Vom Stromkartell zur Energiewende

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8. Kapitel
Das Glühlampenkartell Phoebus

Das deutsche Glühlampenkartell, das Rathenau und Siemens schon vor der Einführung der Stromversorgung verabredet hatten, hatte anfangs wenig Erfolg. Das lag an den Produktpiraten, die die Preise von anfänglich 6 Mark bis auf 17 Pfennig herunter brachten. Dem gegenüber war das US-amerikanische Glühlampenkartell unter Anführung von General Electric wesentlich erfolgreicher – wie berichtet. Aber ein Weltkartell kam vor dem Ersten Weltkrieg nicht zustande.

Das wurde nach dem Krieg anders. Schon 1920 hatte ein Untersuchungsausschuss des britischen Unterhauses bei der Überprüfung von Kriegsgewinnen in der Elektroindustrie davor gewarnt, dass „britische, holländische und amerikanische Lampenhersteller sich zu einer internationalen Organisation zusammenschließen, die ... Produktionsmengen und Preise von Glühlampen in weiten Teilen der Welt“ kontrollieren könnte. 1924 trieb der Chefunterhändler für General Electric, Woodward, alle großen Glühlampenhersteller der Welt zu einem „gigantischen Weltkartell“ (US-Gerichtsurteil) zusammen. Er sah darin einen „Erziehungsprozess“, der davon abhing, dass man sich über Produktionsquoten, Preise etc. einigte, was nicht so einfach war. Aber schließlich wurde am Heiligabend 1924 das „Weltkartell der Glühlampen“ unter dem Namen des Sonnengottes Phoebus in Form einer Aktiengesellschaft in der neutralen Schweiz, und zwar in Genf, gegründet. Das Kartell sicherte für jedes Mitglied ein Kontingent für verschiedene Märkte und legte von Land zu Land die Preise bindend fest. Außenseiter wurden mit allen Mitteln bekämpft. „Neutrale“ Lampenfabriken wurden verdeckt aufgekauft. Deutscher Verhandlungsführer war William Meinhardt von der Auer-Gesellschaft, den die Engländer „the wily old fox“ nannten. Meinhardt kommentierte die wichtigsten Vorschriften des Kartellvertrags wie folgt:

Bei den Verhandlungen war es im Gegensatz zu anderen internationalen Vereinbarungen bemerkenswert, dass sich zunächst die Großen in der ganzen Welt verständigten und erst nach Klärung der grundsätzlichen Ziele die Kleinen zum Anschluss aufforderten. Zum Gegenstand des Vertrages gehören alle Lampen, die zur Beleuchtung, Heizung oder zu medizinischen Zwecken dienen ... Von einer Regelung der Produktion ist Abstand genommen worden. Dagegen ist eine sorgfältige Kontingentierung des Absatzes und eine Aufteilung der Märkte erfolgt. ... Durch die sachgemäße Aufteilung der Märkte erhält jedes Mitglied die Möglichkeit, mit den denkbar geringsten Vertriebsspesen seine Waren zu vertreiben.“ Diese delikaten Einzelheiten wurden allerdings dem Publikum in seiner im Jahr 1932 – also auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise – erschienen Schrift „Entwicklung und Aufbau der Glühlampenindustrie“ nicht verraten.

Zu den Kartellgeheimnissen gehörte auch die Begrenzung der Lebensdauer einer normalen Glühlampe auf 1.000 Brennstunden, obwohl 3.000 Stunden und mehr technisch möglich waren, ein Phänomen, das sich „geplanter Verschleiß“ nennt. Die Kartellbrüder versprachen sich davon „eine Verdopplung des Geschäfts in fünf Jahren“. Die Preise wurden auf diese Weise 30 % höher als sie eigentlich hätten sein können, was sich aus den Preisen einer gewerkschaftseigenen schwedischen Glühlampenfabrik ergab.

Bemerkenswert war, dass General Electric – obwohl Konstrukteur des Kartells – niemals formelles Mitglied des Kartells wurde. Das war auch nicht nötig, weil General Electric an zahlreichen Unternehmen beteiligt war, die zum Kartell gehörten. Aber eine Unterschrift erschien nicht opportun, nachdem der Aufkauf von 200 lokalen Elektrizitätsgesellschaften die amerikanischen Kartellbehörden auf den Plan gerufen hatten. Der amerikanische Senat ordnete eine Untersuchung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Strommarkt an. Daraufhin zog sich General Electric im Jahr 1924, als das Kartell abgeschlossen wurde, sogar ganz aus dem Stromverkauf zurück.

Der eigentliche Grund lag aber darin, dass in den USA – anders als in Deutschland – schon früh Kartellverbote erlassen wurden. Anlass war das Entstehen von Monopolen, z.B. der Standard Oil Company, der Carnegie Steel Company, der Accessory Transit Company, verbunden mit Namen wie John D. Rockefeller und Cornelius Vanderbilt, die mit ihren „großen Konstruktionen“ Monopole schufen, die die Abgeordneten auf den Plan riefen. Der Sherman Antitrust Act von 1890 brachte ein Monopolisierungsverbot, das auch horizontale und vertikale Absprachen grundsätzlich verbot. Das Gesetz sah sogar die Möglichkeit der Entflechtung vor; Unternehmen mit Monopolstellung konnten unter bestimmten Voraussetzungen aufgeteilt werden. Bei Erlass des Gesetzes war eine Strafe von bis zu 5.000 US-Dollar oder eine Gefängnisstrafe von einem Jahr möglich. Der Rahmen für Geldstrafen war natürlich viel zu gering. Im Jahr 2005 waren die Strafen schon auf bis zu 10 Mio. US-Dollar für Unternehmen bzw. 1 Million US-Dollar für natürliche Personen gestiegen. Allerdings dauerte es einige Jahre, bis das Gesetz auch wirklich angewandt wurde. American Tobacco wurde 1911 auf Grundlage des Sherman Antitrust Acts entflochten, Standard Oil am 8.11.1906 von der Regierung der USA angeklagt und am 5.5.1911 entflochten. DuPont wurde im Jahr 1912 wegen eines Monopols auf Sprengstoffe in mehrere Teile zerschlagen.6 Aber General Electric hielt das nicht vom Bau des Welt-Glühlampenkartells ab. Die Zusammenarbeit wurde vielmehr durch finanzielle Verflechtungen nur noch enger. In der Boom-Zeit von 1924 bis 1929 legte das RWE vier Anleihen in Höhe von 65 Mio. Dollar für den US-Markt auf, zu denen 157 Mio. Auslandsanleihen der RWE-Töchter traten. Siemens ließ sich durch ein New Yorker Bankhaus bis 1929 Anleihen in Höhe von 29 Mio. Dollar besorgen. Die AEG überließ den alten transatlantischen Geschäftsfreunden von General Electric gegen Dollar eine 25 %ige Beteiligung an ihrem Aktienkapital von 200 Mio. Mark. Aber den Amerikanern ging es dabei nicht um das Geldverdienen, sondern um Vorbeugung: Wenn sich auf den Heimatmärkten Probleme ergaben, könnten die Konzerne möglicherweise auf die Idee kommen, sich auf Exportmärkten zu engagieren. Um hier regulierend einzugreifen, wollten die Chefs von General Electric und Westinghouse ein Weltkartell der großen Anlagenbauer konstruieren, das jedem hungrigen europäischen Konzern so viel zu beißen gab, dass er nicht auf die Idee kam, in die USA zu expandieren. Am 13.12.1930 war es soweit. Zwar rieten die US-Rechtsberater dringend von einer Unterzeichnung des Weltkartellvertrags ab, weil die Vereinbarung gegen die Antitrustgesetze verstieß. Aber die Amerikaner setzten sich über die Bedenken hinweg und unterschrieben das International Notification and Compensation Agreement, das Internationale Benachrichtigungs- und Kompensationsabkommen. Später wurde das Kartell in International Electric Association umgetauft: Internationale Elektrizitätsvereinigung – absolut nichtssagend. Die Konzerne versprachen sich Heimatschutz: Auf ihren Märkten war die Festlegung von Preisen allein ihre Sache. Als Heimatgebiete galten alle europäischen Länder, die USA, Kanada und Japan einschließlich ihrer Kolonien. In den restlichen Ländern der Welt wurden Verkauf und Lieferung von Kraftwerken und Aggregaten durch die Kartellbestimmungen geregelt. Jedes Mitglied, das auch nur von einer Ausschreibung hörte, war verpflichtet, dies auf einer vorgedruckten Karte dem Sekretär des Kartells mitzuteilen. Antworten durften nur die Mitglieder, die vom Sekretär dazu aufgefordert wurden. In der Benachrichtigung waren auch die Mitbewerber aufgeführt. Diese Firmen einigten sich dann untereinander, wem der Auftrag zu welchem Preis zufallen sollte. Erst viele Jahre später deckten die US-Kartellbehörden die Kartellabsprachen auf, die praktisch alle Produkte der Anlagenbauer einbezogen hatten.

Man sieht: Selbst die scharfe US-Kartellgesetzgebung schaffte es nicht, die Kartelle an die Kandare zu legen. Kartellbehörden sind regelmäßig gezwungen, „ex post“ – im Nachhinein – einzugreifen, wenn sie gezielt oder durch Zufall Informationen über Kartelle erhalten. Generelle oder differenzierte Kartellverbote sind das eine; Meldepflichten und „investigations“, effiziente Untersuchungs- und Eingriffsverfahren, das andere. Eine funktionierende Wettbewerbsaufsicht setzt daher nicht nur den unbedingten Willen zum Eingriff, sondern auch gesetzliche Ermächtigungen und personell gut ausgestattete Behörden voraus.

6 Quelle: Wikipedia. Basis: Sherman Antitrust Act. Folge: Gründung der Hercules Powder und Atlas Chemical Industries.

9. Kapitel
Weltwirtschaftskrise: Die Konzerne bleiben ungeschoren

Das Kartell war, wenn man den Konzernherren glaubt, ein Kind der Not. Aber Not litten andere. Nur kurz nach dem Vertragsabschluss in Paris erreichte die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland den neuen Höchststand von 5 Mio. Erst in diesen Wintermonaten brach die Weltwirtschaftskrise in Deutschland voll aus. Die Industrie nutzte sie zu einem Großangriff auf die sozialen Errungenschaften seit der November-Revolution. Der rheinische Braunkohlenkönig Paul Silverberg erklärte als Präsidiumsmitglied des Reichsverbands der Deutschen Industrie (RDI): „Eine private, individualistische, kapitalistische Wirtschaft kann nicht erfolgreich sein, wenn der Staat gleichzeitig eine kollektivistische und sozialistische Wirtschaftspolitik verfolgt, speziell auf den Feldern der Sozial-, Steuer- und Fiskalpolitik.“ Was darunter zu verstehen war, sagten die Ruhrindustriellen vom RDI: „Alle kollektivistischen und Zwangsmaßnahmen wie Schlichtung, hohe Löhne, Arbeitszeitgesetzgebung, Sozialversicherung, öffentlicher Wohnungsbau etc. müssen mit hohem Tempo beseitigt werden.“ Die Strategie: „Die Gewerkschaften sind noch zu stark für Verhandlungen. Zuerst müssen wir im ganzen Land eine harte Konfrontationsstrategie in allen Fragen verfolgen. Wir müssen eine Situation schaffen, in der die Arbeiter sich enttäuscht von ihren politischen und gewerkschaftlichen Führern abwenden.“

 

Deswegen kam es bei diesem Klassenkampf von oben schon zu Beginn der Krise zu Massenentlassungen, bei denen der Siemens-Konzern vorne mit dabei war: Siemens hatte, wie er in einem Brief an Reichskanzler Heinrich Brüning Ende Juli 1930 zugeben musste, in wenigen Monaten von den 51.300 Arbeitern in seiner Berliner Werken 17.450 – also 34 % – gekündigt. Im gleichen Jahr sank der Umsatz nur um 6 %. Der als Siemens & Halske firmierende Konzern zahlte noch 7 % Dividende. Das Ergebnis dieser Konfrontationspolitik war eine sich immer schneller steigernde Radikalisierung der Massen. Sie wurde durch eine Währungskrise verschärft: Das Problem der Auslandsleihen der Industrie und des Reichs war, dass sie in Dollar zurückzuzahlen waren. Aber Dollars wurden wegen der Wirtschaftskrise nicht verdient. Die Lage gleicht der heutiger Entwicklungs- oder Schwellenländer: Sie müssen ihre Schulden in Dollar bezahlen, haben aber keine Möglichkeit, Dollar zu verdienen. Das Ergebnis war eine Währungskrise, der der Zusammenbruch des deutschen Bankensystems folgte. Die Banken konnten nur durch massiven Einsatz von Steuergeldern gerettet werden, was den „gestürzten Halbgöttern“ aus den Vorstandsetagen äußerst peinlich war.

Der Bankenkrach war Resultat einer krassen Missachtung der Grundregel des Geldgeschäfts, wonach man kurzfristige Kredite nicht langfristig anlegen darf. Diesen Fehler hatten fast alle Großbanken gemacht. Eine Ausnahme war die Berliner Handels-Gesellschaft unter ihrem Chef Fürstenberg. Anfang Juli 1931 hatten die Großbanken kurzfristig rückzahlbare Devisenschulden in Höhe von 5,5 Mrd. Mark. Die Gold- und Devisenreserven der Reichsbank waren auf 1,7 Mrd. zusammengeschmolzen. Die Regierung wurde darüber nicht informiert. Das führte zum „Schwarzen Samstag des Deutschen Bankgewerbes“. Die DANAT-Bank (Darmstädter und Nationalbank) teilte dem Finanzminister am 11.7.1931 die Zahlungsunfähigkeit mit. Der liberale Minister Dietrich warnte seine Kollegen: „Der Sturz der DANAT-Bank wäre eine ernste Gefahr für den Kapitalismus!“ Die Regierung sprang als Nothelfer der Großbanken ein: Der freie Zahlungsverkehr wurde eingestellt und erst nach drei Wochen wieder zugelassen. Die Großbanken erhielten enorme Geldinfusionen; mit dem Ergebnis der praktischen Verstaatlichung:

Die Reichsbeteiligung bei der Dresdner betrug 91 %, bei der Commerzbank 70 % und bei der Deutschen Bank 35 %. Insgesamt hatte die Regierung Brüning den Banken 1,25 Mrd. zur Verfügung gestellt, ohne das verantwortliche Personal auszuwechseln. Zugleich hielt die Regierung aber am rigorosen Sparkurs gegenüber den Arbeitslosen fest, was im Februar 1932 zu einer Rekordmarke von 6,1 Mio. führte. Ergebnis: Die NSDAP erhielt eine wunderbare Agitationsbasis. Bei den Landtagswahlen im April 1932 wurde sie – außer in Bayern – überall im Reich stärkste Partei.

Die Abläufe hatten allerdings ein Gutes: Es wurde nur zu deutlich, wo die Verantwortung für die Krise lag: „Das privat-wirtschaftliche System ist nur zu halten, wenn es gegen jene Kapitalisten geschützt wird, die nur Gewinn machen, Verluste aber dem Staat aufbürden wollen“, erklärte Wirtschafts-Staatssekretär Trendelenburg im Februar 1932 im Kabinett. Doch kaum waren die Worte verhallt, kam es zu einem Vorgang, der kaum rational erklärlich ist. Der Industrielle Friedrich Flick hatte sich verspekuliert und wurde ein Opfer der Kreditkrise. Daher wandte er sich an die Reichsregierung um Hilfe – und wunderlicherweise griff das Reich, das kein Geld für die Arbeitslosen hatte, Flick unter den Arm. Das Reich kaufte dem reichen Stahlindustriellen für 96 Mio. heimlich ein Paket Gelsenberg-Aktien ab, das nach Börsenkurs höchstens 30 Mio. wert war. Das war nicht geheim zu halten und umso empörender, als sich Flick gerade ein dreistöckiges Schloss an der Ruhr bauen ließ. „Flick beruhigte die Parteien nach Art des Hauses mit Spenden.“ Damit wurde aber auch – wieder einmal – ein Aktientausch möglich:

Flick verschaffte sich – auf Kredit – RheinBraun-Aktien im Nennwert von 21 Mio., was eine Sperrminorität war. Silverberg nahm das gelassen zur Kenntnis, wunderte sich aber, weil Flick eigentlich nicht Braun-, sondern Steinkohle für seine Hüttenwerke brauchte. Silverberg hatte aber ein Aktienpaket der Harpener Bergbau, das eingetauscht werden konnte. Die Wertdifferenz war allerdings hoch: Flick besaß 21 Mio. RheinBraun, Silverberg 36 Mio. Harpener. Silverberg lehnte das Angebot ab.

Jetzt kam das RWE ins Spiel: Flick bot RWE die RheinBraun-Aktien an und verpflichtete sich, ihm nach der Übernahme von RheinBraun die von Silverberg gehorteten Aktien der Harpener Bergbau zu geben. Allerdings fehlte noch ein Rhein-Braun-Paket, das der fanatische Nazi Fritz Thyssen geerbt hatte. Es galt eigentlich als unverkäuflich. Aber das RWE bekam es, weil Fritz Thyssen Silverberg schaden wollte: „Auch Silverberg selbst hat später angedeutet, dass der Intervention Thyssens gegen die Rheinische Braunkohle primär politische Motive zugrunde gelegen haben.“ Thyssen finanzierte nämlich die Nazis zusammen mit dem Kohlensyndikat-Gründer Emil Kirdorf schon seit 1923. So kam es zur RheinBraun-Mehrheit in den Händen des RWE. Dann händigte RWE Flick das Aktienpaket an der Harpener Bergbau aus. Bei der Abwicklung gab es allerdings Schwierigkeiten, in denen auch Konrad Adenauer, Kölner Oberbürgermeister, eine Rolle spielte. Silverberg konnte nämlich in der Aufsichtsratssitzung vom 14.1.1933 einen Vertrag präsentieren, in dem Flick sich verpflichtet hatte, nur einvernehmlich mit der RheinBraun-Leitung (also Silverberg) zu handeln. Dabei wurde er von Adenauer unterstützt, der Führer der kommunalen Minderheits-Aktionäre des RWE war. Nach der Machtübernahme wurde von dem Kölner Bankier Kurt von Schröder „der Pöbel“ gegen Silverberg mobilisiert. Am 13. März wurde Konrad Adenauer aus dem Amt gejagt. Damit brach der Widerstand der Aktionäre gegen die Übernahme ihres Unternehmens zusammen. Silverberg trat als Aufsichtsratsvorsitzender von RheinBraun, als Präsident der Industrie- und Handelskammer und als stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbands der Deutschen Industrie zurück.

Kirdorf gingen erst jetzt die Augen auf. Für ihn, den unangefochtenen Sprecher der Kohlenbarone, war dies der Augenblick der Wahrheit. Das sagte er nicht nur, sondern schrieb daraufhin einen offenen Brief an die Rhein-Westfälische Zeitung in Essen, wo es u.a. hieß: „Als ein Verbrechen erachte ich das unmenschliche Ausmaß der fortgesetzten antisemitischen Hetze ... Der Dolchstoß, den man diesem wertvollen Menschen versetzt, hat auch mich getroffen.

Die Transaktion wurde dann abgewickelt wie vereinbart: „Nachdem die RWE-Verwaltung, dank der Majorität, zu der ihr Flick verholfen hatte, über RheinBraun verfügen konnte, löste sie das Wort ein, das sie Flick gegeben hatte: Sie übereignete ihm – nachträglich, nota bene – das Harpener-Paket der RheinBraun. Ein gutes Geschäft für die beiden Partner, deren einer mit geliehenem Geld und deren anderer ohne überhaupt Geld einzusetzen zu einem überaus wertvollen Besitz gekommen war. Im Ergebnis führte dieses Geschäft dazu, dass das RWE bis heute den billigsten deutschen Strom erzeugen kann.

10. Kapitel
Die NSDAP übernimmt die Macht – aber die Energiekonzerne haben das Sagen

Das vom Weimarer Parlament beschlossene „Gesetz betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft“ vom 31.12.1919 war nicht umgesetzt worden. Daher war die Versorgung Dritter mit Elektrizität weiterhin dem uneingeschränkten Wettbewerb überlassen. Es kam zu heftigen und nicht immer fair geführten Ausdehnungskämpfen.7 Diese riefen das Reichswirtschaftsministerium (RWM) auf den Plan. Es beauftragte den Ingenieur Oskar von Miller mit der Erstellung eines Gutachtens über die Situation der Elektrizitätswirtschaft. Von Miller arbeitete von 1926 bis 1930 an dem Gutachten und befürwortete die künftige Koordinierung der Errichtung von Neuanlagen und der Erweiterung vorhandener Bauten nach einem einheitlichen Generalplan. Das Reich sollte in 13 Versorgungsbezirke aufgeteilt werden. Die Frage der Umsetzung stellte das Gutachten zur Diskussion der beteiligten Kreise.

Die Konzerne bauten vor. 1928 schlossen sich acht große Versorgungsunternehmen zu einer Interessenvertretung, der „Aktiengesellschaft zur Förderung der deutschen Elektrizitätswirtschaft“, unter besonderer Betonung der Förderung der Verbundwirtschaft, zusammen. Die Botschaft war klar: Die Energiewirtschaft sei durchaus in der Lage, sich selbst und ohne gesetzlichen Eingriff seitens des Reiches zu organisieren. Tatsächlich erklärte das Preußische Handelsministerium anlässlich der Jahresversammlung des Verbandes deutscher Elektrotechniker im Juli 1929 den alten Plan zur Schaffung eines Reichselektrogesetzes für erledigt.

Unter dem Einfluss der Wirtschaftskrise ging der absolute Strom- und Gasverbrauch drastisch zurück. Der Leistungsüberhang in der Stromwirtschaft betrug 69 %. Das Reich mischte sich immer mehr in die Unternehmenspolitik ein: Verordnet wurden Zinssenkungen, Devisenkontrolle, die Überwachung der Energiepreise und der ihnen zugrunde liegenden Kosten sowie die schematische Absenkung der Tarifpreise.8 Eine stärkere staatliche Regulierung stand vor der Tür.

Sie kam mit der Machtergreifung Hitlers am 30.1.1933. Im „neuen Deutschland“ sollte „wieder der Mensch und sein Wohlergehen das Endziel allen Schaffens (werden), dem sich alle Wirtschaftsfaktoren unterzuordnen haben“. Tatsächlich waren schon kurz nach der Machtübernahme Indiskretionen aus dem Braunen Haus, der Parteizentrale der NSDAP, in die Industriekanäle gesickert, die das Schlimmste befürchten ließen: Man sprach von Plänen für eine zentralistische Neuorganisation aller EVU, von einem Baustopp für Fernleitungen und von staatlich festgelegten Mini-Dividenden bei radikaler Senkung der Stromtarife. Im Herbst erstattete die „Abteilung Elektrizität der Unterkommission III b der politischen Zentralkommission der NSDAP“ ihren mit größter Nervosität erwarteten „Bericht über Aufgaben in der Elektrowirtschaft“ – für die Konzerne ein wahrer Schock. An oberster Stelle des Maßnahmenkataloges stand die Arbeitsbeschaffung. Trotz der Überkapazität von 69 % sollte die Stilllegung von Kraftwerken in den nächsten vier Jahren verboten und mit dem Bau von arbeitsplatzintensiven Wasserkraftwerken begonnen werden. Für Investitionen auf dem Arbeitsmarkt sei eine Zwangsabgabe von mindestens 16 % der Bruttoeinnahmen auf ein staatlich überwachtes Sonderkonto zu zahlen.

Das RWM beauftragte die AG zur Förderung der deutschen Elektrizitätswirtschaft mit der Erstellung eines Gutachtens zu den Möglichkeiten und notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Elektrizitätswirtschaft. Da sich die Konzerne als Federführer sahen, begannen sie auf eine gesetzliche Regelung der Markt- und Strukturprobleme hinzuarbeiten, die ihre Interessen zur Genüge berücksichtigen würde.9 Die AG legte ihr „Gutachten über die in der deutschen Elektrizitätswirtschaft zur Förderung des Gemeinnutzes notwendigen Maßnahmen“ am 1.10.1933 vor. Vorgesehen war – neben der Aufteilung der Energieversorgung in vier Provinzen unter der Herrschaft der größten EVU zur Zentralisierung der Versorgung – bereits die Überwachung der Stromwirtschaft durch die Aufsicht des Reichswirtschaftsministers. Grundziele der Energieversorgung sollten die Billigkeit und Sicherheit der Versorgung sein. Zur Steuerung des Leistungsüberhangs sollte der Reichswirtschaftsminister ermächtigt werden, den Bau von unnötigen und unwirtschaftlichen Neuanlagen zu untersagen. Gleichzeitig empfahl sich die AG dem RWM als beratende sachverständige Reichsstelle. Im Ergebnis sollten Staatskompetenzen zunehmend mit einer Dispositionsfunktion der großen Versorgungsunternehmen verbunden werden.

Hjalmar Schacht, seit 1934 Reichswirtschaftsminister, vorher Präsident der Reichsbank, ein Freund der Elektrizitätswirtschaft, erbat und bekam auch einen Kommentar der NSDAP zum Gutachten der AG. Tenor: „Nach dem Gutachten ist ungefähr alles gut und richtig, was die Großkonzerne getan haben und weiter anstreben, und alles, was ihnen nicht in den Kram passt, ist falsch und verkehrt.“ Außer diesem Kommentar der Partei gegen die Konzerne traf beim Reichswirtschaftsminister auch noch eine Denkschrift des Deutschen Gemeindetages gegen Partei und Konzerne ein. Die Gemeinden verlangten in ihren „Vorschlägen für die Neugestaltung der deutschen Elektrizitätswirtschaft“, dass ihre Kraftwerke neben den Großkraftwerken der Konzerne nicht nur weiterbestehen, sondern dass sie sogar vor einer direkten Konkurrenz durch die Großkraftwerke geschützt werden sollten. Indiskutabel sei weiterhin die Streichung der Konzessions- und Wegenutzungsabgaben. Die Rolle eines starken Verbündeten gegen die Konzerne sollte eine Reichsaufsichtsbehörde für die Elektrizitätswirtschaft übernehmen.

 

Angesichts dieser Auseinandersetzungen gab Hitler – nach manchem internen Gespräch mit Unternehmern – am 27.2.1934 sein erstes öffentliches Signal: Im „Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft“ ermächtigte er den RWM, die Führer der Wirtschaftsverbände zu berufen, die in Zukunft die alleinige Vertretung der Wirtschaftszweige zu übernehmen hätten. Zum Leiter der Reichsgruppe Energiewirtschaft, in der die Elektrizitäts- und Gasversorger zusammengefasst wurden, ernannte Schacht den Direktor Krecke aus dem Vorstand der Berliner Elektrizitätswerke (BEWAG). Bei seiner Einsetzung versicherte er: „Ich brauche wohl nicht besonders zu unterstreichen, dass der feste, unveränderliche Grundsatz für meine Arbeit sein wird, sie in vollster Übereinstimmung mit dem Gedankengut und den Grundsätzen der NSDAP durchzuführen.“

Es dauerte ein weiteres Jahr, bis der Meinungsstreit zwischen Partei, Wirtschaft und Gemeinden über die künftige Organisation der Strombranche beendet wurde. In welchem Sinn ließ Schacht im September 1935 in einer Ansprache vor der Wirtschaftsgruppe Elektrizitätsversorgung erkennen: „Mit der Elektrizitätswirtschaft verbinden mich als früheren Bankmann langjährige Beziehungen. Nicht nur, dass ich jahrelang im Aufsichtsrat großer Fabrikations- und Lieferungswerke gesessen habe, und dass mich zahlreiche finanz- und kreditpolitische Beziehungen mit der Elektrizitätswirtschaft verknüpft haben, nein, darüber hinaus bin ich heute beinah etwas stolz darauf, dass ich bereits vor 27 Jahren in einem größeren Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern auf alle wesentlichen Probleme hinweisen konnte, die auch heute noch für die deutsche Elektrizitätswirtschaft maßgebend sind.“

Schacht hatte sich in der Debatte über ein Reichselektrizitätsmonopol für „private Initiative, privates Kapital und privates Risiko“ in der Elektrizitätswirtschaft ausgesprochen. Seine Ausführungen in der Septemberansprache bedeuteten, dass die Stromkonzerne im Kampf mit der Partei Sieger geblieben waren. Während der Wirtschaftsminister die Grundgedanken des vor der Verabschiedung stehenden Energiewirtschaftsgesetzes vortrug, erkannten die anwesenden Experten in zentralen Fragen immer wieder die Handschrift der Konzerne.

Für die Gemeinden war das nicht erfreulich. Auch der Deutsche Gemeindetag war, nachdem in ihm weitere kommunale Spitzenverbände zusammengefasst wurden, im Reichsverband der Elektrizitätsversorgung organisiert worden. Von großem Einfluss war die Deutsche Gemeindeordnung (DGO) vom 30.1.1935, die in ihrem § 67 normiert hatte, dass Gemeinden lediglich dann ein wirtschaftliches Unternehmen errichten oder wesentlich erweitern dürften, wenn kein privates Unternehmen die Aufgabe besser und wirtschaftlicher erfüllen kann (Subsidiaritätsprinzip). Daraufhin verkauften die verunsicherten Kommunen, die unter den Überinvestitionen in der Nachkriegszeit litten, ihre Gesellschaften zunehmend an die großen EVU. Gab es im Jahr 1934 noch etwa 16.000 EVU, die ihre Zwangsmitgliedschaft in der Wirtschaftsgruppe Elektrizitätsversorgung antraten, existierten Ende 1937 lediglich 9.600 bis etwa 10.000 Gesellschaften. In der Gasversorgung verringerte sich die Anzahl der Unternehmen von 2.000 auf 1.200.10 In dieser Entwicklung riefen die Gemeinden den Reichsinnenminister und Spitzen-PG Frick (seit 1924 im Reichstag) zur Hilfe. Dieser erließ den als „Schutzerlass“ vom Deutschen Gemeindetag initiierten Runderlass vom 15.8.1935. Er sollte die Konzentrationsbewegung in der Energiewirtschaft zu Lasten der Kommunalwirtschaft stoppen. Aber eine Umkehr bewirkte er nicht: Das ließ sich am Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft, dem Energiewirtschaftsgesetz, vom 13.12.1935 erkennen. Es sollte bis 1998 wirksam bleiben und wurde so eine Magna Charta der Stromindustrie.

Die Präambel enthielt gleich mehrere Punkte des Konzerngutachtens. Es hieß dort, das Gesetz sei beschlossen worden, um „die Energiewirtschaft als wichtige Grundlage des wirtschaftlichen und sozialen Lebens im Zusammenwirken aller beteiligten Kräfte der Wirtschaft und der öffentlichen Gebietskörperschaften einheitlich zu führen und im Interesse des Gemeinwohls die Energiearten wirtschaftlich einzusetzen, den notwendigen öffentlichen Einfluss in allen Angelegenheiten der Energieversorgung zu sichern, volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs zu verhindern, einen zweckmäßigen Ausgleich durch Verbundwirtschaft zu fördern und durch all dies die Versorgung so sicher und billig wie möglich zu gestalten“.

Eine zentrale Entscheidung des Gesetzes war, die Energiewirtschaft bei bestimmten Entscheidungen einer Aufsicht durch den Reichswirtschaftsminister zu unterstellen. Die in der Weimarer Verfassung verankerte Alleinzuständigkeit der Gemeinden für örtliche Angelegenheiten – und damit für den Bau kommunaler Kraftwerke – war durch die 1935 erlassene Deutsche Gemeindeordnung stark eingeschränkt worden. Die Kontrolle des Staates war in § 3 geregelt: „Der Reichswirtschaftsminister kann von den EVU jede Auskunft über ihre technischen und wirtschaftlichen Verhältnisse verlangen, soweit der Zweck dieses Gesetzes es erfordert. Es kann auch bestimmte technische und wirtschaftliche Vorgänge und Tatbestände bei diesen Unternehmen mitteilungspflichtig machen.“ Nach § 4 mussten die EVU den Bau von Kraftwerken anzeigen. Der Minister konnte das hinnehmen oder auch untersagen, „wenn Gründe des Gemeinwohls es erfordern“. In § 5 war eine Genehmigungspflicht für die Aufnahme der Energieversorgung vorgesehen, die sich der Sache nach gegen die Gemeinden richtete. In § 6 gab es eine Anschluss- und Versorgungspflicht, allerdings eingeschränkt, wenn sie „dem Versorgungsunternehmen aus wirtschaftlichen Gründen nicht zugemutet werden kann“. Schließlich behielt sich der Minister das Recht vor, „die allgemeinen Bedingungen und die allgemeinen Tarifpreise der EVU sowie die Energieeinkaufspreise der Energieverteiler (§ 7 Abs. 1) wirtschaftlich zu gestalten“.

Das klang alles sehr weitgehend. Aber in der Gesetzesbegründung hieß es: „Das Gesetz geht davon aus, dass die energiewirtschaftlichen Unternehmen in erster Linie selbst dazu berufen sind, die Aufgaben aus eigener Kraft zu lösen. Der Reichswirtschaftsminister will sich grundsätzlich darauf beschränken, nur da einzugreifen, wo die Wirtschaft selbst gestellte Aufgaben nicht zu meistern vermag...“. Das war der Deal: Die Konzerne wurden vor den „schädlichen Auswirkungen des Wettbewerbs“ geschützt, mussten aber die „wirtschaftliche Gestaltung“ der Strompreise hinnehmen – im Interesse der Rüstungswirtschaft. Das war das Ergebnis eines langen Prozesses. Aber man konnte auch deutlich erkennen, wo die Reise hinging. Unterschrieben hatte das Gesetz nämlich neben dem „Führer und Reichskanzler“ und den Ministern für Wirtschaft und Inneres auch der „Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht“. Es ging schließlich um die „Wehrhaftmachung der deutschen Energieversorgung“. Dafür, dass die Konzerne auch in den nächsten Jahren das Sagen behielten, sorgte auch ein Chaos bei den Zuständigkeiten: Für die Elektrizitätswirtschaft fühlten sich verantwortlich der Reichswirtschaftsminister, der Reichsinnenminister, der Reichskommissar für Preisbildung (der im November 1936 eine Preisstoppverordnung auch für Strom erließ), die Technokraten der Partei, ein Generalbevollmächtigter für die Energiewirtschaft, der Reichslastverteiler und der Generalinspektor für Wasser und Energie. Und den Konzernen ging es gut: Dank Hochrüstung und Kriegsvorbereitung verkauften sie doppelt so viel Strom wie je zuvor.