Vom Stromkartell zur Energiewende

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

10. Der Stromvergleich

Am 6.11.1992 fand unter Vorsitz von OB Dr. Rommel, seinerzeit Präsident des Deutschen Städtetages und Präsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen, ein erstes Gespräch in Stuttgart statt. OB Rommel informierte über einen Briefwechsel zwischen ihm und Bundeskanzler Kohl, der den Abschluss eines Vergleichs unterstütze, wobei allerdings auch die Braunkohleinteressen gewahrt sein müssten. Anwesend waren die Stromseite mit den Chefs der „Großen Drei“, Dr. Kunth von RWE, Herr Krämer von PreussenElektra und Dr. Holzer vom Bayernwerk, der Abteilungsleiter des BMWi sowie der Referent, Ministerialrat Cronenberg, die Treuhandanstalt Abteilung Kommunalvermögen mit Direktor Schöneich und Herrn Berndt, Herr Lange vom Deutschen Städtetag, der Geschäftsführer des VKU Zimmermann, wir mit OB Dr. Lehmann-Grube von Leipzig, OB Kwaschik aus Schwerin, Geschäftsführer Horstmann/Stendal und ich mit dem Kollegen Püttner und zwei Beobachtern der Gasseite. Alle Beteiligten erklärten Verständigungsbereitschaft. Die Stromseite war auch bereit, die Anlagenübertragung nicht von „Zwangsehen“ abhängig zu machen. Auch wurde die Verantwortlichkeit der Treuhandanstalt akzeptiert. Aber ein Dissens kam auf bei der Frage des Verfahrens. Die kommunale Seite bestand auf Abspaltung. Die Stromseite wollte Kauf gegen Aktienübertragung. Dabei müssten die Anlagen nach dem Sachzeitwert, die kommunale Kapitalbeteiligung am Regionalversorger nach dem Ertragswert bewertet werden. Das lief auf eine happige Zuzahlung der kommunalen Seite hinaus. Beide Seiten beriefen sich auf Passagen im schriftlich vorliegenden Vorschlag des Gerichts, der ihre Meinung angeblich stützte. Darüber ging man auseinander.

Ich informierte am folgenden Montagmorgen das Verfassungsgericht mit einem über das Wochenende diktierten Schriftsatz; Prof. Böckenförde war darüber vorab informiert. Das Verfassungsgericht beriet noch am Montagnachmittag und schickte mir am Dienstag ein Schreiben mit den folgenden Kernaussagen zu:

 – Das Verfassungsgericht wolle eine pauschale Lösung: Die „stadtwerkefähigen“ Gemeinden sollten die örtlichen Stromversorgungsanlagen erhalten, im Gegenzug würden die ihnen gesetzlich zustehenden Aktien übertragen;

 – ein bestimmtes Verfahren der Übertragung des örtlichen Versorgungsvermögens

 – Abspaltung oder Einzelübertragung – schlage das Gericht nicht vor;

 – die Durchführung der Anlagenübertragung noch durch die Treuhandanstalt eröffne aber den Weg, die Ausgliederung der Anlagen zugleich bei der Bewertung des Unternehmens und damit für den von den EVU zu entrichtenden Kaufpreis für ihre Anteile zu berücksichtigen;

 – der Verständigungsvorschlag solle für alle Gemeinden gelten, auch die nicht beschwerdeführenden;

 – die Restitutionsansprüche (soweit sie auf dasselbe Vermögen gehen) würden dadurch faktisch miterledigt.

Besondere Bedeutung hatte der Hinweis des Verfassungsgerichts, dass sowohl die Pauschallösung als auch die Erledigung der Restitutionsansprüche allen Beteiligten nütze und damit auch gesamtwirtschaftlich Bedeutung habe.

Am Donnerstag, den 12.11.1992, fand auf dem Flughafen Frankfurt das Fortsetzungsgespräch statt. Die Besetzung war wesentlich größer. Insbesondere war Staatssekretär von Würzen da. PreussenElektra-Chef Krämer erschien allerdings nicht; dafür nahm an seiner Stelle Vorstand Gaul teil. Man munkelte, dass Krämer damit ausdrücken wollte, einem Kompromiss nicht gerade zugeneigt zu sein. Die Stromseite sperrte sich gegen das Abspaltungsverfahren. Falls sich bei der Bewertung der Anlagen eine Differenz zwischen deren Wert und dem der Aktien ergab, sollte ein Spitzenausgleich der Bund übernehmen (der dem zustimmte), Kommunen, die Konzessionsverträge mit Ausstiegsklauseln geschlossen hätten, sollten auf die Anwendung der Ausstiegsklausel verzichten, Stadtwerke sollten sich verpflichten, ihren Strom zu 70 % beim Regionalversorger zu beziehen und Strom selbst nur in vorzugsweise wärmegeführten Heizkraftwerken zu erzeugen.

Gerade der letztere Punkt war für die Kommunen unannehmbar. Denn aus ihren Erfahrungen mit dem Betrieb von Heizkraftwerken für die kommunale Fernwärme ergab sich, dass der Eigenstromanteil aus diesen Anlagen weit höher war als 30 %. Einige Tage später debattierte der Bundestag über einen SPD-Antrag zu dem Vergleichsvorschlag. Alle Redner, einschließlich des parlamentarischen Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium, plädierten für den Vergleichsvorschlag. Auch der energiepolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Seesing, sprach sich für den Vorschlag aus. Der Antrag wurde aber nicht angenommen, sondern trotz des Widerstands der SPD an den Wirtschaftsausschuss verwiesen. Ausschlaggebend war, dass die Vergleichsverhandlungen noch nicht beendet waren.

Einige Tage später ging die schriftliche Fassung einer Verständigungslösung ein, die offenbar zwischen BMWi und Stromseite ausgehandelt war. Die Tauschlösung – Anlagen gegen Aktien – war darin zwar enthalten. Jedoch wurde gefordert, dass Konzessionsverträge bindend bleiben sollten, auch wenn Ausstiegsklauseln vereinbart waren. Auch bei der Braunkohleproblematik zeigte sich keine Bewegung. In Arbeitsgruppen wurde dann beleuchtet, welchen Umfang Konzessionsverträge mit und ohne Ausstiegsklauseln eigentlich hatten. Die Stromseite befürchtete nämlich einen „Flächenbrand“. In der nächsten Sitzung wiederum in Frankfurt kam es völlig unerwartet zu einem Vorschlag, den Vorstand Strauß vom Bayernwerk vorlegte, der offensichtlich mit den anderen „Stromern“ nicht abgestimmt war. Danach sollte die Abnahme von 70 % Braunkohlestrom beim Regionalversorger „angestrebt“ werden; die kommunale wärmegeführte Stromerzeugung könne „im Einzelfall“ auch höher als 30 % sein. Dieser Vorschlag fand dann Eingang in die Verständigungslösung. Am 22.12. wurde sie unter Dach und Fach gebracht:

 – Pauschaler Tausch Anlagen gegen Aktien;

 – Auskehrung des Vermögens nach Erhalt der § 5-Genehmigung;

 – Abschluss eines Stromlieferungsvertrages mit Laufzeit 20 Jahre mit Braunkohleklausel;

 – abgeschlossene Konzessionsverträge ohne Ausstiegsklausel sollten bestehen bleiben; in den übrigen Fällen sollten die EVU den Kommunen die Bestandskraft bestehender Konzessionsverträge mit Öffnungsklausel nicht entgegenhalten, wenn eine Genehmigung nach § 5 erteilt würde.

Sodann sollten sich die Kommunen in ihren Aufsichtsgremien mit dem Verständigungsvorschlag befassen und die Verfassungsbeschwerden bis zum 31.1.1993 zurücknehmen.

Einvernehmen bestand darin, dass für die Gasseite entsprechende Vereinbarungen getroffen werden sollten. Die Stimmung war freilich ganz anders als beim Strom. Denn die Gaswirtschaft wollte keinesfalls einen Tausch Kapitalanteile an den bereits in GmbHs umgewandelten Regionalgesellschaften gegen die kommunalen Netze und Kunden. Einerseits machte das Bundeskartellamt Druck, um Konglomerate mit Strom, Gas und Fernwärme in einer Hand zu verhindern. Andererseits traten auf Seiten der Gaswirtschaft Anwälte auf, die deren Interessen erbittert verteidigten. In einem Gespräch am 12.1.1993 im Bundeswirtschaftsministerium verständigten sich die Beteiligten schließlich dahin, dass eine Kommune im Falle der Genehmigung nach § 5 EnWG auch Gasstadtwerke ohne Zwangsbeteiligung eines westlichen oder Bezirks-EVU gründen könne. Soweit in Verträgen zur Vermögensübertragung bereits Kaufpreise und die Verfahren zu deren Ermittlung vereinbart waren, sollten auf die Kaufpreise der Wert der Anteile an der abgespaltenen regionalen Gasversorgung und etwaige Restitutionsansprüche angerechnet werden. Für die Bewertung sollte der Ertragswert maßgeblich sein. Dessen Ermittlung und die Anrechnungen blieben allerdings Jahrzehnte streitig.

Nach diesem Erfolg zog sich aber die Herbeiführung der Zustimmung der Kommunen doch noch lange hin. Insbesondere die 17 Thüringer Gemeinden, deren Verfassungsbeschwerden der damalige Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes Gnauck organisiert hatte, sperrten sich gegen die Verständigungslösung, die sie als nicht akzeptabel empfanden. Ähnlich zähen Widerstand leistete die Stadt Boizenburg im westlichen Mecklenburg-Vorpommern. Erst nachdem das Bayernwerk auf Gnauck zugekommen und weitere Hilfe bei der Aufstellung der Stadtwerke versprochen hatte, erklärte dieser seine Bereitschaft, die Rücknahme der Verfassungsbeschwerden zu empfehlen. Einige Jahre später wurde Gnauck mit einem Vorstandssitz in der fusionierten E.ON Thüringer Energie AG belohnt; dabei spielte auch eine Rolle, dass Gnauck über Jahre hinweg im Aufsichtsrat der E.ON Thüringen die Belange der kommunale Aktionäre vertreten hatte.

11. Erfolg, Erfolg

Die Kommunen hatten durchgesetzt, was ihnen die Volkskammer als Mitgift mitgegeben hatte: Den Anspruch auf das kommunale Versorgungsvermögen, ohne Geld in die Hand nehmen zu müssen. Die Braunkohleklausel ließ ihnen Freiheit zur Eigenerzeugung in selbstbestimmten Umfang. Kommunen, die Konzessionsverträge mit Ausstiegsklausel vereinbart hatten, konnten sich daraus lösen. Nur diejenigen Kommunen, die insoweit keine Vorsorge getroffen oder sich an der Verfassungsbeschwerde nicht beteiligt hatten, konnten von deren Segnungen nicht direkt profitieren. Aber auch in diesen Fällen konnte die kommunale Kapitalbeteiligung am Regionalversorger für den Kauf des Versorgungsvermögens eingesetzt werden, wie es etwa die Stadt Neubrandenburg getan hat. Eine Hürde stellte freilich häufig die § 5-Genehmigung dar: Das Verfahren wurde etwa im Land Brandenburg so engherzig praktiziert, dass im Einzelfall Klagen erhoben werden mussten. Im Ergebnis sind allerdings bis heute über 140 Stadtwerke mit eigenen Strom-, Gas- und Fernwärmeversorgungen entstanden. Ohne die Aktivisten der Ersten Stunde, Ministerialrat Apfelstedt aus Hessen, Energie-Abteilungsleiter Dr. Spreer aus dem Saarland mit seinem Staatssekretär Haase und die Initiatoren der Kommunalverfassungsbeschwerde wäre das nicht möglich gewesen.

 

12. Was blieb den Konzernen?

Eine Menge: Der Verbundteil der Stromverträge, der vom Stromstreit gar nicht berührt war, garantierte den Konzernen die unumschränkte Herrschaft in den neuen Bundesländern. An der Vereinigten Energie AG (VEAG) hatten sich die VEBA – Konzernmutter der PreussenElektra AG – mit 26,25 % und die VIAG – Konzernmutter des Bayernwerks – mit 22,5 % beteiligt. Daneben hielt RWE eine Beteiligung von 26,25 % und die Energiebeteiligungs-Holding (bestehend aus BEWAG, HEW, VEW und EnBW) eine Beteiligung von 25 %. Ihr gehörte das gesamte Höchst- und Teile des Hochspannungsnetzes in den neuen Ländern, mit einer Länge von 11.500 km machte es 29 % des Verbundnetzes aus, einiges mehr als das der RWE gehörende Netz, das 9.000 km lang war und 22 % des Verbundnetzes ausmachte. Dazu gehörten die riesigen Braunkohlekraftwerke Boxberg, Jänschwalde, Lippendorf u.a., mit einer Erzeugung von 77,1 TWh, die 21,2 % der deutschen Gesamtmenge ausmachte. Das war zwar deutlich weniger, als das RWE mit seiner Erzeugung von 120,4 TWh = 33,1 % der Erzeugung im Westen in Händen hatte, aber doch ein beträchtlicher Zuwachs. Dazu kamen die Stromlieferverträge mit den Regionalversorgern und mit den Stadtwerken, die der VEAG den Absatz ihres Braunkohlestroms garantierte; und zwar im Grundsatz in einem Umfang von 70 % des Bedarfs der Abnehmer. An der VEAG waren schließlich auch die fünf kleineren Verbundunternehmen beteiligt, nämlich Badenwerk, Energieversorgung Schwaben (EVS), BEWAG, HEW und VEW, und zwar über ihre Gesellschaft für Energiebeteiligung mbH mit einem Kapitalanteil von 25 %. Damit stellten die Machtverhältnisse an der VEAG praktisch ein Spiegelbild der westdeutschen Konzernlandschaft dar.

Für die ostdeutschen Braunkohlekraftwerke waren die Braunkohlevorkommen in Brandenburg und Sachsen wichtig, die von der Lausitzer Braunkohle AG (LAUBAG) gehalten wurden. An der LAUBAG waren die sieben westdeutschen Verbundunternehmen wie folgt beteiligt: PreussenElektra 30 %, Bayernwerk 15 %, BBS-Braunkohle-Beteiligungsgesellschaft mBH 55 %. An ihr war wiederum die Energiebeteiligungs-Holding mit 18,2 %, die RheinBraun AG, eine Tochtergesellschaft der RWE, mit 71,8 % und die RWE Energie mit 10 % beteiligt. Damit war die LAUBAG der größte Braunkohleproduzent in Ostdeutschland und bildete als Vorlieferantin der VEAG wirtschaftlich eine Einheit mit ihr.

Eine Gesellschaftskonstruktion, die praktisch das westdeutsche Stromkartell auf die neuen Bundesländer übertrug, musste natürlich das Bundeskartellamt auf den Plan rufen. Das Bundeskartellamt wurde aber mit denselben Argumenten überzeugt, mit denen die Konzerne die Bundesregierung überzeugt hatten: Für die Aufrechterhaltung der Stromversorgung in den neuen Ländern bedürfe es des Sachverstandes der Konzerne, der insbesondere in der Braunkohle-Expertise der RWE AG konzentriert war, um es „im Winter 1990/91 nicht ziemlich kalt werden zu lassen in den neuen Ländern“. Argumentativ war der Rücktrittsvorbehalt auch im Verbundteil der Stromverträge von großer Bedeutung. Die Konzerne pochten darauf: Wenn sie die VEAG nicht zu den Konditionen erwerben konnten, wie sie sie auch im Westen vorfanden, wollten sie nicht bei der Stange bleiben – behaupteten sie zumindest. Der Bund, dem in der kurzen Zeit zwischen dem Abschluss der Stromverträge im August und dem Einigungsvertrag, unterzeichnet am 3.10.1990, kaum zwei Monate für die Verhandlung mit den Konzernen verblieb, übte daher denselben Druck auf das Bundeskartellamt aus wie auf die Konzerne, dem letztlich nur die Zustimmung blieb.

Dasselbe galt auch für den Regionalteil der Stromverträge. Die Regionalversorger mussten zwar sukzessive das Stadtwerksvermögen herausgeben. Ihnen blieb aber die eigentliche Regionalversorgung sowie die kommunale Versorgung in den Gemeinden, die keine Konzessionsverträge mit Ausstiegsklausel hatten. Damit ergaben sich die folgenden Beteiligungsverhältnisse:

 – PreussenElektra: Hanseatische Energieversorgungs AG in Rostock (HEVAG), Energieversorgung Müritz-Oderhaff AG in Neubrandenburg (EMO), Mecklenburgische Energieversorgung AG mit Sitz in Potsdam (MEVAG), Energieversorgung Magdeburg AG mit Sitz in Magdeburg (EVM);

 – RWE: Energieversorgung Spree-Schwarze-Elster-AG mit Sitz in Spremberg (ESSAG), Oder-Spree-Energieversorgung AG mit Sitz in Frankfurt/Oder (OSEAG), Westsächsische Energieversorgungs AG mit Sitz in Markkleeberg bei Leipzig (WESAG), Energieversorgung Südsachsen AG mit Sitz in Chemnitz;

 – Bayernwerk: Energieversorgung Nordthüringen AG mit Sitz in Erfurt (ENAG), Ostthüringer Energieversorgung mit Sitz in Jena (OTEV), Südthüringer Energieversorgungs AG mit Sitz in Meiningen (SEAG);

 – VEW: Mitteldeutsche Energieversorgungs AG mit Sitz in Halle (MEAG);

 – HEW: Westmecklenburgische Energieversorgungs AG mit Sitz in Schwerin (WEMAG);

 – EVS und Badenwerk: Energieversorgung Sachsen mit Sitz in Dresden (ESAG);

 – BEWAG: Energieversorgung Berlin AG (EBAG).

Besonders geschickt war das Bayernwerk vorgegangen, das mit seinem Kompromissvorschlag bei der Braunkohleklausel in den Verhandlungen zum Stromvergleich ausgeschert war. Das Bayernwerk hatte frühzeitig erkannt, dass der Stromvergleich nicht zu verhindern war, und sich deswegen auf die Thüringer Stadtwerke zubewegt. Das hat dazu geführt, dass sich die drei Thüringer Regionalversorger, die das Bayernwerk später zur Thüringer Energie AG fusionierte, an fast allen Thüringer Stadtwerken beteiligen konnten. Da die Beteiligungsbemühungen auch bei den Gasversorgungen ähnlich erfolgreich waren, wurde praktisch die gesamte Thüringer Energiewirtschaft – mochte sie regional, mochte sie kommunal sein – ein „Erbhof“ des Bayernwerks. Das war dem Wettbewerb nicht gerade förderlich. Dennoch sind Bemühungen struktureller Art des Bundeskartellamts, dem zukünftig möglicherweise kommenden Wettbewerb eine Chance zu belassen, etwa durch Verhinderung der zahlreichen Stadtwerksbeteiligungen, nicht bekannt geworden.

13. Und der Bund legt noch eins drauf

Der Regionalteil der Stromverträge hatte ein Nachspiel der besonderen Art: Der Kaufpreisfindung sollten nach den einschlägigen Verträgen zwei Bewertungen vorausgehen, und zwar eine auf den 31.12.1990 und eine auf den 31.12.1993: Diese zweite Bewertung hatte die Funktion, aufgrund der Erfahrungen, die in drei Betriebsjahren gewonnen worden waren und die von Wirtschaftsprüfern zu verarbeiten gewesen wären, eine Kaufpreisfindung zu erzielen, die dem Bund tatsächlich den Ertragswert garantierte, der für die Kaufpreisfindung erforderlich war. Jedoch gingen die Konzerne, nachdem sie durch den Stromvergleich hatten Federn lassen müssen, mit vereinten Kräften auf das Bundesfinanzministerium als Dienstherr der Treuhandanstalt zu und erreichten tatsächlich, dass der Bund auf die zweite Bewertung verzichtete. Dem Bund dürfte dadurch mindestens die Hälfte des eigentlich angemessenen Kaufpreises für die Regionalversorgungsunternehmen entgangen sein. Dieser Vorgang ist übrigens im Treuhand-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages nie zur Sprache gekommen.

45 Der SPIEGEL 26/1990 vom 25.6.1990. 46 Der SPIEGEL 27/1990 vom 2.7.1990. 47 Jacobi, Die kommunale Versorgungswirtschaft auf dem Gebiet der heutigen DDR im geschichtlichen Rückblick, Anlage zum VKU-ND, Folge 501. 48 Nämlich einen der SPD (Drs. 106) und einen der Fraktion Bündnis 90/Grüne (Drs. 107) vom 27. bzw. 28.6.1990. 49 Nämlich in § 2 Abs. 2 (Drs. 106) bzw. § 2 Abs. 1 (Drs. 107). 50 Stenographische Niederschrift der Sitzung vom 29.6.1990, 10. Wahlperiode, 19. Tagung, 789. 51 10. Wahlperiode, 22. Tagung, 907. 52 Nr. 23 v. 4.6.1990; 104. 53 Gespräch des Verf. mit Dr. Pautz am 21.11.1991 in Berlin, Protokoll beim Verf. 54 Wolfgang Schäuble, Wie ich über den Einigungsvertrag verhandelte, 1991, 226. 55 Der SPIEGEL Nr. 23 vom 7.6.1990, 100. 56 Stellungnahme des Saarlandes zur Kommunalverfassungsbeschwerde vom 10.7.1991. 57 Stellungnahme des Saarlandes, 8f. 58 Persönliche Information gegenüber dem Verfasser. 59 Edmund Ortwein, Das Bundeskartellamt, 1998, 224; ders., Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft, in: Sturm/Wilks, Wettbewerbspolitik und die Ordnung der Elektrizitätswirtschaft in Deutschland und Großbritannien, 1996, 83ff. 60 Ortwein, Bundeskartellamt, 225. 61 Energiespektrum o. Jg. Nr. 3, 1991, 13–18. 62 Der Vertrag. Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte, 1991, 224. 63 Lange, DtZ 1991, 329 (Lange war Justitiar des Deutschen Städtetags); Schmidt, LKV 1992, 154; Weigt, Der Gemeindehaushalt 1991, 4; ders., Rechtspositionen der Städte und Gemeinden der DDR bei der Gründung von Stadtwerken, Anlage zum VKU-Nachrichtendienst, 2 (Weigt war Justitiar des Verbandes Kommunaler Unternehmen); Arndt, LKV 1992, 1; Püttner, LKV 1991, 209; ders., StT 1990, 877; ders., Zurückgewinnung der Stadtwerke in den neuen Ländern, Beiträge zur kommunalen Versorgungswirtschaft des VKU, 74; Ossenbühl, DÖV 1991, 301; ders., DÖV 1992, 1; Löwer, in: Harms (Hrsg.), Neuordnung der Energiewirtschaft in den neuen Bundesländern, BBW, Bd. 7, 1991, 47ff.; Säcker-Boesche, Verw-Arch 83 (1992), 1; Tettinger, BB 1992, 2. 64 Harms (vorherige Fußnote).

13. Kapitel
Die Treuhandanstalt und der Stromvergleich: Ein Experiment, das missglückte und eines, das – mit Glück – zum guten Ende kam
1. Die Treuhandanstalt

Nach der friedlichen Revolution in der DDR wurde am 18.3.1990 die erste und einzige freie Volkskammer-Wahl abgehalten. Aber schon vorher, nämlich am 1.3.1990, hatte die damalige Regierung Modrow die Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums gegründet. Am 17.6.1990 beschloss die Volkskammer das Treuhandgesetz, das zum 1.7.1990 in Kraft trat.

Ihre Aufgabe war nach § 1 Abs. 1,

das volkseigene Vermögen zu privatisieren. Volkseigenes Vermögen kann auch in durch Gesetz bestimmten Fällen Gemeinden, Städten, Kreisen und Ländern sowie der Öffentlichen Hand als Eigentum übertragen werden. Volkseigenes Vermögen, das kommunalen Aufgaben und kommunalen Dienstleistungen dient, ist durch Gesetz den Gemeinden und Städten zu übertragen.

Das in Abs. 1 Satz 3 angesprochene Gesetz war das Kommunalvermögensgesetz vom 6.7.1990, dessen Regelungen im vorherigen Kapitel dargestellt worden sind. In Absatz 2 hieß es:

Der Ministerrat trägt für die Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens die Verantwortung und ist der Volkskammer Rechenschaft pflichtig.“ In Absatz 3 war die Beauftragung der Treuhandanstalt (i.F.: THA) geregelt, in Absatz 4 hieß es, die THAwerde „nach Maßgabe dieses Gesetzes Inhaber der Anteile der Kapitalgesellschaften, die durch Umwandlung der im Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragenen volkseigenen Kombinate, Betriebe, Einrichtungen und sonstigen juristisch selbständigen Wirtschaftseinheiten (nachfolgend Wirtschaftseinheiten genannt) entstehen oder bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits entstanden sind“.

 

§ 1 Abs. 1 des Treuhandgesetzes macht unverständlich klar, dass erste Aufgabe der THA die Privatisierung des volkseigenen Vermögens war, also vor allem der Kapitalgesellschaften, die aufgrund des Statuts vom 1.3.1990 bereits in Treuhandverwaltung überführt worden waren. Das Treuhandgesetz hatte das alte Statut aufgehoben. Der Vorstand sollte autonom agieren können. Nach den Formulierungen in Absatz 2 waren die Aufgaben „Privatisierung und Reorganisation“, aber nach Abs. 1 Satz 1 hatte offensichtlich die Privatisierung Vorrang.

Aber das ist bis heute umstritten. Der erste Präsident der THA, Detlev Rohwedder, den die DDR-Regierung bestellt hatte, wäre der Mann gewesen, um auch für „Reorganisation“ zu sorgen. Geboren in Gotha, Mitinhaber einer Treuhand- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Düsseldorf, von 1969 bis 1978, anfangs in der Willy-Brandt-Ära (er war Sozialdemokrat), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, hatte das richtige „Standing“. Denn er hatte seit 1979 den Dortmunder Stahlkonzern Hoesch saniert und neu ausgerichtet; eine große Leistung, die mit dem Titel „Manager des Jahres“ im Jahr 1983 belohnt wurde. Ihm traute die Regierung der DDR daher mit Recht auch die Restrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft zu, wo möglich. Aber Rohwedder wurde am 1.4.1991 in seinem Haus von der RAF ermordet, wahrscheinlich von deren Mitglied Wolfgang Grams. Der Mord wurde – auch wegen Ermittlungsmängeln – nie aufgeklärt. Für die Wirtschaft der DDR, die von den riesigen Staatskombinaten in für den Wettbewerb geeignete Strukturen hätte überführt werden müssen, war dieser Mord ein großes Unglück.

Denn Rohwedders Nachfolgerin, Birgit Breuel, entstammend der Bankiers-Familie Münchmeyer, studierte Politologin (ohne Abschluss), kam zu dieser Position über eine Parteikarriere in der CDU, über die Hamburger Bürgerschaft, über das niedersächsische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr und danach über das niedersächsische Finanzministerium, das sie bis 1990 führte. Dann wurde sie Vorstandsmitglied der THA und Nachfolgerin von Rohwedder. Unter ihrer Leitung trat die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft in den Vordergrund. „Privatisierung“ hieß: Übernahme der „Rosinen“ durch westdeutsche und europäische Konzerne, Abwicklung von rund 3.500 von insgesamt etwa 14.000 Betrieben im Treuhand-Portfolio. Anstelle einer erhofften Aufbesserung des Bundesetats wies die THA einen Verlust von rund 250 Mrd. DM auf. Die THA habe die „Drecksarbeit der Abwicklung“ erledigt, so der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Lücke. Politisch die Weichen gestellt habe aber die Bundesregierung. Die Hauptkritik: zu schnell stillgelegt.65 „Die Betriebe hätten viel mehr Zeit für eine Sanierung gebraucht.“ Der von Oskar Lafontaine angestrebte phasenweise Übergang wäre dafür das Richtige gewesen. Aber es kam alles anders, vorangetrieben insbesondere von der Entscheidung der Bundesregierung für einen Wechselkurs 1:1, den auch die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Ingrid Matthäus-Maier, befürwortete.

Die 30jährige Wiederkehr der „friedlichen Revolution“ hat in der Bundesrepublik einen großen Streit über das Wirken der THA ausgelöst. Die Privatisierungen und die dadurch ausgelösten gewaltigen Arbeitsplatzverluste wurden vor allem im Bewusstsein der ostdeutschen Bevölkerung der THA zugeschrieben. Aber das war wohl nicht so: Die Auseinandersetzungen um das Wirken der THA hat jetzt Marcus Böick66 dargestellt. Der „Einigungskanzler“ Helmut Kohl hatte unter dem Druck der Opposition einen Kurswechsel vollzogen. In einem Diskussionspapier der sozialdemokratischen Bundesfraktion, erarbeitet von Ingrid Matthäus-Maier und Wolfgang Roth, wurde eine Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR ins Gespräch gebracht. Bundesdeutsche Unternehmen drängten sie zum DDR-Engagement, schlugen eine „Ausweitung des Reisetourismus“ vor und ermahnten die Bundesregierung, die Modernisierung der dortigen Infrastruktur finanziell zu unterstützen und insbesondere den Umweltschutz voranzutreiben. Das war ein Plädoyer „für einen Transfer von Managementpersonal aus bundesdeutschen Unternehmen in die ostdeutschen Betriebe, welches das nötige Fachwissen einspeisen sollte“.

Matthäus-Maier:

Mit einer Währungsunion würde auf der für das konkrete Leben der Menschen entscheidenden Alltagsebene die Deutsche Einheit sichtbar vorangebracht. Damit würde der Druck vermindert, die Deutsche Einheit auf der darüberliegenden internationalen, politisch schwierigen staatlichen Ebene überstürzt zu vollziehen.“67

Im Gegensatz dazu schätzte Helmut Schmidt, dass ein möglicher Vereinigungsprozess fast vier Jahre beanspruchen werde, verbunden mit einer Warnung vor den Gefahren eines paritätischen Umtauschkurses, der in der DDR-Industrie beträchtliche Rationalisierungs-Entlassungen zur Folge haben dürfte. Das zeigte die Diskrepanz in den sozialdemokratischen Vorstellungen auf. Auch Lafontaine kritisierte das „hohe Tempo der Einigung“, was „im Hinblick auf die soziale Entwicklung schädlich“ sei.68Aber unter dem Druck der ostdeutschen Bevölkerung („wenn die Mark nicht zu uns kommt, kommen wir zu ihr“) kam es schließlich zu dem Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion, beschlossen am 21.6.1990. Er hatte zur Folge, dass zahlreiche Unternehmen untergingen, weil die Angestellten nicht mehr bezahlt werden konnten und weil vor allem auch die Schulden durch den Wechselkurs 1 : 4 vervierfacht wurden. Diese Diskussion kann hier nicht nachvollzogen werden. Jedenfalls war die Währungsunion mit ihren ökonomischen Wirkungen der Sargnagel für die große Mehrzahl der Betriebe.