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VARIÉTÉ

»Sechs riesenstarke Männer und eine Sechzehnjährige, wunderbaren verklärten Antlitzes, und gewachsen wie ein edler Knabe. Man warf sie wie einen Gummiball, fing sie nach zahllosen Umdrehungen auf herkulischen Schultern geschickt auf. Dennoch zitterte man jedesmal für ihre edelzarten, unbeschreiblich rührenden, gebrechlichen Glieder. Sie blickte ekstatisch, ließ sich in die Luft wirbeln und auffangen und hätte, zufällig auf den Boden geschleudert und ermordet, zerbrochen, zerquetscht, keinen Laut von sich gegeben! Ekstatisch blickend wäre sie gestorben. Da dachte ein Graf: »Ich werde sie ihren Peinigern entziehen und ihrem Selbstmorde. Ich werde sie schützen, pflegen und behüten!« Aber das wunderbar verklärte Antlitz hätte sie dann sogleich verloren, und den edlen süßen Heldenblick wie in einer Schlacht, in der man gern vor dem Tode steht! Denn »leben ohne Ehre« ist da überflüssig geworden! O, Fräulein, gedenken Sie eines armseligen Zeitungsreferenten, der es nicht drucken lassen darf, daß er vor Ihnen hätte hinknien mögen! Sondern er mußte schreiben: »Einen wirklichen Rekord in der Parterreakrobatik bot die jugendliche Tochter des Truppendirektors. Eine Vereinigung von Kraft und Anmut – . Stürmischer Beifall belohnte aber auch ihre Leistung!« O, Menschheit, pfui über dich, die du noch immer die »spanische Stiergefechtsseele« hast, ohne Erbarmen und ohne Liebe, pfui! Fräulein M., Ihre edelzarten Glieder sind mehr wert als das begeisterte Gejohle einer herzlosen Menge. Gott beschütze Sie, Allerzarteste, in Ihrem gefahrvollen Berufe! Möge dennoch ein Graf Sie zuletzt erretten!«

DIE ABGELEHNTE EINLADUNG

»Sie luden ihn ein auf ihre Besitzung. Er könne dort tun und lassen, was er wolle, niemand würde Ansprüche an ihn stellen. Er habe seine Freiheit garantiert. Er kam nicht. Er hatte zu tiefe Achtung vor dem Fernverkehr zwischen Menschen, die sich wenigstens teilweise verstehen, zu viel Verachtung für den Nahverkehr, der unter allen Umständen Abgründe öffnet, in denen die Seelen zerschellen. Welche Freiheit konnte man ihm garantieren, nachdem er als Gast von selbst infolge seiner inneren Kultur unwillkürlich den Gastgeber ununterbrochen berücksichtigt hätte? Die großen Abgründe sind leicht mit Freundschaft zu überbrücken, unüberbrückbar sind die allerkleinsten; was ist es, wenn der fanatisch geliebte Hund des Gastgebers dem Gaste als ein verwöhntes, ekelhaftes Beest erscheint? Genügt das nicht, alle Werte umzuwerten und Verzweiflung in den Nerven zu erzeugen, wo früher edler Friede war? Ich will von Speisen und Getränken gar nicht reden, von Tageseinteilungen. Der Gast wird zum »hysterisch-empfindsamsten« Menschen, weil er eben der »Gast« ist, der Gastgeber ebenfalls, weil er eben der »Gastgeber« ist! Es entsteht eine Beziehung von Verantwortlichkeit für das Glück des anderen. Man bemüht sich, ein anständiges aber ungeschicktes Kompromiß zu schließen zwischen zwei Nervensystemen. Nun gibt es aber auch noch tragischere Verwicklungen. Zum Beispiel »Lieblingsspaziergänge«, oder »Lieblingsplätze im Garten«, ja sogar »Lieblingsbäume und – blumen«. »Gekränkt sein« ist eine von unserem guten, ja von unserem besten Willen unabhängige Emotion der Seele. Wodurch könnte man es besiegen!? Durch Entfernung! Napoleon kann bei seinem Kammerdiener zu Gaste sein, aber nicht bei einem Napoleon! Außerdem kann man sich auch noch zu allem anderen vielleicht in das Stubenmädchen der Hausfrau verlieben. »Distanzen lassen« in jeglichem Verkehr ist die »Genialität der Bescheidenen«, »Distanzen nicht einhalten« ist die »Stupidität der Größenwahnsinnigen«! Es gibt daher für einen »bescheidenen« Gast eine einzige Form der Einladung an ihn: »Liebster Freund, wir reisen heute abends ab, unsere Villa steht Ihnen daher zur Verfügung. Die Köchin wird kochen, was Sie anbefehlen; außerdem bekommen Sie Tagesdiäten von zehn Kronen. Gedenken Sie unser in Liebe!«

HYPOKRISIE

Ich möchte ein einziges Mal im Leben ein Liebespaar, ein junges Ehepaar antreffen, bei dem der Mann nicht in überquellender sorgsamer Zärtlichkeit das Zigarettenrauchen der Geliebten bespräche! »Anna, du weißt, dein Pensum ist bereits überschritten, ich habe drei Zigaretten täglich gestattet, eine nach dem Frühstück, eine nach dem Mittagessen, eine nach dem Nachtmahl. Ich glaube, ich bin jedenfalls ein nachsichtiger Gatte – .« Nein, das bist du nicht, du Hund! Gerade hierin also willst du ihr helfen, hast nicht die geringste Ahnung, du Esel, wieviel Narkotika sie braucht, um deine Langweiligkeiten zu ertragen, oder sich zu betäuben einmal auf anständige Art! Keine Frau raucht mehr Zigaretten, als sie unbedingt braucht, denn in der Kontrolle ihrer Genußfähigkeiten sind die Frauen begabter als die Männer, da sie den Gesetzen der unbewußten Natur näher stehen, sie daher besser erlauschen! Ich hasse die Männer, die ihre hypokrite zärtliche Fürsorge gleichsam auf das scheinbar übertriebene Zigarettenrauchen ihrer geliebten Frauen konzentrieren. Sie haben überhaupt nicht die geringste Ahnung von der minutiösen Hygiene des Frauenleibes, der Frauenseele! Aber vor der unschuldig-betäubenden, ja oft erlösenden Zigarette wollen sie sie zärtlichst behüten! Der Anfang aller Ungezogenheiten einer Frau, die sich dann allmählich und unscheinbar entwickeln, ist, ihr ihre unschuldigen Freuden zu mißgönnen!

STRANDBAD »GÄNSEHÄUFEL«

Wie alt du wirst, Peter – . Läßt dich deinen Idealen nicht mal mehr vorstellen?!

Ich sah zwei Schwestern, sechzehn und fünfzehn, mit braunem Teint und dunklen Haaren, stumpfnasig, edelhändig, edelfüßig.

Wie von den Inseln Ceylon, Sumatra, waren sie.

Die Sonne brannte auf den grauen mehligen Donausand des Strombades »Gänsehäufel«.

Ein buntes Treiben; und ich sah nur euch!

Wie flügge Vögelchen im Neste, sah ich euch, von eurem Vater zart behütet – .

Finger, Zehen, zart zum Abbrechen.

Und eure Augen schienen noch nie ängstlich geblickt zu haben – .

Ein buntes Treiben auf dem Strand, im Wasser!

Familienglück mit plätschernden Babys, und Paare, denen man es ansah: »Ihr gehört zusammen!«

Von Weidenbüschen kamen Duft und Kühle – .

Und als die beiden braunen Schwestern ihre weißen Strandkörbe verließen, um zu baden, hätte ich mich gern als Leibwache hinpostiert und zu jedem gesagt: »Die Körbe sind besetzt, ich hüte meiner geliebten Herrschaft ihre Ruheplätze – !«

RÜCKKEHR VOM LANDE

Nun ist es wieder Herbst geworden, und die Grabenkioske füllen sich zur Abendzeit mit wohlgepflegten und gebräunten Damen.

Man hätte so viel zu erzählen, und man schweigt!

Man ist wieder in diesem Gefängnis »Großstadt«.

Man träumt von Licht und Luft und Wasser.

Man war ein anderer, besser, menschlicher.

Nun geht man seinen Trab wie eh und je.

Man fühlt sich altern, schwerfällig werden, klammert sich an dieses unglückselige Wort: »Verpflichtungen«!

Die Wohnung will nicht in Ordnung kommen, und die Dienstboten kündigen.

»Die gnädige Frau war am Land viel netter zu uns – .«

Ja, das war sie.

Die Kellner in den Kiosken begrüßen alle Gäste wie Weltreisende, die vielfache Gefahren überstanden haben – .

Nun nehmen sie Soda-Himbeer im sicheren Port!

Die Deklassierten, die nicht fort waren, mischen sich in die Menge der Zurückgekehrten, als ob nichts vorgefallen wäre – .

Ja, sie haben sogar die naive Frechheit, zu behaupten, Wien wäre am angenehmsten, wenn alles »auf den Ländern« weile – .

Damen, mit den veredelten gebräunten Antlitzen, lasset euch nicht betrügen von dem Prunk der Großstadt! Erschauet in den Spiegeln eurer Gemächer einen Zug auf eurem Antlitz, den Licht und Luft und Wasser und Freiheit modelliert haben, und der nicht da war ehedem, und der verschwinden wird im Wintertrubel!

Komödie hier, Komödie dort vielleicht – .

Doch unter freiem Himmel ist das Theater schöner!

KRANKENLAGER

Ich lag wieder einmal im Sterben. Einer sandte mir daher Kalbsfußgelee in Glasdose, statt mir seine junge, schöne Geliebte zu senden, die mich unbedingt eher hätte erretten können als Kalbshaxen! Das Kalbsfußgelee hatte einen geheimnisvollen, uneröffenbaren Verschluß. Daher war es auch ganz gleichgültig, daß es vor dem Eröffnen zwei Stunden lang in Eis liegen sollte. Einer kam sehr teilnahmsvoll und besprach es mit mir ziemlich eingehend, ob er seiner Mitzi den Laufpaß geben solle oder nicht, nachdem doch, wie ich wisse – . Wir berieten hin und her, und er meinte schließlich, er sehe, ich sei nicht ganz bei der Sache. Zum Schlusse sagte er: »Hast du große Schmerzen?! Merkwürdig, daß diese Anfälle in letzter Zeit so häufig wiederkommen. Vielleicht sieht man dich übrigens morgen im Gasthaus. Da können wir es weiter besprechen.« Eine Dame kam, und ich teilte ihr mit, daß sie die schönsten Ohren, Hände von der Welt habe. Sie meinte, ich bliebe noch in der Sterbestunde ein Dichter, ein wirklicher Künstler. Einer kam und legte seine Zigarettenasche auf mein Nachtkästchen aus Bambus, neben die große, tiefe Aschenschale. Einer trug mir ein Buch weg, unter dem Vorwande, ich könne in meinem jetzigen Zustande ohnedies nicht die Sammlung finden, es zu lesen. Einer sagte mir, man dürfe sich nicht so sehr nachgeben, sondern müsse die Krankheit durch Energie überwinden. Gott, wo käme er selbst hin, wenn er sich immer gleich ins Bett legen wollte und sich pflegte!? Eine junge Dame schrieb: »Verehrter Meister, ich höre, daß Sie schwerkrank sind. Darf ich um ein Autogramm bitten?!« Als ich wieder genesen war, sagte man zu mir: »Nun, Peter, du ewig Unzufriedener, hast du es nicht jetzt wieder einmal erlebt, von wieviel Sympathie und echter Freundschaft du in schweren Zeiten dennoch umgeben bist?!« Ich blickte gerührt vor mich hin – das heißt, ich dachte: Verbrecher und Schafsköpfe!

 

HUNDE

Ich hasse die Frauen nicht nur wegen der falschen Krawatten, die sie anhaben, wegen der falschen Schirmgriffe, der falschen Hüte, der falschen Manschettenknöpfe und so weiter – ich hasse sie in neuerer Zeit wegen der »Pflanzhunde«, die sie sich mit teuerm Gelde zulegen, um eine Art von verlogener Tierromantik mit ihnen aufzuführen.

Meine wunderbar schöne Schwester fand in ihrem fünfzehnten Lebensjahre ein schreckliches verhungertes Tier auf der Bergstraße nach Kaiserbrunn, direkt ein Scheusal. Aber sie betreute es fanatisch; und als sie es eines Sommermorgens im Bottich des kleinen duftenden Gemüsegartens ertränkt fand, legte sie sich ins Bett und verweigerte acht Tage lang die Nahrung.

Heutzutage aber kaufen sie sich für schwere Tausende prämierte Russische Windhunde, Springer erster Klasse, die zwar unerhört hohe Barrieren überspringen, aber nicht einmal den Seelengeruch aufbringen, die Wohnung ihrer scheinbar geliebten Herrin allein wieder aufzufinden!

Herzlose Idioten von äußerlich schönen Tieren favorisieren sie, schändliche Masken von Idealen, einen Abglanz ihrer eigenen leeren Persönlichkeiten, drapiert mit modernen Gewandungen! Wie sie selbst!

Seinerzeit war der getreueste Freund des Menschen favorisiert, der aufopferungsfähige weiße oder schwarze Pudel.

Heute aber liebt man den infam perfid treulosen Dackel, den grotesken Clown Foxterrier, und den stupiden herzlosen und gleichgültigen Russischen Windhund.

Heute geht man auf Farbe und Form. Aber das melancholisch-treuherzige Auge ist euch gleichgültig geworden! Es wird sich natürlich an euch rächen! Auch die »Ästhetik« kann nur aus den mysteriösen Tiefen des Herzens kommen; sonst ist es eine Blüte, die an ihrer eigenen schamlosen Kälte verkommt, verdorrt! Nur das Herz hat ewig belebende tropische Wärme. Schönheit allein mordet!

H. N

In deinen Augen lese ich dein Leben – mehr brauch ich nicht zu wissen, es ist alles. Und deine Stimme ersetzt mir die Musik der Welt! Deine Hände zu schauen, macht dankbar gegen das Schicksal – und sie berühren, macht mich tief erschauern! Wie eine geknickte Blume prangst du in der Welt, die trotzig starrt von harten Pflanzen! Nur du erzeugst mir Sehnsucht, Gottes edle Qual! Die anderen genießt man, wenn sie da sind, und die Entfernung legt sie zu den Toten! Von dir aus strömt des Dichters Leid und Not, an diesem Stoffe brennen seine Flammen! Wenn du von Lieblingsliedern sprichst, hör ich sie tönen; Wenn du von Lieblingsbüchern sprichst, so hab ich sie gelesen! Wenn du von schönen Frauen sprichst, so seh ich sie, wenn du von Männern sprichst, so sterb ich vor Verzweiflung!

Und die Welt erdunkelt mir – . Der Bann, der Bann, Bannsegen ohne Fluch! So bannst du mich! Du bist verstört, von tausend geheimnisvollen Kräften hin und her getrieben, die aber mir zu Tau und Sonne werden, indem ich sie gerührt betrachte und begreife, wie eine Mutter ihres geliebten Kindes Rätsel – . Entfern dich nicht! Denn wenn du mich verläßt, erlischt für Dich dein eigener Zauber – und eine Welt ersteht, die dich brutal genießen will!

HELGA

Helga, mein Leitstern, bist du mir erloschen?!?

Leuchtest du mir nicht mehr in meinen Dunkelheiten?! Willst du meinen Verdüsterungen nicht mehr Klärung bringen?! Die Nebel zerstreuen, die sich über meiner Seele lagern, wie die Sonnenkraft auf Bergesgipfeln beim Nebelreißen?!? Wie ein Kindchen strecke ich die Arme nach dir aus. Hilf mir! Du gabst mir Kraft, du gabst mir Frieden! Sei ewig bedankt – ! Nun kommen die Liebelosen und rauben mir alles! Düstere Nebel umwölken mein ehemals klares Gehirn – . Sei wieder die Sonne, die Klarheit bringt und Licht und Wärme! Hilf mir, Helga – ! Alle andern Frauen nehmen und plündern, die Seele, den Leib, die Kraft des Gehirnes – ! Du allein spendest und spendest und spendest! Kaum bist du fort, umdüstert sich alles – . Die bösen Geister nehmen mich in Besitz – Guter Geist, Helga, ich entbehre dich, wie ein krankes Kind seine Baba – . Gütige Kinderfrau, Helga, ich gebe dir diesen Ehrentitel, Statt dieses schnöden, inhaltslosen Titels: Geliebte!

DAS TELEPHON

»Hier Peter Altenberg – .«

– »Oh, Peter, guten Abend. Denken Sie, ich kann heute abend nicht an Ihren lieben Stammtisch im ›Löwenbräu‹ kommen. Ich habe mir erst vor einer Stunde die Haare gewaschen und sie brauchen mindestens drei Stunden, um zu trocknen.«

»Schluß«, rief er und läutete rasend ab. —

Das war eine Art von Genugtuung. – Aber sehr bald darauf überkam ihn eine trübe Stimmung und er dachte: »Was, oh Fraue, was wirst du mir also noch alles antun, nachdem du dir nicht einmal rechtzeitig die Haare waschen konntest – .«

DIE LÜGE

Eine der schrecklichsten Verlogenheiten des kleinen Lebens ist es, daß so viele in liebenswürdig-korrekter Art fragen: »Ist es gestattet, an Ihrem Tische Platz zu nehmen? Stört man nicht!?«

Welche verlogene Gemeinheit, eine solche perfid-jesuitische Frage zu stellen, nachdem man es doch sicher weiß, daß niemand daraufhin den Mut hat, zu antworten: »Nein

Möge doch jeder in seiner Vereinsamung bleiben, bis man ihn »liebevoll« ruft! Wie viele Feindselige drängen sich scheinbar freundschaftlichst heran, weil man mit einer Dame sitzt, auf die sie »fliegen!« Eine horrende feige Gemeinheit. Schändliche Wölfe im Schafspelze. Wenn sie ihre Beute »gerissen« haben, verschwinden sie! Niemand weiß, edle Distanz zu halten, weder im Gespräch, noch in Handlungen. Eine falsche, feige Gutmütigkeit beherrscht alles, vom liebenswürdigen, scheinbar erfreuten Lächeln der Begrüßung an, bis in die ernsteren Komplikationen hinein, wo die Maske fällt! »Wie geht es Ihnen?!« Jeder denkt dabei: Hoffentlich schlecht! Das Herz traut sich nirgends hervor; es keucht, erstickt unter Lügebergen! Niemand kann »er selbst sein«, schaut sich daher ängstlich um, nach dem Sukkurs der andern!

Heldentum: »Ist es erlaubt, an Ihrem Tische Platz zu nehmen?!«

»Nein!«

Dann geht der feige, geprügelte Hund aber hin und rächt sich!

PLAUDEREI

Früher hat es naturgemäß Religionsstifter gegeben für die Seelen. Der Körper war urkräftig, und die Seelen waren schwächlich. Da bedurfte es der Ärzte für die Seelen. Nun aber ist es umgekehrt: die Seelen sind erstarkt, und die Körper sind schwächlich geworden. Da bedarf es der Religionsstifter für die Körper!

Keuschheit zum Beispiel war früher eine »psychologische« Forderung, heute wird es zu einer »physiologischen«! Einfachheit der Lebensweise war früher eine »psychologische Forderung«, heute ist es eine »physiologische« geworden!

Früher beschenkte man Arme aus »psychologischen« Gründen. Heute könnte man fast bereits sagen: »Ich gab einem Armen 50 Heller, denn ich fühlte es, daß mir mein Nachtmahl dann besser munden würde und ich es leichter verdauen könnte – .«

»Seelische Angelegenheiten« beginnen zugleich »physiologisch« aufgefaßt zu werden, also eine organische Verbindung von Selbstlosigkeit und Ichismus. Je mehr ich meinen Körper entwickle und schone, desto mehr kann ich seelisch für andere leisten! Ich bin von mir befreit! Für andere! Liebenswürdigkeit, Menschenfreundlichkeit ist Sache des Verdauungsapparats.

Mörder müssen Blähungen haben. Man kann nämlich auch unscheinbar morden; es muß nicht immer Messer und Kugel sein. Auch Worte können morden und jegliche Ungezogenheit! Frauen müßten daher besonders vorsichtig sein in bezug auf ihren gesamten Verdauungsapparat. Sie können leicht »seelisch morden«, wenn sie unverdauliches Zeug essen, das sie belästigt und beschwert. Ich will von einer der wichtigsten Sphären im »physiologischen Organismus« gar nichts auch nur andeuten, in der man entweder zum »Übermenschen« oder zum »Mandrill« wird! Aber der kommende Religionsstifter wird die Verbrechen, die »Höllen«, ausschließlich in der »physiologischen« Sphäre erkennen, wenn auch der »Alkoholgenuß« nur selbstverständlich den Prügelknaben vorstellt, der blöderweise für alle anderen Sünden herhalten soll! »Falscher Ehrgeiz« zum Beispiel ist ein »physiologischer« Mörder in uns, ein Krebs der Seele, eigentlich aber des Leibes! Die Würmer werden mich fressen, früher aber muß ich noch Baron werden! Sie sollen einen Baron also annagen! Man verlästert immer die Dekadenz. Aber wann werden die Menschen endlich nicht mehr essen, als sie benötigen, nicht mehr trinken, als sie benötigen?!? Bis sie es nicht mehr vertragen vor Schwäche! Dadurch aber werden sie dann allmählich wieder ganz stark werden!

Das ist der Werdegang! Zuerst völlern, auf seine überschüssigen Kräfte hin! Dann sparsam leben, wegen seiner unterschüssigen Lebenskräfte. Und dann infolgedessen gesunden, reich werden und es bleiben! Dekadenz ist der organische Übergang zur Aszendenz! Zuerst vergeuden die Menschen ihre Kräfte, weil sie zu viel davon haben. Dann sparen sie damit, weil sie zu wenig haben. Und schließlich haben sie wieder angesammelt und sparen wegen schlimmer Erfahrungen! Es gibt keinen anderen Weg!

Es wäre denn, daß ein »physiologischer« Religionsstifter die persönliche Macht ausübte, daß die Verschwender an Lebenskräften zu sparen begännen, ehe es unbedingt notwendig wäre! Dann könnte er »gottähnliche Menschen« züchten auf Erden! »Erkenntnisse aus Not« sind eigentlich dennoch lächerlich, sie haben keine »Verführungskraft«. »Erkenntnisse« aus »Erkenntnis« allein haben Triebkraft. Sie zeitigen Blüten und Früchte am Baume der Erkenntnis! Der ganze mögliche Fortschritt also: Erkenntnisse haben und sie durchsetzen, ohne »physiologisch« dazu bereits genötigt zu sein! Zum Beispiel also, Krankenkost essen, ohne es nötig zu haben, keusch leben, ohne es nötig zu haben, zehn Stunden schlafen, ohne es nötig zu haben! Mit diesem gewonnenen Überschuß an Lebenskräften es versuchen, ein »höherer, besserer Mensch« zu werden!

LEBENSBILD

Die fünfjährige Marie Ch. mußte um 6 Uhr morgens, bei 10 Grad Kälte, nur mit einem Hemd bekleidet, den Fußboden des Vorhauses reiben. Ein Adeliger, ein Geschäftsmann wollte ich sagen, der zufällig in das Haus trat, machte die polizeiliche Anzeige. Alle ärmlichen Bewohner des weiten alten Hauses atmeten auf. Sie selbst hätten sich vor der Furie von Mutter nicht getraut, es zu tun.

Der Richter zu der Mutter: » – und was ist es mit den blutigen Striemen auf dem Leibe dieses schwächlichen todbleichen Geschöpfes?!«

»Dös Menscherl hat eh zu viel Blut – .«

Der Richter war empört und verurteilte sie zu 8 Tagen. Nach diesen acht Tagen wird sie also jedenfalls das »vollblütige Menscherl« nicht mehr den Boden des Vorhauses reiben lassen, da dort »Adelige« vorbeigehen und die Anzeige machen könnten. Im trauten Gemache, einen Knebel im Munde, gibt es verschwiegenere Martern für irgend etwas. Nun hat aber höchstwahrscheinlich diese »Mutter« eine Entschuldigung. Denn sie nahm das Mäderl von Bauersleuten weg am Lande, die es zwar sehr fürsorglich behandelten, aber immerhin 6 bis 10 Kronen monatlich erhielten. Grund genug, ein Kind als »unerträgliche Last« zu empfinden für durch Armut in einem ununterbrochenen Zustande von »reizbarer Schwäche« befindliche Nervensysteme. Grauen befällt den Allweisen erst in dem gar nicht seltenen Falle, wo Pflegeeltern ein abgöttisch geliebtes, edel gehegtes Kindchen ohne einen Kreuzer Entschädigung à tout prix behalten wollen, und die »Eltern« es nicht gestatten, sondern es nach Hause nehmen, um es der gerechten Strafe, geboren worden zu sein, unter unermeßlichen Qualen zu unterziehen, bis der Frevel seiner Geburt mit dem Tode gesühnt ist!

Richter: »Ihr Kind hat es doch dort so gut gehabt, und Sie selbst haben in zwei engen Stuben acht Kinder zu ernähren?!«

»Wo acht hungern, kann das neunte auch mithungern, soll sie’s besser haben als mir, warum?!«

Richter: »Der Bauer, der Ziehvater, hat erklärt, er setze es zur Erbin ein – .«

»Nix, dös Kind g’hört zu seine Eltern, zu seine Geschwister – .«

Das Kind wurde später zu Tode gemartert.

Ich stelle einen einfachen logischen Gesetzesantrag: »Kinder, die nachweislich es bei Zieheltern, die keinerlei Entschädigung dafür verlangen, gut haben, dürfen den Eltern, falls sie in bedrängten Verhältnissen leben, unter keiner Bedingung wieder ausgefolgt werden