofern nichts anderes angegeben ist.

© 2020 – CC-BY-NC-ND (Werk), CC-BY-SA (Texte)

Autor: Peter Staub Verlag & Produktion: buch & netz (buchundnetz.com) Umschlaggestaltung: Corinne Vonaesch, Zofingen ISBN: 978-3-03805-304-0 (Print – Hardcover) 978-3-03805-303-3 (Print – Softcover) 978-3-03805-368-2 (PDF) 978-3-03805-369-9 (ePub) 978-3-03805-370-5 (mobi/Kindle) Version: 0.52-20201109

Dieses Werk ist als buch & netz Online-Buch und als eBook in verschiedenen Formaten sowie als gedrucktes Buch verfügbar. Weitere Informationen finden Sie unter der URL: https://buchundnetz.com/werke/die-blaue-revolution/.

Inhalt

  Prolog

  1. Eine Nation – eine Demokratie

  Wer ist Peter Staub? Erwachen

  2. Die Zeit drängt – die Klimakrise verschärft sich

  Antimilitarist

  3. Flucht und Migration sind Dauerbrenner

  Journalist und Hausmann

  4. Die Frauen erkämpfen das Menschenrecht

  Revolutionär

  5. Die Wurzeln der Demokratie reichen tief

  Taxi-Chauffeur und Roman-Autor

  6. Wie sich die Schweizer Demokratie entwickelt hat

  Ici c’est Bienne

  7. Eine nachhaltige Wirtschaft ist möglich

  Nächster Anlauf

  8. Was tun?

  Epilog: Einführung in den Verfassungsentwurf

  Entwurf: Bundesverfassung der Vereinigten Staaten der Welt

Prolog

Eine andere Welt ist nicht nur möglich. Eine bessere Welt ist machbar. Es ist Zeit, zu handeln.

In den letzten Jahren hat es oft so ausgesehen, als sei es nicht mehr möglich, politische Fortschritte zu machen. In vielen Ländern waren rechtsextreme Parteien im Vormarsch und alte, reaktionäre Männer gaben den Ton an, von den USA über Brasilien und die Türkei bis Australien. Dann tauchte im Herbst 2018 wie aus dem Nichts Greta Thunberg auf. Die junge Frau aus Schweden schaffte es mit ihrem Schulstreik fürs Klima innerhalb weniger Wochen, was in den letzten Jahren weder Umweltorganisationen wie Greenpeace und Aktivist*innen wie Al Gore noch die zahlreichen UNO-Klimakonferenzen erreicht hatten: Plötzlich gingen Millionen von Menschen auf die Strasse, um für eine progressive Klimapolitik zu demonstrieren.

Als sich ab Januar 2020 sich das neue Coronavirus Covid-19 weltweit zu verbreiten begann, war zwei Monate später plötzlich nichts mehr so wie zuvor. Rund um den Globus verfügte ein Land nach dem anderen den Lockdown: Flugzeuge blieben am Boden, Restaurants wurden geschlossen, das öffentliche Leben kam zum Erliegen.

Als in der Schweiz der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» und den Lockdown ausrief, hatte ich bereits seit vier Monaten intensiv an diesem Buch gearbeitet. Unterdessen hat Covid-19 die Welt verändert. Aber die in diesem Buch dargelegten weltweiten Probleme – wie die Klimakrise oder die Millionen Flüchtlinge und die massive Unterernährung von nahezu einer Milliarde Menschen rund um den Globus – existieren weiter. Covid-19 ändert nichts daran, dass wir globale Antworten auf globale Fragen brauchen. Im Gegenteil: Die Coronakrise hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, wie eng verbunden wir auf der ganzen Welt sind. Und dass nationale Antworten auf globale Fragen ungeeignet sind, die Probleme tatsächlich zu lösen.

Die Grenzen zu schliessen, war vielleicht psychologisch wichtig und richtig. Mit dieser Symbolpolitik konnten die Regierungen für einen Moment Führungsstärke zeigen und etwas Vertrauen vermitteln. Doch solche Aktionen erinnern eher an mittelalterliche Strategien der Pestbekämpfung, als die Städte die Zugbrücken hochzogen, um die Bevölkerung zu schützen. Allein, gegen das Virus nützten die Grenzschliessungen so wenig wie die Wassergräben gegen die Pest.

Der Mangel an Schutzmasken und Medikamenten, die bis zum Ausbruch der Coronakrise zum grössten Teil in China oder Indien produziert wurden, warfen Fragen nach den Grenzen der wirtschaftlichen Globalisierung, der weltweiten Arbeitsteilung auf. Das ist gut. Denn diese Fragen muss man sich auch im Hinblick auf die Klimakrise stellen: Bei welchen Produkten ist es richtig und wichtig, dass sie lokal oder gar regional hergestellt werden? Bei welchen Artikeln macht es Sinn, dass Teile davon über den ganzen Globus verteilt produziert werden?

Bei der Diskussion über mögliche Antworten stösst man unweigerlich auf die entscheidende Frage: Wer kann diese Fragen überhaupt abschliessend beantworten? Damit sind wir beim Kernthema dieses Buches: Wer ist der Souverän auf dem blauen Planeten? Die amerikanische Regierung? Die G-7? Die G-20? Bisher gibt es keinen definierten globalen Souverän.

In der halbdirekten Demokratie der Schweiz ist die stimmberechtigte Bevölkerung der Souverän. Sie wählt nicht nur das nationale Parlament, also die Legislative. Sie entscheidet auch regelmässig über die entscheidenden Fragen der Politik. Wenn wir in diesem Demokratieverständnis einen globalen Souverän definieren wollen, brauchen wir vorab eine globale Demokratie. Als überzeugter Basisdemokrat behaupte ich, dass wir nur so gewappnet sein werden, um aktuelle und kommende weltweite Krisen intelligent und gerecht zu bewältigen.

Am Anfang dieses Buches steht eine alte Idee: Eine Welt ohne Krieg und Ausbeutung ist möglich. Obwohl man mir schon früh sagte, eine friedliche und gerechte Welt sei eine Utopie und unmöglich zu realisieren, halte ich an meiner Vision fest. Unterdessen sind es rund 40 Jahre, in denen ich mich praktisch und theoretisch damit beschäftige, wie es möglich sein kann, die Welt so zu organisieren, dass wir Armut, Umweltzerstörung und Krieg dauerhaft überwinden können.

Weil ich mich weder von Parteien und Parlamenten noch von der Werbung und der Wirtschaft vereinnahmen liess, ist es mir trotz einiger Schwierigkeiten gelungen, mir den Optimismus aus der Jugendzeit zu erhalten.

Nun steht hier das Wort. «Die Blaue Revolution» legt einen konkreten Plan vor, wie wir gemeinsam den alten Menschheitstraum eines anständigen Lebens für alle realisieren können. Das Buch legt dar, warum wir angesichts des drohenden Klimakollapses keine anständige Alternative haben, als uns zusammenzuraufen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Dieses Buch ist auf der einen Seite bloss ein weiterer Schritt auf einem langen Weg, den in den letzten Jahrhunderten zahllose bekannte und unbekannte Frauen und Männer vorgespurt haben. Auf der anderen Seite zeigt es auf, warum es nun höchste Zeit ist, die Vision einer friedlichen Welt in die Tat umzusetzen und wie das das möglich ist.

Um die Blaue Revolution zu realisieren, wird es eine Vielzahl von Menschen brauchen, die sich unerschrocken engagieren. Die den Mut aufbringen, Grenzen zu überwinden. Grenzen, die real existieren, und Grenzen, die wir nur in unseren Köpfen haben. Menschen, die den Mut haben, für ihre Idee den Kopf hinzuhalten. Egal, ob sie ausgelacht oder ob sie verhöhnt werden.

Die Zeit drängt. Wenn es uns gelingen soll, weltweit eine für alle Menschen gerechte und eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft aufzubauen, müssen wir uns beeilen. Denn das Zeitfenster, in dem wir den Klimakollaps noch abwenden können, ist nicht mehr lange offen. Viel länger als zehn Jahre haben wir voraussichtlich nicht mehr, bevor sich das Klima auch ohne unser Zutun weiter erhitzt. Wenn wir unseren Kindern und Kindeskindern eine einigermassen intakte, lebensfreundliche Umwelt hinterlassen wollen, müssen wir jetzt endlich ernsthaft beginnen, die Welt zu verändern.

Wenn die Regenwälder weiter im aktuellen Ausmass und Tempo abgeholzt oder abgebrannt und wenn alle neuen Kohlekraftwerke gebaut werden, die bereits geplant sind, werden wir die sogenannten Kipppunkte allerdings noch früher erreichen, als dies die Klima-Forscher*innen befürchten.

Wenn es uns nicht gelingt, die Klimaerwärmung früh genug zu begrenzen, ist es wahrscheinlich, dass die Menschheit weiter in der Barbarei versinkt, in dem weite Teile der Weltbevölkerung bereits heute leben. Nur wenn es uns gelingt, rechtzeitig eine demokratische Weltgesellschaft zu schaffen, können wir verhindern, dass am Ende alle gegen alle ums Überleben kämpfen.

 

Dass es innerhalb des herrschenden Systems möglich ist, den Klimakollaps abzuwenden, war schon immer unwahrscheinlich. Heute ist es praktisch unmöglich. Obwohl sich fast alle Staaten im Pariser Abkommen von 2015 weltweit verpflichteten, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, passierte faktisch nichts. Es gibt nach wie vor keine allgemein bekannte Road Map, die einen Weg aufzeigt, wie es der Weltgemeinschaft gelingen soll, mit der grössten Herausforderung zurechtzukommen, mit der es die Menschheit je zu tun hatte.

Noch aber haben wir die Möglichkeit, dieses System grundlegend zu verändern. Dafür brauchen wir einen überzeugenden Plan. Und wir müssen uns geschickt organisieren. Dann kann es nicht nur gelingen, die Klimaerwärmung zu stoppen, sondern wir schaffen es gleichzeitig auch, die Welt für alle Menschen zu einem besseren Ort zu machen.

Die Menschen werden ihre Gewohnheiten allerdings nur dann ändern, wenn es uns gelingt, ihnen realistische Hoffnung auf ein besseres Leben zu machen. Nur wenn sie daran glauben, dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen, werden sie sich mit uns auf den Weg machen. Deshalb brauchen wir neben dem Ziel und einem Plan auch einen demokratischen Prozess, an dem alle teilnehmen können, die guten Willens sind. Einen Prozess, in den sich alle aktiv einbringen können. Kurz, wir brauchen eine vielfältige, basisdemokratische Graswurzelbewegung, um die Blaue Revolution zu einem Erfolg zu machen. Nur wenn wir die Theorie mit einer lebendigen Praxis verbinden, werden sich die engagierten Menschen als Gewinner*innen fühlen.

Dass die Menschen im globalen Norden materiellen Ballast abwerfen müssen, ist im Sinn der Klimagerechtigkeit unausweichlich, da sind sich die Klimajugend und die Umwelt-Expert*innen einig. Die materiellen Einschränkungen werden uns leichter fallen, wenn sie gerecht geregelt sind. Und wenn wir gleichzeitig das solidarische Zusammenleben neu entdecken.

Dass wir angesichts der Klimakrise die Welt neu denken müssen, ist keine neue Erkenntnis. Einer der populärsten politischen Denker der Gegenwart ist der israelische Historiker Yuval Noah Harari, der mit seinem Buch «Eine kurze Geschichte der Menschheit» global bekannt wurde.

Harari sagte in einem Interview, dass das aktuelle politische System die Fähigkeit verloren habe, «sinnvolle Visionen für die Zukunft zu entwerfen». Während sich die Welt extrem schnell verändere, habe niemand eine Idee, wo wir in 30 Jahren stehen werden. Dass die fortschrittlichen Parteien in Westeuropa und Nordamerika ihren Wähler*innen keine vernünftige Vision mehr glaubhaft machen konnten, ist eine der Ursachen für ihren Krebsgang. Wobei allerdings die konservativen Parteien erst recht keine Zukunft haben, da die Zeit für nationale Lösungen definitiv vorbei ist: «Die drei grössten globalen Probleme lassen sich nur durch weltweite Kooperation lösen: Klimawandel, nukleare Bedrohung und technologische Entwicklung», sagt der Dozent für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem zu Recht. Denn das Überleben der Menschheit ist nur möglich, «wenn die Menschheit zusammenspannt».

Um den Nationalismus zu überwinden, müssen wir gemeinsam den nächsten Schritt in der menschlichen Evolution machen: weg von nationalen Identitäten hin zur globalen Menschheit. Wir müssen «die Zahl der Fremden, denen wir uns verbunden fühlen, von ein paar Millionen auf acht Milliarden erhöhen.» Das gelingt aber nur, wenn wir unsere bisherigen nationalen politischen Systeme überwinden und über ein globales politisches System, eine globale Verfassung, eine globale Regierung und globale Sozialsysteme nachdenken.

Harari gibt keine Antwort darauf, wie das Problem des Klimawandels international gelöst werden kann. Aber er legt die Spur, in welche Richtung es gehen muss. Für ihn ist die liberale Demokratie das beste Regierungssystem, das die Menschheit je geschaffen hat. Dabei ist diese Demokratie weder naturgegeben noch ewig. Nicht viel älter als 200 Jahre, ist sie an wirtschaftliche, politische und technologische Bedingungen geknüpft. «Wechseln die Bedingungen, muss die Demokratie sich verändern. Wir können nicht erwarten, dass sie so bleibt wie im 20. Jahrhundert», sagt der israelische Historiker.[1]

Und weil sich die Welt in den letzten 200 Jahren fundamental verändert hat, müssen wir die liberale Demokratie revolutionieren. Die Menschheit lebt heute in einer globalen Wirtschaft, in einer globalen Gesellschaft. Deshalb müssen wir die Demokratie globalisieren.

Das scheint zwar eine Utopie zu sein. Aber warum soll eine demokratische Welt nicht funktionieren?

Die verschiedenen Weltgegenden sind heutzutage wirtschaftlich und gesellschaftlich stärker miteinander vernetzt, als es etwa die Schweizer Kantone bei der Gründung des modernen, demokratischen Bundesstaates im Jahr 1848 waren. Wie es vor über 170 Jahren möglich war, dass ein ungebildeter katholischer Bergbauer aus einem Bergdorf im Kanton Graubünden die gleichen Rechte hatte wie ein protestantischer Grossbürger aus der Metropole Genf, der mehrere Sprachen beherrschte und in der Welt herumreiste, ist es heute möglich, einer Bäuerin aus dem Hochland der Anden dieselben politischen und sozialen Rechte zuzugestehen, wie einem Bankdirektor in Zürich.

Auch kulturell ist die Welt heute stärker vernetzt, als dies bei der Gründung der demokratischen Schweiz innerhelvetisch der Fall war: Die Welt hat sich in ein globales Dorf verwandelt, in dem die Jugendlichen nicht nur fast überall die gleiche Musik hören oder die gleichen Netflix-Serien schauen, sondern auch gleichzeitig in zahlreichen Ländern mit ähnlichen Slogans für Freiheit und Gerechtigkeit demonstrieren. Nachrichten verbreiten sich heute rund um den Globus schneller, als sich vor zweihundert Jahren die Meldung herumsprach, dass es im Nachbardorf brannte.

Wir haben heute die materiellen und technischen Fundamente, auf denen wir diese Welt gemeinsam und demokratisch organisieren können. Wir haben die Mittel und Möglichkeiten. Und wir haben das Motiv.

Das Ziel dieses Buches ist es, die politische Situation nicht nur zu analysieren, sondern mit einem konkreten Plan die Diskussion anzuregen: Wie können wir die Welt grundlegend und gewaltfrei verändern? Wie können wir möglichst viele Menschen dazu bewegen, sich für eine globale Demokratie zu engagieren?

Der Plan, wie wir eine gerechte, soziale und umweltverträgliche Verfassung für die «Vereinigten Staaten der Welt» erreichen, hat einen Namen: die Blaue Revolution. Die Blaue Revolution öffnet die Türe zu einem neuen Zeitalter der Menschheit. Die Blaue Revolution sorgt dafür, dass die Kinder künftig überall auf der Erde in einer Welt aufwachsen, in der Armut und Krieg, Ausbeutung und Umweltzerstörung der Vergangenheit angehören. Das «Blau» bezieht sich auf den blauen Planeten, zeigt also die globale Dimension der Revolution auf.

Keine Angst: Wir schaffen das. Yes, we can.

Auch nach der Blauen Revolution wird die Erde kein Paradies sein, in dem die Lämmer neben den Löwen liegen. Aber der blaue Planet wird allen Menschen ein Zuhause bieten, in dem sie frei, gleichberechtigt und anständig leben können. Er wird ein Ort sein, wo die Menschen unter sich solidarisch sind und zu den Tieren, zu den Gewässern, zum Boden und zur Pflanzenwelt Sorge tragen.

Noch kann man diese Vision als Utopie bezeichnen. Aber sie ist keine Spinnerei. Sie ist eine konkrete Utopie, die wir gemeinsam realisieren können. Es ist eine Vision einer neuen Welt, die wir uns erarbeiten müssen. Anders werden wir die grösste Herausforderung, vor der die Menschheit je gestanden hat, nicht friedlich bewältigen können.

Von selbst jedoch passiert gar nichts. Um die Blaue Revolution zum Erfolg zu führen, braucht es auch dich. Braucht es deinen Mut, deine Fantasie und dein Engagement. Aber für die Blaue Revolution braucht es keinen «Neuen Menschen». Und die Blaue Revolution braucht erst recht keinen Leader.

Obwohl wir Neuland betreten und neue politische Initiativen entwickeln werden, ist die Blaue Revolution kein waghalsiges politisches Experiment, das in Chaos oder Diktatur enden wird. Denn die Blaue Revolution baut auf die Erfahrungen, welche die Menschen in den letzten 200 Jahren in demokratischen Gesellschaften gemacht haben.

Die Blaue Revolution zählt auf den universellen Freiheitswillen, der die Menschen in den letzten Jahren von Santiago de Chile über Beirut, Bagdad und Teheran bis Hongkong auf die Strasse getrieben hat. Und die Blaue Revolution vertraut auf die menschliche Empathie und die soziale Verantwortung, die Millionen von Jugendlichen rund um den Globus an den Fridays for Future-Kundgebungen für eine nachhaltige Klimapolitik demonstrieren lassen.

Die Blaue Revolution ist nicht nur von der Amerikanischen, der Haitianischen oder der Französischen Revolution inspiriert, sie beruft sich auch auf Befreiungskämpfe in den ehemals kolonialisierten Staaten, auf die Bürgerrechtsbewegungen und auf die emanzipatorischen Kämpfe der Frauen, der Lohnabhängigen, der Indigenen und der Homosexuellen. Deshalb steht die Blaue Revolution auch auf den Schultern von Gigant*innen der Menschheitsgeschichte, die für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit gekämpft haben. Über Jahrhunderte hinweg bezahlten Millionen Frauen und Männer weltweit mit ihrem Leben für den Kampf für Gerechtigkeit und Solidarität. Sie alle haben den Weg bereitet, auf dem wir nun in eine demokratische Zukunft schreiten werden. Menschen wie Spartakus, Rosa Luxemburg, Simone de Beauvoir, Mahatma Ghandi oder Martin Luther King kämpften für eine gerechte Welt, so wie sich heutige Held*innen wie Greta Thunberg oder Megan Rapinoe für sozialen und ökologischen Fortschritt einsetzen.

Am Schluss des Kommunistischen Manifestes aus dem Jahr 1848 heisst es: «Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.» Die Ketten beziehen sich auf ein Zitat des schweizerisch-französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau, der bereits im Jahr 1762 im «Gesellschaftsvertrag» analysierte: «Der Mensch ist frei geboren, und überall ist er in Ketten.»

Diese Ketten will die Blaue Revolution sprengen. Aber nicht «durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung», wie das die Parteikommunisten beabsichtigten. Nicht nur, weil es im Zeitalter der Atombomben fahrlässig wäre, mit dem Feuer zu spielen. Zu viele emanzipatorische Revolutionen, die sich mit Gewalt durchsetzten, vernichteten nicht nur ihre Gegner, sondern frassen am Ende auch die eigenen Kinder.

Deshalb ist es nicht mehr als bloss vernünftig, klar zu sagen: Die Blaue Revolution muss gewaltfrei sein, wenn sie eine gewaltfreie Gesellschaft etablieren will.

Mit dem Erfolg der Blauen Revolution werden wir die Fahne der Französischen Revolution von halbmast ganz nach oben ziehen. Die universell gültigen allgemeinen Menschenrechte werden nicht mehr bloss für die Angehörigen einer bestimmten Nation, sondern für alle Menschen gelten: Egal, wo sie geboren wurden, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe sie haben.

Wie kann das gelingen?

Die Blaue Revolution wird dafür sorgen, dass die Menschheit den Nationalismus überwindet und sich in einer globalen, grenzenlosen Demokratie organisiert, die ihre Wurzeln in demokratischen Kommunen hat. Die Armut und Ausbeutung weltweit zu überwinden, gelingt nur, wenn wir einen entsprechenden politischen Rahmen bauen. Dafür braucht es den entsprechenden politischen Willen. Es ist ein Ziel von «Die Blaue Revolution» aufzuzeigen, wie dieser Willen organisiert werden kann, damit er eine Mehrheit erreicht. Dazu braucht es keine Einheitspartei. Aber es braucht Menschen, die sich in vielen verschiedenen demokratisch organisierten Gruppen und Gremien dafür einsetzen.

Eine globale Demokratie zu erreichen, welche die Macht der bisherigen Herrscher*innen einschränkt und die Weltbevölkerung zum Souverän macht, wird nicht einfach sein. Nicht wenige, die von der bisherigen politischen und wirtschaftlichen Unordnung profitieren, werden sich gegen den politischen Wandel zu mehr Gerechtigkeit wehren. Obwohl sie praktisch uneingeschränkte Machtmittel verfügen, werden sie uns höchstens bremsen können: Nichts kann eine Idee aufhalten, deren Zeit gekommen ist.

 

Die Idee einer globalen Demokratie ist nicht neu. Der französische Schriftsteller Victor Hugo sprach bereits im 19. Jahrhundert von der Idee der «Vereinigten Staaten der Welt»[2]. Und der Schweizer Dichter Friedrich Dürrenmatt prognostizierte in seinem 1985 veröffentlichten Kriminalroman «Justiz» sogar, dass die Welt entweder «verschweizern» oder untergehen werde.[3]

Die Blaue Revolution nimmt die Ideen dieser Schriftsteller auf und konkretisiert sie für die Umsetzung im 21. Jahrhundert: eine globale Demokratie in Form der Vereinigten Staaten der Welt mit einer globalen Verfassung, die auf jener der Schweizerischen Eidgenossenschaft basiert.

Die Verfassung der Confoederatio Helvetica ist in der aktuellen Variante allerdings nicht zukunftsfähig. Die Schweiz ist auch keine Musterdemokratie. Darüber kann ich selbst ein Liedchen singen, wurde ich doch in den 1980er-Jahren vom Schweizer Staatsschutz überwacht und registriert, bloss weil ich meine verfassungsmässigen Rechte wahrgenommen hatte.

Andere litten jedoch ungleich stärker unter den Mängeln der Schweizer Demokratie. Zum Beispiel die sogenannten Verdingkinder. Bis ins 20. Jahrhundert liessen Schweizer Behörden Jugendliche auf Dorfplätzen versteigern. Dabei wurden nicht nur Kinder Opfer von Zwangsarbeit oder Vergewaltigungen. Auch Mütter wurden zwangssterilisiert, Ungeborene zwangsabgetrieben, Kleinkinder zwangsadoptiert. «Selbst Jugendliche landeten in geschlossenen Anstalten – ohne Gerichtsurteil, bis 1981».[4] Wie viele Betroffene es gab, ist nicht bekannt. Allein im letzten Jahrhundert waren es Hunderttausende.

Auch gab es in der Schweiz viel zu lange die Geschlechter-Apartheid: Während die Männer seit der Gründung der demokratischen Schweiz im Jahr 1848 abstimmen und wählen durften, galten die Frauen lange als Menschen zweiter Klasse: Bis zur Revision des Schweizer Eherechtes im Jahr 1988 galt der Mann als gesetzliches Oberhaupt der Familie; eine verheiratete Frau durfte nur mit der Zustimmung ihres Ehegatten einer Lohnarbeit nachgehen. Noch heute verdienen Frauen in der Schweiz bei gleichwertiger Arbeit 20 Prozent weniger als Männer, obwohl die Frauen seit 1996 rechtlich den Anspruch auf gleichen Lohn haben.[5]

Trotzdem hat die Verfassung der Schweiz gegenüber anderen Demokratie-Modellen einige bemerkenswerte Vorteile, sodass sie geeignet ist, um für die globale Demokratie Pate zu stehen. Dazu gehören vor allem das Rätesystem und die direktdemokratischen Instrumente.

Das Rätesystem gilt für die Regierungen von den Gemeinden über die Kantone bis hin zum Bund. Es ist für eine demokratische Weltregierung viel praktischer als ein Präsidialsystem, wie es etwa die USA oder Frankreich kennen. In einem siebenköpfigen Weltbundesrat könnten so beispielsweise alle Weltregionen, alle Geschlechter und die relevanten Weltanschauungen angemessen vertreten sein. Und weil im Weltbundesrat wie im Schweizer Original das Präsidium jedes Jahr wechseln würde, gäbe es statt eines Personenkults immer wieder Abwechslung an der Spitze der Weltregierung.

Mit Mitwirkungsmöglichkeiten à la mode helvétique könnte die Weltbevölkerung beispielsweise via Volksinitiativen und Volksabstimmungen über Verfassungsänderungen direkt politisch Einfluss nehmen.

Eine demokratische Weltordnung kann aber nicht nur die Projektion eines nationalen Demokratiemodells sein, sie muss die liberale Demokratie gleichzeitig modernisieren. Deshalb schlägt «Die Blaue Revolution» ein paar ganz neue Verfassungsartikel vor.

Zu den Grundübeln bürgerlicher, demokratischer Gesellschaften gehört beispielsweise die äusserst ungleiche Verteilung der Vermögen. Wenn das reichste Prozent der Gesellschaft gleich viel Vermögen besitzt wie die gesamte ärmere Hälfte der Gemeinschaft, kann von Gleichheit und Demokratie höchstens in Anführungszeichen gesprochen werden.

In der Weltwirtschaft sorgen zudem die für den globalen Süden höchst unvorteilhaften Terms of Trade dafür, dass die industrialisierten Staaten den globalen Reichtum unter sich verteilen. Auch die Unart, allgemeine Güter wie Wasser und Grund und Boden als Privateigentum zu betrachten, ist bis heute für Ungleichheiten verantwortlich, welche die Demokratie ad absurdum führen.

Deshalb nehme ich beim Entwurf für eine globale demokratische Verfassung im Anhang dieses Buches gegenüber dem schweizerischen Original ein paar wichtige Änderungen vor, die in den vorhergehenden Kapiteln von «Die Blaue Revolution» ausführlich begründet werden.

Mit seinem konkreten Vorschlag für eine demokratische, gerechte und nachhaltige Weltordnung bietet die Blaue Revolution den Menschen eine neue positive Vision. Eine solche ist dringend nötig, denn «der Linken mangelt es an einer glaubwürdigen Geschichte als Alternative zum Neoliberalismus», wie etwa der deutsche PR-Profi Imran Ayata sagt.[6]

Auf den folgenden Seiten lege ich dar, wie wir der Hoffnung auf ein besseres Leben wieder Nahrung geben können. Wie wir es noch rechtzeitig schaffen, das Ruder herumzureissen und unser gemeinsames Boot in eine neue Richtung lenken können, sodass wir gemeinsam das Ufer einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft erreichen werden.

Weil ich weder durch Funk noch durch Fernsehen oder Film bekannt bin, erzähle ich zwischen den einzelnen Kapiteln ein wenig aus meinem Leben.

Die Zukunft des blauen Planeten ist hoffentlich weiblich geprägt. Deshalb hat in diesem Prolog die nigerianische Autorin Ndidi Okonkwo Nwuneli das letzte Wort: «Damit wir in Frieden zusammenleben können, braucht es Gerechtigkeit in einer Gesellschaft: Gendergerechtigkeit, Klimagerechtigkeit und Gleichberechtigung von Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe.»[7]

1 «NZZ am Sonntag», Zürich, 30. September 2018 ↵

dicocitations.lemonde.fr/blog/je-represente-un-parti-qui-nexiste-pas-encore-le-parti-revolution-civilisation-ce-parti-fera-le-vingtieme-siecle-il-en-sortira-dabord-les-etats-unis-deurope-puis-les-etats-unis-du-monde

3 Dürrenmatt, Friedrich, «Justiz», Zürich, 1985, Seite 41 ↵

www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/verdingkinder-in-der-schweiz-wir-kindersklaven-a-1111341.html

www.amnesty.ch/de/themen/menschenrechte/dok/2018/70-jahre-allgemeine-erklaerung-der-menschenrechte/buch/frauenrechte-in-der-schweiz-menschenrechte-im-schneckentempo

6 «Der Bund», Bern, 5. November 2019 ↵

7 «Sonntagsblick», Zürich, 3. November 2019 ↵