Czytaj książkę: «Bern ... aus einer anderen Sicht», strona 2

Czcionka:

Isidor Habersack

Philippe sass gesättigt in seinem Stuhl und er rühmte das Fondue seiner Frau. «So ein feines Käsefondue habe ich schon ewig lang nicht mehr gegessen und das knusprige Brot hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt», so der Kommentar von Philippe. Deborah schenkte ihrem Mann einen liebevollen Blick und sie genossen das Beisammensein.

Alsdann kam Deborah auf ein Thema zu sprechen, dass sie Philippe schon lange hatte kundtun wollen. Sie habe in ihrem Qi Gong Kurs eine Kollegin kennengelernt, welche eine kleine Gärtnerei in der Nähe ihres Wohnortes betreibe und wo sie mitwirken könnte. Sie würde dies eigentlich ganz gerne machen, habe sie doch schon so viel über Pflanzen und die Artenvielfalt gelesen, so dass sie ihr Wissen nun gerne in die Tat umsetzen wolle. Selbstverständlich müsste sie in der Gärtnerei mithelfen und auch im Laden aushelfen, aber dies würde sie gerne machen. Sie wolle einfach mehr draussen, in der freien Natur sein. Zudem habe die Kollegin ihr zugesichert, dass sie ihre Vorstellungen im Züchten, Hegen und Pflegen nach ihren eigenen Ideen umsetzen könne und dass sie ihre Produkte auch im Laden zum Verkauf anbieten könnte. Sie würde sogar etwas verdienen und am Erlös ihrer Zucht beteiligt sein. Sie würde dies wirklich sehr gerne tun.

Nun müsse Philippe allerdings wissen, dass, würde sie die Gelegenheit wahrnehmen, sie viel von zu Hause fort wäre und sich nicht mehr im gleichen Rahmen wie bisher um Enrico kümmern könnte. Es würde von ihr erwartet werden, dass sie doch an drei bis vier Tagen in der Woche in der Gärtnerei arbeiten würde und manchmal auch noch am Samstag und ausnahmsweise am Sonntag, wenn frisches Gemüse und Obst zum Verkauf bereitstünden. Trotzdem reize sie das Angebot sehr und sie interessierte sich nach der Haltung von Philippe in dieser Frage.

Philippe wusste, wie sehr Deborah der Natur verbunden war, und er konnte und wollte ihr ihren Wunsch nicht ausreden. «He, das ist eine schöne Idee. Mach das, wenn du Lust hast. Für Enrico werden wir eine Lösung finden und zumeist werde ich mich um ihn kümmern können.» - Deborah nahm die Antwort von Philippe gerne so entgegen und sie verbrachten den Rest des Abends bei leiser Musik aus dem Radio und einem feinen Gutenachttee für Deborah und einem kleinen Bier für Philippe. Alsbald war Bettens Zeit.

Am nächsten Morgen nahm Philippe nochmals das E-Mail von Isidor Habersack zur Hand und er überlegte sich, ob er ihn anrufen wollte. Nach einem zweiten Kaffee griff er zum Hörer und wählte die angegebene Nummer. «ADK-NEW Verlag, guten Morgen, wie kann ich Ihnen behilflich sein», so die sympathische Stimme auf der anderen Seite des Hörers. «Mein Name ist Philippe Baumann und ich möchte gerne Herrn Habersack spreche. Ich habe von ihm eine E-Mail erhalten und ich soll mich bei ihm melden.» «Bitte warten Sie einen Augenblick, Sie werden sogleich mit ihm verbunden.»

Und in der Tat meldete sich praktisch zeitverzugslos Isidor Habersack. «Ah, guten Tag Herr Baumann, schön, dass Sie uns anrufen. Ich habe Ihren Anruf erhofft. Es ist mir eine Freude, mich mit Ihnen unterhalten zu dürfen.» Ja, ganz so schwülstig hatte sich Philippe das Ganze nun doch nicht vorgestellt, aber eben, man war ja in Deutschland und dort sprach man wohl so – im Ausnahmefall.

«Hören Sie, Herr Baumann, ich habe Ihnen ein Angebot zu unterbreiten. Wir sind gerne bereit, Ihre bisherigen Veröffentlichungen unter dem Titel «0060 – mit der Lizenz zum Altern» … an den Mann oder die Frau zu bringen, und wir können uns gut vorstellen, dass Ihre Geschichten eine bunte Leserschaft anziehen werden. Trotzdem denken wir, dass wir den Titel noch etwas anpassen sollten und die Geschichten noch etwas «knackiger» rüberbringen sollten. Gerne würde ich das Weitere und die Details mit Ihnen hier vor Ort besprechen und ich bitte Sie deshalb, uns in den nächsten Tagen aufzusuchen; selbstverständlich kommen wir für Ihre Auslagen auf. Was halten Sie davon?»

Philippe musste einen kurzen Moment überlegen, sagte dann allerdings zu, und er wollte Herrn Habersack auch noch den genauen Termin seiner Reise mitteilen. Vorweg wollte er das Ganze aber mit Deborah besprechen.

Diese unterstützte ihn voll und ganz, und so kündigte er seinen Besuch im Verlagshaus für den nächsten Donnerstag an. Er wollte mit dem Zug reisen und kurz vor Mittag in Frankfurt sein, um am gleichen Tag wieder nach Bern zurückzukehren. Dies sollte mit den aktuellen Bahnverbindungen möglich sein.

Isidor Habersack war mit dem Vorschlag einverstanden und er teilte Philippe dies auch so mit. Er offerierte ihm sogar, ihn am Bahnhof abzuholen, damit sie gemeinsam noch ein kleines Mittagessen einnehmen könnten. Philippe verdankte das Angebot. Bis Donnerstag waren es nur noch zwei Tage.

In der verbleibenden Zeit wollten Philippe und Deborah Langversäumtes nachholen. Deborah wünschte sich ihr Arbeitszimmer neu einzurichten, und Philippe musste sich seinem Wagen zuwenden, brauchte dieser doch einiges an Aufmerksamkeit, zumal eine weitere Prüfung beim Strassenverkehrsamt bevorstand. Das Bedürfnis von Deborah war relativ schnell befriedigt und endete darin, dass das Pult in ihrem Arbeitszimmer mit demjenigen in Philippes Büro ausgetauscht wurde. Jetzt sah das Ganze für sie schon viel annehmbarer aus, und sie war Philippe dankbar, dass er Hand dafür geboten hatte. Beim Auto war es schon etwas schwieriger. Der Renault war in die Jahre gekommen, und Philippe wusste nicht, ob er in nochmals «durchbringen» würde. Für ein neues Fahrzeug hatten sie allerdings kein Geld. Also versuchte er sein Bestes und besuchte einen ihm bekannten Garagisten. Aber auch der rümpfte die Nase und meinte, dass es ein ‘Vabanquespiel’ sei. Wenn er wolle, versuche er, ihn durchzubringen. Er könne allerdings nichts versprechen. Philippe willigte ein und hoffte gleichzeitig, dass «die Götter» ihm gnädig sein werden.

Der ICE in Richtung Berlin traf pünktlich um 1108 Uhr in Frankfurt (Main) Hauptbahnhof ein, und Philippe wurde tatsächlich von Isidor auf dem Gleis 9 erwartet. Herr Habersack wollte sich zu erkennen geben und er teilte Philippe vorgängig mit, dass er eine grüne Zipfelmütze tragen werde. Auch werde er eine Zeitung unter dem linken Arm tragen. Die Erkennungszeichen waren für Philippe unübersehbar und so fanden sich die beiden sogleich.

Isidor Habersack war ein etwas rundlicher Mann von Mitte vierzig, nicht allzu gross, aber mit freundlichen Gesichtszügen. Er schlug Philippe vor, das Mittagessen in einem nahen gelegenen Restaurant einzunehmen und er schlug ihm hierfür die Gaststätte «Atschel» vor, welche bekannt war für feines Essen. Auch liege der Gasthof in unmittelbarer Nähe zum Verlag, den Philippe im Nachgang zum Mittagessen gerne besichtigen dürfe. Philippe nahm das Angebot dankend an und er konnte sich gut vorstellen, dass die Portionen, welche in der Gaststätte serviert werden, nicht für Kleinesser gedacht waren. Philippe war gespannt. Und tatsächlich! Beide entschieden sich für eine Schweinshaxe mit Sauerkraut und Kartoffelpüree, und die Haxe fand auf dem Teller kaum Platz. Nichtsdestotrotz mundete das Essen vorzüglich, und Philippe staunte ob sich selber, dass er praktisch alles verspeisen mochte. Der gewählte Riesling des Weingutes Dreissigacker in Bechtheim/Rheinhessen passte hervorragend zum Essen, und obschon es sich dabei um einen Weisswein handelte, war er von Isidor richtig gewählt. Die beiden wollten sich fortan mit dem Vornamen ansprechen und Philippe war dies nur recht.

Während des Essens beschrieb Isidor Philippe das Bundesland Hessen mit all seinen Kontrasten und er verschwieg natürlich nicht, dass Johann Wolfgang von Goethe aus Frankfurt stammte, und sein ursprüngliches Wohnhaus heute ein Museum sei.

Alsdann begaben sich die beiden ins Verlagshaus, welches in der Tat nur zwei Querstrassen von der Gaststätte entfernt lag. Das Haus war nicht sonderlich gross, befand sich die Druckerei doch etwas ausserhalb des Zentrums. Philippe lernte verschiedene Angestellte kennen und allesamt waren ihm sympathisch. Er konnte sich gut vorstellen, mit Isidor ins Geschäft zu kommen.

Isidor gab ihm nun seine Vorstellungen bekannt und er rühmte den Schreibstil von Philippe: einfach, aber aussagekräftig und unterhaltsam. So schätze Philippe sein Schreiben selber ein und er war sich bewusst, kein grosser Schriftsteller zu sein. – Einfach die Freude am Schreiben beflügle ihn, und er wolle eigentlich gerne weiterfahren, Ideen habe er noch genug; dies sein Kommentar.

Isidor skizzierte ihm nun seine Vorstellungen. Er habe die Lektoren bereits angewiesen, sich Gedanken zu machen. Auch den Werbetexter habe er beauftragt, Titelvarianten auszuarbeiten und erste Vorschläge seien ihm schon unterbreitet worden. Einer der Titel laute zum Beispiel wie folgt:

Unvorstellbar

… wie schnell selbst ein Polizeichef in Verruf geraten kann

… welche Abgründe sich auch bei einem Politiker auftun können

und

… was die Strafverfolger an ihre Grenzen stossen lässt

Für seine Mitarbeiter sei absolut denkbar, dass die Kurzgeschichten eins bis drei zusammengefasst und in einem Band erscheinen könnten. Auch hielten sie dafür, dass im Anschluss daran in einem zweiten Band das Thema «Unvorstellbar» weitergeführt werden könnte, beispielsweise mit folgenden Untertiteln:

Unvorstellbar

… wer hinter der Pandemie Covid-19 stecken könnte

und

… weshalb der Bundesanwalt in die Enge getrieben wurde

Natürlich seien auch andere Varianten denkbar, und der Vorschlag eines anderen Texters gefalle ihm ebenfalls gut und dieser laute wie folgt:

Dubiose Machenschaften

Die Bücher würden in einer Art Trilogie und Dilogie zusammengefasst und so auf den Markt gebracht. Seine Erfahrung habe ihn einfach gelehrt, dass sich Bücher im Umfang von 200 bis 300 Seiten besser verlaufen liessen als Erzählungen in Kurzform. Viel umfangreicher sollten die Romane dann doch wieder nicht sein, da sie ansonsten nicht gekauft würden.

Was aus seiner Sicht jetzt einfach noch fehle, sei eine «knackige» Einleitung, die den beiden Bände, oder wie das Erscheinen auch immer sein möge, beigelegt werden könnte. Das Thema sollte die Revision der Strafprozessordnung in der Schweiz sein mit all seinen Schattierungen, so wie Philippe es bereits angetönt habe, einfach noch ein wenig ausführlicher.

Philippe hörte seinem Gegenüber aufmerksam zu und er konnte oder wollte Isidor nicht widersprechen. Isidor hatte sich richtig gehend in Fahrt geredet und sein Enthusiasmus war deutlich spürbar. Selber konnte er die Vorschläge nachvollziehen und sie waren für ihn nicht aus dem «Tierbuch».

Isidor ging noch einen Schritt weiter und er offerierte Philippe gar eine «Schreibstube», wo er sich zurückziehen und sich dort voll und ganz der Arbeit zuwenden könnte. Sie hätten vom Verlag zwei Adressen, die sie hoffnungsvollen Schriftstellern unentgeltlich zur Verfügung stellen würden und eine davon befinde sich in der Schweiz, die andere in Südfrankreich. – Beides klang für Philippe verlockend.

Isidor zeigte Philippe ein Bild des einen Hauses, jenem in der Schweiz, und dieser war begeistert: klein, aber fein und genau das, was sich Philippe schon lange für sein Tun gewünscht hatte.

«Und wo befindet sich denn dieses Schmuckstück?», so die drängende Frage von Philippe.

«In St. Peter im Kanton Graubünden, etwa auf halber Distanz zwischen Chur und Arosa auf circa 1250 m ü. M. gelegen», so die Antwort von Isidor.

«Die Aussicht ist schlichtweg fantastisch und aus meiner Sicht unvergleichbar.» «Sieh nur», und Isidor zeigte Philippe ein weiteres Bild.

«Dies ist der Blick von der Terrasse aus; ist er nicht traumhaft?» Philippe war fasziniert und er sah sich bereits am Schreiben. Den Schlüssel zum Häuschen würde er von einem älteren Herrn im Dorf erhalten und er könne dort solange bleiben wie er wolle. Dies die wohlwollenden Worte von Isidor.

Philippe sah sich wie in einem Film und er konnte gar nicht glauben wie ihm geschah. Auf einmal schienen all seine Wünsche und Träume in Erfüllung zu gehen und er konnte es kaum fassen. – Beide, er und Isidor, kamen darin überein, dass sich Philippe das Ganze noch einmal überlegen soll und dass er dann Isidor seinen Entscheid bekannt gebe. Philippe wollte der Bitte gerne nachkommen.

Die Stunden vergingen, und Philippe konnte pünktlich seinen Zug heimwärts besteigen. Isidor begleitete ihn sogar auf den Bahnhof und sie winkten einander zu.

Frédéric

Bernard hatte den Termin mit dem Vermieter der Lokalität festgemacht, und so sollte Désirée noch im Verlauf des Nachmittags die Räumlichkeiten besichtigen dürfen. Sie war schon ganz aufgeregt, und natürlich wollte Isabelle auch mit dabei sein. Francesco wollte noch kurz etwas erledigen, und so stellte Bernard die beiden Damen dem Vermieter vor.

In der Zwischenzeit waren «die Kinder» von Valras-Plage zurückgekehrt, jedoch trafen sie niemanden im Haus an. Dies kam ihnen etwas seltsam vor, und so griff Michelle zum Telefon und versuchte ihre Mutter zu erreichen. Diese klärte sie auf und sagte, dass sie vermutlich in gut einer Stunde wieder zuhause sein werden. «Ah, schön, dann werden wir für uns alle etwas zu essen vorbereiten», und sie freuten sich bereits darauf, sich bald wieder zu sehen.

Bernard wollte mit Frédéric, dem Zeitungsverkäufer vom Kiosk nebenan, noch einen kleinen Schwatz machen. Er verabschiedete sich vom Vermieter und vereinbarte mit Isabelle und Désirée, dass er sie in gut einer halben Stunde wieder treffen werde. Bernard besorgte sich zwei Kaffee im nahe gelegenen Take Away und er wollte Frédéric damit erfreuen. Dies gelang ihm voll und ganz, waren die Temperaturen doch nach wie vor so, dass man sich nur mit einem warmen Getränk einigermassen bei Temperaturen halten konnte. «Eh ça va, mon cher?» «Oh, so lala. Wenig Kundschaft bei diesem Wetter, und trotzdem muss ich den Laden offenhalten.» So die Antwort von Frédéric. «Und was gibt’s Neues?» Dies die interessierte Frage von Bernard. «Pas grande chose.»

Heutzutage konnte man den Medien ja nicht mehr viel Neues entnehmen. Überall dieser Einheitsbrei, wo die einen den andern alles abschreiben und übernehmen, zumeist ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, ob die Angaben überhaupt stimmten. Vor allem, was das lokale Geschehen betraf, war weder dem «Var-matin» noch dem «midi-libre» für Bernard Brauchbares zu entnehmen. Da wendete er sich doch lieber an Frédéric, der wahrscheinlich der bestinformierte Bürger in dieser Kleinstadt war.

Und tatsächlich wusste Frédéric so einiges zu berichten: So seien an Silvester zwei Jugendliche von der Polizei angehalten worden, die einen Einbruch in die nahe gelegene Apotheke verübt hätten. Gestohlen worden sei zwar nicht viel, der Sachschaden sei aber doch beträchtlich. Frédéric wusste natürlich auch, um wen es sich da handelte und er nannte Bernard die beiden Namen. «So, der Sohn vom Bürgermeister», dies die erstaunte Antwort von Bernard. «Das wird ihn aber gar nicht freuen.» Auch ein Vandalen Akt gehe auf ihr Konto. Die Schmierereien am Rathaus müssten ebenfalls den beiden angelastet werden. Schliesslich habe er auch gehört, dass die Tochter des Bürgermeisters ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann habe und auch dies dürfte dem «Maître» ganz und gar nicht passen. «Ja ok, aber das kommt in den ‘besten Familien’ vor.» «Ja schon, aber wenn man den Bürgermeister so reden hört, dann passt dies schon nicht ganz in sein Weltbild, wo alles doch so gesittet und geordnet ablaufen soll.»

Bernard nahm dies so zur Kenntnis, und es kam ihm der folgende Spruch in den Sinn, von dem er nicht mehr so genau wusste, von wem er stammte – von ihm selber? – er wusste es nicht:

Das Leben ist manchmal schon eigenartig. Da denkt man, alles oder zumindest das meiste im Griff zu haben, und dann holt einem die Realität plötzlich wieder ein.

Er studierte diesen Gedanken noch ein wenig nach und wandte sich dann wieder Frédéric zu. «Und sonst? Nichts Weltbewegendes?»

«Nein, eigentlich nicht. Interessant für mich ist höchstens, dass man von dem Unfall, wenn es den ein Unfall war, nichts in der Tagespresse lesen konnte.» «Welchen Unfall sprichst du an?» «Ja, jenen vom 21. Dezember des letzten Jahres.» «Das sagt mir gar nichts.»

«Es war früh am Morgen. Ich hatte soeben die Jalousie zum Kiosk hochgezogen, als ein schwerer Wagen vom Hafen daher gebraust kam. Ich erkannte nicht viel. Es war noch zu dunkel. Im Wagen sassen vermutlich zwei Personen. Der Fahrer hatte einen massigen Kopf, den Beifahrer kann ich nicht beschreiben. Das Fahrzeug näherte sich dann kurz darauf von der anderen Seite, etwas flog durch die Luft und der Wagen – wahrscheinlich war es derselbe – fuhr mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Les Issambres weiter.»

«Ich weiss nicht, was durch die Luft geflogen ist. Vielleicht eine Mülltonne, vielleicht aber auch eine Person. Es gab auf jeden Fall einen Höllenknall. Das Fahrzeug war ein schwerer Mercedes. Da bin ich mir ziemlich sicher und wahrscheinlich war er schwarz oder vielleicht auch dunkelgrau. Das Nummernschild konnte ich nicht erkennen. Es ging zu schnell. Aber ich glaube nicht, dass es ein einheimisches war. Zwar hell, aber nicht so wie die Unsrigen.»

Die Polizei sei sodann vor Ort gegangen, aber er konnte nicht genau erkennen, um was es ging. Die Distanz sei zu gross gewesen. Sogar «les sapeurs-pompiers» seien dort gewesen, aber er könne auch dazu nichts sagen. Aufgefallen sei ihm einzig und allein, dass das Vorkommnis von niemandem angesprochen oder in den Zeitungen gar aufgenommen worden war. Es seien nun doch schon gut drei Wochen her und sonst werde über alle und alles geredet, nicht aber über diesen Vorfall. Er finde dies schon etwas eigenartig.

Bernard musste Frédéric recht geben, allerdings konnte er das Ganze nicht weiter mit ihm diskutieren, da Isabelle und Désirée bereits auf ihn warteten. «Ich werde mich auch einmal umhören und melde mich dann wieder.» - Dies die Abschiedsworte von ihm.

Zuhause angekommen roch es schon ganz verführerisch. Die «Kinder» wollten ihre Eltern und natürlich auch Désirée und Francesco mit einer «Winterspezialität» aus der Languedoc überraschen. Das Gericht trägt den Namen «Cassoulet» und ist ein Eintopfgericht bestehend aus weissen Bohnen, Speck, Schweinefleisch und Würstchen. Danielle hatte noch das Kochbuch ihrer Grossmutter und ihr Freund Alain war gelernter Koch, womit eigentlich nichts schief gehen sollte. Das Gericht brauchte gut und gern zwei bis drei Stunden bis es im Backofen fertig gegart war. In der Zwischenzeit bot sich die Gelegenheit, einen ausgedehnteren Aperitif zu geniessen und sich gegenseitig auszutauschen.

Francesco hatte in der Zwischenzeit einen wunderschönen Blumenstrauss organisiert, welcher er Isabelle überreichte. Wie er das gemacht hatte, entzog sich der Kenntnis von Bernard, und er war schlichtweg baff. Isabelle hingegen war dermassen entzückt, dass sie Francesco als Dankeschön einen kleinen Kuss auf die Wange drückte und ihm liebevoll die andere streichelte. Bernard wurde schon bald ein wenig eifersüchtig.

In Valras-Plage sei alles in Ordnung und all ihre Gegenstände, die sie für ihre Surf Schule brauchten, seien noch gut unter Verschluss. Jetzt gelte es eigentlich nur noch zuzuwarten, bis das Wetter wieder gastlicher werde und sie meinten, dass sie so gegen Ende Februar/Anfang März wieder vor Ort gehen würden, um die Saison, die ja schon mit Ostern beginne, zu eröffnen. Ostern lag dieses Jahr früh im Kalender und zwar bereits Anfang April.

Désirée und auch Isabelle berichteten von der besuchten Lokalität und sie kamen aus dem Schwärmen nicht mehr raus. Dies sei genau der Laden, den sie gesucht habe, und er erfülle all ihre Vorstellungen. Der Mietzins sei für sie annehmbar und sie habe mit dem Vermieter bereits einen Vorvertrag abgeschlossen, vorweg einmal für ein Jahr, jedoch mit der Option auf weitere vier Jahre. Sie habe noch einen Vorbehalt angebracht, da sie wolle, dass ein ihr bekannter Architekt und ihr Innendekorateur von Paris das Geschäft kurz besichtigen sollten. Aber grundsätzlich denke sie, dass sie das Geschäft ebenfalls auf die Saison hin eröffnen könne.

Isabelle fügte an, dass, sollte es für Bernard nach wie vor stimmen, sie den Laden führen werde. Natürlich brauche sie noch eine Unterstützung, aber sie könne sich gut vorstellen, dass die Frau von Gérard, dem umtriebigen und eigentlich in Pension stehenden Journalisten vom Var-matin, sie unterstützen werde. Sie werde sie sobald wie möglich kontaktieren.

Bernard staunte ob all diesen Neuigkeiten und dies in solch kurzer Zeit. Er streichelte Dissan zärtlich über den Kopf und beide schauten sich gross an. «Wir beide werden hier die Stellung halten und euch mit Rat und Tat zur Seite stehen», so die versöhnlichen Worte von Bernard und er gönnte sich einen tollen Schluck des fein mundenden Weissweines, den sie zum Aperitif geöffnet hatten.

Schon bald war Essenszeit und alle acht begaben sich an den Tisch. Dieser war zum Glück gross genug, so dass sie Platz fanden. Die Schüssel mit Bohnen und Fleisch war riesig und als Teller sollten die Suppenteller herhalten, damit nichts verloren ging. Frisches Baguette begleitete das Mahl und selbst den Wein hatten die Kinder mitgebracht: Dieses Mal sollte es ein Mas Baux Soleil Rouge Jahrgang 2018 mit dezentem Barriquegeschmack sein.

Das Essen mundete allen vorzüglich, und auch der gewählte Wein passte bestens zu diesem rustikalen Essen.

Am nächsten Morgen wollte sich Bernard wieder einmal nach dem Befinden seiner Freunde in der Schweiz, Philippe und Deborah, erkundigen. Isabelle wollte sich mit der Frau von Gérard mit Namen Josephine treffen – alle sprachen sie jedoch nur mit dem Kurznamen «Josi» an –, um mit ihr ein allfälliges Mitwirken im neuen Laden zu besprechen. Isabelle liess Deborah und Bernard herzlich von ihr grüssen.

Gesagt, getan griff Bernard zum Hörer. Zu seinem Erstaunen hatte er Philippe sogleich am Apparat. «Salut mon cher, ça va?» «Oui, très bien et à toi?» «Ja, es geht mir auch sehr gut. Ich wollte einfach nur wieder einmal hören, wie es euch geht.» «Das ist denn nett», und so ergab sich einiges, worüber die beiden Freunde sich in der Folge austauschen konnten: das Wetter, die Ehefrauen, die Kinder und natürlich den «Type H». Dieser stand ganz oben auf der Traktandenliste!

«Ja, es geht ihm gut und er wartet nur darauf, bis wir ihn gemeinsam wieder in Gang setzen können», so die amüsierte Antwort von Bernard auf die Frage von Philippe. Er, Bernard, sei zwar in der Zwischenzeit noch ein-/zweimal mit Gérard und François «en tournée» gewesen, aber es sei schon nicht das Gleiche gewesen, wie mit ihm. Sie hätten einfach nicht den gleichen Musikgeschmack, und der von Philippe und ihm gefalle ihm schon viel besser. Er denke auch, dass die Zuhörer das gleich empfinden würden. Jedenfalls sei der Applaus viel verhaltener gewesen, als wo sie selber noch durch die Gassen gezogen seien. – «Philippe, wann kommst du wieder?» Dies die drängende Frage von Bernard.

«Gerne, schon bald mein Lieber, aber ich muss vorweg noch etwas erledigen», und Philippe schilderte Bernard seinen Besuch bei Isidor Habersack in Frankfurt. «Oh, das freut mich aber für dich. Und wie geht es nun weiter?» «Ja, ich glaube, ich werde zusagen und mich für kurze Zeit in die Berge zurückziehen. Danach käme ich sehr gerne zu dir, so auf Ostern hin, wenn es dir passt, und dann könnten wir gemeinsam wieder loslegen. Was hältst du davon?» - «Sehr viel. Ich kann es kaum erwarten.»

Beide liessen noch ihre Ehefrauen von sich grüssen und sie verabschiedeten sich voneinander.

Bernard wollte nun der Frage von Frédéric nachgehen und er wählte dazu die Nummer von François, dem ehemaligen und nun auch in Pension stehenden «Juge d’instruction» im Departement Var. «Salut François, was hältst du von einem «demi» im «Le Stéphano’s»?» «Sehr viel, ich bin schon unterwegs – haha.» «D’accord, à onze heures, ça joue?» «Parfait!»

Das Le Stéphano’s befindet sich im Herzen von Ste-Maxime, an der rue Paul Bert, und ist bekannt für seine feine Küche. In der Saison ist eine Tischreservation empfehlenswert, aber jetzt, bei diesem garstigen Wetter, sollte es kein Problem sein, bloss etwas zu trinken. Schon bald trafen sich die zwei und sie freuten sich, sich wiederzusehen.

Sodann kam Bernard auf die Feststellungen von Frédéric zu sprechen und er war erstaunt wie François reagierte: «Natürlich ist dort etwas passiert. Aber alle schweigen!» Und François holte in der Folge etwas aus.

Seinen Informationen zufolge sei am besagten Morgen ein Marokkaner namens Said über den Haufen gefahren worden. Zur Täterschaft könne er wenig sagen. Das Ganze sei offensichtlich «top secret» und keiner seiner Bekannten oder ehemaligen Weggefährten wolle sich dazu äussern. Es werde nur immer wieder hinter vorgehaltener Hand gesagt, dass man die «Black lives matter» Bewegung fürchte und man befürchte, dass sie auch auf Südfrankreich – und dort nicht nur auf Marseille – überschwappen könnte. Man habe einen Höllenrespekt vor dieser Bewegung, und der Song «Lean On Me» von Bill Withers sei in aller Munde.

Seit dem Film «Les Misérables» – zu Deutsch «die Wütenden»- aus dem Jahr 2019 sind Fremdenhass und Rassismus in Frankreich ein allgegenwärtiges Thema. Der Film beruht auf wahren Begebenheiten und spielt in einer der Pariser ‘Banlieues’. Er erzählt von den schwierigen Lebensbedingungen der multikulturellen Bewohner und von der Arbeit der Polizei, welche sich mit alltäglicher Gewalt konfrontiert sieht.

Regisseur und Macher des Filmes ist Ladj Li, aufgewachsen in Paris und familiär herstammend aus Mali. Der Film sei ein Alarmsignal an die politischen Verantwortlichen, die gar nicht wüssten oder auch nicht wissen wollten, was in diesen Vierteln abgeht, so die Aussage von Li.

Bekanntlich rief der Mord an George Floyd 2020 in den USA weltweit heftige Reaktionen hervor, ganz besonders in Frankreich, denn die Umstände dieses Verbrechens erinnern an den Fall des jungen Adama Traoré vier Jahre zuvor. Der schwarze Franzose wurde von Polizisten zu Boden gedrückt bis er erstickte!

Trotz des offiziellen Demonstrationsverbotes kamen tausende von jungen Französinnen und Franzose am 2. Juni 2020 zusammen, um an der Seite des «Comité verité et justice pour Adama», gegründet von der Schwester des Verstorbenen, zu protestieren. Assa kämpft seit 2016 für eine juristische Aufarbeitung des Todes ihres Bruders.

Emmanuel Macron sagte damals, es sei „inakzeptabel, in einem Rechtsstaat von Polizeigewalt zu sprechen“, nach dem Motto: Wenn wir es nicht aussprechen, dann existiert es nicht! Dabei gäbe es über die französische Polizei, über ihre Methoden, über ihre Opfer viel zu sagen. Angefangen bei den Festnahmetechniken, wie dem Blockieren in Bauchlage, bis zu den LBD-Geschossen (Anm.: Hartgummigeschosse), durch die Menschen schwerwiegende Verletzungen erleiden.

https://fr.boell.org/index.php/de/2020/12/22/black-lives-matter-frankreich;

von Romy Strassenburg

Bernard war erstaunt ob der Fülle von Informationen, und der ‘Rosé’, den er und François tranken, fing an etwas schal zu schmecken. Das hätte Bernard nun ganz und gar nicht erwartet. Jedoch, so wie es schien, wird hier etwas unter den Tisch gekehrt und zwar, um unliebsamen Tatsachen nicht ins Auge sehen zu müssen. François hatte sich in seiner Einschätzung noch nie getäuscht. – Bedenklich, dachte Bernard, jedoch war das Ganze für ihn nach seinen jüngsten Erfahrungen nicht völlig aus der Luft gegriffen. Schon mehrmals musste er sich darüber wundern, wie seine ehemaligen Kollegen bei der Gendarmerie arbeiteten. Die Bilder im Fernsehen liessen ihn oftmals erschaudern.

Nach eher Belanglosem in der Folge wollten sich die beiden voneinander verabschieden. Sie liessen gegenseitig ihre Frauen grüssen und Bernard bat François darum, ihn doch auf dem Laufenden zu halten, sollte der nähere Informationen zum erwähnten Vorfall erhalten. François sicherte ihm dies zu.