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Memoiren einer Grossmutter, Band II

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Wilna

Wilna, die einstige Residenz Litauens, war damals eine große Stadt mit imposanten Staats- und Privatgebäuden, einem alten Rathaus, einem Theater und großartigen, meistenteils gotischen, katholischen Kirchen, unter denen sich die »Ostrobrama« durch besondere Pracht und durch ein Portal von hohem künstlerischen Wert auszeichnete. Durch dieses Tor durfte weder Christ noch Jude mit bedecktem Haupte gehen. Oft sah man dort die Gläubigen im Vorübergehen auf die Knie fallen. Die meisten frommen Juden vermieden es, diesen Weg zu gehen, obwohl sich das Tor im Mittelpunkt der Stadt befindet.

Dank der reichen Magnaten, die auf ihren Gütern in der unmittelbaren Nähe Wilnas wohnten und kommerzielle Verbindungen mit der Stadt pflegten, blühte die Industrie in der Residenz.

Die Stadt trug zu jener Zeit noch ganz den polnischen Charakter; überall herrschte die polnische Sprache und die ganze Lebensweise war durch polnische Sitten bestimmt!

Aber es wurde anders: Nach dem polnischen Aufstande im Anfange der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde Generalgouverneur von Wilna der berüchtigte Murawiew. Mit beispielloser Grausamkeit hat dieser Mann das Polentum in seinem Bezirk auszurotten und das ganze Land zu russifizieren versucht. Er war gefürchtet, aber er fürchtete sich auch. Er lebte in seinem Palast wie ein Gefangener. Selbst der Schornstein in seinem Arbeitszimmer war vermauert. Er schlief in seinem Arbeitszimmer und dort wurde auch vor seinen Augen auf einer Spiritusmaschine sein Essen bereitet. Er lebte in solcher Abgeschiedenheit, daß das Gerücht sich bilden konnte, er existiere überhaupt gar nicht. Er war ein Gespenst des Schreckens, eine mythische Person. Eine kleine Episode. Jüdische Arbeiter besserten das Dach seines Palastes aus. Dabei unterhielten sie sich über die Frage, ob es überhaupt einen Gouverneur Murawiew gäbe. Die Antwort mußte gefunden werden. Und als sie gerade oberhalb des einzigen Fensters des Murawiewschen Arbeitszimmers zu tun hatten, ließen sie an einem starken Seil den Lehrjungen herunter, damit er durch das Fenster in das Zimmer hineingucken könne. Als der Junge nun vor dem Fenster schwebte, erblickte ihn der Gouverneur, der im ersten Moment furchtbar erschrak. Denn er glaubte, daß auf raffinierte Weise ein Attentat geplant sei. Er schlug Lärm. Der ganz entsetzte Lehrjunge wurde abgeschnitten. Als Murawiew den zitternden, halbwüchsigen Knaben nun vor sich stehen sah, mußte er lachen und er entließ den Kleinen ruhig, ohne ihn die Ruten kosten zu lassen. – Häufig kam es allerdings nicht vor, daß Murawiew Milde walten ließ. Die Henkersknechte kamen unter seiner Herrschaft nicht zur Ruhe. Es war ein fast alltägliches Ereignis, daß unter Trommelwirbeln unglückliche Menschen zum Richtplatz geführt wurden. Immer fand sich dabei eine große Menschenmenge ein, die von Schmerz und Mitleid, oft auch von Wut und Ingrimm ergriffen, den armen dem Tode Geweihten das Geleit gaben. Wir saßen eines Morgens am Teetisch, als dumpfe Trommelklänge uns aufschreckten. Ans Fenster eilend, sahen wir auf einem von einem einzigen Pferde gezogenen primitiven Wagen drei Männer zur Richtstatt fahren. Das Gefährt bestand aus einem auf vier Rädern ruhenden Brett. Darauf stand eine Bank mit einer Lehne und einer Tafel, auf der die Namen der sogenannten Verbrecher verzeichnet waren. Dieses Fahrzeug nannte man den Pranger. Es bewegte sich durch die Straßen bis zu dem großen Marktplatz, wo ein Galgen errichtet war, an dessen Fuße das Fahrzeug halt machte. Die Henkersknechte mußten die schon vor Furcht halbtoten Delinquenten stützen, um sie zum Gerüst zu führen. Dort wurden ihnen Säcke über die Köpfe und die Schnur um den Hals geworfen und mit einem einzigen Zuziehen der Schnur wurde die Hinrichtung aller drei vollzogen. Mit Schaudern und Entsetzen sehe ich noch heute die baumelnden Körper in Todeszucken vor mir und werde den Anblick wohl nie vergessen können. – Daß unter der Herrschaft dieses Gestrengen und in der Erinnerung an die zahllosen Opfer des polnischen Aufstandes das erregte Volk in trüber Stimmung lebte, begreift man leicht. Alle – Christen und Juden – trugen Jahre hindurch Trauerkleider. Es galt als ein Verbrechen, selbst bei festlichen Gelegenheiten, im Theater oder bei Konzerten in hellen Kleidern zu erscheinen. Wagte es aber jemand, so konnte er sicher sein, daß sein Anzug von einem polnischen Patrioten mit Petroleum begossen wurde.

Als wir nach Wilna hinkamen, hatte die Stadt noch ihr altes Gepräge. Politisch eine Stadt des stolzen Polentums; kulturell – so weit es die Juden betrifft – eine Hochburg jüdischer Geistesaristokratie.

Die jüdische Gesellschaft in dieser Stadt, die das jüdische Athen von Litauen genannt wurde, bestand aus vielen vornehmen, reichen und meistenteils noch sehr konservativen Familien und aus einer kleinen Gruppe Fortgeschrittener – den Vertretern der neuen Ideen. Diese Aufgeklärten verhielten sich aber kleinlaut und wagten nicht, wie in Kowno, rücksichtslos gegen die Tradition aufzutreten. Denn hier in Wilna besaßen die Alten die Autorität. Ihren Führern, wie Reb Elia, dem Wilnaer Gaon, Reb Akiba Eiger, hat die Nachwelt den Ehrentitel der »Patriarchen« beigelegt. Diese Namen lebten in ihrem ganzen Glanze in der Erinnerung der Juden fort. Wilna, die Stätte der Talmudgelehrsamkeit, die Stadt der großen Gemeinde mit ihren zahlreichen Lehrhäusern (Bothemidraschim) und dem berühmten Schulhof, wo Hunderte alter und junger Männer Tage und Nächte den Talmud studierten – dieses Wilna wirkte erdrückend auf die Modernen; und sie wagten sich nicht mit ihrer »aufgeklärten Irreligiosität« in die Öffentlichkeit.

Die neue Umgebung übte einen sehr günstigen Einfluß auf meinen Mann aus; und ich freute mich zu sehen, wie er ohne Zwang, nur innerem Bedürfnis folgend, sich wieder dem Talmudstudium zuwandte und auf dem Irrwege, den er betreten hatte, ein Stück zurückging. Er unterrichtete jetzt selbst unseren Sohn Simon in der hebräischen Sprache, las mit ihm die Bibel und die Mischnah, was er in Kowno nie getan hätte; er beschloß auch, den Jungen in die Rabbinerschule zu geben.

Hier in Wilna traf ich mit meiner Schwester Helene, die ich während des Brautjahres gepflegt und noch leidend zurückgelassen hatte, zusammen. Sie lebte hier als verheiratete Frau mit ihrem Manne und ihren Kindern. Die Freude des Wiedersehens war groß, aber sie währte nicht lange.

Unsere pekuniären Verhältnisse wurden von Tag zu Tag schlimmer; bis sich mein Mann entschließen mußte, anderswo eine Beschäftigung zu suchen. Er ging allein nach Petersburg, wo er bei unserem Schwager Sack, der dort in reichen Verhältnissen lebte, brüderlich aufgenommen wurde. In diesem Hause verkehrten Kaufleute großen Stils; und durch ihre Vermittlung fand sich bald für meinen Mann eine Beschäftigung. In der Festung der Hauptstadt Helsingfors am Finnischen Meerbusen, in Sweaborg, sollte eine Kaserne gebaut werden. Bei diesem Unternehmen erhielt mein Mann eine gute Anstellung. Im März 1866 ging er dorthin, und noch im Frühjahr desselben Jahres folgte ich ihm mit den Kindern nach Helsingfors.

Da wir in Helsingfors in der Festung wohnen sollten, erwachte in mir die Sorge um den Unterricht für meine beiden älteren Kinder, und ich beschloß, sie nach Mitau zum Rabbiner zu bringen. Ich wandte mich schriftlich an ihn. – Er ging auf alle Bedingungen ein und versicherte mich in seinem Antwortschreiben, die Kinder würden in seinem Hause eine durchaus moderne, europäische Bildung erhalten. Diese Aussicht beunruhigte mich aber, und ich schrieb ihm wieder, ich hoffe, daß er trotz der modernen Erziehung eine koschere Küche führe, andernfalls könnte ich ihm die Kinder nicht anvertrauen. Ich erhielt einen befriedigenden Bescheid und ging an die Ausführung meines Planes. Ein seltsamer Zufall vereitelte jedoch mein Vorhaben: Ich setzte mich mit den beiden Kindern in einen falschen Zug, stieg ein paarmal um und kam statt nach Mitau in eine mir völlig unbekannte Stadt, und erfuhr zu meinem großen Ärger, daß ich mich Wilna näher als dem Ziel meiner Reise befand. Dieser Zufall war entscheidend, und meine Kinder kamen nicht in die Schule zum Mitauer Rabbiner. – Kleine Ursachen, große Folgen.

Der verabredete Termin des Zusammentreffens mit meinem Mann, der uns nach Petersburg entgegenkommen sollte, rückte heran. Es blieb mir keine Zeit übrig. Ich trat daher sogleich die Rückreise nach Wilna an. Bald trafen wir in Petersburg zusammen. Ich erzählte meinem Mann die Geschichte mit den falschen Zügen. Er lachte und freute sich, daß wir nun doch alle beisammen blieben. Am nächsten Tage bestiegen wir den Dampfer, der uns nach Helsingfors bringen sollte.

Und wiederum blühte die Hoffnung auf bessere Zeiten.

Helsingfors

Wir gelangten nach der Festung Sweaborg. Fremdes Volk, fremde Sitten und Gebräuche. Eine fremde Sprache! Ich verstand weder Finnisch noch Schwedisch und konnte mich mit der einheimischen Dienerschaft nur durch Vermittelung des einzigen russischen Angestellten verständigen. Aber schon nach Verlauf von zwei Monaten gelang es mir, mit Hilfe der Ollendorfschen Methode so viel zu erlernen, wie ich notwendig brauchte.

Trotz des rauhen Nordens und des siebenmonatlichen strengen Winters lebte hier in Helsingsfors ein munteres, lebenslustiges, intelligentes Volk, Schweden und Finnen. Äußerlich sind diese beiden Nationen leicht voneinander zu unterscheiden. Während die Finnen, Männer wie Frauen, einen robusten vierschrötigen Typus mit blondem Haar, Kartoffelnase und kleinen Äuglein darstellen, sind die Schweden hochgewachsen mit feinen, edlen Gesichtszügen, wundervollem, starkem, blondem Haar und gesunden, großen, weißen Zähnen. Die Bevölkerung lebte hier sehr bescheiden. Trotzdem die Lebensmittel sehr billig waren, bestand ihre Mahlzeit gewöhnlich aus Hering, gekochten Kartoffeln und Schwarzbrot. Dieses Schwarzbrot wurde nach der Landessitte sowohl vom Volk wie von der Bürgerklasse im Herbst gebacken und ein Vorrat für den ganzen Winter vorbereitet. Es hatte eine runde Form; in der Mitte war ein Loch. Man zog sie alle auf eine Schnur und hängte sie so zum Trocknen auf. Diesem trocknen Schwarzbrot, so behauptet die Bevölkerung, verdankt sie ihre gesunden, schönen, weißen Zähne.

 

Auch die Wohlhabenden in der Stadt führten eine äußerst bescheidene Lebensweise, und ihre Mahlzeiten waren auch nicht viel üppiger. Dafür wurde aber in anderer Hinsicht geradezu Luxus getrieben: im Punkte Bildung und Vergnügungen kannte man in Helsingfors keine Sparsamkeit. Die Stadt, die nur zwanzigtausend Einwohner hatte, besaß zwei Theater, drei Leihbibliotheken, komfortable Hotels und zahlreiche Cafés.

Es war ein freies, stolzes Volk, das hier lebte, stolz besonders den Fremden – Russen – gegenüber, die es »rüssene Pergele« (Russenteufel) nannte. Wenn man einem Bettler ein Almosen gab, so drückte er wohl dankbar dem Geber die Hand. Ein Droschkenkutscher aber lehnte fast immer das Trinkgeld stolz ab.

Auch geistig war die Bevölkerung fortgeschritten, interessierte sich für das, was in der großen Welt vorging. Nie kehrte ein Bauer, der die Ware in die Stadt brachte, ohne seine Zeitung »Soimele« (»Finnland«) aufs Land zurück.

Unsere Wohnung war in einer Kasematte und bestand aus vier kleinen, dunklen Räumen, deren Wände aus mächtigen, wohl zwei Meter dicken Granitsteinen zusammengefügt waren. Wunderlich war unser Schlafzimmer. Es hatte ein Fensterbrett, auf dem ein Tisch und Stühle Platz hatten. Freilich war es für andere Zwecke bestimmt. Während eines Krieges sollte da ein weniger friedliches Möbel stehen: eine Kanone! Aber einen Vorzug hatte dieses Schlafzimmer: von dem Fenster gab es eine herrliche Aussicht auf den Finnischen Meerbusen mit seinen dunklen, waldigen Ufern. Hier war mein Lieblingsplätzchen. Hier pflegte ich mit den Kindern zu sitzen, bei einer Handarbeit auszuruhen. Hier konnte ich träumen, stundenlang auf das weite Meer schauen und seinem ewigen, geheimnisvollen Murmeln lauschen.

Wir wohnten in der unmittelbaren Nähe des Kommandanten und der Offiziere, mit denen wir auch bald bekannt wurden und die bald in unserem Hause verkehrten.

Einer von ihnen erklärte sich bereit, meinen älteren Sohn in der russischen Sprache zu unterrichten. Mein Mann warf sich eifrig auf das Studium des Finnischen und Schwedischen und machte bald so große Fortschritte, daß er sich der beiden Sprachen in geschäftlichen Angelegenheiten bedienen konnte. Daneben lernte er mit der Tochter englisch. Die beiden älteren Kinder besuchten eine französische Schule in der Stadt. Jeden Tag mußten sie über das Meer fahren.

Ich war stolz, so viel Wißbegier bei meinem Manne und der heranwachsenden Jugend zu sehen, stolz, glücklich und doch zugleich auch traurig, denn der Lerntrieb erstreckte sich nicht auf das, was mir vor allem heilig und wert war.

Hier in Helsingfors lebten wir fern von allem Jüdischen. In diesem Lande bestand nur eine kleine Gemeinde alter Soldaten, die noch seit der Zeit Nikolaus I. das Privilegium, hier zu wohnen, besaßen. Sie hatten eine kleine Synagoge und einen sogenannten Rabbiner, der zugleich Schochet (Schächter) war.

Eine Gemeinde »Nikolajewsker« Soldaten. Das sagt für die Eingeweihten genug. In den zwanziger Jahren hatte man die Juden auf alle mögliche Weise zum Heeresdienst, der fünfundzwanzig Jahre dauerte, herangezogen. Herangeschleppt! Galt doch infolge der Härte und Länge der Dienst für schlimmer als der Tod. Was Wunder, daß die ausgemergelten Juden sich in diesen Abgrund nicht bei Lebzeiten schleudern lassen wollten. Da man aber für die Ergreifung eines flüchtigen jüdischen Jünglings – sie waren oft nicht älter als zwölf oder dreizehn Jahre – 20-30 Rubel bezahlte, so fanden sich natürlich auch unter den Juden Subjekte, die ein Geschäft daraus machten, möglichst viel solchen Sündengeldes zu verdienen. Näherte sich so ein »Chapperl«* zum Beispiel einer Schneiderstube, so kam schnell ein guter Freund, um die Schneiderjungen zu warnen – und alles floh rascher als vor der Pest, wo sich nur ein Versteck bieten wollte. Die Ergriffenen nannte man mit dem russischen Wort »Pojmeniky«, (Ergriffene).

In einem kleinen Volksliedchen heißt es:

 
Sitzen Schneider arim Tisch
Oj, oj, oj nähen
Kimmt a giter Briderl
Ün sagt die Chapperlach gehen!
 

Die Zahl dieser Volkslieder ist unendlich groß. Eine Reihe geradezu ergreifender Stücke ist in der trefflichen Sammlung von Günzburg und Marek zusammengestellt. Einige möchte ich aus meiner Erinnerung hierher stellen.

 
Wie es is bitter,
Meine liebe Mitter,
:|: A Schiffele auf'n grünem Gros:|:
Asoj is bitter, meine liebe Mitter,
M' tüt doch mir chappen,
:|: Wie a Hås:|:
Nit wejn i nit schrei,
Meine liebe Mitter,
:|: Nit ich bin dos allein.:|:
Nemmt mir, ŭn vor meinem Herzen
:|: Setz ich mir anieder und wein.:|:
Wie es is bitter, meine liebe Mitter,
:|: A Bäumele ohn Ritter (Zweige).:|:
Asoj is bitter, meine liebe Mitter
M' tut doch mir machen
Far a Moskowiter.
 

Ein anderes Lied lautet:

 
As och ün' Weih zu jüdische Kinder,
Sint sei hoben gesehen die Like Liwone*.
Vün jener Zeit un hoben sei
Kein güt's, ün' kein N'chome*
As mĕ führt jüdische Kinder zim Priom*,
Tüt doch zittern die N'schome*.
Drüm beten mir dir Reboine schel oilom*
Du sollst üns geben far unser Zar* a stickele Nichome.
Bitter is doch ünser leben asoj wie der Toit
As mir darfen essen dem Jewonischen Broit*
As mir darfen gehen in »schatnes«* gekleid't,
Dus is doch ünsere bittere Noit.
Der wos im Himmel, der versteht. Gott Gott worüm bist di dir vün üns pourisch*!
Du weißt doch as mir nit kennen nicht hitten deine geseres*
Dus is doch unsere bittere Breres*,
Drim betten mir dir Reboine schel oilom
Du sollst üns moichel sein* auf ünsere Aweres*.
Deine Struf tün mir doch M'kabel-b'ahwe* anzunehmen
As me tüt üns Bort un Pees arobnehmen
Tüt doch uns in Harzen klemmen
As mir tün sich allein var üns schemen;
Drüm beten mir dir Reboine schel oilom
Di sollst ins vin gules arois nehmen.
Wer wet ünser Herausnehmer ün ünser Ausleser sein
As mir seinen tief in goischke Händ arein,
Dus is doch ünser Schmarz ün Pein,
Drüm beten mir dir Reboine schel oilom
Di sollst ünser Herausnehmer ün Ausleser sein.
Silber in Gold tün doch die sdatozikes* var üns legen
As der Prijomschick* soll sugen mir tün var Soldaten ja toigen (taugen)
Asoi tüt doch vün ünsere Vaters un Mütters nit trückenen sere Oigen.
Schabossim ün Jomim toiwim tün sei tun varbringen.
Chaleschen* tüt doch ünser Harz vün dem groißen Gerasch*
In der Heim hoben mir doch gehat vün Cholev ün vün Dwasch*
As m' leint den bitteren Ukas*
Tor sach kein junger Mann nit weisen auf der Gaß.
Toit wünschen mir sich gewiß, as mir darfen sich bucken zum Naczalniks* Füß
As der Naczalnik tüt a Geschrei Paschol* müssen mir es annehmen far zuckersüß.
Jom Noroim* tun mir doch schauffer* blosen
As men leient op dem bitteren ukas tien mir doch zilaufen wie die Hasen
Af Felder ün af Wälder tün mir sich zuspreiten wie di Grasen,
Drum beten mir dir Reboine schel oilom
Du sollst üns vün goles* araus losen.
 

Sich dieser »Gesere« zu entziehen, gab es nur für die Reichen das bekannte Mittel – die Rubel —, für die Armen aber nur einen Weg: Da nur die Nichtverheirateten zum Militärdienst ausgehoben wurden, mußten die Knaben eben schon im frühesten Jugendalter verheiratet werden. Nicht selten führte man die Kleinen vom Spielplatz hinweg unter die »Chuppe«.

 

Damals war es auch, daß sich im Volke das Gerücht verbreitete, die Regierung wolle jüdische Mädchen in die Staatsfabriken nehmen. Vielleicht war dieses Gerücht entstanden, um die zögernden Eltern von Mädchen gefügig zu machen. Sie waren natürlich jetzt um so schneller bereit, ihre unerwachsenen Töchter mit unerwachsenen Knaben zu verheiraten.

Diese »Chapperei« wurde bei den Juden »Behules« genannt.

Es war ein geradezu unnatürlicher Zustand. Und in jener Zeit ist auch wohl der Grund gelegt worden für die Degeneration eines großen Teils der russischen Judenheit. Diese halbwüchsigen Mädchen wurden Mütter. Mütter von Kindern, deren Väter noch halbe Kinder waren. Aber die armen Eltern brachten auch diese Opfer. Der Mensch mochte gefährdet sein! Aber der Glaube, das Judentum durfte nicht leiden!

War es doch unvermeidlich, daß der Heeresdienst die Beachtung all der jüdischen Bräuche, dieses heiligen Erbes, ausschloß. Das waren noch die Glücklicheren, denen es beschieden war, in Städte mit einer jüdischen Gemeinde zu kommen, wo sie wenigstens mit ritueller Kost von der Gemeinde versorgt wurden.

Nur einen Vorteil gewährten diese schweren Militärjahre: Waren diese jüdischen Soldaten nicht den unerhörten Anstrengungen und den Brutalitäten ihrer halbvertierten »Vorgesetzten« erlegen und hatten sie mit heilem Körper die fünfundzwanzig Jahre ihres Dienstes überstanden, so durften sie überall in Rußland wohnen. Dieser Vorzug brachte sie bisweilen in günstigere Verhältnisse, so daß sie nicht selten später reiche Leute wurden. Aber der größte Teil von ihnen hat es nicht so weit gebracht.

In einer Gemeinde Nikolajewsker Soldaten mußte ich nun leben. Nach Wilna—Helsingfors!

Ich hatte große Mühe, unter solchen Bedingungen eine rituelle Küche zu führen: Das Fleisch mußte stets aus der Stadt geholt werden und ich selbst mußte die Küche besorgen, weil ich mich auf eine christliche Köchin nicht verlassen wollte. Und wie sich erst die Schwierigkeiten vor Pesach häuften, kann nur eine religiöse Frau und eine gute, echt jüdische Wirtin begreifen.

Aber über alle diese Schwierigkeiten hinweg half mir der heiße Wunsch, die Tradition für die Kinder zu erhalten und vor allem die Liebe, die warme, treue Liebe zu meinem Manne. Nicht umsonst sagt das Volk: »Mit einem geliebten Manne auch übers Meer.«

Wir suchten nach einem jüdischen Lehrer für die älteren Kinder, konnten aber keinen finden. So kam es, daß mein Mann selbst dem älteren Sohne Unterricht erteilte. Aber er war kein Lehrer, hatte wenig Geduld und vergaß sich oft. »Du Esel, was wird aus dir werden?« schrie er ihn oft an, wobei es nicht selten zu Handgreiflichkeiten kam. Auf das Kind konnte diese Behandlung nicht ermunternd und anspornend wirken; die Stande wurde ihm zur Qual. Ich mußte oft dazwischen treten und die Aufregung besänftigen. Der Unterricht hörte bald auf, und wir bemühten uns, einen jüdischen Soldaten, der in der Festung wohnte, als Lehrer zu engagieren. Aber leider wollte er auf unseren Vorschlag nicht eingehen.

Dieser jüdische Soldat, der uns vom Kapitän Sommer als ein Heiliger geschildert wurde, war eine so ungewöhnliche und interessante Erscheinung, daß ich von ihm etwas ausführlicher sprechen muß. Religiös, bescheiden, schweigsam und still führte er ein fast asketisches Leben. Sowohl seine Vorgesetzten wie auch seine Kameraden sprachen von ihm als von einem göttlichen Manne. Er wurde von allen mit besonderer Auszeichnung behandelt. Trotz der bevorzugten Behandlung, die er erfuhr, vernachlässigte er aber nie die Dienstpflichten, erschien stets pünktlich auf dem Exerzierplatz und war eifrig im Dienst. Die übrige Zeit verbrachte er über Taldmudfolianten gebückt, in seinem eigenen Kämmerchen, das ihm bewilligt worden war.

Seine Nahrung bestand in Schwarzbrot, »Kwas« (einem kohlensauren, alkoholfreien Getränk), Kartoffeln und Hering. Aus religiösen Gründen aß er nie aus dem gemeinsamen Kessel. Am Sabbath erhielt er Urlaub, nach der Stadt zu gehen, um dort einmal ordentlich zu essen.

Seine Talmudkenntnisse waren tief und bedeutend; und nicht selten saß mein Mann bei ihm, von dem niemand etwas Näheres wußte, der nie etwas von seiner Herkunft verraten wollte, in seinem winzigen, ungeheizten Stübchen und diskutierte mit ihm. Mein Mann zählte diese Stunden auf der einsamen Insel zu den interessantesten. Er kehrte von dort stets in guter Laune zurück und erzählte mir voll Bewunderung von diesem einsamen Menschen, der als Arkadius Petrow im Regiment bekannt war.

Den Unterricht meines Sohnes übernahm er nicht, er schlug unsere Bitte ab, mit der Begründung, daß es ihm zu viel Zeit rauben würde.

Es vergingen ein und ein halbes Jahr. Friedlich und angenehm floß unser Leben unter dem kalten und abgelegenen Himmelsstrich dahin.

Der Bau der Kaserne näherte sich seinem Ende, und mein Mann sah sich nach einer anderen Beschäftigung um.

Er ging nach St. Petersburg. Ich blieb wieder einmal allein mit den Kindern zurück – Es war Dezember – kurze, finstere Tage, welchen jene stürmischen nordischen Winternächte folgten. Es war eine traurige Zeit für mich!

Am Tage blieb mir nicht viel Zeit zum Nachdenken übrig. Da war ich beschäftigt mit der Wirtschaft und den Kindern. Aber in den Nächten, in den endlosen, einsamen Nächten lag ich stundenlang mit weitgeöffneten Augen und horchte auf das Sausen des Windes, auf das Heulen der hungrigen Wölfe, die der wilde Sturm widerstandslos von den festgefrorenen Ufern ins Meer jagte. Die Stimmen wurden mir inzwischen so vertraut, daß ich mit ihnen plauderte und ihnen mein Weh und Leid klagte – Und tausendstimmig kam die Antwort – Zuerst ein Gemurmel wie Klagen, Weinen und Stöhnen – so herzzerreißend, daß ich darüber mein eigenes Weh vergaß. Allmählich beruhigte sich die See und plötzlich entstiegen den Tiefen tausend lustige, fröhliche zarte Töne und erklangen durch die Lüfte wie silberne Glocken.

So ging die Zeit dahin. Endlich, nach einigen Wochen – wie ewig lang kann eine Woche sein! – kehrte mein Mann aus Petersburg froh und zufrieden zurück, denn er war dort in einem neubegründeten Bankhaus als Leiter angestellt worden. Wir blieben aber noch bis zur endgültigen Vollendung des Baues der Kaserne in der Festung Sweaborg.

Der Frühling kam.

Am dritten Tage des Peßach segnete mich Gott mit einer Tochter, die ich Sina nannte. Es waren schwere, schwere Stunden.

Die Kaserne wurde fertig; sie sollte von der Festungsbehörde übernommen werden. Zu diesem Zwecke kamen aus Petersburg die beiden Teilhaber des Unternehmens: Herr Hessin und Herr Klonski, ein älterer Herr, der meinen Mann nach guter, patriarchalischer Sitte mit »du« ansprach. Trotzdem mein Mann damals 35 Jahre zählte, nahm er keinen Anstoß an dieser ungezwungenen Anrede, denn der Respekt vor dem Alter war ihm in Fleisch und Blut übergegangen.

Heute wäre ein solches Benehmen einem jungen Menschen gegenüber fast ausgeschlossen. Ein Blick würde den freien »Alten« belehren, daß er den der Jugend gebührenden Respekt vergaß.

Mein Mann ging nach Petersburg. Wieder einmal blieb ich allein mit den Kindern, lange, unendlich lange, zehn Monate.

Während dieser Zeit wurde mein ältester Sohn Barmizwah. Er erhielt Tefilin, die er von nun an jeden Tag zum Beten anlegte. Sein Eifer im Lesen steigerte sich mehr und mehr, und ich mußte meine Zustimmung geben, daß er jeden Tag in der Konditorei der Stadt Zeitungen lesen durfte. Die Besucher dort waren immer verwundert, daß so ein kleiner Junge die russischen, deutschen und französischen Blätter so flink durchlesen konnte; er erzählte mir alle Neuigkeiten.

Und wieder einmal stand ich mit meinen Kindern reisefertig da. Wir bestiegen den Dampfer, der uns nach Petersburg bringen sollte, und machten es uns in der Kajüte bequem. Auf mein Verlangen wurde uns dort das Mittagessen serviert – es war eine üppige Mahlzeit, die wir aber nur halb genießen konnten, denn die Fleischspeisen, die ja nicht koscher waren, genoß ich nicht, und ein Blick von mir genügte, daß auch die Kinder sie unberührt ließen.

Wir waren 24 Stunden unterwegs und gelangten ermüdet nach Petersburg.

*Ein Hascher.
*Mondfinsternis.
*kein Trost.
*Soldatenaushebung.
*Seele.
*Gott.
*Kränkung.
*Soldatenbrot.
*Wollenzeug mit Leinen genäht.
*Sich entfernen, sich zurückhalten.
*Verordnungen.
*Wahl.
*Verzeihen.
*Sünden.
*Gottergeben.
*Die die Soldaten der Regierung abliefern.
*Der die Soldaten annimmt.
*Ohnmächtig werden.
*Tumult.
*Milch und Honig.
*Befehl.
*Befehlshaber.
*Fort, weg!
*Die hohen Festtage.
*Horn.
*Exil.