Parodontologie von A bis Z

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Andere das Parodont betreffende Zustände
Systemische Erkrankungen und Zustände mit Auswirkungen auf den Zahnhalteapparat

Bestimmte systemische Erkrankungen wie z. B. ein orales Plattenepithelkarzinom können den Zahnhalteapparat zerstören, ohne dass durch den oralen Biofilm induzierte Entzündungsprozesse dabei eine vorrangige Rolle spielen (Tab. 9). Die Pathogenese der parodontalen Zerstörung ist bei diesen Erkrankungen völlig anders als bei der biofilminduzierten Parodontitis.

Parodontale Abszesse und Endo-Paro-Läsionen

Parodontalabszesse (Abb. 5, Tab. 10) und Endo-Paro-Läsionen gehören neben den nekrotisierenden Parodontalerkrankungen zu den wenigen Parodontalerkrankungen, die Schmerzen verursachen. Beide Arten von Läsionen gehen mit sehr rascher Gewebezerstörung einher und erfordern deshalb unmittelbares therapeutisches Handeln. Neben Schmerzen werden als Symptome häufig Empfindlichkeit der Gingiva, Schwellung und Anhebung des Zahnes berichtet. Parodontalabszesse können bei Patienten mit unbehandelter Parodontitis oder nach Therapie, aber auch bei Patienten, die keine Parodontitis haben, auftreten (s. Tab. 10)5.

Abb. 5 Parodontalabszess, ausgehend von einer durchgängigen Furkation an Zahn 16.

Tab. 10 Parodontalabszesse (PA)5.


PA bei Parodontitis (in einer bestehenden Tasche)Akute ExazerbationUnbehandelte ParodontitisParodontitis, die nicht auf Therapie ansprichtUnterstützende Parodontitistherapie
Nach TherapieNach subgingivaler Instrumentierung Nach Parodontalchirurgie
Nach Einnahme von MedikamentenSystemische Antibiotika Andere Medikamente (z. B. Nifedipin)
PA bei Patienten ohne Parodontitis (es muss keine Tasche bestehen)ImpaktionZahnseide, orthodontische elastische Bänder, Zahnstocher, Kofferdam, Popkornhülsen
Schädliche GewohnheitenDraht- oder Nagelkauen
Orthodontische FaktorenEinwirken von orthodontischen Kräften oder Kreuzbiss
Gingivawucherung
Veränderungen der WurzeloberflächeSchwere anatomische VeränderungenDens invaginatus, evaginatus, Odontodysplasie
Geringe anatomische VeränderungenZementwülste, Schmelzparaplasien, Furchen
Iatrogene ZuständePerforationen
Schwere WurzelbeschädigungRiss oder Fraktur, „cracked tooth syndrome“
Externe Wurzelresorption

Den Endo-Paro-Läsionen ist ein eigener Beitrag in diesem Buch (Beitrag 7) gewidmet14.

Mukogingivale Deformitäten und Zustände

Eine Rezession ist definiert als die apikale Verlagerung des Gingivarands (s. Abb. 3c). Daraus können Beeinträchtigungen der Ästhetik, Dentinhypersensibilität, Karies bzw. nicht kariöse zervikale Läsionen entstehen. Eine aktuelle Klassifikation unterscheidet8,15:

 Rezession Typ 1 (RT1; s. Abb. 3c): gingivale Rezession ohne approximalen Attachmentverlust. Die approximale Schmelz-Zement-Grenze (SZG) ist klinisch weder mesial noch distal feststellbar.

 Rezession Typ 2 (RT2): gingivale Rezession mit approximalem Attachmentverlust. Das Ausmaß des approximalen Attachmentverlusts (gemessen von der SZG zum Boden der approximalen Tasche) ist geringer bzw. gleich dem bukkalen Attachmentverlust.

 Rezession Typ 3 (RT3): gingivale Rezession mit approximalem Attachmentverlust. Das Ausmaß des approximalen Attachmentverlusts (gemessen von der SZG zum Boden der approximalen Tasche) ist größer als der bukkale Attachmentverlust.

Die Identifizierbarkeit der SZG und eine Stufe zwischen Zahnhals und Schmelz können Diagnostik und Therapie von Rezessionen erschweren. Deshalb kann die Klassifikation wie folgt ergänzt werden8:

 A– SZG identifizierbar, keine Stufe

 A+ SZG identifizierbar, Stufe

 B– SZG nicht identifizierbar, keine Stufe

 B+ SZG nicht identifizierbar, Stufe

In der ICD-10 werden diese Erkrankungen und Zustände am ehesten unter „Sonstige Krankheiten des Parodonts“ (K05.5) und „Krankheit des Parodonts, nicht näher bezeichnet“ (K05.6) erfasst3.

Traumatische okklusale Kräfte

Traumatische okklusale Kräfte sind definiert als jegliche Kaukräfte, die Zähne und/oder das Parodont schädigen. Hinweise für traumatische Kaukräfte sind Zahnbeweglichkeit, Temperaturempfindlichkeit, extreme Abnutzung der Kauflächen, Zahnwanderung, Beschwerden beim Kauen, Zahnfrakturen, röntgenologisch erweiterter Parodontalspalt, Wurzelresorptionen und Hyperzementose. Unter dem Begriff „okklusales Trauma“ werden unterschieden:

 primäres okklusales Trauma (betrifft das intakte Parodont),

 sekundäres okklusales Trauma (betrifft das reduzierte Parodont) und

 orthodontische Kräfte.

Es gibt keine Hinweise, dass traumatische Kaukräfte oder okklusales Trauma parodontalen Attachmentverlust verursachen können. Auch ergaben Beobachtungsstudien keine Hinweise, dass Kaukräfte Rezessionen verursachen können15.

Zahn- und zahnersatzbezogene Faktoren

Der Begriff der biologischen Breite wird durch suprakrestales befestigtes Gewebe ersetzt. Dieses besteht aus dem Saumepithel und dem suprakrestalen Faserapparat. Veränderte passive Eruption ist ein entwicklungsbedingter Zustand, bei dem der Gingivarand und manchmal auch der Alveolarknochen weiter koronal lokalisiert sind als normal. Sowohl lokalisierte zahnbezogene als auch lokalisierte zahnersatzbezogene Faktoren können plaqueinduzierte Gingivaerkrankungen/Parodontitis modifizieren oder dafür prädisponieren (Tab. 11)15.

Tab. 11 Zahn- und zahnersatzbezogene Faktoren, die das Parodont betreffen15.


A. Lokalisierte zahnbezogene Faktoren, die plaqueinduzierte Gingivaerkrankungen/Parodontitis modifizieren oder dafür prädisponieren1. Zahnanatomie2. Wurzelfrakturen3. Zervikale Wurzelresorptionen, Zementwülste4. Wurzelengstand5. Veränderte passive Eruption
B. Lokalisierte zahnersatzbezogene Faktoren1. In den suprakrestalen Faserapparat platzierte Restaurationsränder2. Klinische Maßnahmen für die Herstellung indirekter Restaurationen3. Überempfindlichkeits-/toxische Reaktionen auf Dentalmaterialien

Periimplantäre Erkrankungen und Zustände

Erstmals umfasst eine Klassifikation der Parodontalerkrankungen auch periimplantäre Erkrankungen und Zustände. Aufgrund der Ähnlichkeit der klinischen Erscheinung sowie der Pathogenese der parodontalen und periimplantären Erkrankungen war das überfällig. Bei den periimplantären Erkrankungen und Zuständen werden periimplantäre Gesundheit, periimplantäre Mukositis, Periimplantitis und periimplantäre Weich- und Hartgewebedefekte unterschieden (s. Abb. 1)16,17.

Periimplantäre Gesundheit

Periimplantäre Gesundheit ist dabei charakterisiert durch:

 Fehlen von Bluten und/oder Suppuration auf Sondierung,

 keine Zunahme der ST im Vergleich zu Voruntersuchungen sowie

 Fehlen von Knochenverlust über die Knochenveränderungen hinaus, die durch initiale Knochenremodellation entstehen16.

Periimplantäre Mukositis

Periimplantäre Mukositis zeigt folgende klinische Symptome:

 Bluten und/oder Suppuration auf Sondierung ohne Zunahme der ST im Vergleich zu Voruntersuchungen und

 Fehlen von Knochenverlust über die Knochenveränderungen hinaus, die durch initiale Knochenremodellation entstehen16.

Periimplantitis

Bei Periimplantitis finden sich:

 Bluten und/oder Suppuration auf Sondierung,

 Zunahme der ST im Vergleich zu Voruntersuchungen und

 Knochenverlust über die Knochenveränderungen hinaus, die durch initiale Knochenremodellation entstehen. Dabei dient ein Röntgenbild, das ein Jahr nach Belastung des Implantates angefertigt wurde, als Referenz.

Sollten keine Unterlagen von vorhergegangenen Untersuchungen zum Vergleich vorliegen, kann eine pragmatische Diagnose der Periimplantitis auf folgenden Kriterien basieren:

 

 Bluten und/oder Suppuration auf Sondierung,

 ST ≥ 6 mm und

 ein Knochenniveau ≥ 3 mm apikal des am weitesten koronal gelegenen Teils des intraossären Implantatanteils16.

Periimplantäre Weich- und Hartgewebedefekte

Der Heilungsprozess nach Zahnextraktion führt zu reduzierten Dimensionen des Alveolarfortsatzes mit resultierenden Weich- und Hartgewebedefekten. Ausgeprägtere Defekte treten an Stellen auf, an denen es zuvor zu parodontalem Attachmentverlust, endodontischen Infektionen, Längsfrakturen der Zahnwurzeln und/oder zusätzlichem Trauma während der Extraktion gekommen ist. Dünne bukkale Knochenlamellen, Verletzungen, die Belüftung der Kieferhöhle, Medikation, systemische Erkrankungen, die den Knochenstoffwechsel beeinflussen, sowie Druck von Prothesen können die Situation verschärfen und die Insertion von Zahnimplantaten erschweren16.

Literatur

1. Jepsen S. Neue Klassifikation vorgestellt. Zahnarztl Mitt 2018;108:1556–1562.

2. Caton JC, Armitage G, Berglundh T et al. A new classification scheme for periodontal and peri-implant diseases and conditions – Introduction and key changes from the 1999 classification. J Clin Periodontol 2018; 45(Suppl 20):S1–S8.

3. DIMDI: https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/. DIMDI; 2019. Letzter Zugriff am 31.01.2019.

4. Chapple ILC, Mealey BL, Van Dyke TE et al. Periodontal health and gingival diseases and conditions on an intact and a reduced periodontium: Consensus report of workgroup 1 of the 2017 World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S68–S77.

5. Herrera D, Retamal-Valdes B, Alonso B, Feres M. Acute periodontal lesions (periodontal abscesses and necrotizing periodontal diseases) and endo-periodontal lesions. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S78–S94.

6. Loe H, Anerud A, Boysen H, Morrison E. Natural history of periodontal disease in man. Rapid, moderate and no loss of attachment in Sri Lankan laborers 14 to 46 years of age. J Clin Periodontol 1986;13:431–445.

7. Armitage GC. Development of a classification system for periodontal diseases and conditions. Ann Periodontol 1999;4:1–6.

8. Eickholz P, Dannewitz B. Wenn die Zahnhälse frei liegen! Ätiologie und Diagnostik fazialer/oraler Rezessionen. Parodontologie 2018;29:115–126.

9. Tonetti MS, Greenwell H, Kornman KS. Staging and grading of periodontitis: Framework and proposal of a new classification and case definition. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S149–S161.

10. Papapanou PN, Sanz M, Buduneli N et al. Periodontitis: Consensus report of workgroup 2 of the 2017 World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S162–S170.

11. Baer PN. The case for periodontosis as a clinical entity. J Periodontol 1971;42:516–520.

12. Eickholz P, Klein F, Nickles K. Glossar der Grundbegriffe für die Praxis: Parodontitis als Symptom von Syndrom-erkrankungen. Parodontologie 2014;25:191–199 (s. Beitrag 6 in diesem Buch).

13. Albandar JM, Susin C, Hughes FJ. Manifestations of systemic diseases and conditions that affect the periodontal attachment apparatus: Case definitions and diagnostic considerations. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20): S171–S189.

14. Eickholz P, Schacher B, Nickles K. Glossar der Grundbegriffe für die Praxis: Endodontal-parodontale Läsionen. Parodontologie 2021;32: (zur Publikation angenommen) (s. Beitrag 7 in diesem Buch).

15. Jepsen S, Caton JG, Albandar JM et al. Periodontal manifestations of systemic diseases and developmental and acquired conditions: Consensus report of workgroup 3 of the 2017 World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S219–S229.

16. Berglundh T, Armitage G, Araujo MG et al. Peri-implant diseases and conditions: Consensus report of workgroup 4 of the 2017 World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S286–S291.

17. Eickholz P, Klein F, Eger T. Glossar der Grundbegriffe für die Praxis: Periimplantäre Erkrankungen: Diagnostik und Therapie. Parodontologie 2012;23:167–175 (s. Beitrag 47 in diesem Buch).

18. Eickholz P. Was tun bei aggressiver Parodontitis? Parodontologie 2006;17:357–369.

Peter Eickholz


Diagnostische Tests und ihre Eigenschaften10

Was sind diagnostische Tests?

Alle Untersuchungen, die wir täglich bei unseren Patienten durchführen, zielen darauf ab, auf einfache, wenig invasive bzw. belastende Weise und möglichst ohne großen Zeit- und Kostenaufwand Informationen über deren Gesundheits- bzw. Erkrankungszustand zu gewinnen. Die meisten dieser Untersuchungen sind klinische Tests, die einen Parameter beschreiben sollen, der weder einfach noch wenig invasiv bzw. belastend zu bestimmen ist.

Die Erhebung der verschiedenen Untersuchungsparameter an der gleichen Stelle zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermöglicht eine Kontrolle des Erkrankungsverlaufs sowie die Evaluation der Resultate therapeutischer Maßnahmen.

Grundsätzlich gilt für alle Untersuchungen, dass sie nur dann gerechtfertigt sind, wenn sie eine therapeutische Konsequenz haben, das heißt, wenn von ihrem Ergebnis Entscheidungen für die Betreuung des Patienten abgeleitet werden.

Die parodontale Sulkus- bzw. Taschentiefe beschreibt die Distanz parallel zur Zahnachse, in der das parodontale Gewebe der Zahnoberfläche weder epithelial noch bindegewebig angeheftet ist. Die exakte Bestimmung dieser Distanz – der Sulkus- bzw. Taschentiefe – ist nur mit histologischen Methoden möglich. Dazu muss der betreffende Zahn mit dem ihn umgebenden Gewebe aus der Mundhöhle entfernt, in ein Trägermaterial eingebettet und für die Untersuchung unter dem Mikroskop in feine Schnitte zerteilt werden. Bei dieser Untersuchung wird das zu untersuchende Objekt zerstört. Deshalb ist man für die klinische Diagnostik auf einen weit weniger invasiven diagnostischen Test angewiesen. Ein diagnostischer Test zur Beschreibung der parodontalen Sulkus- bzw. Taschentiefe ist die Erhebung der Sondierungstiefen (ST). Zur Messung der ST wird eine Parodontalsonde mit einer Sondierungskraft von etwa 0,2 bis 0,3 N möglichst parallel zur Zahnachse zwischen Zahnoberfläche und Gingiva geschoben, bis sich der Gewebedruck und der Sondierungsdruck die Waage halten1. Dann wird am Gingivarand die Distanz von der Sondenspitze bis zum Gingivarand abgelesen (Abb. 1).

Abb. 1 Messung der Sondierungstiefe bukkal von Zahn 12 bei einem parodontal Gesunden: Die Parodontalsonde (PCPUNC15) reicht bis zum ersten Teilstrich (1 mm) nach apikal (ST = 1 mm).

Weitere Beispiele diagnostischer Tests in der parodontologischen bzw. zahnärztlichen Diagnostik sind:

 Röntgenbilder: Sie dienen zur Darstellung mineralisierter Gewebe. Röntgentransluzente Regionen im Bereich des Alveolarfortsatzes bzw. der Zahnkronen werden als Knochenabbau bzw. Karies interpretiert. Zumeist unterschätzen Röntgenbilder die Ausdehnung des parodontalen Knochenabbaus bzw. von Karies im Vergleich zum Goldstandard intraoperativer (Abb. 2) oder histologischer Messungen.

 Mikrobiologische Tests: Sie werden zum Nachweis parodontalpathogener Bakterien in subgingivaler Plaque herangezogen. Diese Tests besitzen Nachweisgrenzen zwischen 102 und 104 Bakterien. Ein negativer Test bedeutet daher nicht unbedingt, dass keine der nachzuweisenden Bakterien in der Probe waren, sondern unter Umständen nur, dass weniger in der Probe waren als der Test nachweisen kann (falsch-negatives Testergebnis).

 Sondierung des horizontalen Attachmentverlusts in Furkationen: Das horizontale Eindringen einer Sonde zwischen die Wurzeln mehrwurzeliger Zähne bei Furkationsbeteiligung ist ein diagnostischer Test für das Ausmaß der parodontalen Zerstörung in der Furkation. Verschiedene Parameter (z. B. die Lokalisation des Furkationseingangs, verwendete Sonde) beeinflussen Validität und Reproduzierbarkeit der Bestimmung der Furkationsbeteiligung2.

 Sensibilitätstest: Die positive Reaktion eines Zahns auf Kälte- oder elektrische Reize wird als Vitalität des Pulpagewebes interpretiert. Ein negativer Test weist auf eine Nekrose des Pulpagewebes hin. Bei partieller Pulpanekrose in mehrwurzeligen Zähnen kann das intakte Pulpagewebe in einem Wurzelkanal eine positive Reaktion auf Kälte- oder elektrische Reize vermitteln, während in einem anderen Wurzelkanal eine Nekrose vorliegt (falsch-positiver Test).


Abb. 2a und b Parodontaler Knochenabbau. a) Röntgenbild (diagnostischer Test). b) Intraoperative Messung (Goldstandard). Etwa 3 mm der Knochentasche, die sich hinter der bukkalen Knochenwand erstrecken, werden auf dem Röntgenbild nicht dargestellt. Das Ausmaß des Knochenabbaus wird durch das Röntgenbild unterschätzt.

Validität diagnostischer Tests

Ein Nachteil vieler diagnostischer Tests ist, dass sie den Parameter, den sie darstellen sollen, nicht exakt abbilden. Das heißt, es existiert eine Abweichung zwischen diagnostischem Test und dem Parameter, für den er steht. So überschätzen die Messungen von ST und klinischem vertikalen Attachmentverlust (PAL-V) zumeist das Ausmaß der tatsächlichen Taschenbildung bzw. des tatsächlichen Attachmentverlusts (Abb. 3).


Abb. 3a und b Parodontale Läsion nach Therapie: langes epitheliales Attachment. Die gemessene Sondierungstiefe überschätzt die Taschentiefe. a) Taschentiefe (Bereich ohne epitheliales oder bindegewebiges Attachment) knapp 1 mm. b) Messung der Sondierungstiefe (ST): Beim Sondieren wird das epitheliale Attachment im koronalen Bereich abgelöst oder zerrissen (ST = 4 mm).

Die Eignung eines diagnostischen Untersuchungsverfahrens bzw. Tests für die Darstellung der anatomischen oder pathologischen Realität bezeichnet man als Validität. Je höher die Validität des diagnostischen Tests, desto näher kommen die Messungen der anatomischen oder pathologischen Realität. Grundsätzlich gilt, dass ein diagnostischer Test umso besser ist, je höher seine Validität ist. Die Validität diagnostischer Tests kann exemplarisch in Studien überprüft werden, in denen die Messungen des diagnostischen Tests (z. B. ST, PAL-V) mit den Ergebnissen von Messverfahren verglichen werden, die die Realität exakt darstellen (sogenannter Goldstandard). So könnten ST- und PAL-V-Messungen an Zähnen durchgeführt werden, die zur Extraktion vorgesehen sind (z. B. aus kieferorthopädischen Gründen). Nach der Entfernung der Zähne erfolgt dann die histologische Aufarbeitung3.

 

Messfehler diagnostischer Tests und Einflussfaktoren

Diagnostische Tests bzw. Untersuchungsmethoden sind mit Messfehlern behaftet, die bei deren Interpretation berücksichtigt werden müssen. Die Messfehler lassen sich nach den Gesichtspunkten der Objektivität und Reliabilität bewerten:

 Die Objektivität beschreibt, in welchem Umfang die Ergebnisse eines Tests durch den Untersucher beeinflusst werden (interindividuelle Reproduzierbarkeit). Würden zwei Untersucher nacheinander bei demselben Patienten die ST erheben, sollten beide zu den gleichen Ergebnissen kommen4. Häufig werden aber Unterschiede zwischen verschiedenen Untersuchern beobachtet. Es könnte zum Beispiel sein, dass beide Untersucher mit unterschiedlicher Sondierungskraft messen, was dazu führen würde, dass der Untersucher, der mit mehr Kraft misst, insgesamt zu höheren ST kommt (siehe später). Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Messungen verschiedener Untersucher (z. B. in einer Praxis oder im Rahmen einer Studie) bezeichnet man als Kalibrierung.

 Die Reliabilität trifft eine Aussage darüber, mit welcher Sicherheit eine Wiederholungsmessung durch denselben Untersucher zu identischen Ergebnissen führt (intraindividuelle Reproduzierbarkeit).

Die Eindringtiefe einer Parodontalsonde hängt von verschiedenen Faktoren ab; zum einen vom Entzündungszustand der parodontalen Gewebe. Wenn auf der einen Seite die Lage der Sondenspitze vom Gewebedruck der Gingiva abhängt, wird sie auf der anderen Seite vom Sondierungsdruck bestimmt. Es konnte gezeigt werden, dass eine Korrelation zwischen Sondierungsdruck und gemessenen ST bzw. PAL-V bestand: je höher der Druck, desto größer die Werte.

Weitere Faktoren, die die Eindringtiefe einer Parodontalsonde unter sonst konstanten Bedingungen beeinflussen, sind der Durchmesser der Sondenspitze, die Anwinkelung der Sonde sowie gegebenenfalls das Vorhandensein subgingivaler Konkremente, auf denen die Sonde aufreitet, bevor sie den Boden der Tasche erreicht hat. Schließlich spielt auch die genaue Lokalisation der Sondierung eine Rolle. In den meisten Fällen werden ST und PAL-V an sechs Stellen pro Zahn (mesiobukkal, bukkal, distobukkal, distooral, oral, mesiooral) gemessen. Dabei ist es möglich, dass bei zwei im Abstand von beispielsweise 6 Monaten durchgeführten Untersuchungen zum Beispiel die bukkale Messung nicht an exakt derselben Stelle, sondern wenige Millimeter voneinander entfernt durchgeführt wird. Um diese Abweichungen zu verhindern, werden in wissenschaftlichen Studien Messschienen verwendet, in denen die Messpunkte durch Kerben markiert sind (Abb. 4). Außer der Tatsache, dass Faktoren, wie marginale Entzündung und Sondierungsdruck, einen Einfluss darauf haben, ob und wie das Ergebnis der diagnostischen Tests von der anatomischen Realität abweicht (Validität), beeinflusst ihre Variation auch die Reproduzierbarkeit der erhobenen Parameter. Wenn an derselben Stelle in derselben Weise in einem Zeitabstand, der so gering ist, dass nicht mit einer Veränderung der Situation zu rechnen ist, die gleiche Messung bzw. der gleiche Test durchgeführt wird (Wiederholungs-, Doppelmessung), müssten beide Testergebnisse identisch sein. Besteht aber eine Differenz zwischen Messung 1 und 2, so stellt diese Differenz einen Messfehler dar. Die Differenz einer Doppelmessung lässt aber keine Aussage über die Variabilität bzw. umgekehrt formuliert Reproduzierbarkeit eines Messverfahrens zu. Erst die Auswertung vieler Doppelmessungen an unterschiedlichen Stellen erlaubt die Berechnung eines Schätzwertes für den Messfehler. Der Mittelwert der Differenzen der Doppelmessungen müsste sich zu 0 addieren, wobei dann die Standardabweichung zu diesem Mittelwert (Standardabweichung der Differenzen von Doppelmessungen) als Maß für die Reproduzierbarkeit eines diagnostischen Tests verwendet werden kann. Je kleiner dieser Wert ist, desto reproduzierbarer und damit zuverlässiger ist das Testverfahren. Ohne zusätzliche Hilfsmittel, wie Messschienen, liegt der Messfehler von Sondierungsparametern zwischen 0,5 und 1,0 mm5. Deshalb sollten Einflussfaktoren bei konsekutiven Messungen so weit als möglich konstant gehalten werden. Zum einen sollte für die Verlaufskontrolle der Sondierungsparameter der gleiche Typ von Parodontalsonde mit standardisierten Dimensionen und einheitlicher Markierung verwendet werden, zum anderen sollte versucht werden, den Sondierungsdruck konstant zu halten.

Abb. 4 Erhebung von Sondierungsparametern mit einer Messschiene zur Festlegung der Sondierungslokalisationen.

Weitere Faktoren, die die Reproduzierbarkeit vertikaler Sondierungsparameter (ST, PAL-V) beeinflussen können, sind die Tiefe der parodontalen Tasche (geringere Reproduzierbarkeit bei tiefen als bei flachen Taschen), der Zahntyp (abnehmende Reproduzierbarkeit von Frontzähnen über Prämolaren zu Molaren), aber auch einfach Ablesefehler (Abb. 5) oder Fehler bei der verbalen Übertragung der Messwerte (die Person, die den Befund mitschreibt, versteht eine andere Zahl, als diktiert wurde).

Abb. 5 Messung der Sondierungstiefe mesiobukkal von Zahn 12 bei einem parodontal Gesunden: Wie weit reicht die Parodontalsonde (PCPUNC15) nach apikal? Bis zum dritten (ST = 3 mm) oder vierten Teilstrich (ST = 4 mm)?