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RESTAURANT PRODROMOS

Ein Restaurant ersten Ranges, von einem modernen Architekten unerhört einfach-primitiv, aber zugleich aristokratisch-apart eingerichtet. Es wirken in der Küche in idealer Gemeinschaft ein französischer Koch und ein junger Arzt, Diätetiker, Hygieniker, und der Dichter. Jede Speise ein unerhört leichtverdauliches Gedicht für den Verdauungsapparat! Lauter Speisen, die in drei bis fünf Stunden verdaut sind ohne Rückstände! Reiche Stoffwechselkranke, Nervenkranke, Magenkranke, Darmkranke würden hier ein absolut sicheres Asyl finden! Die internationale Püreemaschine würde auf jedem Tische stehen. Einige Umdrehungen, und jede Speise hat die Konsistenz erhalten von Erdäpfelpüree, Erbsenpüree! Schöne Zähne sind eine ästhetische Angelegenheit, aber man soll sie nicht gebrauchen! Den Speisen ihre Seele ausziehen, ihr Wertvollstes, und das Unverdauliche den Hunden, den Schweinen! Kein Essig, sondern Zitrone! Ganz, ganz neue Zusammenstellungen. Zum Beispiel durchpassiertes Kalbfleisch in Eiersauce. Pürees und Saucen in noch nie dagewesenen neuen Verbindungen! Man kann sich krank essen und bleibt dennoch gesund! Die Diätetik eine reale Romantik geworden! Erfüllbare Ideale! Die Zähne haben ihre miserable dilettantische Zerkleinerungstätigkeit einzustellen, sobald die internationale Püreemaschine ihre Dienste ideal ersetzt. Man putze sie und halte sie als Kunstwerkchen in Ehren! Der Edelmaschine darf man nicht Lasten aufbürden, sondern muß sie ihr zu ersparen suchen! Das Kindchen saugt an der Mutterbrust, und die müde und nervös gewordene Menschheit will desgleichen! Jeder komplizierten Maschine sucht man die Widerstände so viel als möglich zu ersparen; nur dieser unglückseligen und allerherrlichsten Maschine: »menschlicher Verdauungsapparat« nicht! Weshalb?! Gründet das Restaurant Prodromos! Es soll eine Oase werden. Nach jeder Mahlzeit kann man sich hinlegen auf ideale Ruhestühle, was riesig wichtig ist! Es gibt Zimmerchen, in denen man, wenn auch nur für zehn Minuten schlafen kann! Eine Regenerationsanstalt, als Restaurant geführt. Ein Gasthaussanatorium! Teuer, aber fast kostspielige Kuren ersetzend! Weshalb warten mit der Ausführung?! Gibt es denn keine Idealisten, die dennoch verdienen möchten?! Sind denn das Gegensätze, um Gotteswillen?! Was sollte denn reellerweise eigentlich belohnt werden auf Erden als der wohlverstandene Idealismus?!? Gründet das Restaurant Prodromos! Und gedenket meiner, des Urhebers!

DER BRAND

Um zwei Uhr morgens kam die Nachricht in die American Bar, daß ein Palais nächst dem Stadtpark in Flammen stehe. Wir ließen unsre wunderbaren Mischungen sofort stehen, fuhren im Fiaker rasend hin.

Auf dem Dache des fünfstöckigen Palastes leuchteten die weißen Magnesiumfackeln der Feuerwehr, und goldgelbe und rote Funken fielen zur Erde. Unten im Finstern der Straßen leuchteten die Lampen der Feuerwehrautomobile wie getreue Wächterhundeaugen! So besorgt-gutmütig!

Der Stadtpark war schwarz und einsam. Auf einer Bank saßen Zwei, Hand in Hand. Sie betrachteten den Brand des Palais, hörten die Feuerwehrsignale: »Wasser! Wasser! Wasser!«, und sie waren und sie blieben versunken in ihrem eigenen unentrinnbaren Schicksal, Hand in Hand.

Das Palais brannte, und man erließ für die obern Parteien bereits die Nachricht, sie möchten delogieren und herabkommen – .

Der Stadtpark war einsam und im Dunkeln – .

RÜCKSICHT

Sie trug ein wunderbares, stark dekolletiertes schulterfreies Kleid. Ihre Freunde bewunderten ihre herrlich modellierten Schultern. Da stand sie auf, ging in ihre Garderobe zurück und zog ein viel dezenteres Kleid an, das nur Hals und Arme frei ließ.

Einige Augenblicke später kam ihr Bräutigam.

»Natürlich,« sagte er, »man muß sich für die fremden Männer dekolletieren!«

»Herr Bräutigam,« sagte ein Baron, »das ist doch gerade das Schöne an Ihrer Freundin, daß sie immer so einfach und dezent gekleidet ist und gar nichts aus sich macht. Schließlich und endlich muß es doch auch Ihnen schmeicheln, wenn andere Sie darum beneiden und sie bewundern!«

»Anita,« sagte der Bräutigam, »gehe doch in die Garderobe und ziehe dir mal das neue schulterfreie Kleid an, das ich für dich entworfen habe. Du bist ja nicht mehr im Sacré Coeur – .«

Die Dame stand auf und ging in die Garderobe, das noch körperwarme schulterfreie Kleid wieder anzulegen – .

Die Freunde sagten hypokrit: »Das ist wirklich etwas gewagt und auffallend – Aber wenn es Ihnen recht ist, Herr Bräutigam – ?!?«

MYOSA

Mademoiselle Myosa, das Original mit dem tiefen wunderbaren Blick, in dem direkt eine Art von fanatischer Tanzmission glüht und fiebert, ist von unbeschreiblicher Anmut. Die übrigen Tänzerinnen tanzen, aber sie ist der Tanz selbst, sie versinkt, ertrinkt im Tanzen. Sie existiert nicht mehr. Sie kann sich, auch im Leben, in nichts anderm äußern. Man hat die Empfindung: sie ißt nicht, sie trinkt nicht, sie schläft nicht, sie will kein Geld und keine sonstigen scheinbar unentrinnbaren Leidenschaften – sie will tanzen, tanzen, tanzen! Der Fisch will Wasser, nur Wasser; und sie will den Tanz, nur den Tanz! Sie ist das erste Tanzgenie, das ich je erblickt habe, wegen ihrer fast pathologischen Konzentration. Sie rührt und macht erstaunen. Hat Gott die Welt nur erschaffen, damit Myosa sich darin austanze?! »Ja!« sagen ihre düstern Blicke. Sie hat Bewegungen, die man noch nie bei einer Tänzerin gesehen hat, wie wenn oft ihr wunderbarer kindlicher Leib von einer inneren Macht gezwungen würde. Dabei ist sie ununterbrochen verzweifelt, daß es in diesem Vergnügungsetablissement nicht still und feierlich ist während ihres heiligen Tanzens wie in einer Kirche; sprechen, lachen, verletzt sie tödlich; ein Zug unaussprechlichen ergreifenden Leidens ist da mitten im Tanzen auf ihrem herrlichen Antlitz. Da haßt sie die Menschen und die Welt! Sie ist eine tragische Persönlichkeit, feindselig und abhold dem leichten Dasein der Stunde. Sie ist ein Phänomen, eine Einzige, eine in sich Gekehrte, starre Unerbittliche des Tanzes! Und das alles dort, wo man sich bei uns amüsieren, zerstreuen will!? Arme, arme Myosa – !

IM STADTPARK

Als Kinder saßen wir Abend für Abend mit unsern geliebten Eltern im Stadtpark, im Kursalon. Wir bekamen Eis und Hohlhippen und hatten keinerlei Sorgen. Der Vater geht nun seit Jahren nicht aus seinem bequemen Zimmer mehr heraus, und die Mutter nicht aus dem bequemen Totenschrein. Ich, glatzköpfig und sorgenvoll, komme nun in den Stadtpark, Kursalon, auf die Terrasse, an denselben Tisch, an welchem wir einst sorgenlos mit den geliebten Eltern saßen. Ich bestelle dasselbe Eis, Himbeerschokolade, wie als Kind, mit recht vielen und knisternden, also frischen Hohlhippen. Vor mir die Gartenbeete wie einst, ein bißchen bunter, origineller. Ich sehe Eltern mit ihren Kindern. Sie zanken und schelten. Unsre Eltern zankten und schalten nie, nie. Vielleicht war es schlecht, daß sie es nie taten, aber sie hatten Achtung vor ihren eigenen Erzeugnissen, und Zuversicht! Wir haben sie enttäuscht; aber sie haben es hingenommen als Schicksal und Verhängnis. Wir haben ihre Tränen, die sie um uns weinten, nie gespürt – . Nun sitze ich, Glatzköpfiger, Sorgenvoller, wieder im Stadtpark, im Kursalon, auf der Terrasse, an demselben Tisch wie einst mit den geliebten Eltern, esse dieselbe Portion Himbeerschokolade wie einst, mit vielen knisternden, also frischen Hohlhippen – . Die Gartenbeete, auf die ich herabblicke, sind ein wenig bunter, origineller. Aber sonst hat sich nichts verändert, in den Zeiten vom dummen Kind zum müden Mann! Ich sehe Eltern, die ihre Kinder im Park schelten; unsre Eltern schalten uns nie; sie erhofften es, daß wir sie einst belohnen würden für ihre Güte; aber wir taten es nicht. Wir hatten eine schöne Kinderzeit; so tauchen wir denn hinab in Erinnerungen, da wir vom seienden Tage nicht leben können. Wir hatten allzu sanftmütige, hoffnungsfreudige, schicksalergebene Eltern. Es war ein Fluch und ein Segen! Man kann nun an Zeiten zurückdenken, die paradiesisch waren – . Nicht jeder, der vor sich das Dunkel sieht, kann liebevollen Herzens der lichten Zeiten dankbar sich erinnern – .

EHEBRUCH

Ich verzeihe dir! Vier Tage und vier Nächte habe ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders waren voll von Qual. Wenn du gewußt hättest, was du mir angetan hast an Leid, du hättest es wahrscheinlich nicht getan. Aber ihr wißt es eben nicht, wollt, könnt es nicht wissen! Unser verstörtes Antlitz sagt euch nichts. Prügel sind der Ausbruch für euch unserer verletzten Eigenliebe. Und sogar Mord ist doch in Eueren Augen nur Rachgier! Unsere Zärtlichkeit könnt ihr nicht ahnen, die wir für euer Leben haben, wie jedes Muttertier für seine Jungen, oder wie der Storch, der sich auf dem brennenden Dache niederläßt, um mit den Jungen, die er nicht mehr erretten kann vor Qualm und Hitze, selbst zu verbrennen! So sind wir mit euch! Mit euch verbrennen, wenns keine Rettung gibt – . Das zarte Nest ist in Gefahr, das wir euch errichtet mit allen Mühen unseres armen Lebens; das Nest ist in Gefahr – . Ich will dich retten, doch der Qualm betäubt mich. Anita, oh Anita – ! Vier Tage und vier Nächte hab’ ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders waren voll von Qual. Ich will dich retten vor dir und vor den anderen! Ich liebe dich, es bleibt mir keine Wahl – . In mir sind Gottes Zärtlichkeiten für jedes Geschöpf, konzentriert auf dich! Bis du es aber spürst, vergehen Jahre, Jahre. Mir ist die Kraft verliehen, an deiner Bahre, in deinem toten Antlitz noch verständnisvollen Dank mir endlich zu erspähen! Vier Tage und vier Nächte hab ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders waren voll von Qual. Ich liebe dich, es bleibt mir keine Wahl. Wir wollen den Schmerz begraben, der uns begrub – . Nimm also dein neues Kleid, wir wollen zu fremden Menschen gehen, die fröhlich sind, Geliebte!

 

HAMSUN-MENSCHEN

Ich habe irgendwo einen geistreichen Essay gelesen – leider geist-reich, aber wahrheits-arm – über das Wesen der sogenannten Hamsun-Menschen, das heißt: jener Menschen, die Hamsun in seinen Romanen beschreibt.

Es sind nämlich ganz einfach Menschen, die die Lächerlichkeit des menschlichen Geistes und der menschlichen Seele durchschaut haben und dahinter gekommen sind, daß alles öder Mumpitz ist! Ich bin überzeugt, daß Shakespeare die Eifersucht des Othello, den Ehrgeiz des Macbeth, die Liebe des Romeo für ebenso lächerliche und wertlose Dinge, für übertriebene Irrsinne, für groteske Stupiditäten von Monomanen oder Paralytikern gehalten habe; nur hatte er damals noch die sogenannte gesunde Kraft, aus diesen Irrsinnen scheinbar menschliche Dramen zu fabrizieren! Hamsun hingegen hält Markensammler, Münzensammler und Liebesleute für lächerliche Persönlichkeiten, und nichts in der Welt kann ihm ein Interesse abgewinnen als die schändliche und infame Lächerlichkeit, mit der alle Menschen die ihnen wichtig erscheinenden Dinge auch ernstlich für wichtig halten! Diejenigen Unglückseligen, die in der Mitte schwanken zwischen der Bejahung und Negierung des Daseins, machen sich ein Geschäft daraus, Hamsun-Menschen fälschlich erklären zu wollen, indem sie selbst weder den Mut haben, bejahende Normalmenschen noch negierende Perverse zu sein. Der sogenannte gesunde Mittelweg ist die Straße des feigen Idioten. Er allein ist der ungerechte und ewig mißtrauische Nichtsversteher! Sie wollen in den Abgründen des Daseins sich ein Pfädchen herausschinden, auf dem sie scheinbar noch sicher dahin schreiten könnten! Aber vergeblich! Es handelt sich nur um einige Jahre, und auch sie werden zur Browningpistole innerlich greifen müssen. Hamsun erkannte die Nichtigkeit, die Lächerlichkeit, die Bösartigkeit, die Gemeinheit des Lebens in jeder Minute, in jeder Stunde, an jedem Tage; aber die, die noch nicht die Kraft haben, das ganz zu erfassen, klammern sich an irgend einen Popanz fest, der sie hoffentlich irgend einmal zugrunde richten wird.

Hamsun-Menschen haben ganz einfach einen milliardenmal tiefem Einblick in die Lächerlichkeit und Wesenlosigkeit des Daseins, als die andern Menschen, und derjenige, der sich aus diesen unentrinnbaren Wahrheiten herausretten will, beweist damit nur die Feigheit, daß er mit einem wertlosen Leben den wertlosen Kampf noch immer vergeblich aufnimmt. Alle Menschen sind Münzen- und Markensammler, und wer ihre absolut wertlosen Irrsinne nicht erkennt, ist ein ebensolcher Idiot, wenn er auch in seelischer und geistiger Beziehung andre, aber ebenso wertlose Sammlungen anlegt! Sich über die letzten Erkenntnisse eines Hamsun-Gehirns hinüberschwingen zu wollen, ist die infamste Feigheit eines Menschen, der nicht imstande ist, eine Stunde lang ein wahrheitsvolles Leben zu führen.

Das Leben ist eine feige Lächerlichkeit, mit frechen Ambitionen, und es gehören alle Verlogenheiten der menschlichen Seele und des menschlichen Geistes dazu, um es auch nur eine Minute lang ernst zu nehmen! Strindberg wußte, was er von Frauen zu halten hatte, die, statt ihn zu schützen und zu schonen, ihm seine göttlichen Kräfte auf allen Wegen und Stegen zu rauben suchten. Er hatte die Genialität, an die Anständigkeiten der Frau zu glauben, fand aber nur herzlose Tyranninnen, die die Schwächen selbst der genialen Organisation auf perfideste und heimtückischste Weise ausnutzten! Was August Strindberg dichtete und dachte, war ihnen eine nebensächliche Erscheinung, aber sein persönliches Liebesleben kontrollierten sie mit ihren unfähigen und niedrigen Sinnen! Alle Männer sollten wie Strindberg es erhoffen, daß man ihre edelsten Kräfte schonen und schützen werde, und sie nicht ausnutzen werde zur gemeinen Bequemlichkeit des Tages- und Nachtlebens. Eine Frau, die auch nur eine Stunde lang einen August Strindberg quälte, wäre wert, von der ganzen Menschheit boykottiert und gefoltert zu werden, denn für ihre Glückseligkeit würde der Kommis einer Seidenfirma bessere Dienste leisten! Sie rächt sich in ihrem ewigen Vier-Wochen-Turnus an den ewigen Entwicklungsfähigkeiten des Mannes, und das Genie Strindbergs bäumte sich für hunderttausend gequälte andre Genies auf gegen den Mangel an Respekt einer geliebten Frau vor der Geistigkeit des Mannes!

Hamsun nahm die Sache nicht so tragisch, sondern mehr von der ironischen Seite, und selbst Shakespeare war ein Strindberg und ein Hamsun im Grunde seiner Seele, aber er hatte leider noch die gesunde Kraft, es in fünfaktige Dramen umzusetzen, deren eigentliche tiefe Ironie der Welt nie verständlich wurde!

Der Ansichtskartensammler ist kein größerer Narr als alle andern, die sich an angeblich wichtigere Objekte Tag und Nacht anklammern, um ihr Leben damit auszufüllen und in kümmerlicher, armseliger, schamlos-feiger Weise zu fristen. Je weniger Spesen sie dabei haben, desto normaler sind sie. Es gibt Schriftsteller, die die Geschicklichkeit haben, einem Hamsun und Strindberg sogar ihre Irrsinne nachzuweisen! Ich selbst begnüge mich mit der Ansicht, daß sich außerhalb des Lebens zu bewegen und mit ihm keine anderen Zusammenhänge zu haben wie die eines satanischen Lächelns, die einzige Sache und Aufgabe eines genialen Menschen sei!

Wer die Kraft hat, dem Leben mit aufgezogenem Visier ins Auge zu blicken, der wird das große Mauer-Oehling und Steinhof der Menschheit in Ernst und Ruhe erkennen, und seine Stunde, die ihn von dem Stumpfsinn und der Stupidität endgiltig befreit, mit Freude erwarten – .

MEMOIREN

Ich lese die Geschichte vom Grafen von Lavalette, und sie interessiert mich gar nicht. Er war ein Getreuester Napoleons des Ersten.

Aber ich habe bisher es nicht eingesehen, wodurch dieser »geniale Feuergeist«, dieses »Ungetüm an Lebensenergien«, der Gesamtmenschheit irgendwie geholfen habe!?! Die Geschichte seiner »Getreuen« interessiert mich daher um so weniger. Aber als Lavalette, dieser »Tatendurstige« (ein schreckliches Wort für den Lebenskundigen) eingesperrt und hingerichtet werden sollte, gab ihm seine Frau ihre Kleider, und er entfloh. Sie selbst wurde im Kerker derart mißhandelt, daß sie irrsinnig wurde.

Da begann ich mich für die Gräfin von Lavalette zu interessieren, die in den Memoiren gar nicht erwähnt ist.

Ehre ihrer Seele!

WIDMUNG AN ANNA KONRAD

O Fraue,

Nicht was du bist, bist du!

Das, was wir von dir träumen, das bist du!

Was in der dunklen Wehmut unseres begeisterten Blicks erschimmert, das bist du!

Der Duft deines Atems, der uns den Duft der ganzen blühenden geheimnisvollen Welt bringt, das bist du!

Deine nicht erfüllten Sehnsuchten, die auf deinem lieblichen Antlitz kauern, und die wir mehr miterleben, miterleiden als du selber,

Das bist du!

Die Träne, die aus unsern Augen langsam herabrieselt (wir selber wissen nicht, aus welchem Leid sie ihre Quellen hat) das, das bist du!

Und unser Lächeln bist du, wenn du kommst – !

Und unsere ernste Stille, wenn du von uns gehst – !

Wenn du uns kränkst und wenn du uns verwundest,

Nimmst du dir selbst die Pracht des eigenen Lebens,

Denn was wir von dir fühlen, das bist du! Bleib darum milde – .

Dreh’ nicht der Nachtigall den Hals um, wenn sie in die lichte Mondnacht schmettert,

Denn ihr Lied macht erst die Mondnacht zu dem, was sie ist!

O Fraue, laß uns singen, sagen, klagen – .

Was du von uns vernimmst, das erst bist du!

DER TOD

Wann soll ich sterben, mich umbringen?! Es ist an der Zeit.

Es ist fünf Uhr morgens. Man sieht noch nicht die großen braunroten Dächer der alten Wallnerstraßenpaläste. Man hört die Uhren von fünf Kirchtürmen. Sie folgen einander so merkwürdig, wie um sich nicht gegenseitig zu stören, lauschendes Menschenohr nicht zu verwirren, das Ohr von Kranken, die dem heimlichern Tage bang entgegenlauschen – .

Wann soll es sein?!

Sie darf nicht geweckt werden aus ihrem mir heiligen Schlaf, durch eine Nachricht, die jedenfalls erregt und schadet – . Wenns ihr auch schmeichelt, daß es ihretwegen ist – .

Ich muß also warten, bis die völlig Ausgerastete die merkwürdige Botschaft hört, daß ihr fanatisch getreuester Ritter sie dennoch verlassen mußte, mitten im Seelendienste, der ihn brach und sie nur störte, die einsam kranke Frau – .

Nach Hamburg wird die Kunde später dringen, und H. M. ist gewappnet mit Ergebenheiten!

In ihrer Religion sind Kreuzigungen vorhergesehen, und sie wird leben aus innern Kräften, durch Leid erhöht, betaut, befruchtet!

Bessie wird in Leysin, im Paradies des Wintersports am Genfersee, die Nachricht hören, und in meinen Briefen vielleicht kramen, die sie besitzt.

Die Hauptsach’ ist, daß meine vergötterte Frau in Wien nicht durch die Nachricht aus dem Schlafe kommt, den sie so nötig hat.

Man muß sichs also einzuteilen wissen. Tag, brich an!

Lebet wohl – !

Der grelle Tag macht freilich den Abschied schwerer als des Wintermorgens düstre Dämmerungen!

Jedoch die Frau darf’s erst vernehmen, wenn sie ausgerastet ist von langem Schlafe – .

EINE GANZ WAHRHAFTIGE BEZIEHUNG

Sie saß an einem riesigen Parterrefenster, das fast den Boden der staubigen grauen elenden Dorfstraße berührte, und nähte an einer schönen blinkenden Nähmaschine. Blusen, von morgens bis abends. Ihre Augen hatten einen Ausdruck von Verzweiflung. Aber sie selbst wußte nichts davon. Sie nähte, nähte und nähte. Sie war ganz mager, ungeeignet für den Sturm des Daseins, der Seelen und Körper schüttelt und hinwegfegt. Abends aß sie das kalte Gemüse vom Mittagstisch. Das sah ich alles durch das riesige Parterrefenster hindurch, und sie sah, daß ich alles sah.

Eines Abends stand sie vor dem Haustor so angelehnt. Da sagte sie: »Ich habe eine Stellung angenommen in Mariahilf in einer Blusenfabrik, ich werde nicht mehr privat arbeiten müssen in diesem einsamen Zimmer.«

Da dachte ich: »Dorfstraße, Dorfstraße, du hast deinen Glanz, du hast deinen Reichtum eingebüßt!«

»Man muß sich seine Lage verbessern, nicht wahr!?« sagte sie, »ich habe Sie übrigens immer an meinem Fenster vorübergehen sehen, dreimal des Tages. Dreimal des Tages sind Sie freilich vorübergegangen. Aber in Mariahilf werden vierzig Mädchen sein, und man wird plaudern können, und arbeiten wie in einem Ameisenhaufen – .«

»Sie, Fräulein, ich werde auch dreimal noch täglich an Ihrem Fenster vorübergehen, wenn Sie nicht mehr dasitzen – .«

»Ja, werden Sie das?!? Da werde ich also doch auch zugleich zu Hause sein wie früher in meiner Heimat – .«

»Lassen Sie vielleicht Ihre blinkende kleine Nähmaschine am Fenster stehen, und dabei eine ihrer angefangenen Blusen – .«

»Ja, bitte, das werde ich – .«

Das war die einzige wahrhaftige Beziehung mit einer Frauenseele während meines ganzen ereignisreichen Lebens – .

Dorfstraße, graue staubige Dorfstraße, du hast nun deinen Glanz, du hast deinen Reichtum eingebüßt – . Sie, sie geht nun in die Arbeit, in die Welt – !