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AN EINE ELFJÄHRIGE (†)

Hilde, Elfjährige, ich wußte nichts bis dahin über dich – .

Nun aber habe ich deine Stimme vernommen, deine wunderbar klare tönende Stimme, wie Seelenglocken so hinaustönend in die dumpfe stumpfe Welt!

Und diese Stimme wird alles viel deutlicher, viel tiefer, viel erhabener, viel verzweifelter einst sprechen, was das Leben des Tages und der Stunde uns zu sagen zwingt!

Wie wird diese Stimme einst sagen: »Bleibe bei mir!?«

Wie wird sie es sagen: »Du liebst mich nicht mehr!?« Und: »Adieu, adieu – .«!?

Diese Stimme ist so klar und rein wie Gottes Träume über das Leben der Menschen!

Aber das Leben der Menschen selbst ist unklar und schmutzig-trübe! Diese Stimme wird hineintönen wie eine Seelenglocke, ernst, erhaben, liebevoll, feierlich, rührend, in das dumpfe Gebrause der Menschheit, sie wird verklingen, übertönt werden und ausgelöscht – . Sie wird ihren tönenden Glockenklang verlieren und dumpf werden wie die Umwelt – .

Aber ein alter Dichter auf dem Sterbebett hat sie noch vernommen und nimmt den Klang mit aus einer dumpfen stumpfen Welt, tief gerührt und ergriffen – .

Stimme der elfjährigen Hilde, klare tönende Seelenglocke, läute, töne, solange, solange es irgendwie geht – .

Und wenn sie dumpf wird im Brausen des Lebensgetriebes, dann gedenke, Hilde, des unglückseligen Dichters, der noch die Seelenglocke deines edlen elfjährigen Herzens im Ohre mit hinübernahm – .

KRANKENBESUCH

Die Freunde wollten dem todkranken Dichter eine nach ihrer Ansicht ganz exzeptionelle vollkommene Schönheit, eine Künstlerin aus München, vorführen. Sie nahmen daher ein Auto und fuhren hinaus zu ihm in das Sanatorium.

Die Dame war ganz einfach angekleidet, ganz in Schwarz. Sie hatte ungefähr die Gestalt der Kaiserin Elisabeth, ein bleiches Gesicht, aschblonde, fast hellgraue Haare.

Die freiwillige Pflegerin des Dichters begrüßte vor der Zimmertür die Ankommenden und warf einen flüchtigen, merkwürdigen Blick auf das unbeschreiblich schöne Perlenkollier an dem nackten Hals der fremden jungen Dame.

Darauf sagte einer der Freunde des Dichters: »Sie, Fräulein, der Dichter befindet sich immer in schweren ökonomischen Krisen. Wenn er dies herrliche Kollier an Ihnen sieht, wird es ihn bei seinen sowieso zerrütteten Nerven aufregen, daß es Künstler gibt, die anders bezahlt werden als er.«

»Oh,« sagte sie, »glauben Sie wirklich, daß ihn das aufregen wird? Dann will ich es ablegen.« Sie nestelte an der Goldschließe, nahm das Kollier in die hohle rechte Hand – .

»Sie sind eine liebe, feine Person!« sagte einer der Freunde. »So etwas Takt- und Geschmackvolles, diesen halb irrsinnigen Dichter so zu schonen! Ich muß wirklich sagen, ich könnte Ihnen die Hand dafür küssen.«

Die Dame trat als erste ruhig in das Krankenzimmer an das Bett des Dichters, nannte ihren Namen, gab ihm ihre wunderschöne rechte Hand und ließ ihm das darin befindliche Perlenkollier in der seinen.

Beim Abschied sagten die Freunde: »Jetzt ist keine Gefahr mehr. Jetzt können Sie Ihr herrliches Perlenkollier schon wieder anlegen.«

»Ich will es lieber in der Tasche behalten«, erwiderte ruhig die Dame – .

NOTIZ

Die Polizei hat die Vorführung einer Reihe von Filmen in den Kinematographentheatern, diesen modernsten, theoretisch wenigstens einzig möglichen Bildungsstätten für das Volk, verboten, weil sie Tiermißhandlungen (Ausreißen der Straußenfedern auf Farmen, Stopfen, Mästen der Gänse in Pistyan usw. usw.) selbstverständlich in derselben schamlos krassen Art zur Darstellung gebracht haben, in der sie aber tatsächlich ausgeübt werden. Die Entrüstungsrufe des Publikums sollen zu dieser polizeilichen Verordnung den Anstoß gegeben haben. Die Menschen sollen es also nicht erfahren, welche Schändlichkeiten aus Erwerbszwecken begangen werden. Das erinnert allzu sehr an die alte Anekdote, in der ein Millionär seinen Kammerdienern befahl: »Werft’s mir diesen alten unglücklichen Hausierer hinaus, er zerbrecht mir das Herz!«

Nur ein unerbittlicher Einblick in das Unglück, das so viele Wesen schuldlos trifft, kann die stumpfen, trägen Herzen der Menschen aufrütteln, zu Verbesserungen und wahrhaftiger Menschlichkeit! Ich füge ein Erlebnis hinzu, das zwar nicht daher paßt, aber immerhin einen Einblick gewährt in die in Vertiertheiten schlummernde Seele der heutigen Menschen. Einer meiner Bekannten, ein fanatisches Mitglied des Tierschutzvereines, stellte einmal einen brutalen Kutscher zur Rede, und als dies nur nachteilige Folgen für die armen Pferde hatte, machte er die Anzeige gegen den Kutscher. Vor der Verhandlung sagte der edle Rechtsanwalt Dr. Kr. meines Bekannten zu ihm: »Sagen Sie nicht allzu schroff ungünstig gegen den Kutscher aus, und verlangen Sie besonders nicht seine Bestrafung, weil er drohend gegen Sie den Peitschenstiel erhob. Es geht nur an den armen Pferden aus! ›Wart’s, Ludern, dös sollt’s mir büßen‹ – !«

In Deutschland ist das künstliche Stopfen, Mästen von Geflügel strengstens bei hoher Strafe verboten. »Friß, so lang’ du fressen kannst und magst!« ist ein humaneres Prinzip als: »Friß, ob du magst oder nicht – !«

Ein bisserl Anständigkeit, meine Herrschaften, man verlangt ja eh nicht viel! Die Gansleber wird auch schmackhaft nach sechs Monaten, laßt’s doch dem armen Vieh Zeit, seine Leber dem niederträchtigen, wollüstig-feigen Gaumen der Menschen zuliebe maßlos zu vergrößern! Man muß ja nicht mit den verbrecherischen Fingern und Federkielen nachhelfen; Tiere wie Menschen fressen sich ja eh zu Tode, wenn man sie nur laßt!

RÜCKKEHR VOM LANDE

Nun ist es wieder Herbst geworden, und die Graben-Kioske füllen sich zur Abendzeit mit wohlgepflegten und gebräunten Damen.

Man hat sich so viel zu erzählen, und man schweigt!

Man ist wieder in diesem Gefängnis »Großstadt«.

Man träumt von Licht und Luft und Wasser.

Man war ein anderer, besser, menschlicher, mit einem Wort »beweglicher«.

Nun geht man seinen Trab wie eh und je.

Man fühlt sich altern, schwerfällig werden, klammert sich an dieses unglückselige Wort: Verpflichtungen!

Die Wohnung will nicht in Ordnung kommen, und die Dienstboten kündigen.

»Die gnädige Frau war am Lande viel netter zu uns – .«

Ja, das war sie.

Die Kellner in den Kiosken begrüßen alle Gäste wie Weltreisende, die vielfache Gefahren überstanden haben – .

Nun nehmen sie Soda-Himbeer im sichern Port!

Die Deklassierten, die nicht fort waren, mischen sich in die Menge der Zurückgekehrten, als ob nichts vorgefallen wäre – .

Ja, sie haben sogar die naive Frechheit, zu behaupten, Wien wäre am angenehmsten, wenn alles »auf den Ländern« weile – .

Damen, mit den veredelten gebräunten Antlitzen, lasset euch nicht betrügen von dem Prunk der Großstadt! Erschauet in den Spiegeln eurer Gemächer einen Zug auf eurem Antlitz, den Licht und Luft und Wasser und Freiheit modelliert haben, und der nicht da war ehedem, und der verschwinden wird im Wintertrubel!

Komödie hier, Komödie dort vielleicht – .

Doch unter freiem Himmel ist das Theater schöner!

NICHTS NEUES

So viele Menschen, man könnte sie Strindberg-Organisationen nennen, nach ihrer Art, physiologisch-psychologisch zu reagieren, erwarten immer und immer von der geliebten Frau etwas ganz Besonderes, als ob sie die Verpflichtung hätte, plötzlich die Seele eines indischen Theosophen zu bekommen, der Gott um Milliarden Kilometer näher steht als alle anderen nur sogenannten Menschen!

Da erinnere ich mich immer und immer wieder dieses Franz Schubert, Liederdichters, zu dem seine vierzehnjährige Schülerin Komtesse Esterhazy einmal bei der Klavierlektion gesagt hat: »Das ist aber gar nicht schön, Herr Schubert, daß Sie mir nie eines Ihrer Lieder widmen – !«

Da erwiderte der gottbegnadete Mann: »Aber sie sind ja eh alle nur für Sie geschrieben – .«

Ja, ist das nicht das Höchste, einem Franz Schubert mitgeholfen zu haben zu seinen Liedern, wie Sonne, Tau und Regen mithelfen zum Wachsen von Pflanzen!?

Was braucht sie also an und für sich zu sein, diese Vierzehnjährige, unter dem öden Mikroskop herzloser verständnisarmer Menschen?!? Sie verhalf ihm zu seinen Liedern, und ohne sie wären sie nicht entstanden – !

Ich formulierte das später in die Verse:

»Oh Fraue, nicht was du bist, bist du!

Das bist du, was wir von dir träumen!

Unsere durchweinten Nächte um deinetwillen, das bist du!

Gelassen nimmst du unsere Huldigung und unseren Schmerz entgegen —

Denn nimmer weißt du, wie es kam, weshalb, woher, wozu, zu welchem Ende!?!«

DAS DORF

Ich hatte eine unglückliche Liebe zu einer Dreizehnjährigen, deren Blick allein aus den hechtgrauen Augen mit den schwarzen Wimpern, allen Blicken gleichkam der Heiligen in den Kirchen. Sie hatte keine rechte Freude am Leben, als ob sie die Wirrnisse des irdischen Jammertales vorausahnte, die eigentlich allen so schwermütig Blickenden in Aussicht stehen. – Ich machte ihre Tragödien mit, die noch nicht vorhanden waren, und vor dem Leben beschützen konnte ich sie dennoch nicht. Sie war die Tochter eines Schuhmachers in dem kleinen, armseligen, felderumrankten Orte J.. Er hatte 11 Kinder. Die, die schon verdienten, verdienten. Aber die Kleinen mußten von meiner Dreizehnjährigen betreut werden. Wie liebevoll wurden sie betreut! Darüber kann man gar nichts schreiben. Sie mußte die 15 Enten hüten, die Schweine füttern, und die kleinen Kinder brauchten dies und jenes. Ich liebte Anna, aber selten kam sie in meine Nähe, und auch dann glitt mein Blick von freundschaftlichster Zärtlichkeit an ihren Augen ab, wie Öl über Wasser.

 

Eines Abends saß ich allein auf der Bank, in der alten verstaubten Lindenallee und wartete auf Anna vergebens. Da kam ihre siebenjährige Schwester Josefa, die für mich immer und immer einen Blick von tiefer Menschenfreundlichkeit hatte, aus ihren zwei verschieden blickenden Nachtfalteraugen, so reell-gutmütig, so leichtverständlich, so wie das a-b-c des Menschenherzens – . Sie hatte mich lieb!

Ich führte sie in die nahegelegene Meierei, ließ ihr Schlagsahne geben und Biskuits. Immer lächelte sie mich an, wie von edler Liebenswürdigkeit getrieben. Da küßte ich sie auf Stirne, Haare, Augen. Sie rührte sich nicht, empfand es als Pflicht der Dankbarkeit, sich küssen zu lassen – .

Da vergaß ich meiner Leiden um Anna, die mein gequältes Herz stets ruhig aus ihren geliebten hechtgrauen schwarzbewimperten Augen betrachtet hatte. Da sagte Josefa: »Schenkens mir noch zwei Biskuits, ich trag’ sie nach Haus für die Annerl. Sie darf net kommen mit Ihnen, weil sie schon zu groß ist. Was kann sie dafür, daß sie schon zu groß ist?!?« Da gab ich ihr 20 Biskuits mit für ihre Schwester, die wirklich nichts dafür konnte, daß sie dem Blicke eines unermeßlich liebevollen Menschenherzens mit mißtrauischer Gleichgültigkeit bereits begegnen mußte, wie im vorhinein gepanzert gegen die hinterlistige Männerwelt – !

GERICHTSVERHANDLUNG IN WIEN

Fräulein Str., eine arme Klavierlehrerin, kannte alle Schandtaten ihres Herrn Bruders. Aber sie schickte Geld und Geld, wenn er darum schrieb. Und Geld und wieder Geld. Immer galt es ihr, ein wertvolles Leben noch zu retten, das aber wertlos war. Und übrigens, wer könnte das entscheiden?!

Der Richter sagte: »Ihr Vorgehen, Fräulein, ist strafbar, aber es macht Ihrem Herzen alle Ehre – .«

Das Fräulein erwiderte: »Für irgend etwas muß man sich doch abplagen. Nur seinen armseligen Hunger stillen?!? Wenn er nicht wär’, no, so wärs halt was anders, die Kirche oder eine Leidenschaft – . Für irgend etwas muß man sich doch abplagen.«

Man verurteilte sie wegen Vorschubleistung.

Als die Blicke der beiden verurteilten Geschwister sich begegneten, begannen einige Menschen im Auditorium zu weinen – .

SEMMERING, ENDE SEPTEMBER 1911

Immer noch dieses Nachtgebrause im Göstritzwalde, immer noch um 7 morgens diese silbergrauen Nebelschleier. Aber meine Seele ist krank, weil Du nicht da bist, Anna Konrad! Du gehst, unausgeschlafen, müde, in die Schule, lernst mechanisch, daß Hannibal den Giftbecher trinken mußte aus irgendeinem Dir unverständlichen Grunde. Du kannst nicht mehr abends beim Abschiede zu mir sprechen: »Also schicken Sie mir bestimmt heute noch ›halb und halb‹; das hieß: Für 20 Heller Extrawurst, und für 20 Heller Zuckerln als Dessert!« Ich kam mir da jedesmal vor wie Kaiser Josef in den Volksstücken, der Leute beglückte, indem er einfach sagte: »Was braucht Ihr zu Eurem Glücke?! 10000 Gulden? Da habt Ihr sie!« Nun bist Du ferne, Anna Konrad! Immer noch dieses herrliche Nachtgebrause im Göstritzwalde, immer noch um 7 morgens die dichten silbergrauen Nebelschleier um Berg und Wald – .

Anna, Anna, Anna Konrad, ich liebe Dich!

Peter Altenberg.

PETER ALTENBERG ALS SAMMLER

Die »Internationale Sammlerzeitung« veröffentlicht in ihrer eben erschienenen Nr. 13 eine interessante Rundfrage über den Wert des Sammelns. Die Zeitschrift bringt unter anderem Beiträge vom Unterrichtsminister Grafen Stürgkh, Alfred Lichtwark, Alma Tadema, Harden, Paul Heyse, Max Kalbeck, Eduard Pötzl, Felix Salten, Balduin Groller, Ginzkey. Peter Altenberg gab auf die Frage nach seiner Sammelliebhaberei die folgende interessante Antwort: »Es ist ganz merkwürdig, daß Sie sich gerade an mich wenden in dieser Angelegenheit. Denn Sie können es absolut nicht wissen, daß ich, ein ganz Armer, seit vielen Jahren ein einfach fanatischer Sammler bin, und mir, gleich den Milliardären, eine heißgeliebte, gehegte und mit vielen Opfern zustande gebrachte herrlichste Bildergalerie verschafft habe: 1500 Ansichtskarten, 20 Heller das Stück, in zwei herrlichen japanischen Kästchen mit je sechs Fächern. Es sind ausschließlich photographische Aufnahmen von Landschaften, Frauen, Kindern, Tieren. Ich fand vor einigen Wochen, daß der wirklich Ausgebildete des Lebens sich seiner Schätze entäußern müsse, um das tiefste einzige Glück des »Gebens«, des »Spendens« auch noch bei seinen Lebzeiten miterleben zu können an seinen »Beschenkten«. Daher sandte ich beide japanische Kästchen mit den seit 1897 gesammelten 1500 Ansichtskarten nach Hamburg an die junge Dame, die allein von allen Frauen dieses Geschenk zu werten weiß. Seitdem sammle ich desto eifriger, desto leidenschaftlicher, um nun die Sammlung meiner Freundin zu komplettieren. – Hier also sind gleich zwei heilsamste Ablenkungen von dem gefährlichen Bleigewicht des eigenen Ich: erstens das Glück des Sammelns selbst, zweitens das Glück, es für einen anderen, ebenso Verständnisvollen tun zu können! »Sammeln« heißt, sich auf etwas außerhalb der eigenen Persönlichkeit Liegendes konzentrieren können, das aber nicht so gefahrvoll und undankbar ist wie eine geliebte Frau – .«

YVETTE GUILBERT

Sie ist das Wunder des Chansons, das, an und für sich nichtig, farblos, leblos, durch sie eine Fülle von Tragik, grotesken Dingen, Lieblichkeit, Koketterie erhält. Ihre Augen bereits drücken alles aus, was es an seelischen Dingen überhaupt gibt, aber auch ihre Arme und Hände sprechen überaus eindringlich. Ihre Wirkungen grenzen an das Wunder. Und diese nur andeutende Art, diese wechselnden Nuancen, der clin d’œuil, der alles sagt, was zu sagen ist. Sie allein von allen hat die Macht, ein Lied auszuschöpfen, ja, es erst in seiner Fülle zu dichten! Ganze Schicksale bringt sie in einen sinnlosen Refrain, und man staunt über das Außerordentliche, das sich da ereignet. Aus einem Nichts ein Alles machen, darin könnten alle von ihr lernen, wenn es erlernbar wäre. Le minimum d’effort et le maximum d’effet ist auch ihre Devise. Den Höhepunkt ihrer Chansons bildet unbedingt »Les cloches de Nantes«. Wie ein düsteres Schicksal erdröhnen von allen Seiten die großen Glocken in den alten Kirchentürmen. Da gibt sie sich ganz aus, bricht los, bewirkt Enthusiasmus! Die Guilbert gehört zu den wenigen Erscheinungen, die einen als etwas nie wieder in die Welt Kommendes ergreifen. Man darf es nie versäumen, sie wieder und wieder zu sehen, zu studieren, so oft sich die Gelegenheit bietet. Für mich gehören zu solchen Erscheinungen Mitterwurzer, Girardi, Hermann Winkelmann. Es sind Menschen, die nicht ersetzt werden! Ihre Macht ist nicht zu definieren, da sie irgend etwas Rätselhaftes hat. Man befürchtet stets, daß sie einmal sterben werden, und geschieht es, ist man untröstlich, hat ein persönliches Leid erfahren. Man möchte in Trauer gehen um sie. So eine Organisation ist auch Yvette Guilbert. Diseusen, ach, lernet doch von ihr das leider Unerlernbare!

KRANKENPFLEGE

Eine Frau, die, während ihr Geliebter im Sterben liegt, sich ebenso pflegt, wäscht, mit hundert Salben salbt, wie eh’ und je, und keinerlei Bedenken hat, sich ebenso zu pflegen und zu hegen, wie sie es gewohnt war, hat ihn nie, nie wirklich lieb gehabt! Sie müßte plötzlich alles aufgeben, sich schmutzig werden lassen, sich verkommen lassen, auf ihre adelige Körperpflege vollkommen verzichten können, sich Hände und Gesicht nicht mehr waschen wollen, ja sogar die schönen Haare nicht mehr pflegen, sich in einen Abgrund stürzen lassen, wo das reale Leben zerschellt und aufhört – .

Es müßte alle ihre weibliche Eitelkeit plötzlich ersterben, nicht mehr sein – . Sie müßte zu einem Aschenbrödel werden, ganz in sich zurückgezogen und unbeachtet, nur in der edlen Pflege aufgehend und unscheinbar werdend vor Aufmerksamkeiten! Sie müßte unwillkürlich aus einer Dame zu einer »Pflegerin« werden, sich degradieren, um sich zu erhöhen!

Ihre Fingernägel müßten ihre Edelpolitur verlieren, ihre Strümpfe müßten Löcher bekommen und Knöpfe müßten ihr an der Bluse fehlen. Ihre werdende Ungepflegtheit müßte ihre Ehre sein! Ihre Freundinnen müßten zu ihr sprechen: »Du siehst gealtert aus, meine Liebe, schließlich muß man doch auch ein bißchen auf sich schauen, solange man jung und hübsch ist – .«

»Dazu habe ich jetzt, Gott sei Dank, keine Zeit mehr übrig – .«

»Gott sei Dank?!« sagten die Freundinnen und kicherten: »Sie muß immer apart sein – .«

HERBST AM SEMMERING

Müde schleichen die Stunden dahin. Noch einmal ist es mir Zähestem vergönnt, die herbstliche Pracht meines Kindheitsparadieses (damals gab es nur Gasthof »Nedwall«) zu erschauen! Brennesselgebüsche und dunkelbraune vertrocknete Sträucher. Ein kleines Mäderl in Lederhöschen, mit dicken, rostbraunen Zöpfen, in die grellrote Seidenbänder eingeflochten sind, repräsentiert mir die »Schönheit der ganzen Welt«. Die Eltern nennen sie, tief entzückt, schlimm und übermütig. Wie wenn die Saharet, Ruth St. Denis, Grete Wiesenthal, schlimm und übermütig sein könnten! Der Schneeberg trieft von zerrinnendem Schnee, und das Elisabethkirchlein ragt in graue Wolken. Ein Direktor reitet, kranke Frauen fahren langsam durch den Fichtenwald. Lila Enzian, kurzstengelig, und Löwenzahn. Aber meine »heilige Stunde« ist von 3 bis 4. Da spielt nach dem Essen die Amerikanerin mit ihrem großen schlanken Freunde im Café Karambol. Er belehrt sie natürlich väterlich, die doch alles bereits mitbekommen hat vom Schicksal, Anmut und Beweglichkeit und Gazellenglieder und Feenhände. Jede ihrer Bewegungen ist vollkommen. Das ist meine »heilige Stunde«, da ich menschliche Vollkommenheit erblicke. Da vergesse ich, daß Gottes Träume sich noch nicht realisiert haben – .

HERBSTANFANG

Freitag nachts, Marien-Feiertag, 8. September. Eine verzweifelte Stimmung ist in mir, ich fühle es, ich spüre es, alles geht zu Ende. Die dunklen Herbstabende kommen, Deine Schule, A. K., fängt an, und böse, heimtückische, neidische, lieblose Menschen zerstören mir mein Paradies, das ich in meiner alten, kranken, dem Untergange geweihten Dichterseele für Dich, einzig und fast irrsinnig geliebtes Geschöpf, errichtet habe unter Tränen. Du, Du allein bist auf dieser traurigen Erde in meinem gefolterten Herzen, und Du weißt nichts davon, kannst, wirst davon, willst davon nichts wissen – . Nie wirst Du meine Anhänglichkeit ahnen. Dein Blick, Deine Stimme, alles, alles an Dir ist der Balsam meines todeswunden, todesmüden Herzens. Ich habe Dich lieb, lieb, wie niemand Dich je lieb haben wird – . Und nun spüre ich das Ende heranschleichen, sonst könnte ich nicht so traurig, so lebensmüde sein, und beim Erwachen am Morgen so bitter weinen und weinen, obzwar mir eigentlich nichts Böses geschehen ist – . Ich verlange nichts von Deiner kindlichen dreizehnjährigen Seele, Anna K., als daß Du es mir glaubst in Deinem tiefsten Herzen, daß schon im Anfang Deines ins ungewisse gefahrvolle Leben hinein aufblühenden Lebens, ein Mann in unbeschreiblicher Zärtlichkeit an Deiner geliebten, merkwürdigen, kindlichen und dennoch bereits tief melancholischen Persönlichkeit, mit ergebenster liebevollster Seele gehangen ist, und viel, viel um Dich getrauert hat, weil die anderen Menschen alles mißverstehen und böswillig, heimtückisch deuten!

Ich wollte Dir mit der kleinen Uhr eine besondere Freude bereiten, Dir meine vollkommen selbstlose Anhänglichkeit zu verstehen geben, aber auch das haben die hartherzigen, mißtrauischen Menschen nicht Dir, nicht mir gegönnt!

Bleibe mir gütig gesinnt, Anna, lasse Dich von niemandem auf falsche Gedanken bringen! Ein Atemzug Deines Mundes, ein Blick Deiner Augen, ein Schritt Deines müden kranken Fußes bedeuten mir die Schönheit, die Traurigkeiten der ganzen Welt!

Dein Peter Altenberg.

»Annerl, hast du den Brief heute Samstag erhalten, den ich noch gestern Freitag nachts an dich geschrieben habe?!? Und hast du ihn verstanden?!«

»Selbstverständlich. Was soll ich daran nicht verstehen?! Ich kenn’ Ihnen doch auswendig und inwendig – .«

Pause.

»Sie, nächste Woche fangen die Schulen an. Da brauch’ ich schöne Schulrequisiten. Also zwei solche schöne dicke Tonking-Bambus-Federstiele, wie Sie sie immer benützen, dann 20 von Ihnere Stahlfedern, Kuhn 201, aber wirklich 20, oder wissen S’ was, 25, daß es eine gerade Zahl gibt. Und dann ein schönes Zeichenheft. Und dann einen Radiergummi. Und dann, no, Sie werden doch wissen, was ich sonst noch in der Schule brauche. Ja, richtig, einen Bleistiftspitzer, wie Sie einen haben, in einem kleinen Schachterl. Gott, die Schul’, na wenigstens is ma in der Schul’. Was haben S’ denn, Sie, Herr Peter?!?«

 

»Nichts – «, erwiderte ich.