Ach los, scheiß der Hund drauf!

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Blumen für Leni

Beim Comeback der Filmregisseurin Leni Riefenstahl (1902-2003) als weltweit beachtete und anerkannte Fotografin hat der „stern“ eine große Rolle gespielt. 1975 erschien eine Fotostrecke, die als „beste fotografische Leistung des Jahres“ mit der Goldmedaille des Art-Directors-Club Deutschland ausgezeichnet wurde. Bereits 1969 war im „stern“ die Fotostrecke „Leni Riefenstahl fotografiert die Nuba – Was noch nie ein Weißer sah“ veröffentlicht. Die Aufnahmen, die Leni Riefenstahl im Südsudan gemacht hatte, waren wirklich hervorragend.

Es war unser Art-Director Rolf Gillhausen, der auf die Fotos gestoßen war. Der Mann war ein richtiger Bildkünstler, wie es sie heute nicht mehr gibt. Er kannte weltweit die großen Fotografen und wusste genau, was in anderen Blättern erschienen war. Als Fotograf war er der erste westliche Journalist, der China besucht und eine Geschichte unter der Schlagzeile „Die blauen Ameisen“ im „stern“ geschrieben hatte, weil alle Chinesen blau gekleidet waren. 1956 fotografierte er beim Aufstand in Ungarn, wie die aufgebrachte Bevölkerung Jagd auf Mitarbeiter der ungarischen Staatssicherheit machte und diese kurzerhand aufknüpfte. Als ich zum „stern“ kam, war er Fotochef und sein Wort galt bei Chefredakteur Henri Nannen.

Als Nannen von Gillhausen die Riefenstahl-Fotos über die Nuba vorgelegt bekam, war er beeindruckt. Nannen war ohnehin Riefenstahl-Fan. Immerhin hatte er als Sprecher in ihrem berühmten Olympiafilm von 1936 mitgewirkt. Der Nächste, der die Fotos vorgelegt bekam, war ich. Nannen wusste, dass ich zu jener Handvoll Kollegen zählte, die ganz schnell eine lange Geschichte schreiben konnten, auch als Ghostwriter. Das war auch bei Swetlana Allilujewa so gewesen, der Tochter Stalins, die sich 1967 in den Westen abgesetzt hatte. In einer Nacht musste ich damals die erste Folge ihrer Memoiren, die der Verlag für viel Geld gekauft hatte, in „stern“-Deutsch umschreiben.

Wahrscheinlich spielte auch eine Rolle, dass ich den Südsudan kannte. Nannen schwärmte mir jedenfalls von den „sensationellen Fotos“ vor, die Gillhausen bei Leni Riefenstahl entdeckt hatte.

„Randy, das sind wunderbar ästhetische Aufnahmen nackter Naturmenschen, daraus müssen wir unbedingt eine Fotogeschichte machen. Ich möchte diese gern in der Weihnachtsausgabe unseren Lesern präsentieren. Das aber bedeutet, wir benötigen den Text dazu bis morgen früh. Frau Riefenstahl ist schon in Hamburg und wählt gemeinsam mit Gillhausen die Bilder aus. Meinen Sie, dass Sie noch heute zu ihr ins Hotel gehen könnten? Sie lassen sich von ihr erzählen, wie es in Afrika war, wie die Bilder entstanden sind und legen ihr dann morgen die Geschichte vor.“

„Gut, wo ist sie untergebracht?“ – „Im Hotel ‚Berliner Tor‘.“

Dort fuhr ich hin und erkundigte mich nach Riefenstahl. Die sei in ihrer Suite, hieß es. Wie ich später in ihren Memoiren las, befand sie sich damals in einer Phase der völligen Armut. Die Tatsache, vom „stern“ nach Hamburg eingeladen zu sein, hat sie offensichtlich sehr genossen. Ich klopfte also an die Tür und sagte, wer ich war. Und dass ich die Geschichte für den „stern“ schreiben würde.

„Ich lege Ihnen den Text morgen zum Frühstück vor und Sie sagen, ob er in Ordnung ist. Und dann drucken wir ihn.“

„Ach, junger Mann, das geht doch gar nicht. Es ist doch jetzt schon später Abend.“

Ich redete mit Engelszungen auf die Frau ein: „Lassen Sie es uns doch versuchen, Frau Riefenstahl. Wir setzen uns zwei Stunden zusammen, Sie erzählen mir von ihren Eindrücken, ich fahre dann nach Hause und versuche, die Geschichte bis morgen früh rund zu bekommen. Ich komme acht Uhr zum Frühstück ins Hotel. Sie lesen das und dann sind wir durch.“

Leni Riefenstahl ließ sich überreden und erzählte: Als sie sich auf die Suche nach den Nuba machte, war sie, Jahrgang 1902, schon knapp 60 Jahre alt. In Deutschland war sie seit Kriegsende wegen ihrer in der Nazi-Zeit entstandenen Filme und ihrer Nähe zum Führer verfemt, in Afrika entdeckte sie bei den sudanesischen Ureinwohnern plötzlich eine ganz neue Welt. Übrigens war es wiederum ein Foto im „stern“, das für sie die Initialzündung auslöste: das Bild eines muskulösen, mit weißer Asche bestäubten Nuba-Ringkämpfers. Mir erzählte sie sehr bildhaft, wie sie über die Berge geklettert war, diese Menschen kennengelernt und ihr Vertrauen gewonnen hatte.

Ich fand diese Schilderungen spannend. Daraus eine Geschichte zu schreiben, das schien mir überhaupt kein Problem zu sein. Auf jeden Fall, sagte ich mir, würde das einfacher als seinerzeit, als mir Nannen 200 Seiten Erinnerungen von Swetlana Stalin in die Hand drückte. Diese Erinnerungen musste ich erstmal komplett überfliegen, bevor ich etwas schreiben konnte. Leni Riefenstahl erzählte dagegen in Sprachbildern, die genauso beeindruckend waren wie ihre Fotos. Gegen Mitternacht verabschiedeten wir uns.

Einen schönen Einstieg glaubte ich schon gefunden zu haben: „Ich hatte zwei Stunden anstrengenden Aufstieg hinter mir, bog um eine Ecke und dann sah ich ihn: einen wunderschönen Mann, vielleicht 20 Jahre alt, und er war nackt.“ In diesem Stil habe ich, um den Leser in die Geschichte hineinzuziehen – es wäre ja kein schlechter Einstieg gewesen – geschrieben. Und es gab auch seriöse Teile. Es ging nicht nur um die Nacktheit, denn auch in anderen Teilen Afrikas läuft man nackt herum.

Optimistisch fuhr ich heim und schrieb die Geschichte auf. Erst im Nachhinein begriff ich, dass es ein Fehler war, die ganze Geschichte so boulevardesk anzufangen. Am nächsten Morgen bin ich frohgemut und zufrieden mit meinem Text pünktlich acht Uhr im Hotel erschienen. Ich hatte die ganze Nacht gearbeitet, war strikt trocken, hatte keinen Schluck Alkohol getrunken, dafür aber ganz viel Kaffee. Ich war high und dachte, sie liest das und dann wird das gedruckt.

Leni Riefenstahl nahm sich die Blätter und begann zu lesen: „Ich ging um die Ecke und da stand er. Er war 20 Jahre und nackt.“ Und da hörte ich ihren Aufschrei.

„Nein! Das ertrage ich nicht! Ich denke, ich bin mit einem seriösen Blatt zusammen und dann diese Diktion und diese Art der Darstellung! Das ist völlig unmöglich. So kann das nicht veröffentlich werden.“ Sie kreischte, weinte echte Tränen, warf mir den 25.000-DM-Scheck Nannens vor die Füße und schrie, sie habe sich noch nie so in einem Menschen getäuscht wie in mir.

Sie war völlig außer sich und weigerte sich, mehr als den ersten Absatz zu lesen. Sie gab mir zu verstehen, dass sie mit mir nichts mehr zu tun haben wollte. Sie dachte, das geht so weiter. In ihren Memoiren schrieb sie später, der Text „war nicht schlecht, im Gegenteil, er war journalistisch glänzend geschrieben, aber was da stand war zu sensationell und meinen Empfindungen diametral entgegengesetzt“.

„Tja“, habe ich gesagt, „Frau Riefenstahl, dann fahre ich jetzt zurück in die Redaktion und sage Herrn Nannen, dass das mit der Geschichte nichts wird oder Nannen muss eine andere Lösung finden.

Ich sagte „Adieu“ und setzte mich in ein Taxi, fuhr in die Redaktion und ließ mich beim Chefredakteur anmelden.

„Herr Nannen, hier ist mein Text, aber ich kann Ihnen gleich sagen, Leni hat ihn abgelehnt. Sie hat sogar mehrfach aufgeschrien und sie hat geweint. Ich will mit der nichts mehr zu tun haben. Wenn Sie noch mal mit ihr verhandeln wollen, dann müssen Sie jemand anderen hinschicken. Die Frau macht mich fertig. Ich habe mich wirklich bemüht und die hat geschrien und geweint.“ Mit dieser hysterischen Ziege will ich nichts mehr zu tun haben.

Nannen sah mich nachdenklich und seltsam an.

„Randy, kennen Sie denn nicht Leni Riefenstahl? Haben Sie noch nie etwas über sie gelesen? Leni weint und schreit immer. Auch wenn sie verliebt ist, weint und schreit sie erstmal. Das macht sie doch immer so, wenn sie ihren Willen durchsetzen will. Deshalb hatte schon Goebbels Angst vor ihr.“ Nannen wusste, wovon er redete: In Lenis weltweit verfilmten und mit Ehrungen überhäuften Olympia-Film hatte er mitgespielt. Denn groß, blond und blauäugig entsprach er dem Riefenstahl´schen Männlichkeits-Ideal. Er erklärte mir, wie die Sache „ganz leicht“ zu retten sei: mit einem gewaltigen Blumenstrauß, einem formvollendeten Handkuss und dann aber mit bestimmtem Auftreten.

„Fahren Sie ins Hotel, nehmen Sie Leni und kommen mit ihr in die Redaktion zurück. Wir werden dann alles klären.“

Ich fuhr also wieder ins Hotel, überreichte den Blumenstrauß und verhielt mich wie geheißen nach Art des Herrenmenschen. Leni Riefenstahl schrie auf: „Nein, das ist ja wunderschön! Aber trotzdem, Ihr Text ist unmöglich, der kann nicht veröffentlicht werden.“

„Frau Riefenstahl, ich habe mit Herrn Nannen darüber gesprochen. Wir können jederzeit ändern. Wir haben noch ein paar mehr Stunden Zeit, als er ursprünglich gesagt hat. Ich möchte Sie bitten, mit mir in die Redaktion zu kommen, da können wir über alles sprechen.“

Sie war tatsächlich einverstanden und wir fuhren zusammen in die Redaktion. Nannen, der den Text inzwischen gelesen hatte, redete gleich los: „Aber Leni, das ist der erste Absatz. Wir können ändern und auch ganz anders in die Geschichte einsteigen. Sie haben das letzte Wort hier. Sie entscheiden, wie wir publizieren.“

Das schmeichelte ihr und sie war einverstanden. In ihren Memoiren schildert sie die Szene. Sie schreibt, sie hätte sich an die Schreibmaschine gesetzt und geändert. Ich habe das so in Erinnerung, dass ich an der Schreibmaschine saß und neben mir Leni Riefenstahl. Gemeinsam gingen wir alles Zeile für Zeile durch. Und sicher hat sie den einen oder anderen Satz geändert, aber im Wesentlichen ist die Geschichte so geblieben, wie ich sie geschrieben hatte. Quasi in letzter Minute war alles fertig und der Text ging nach Gütersloh, wo der „stern“ gedruckt wurde.

 

Der Beitrag erschien wie von Nannen gewünscht in der Weihnachtsausgabe und hat international hohe Wellen geschlagen. Nach der Veröffentlichung der Story war Leni wieder im Geschäft – ich gebe allerdings zu, wegen der Fotos und nicht wegen des Textes. Aber der gehörte eben dazu.

Auch die Kollegen, die in Oppostion zu Nannen standen und es als Skandal empfanden, Riefenstahl ins Blatt zu rücken, verstummten vorübergehend. Die Fotos waren einfach zu gut.

Leni Riefenstahl und ich hatten uns an diesem Nachmittag freundlich mit Küsschen links und rechts verabschiedet. Leider sollte ich sie nie wiedersehen, aber faszinierend war diese Frau durchaus. Freunde wären wir gewiss nicht geworden, das war klar. Sie war nicht meine Frau und ich nicht ihr Kerl. Die Chemie passte nicht. Ich war ihr ein bisschen zu grob und sie mir zu zickig.

Ein Dichter öffnet die Tür zum Schah

Bei einer Reportage sollte der persische Dichter Cyrus Atabay (1929-1996) eine Schlüsselrolle spielen. Ich hatte Anfang 1967 den Auftrag erhalten, zusammen mit dem Fotografen Max Scheler eine große Geschichte über Persien zu schreiben. Grund war der für Juni angekündigte Deutschland-Besuch Seiner Heiligkeit, Mohammad Reza Schah Pahlavi Schahinschah (1919-1980), der der letzte Herrscher auf dem Pfauenthron sein sollte. Die Meinung über den persischen Herrscher war damals in der bundesdeutschen Öffentlichkeit sehr geteilt. Für die Yellow Press war er wegen seiner Heirat mit der deutschstämmigen Soraya Esfandiary Bakhtiari und später mit Farah Diba eine Glamourfigur. Innerhalb der sich damals herausbildenden Studentenbewegung gab es dagegen nur zwei Feindbilder: Das eine waren die US-Amerikaner schlechthin wegen ihres Kriegs in Vietnam, das andere war der Schah von Persien.

Erheblichen Anteil an diesem Bild hatten in Deutschland studierende junge Perser, die die ganze Anti-Schah-Bewegung ins Rollen brachten, indem sie ein Bild von einem verarmten, unterdrückten, durch eine schreckliche Dynastie ausgebeuteten Volk zeichneten. Und dieser Diktator, Schah Schahinschah, kündigte nun zum Entsetzen der bundesdeutschen Diplomatie einen Deutschlandbesuch an. Die Bundesregierung konnte nicht absagen, rechnete aber mit heftigen Protesten seitens der Studenten. Es kam dann am 2. Juni 1967 in West-Berlin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten getötet wurde.

Mit dem anstehenden Besuch des Kaisers aus dem Märchenreich interessierten sich plötzlich die Chefredaktionen der großen Illustrierten wie „Spiegel“ und „stern“ für das Land und schickten ihre Reporter los. Die sollten erkunden, was in Persien wirklich los ist. Ich war damals zwar im Auslandsressort des „stern“, aber eigentlich nicht der Reporter, dem man solch eine große Länderreportage anvertraut hätte. Aber es war bekannt, dass ich mit dem Presseattaché der kaiserlich-persischen Botschaft, die nicht in Bonn, sondern in Köln ihren Sitz hatte, Dr. Amir-Khalili, eng befreundet war. Amir-Khalili lebte schon lange in Deutschland, sprach fließend Deutsch und praktizierte überdies als niedergelassener Allgemeinmediziner. In der Redaktion ging man davon aus, dass er mir in Teheran wichtige Entrees verschaffen könnte. Für authentische Reportagen ist es wichtig, Leute zu kennen, die einem helfen.

Dass mir Max Scheler als Fotograf zugeordnet wurde, erwies sich später als außerordentlich wichtig. Scheler war ein gut aussehender, schlanker Mann, der fließend mehrere Sprachen beherrschte und große literarische Kenntnisse hatte. Er war nicht nur der Sohn des Religionsphilosophen Max Scheler, über den der polnische Papst eine Dissertation geschrieben hatte, sondern auch bekennender Homosexueller. Das erforderte Mut, denn in der BRD gab es noch den Paragrafen 175, der jede Art homosexueller Handlungen unter Strafe stellte. In der DDR war er schon längst abgeschafft. Aber Max war bei einem liberalen Blatt und jeder wusste, dass er schwul ist, das spielte keine Rolle.

Unglaublich lockere Stimmung: im Gespräch mit dem Schah von Persien. Im Laufe der nächsten Jahre sollte ich drei Interviews mit ihm führen.


Wir flogen also zusammen nach Teheran. Amir-Khalili hatte mich bei Manssur Nowduschani avisiert, dem Chefredakteur der deutschsprachigen Wochenzeitung „Die Post“. Das Blatt war für Touristen und Diplomaten gedacht und lobte ununterbrochen die Regierung des Schahs und dessen System. Dafür wurde es sehr gut von der persischen Regierung bezahlt. Nowduschani und viele wichtige Politiker, mit denen ich auf dieser Persienreise und noch folgenden reden sollte, sprachen hervorragend Deutsch. Sie hatten entweder während der Nazi-Zeit in Deutschland studiert oder kurz nach Kriegsende. Für sie war Deutschland das Traumland. Sie hassten die Engländer, die während des Zweiten Weltkriegs ohne Genehmigung den Süden Persiens besetzt hatten. Die Russen, die im Norden einmarschiert waren, mussten sich irgendwie diplomatisch vernünftiger verhalten haben; sie wurden jedenfalls nicht gehasst. Allerdings verspürten selbst die persischen Kommunisten wenig Lust auf Moskauer Verhältnisse.

Übernachtung im Park: nach einem Erdbeben in der persischen Provinz Khorassan.


Manssur Nowduschani begrüßte uns sehr herzlich: „Ich weiß nicht, wie viel Zeit Sie haben, aber ich habe mit dem Direktor des Goethe-Instituts gesprochen und morgen Abend findet dort ein Treffen statt, bei dem alle deutschsprachigen Dichter Persiens vertreten sind. Gehen Sie dahin, das könnte interessant werden.“ Es gab damals eine ganze Reihe Literaten, die sowohl in Farsi und als auch auf Deutsch schrieben. Ich sprach daraufhin mit dem Direktor und verabschiedete mich von ihm mit den Worten: „Wir sind morgen Abend pünktlich da.“

„Wieso wir?“, fragte der zurück. „Sie sind eingeladen, wer soll denn noch kommen?“

„Der Fotograf.“

„Ach, der Fotograf. Wozu denn ein Fotograf? Was soll denn ein Fotograf auf einer Dichterveranstaltung?“

Ich habe dem Direktor erklärt, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Fotografen, sondern um den Sohn des Philosophen Max Scheler handelt. Und der wäre ein hochgebildeter Mann und ganz sicher eine Bereicherung der Veranstaltung. Aber das hat den Institutsmenschen nicht interessiert. Schließlich überzeugte ich ihn mit dem Argument, dass ich unmöglich allein kommen könne, da der „stern“ uns als Team geschickt habe. Er war eben ein typischer deutscher Bürokrat, der wahrscheinlich durch zwei zusätzliche Esser sein Budget belastet sah. Ein Perser hätte nie so ein Theater gemacht.

Pünktlich erschienen wir zu der Abendveranstaltung. Ich werde dieses Bild nie vergessen: Da standen fünf oder sechs Herren, alle so um die 30, 35 Jahre alt, alle attraktiv, gut aussehend, strahlend. Die persischen Jungdichter zeigten sich hocherfreut, zwei Menschen von der deutschen Zeitschrift „stern“ kennenzulernen. Alle kannten unsere Illustrierte, obwohl der „stern“ damals wegen seiner Berichterstattung über die schahfeindlichen Studentendemonstrationen im Iran verboten war. Ich begrüßte meinerseits diese Leute. „Guten Abend, guten Abend, guten Abend.“ Und da merkte ich, wie einer in der Reihe an mir vorbei in Richtung des hinter mir gehenden Max Scheler starrte. Der starrte wirklich. Und ich merkte, dass es ein bisschen dauerte, bis Scheler weiterging. Die haben sich sehr intensiv die Hand gegeben. Es wurde dann ein Abend mit interessanten Diskussionen. Wir haben zusammengesessen, geredet, getrunken, etwas zu essen gekriegt. Dann haben wir uns verabschiedet und ich fuhr mit Max Scheler ins Hotel zurück.

„Weißt du, wen ich kennengelernt habe?“, fragte Max Scheler plötzlich.

„Eh, da war was mit dem Typen da, oder?“

„Das ist der Neffe des Schahs.“

„Was?“

„Ja, das ist der Neffe des Schahs. Wir sind verabredet für morgen. Und du kannst mitkommen, er hat uns eingeladen. Wir fahren morgen nach Südteheran in die Puffgegend. Da gibt es auch ein Schwulenviertel und da gehen wir morgen in einen Lederclub.“

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch nie in meinem Leben in einem Lederclub gewesen. Ich kannte aber Max Scheler in eng anliegendem Leder, denn so erschien er mitunter in Hamburg in der Redaktion. Das war ein Leder, was so leicht knarrt. Krch, krch. Das hatte schon was. Der Lederclub war für mich also eine neue Erfahrung. Nun muss ich betonen, dass mir nichts peinlich ist und ich, was Bordelle anbelangt, nicht unerfahren bin. Aber in dem Club fühlte ich mich nicht richtig wohl. All die Küsse und die Knutscherei. Ich hatte niemanden zum Knutschen und wollte das auch nicht. Und den anderen war klar, dass ich nicht dazugehörte. Ich wurde akzeptiert, spielte aber keine Rolle. Man fragte mich höflich, wo ich herkomme und warum ich hier bin. Aber da funktionierten einfach irgendwelche Signale nicht, für die die Kameraden empfänglich sind. Max und der Neffe des Schahs, der Cyrus Atabay hieß, blieben jedenfalls den ganzen Abend zusammen und als wir uns verabschiedeten, gab es eine große Umarmungsszene.

Ich sollte hier einfügen, dass Cyrus Atabay zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Lyrikbände in Deutschland veröffentlicht hatte. Er war der Sohn eines Arztes, der bei Ferdinand Sauerbruch promoviert hatte, und der Prinzessin Hamdam al-Saltaneh. Cyrus war von 1937 bis 1945 in Berlin aufgewachsen und hatte das Arndt-Gymnasium in Dahlem besucht. Später studierte er Germanistik in München und lebte zu dem Zeitpunkt, als wir ihn kennenlernten, abwechselnd in Teheran und London.

„Lass uns mal reden“, sagte ich zu Max Scheler und zerrte ihn in die Hotelbar. Ich wollte wissen, was das genau für ein Club war und was für Leute das waren.

„Du, ich will nicht groß erzählen“, sagte Max Scheler. „Ich will dir nur eins sagen: Ich habe mich verliebt.“

„Du hast dich verliebt?“

„Ich habe mich verliebt. Und er hat sich auch verliebt. Ich will dich aber beruhigen, wir machen unsere Reportage. Und wenn es zu dramatisch wird, hauen wir ab. Da flüchte ich. Aber wenn du gestattest, möchte ich morgen mal einen ganzen Tag mit Cyrus verbringen. Du kannst inzwischen die Geschichte mit dem Informationsministerium regeln.“

Darauf ging ich ein, denn es war Pflicht, sich beim Informationsministerium anzumelden. Man konnte auch nicht einfach ein Auto mieten, sondern bekam das samt Fahrer vom Ministerium zur Verfügung gestellt. Klar war, dass dieser Fahrer Mitarbeiter des Sazeman-e Ettela‘at va Amniat-e Keshvar, des Geheimdienstes SAVAK war. Dieser war im ganzen Land gefürchtet. Mehrfach erlebte ich, dass Gesprächspartner den Zeigefinger auf den Mund legten und mit mir nach draußen gingen. Ich verstand das zwar nicht, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass ein Geheimdienst in der Lage sein sollte, nicht nur alles abzuhören, sondern das Abgehörte auch noch auszuwerten.

Am Abend war jedenfalls alles geregelt, als Max Scheler ganz aufgeregt ankam: „Der Schah hat uns eingeladen, mit seiner Familie gemeinsam das Nowruz zu feiern.“ Das war das traditionelle zarathustrische Neujahrsfest, das zum Frühlingsbeginn stattfindet. Es wurde in Persien ganz groß gefeiert und auch von Ajatollah Chomeini und dessen Nachfolgern nicht abgeschafft.

Am 21. März saßen wir im größten und wichtigsten Palast im Norden Teherans mit der Schahfamilie zusammen. Ich hatte die Möglichkeit, mit seiner Heiligkeit Reza Schah ein paar private Worte zu sprechen und eine Verabredung für ein Interview zu treffen, das in der darauffolgenden Woche stattfinden sollte. „Majestät, wichtig sind für uns die Fotos, denn der ‚stern‘ ist ein illustriertes Magazin. Ich fände es gut, wenn wir Sie und Ihre Familie fotografieren dürften.“ Sie hatten drei Kinder, darunter der noch heute in den USA lebende Kronprinz.

„Kommen Sie morgen und dann gehen wir gemeinsam im Garten spazieren. Ihr Kollege kann dann so viel fotografieren, wie er will.“

So geschah es. Seine Majestät erwies sich als ein angenehmer, lockerer Gesprächspartner, mit dem ich auf seinen Wunsch hin auf Französisch parlierte. Max Scheler konnte fotografieren, was er wollte. Dabei geschah etwas ganz Amüsantes. Es war die Zeit, als die Illustrierten auch Farbseiten brachten und Max Scheler hatte deswegen vier Kameras umhängen, je zwei für Farb- und Schwarzweißfilme. Profis hatten ja immer Angst, im entscheidenden Moment den Film wechseln zu müssen. Scheler war jedenfalls aufgeregt, wechselte immer wieder die Kameras und warf sie auf den Rücken. Schließlich kam es zu einer Loriot-reifen Szene. Der Fotograf hatte sich so in den Riemen der Apparate verheddert, dass er seine Arme nicht mehr bewegen konnte. Wir mussten ihn befreien. Seine Heiligkeit half tatkräftig. Es war eine unglaublich lockere Stimmung. Allerdings hatte der Schah, mit dem ich im Laufe der nächsten Jahre drei Interviews machen sollte, das erste war für nächste Woche verabredet, nicht so eine Ausstrahlung wie beispielsweise Charles de Gaulle. Von diesem war ich schwer beeindruckt.

 

Der Spaziergang mit dem Schah öffnete uns alle Türen. Ich war plötzlich eine Persona gratissima. Und in derartigen Diktaturen spricht sich das sehr schnell herum. „Die waren Gast bei Seiner Majestät“, wussten alle. Wir wurden auch nicht mehr kontrolliert. Das Informationsministerium stellte uns einen Cadillac und später, weil wir in Wüstengebiete fahren wollten, einen großen geländegängigen Wagen sowie einen armenischen Fahrer zur Verfügung. Natürlich war uns klar, dass der jeden Abend seinen Bericht schreiben musste, wo wir gewesen sind, wohin wir noch wollten und mit wem wir gesprochen hatten.

Max Scheler und ich waren insgesamt vier Wochen in Persien unterwegs. Wir hatten vom „stern“ keine zeitliche Beschränkung. Fest stand, die Geschichte sollte eine Woche vor dem Schah-Besuch in Deutschland erscheinen. Um ein objektives Bild zeichnen zu können, wollten wir durch das ganze Land fahren. Wir besuchten Meschhed im Nordosten. Als schiitisches Pilgerzentrum war sie eine der größten Städte. Hier befindet sich die Grabmoschee des Imam Resa aus dem frühen 9. Jahrhundert. Auch in die zweite heilige Stadt, Ghom, fuhren wir, sowie in halbheilige Städte wie Shiraz und Isfahan. Sonst bestand das Land aus vielen Kleinstädten und Dörfern. Auf den Feldern arbeiteten die Bauern. In den Karawansereien konnte man sich satt essen. Es war sicher kein prosperiendes Land, aber eines, dem es gut ging. Und die Leute sagen: „Das verdanken wir Seiner Majestät, weil Seine Majestät die schiitische Kirche und die Großgrundbesitzer enteignet und den Bauern, die sich zu Genossenschaften zusammenschlossen, Kredite gegeben hat.“

Mit seiner „weißen Revolution“ wollte der Schah aus dem feudal geprägten Agrarstaat einen modernen Industriestaat machen. Was die Westjournalisten dagegen später als Revolution bezeichneten, war die Konterrevolution der schiitischen Geistlichkeit. Die schlug zurück, wie sie überall zurückschlägt, wenn es um ihr Eigentum geht: die Schiiten in Persien und im Irak, die Sunniten in Ägypten und Tunesien und in Syrien. Im Prinzip sind es Auseinandersetzungen zwischen laizistischen Regierungen und der Kirche, die um ihre Rechte fürchtet. Übrigens wurden die in Persien lebenden religiösen Minderheiten während der Schahzeit respektiert und standen unter dem Schutz der Regierung. Die Muselmanen konnten es nicht riskieren, Juden, christliche Gemeinden oder die Parsen anzugreifen.

Wir waren bei den nach der Lehre des Zoroastrismus lebenden Parsen in der Wüste, in christlichen Dörfern, in den gut funktionierenden Städten des Südens. Der Gesamteindruck: Das Land ist in Ordnung, es geht ihm besser als allen Nachbarstaaten. Irgendwie stimmt das nicht, was diese Studenten da in Deutschland deklamieren, dass der Schah das Land ruiniert, dass sie alle zu Tode hungern. Hunger gab es ganz offensichtlich nicht.

Während ich noch Eindrücke sammelte, war mir klar geworden, dass ich keine Jubelgeschichte schreiben konnte. Die wäre erst in der Redaktion und später von vielen Lesern zerrissen worden. Die große Reportage hieß dann „Der Schah ist der Boss“. Und das stimmte auch. Ich brachte deutlich zum Ausdruck, dass der Schah ein Diktator ist und man ihm nicht widersprechen darf. Das war der Nachteil des Systems, das wir kennengelernt hatten: Es braucht immer die Entscheidung des Einen und wenn du die nicht hast, geht nichts. Aber insgesamt hatte das Land einen guten Eindruck auf mich gemacht.

In der Redaktion war schon vor Druck bekannt, was Randy da geschrieben hatte. Überdies hatte sich herumgesprochen, dass ich mit Persern befreundet und „bei Hofe“ gewesen war. Zum Glück war von der Liebesbeziehung zwischen Max Scheler und Cyrus Atabay nichts bekanntgeworden, denn das hätte die ganze Geschichte torpediert. Die wäre dann wohl nicht erschienen. So aber entschied Chefredakteur Nannen: „Das wird so gedruckt, wie es die Reporter, die vor Ort waren, geschrieben haben. Basta!“ Nach der Veröffentlichung gab es eine Redaktionskonferenz, wo Max Scheler und ich von den lieben Kollegen auf das Heftigste beschimpft wurden: „Faschisten!“, „Das ist ja finsterste Reaktion, die hier jetzt einzieht.“

Es war so schlimm, dass sich in mir das Gefühl breitmachte: In dieser Redaktion kannst du nicht bleiben. Es war ja insgesamt so, dass es zwar eine konservative Regierung unter Kiesinger gab, aber klar war, dass alles auf links, auf Willy Brandt zusteuerte, der 1969 Bundeskanzler wurde. Und die Mehrheit der Redaktion war auf Seiten der revoltierenden Studenten. Ich kam mir jedenfalls völlig fehl am Platz vor. Die waren alle irre. Ich fühlte mich weder rechts noch links, ich versuchte objektiv das zu präsentieren, was ich erlebt hatte. „Du musst den Laden verlassen“, sagte ich mir. „Nannen wird dich gewiss nicht rauswerfen, sondern schützen, aber was soll ich mit den Arschlöchern, die mit solchen Parolen rumlaufen?“ Und dann lag drei Tage später, am Sonntag, der neue „Spiegel“ in der Redaktion vor. Und was stand in dem Blatt: eine Geschichte mit ganz ähnlichem Tenor. Lohfeld, Chef des Außenressorts des „Spiegel“, war ebenfalls in Persien unterwegs gewesen und stellte fest: So wie es uns die linken persischen Studenten erzählen, so schrecklich ist es nicht.

Ein Jahr später, nach dem Sturz des Schahs, stellte sich heraus, dass mein Freund, der persische Presseattaché, nicht nur niedergelassener Arzt in Köln war, sondern auch Deutschlandchef des Geheimdienstes SAVAK. Es hieß, er sei in die USA geflüchtet. Cyrus Atabay, der Dichter, ist durch die islamische Revolution staatenlos geworden und nach München geflüchtet. In der „Süddeutschen Zeitung“ las ich eines Morgens: „Münchner Verwaltungsgericht lehnt Asylantrag des persisch-deutschen Dichters Cyrus Attabay ab.“ Daraufhin habe ich einen von Zorn und Entsetzen geprägten Leserbrief geschrieben: Es sei unfassbar, dass dieser Dichter, der sich jahrelang um deutsche Kultur in Persien gekümmert und wirklich verdient gemacht hat, in Deutschland kein Asyl erhält. Aufgrund des abgedruckten Leserbriefes ist die Verwaltungsentscheidung von Franz-Josef Strauß rückgängig gemacht worden. Cyrus Atabay ist dann 1996 in München gestorben.

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