Was der Tag mir zuträgt

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Ein Brief aus Accra (Westküste, Goldküste)

Ein Brief aus Afrika. Wann ist er aufgegeben?! Am 20. Juli. Wann ist er angekommen?! Am 26. August. Die Tränen der Absender sind bereits versiegt, während die der Empfänger fließen. Monambôs Bruder ist gestorben, 14 Jahre alt. "Er war so groß wie Tíoko – – –", sagt Monambô, "und ebenso schön".

The big Akolé sitzt bei ihrem Verkaufstische, zählt Geld. Die Tränen rinnen über ihr edles Gesicht.

"II me semble, qu'elle est encore plus noire aujour­d'hui", sagt die französische Sekretärstochter und küsst sie.

"War er verwandt mit ihr?!", fragte ich den Häupt­ling auf englisch.

"Wir weinen um alle", sagte der Häuptling, "so sind die Black-men. Wenn ich in Afrika sein werde, werde ich um dich weinen, Sir."

Akóschia sitzt auf dem Tanzplatze, macht Musik mit eisernen Kastagnetten; die Tränen rinnen über ihr edles Antlitz.

Tíoko sitzt vor ihrer Hütte, singt leise vor sich hin und weint. Wie Harfenbegleitung zu Tränen. Wie Psalmen.

Monambô weint nicht.

"Du bist nicht traurig, Monambô?!"

"Sir, ich bin in der Fremde. Ich werde weinen, bis ich in Afrika bin – – –."

"Diese allgemeine Trauer ist doch ein bisschen unverständlich", sagt die junge Sekretärstochter zaghaft zu mir. Und ich:

"Glauben Sie es doch nicht, dass es dieser Knabe ist, um welchen sich diese edlen sanften Geschöpfe grämen. Sie weinen um Afrika, c'est le mal du pays, die zarteste Krankheit unserer Seele, welche zum Vorschein kommt. Wie wenn ein kleines Mädchen eine neue Bonne bekäme. 'Merkwürdig', sagen die besorgten Eltern, 'wirklich, niemand hätte es gedacht, unser Schatz ist ganz freundlich mit ihr; wie alte Bekannte. Alles geht gut, sie vertragen sich, das Fräulein ist aber auch so lieb mit ihr, sie hat keine leichte Position.' Plötzlich aber ein unscheinbares Wort der Bonne, eine Gebärde. Das Kind bricht in heiße Tränen aus. Ist es das Wort, diese Gebärde?! Keineswegs. Sie schluchzt um ihre alte Kinderfrau – – –."

Neun Uhr abends. Die Tränen sind versiegt. Der Mond macht die Birken im Garten glitzern. Still sind die afrikanischen Hütten. Tíokos Hütte ist finster. Monambô ruft mich. Ich trete in die Hütte. Auf dem Boden liegen Monambô, Akolé, die Wunderbare, und Akóshia. Kein Polster, keine Decke. Die idealen Oberkörper sind nackt. Es duftet nach edlen reinen jungen Leibern. Ich berühre leise die wunderbare Akolé.

"Go to Tíoko", sagt sie sanft, "du liebst nur diese!"

Monambô, welche die Traurigkeit für Afrika auf­spart, sagt: "Sir, morgen bringst du uns einen piss-­pot; es ist zu kalt, um in der Nacht aus der Hütte zu treten. Er muss außen blau und innen weiß sein. Was er kostet, werden wir drei zusammen bezahlen. Freilich, Tíoko würdest du einen schenken! Was wird er kosten?!"

"Monambô, niemals habe ich noch einen piss-pot be­sorgt. Ich kenne die Preise nicht. Zwischen 50 Kreuzer und 500 Gulden. Königinnen benützen goldene."

"Sir, es war heute ein trauriger Tag. Gute Nacht. Du liebst Tíoko. Der piss-pot muss außen blau und innen weiß sein. Bringe ihn bestimmt, tomorrow. Man kann in diesen Nächten nicht aus der Hütte treten, verstehst du?!"

Ich küsste den drei Mädchen auf ihren harten Lagern die Hände. Akolé war zu schön! Ich kniete mich nieder, küsste sie auf die Stirn, die Augen, den Mund – –.

"Go to Tíoko – – –", sagte sie sanft.

Monambô, Akóshia verkrochen sich in ihren Kat­tunen. "Go to Tíoko – – –!"

Als ich aus der Hütte trat, waren die Birken grau im Frühlichte und wie eins mit der nebeligen Luft, welche nach feuchter Frische duftete – –

Physiologisches

Können Negerinnen erröten?!

Negerinnen können erröten. Wie kupferfarbig werden sie, gleichsam heller. Zum Beispiel, wenn du ihre Hände küsst, dich wie ein Kavalier benimmst.

Können Negerinnen erbleichen?!

Nein, im Gegenteile. Sie – – – erdunkeln!

Zum Beispiel, wenn du – – – dich nicht wie ein Kavalier benimmst.

Dann – – – erdunkeln sie!

Prügel

"Prügel sind gut, o Herr", sagte die eben von ihrem Gatten geprügelte junge Negerin Dédé zu P. A. "Wie tshofán ist es (Medizin)! Der, der prügelt, wird von seiner Wut geheilt und der andere von seinem ,bösen Gewissen'!"

Philosophie

Besucher des Aschanti-Dorfes schlagen abends an die Holzwände der Hütten, zum Spaße.

Der Goldschmied Nôthëi: "Sir, wenn ihr zu uns nach Akkra kämet als Ausstellungsobjekte (exhibited), würden wir nicht des Abends an eure Hütten klopfen!"

Ritterlichkeit

"Herr – – –", sagte der Häuptling Bôdjé zu P. A., "komme in meine Hütte." – – – – – –.

"Sit down."

- – – – – –.

"Ich habe heute nachmittags Nahbadû geschlagen. Ich schlug sie mit diesem Ochsenziemer. Verstehst du mich?!"

"I understand – – –."

"I am the chief of my people. Ich liebe es nicht, Nahbadû zu schlagen. Of course. Wenn alle Mädchen zu dem Tam-Tam jedoch sich begeben, sitzt sie in ihrer Hütte und macht gar nichts. Sie ist weder krank noch müde. Ganz verrückt sitzt sie in ihrem Hause und macht gar nichts. I am the chief of my people! Ich fragte sie, warum sie täglich dasselbe tue, dazusitzen und gar nichts zu tun. Ich fragte und fragte. Dann schlug ich sie mit meinem Ochsenziemer. Wenn alle Mädchen in den Hütten sitzen würden und vor sich hinträumen, nicht?! Wofür zahlen die weißen Menschen?! Es ist unsere Pflicht. Ich liebe es nicht, Nahbadû zu schlagen. Ich wollte dir das nur sagen, damit du es wissest. Was hast du denn, Herr – –?!"

"Nichts, Bôdjé – – –."

"Nun, Herr, ich werde sie von nun an träumen lassen in ihrer Hütte – – –."

Der Tag des Abschiedes

Nahbadû: "Poor?" (Bist du arm?)

"Ja."

"No Afrika?" (Kannst du nicht mit nach Afrika?) "Nein."

Schweigen.

"O hã mi Dash-Goodbye?!" (Welches Geschenk wirst du mir zum Abschied geben?!)

"Pagne, green silk and white" (überwurf, grünes und weißes Seidengewebe).

"Good (es ist gut), jard eba (6 Meter)."

"Jard eba."

"Jard banyŏ(8 Meter)."

"Jard banyŏ."

"Und etwas Geld könntest du mir auf die Reise mitgeben (Shika, Shika Goodbye)."

"Ich werde dir 30 Shilling mitgeben. Oh Nah-badû – – –."

"Poor … no Afrika! Rich … Afrika!" (Du gehst nicht mit mir nach Afrika, weil du arm bist. Wenn du reich wärest, gingest du mit mir!)

Wie eine Königin des Lebens stand sie da in ihrer braunen nackten Schönheit: "Wenn du reich wärest, gingest du mit, bis nach Afrika!"

Davon leben die Königinnen! Vom Siege!! Vom Hauch des Sieges!!

Er ginge mit! Er ginge mit mir bis Afrika!

Spätherbst-Abend

"Herr Direktor – – –", sagte der Wächter des "Tiergartens", "heute Abend war ein Herr da, welcher sich nach Ihnen erkundigte. Dann ist er in eine der leeren Hütten im oberen Dorfe getreten. Nach einer Viertelstunde ist er herausgekommen und ist langsam weggegangen aus dem Garten."

"Schon gut, Josef. übrigens, die Hütten werden morgen abgebrochen – –. Wir brauchen Platz für die Seiltänzergesellschaft und den Ballon captif."

Was der Tag mir zuträgt
Motto

Nicht dir und einem gib das Gute, das du gefunden auf deinen schweren Wegen – – –, gib es allen!

Auf dass an deinem armseligen Erden-Wallen

der eine oder der andre Klärung finde!

Gib auf die feige Vorsicht, gleichgesinnten Herzen dich zu eröffnen – – –

sei stark, wirf's in die Welt!

Und wenn in Fernen eine zarte Seele

erbebt beim Wort, das du ins All verkündet,

so wird der Schauer dieser Milden, Sanften,

hindringen durch die Welten bis zu dir!

Lass sie Teil-nehmen!

Doch Harpagons des eignen Daseins sind die andern,

die in perfiden Diskretionen ihre Wege wandern!

Die können sich nicht mit-teilen.

Sie brauchen sich für sich und sind verschwiegen.

Ein Spiegel sei der Dinge um dich her!

Dazu jedoch gehören Kraft und Liebe.

Kraft, um im Tag-Gedränge ruhig zu erfassen und Liebe, um, dem eignen Sein entrückt,

das Fremde in sich einströmen zu lassen! Was mir das Leben zuträgt, geb' ich zurück den Lebendigen,

um so den Geistes-Kreislauf zu beendigen!

Selbstbiographie

Ich bin geboren 1862, in Wien. Mein Vater ist Kaufmann. Er hat eine Eigenheit: Er liest nur franzö­sische Bücher. Seit 40 Jahren. über seinem Bette hängt ein wunderbares Bildnis seines Gottes "Victor Hugo". Er sitzt abends in einem dunkelroten Lehnstuhle, liest die "Revue des deux Mondes", und hat einen blauen Rock an mit breitem Sammetkragen à la Victor Hugo. Nein, einen solchen Idealisten gibt es nicht mehr auf dieser Welt. Man fragte ihn einmal: "Sind Sie nicht stolz auf Ihren Sohn?!"

Er erwiderte: "Ich war nicht sehr gekränkt, dass er 30 Jahre lang ein Tunichtgut gewesen ist. So bin ich nicht sehr geehrt, wenn er jetzt ein Dichter ist! Ich gab ihm Freiheit. Ich wusste, dass es ein Va-banque-Spiel sei. Ich rechnete auf seine Seele!"

 

Jawohl, edelster, merkwürdigster aller Väter, lange habe ich dein göttliches Geschenk der Freiheit missbraucht, habe edle und ganz unedle Damen heiß geliebt, bin in Wäldern herumgelungert, war Jurist, ohne Jus zu studieren, Mediziner, ohne Medizin zu studieren, Buchhändler, ohne Bücher zu verkaufen, Liebhaber, ohne je zu heiraten, und zuletzt Dichter, ohne Dichtungen hervorzubringen! Denn sind meine kleinen Sachen Dichtungen?! Keineswegs. Es sind Extrakte! Extrakte des Lebens. Das Leben der Seele und des zufälligen Tages, in 2-3 Seiten eingedampft, vom überflüssigen befreit wie das Rind im Liebig-Tiegel! Dem Leser bleibe es überlassen, diese Extrakte aus eigenen Kräften wieder aufzulösen, in genießbare Bouillon zu verwandeln, aufkochen zu lassen im eigenen Geiste, mit einem Worte, sie dünnflüssig und verdaulich zu machen. Aber es gibt "geistige Mägen", welche Extrakte nicht vertragen können. Alles bleibt schwer und ätzend liegen. Sie bedürfen 90 Prozent Brühe, Wässerigkeiten. Womit sollten sie die Extrakte auflösen?! Mit "eigenen Kräften" vielleicht?!

So habe ich viele Gegner, "Dyspeptiker der Seele" ganz einfach! Schwer Verdauende! "Fertig werden" ist für den Künstler alles. Sogar mit sich selbst fertig werden! Und dann, ich halte dafür: Was man "weise verschweigt" ist künstlerischer, als was man "geschwätzig ausspricht". Nicht?! Ja, ich liebe das "abgekürzte Verfahren", den Telegramm-Stil der Seele!

Ich möchte einen Menschen in einem Satze schildern, ein Erlebnis der Seele auf einer Seite, eine Landschaft in einem Worte! Lege an, Künstler, ziele, triff ins Schwarze! Basta. Und vor Horche auf dich selbst! Gib deinen eigenen Stimmen in dir Gehör! Habe kein Schamgefühl vor dir selbst! Lasse dich nicht abschrecken durch ungewohnte Laute!

Wenn es nur die deinigen sind! Mut zu deinen Nacktheiten!!

Ich war nichts, ich bin nichts, ich werde nichts sein. Aber ich lebe mich aus in Freiheit und lasse edle und nachsichtsreiche Menschen an den Erlebnissen dieses freien Inneren teilnehmen, indem ich dieselben in gedrängtester Form zu Papier bringe.

Ich bin arm, aber ich selbst! Ganz und gar ich selbst! Der Mann ohne Konzessionen!

Wohin bringt man es damit?! Zu 100 Gulden monatlich und einigen warmen Verehrern.

Nun, die habe ich!

Mein Leben war der unerhörten Begeisterung für Gottes Kunstwerk "Frauenleib" gewidmet! Mein armseliges Zimmerchen ist fast austapeziert mit Akt-Studien von vollendeter Form. Alle befinden sich in eichenen Rahmen, mit Unterschriften. über einer Fünfzehnjährigen steht geschrieben: "Beauté est vertue." Schönheit ist Tugend. Unter einer anderen: "Es gibt nur eine Unanständigkeit des Nackten – – – das Nackte unanständig zu finden!"

Unter einer anderen steht geschrieben: "So erträumten dich Gott und die Dichter! Aber die schwächlichen Menschlein erfanden das Schamgefühl und verhüllten dich, sargten dich ein!"

Wenn P. A. erwacht, fällt sein Blick auf die heilige Pracht, und er nimmt die Not und die Bedrängnis des Daseins ergeben hin, da er zwei Augen mitbekommen hat, die heiligste Schönheit der Welt in sich hineinzutrinken!

Auge, Auge, Rothschild-Besitz des Menschen!

Aber diese anderen starren, glotzen das Leben an wie die Kröte die Wasserrose!

Ich möchte auf meinem Grabsteine die Worte haben: "Er liebte und sah!"

Ja, in inneren Ekstasen leben, sich selbst heiß heizen, sich kochend machen, sich selbst in Brand setzen an den Schönheiten der Welt, war für Vater und Sohn alles, alles!

Aber während der Alte noch ziemlich in Beziehungen stand mit dem Leben des Tages oder in Kollision geriet, begab sich der Junge ohne Bedenken und sofort aus diesem Pflichtenkerker heraus.

Ja, ich bin arm, arm, aber mein edler Vater gab mir den Reichtum, den wenige Väter in milder Weisheit ihren Söhnen gewähren: "Zeit zur Entwicklung und Freiheit!" So konnte meine Seele, unbetrogen um die unerhörten Schätze, die jeden Tag und jede Stunde das Leben uns wie Perlen an öden Strand auswirft, so konnte meine Seele den tragischen oder zärtlichen Ereignissen sich liebevoll hingeben und wachsen, wachsen – – –.

Meine Mama war ehemals eine ganz zarte wunderschöne Dame mit edlen Händen und Füßen und schmalen Gelenken. Wie eine Gazelle. Einmal brachte mein Vater aus England ein wunderbares Mädchen mit. Er sagte zu Mama: "Dies, meine Liebe, ist Maud-Victoria. Es ist das schönste Mädchen Englands." Meine Mama sah, dass es wirklich das schönste Mädchen Englands sei und sagte ganz traurig: "Wird sie nun bei uns bleiben müssen?!" Infolgedessen war mein Vater so gerührt, dass er das "schönste Mädchen Englands" wieder in die Heimat zurückschickte.

Als mein Vater die Aschantee-Mädchen, meine geliebten Freundinnen, häufig besuchte und ihnen seidene Tücher schenkte, sagte jemand: "Der alte Mann ist von seinem Sohne erblich belastet."

Als Knabe hatte ich eine unbeschreibliche Liebe zu den Berg-Wiesen. Die Berg-Wiese, in Sonnenglut heißen Duft verdampfend, aushauchend, mit Käfern und Schmetterlingen besät, berauschte mich direkt. Ebenso Wald-Lichtungen. An sumpfigen besonnten Stellen sitzen Schmetterlinge, blau-seidene kleine und schwarz-rote Admirale, und man sieht den Huf-Abdruck der Hirsche. Berg-Wiesen aber liebte ich einfach fanatisch, ja, hatte Sehnsucht nach ihnen. Unter den weißen heißen Steinen vermutete ich überall Kreuzottern, und dieses Tier war überhaupt das Märchen-Mysterium meiner Knabenjahre. Es ersetzte mir den Menschenfresser, den Riesen und die Hexe. Alle Bisse und deren Folgen, deren entsetzliche lang­same Folterqualen, deren mysteriöse schleichende Wirkung, deren perfide geheimnisvolle Art, kannte ich auswendig, die Wund-Behandlung und so weiter. Der wunderbare zarte grau-schwarze Leib der Kreuzotter kam mir als das Schönste, Vornehmste vor, und als ich ein kleines Mädchen liebte, dachte ich mir immer und immer nur eines aus: "eine Kreuzotter bisse sie in den Fuß während einer Bergpartie und ich söge ihr die Wunde aus, um sie zu retten!"

Ich kannte genau das Terrain, auf dem mit unbedingter Sicherheit Kreuzottern hausen müssten, betrat es, lauerte; aber in meinem ganzen Leben habe ich keine lebendige Kreuzotter erschaut, obzwar die Gegend des Schneeberges davon wimmelt. Es blieb für mich nur ein böser, aber süß beunruhigender Traum.

Immer dachte ich es mir aus: Die Geliebte wird gebissen, oberhalb des Fußknöchels. Alles steht ratlos und verzweifelt. Da hole ich aus der nächsten Sennhütte Enzianschnaps, erzeuge den Alkoholrausch, das einzige Heilmittel. Dann sagt sie: "Oh, wieso wussten Sie es?" Und ich sage einfach: "Ich habe es im Brehm gelesen – – –."

Immer, überall wartete ich auf Kreuzottern. Niemals kamen sie.

Mit 23 Jahren liebte ich ein wunderbares dreizehnjähriges Mädchen abgöttisch, durchweinte meine Nächte, verlobte mich mit ihr, wurde Buchhändler in Stuttgart, um rasch Geld zu verdienen und für sie sorgen zu können später. Aber es wurde nichts aus alledem. Nie wurde etwas aus meinen Träumen.

Ich habe nie irgendetwas anderes im Leben für wertvoll gehalten als die Frauenschönheit, die Damen-Grazie, dieses Süße, Kindliche! Und ich betrachte jedermann als einen schmählich um das Leben Betrogenen, der einer anderen Sache hienieden irgendeinen Wert beilegte!

Opfere dem unerbittlichen Tage und der harten Stunde, aber wisse es und fühle es, dass deine heiligen und wahrhaften Augenblicke nur jene sind, da dein gerührtes und erstauntes Auge die schöne sanfte Frau erblickt! Wisse es, Verführter des Lebens, dass du ein Taglöhner, ein Kärrner, ein Gefangener, ein Rekrut bist, ein Selbst-Betrüger und Betrogener des Lebens, und dass nur durch die "heilige schöne Frau" du ein Adeliger und ein Kaiserlicher werden könnest!

Meinen kleinen Sachen, die ich schreibe, lege ich nur den Wert bei, den Mann, welchen seine tausend Pflichten erschöpfen und aushöhlen, ein bisschen auf­zuklären über dieses liebliche, zarte und mysteriöse Geschöpf an seiner Seite. Hineingefressen in die Pflichten des unerbittlichen Tages, darf er es sich nicht erlauben, die Frau als ein seltsames und unerforsch­liches Wesen an und für sich zu betrachten, sondern als einfache Genossin in seinen Schwierigkeiten! Ihre Welt in ihr ist ihm teuer und verständlich, insofern er Segnungen davon empfängt. Das andere bleibe den Dichtern überlassen! So nehmen denn diese dem Leben ein wenig Entrückten immer und immer wieder ihre Leier und verherrlichen weinend jene Adeligsten, von welchen die anderen die brutaleren Vorteile ziehen! Ich selbst habe nur Leid erfahren an diesen Herrlichen, für welche ich mein verlorenes und unnötiges Dasein hingebracht habe. Dennoch glaube ich ein wenig mit­gewirkt zu haben, dass ein Hauch von griechi­schem Schönheits-Kultus in die vom Leben bedrängten Jünglinge komme! Aber auch das mag nur eine Utopie sein.

Arm und verlassen lebe ich nun dahin, den Blick noch immer gerichtet auf eine edle Frauenhand, einen adeligen Schritt, ein mildes, weltentrücktes Antlitz. Amen – – –.

Vor-Frühling

Der Himmel war weiß-blau und in Frühlings-Dunst gebadet. Die Kuppeln von Kupferplatten schimmerten lila. Der Fries mit den griechischen nackten Göttern hob sich von goldenem Grunde ab und war wie ein schönes Dreieck auf blauer Schiefertafel. Die schwarzen Quadrigen rasten gleichsam von ihren schmalen Postamenten in den Frûhlingshimmel hinein. Die braungrauen Äste waren wie Kricksel-Kracksel von Schülern in den blauen Himmel gezeichnet, und die Pappeln gravitierten nach oben wie natürliche, aber zu dünne und zerfaserte Kirchentürme. Es war der Vor-Frühling. Unerhört durcheinander verschlungene und verdrehte Zweige trugen helle gelbe Klümpchen, und die Amseln zerrten an alten Strohgebinden herum und besaßen Jugendübermut für zehn. Wie wenn sie Katzen entfliehen müssten, benahmen sie sich; wie "schreckliches Flüchten" zum Spaße. Auf halbleeren Beeten standen gelbe Stiefmütterchen, nur so probeweise ausgestreut, und irgendwo dunkelblaue Hyazinthen, welche sterben dürfen, unbeweint vom Gärtner. Die Teiche waren abgelassen, gereinigt, weiß wie verlassene Wildbäche, und aus ihnen erhoben sich alte Holzgestelle mit Birkenreis umwunden, auf welchen später in der Hitze der Natur Schilf und Rohr wachsen würden und Wasserlilien. Kinder von mittelmäßiger Rasse, wenig Grazie und guter Pflege taten sich zusammen und versuchten es, sich zu amüsieren und Verlegenheiten erster Bekanntschaft zu überwinden durch Sprünge und Geschrei."Fräulein, darf ich meinen Hut ablegen?!"

"Non, ma petite, le soleil printannier – – –."

"Aoh, spring-sun is good for all, for soul and body", sagte eine elegante englische Gouvernante eines ent­zückenden Bübchens mit einem unwahrscheinlichen Namen wie "Seïthère".

"Eh bien, donnez votre chapeau – –."

"Merci, vous êtes bonne comme Jeanne d'Arc."

"C'est sa maman qui lui parle littérature – – –."

"Mais elle est avancée tout de même, cette petite –."

"Trop. Elle est le génie de la famille. Vous savez, chacune en a un."

Der Herr in langem geschlossenem grauem Rocke saß da, betrachtete die Konturen der Dächer am blauen Himmel, die verfizten Äste, die gelben Klümpchen an den Büschen, die Gouvernanten, welche milde und er­geben für Welten lebten, die ihnen nichts bedeuten konnten, und die den Frühlingsschnupfen fürchteten für ihre Schützlinge oder Diarrhöen oder übermüdung. Den ganzen Winter, bitte, in den überheizten, teppichdichten Räumen und dann in der Natur, wo Winde wehen?!

"La petite a toussé cette nuit – –."

"Madame, c'est le printemps – –."

"Mais, mademoiselle, c'est à vous de corriger les inconvéniens du printemps."

"II faisait si beau, si chaud – –."

"Le printemps – – mais il n'est pas fait pour vous, mademoiselle, il est une institution d'hygiène, j'espère."

Der Herr im langen geschlossenen Rocke betrachtete diese Damen wie verwelkte Julias und resignierte Leonoren! Er empfand die Bürde des Lebens. An solchen Tagen dichtete Buddha vielleicht seine Lehre, zog sich der heilige Augustinus zurück, gleichsam in sich selbst zusammen, kapselte sich ein. An solchen Tagen gehen arme Mädchen in die Donau, lächeln echte Dichter über ihre eigene Dichtung. An solchen Tagen wird Heiliges seines Scheins entschleiert, zerbröckelt und wird Erde!

Da riefen die kleinen Mädchen: "Oh, Rosamunde, Rosamunde, du störst die Kreise, siehst du nicht?!"

 

Der Herr blickte auf, sah Rosamunde, den überirdischen Engel mit braunen Locken, welcher Kreise störte.

Sie stand da, verlegen, in ihrem braunen Velvet-Jäckchen mit den riesigen weißen Perlmutterknöpfen. "Rosamunde, so geh' doch – –."

Langsam zog sie sich zurück aus den Ball-Schule-Kreisen.

Der Herr fühlte: "Süßeste, Lieblichste, Herzigste – – –."

Er dachte: "Wie blass du bist und zart, Rosamunde – – –!"

Vorfrühling in deinen milden Prächten! O Gott, was bist du für ein Shakespeare! Zerstörte und Werdende vereinigst du auf einer Frühlingsbank und wirfst die Seelen durcheinander! Der Herr dachte:

"Rosamunde – – warum bist du so blass und zart?! Durchleuchtet bereits deine Seele den Leib, wie eine innere Sonne, welche alles bleichte?! Rosamunde, vielleicht schläfst du nicht lang genug?! Oder ist dein Polsterchen zu hart oder zu weich, zu hoch, zu niedrig?! Bei offenen Fenstern müsstest du schlummern, dass deine kleine Lunge frische Luft bekäme mit jedem Atemzuge. Deine Atemzüge – – – Nächtelang möchte ich sie belauschen, sie zählen, zählen, von 8 Uhr abends bis 8 Uhr früh, meine zärtliche Hand auf deinen zarten Locken. Und dann würde ich mich leise wegschleichen von deinem Bettchen und Hafer-Kakao für dich bereiten und dreimal aufkochen lassen und mit der Tasse an dein Bettchen treten und warten, bis du erwachst, und sagen: 'Prinzessin, Heil Eurem Tage! Votre Jeunesse est servie!' Ja, Rosamunde, wie eine fixe Idee, süß und quälend, würde deine Gesundheit für mich. Und für Rosen auf deinen Wangen würde ich mit Freuden sterben wollen. Auf meinem Rücken würde ich dich durch die blühenden Gelände tragen, huckepack, in schattigen Wald-Lichtungen mit dir ruhen und dir vorlesen: ,Gribouille, ,l'âne savant', ,les vacances', ,le prince Shi-Shi'. Und in deine überirdisch schönen Augen würde ich Lebensströme von Liebe aus meinen Augen sich ergießen lassen und in holdem Tausche deine Welten-Schönheit trinken, die gleichsam als kindliche Quelle in deinen Augen ihren Ursprung hat!"

So saß er da in seinem langen geschlossenen winterlichen Rocke und träumte "Vorfrühling", und war wie die kahlen Büsche mit ungeheuer verschlungenen und verworrenen Zweigen, die Triebkraft spüren für die Gottesblüten.

Weggeschwemmt, gefegt von lauen Lüften, war das Lügengewebe mit Erwachsenen, den Wünsche-Hegern!

Welche Bedeutung hat der Frühlingstag!?!

Auf einem kleinen Kieshaufen stampfst du herum, Rosamunde.

Zweimal nimmt der Wind den T-Tut.

Du ordnest deine Locken.

Mit einem Schirme zeichnest du Figuren.

Ein Bübchen stößt dich, erstaunt blickst du es an.

Du fängst den Ball auf – – nein, du lässt ihn fallen.

Und deine Gouvernante küssest du.

Ermüdet ruhest du.

Kühl wird's im Garten. Alles geht nach Hause.

"Rosamunde! Rosamunde –!" – –

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