Vom Stromkartell zur Energiewende

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Allerdings blieben die Aufwendungen für die Rüstung nicht ohne Einfluss auf die Energiewirtschaft. In den sechs Jahren nach 1933 gab das Reich 80 Mrd. für Rüstung aus, die Staatsverschuldung stieg auf das Dreifache, der Geldmarkt für privatwirtschaftliche Investitionen trocknete aus, und der Banknotenumlauf wurde bis zum Zehnfachen hochgefahren. Im Januar 1939 – nach dem Anschluss Österreichs – meldete das Reichsbankdirektorium der Regierung: „Gold- oder Devisenreserven sind bei der Reichsbank nicht mehr vorhanden. Reserven, die aus der Angliederung Österreichs, aus dem Aufruf ausländischer Wertpapiere und inländischer Goldmünzen gemeldet waren, sind aufgezehrt.“ Aber Rohstoffe für die Rüstungswirtschaft konnten nur auf dem Weltmarkt beschafft werden, wofür wiederum Devisen gebraucht wurden. Diese sollten vor allem die Stars unter den Devisenverdienern, Siemens und AEG, herbeischaffen. Diese hatten allerdings an einer Ausweitung des Exportes kein Interesse. Sie waren dazu auch nicht in der Lage, weil den Arbeitern in den Betrieben schon das Äußerste zugemutet wurde. Gleichwohl mussten sie zu einer echten Exportoffensive mit den dazu gehörenden Preiskämpfen antreten. Das war ihnen allerdings peinlich, denn schließlich hatten sie sich als prominente Mitglieder des Weltkartells verpflichtet, solche Preiskämpfe zu verhindern.

Bei der nächsten Sitzung des Gründerkreises der International Electric Association (IEA) im Londoner Zentralsekretariat erläuterten die deutschen Manager ihren Kartellkollegen die missliche Lage: Obwohl ihnen als Kartellmitgliedern die Notwendigkeit zur Festlegung von verbindlichen Mindestpreisen für Kraftwerke und Kraftwerksaggregate klar war, konnten sie sich wegen der Devisenschwäche ihres Landes nicht an Preisabsprachen halten. Aber die Chefdelegierten des Weltkartells machten den Deutschen keine Vorwürfe, weil sie die Probleme erkannten. Sie kamen den deutschen Kartellmitgliedern Mitte 1939 sogar entgegen, indem sie bereit waren, ihnen einen großen Teil der Aufträge aus dem britischen Empire zu überlassen. Die Deutschen mussten dazu Rücksprache halten. Am 11.8.1939 erhielt der Sekretär des Weltkartells die Nachricht, dass General Electric und Westinghouse keine grundsätzlichen Einwände gegen eine solche Quotenregelung hatten. Aber am 1.9.1939 begann der Krieg mit dem Überfall auf Polen. Das Weltkartell der Anlagenbauer fiel ihm bereits nach wenigen Wochen zum Opfer. Das kleinere Lampen-Weltkartell Phoebus aber überlebte. Der alte Fuchs Meinhardt von der Auer-Gesellschaft hatte es in der neutralen Schweiz angesiedelt. Hier zeigte sich denn auch, dass die Konzernchefs in aller Welt ihre Kartelle auch im Krieg weiterführen: Bei dem routinemäßig schon vor Monaten einberufenen Spitzengespräch im Spätherbst 1939 saßen in der Genfer Rue de Rome neben dem deutschen Vertreter auch die Kartellfreunde aus den freien Staaten England und Frankreich am Tisch. Nur der Pole fehlte. Sein Land hatten die Hitler-Deutschen und Stalin-Russen einträchtig besetzt.

Selbst die Nazi-Diktatur konnte also der Stromwirtschaft nicht schaden. Sie wurde eben gebraucht; ganz abgesehen davon, dass sie weitgehend auch dem Staat gehörte. Selbst die Kartelle überlebten den Zweiten Weltkrieg. Darin liegt das Geheimnis dieser in der Wirtschaft einzigartigen Stellung, des „Stromstaats“. Aber wie ging es weiter?11

7 Zenke, Genehmigungszwänge im liberalisierten Energiemarkt, 1998, 50. 8 Evers, in: Börner, Energiewirtschaftsgesetz, 20. 9 Denkschrift des Deutschen Gemeindetages „Deutsche Energiewirtschaft am Wendepunkt“ vom Oktober 1939, 4. 10 Zenke, Genehmigungszwänge im liberalisierten Energiemarkt, 1998, 78. 11 Weiterführende Literatur: Günter Karweina, Der Stromstaat, 1984; Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, Köln 1989; Gerald Feldmann, Hugo Stinnes. Biografie eines Industriellen, München 1989; Jan Kehrberg, Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland – Der Weg zum Energiewirtschaftsgesetz 1935, Frankfurt/Main 1997; Bernhard Stier, Staat und Strom. Die politische Steuerung des Elektrizitätssystems in Deutschland 1890–1950, Mannheim 1999; Boris Gehlen, Paul Silverberg (1876–1959). Ein Unternehmer, Stuttgart 2007; Kim Christian Priemel, Flick – Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Göttingen 2007.

2. Buch Der Gesetzgeber greift nach der Energiewirtschaft – allerdings verhalten

11. Kapitel
Ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – aber nicht für die Energiewirtschaft
1. Der Druck der Alliierten

Der Krieg war vorbei. Wen die Alliierten für die Schuldigen hielten, konnte man bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen besichtigen, bei denen auf der Anklagebank nicht nur die überlebenden Nazi-Größen, sondern auch die „Wehrwirtschaftsführer“ wie Alfred Krupp, Friedrich Flick u.a. saßen. Der Titel „Wehrwirtschaftsführer“ war ein von den Nazis verliehener Titel, den nur wenige Industrielle erhalten hatten, deren Nähe zu Regime und Partei damit klargestellt war. Über die Frage, wie mit der deutschen Wirtschaft umzugehen sei, war man sich schon beim Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 einig geworden: „In praktisch kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen.“12 Dabei ging es um Repressions- und Sanktionsmaßnahmen, wie sie schon 1944 im Morgenthau-Plan vorgesehen waren. Außerdem sollte die deutsche Wirtschaft entflochten und entkartelliert werden. Die Impulse gingen im Wesentlichen von der US-amerikanischen Besatzungsmacht als der dominierenden aus, klassische Anti-Trust-Gedanken.

Die Amerikaner konnten dabei auf ihr eigenes Anti-Trust-Recht zurückgreifen. Materieller Schlüsselbegriff war die Generalklausel von der „excessive concentration of German economic power“13 des Anti-Trust-Rechts. Möschel, einer der Nestoren des deutschen Kartellrechts14, schätzt dieses Rechtsgebiet als den „wichtigsten Beitrag (ein), den die Vereinigten Staaten zur Rechtsentwicklung in der Welt überhaupt erbracht haben“. Der Sherman Act von 1890 war der Auftakt. 1914 folgten der Federal Trade Commission Act und der Clayton Act, dessen „Regeln über Diskriminierungen“ durch den sogenannten Robinson-Patman-Act aus dem Jahr 1936 nachhaltig geändert wurden. Von überragender Bedeutung war ferner das sogenannte Celler-Kefauver-Amendment von 1950 insbesondere zur Zusammenschlusskontrolle.

Die deutsche Rechtsentwicklung hatte dazu wenig beizutragen. Das Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde als das „Land der Kartelle (geschätzte Kartellierungsquote im Jahr 1907 bei Steinkohle 82 %, 50 % des Rohstahls, 90 % des Papiers, 48 % des Zements)“ eingeordnet.15 Zwar war mit der sogenannten Kartellverordnung vom 2.11.1923 ein erster Schritt „gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen“ versucht worden. Motiviert mit der damaligen wirtschaftlichen Krisenlage sollte sie einen Stabilisierungsbeitrag leisten, indem sie der Preistreiberei durch Kartelle und der üblichen Abwälzung des Geldentwertungsrisikos auf Abnehmer aufgrund von Konditionenabsprachen entgegentrat. Aber: Kartelle blieben unverändert zulässig. Als wichtigster Anwendungsfall wurde § 8 der Verordnung angesehen, wonach Kartellbeteiligte bei Vorliegen eines wichtigen Grundes jederzeit kündigen konnten. Eine allgemeine Regulierung von Kartellen unterblieb: „Im Kern war dieses Gesetz Ausdruck einer Art syndikalistischer Zusammenarbeit zwischen Staat einerseits und Wirtschaft andererseits, orientiert an verwaltungsmäßigen, öffentlich-rechtlichen Denkkategorien, deren Wurzeln schon in einer frühen Beteiligung des Reiches an bedeutenden Kartellen (Rheinisch-Westfälisches Kohlesyndikat, Kali-Syndikat) lagen. Eine Kartell-Enquête, die in den Jahren 1926 bis 1929 durchgeführt worden war, ergab keine restriktiven Impulse“, heißt es in einem Bericht für das Parlament.16 Gegen Ende der Weimarer Zeit schätzte man 2.000 bis 4.000 Kartelle. Folgerichtig hatten die Nationalsozialisten die Kartellverordnung nach der Machtübernahme rasch durch das Zwangskartellgesetz vom 15.7.1933 ergänzt.17 Zunächst in loserer, dann in stärker gelenkter Weise war ein verhältnismäßig nahtloser Übergang in ein System möglich, in welchem Kartelle, Verbände und Kammern „Glieder im organischen Aufbau der deutschen Wirtschaft“ waren.18

Die Alliierten hatten daher die Ausgangslage durchaus richtig eingeschätzt und versucht, mit den in ihrer Rechtstradition erprobten Instrumenten einzugreifen. Das war dann konkret das Allgemeine Dekartellierungsrecht der westlichen Besatzungsmächte aus dem Jahr 1947.19 Neben diese Bestrebungen der Alliierten traten die Ordnungsgedanken der sogenannten Freiburger Schule mit Walter Eucken, Franz Böhm, Leonhard Miksch und anderen, welche später über Ludwig Erhard nachhaltigen Einfluss auf die politische Willensbildung in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland gewannen. Im Dekartellierungsrecht waren am wichtigsten die Verbotstatbestände, die auch später – nach vollzogener Überleitung – von den deutschen Gerichten häufig angewandt wurden. Das alliierte Dekartellierungsrecht blieb aufgrund einer entsprechenden Klausel im sogenannten „Überleitungsvertrag“ vom 26.5.195220 aber in Kraft, bis der deutsche Gesetzgeber ein entsprechendes eigenes Gesetz zustande gebracht hatte.

 

2. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Dieses Gesetz war das am 1.1.1958 in Kraft getretene GWB vom 27.7.1957.21 Die Arbeit daran dauerte insgesamt zwölf Jahre, es wurde heftig attackiert und heraus kam dann ein halbherziger Kompromiss. Erste Basis waren Überlegungen eines „Comité d’Etudes Economiques“, die unter der Federführung von Walter Eucken für das Zentralamt für Wirtschaft der französischen Zone erarbeitet worden waren. Sie führten zu Vorschlägen des Wissenschaftlichen Beirats bei der bizonalen Verwaltung für Wirtschaft zum „Monopolproblem“ vom 24.7.1949. 1946 war auf Initiative des Länderrates in Stuttgart ein Gremium von Sachverständigen unter dem Vorsitz von Paul Josten, dem langjährigen Leiter des Kartellreferats im früheren Reichswirtschaftsministerium, zusammengetreten. Die Arbeit dieses Kreises führte am 5.7.1949 zur Vorlage eines ausgefeilten Entwurfs zu einem „Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt“, dem sogenannten Josten-Entwurf. Es enthielt ein absolutes Kartellverbot, eine weitreichende Monopolaufsicht, eine Zusammenschlusskontrolle und einschneidende Entflechtungsregelungen. Diese Vorstellungen waren allerdings für die deutsche Wirtschaft so radikal, dass sie von vielen Seiten, insbesondere vom BDI, aufs Äußerste bekämpft wurden. Sie lösten so nachhaltige Auseinandersetzungen aus, dass sie als „Siebenjähriger Krieg“ bezeichnet wurden.22 Der Josten-Entwurf hatte daher keine Chance auf Realisierung. Die dann folgende Gesetzesarbeit war von einer ständigen Abschwächung der Maßnahmen gekennzeichnet. 1951 gab es noch Überlegungen, in Ergänzung eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein besonderes Bundesgesetz über die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit von Märkten zu planen, die durch ein Oligopol oder ein Monopol gestört waren.23 Daraus ist nichts geworden.

Der Regierungsentwurf zum GWB vom 13.7.195224 enthielt zwar in § 1 das Kartellverbot. Auch waren die Durchbrechungen des Kartellverbots in den §§ 2ff. zunächst recht begrenzt, von Anfang an war eine präventive Zusammenschlusskontrolle vorgesehen. Aber eine Entflechtungsregelung enthielt das Gesetz im Gegensatz zu den oben genannten Vorentwürfen nicht mehr – und blieb damit auch weit hinter den Vorstellungen der Alliierten zurück. Aber auch das Kartellverbot wurde vom BDI massiv bekämpft und sollte durch ein bloßes Missbrauchsprinzip ersetzt werden. Unbeirrte Unterstützung fand das Gesetz nur beim damaligen Bundeswirtschaftsminister und dem mit ihm verbundenen ordoliberalen Kreis. Am Schluss blieb ein Gesetz übrig, das Wiethölter25 als „Papiertiger“ bezeichnete.

3. Das Bundeskartellamt

Entsprechend halbherzig erfolgten auch Konstruktion und Ausstattung des Bundeskartellamtes. Dazu gibt es das ausgezeichnete Buch von Ortwein26, dessen Vorteil es ist, dass es ein Politologe geschrieben hat. Die Auseinandersetzungen um die Gründung des Kartellamtes und das Für und Wider um seine Tätigkeit sind also um die politische Dimension erweitert.

Eine für die Konstruktion des Amtes ganz entscheidende Frage war das Verhältnis zum Bundeswirtschaftsminister. Sein Ministerium soll eigentlich die Wirtschaftstätigkeit unterstützen und sie nicht durch Verbote und Missbrauchsaufsicht gängeln. Eine starke Stellung des Bundeskartellamts hätte daher nur erreicht werden können, wenn das Amt eine wirklich unabhängige Stellung wie etwa die Deutsche Bundesbank bekommen hätte, was allerdings eine Änderung des Grundgesetzes vorausgesetzt hätte. Stattdessen wurde es zwar als „selbständige Bundesoberbehörde“ (jetzt § 51 Abs. 1 GWB) etabliert, aber dem Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministers zugeordnet. Es hat auch keinen eigenen Haushalt, vielmehr wird im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums ein besonderes Kapitel für den Haushalt des Amtes geführt. Ob aus seiner Stellung ein Weisungsrecht des Bundeswirtschaftsministers oder eine Weisungsunabhängigkeit abzuleiten ist, ist strittig. So sollen Einzelweisungen gegenüber dem Amt, z.B. zur Einleitung eines bestimmten einzelnen Verfahrens, zulässig sein, der Bundeswirtschaftsminister dürfe aber nicht in „schwebende Verfahren“ eingreifen, da das Amt seine Entscheidungen „kollegial“ durch seine Beschlussabteilungen in einem „justizähnlichen Verfahren“ trifft.27 Ortwein meint: „Das Problem der Weisungsgebundenheit ist weitgehend theoretischer Natur, viel wichtiger sind die informellen Einwirkungsmöglichkeiten des Bundeswirtschaftsministers bzw. des Ministeriums auf das BKartA.“28 Die starke Stellung, die sich das Amt relativ schnell erkämpfte, war der starken Persönlichkeit ihres ersten Präsidenten Eberhard Günther zu verdanken, den Adenauer aufgrund der Vorbehalte seiner Freunde vom BDI gar nicht mochte, der aber die Gunst von Bundeswirtschaftsminister Erhard genoss. Adenauer soll bei der in sehr schlichtem Rahmen stattgefundenen Aushändigung der Ernennungsurkunde Günther gegenüber gesagt haben: „Mein Freund Berg [Präsident des BDI] sagte mir, Sie seien eine ganz böse Jong, aber na ja.“29 Günther war der Begründer desjenigen Nimbus des Amtes, dem Ortwein30 „noch eine gute Portion Berliner Zivilcourage“ attestiert. Aber mit Günther wurde auch eine Tradition begründet, die die Zweifel an der Selbständigkeit des Amtes nährt. Denn auch die Nachfolger von Günther, Wolfgang Kartte, Dieter Wolf, Ulf Böge, Werner Heitzer, Andreas Mundt, kamen aus dem Wirtschaftsministerium; wenn auch nach vorher unterschiedlich langen Kartellamtstätigkeiten. Sie hatten damit über Jahre hinweg die Luft der Industriefreundlichkeit inhaliert und mussten jetzt Kartelle verbieten, Missbrauchsverfügungen verhängen und Bußgelder erlassen: Das genaue Gegenteil der vorherigen Praxis. Allein dieses Verhältnis ist wie Feuer und Wasser.

Weiteres Merkmal einer im Staatsgefüge wenig geschätzten Einrichtung wurde die mangelhafte Anfangsausstattung. Statt der vorgesehenen vier Beschlussabteilungen wurde nur eine gebildet, es wurden nur 49 anstelle von 170 Beamten Anfang 1958 eingestellt, ein „Kartellamtsstart mit Schwierigkeiten“.31 Im Jahr 1958 folgten zunächst drei Beschlussabteilungen und eine Einspruchsabteilung, in den Jahren 1959 und 1960 eine vierte und fünfte Beschlussabteilung. Bis zum Jahr 1980 kam es zur Einrichtung von insgesamt neun Beschlussabteilungen, ferner der Referate Harmonisierung der Kartellrechtspraxis, Allgemeine Fragen/Öffentlichkeitsarbeit, Europäisches Kartellrecht, Deutsche und Europäische Fusionskontrolle, Internationale Wettbewerbsfragen, Kartelle, Marktbeherrschung, Europäisches und Internationales Kartellrecht/Grundsatzfragen sowie eine Abteilung für Prozessführung und Allgemeine Rechtsangelegenheiten. Bemerkenswert: Die Mitarbeiter der Abteilung „Prozessführung und Allgemeine Rechtsangelegenheiten“ dürfen zwar vor den Gerichten bis zum BGH selbständig auftreten. Für eine Vertretung durch Rechtsanwälte fehlt aber das Geld. Die Bundesnetzagentur kann sich hingegen durch Rechtsanwälte vertreten lassen. Die Personalausstattung des Amtes blieb aber insgesamt unzureichend. Im Jahr 1998 gab es 252 Beschäftigte. Ortwein kommt zu folgendem Ergebnis: „Für die Verwaltungspraxis hat die geringe Personalausstattung aber einen nicht zu unterschätzenden negativen Effekt.“32

Für die Energiewirtschaft war bis zum Jahre 2008 nur die 8. Beschlussabteilung mit fünf bis sechs Bediensteten zuständig. Bei ihr lagen die Fusionskontrolle und die Missbrauchsaufsicht. Im Jahre 2008 wurde eine 10. Beschlussabteilung für die Missbrauchsaufsicht eingerichtet; angesichts der durch die Liberalisierung eingetretenen Vervielfachung der Aufgaben viel zu spät. Insgesamt sind damit für die Aufsicht über vier marktbeherrschende Konzerne, die großen Stadtwerke und eine Vielzahl von Handelsunternehmen nur ca. zehn Kartellamtsbedienstete zuständig. Diesen steht eine Phalanx von mindestens 300 im Energierecht tätigen Rechtsanwälten und Mitarbeitern von Rechtsabteilungen der Konzerne und Stadtwerke gegenüber. Dazu kommen zahlreiche Volks- und Betriebswirte in den Konzernen, deren Aufgabe es ist, Unternehmensakquisitionen strategisch zu planen und sie umzusetzen. Sie verfügen zudem über das Geld, wissenschaftlichen Sachverstand einzukaufen, sei es für Gutachten, sei es für die Ausrichtung von Konferenzen u.Ä. Das Missverhältnis ist erschreckend. Waffengleichheit existiert nicht. Die Instrumente des Gesetzes und die Ausstattung der Behörden sind geradezu lächerlich im Verhältnis zu den Truppen auf der anderen Seite. Die Kartellaufsicht ist in diesem Zuschnitt „weiße Salbe“.

4. Der „Ausnahmebereich“ Versorgungswirtschaft

Die Energiewirtschaft ging in den Kampf um das Kartellgesetz von vornherein mit einem sehr radikalen Ansatz: Während sich Deutschland – auch unter dem Druck der Alliierten – für eine Marktwirtschaft entschieden hatte, konkret gesprochen also dafür, alle Märkte über den Wettbewerb zu steuern und nicht durch staatliche oder private Interventionen, sollte in der Energiewirtschaft alles anders sein: Vorherrschendes Prinzip waren Wettbewerbsbeschränkungen aller Art. Die Argumente der Versorger, allen voran der Stromwirtschaft, gingen dahin, dass eine Wettbewerbsordnung von vornherein ausgeschlossen sei. Die Märkte für Strom und – wenn auch in geringerem Maß – für Gas wiesen bestimmte Besonderheiten auf. Diese schlössen es von vornherein aus, dass sich Wettbewerbsprozesse entfalten könnten. Denn die Versorgungswirtschaft sei leitungsgebunden. Strom und Wasser könnten nur über feste Leitungen transportiert werden. Das galt auch für Gas, wenn auch mit Einschränkungen. Insbesondere die Kraftwerke, aber auch die Leitungsnetze erforderten einen außerordentlich hohen Kapitalaufwand. Einer Mitbenutzung der Leitungen durch Dritte stehe das Eigentumsrecht der Netzinhaber entgegen. Eine Doppelverlegung von Leitungen scheide wegen des hohen Kapitalaufwandes aus. Diese Argumente wurden vom Bundeswirtschaftsministerium im Gesetzgebungsverfahren abgenickt.

Im Ergebnis wurden die Verbote der §§ 1 und 15 GWB sowie die Missbrauchsaufsicht nach § 18 GWB durch die Spezialregelungen der §§ 103 und 104 GWB verdrängt. § 103 garantierte ein System geschlossener Versorgungsgebiete, die sogenannten Demarkationen oder Gebietsmonopole. Kommunen hatten das Recht als Wegeeigentümer, in ihrem Gebiet nur einem einzigen Versorger ein ausschließliches Recht zur Benutzung der Wege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zu verleihen. Dieses Recht war zunächst unbefristet. Das waren die sogenannten horizontalen Demarkationen. Nicht im Gesetz vorgesehen, aber von der Versorgungswirtschaft reklamiert wurden – durchaus konsequent – die sogenannten vertikalen Demarkationen: Danach durfte in ein bestimmtes Gebiet auch nur ein einziger Vorlieferant Strom oder Gas hineinleiten – mit dem Ergebnis, dass langfristige Lieferverträge – i.d.R. 20 Jahren mit einer sogenannten Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung galten.

Mit diesen Ordnungsprinzipien schrieb der Gesetzgeber des GWB im Grunde das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1935 fort. Danach war eine billige und sichere Energieversorgung nur gewährleistet, wenn die Versorgungsunternehmen sich auf feste Versorgungsgebiete mit langfristig gesichertem Absatz einstellen könnten. Und: „Dafür war Wettbewerb schädlich“, so die Präambel zum EnWG.

Auch in der Rechtsordnung der Bundesrepublik hatte sich also das Denken durchgesetzt, mit dem – insbesondere – die Stromwirtschaft von vornherein angetreten war: Wettbewerb ist von Übel, das Kartell ist das Eigengesetz der Versorgungswirtschaft: Ein Paradies! Freilich hatte der Gesetzgeber des GWB mit dem § 104 eine spezielle Missbrauchsaufsicht eingeführt. Diese sollte sich allerdings im Wesentlichen auf eine Preiskontrolle beschränken. Geprüft wurde, ob die freigestellten Verträge zu einer Verbilligung oder entgegen dem Zweck der Freistellung zu einer Verteuerung der Versorgung führten. Als Maßstab kamen aber immer nur die Preise anderer Versorgungsunternehmen in Betracht – und damit Monopolpreise. Denn Wettbewerb gab es ja nicht. Daher verständigten sich die Kartellreferenten in den Jahren 1965 und 1967 auf zwei Entschließungen, die sog. Vertikal- und die sog. Horizontalentschließung. Danach war ein Missbrauch der Freistellung vor allem anzunehmen, wenn ein Nachbar- oder Lieferunternehmen ohne Gebietsschutzverträge ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, zu seinen günstigeren Preisen das Gebiet des betroffenen Unternehmens zu versorgen, und hieran nur durch die freigestellten Verträge gehindert wurde.33 In der Praxis führte das allerdings nur zu einer Angleichung der Preise auf dem Höchstniveau, auch wenn die Kartellbehörden bis 1974 über 400 Verfahren gegen Versorgungsunternehmen wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Preise durchführten. Diese Preiskontrolle kam aber plötzlich zum Erliegen – und das ausgerechnet durch eine Gerichtsentscheidung: Den bekannten Stromtarifbeschluss des BGH von 1972, in dem das Gericht verlangte, dass die Kartellbehörde bei ihrem Preisvergleich zugunsten des betroffenen Versorgungsunternehmens nicht die unternehmensindividuellen Kosten berücksichtigen durfte, sondern nur die sogenannten strukturbedingten – also beispielsweise überhöhte Kosten infolge schwieriger Bodenverhältnisse (Fels o.Ä.).34 Das zwang die Kartellbehörden, Kriterien für einen exakten Strukturvergleich zu entwickeln, auch wenn die Beweislast eigentlich beim Unternehmen lag (§ 103 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Aber diese Aufgabe stellte sie vor unlösbare Aufgaben. Strukturvergleiche erfordern einen hohen Datenaufwand, zu dessen Erhebung die Kartellbehörden – ohnehin unzureichend ausgestattet – nicht in der Lage waren. Ergebnis: Die Missbrauchsaufsicht fand nur noch in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen statt.35

 

Diese Zustände riefen die Monopolkommission auf den Plan. Die Monopolkommission ist ein Beratungsorgan der Bundesregierung, vorgesehen im GWB. Sie wartete auf mit einem Paukenschlag: Die bisherige Fach- und Preisaufsicht sei wirkungslos.36 Aber: Die Empfehlung, die Freistellung der Gebietsschutzverträge durch § 103 GWB aufzuheben, unterblieb. Denn „es sei außerordentlich schwierig, die Wirkung einer Aufhebung der Freistellung, der Einführung eines Widerspruchsrechts der Kartellbehörden oder der Verschärfung der Missbrauchsaufsicht auf die Energieversorgung und auf die Marktstrukturen auch nur annähernd vorausschauend zu beurteilen“ ... (Immerhin) die üblichen Einwände gegen die Anordnung von Durchleitungsrechten seien nicht zwingend, weil schon jetzt vertragliche Durchleitungen sowohl zwischen Verbundunternehmen als auch zwischen EVU und den Betreibern industrieller Eigenanlagen vielfach praktiziert würden (Tz. 767). Die vertraglichen Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Elektrizitätsmarkt könnten daher der wirtschaftlichen Nutzung aller Energiequellen entgegenstehen; Durchleitungsrechte könnten zur wirtschaftlich verbesserten Nutzung elektrischer Energie beitragen. Doch handele es sich bei alledem nur um Instrumente, die der Aufsichtsbehörde im Einzelfall zur Verfügung stehen sollten (Tz. 768).“ Vorgeschlagen wurden letztlich nur Maßnahmen zur Verbesserung der Fach- und Preisaufsicht. Radikalere Vorschläge unterblieben.

Und dennoch: Die Vorschläge der Monopolkommission stießen auf breite Ablehnung. Vor allem die Bundesregierung sprach sich mit Nachdruck gegen die Vorschläge aus.37 Ihr gefiel schon nicht die Kritik der Monopolkommission an der geltenden Fach-, Preis- und Missbrauchsaufsicht (die ja in staatlicher Hand lag!). Vor allem wandte sie sich gegen die Konzentration der Aufsicht bei einer zentralen Bundesbehörde mit weitgehenden Befugnissen zur Kontrolle der Unternehmen. Warum, wird man später sehen.

Ebenso negativ war natürlich die Stellungnahme der Elektrizitätswirtschaft, also ihrer Verbände Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Arbeitsgemeinschaft der Regionalen Energieversorger (ARE), Deutsche Verbundgesellschaft (DVG) und Verband Kommunaler Unternehmen (VKU).38 Vor allem wandten sie sich gegen die Anordnung allgemeiner Durchleitungsrechte. Zwar wurden die Interessenkonflikte klar gesehen. Aber diese müssten im Sinne der Versorgungsunternehmen gelöst werden, die ja im öffentlichen Interesse handelten.39 Auf jeden Fall sei eine solche umfassende staatliche Lenkung der unternehmerischen Entscheidungen verfassungswidrig.

Ganz anders äußerte sich dagegen die Vereinigung Industrielle Kraftwirtschaft (VIK), das Sprachrohr der Industrie, die über Eigenerzeugung verfügte. Sie stimmte der Analyse der Monopolkommission zu, zog daraus aber andere Folgerungen. Der VIK forderte vielmehr, die Freistellung der Demarkationsverträge einzuschränken, die Ausschließlichkeitsbindung in den Konzessionsverträgen und in den Verbundverträgen zu beseitigen, das Vorsehen von Durchleitungsrechten (in § 103 Abs. 1 Nr. 4 GWB fand sich nur ein zaghafter Einstieg), den Abbau der Behinderung der Kraft-Wärme-Kopplung und die Verbesserung der Bedingungen für die Einspeisung von Überschussstrom. Ähnliche Überlegungen finden sich auch in weiten Teilen des Schrifttums.40 Dagegen schrieben wiederum die Autoren an, die bekanntermaßen der Energiewirtschaft nahestanden.41