Finsterdorf

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

14.

Während Steiger den Streifenwagen der Polizeiinspektion Gresten gemächlich nach Schandau lenkte, erzählte sie beinahe entschuldigend, dass hier in der Gegend nicht viel los sei. Keine großartigen Freizeitangebote oder sonstigen Möglichkeiten, der Langeweile zu entfliehen. Und natürlich gebe es auch kaum Kriminalität. Ab und zu einen Einbruch, manchmal eine Körperverletzung oder eine Sachbeschädigung. Meistens Wirtshausraufereien oder Vandalenakte von Jugendlichen. Sonst nichts. Einmal, das schien sie zu belustigen, hätten sie einen echten Wilderer gehabt, der in der Gegend sein Unwesen trieb. Da seien die Jäger völlig ausgerastet und hätten sich auf die Pirsch gelegt, ihn aber nicht erwischt. Der Wilderer habe innerhalb eines Jahres dreimal zugeschlagen und dann aufgehört. Die Jäger hätten jeden in Gresten und Umgebung verdächtigt und eigenständig versucht, den Wilderer auszuforschen. Aber der sei bis heute unentdeckt. Na ja, dachte Radek, diese Sorgen möchte man haben.

Das Haus, in dem die Lindners wohnten, mochte zehn oder fünfzehn Jahre alt sein und befand sich in einer Sackgasse, an der sich links und rechts Einfamilienhäuser auffädelten. Lediglich das erste Grundstück an der Ecke zur Hauptstraße war unbebaut.

»Ich würde gerne zuerst mit dem Mädchen sprechen«, erklärte Radek, als Steiger den Streifenwagen vor dem Haus parkte.

»In Ordnung, lass mich das mit der Mutter aushandeln.«

Sie läutete. Wenige Augenblicke später hörten sie ein Summen und die Gartentür sprang auf. Die beiden Polizisten gingen durch einen gepflegten Vorgarten, die Haustür wurde von einer Frau Anfang 40 in Jeans und einem weiten Sweatshirt geöffnet.

»Guten Tag, Frau Lindner«, grüßte Susi Steiger. »Ich war vor zwei Wochen schon einmal wegen Bernadette hier.«

»Ich weiß.« Misstrauisch musterte Frau Lindner zuerst die Uniformierte und dann Radek, der mit Sakko und Jeans zwar nicht allzu amtlich aussah, aber allem Anschein nach auch Polizist war.

»Das ist Gruppeninspektor Radek«, stellte Steiger ihren Begleiter vor. »Er kommt aus Sankt Pölten.«

Das schien die Lindner nicht zu beeindrucken. »Was wollen Sie?«

»Wir würden gerne noch einmal mit Bernadette reden«, erklärte die Polizistin.

»Warum?«

»Wegen der Zeit, in der sie abgängig war.«

»Weshalb?«, fragte Frau Lindner. »Darüber haben Sie doch schon mit ihr gesprochen.«

»Frau Lindner«, mischte sich Radek ein. »Ihre Tochter ist minderjährig. Daher müssen wir im Falle einer Abgängigkeit überprüfen, wo sie sich in dieser Zeit aufgehalten und was sie getan hat. Häufig verüben abgängige Jugendliche unterschiedliche Delikte in Form von Beschaffungskriminalität. Das beginnt bei kleinen Diebstählen und reicht bis zu illegaler Prostitution oder Suchtgiftmissbrauch. Und nachdem Ihre Tochter gesagt hat, sie sei in Wien gewesen, müssen wir dem nachgehen.«

Radek gab sich einen amtlichen Anstrich. Außerdem wollte er damit erklären, warum er aus Sankt Pölten hierhergekommen war, denn er hatte nicht vor, der Mutter zu erzählen, was er beim LKA machte.

Das Misstrauen war noch nicht verschwunden, aber zumindest der Widerstand etwas aufgeweicht. Frau Lindner bat die beiden Polizisten ins Haus. »Muss das sein? Warum können Sie uns nicht einfach in Ruhe lassen?«

»Weil noch einige Fragen offen sind und wir dazu erheben müssen«, antwortete Radek ruhig.

»Welche Fragen?« Frau Lindner wurde ungeduldig.

»Zum Beispiel, wo Bernadette gewesen ist, wovon sie gelebt hat, mit wem sie unterwegs war und so weiter.«

Die Frau schüttelte unwillig den Kopf, führte die beiden Polizisten dennoch über eine Treppe in den ersten Stock und klopfte dort sanft an eine Tür. »Bernadette, zwei Leute von der Polizei sind da.« Die Mutter sprach leise, als hätte sie Angst, die Tochter zu wecken. Vorsichtig öffnete sie die Tür.

Bernadette Lindner saß auf ihrem Bett in der Ecke an die Wand gelehnt. Die Knie hielt sie mit ihren Armen fest umschlungen. Sie trug eine Jogginghose und ein Sweatshirt, die dunklen Haare hingen ihr in wirren Strähnen ins Gesicht. Es schien, als würde sie die Besucher an der Tür gar nicht bemerken, zumindest blickte sie nicht auf, sondern starrte vor sich hin.

»So sitzt sie den ganzen Tag da«, sagte die Mutter und musste gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen. »Und nachts lässt sie das Licht brennen. Wenn ich es abdrehe, beginnt sie zu schreien.«

Als sie in den Raum traten, erschrak das Mädchen. Mit panischem Blick huschten ihre Augen von einem zum anderen. Als sie die Mutter erkannte, schien sich ihre Furcht zu legen, und sie beruhigte sich wieder.

Radek setzte sich zu ihr aufs Bett, Steiger und die Mutter hielten sich im Hintergrund.

»Bernadette«, sagte Radek und fragte nach: »Ich darf doch Bernadette sagen?«

Sie nickte.

»Ich bin Thomas Radek von der Polizei in Sankt Pölten.« Er sprach ruhig und behutsam, als könnte sie davonlaufen, wenn er zu unwirsch mit ihr umging. »Ich bin hier, weil ich dir einige Fragen stellen muss.«

Bernadette sagte kein Wort. Sie wartete darauf, dass er weitersprach.

»Du bist eine Woche abgängig gewesen. Wir würden gerne wissen, wo du warst.«

Sie schaute ihn verwirrt an, als wäre sie erstaunt darüber, dass er es nicht wusste. Dann flüsterte sie: »Beim Teufel. Ich bin beim Teufel gewesen. Und wenn ich ihm nicht gehorche, wird er mich wieder holen. Und euch auch, euch auch. Alle wird er holen.«

Das kam so wahrhaftig und überzeugt, dass es Radek beinahe die Sprache verschlug. »Was meinst du damit?«

»Das, was ich gesagt habe.«

»Und wo ist dieser Teufel?«

»Nicht in der Hölle.« Sie lachte plötzlich. »Glauben Sie nicht alles, was Sie über den Teufel hören.«

»Bernadette, können wir die Sache jetzt ernsthaft angehen?« Radek wurde ungeduldig, er hatte keine Lust, sich von dem Mädchen verarschen zu lassen.

»Ich bin ernsthaft.«

»In Ordnung, dann sag mir bitte, wo du gewesen bist.«

»Unterwegs.«

»Und wo warst du unterwegs? In Amstetten, in Sankt Pölten, in Wien oder woanders?«

»In Wien.«

»In Wien?«

Sie nickte.

»Und wo in Wien?«

»Weiß ich nicht mehr.«

»Bist du die ganze Zeit über in Wien gewesen? Also die ganze Woche?«

Sie überlegte. »Nein, auch in Sankt Pölten.«

»Und wo in Sankt Pölten?«

»Weiß ich nicht mehr.«

»Bist du allein gewesen?«

»Nein.«

»Mit wem warst du zusammen?«

Bernadette warf ihm einen Blick zu, als hätte er eine unmögliche Frage gestellt. »Keine Ahnung«, antwortete sie, »ich habe die Leute nicht gekannt.«

»Was hast du die ganze Woche über gemacht?« Noch einmal versuchte Radek, eine brauchbare Erklärung aus ihr herauszubekommen.

Sie flüsterte: »Ich war beim Teufel. Weil, der Teufel ist unter uns, ich hab ihn gesehen. Geben Sie acht!«

Radek musste sich zusammenreißen, um seinen Ärger nicht zu zeigen. »Möchtest du mir etwas über den Teufel erzählen?«, fragte er und bemühte sich dabei um einen verständnisvollen Ton.

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das darf ich nicht.«

»Erzählst du mir dann etwas über die Leute, mit denen du unterwegs warst?«

Wieder schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß nichts über sie.«

»Was heißt, du weißt nichts? War es ein Mann oder eine Frau, einer oder mehrere?«

»Mehrere, einige Männer und einige Frauen.«

»Wie viel?«

»Das war unterschiedlich, manchmal zwei, manchmal drei.«

»In Sankt Pölten?«

»Ja.«

»Und in Wien?«

»Da auch.«

»Wann bist du in Wien gewesen und wann in Sankt Pölten?«

»Das weiß ich nicht mehr.«

»Warst du zuerst in Sankt Pölten und dann in Wien, oder umgekehrt?«

»Zuerst in Sankt Pölten.«

»Wie lange?«

»Weiß ich nicht mehr.«

Radek wurde klar, dass diese Befragung sinnlos war. Entweder wollte Bernadette nichts sagen oder sie war völlig von der Rolle und redete deshalb nur Scheiße. Oder sie hatte tatsächlich keine Ahnung, was in der Woche ihres Verschwindens mit ihr passiert war. Aber dann stellte sich die Frage, warum?

Radek hatte keine Ahnung, was er jetzt mit ihr machen sollte, deshalb versuchte er es noch einmal, diesmal auf die direkte Art. »Bernadette«, sagte er ruhig und vergewisserte sich, dass sie ihm zuhörte und ihn richtig verstand, »ich glaube dir nicht. Du belügst mich. Ich denke, dass nichts von dem, was du mir gerade erzählt hast, stimmt. Warum willst du mir nicht die Wahrheit sagen?«

Sie starrte ihn lange an, ihre Augen schienen durch ihn hindurchzusehen in eine andere, weit entfernte Welt. Dann sah sie zu der uniformierten Polizistin, danach zu ihrer Mutter, anschließend wieder zu Radek. Und plötzlich schrie sie: »Die Wahrheit geht euch nichts an! Das ist meine Wahrheit, nur meine! Verschwindet, lasst mich in Ruhe! Der Teufel soll euch holen!« Sie wurde von einer Sekunde auf die andere aggressiv und versuchte, Radek vom Bett zu stoßen. »Der Teufel wird auch euch holen, wenn ihr so weitermacht«, kreischte sie. »Verschwindet, schert euch zum Teufel!«

»Bitte, lassen Sie Bernadette in Ruhe«, mischte sich die Mutter ein.

Das Mädchen hatte aufgehört zu schreien, war noch weiter in die Ecke gerutscht.

Radek stand auf und sie gingen aus dem Zimmer. Das war völlig danebengegangen. Sie folgten der Mutter hinunter ins Vorzimmer.

»Hat Sie Ihnen erzählt, was passiert ist?«, fragte er die Mutter.

»Nein«, war die knappe Antwort.

Radek wartete vergeblich, dass sie noch etwas hinzufügte. »Hat sie gesagt, wo sie gewesen ist?«

 

»Nein.«

»Oder was sie in dieser Woche gemacht hat?«

»Nein, auch nicht.«

»Was hat Sie Ihnen eigentlich gesagt?« Radek wurde ungehalten. »Irgendetwas werden Sie ja gesprochen haben, nachdem Ihre Tochter heimgekommen ist.«

Die Mutter blickte ihn unverwandt an. Dann antwortete sie mit ruhiger Stimme: »Sie hat nichts gesagt. Nur das, was sie Ihnen eben erzählte, das hat sie auch uns erzählt, mehr nicht.«

»Und damit haben Sie sich zufriedengegeben?«

»Ja.«

Radek begriff, dass die Mutter nichts wusste oder es nicht sagen wollte und es sinnlos war, weiterzubohren. Er hätte zwar noch gut ein Dutzend Fragen gehabt, aber ihm wurde klar, dass es vergeblich war, Mutter oder Tochter weiter zu löchern.

»Eines würde ich gerne noch wissen«, sagte Radek, als er sich schon zum Gehen wandte. »Hat Bernadette einen Führerschein?«

»Nein«, antwortete sie. »Warum interessiert Sie das?«

Radek zuckte die Schultern. »Es erscheint mir hier in dieser Gegend praktisch, möglichst früh mobil zu sein.«

Die Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, Bernadette hat das bis jetzt noch nicht interessiert.«

Die beiden Polizisten verabschiedeten sich an der Tür und gingen.

»Wie ist das gelaufen, als du bei ihr warst?«, wollte Radek von seiner Kollegin wissen, als sie im Funkwagen saßen.

»Ganz ähnlich«, antwortete Steiger. »Bernadette hat nur Scheiße gequatscht, und ihre Eltern haben gemauert.«

»Aber warum?«, dachte Radek laut nach. »Was haben sie zu verbergen? Hat das Mädchen etwas angestellt, als sie abgehauen war?«

»Gut möglich. Jedenfalls glaube ich, dass die Eltern Bescheid wissen«, mutmaßte Steiger.

»In Ordnung. Gehen wir einmal von folgender Überlegung aus: Das Mädchen ist abgehauen und hat irgendwo eine Straftat begangen. Etwas Gravierendes, das verschwiegen werden muss. Trotzdem beichtet sie es den Eltern? Das ergibt keinen Sinn.«

»Möglicherweise brauchte sie ihre Hilfe.«

»Das wäre eine Möglichkeit.«

»Gut. Bernadette beichtet ihren Eltern, was sie getan hat, und die stellen sich hinter sie und decken sie. Das wäre bis zu einem gewissen Grad verständlich.«

»Das heißt, sie haben sich abgesprochen und stecken unter einer Decke«, brachte es Steiger auf den Punkt.

»Das erscheint plausibel«, bestätigte Radek. »Allerdings bringt uns das nicht wirklich weiter.«

»Nein, tut es nicht. So weit war ich nämlich auch schon. Mir ist das genauso komisch vorgekommen wie dir. Das war der Grund, warum ich versucht habe, einen Kriminalsachbearbeiter oder jemand anderen hinzuzuziehen«, rechtfertigte sich Steiger.

»Zumindest hast du jetzt jemanden.«

»Ha ha – da kann ich aber nicht lachen.« Steiger meinte das durchaus ernst.

»Außerdem ist da die Sache mit dem Teufel. Was soll das? Hast du dich im Zimmer umgesehen? Da deutet überhaupt nichts in diese Richtung. Was will sie damit?«, fragte Radek.

»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist es einfach eine Schutzbehauptung, um uns in die Irre zu führen. Vielleicht sollen wir nach einem satanistischen Hintergrund suchen, damit wir vom Kern der Sache abgelenkt werden.«

»Aber was ist der Kern der Sache?«

»Keine Ahnung. Wie machen wir jetzt weiter?«

»Ebenfalls keine Ahnung. Wir haben zu wenig Informationen. Wir sollten noch weiter im Leben der Lindner herumstochern. Vielleicht sollten wir mit ihrem Chef sprechen.«

Bevor Radek den letzten Satz beendet hatte, startete seine Kollegin den Wagen und fuhr los.

15.

Es war ein kleiner Frisiersalon auf dem Hauptplatz. Der Chef, Herr Doleschal, sah aus wie eine Tunte, aber er war keine. Selbst die stylisch gegelten blondierten Haare, das gekünstelte Gehabe, als wäre er einer der gefragtesten Stylisten im Land, und sein tänzelnder Gang, der den Eindruck vermittelte, eine seiner Friseurinnen würde ihn ständig begrapschen, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hinter den grauen Augen ein eiskaltes Wesen verbarg.

Als Doleschal die uniformierte Polizistin sah – Radek ignorierte er zunächst –, scharwenzelte er herbei und säuselte mit gezierter hoher Stimme: »Hallo, Frau Inspektor, womit darf ich Ihnen dienen? Ein Termin für die Haare?« Er warf einen prüfenden Blick auf Steigers brünetten Haarschopf. »Ein bisschen kürzer schneiden könnte sicher nicht schaden, und eine neue Fasson würde Sie deutlich besser aussehen lassen.«

»Ich habe einen Spiegel zu Hause und weiß, wie ich aussehe«, entgegnete Steiger mit einer amtlichen Strenge, die ihr Radek nicht zugetraut hätte. »Und meine Haare bleiben so, wie sie sind.«

Der Friseur zeigte kein Anzeichen von Überraschung, offensichtlich hatte er eine solche Reaktion erwartet. Als die Polizistin hinzufügte, warum sie hier waren, wurde er deutlich kühler. Er gab einige kurze Anweisungen an seine Angestellten und führte die Polizisten nach hinten ins Büro. Dort legte er sein tuntiges Gehabe endgültig ab und kehrte den leidenschaftslosen Geschäftsmann hervor. »Also, worum geht es?«

»Bernadette Lindner arbeitet bei Ihnen.« Das war eher eine Feststellung als eine Frage von Radek.

»Sie arbeitete bei mir«, korrigierte der Friseur. Seine Stimme hatte nun ihren natürlichen Ton wieder und klang nicht mehr, als ziehe ihn jemand an den Ohren.

»Was heißt, sie arbeitete bei Ihnen?«, fragte Radek nach.

»Ich habe ihr gekündigt.«

»Weshalb?«

»Weil sie unentschuldigt eine Woche nicht zur Arbeit erschienen ist. Das reicht wohl für eine fristlose Kündigung. Oder was denken Sie, was ich bin? Ein gemeinnütziger Verein, in dem jeder kommen und gehen kann, wie es ihm passt?«

»Haben Sie die Gründe, warum Bernadette nicht zur Arbeit erschienen ist, gar nicht interessiert?«

»Nein, überhaupt nicht. Sie ist nicht zur Arbeit gekommen, das genügt. Sie war nicht krank, sondern hat blaugemacht. Was immer sie treibt oder getrieben hat, es gibt da im Dorf ja die wildesten Gerüchte, ist mir egal, solange sie ihre Pflicht tut. Die Gründe sind ohne Belang. Sie hat ihre Pflicht versäumt. Und das ist ein Zeichen von Schwäche. Ich dulde keine Schwäche. Wir sind umgeben von schwachen Menschen, die nur auf die Gunst der Starken hoffen und durchgefüttert werden wollen. Aber nicht mit mir und nicht bei mir.«

Amen, lag Radek auf der Zunge, er schluckte die Bemerkung jedoch hinunter. Trotzdem fragte er sich, was dieser Doleschal für ein Chef und vor allem, was er für ein Mensch war. Abgesehen davon wollte er nicht über die moralischen Ansichten des Friseurs reden. »Ich würde Ihnen trotzdem gerne einige Fragen zu Frau Lindner stellen.«

»Dann tun Sie das.« Doleschals Unwillen war deutlich zu sehen.

»Können Sie sich erinnern, ob es in den Tagen, bevor Bernadette nicht mehr zur Arbeit erschienen ist, irgendwelche Anzeichen für eine Verhaltensänderung gegeben hat?«, fragte Radek.

»Nein«, antwortete Doleschal sofort und ohne nachzudenken. Wie konnte er sich da so sicher sein?

»Wissen Sie das genau?«

»Ja.«

»Hat sie Andeutungen gemacht, dass sie woanders hinwill oder dass sie nicht zur Arbeit kommen wird, etwas in der Art?«

»Nein.« Wieder kam die Antwort ohne Zögern.

»Überhaupt nichts?«

»Überhaupt nichts.«

»Was war Bernadette für ein Mädchen?«

Er zuckte mit den Schultern, doch diesmal überlegte er länger, bevor er sagte: »Ein ganz normaler Lehrling. Mäßig fleißig, aber nicht faul. Ausreichend begabt und arbeitswillig. Durchschnittlich, würde ich sagen, aber akzeptabel.«

Das klang für Radek wie die Bewertung einer Waschmaschine.

»Und welchen Eindruck hatten Sie sonst von ihr?«

»Wie ich schon sagte: Durchschnitt. Eine normale Jugendliche, keine Ecken und Kanten.«

»Ist sie früher schon einmal unentschuldigt von der Arbeit weggeblieben?«

»Nein, sonst hätte ich ihr damals schon gekündigt.«

Weil er keine Schwäche duldet – Radek verzichtete darauf, nach dem Warum zu fragen. »Wie war ihr Verhältnis zu den Kolleginnen?«

»Normal, soweit ich das beurteilen kann. Es gab keine Streitereien außer dem üblichen Herumgezicke. Wenn Sie es genauer wissen wollen, müssen Sie die Mädchen fragen.«

»Wissen Sie vielleicht, mit wem Bernadette in ihrer Freizeit Umgang pflegte?«

»Nein, da müssen Sie ihre Eltern fragen.«

»Wurde sie nach Geschäftsschluss abgeholt, von einem Freund möglicherweise? Am Freitag ihres Verschwindens vielleicht?«, mischte sich Steiger ins Gespräch ein.

»Nein. Ist mir nicht aufgefallen.«

»Können Sie uns sonst etwas sagen, was den Umstand des Verschwindens von Bernadette beleuchtet?«

»Nein.«

Das blumige Herumplappern, mit dem der Friseur sie empfangen hatte, war einem verschlossenen, ablehnenden Misstrauen gewichen. Doleschal wollte ihnen nichts sagen. Sie verabschiedeten sich und verließen den Friseurladen. Radek verzichtete darauf, die Arbeitskolleginnen von Bernadette Lindner zu befragen, da er glaubte, das Ergebnis zu kennen: Nein – weiß nicht – kann ich nicht sagen – keine Ahnung.

Renate Haring stand hinter der Auslage des Spielwarengeschäfts, in dem sie arbeitete, und blickte hinüber zu der uniformierten Polizistin und dem Mann in Zivil, die schräg gegenüber auf dem Gehsteig standen. Sie war hinter dem Vorhang, der die Auslage zum Geschäft hin abdeckte, nicht zu sehen. Das wusste sie. Das hatten sie getestet. Von ihrem Standort aus konnte sie beinahe den ganzen Hauptplatz überblicken, ohne dabei selbst gesehen zu werden.

Sie hatte die beiden schon beobachtet, als sie den Streifenwagen geparkt und den Hauptplatz überquert hatten und in das Geschäft von diesem Doleschal gegangen waren. Und sie hatte sich gefragt, was die beiden bei ihm wollten. Als sie Katharina Fenzl, ihrer Chefin und Besitzerin des Ladens, davon erzählte, war für die völlig klar, dass es nur um die kleine Lindner gehen konnte. Die hatte beim Doleschal gearbeitet, bevor sie abgehauen war, und man hörte einiges im Dorf darüber, was sie in dieser Zeit getrieben haben soll.

Renate vermutete, dass auch der Mann ein Polizist war. »Jetzt stehen die beiden vor dem Doleschal seinem Laden und beratschlagen«, berichtete sie.

»Was sind das überhaupt für Leute?«, fragte ihre Chefin.

»Keine Ahnung. Sie kenne ich. Die habe ich schon ein paarmal in Gresten gesehen, aber er ist mir unbekannt. Ob der aus Scheibbs kommt oder aus Sankt Pölten?«

Kathi Fenzl trat neben Renate und blickte ebenfalls vorsichtig auf den Hauptplatz.

»Nein, den kenne ich auch nicht«, sagte sie, fügte dann aber nach genauerem Hinsehen hinzu: »Ist der nicht am Wochenende beim Falk auf der Terrasse gesessen? Am Samstagnachmittag. Das hat ausgesehen, als wäre er dort Gast.«

»Beim Falk?«, fragte Renate. »Warum geht er zum Falk?«

»Keine Ahnung. Die kommen sicher wegen der Lindner.«

»Was will die Polizei vom Doleschal? Der hat doch mit der Lindner nichts zu tun.«

»Er ist ihr Chef.«

»Ich hab gehört, er hat ihr gekündigt.«

»Dann war er halt ihr Chef, bevor sie verschwunden ist.«

»Aber er hat mit ihrem Verschwinden nichts zu tun. Nehm ich zumindest an.«

»Vielleicht weiß er etwas Interessantes über die Lindner. Immerhin war sie zwei Jahre bei ihm.«

»Und jetzt hat er sie einfach rausgeschmissen. Das ist ziemlich gemein von ihm.«

»Ja, das hätte ich ihm nicht zugetraut. Aber ganz geheuer ist der mir sowieso nie gewesen.« Kathi tat geheimnisvoll.

»Glaubst du, dass die Polizisten länger bleiben?«, wechselte Renate das Thema.

»Ich weiß nicht.«

»Glaubst du, dass die auch zu uns kommen?«

Kathi bekam einen furchtsamen Ausdruck in den Augen und flüsterte: »Hoffentlich nicht.« Nur nicht auffallen, dachte sie.

»Mich würde interessieren, was der Bürgermeister dazu sagt.« Unwillkürlich sprach auch Renate leiser und blickte sich unauffällig im Geschäft um.

»Der weiß das vielleicht noch gar nicht«, vermutete ihre Chefin.

»Meinst du?«

»Ich bin mir nicht sicher.«

»Und der Baron? Denkst du, der Baron weiß bereits, dass die Polizisten hier herumlaufen?«

Kathi schüttelte unmerklich den Kopf. »Nein, ich glaub nicht«, wisperte sie kaum hörbar.

Dann gingen sie wieder an die Arbeit.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?