Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen

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II.1.3 Altnordisch

Im Altnordischen determiniert stets der suffixale Artikel das Substantiv, i.e. BW-Art. Diesem Muster folgen alle Belegstellen ausnahmslos; vgl.

(41) anord. 5.32.3


gripr-inn
Besitzstück.Subst.-das.Art.
Nom.Sg.m.
‚das Besitzstück‘

Insgesamt wird der Artikel in Kombination mit einem Substantiv allerdings nicht sehr frequent genutzt. Heusler (1967) schreibt, dass „… bestimmte und unbestimmte Formen […] oft gleichbedeutend durcheinander [gehen] …“.1 Bei Gattungsbegriffen, „…. Völker- und Gruppennamen, Titel[n], Ausdrücke[n] für ‚Erde, Himmel‘ u.ä., für Zeiten (Wochentage, Jahres- und Tageszeiten), Begriffe wie ‚Glaube, Gesetz, Allding‘ …“2 bleibt der Artikel in der Regel aus. Jedoch findet der enklitische Artikel Anwendung in Verbindung mit dem Vokativ sowie Eigennamen; vgl.

(42) anord. 9.40.4


em [handgenginn] Garðskonungi-num
sein.Verb im Dienste jmds. stehend.Adj. Kaiser von Byzanz.EN-der.Art.
1.Sg.Prs.Ind.Akt. Nom.Sg.m. Dat.Sg.m.
‚ich stehe im Dienste des Kaisers von Byzanz‘

Im Altnordischen wird also nur der enklitische Artikel mit einem Substantiv kombiniert. Dabei kann dieser individuell referieren; vgl.

(43) anord. 5.30.22, 7.33.26, 15.53.10


hesti-num
Hengst.Subst.-der.Art.
Dat.Sg.m.
‚dem Hengst‘

Der enklitische Artikel des Altnordischen kann auch generisch referieren; vgl.

(44) anord. 13.48.21


lið-in
Schar.Subst.-die.Art.
Nom.Pl.n.
‚die Scharen‘

Julien (2003) formuliert bzgl. der modernen skandinavischen Sprachen, dass bei generischer Lesart ein suffigierter Artikel optional ist. Liegt demgegenüber aber individuelle Referenz vor, dann ist er obligatorisch.3 Im Altnordischen ist der Artikel in keiner der beiden Konstellationen obligatorisch. Aber grundsätzlich kann er sowohl bei generischer als auch individueller Lesart vorkommen. Deiktische Referenz ist im Altnordischen ebenfalls möglich; vgl.

(45) anord. 14.51.9


kostr-inn
Geldmittel.Subst.-das.Art.
Nom.Sg.m.
‚das Geldmittel‘

Im Text wurden zuvor keine Geldmittel erwähnt, daher kann keine anaphorische Relation vorliegen, nur deiktische. Ferner kann anaphorische Referenz ebenso vorkommen; vgl. (43) oben und

(46) anord. 5.30.22, 15.53.6, 15.53.8


hest-inn
Hengst.Subst.-der.Art.
Akk.Sg.m.
‚den Hengst‘

(47) anord. 5.31.2, 5.31.3, 5.31.22, 5.31.24, 5.31.13


hestr-inn
Hengst.Subst.-der.Art.
Nom.Sg.m.
‚der Hengst‘

In der altnordischen Geschichte geht es um das Pferd Freyfaxi. Dabei wird das Nomen anord. hestr ‚Hengst‘ immer wieder aufgegriffen und durch den Artikel determiniert. Dies zeigt dem Leser an, dass es sich um einen zuvor erwähnten Referenten handelt.

Die modernen skandinavischen Sprachen haben den enklitischen Artikel bewahrt. Im Allgemeinen wird dort der enklitische Artikel an eine NP angefügt, wenn diese einen konkreten Diskurs-Referenten bezeichnet. Aber in den nord-nordöstlichen schwedischen Dialekten4 kann der suffixale Artikel auch an Substantive postponiert sein, die weder individuell sind, noch vom Hörer/Leser problemlos identifiziert werden können. Dabei handelt es sich gewöhnlich um Massennomina im Singular oder um zählbare Nomina im Plural. Dies kann auch im Altnordischen beobachtet werden. In (48) liegt ein Massennomen im Singular mit einem enklitischen Artikel vor; vgl.

(48) anord. 6.32.24, 15.52.11


fjár-ins
Vieh.Subst.-das.Art.
Gen.Sg.n.
‚des Viehs‘

Aber auch Massennomina im Plural mit suffixalem Artikel sind möglich; vgl. (44) oben. Ein Beispiel für ein zählbares Nomen im Plural ist (49); vgl.

(49) anord. 15.52.21


hross-in
Pferd.Subst.-das.Art.
Nom.Pl.n.
‚die Pferde‘

Plural- und Massennomina verfügen über eine kumulative Referenz. Laut Vangsnes (1999) trägt der enklitische Artikel in derartigen Fällen das Feature [Masse] neben den Merkmalen [Deixis] und [Totalität]. In anderen Worten, es ist dem enklitischen Artikel möglich, Massennomina und zählbare Pluralnomina zu determinieren, da er das Feature [Masse] besitzt.5

II.1.4 Armenisch

Im Armenischen alternieren die deiktischen Varianten des Artikels. Arm. -n fungiert als neutraler Artikel; vgl.

(17) arm. 3.2


z-harks-n
AkkM-Steuer.Subst.-die.Art.
Akk.Pl.
‚die Steuern‘

Daneben kann arm. -n auch anaphorisch referieren; vgl.


(50) arm. 30.1, 31.1 (51) arm. 32.3, 33.6 (52) arm. 31.3
tʿagawor-n z-tʿagawor-n tʿagawori-n
König.Subst.-der.Art. AkkM-König.Subst.-der.Art. König.Subst.-der.Art.
Nom.Sg. Akk.Sg. Dat.Sg.
‚der König‘ ‚den König‘ ‚dem König‘

Die drei Belegstellen kommen in unmittelbarer Nähe vor und beziehen sich alle auf den gleichen König. Zuvor wurde der ‚König der Armenier‘ erwähnt (vgl. (53) arm. 29.1 tʿagawor-n Hayocʿ ‚der König der Armenier‘), auf den die angeführten Beispiele anaphorisch referieren.

 

Durch die dem Artikel inhärente Deixis referieren arm. -s und -d stets individuell, da sie auf bestimmte Personen, i.e. erste bzw. zweite Person, verweisen; vgl.


(54) arm. 15.1 (16) arm. 11.3
bazkōkʿ-s gin-d
Arm.Subst.-derArt. Preis.Subst.-der.Art.
Instr.Pl. Akk.Sg.
‚der [mein] Arm‘ ‚den [deinen] Preis‘

Um generisch zu referieren, wird der Artikel arm. -n genutzt; vgl.

(55) arm. 34.2


z-azgatohm-n
AkkM-Nachkommenschaft.Subst.-die.Art.
Akk.Sg.
‚die Nachkommenschaft‘

Natürlich kann arm. -n ebenfalls einen individuellen Bezug herstellen; vgl.

(52) arm. 31.3


tʿagawori-n
König.Subst.-der.Art.
Dat.Sg.
‚dem König‘

Laut Müth (2011) wird der armenische Artikel nicht bei generischer Lesart verwendet.1 Besonders die Artikel arm. -s und -d erlauben aufgrund der inhärenten Deixis keine generische Lesart; vgl. die oben genannten Belege (54) und (16). Durch den Bezug zur ersten bzw. zweiten Person referieren Phrasen mit diesen Artikeln ausschließlich individuell. Daneben gibt es jedoch Beispiele mit arm. -n, die eine generische Interpretation zulassen; vgl.


(56) arm. 22.3 (57) arm. 4.8
kʿrmacʿ-n z-pitoɫs-n
Priester.Subst.-der.Art. AkkM-Bedürftiger.Subst.-der.Art.
Dat.Pl. Akk.Pl.
‚den Priestern‘ ‚den Bedürftigen‘

Beide Belege referieren auf Gruppen. Laut Müth (2011) kann der armenische Artikel nicht zur Referenz auf ethnische oder kategoriale Gruppen genutzt werden. Die Beispiele scheinen dem allerdings zu widersprechen, da hier kategoriale Gruppen denotiert werden. Müth (2011) stützt ihre Untersuchung auf das Neue Testament und findet ihre Hypothese dort bestätigt. Ihre Belegstellen zeigen auch, dass es nicht daher rührt, dass das armenische Neue Testament Übersetzungsliteratur ist. Während das Armenische dort auf Artikel bei generischer Referenz verzichtet, setzt das Griechische, das Müth (2011) zum Vergleich heranzieht, bei generischer Lesart konsequent den Artikel. Auch bei Agatʿangełos lassen sich Beispiele für die generische Lesart ohne Artikel anbringen; vgl.

(58) arm. 30.2


ǝst ōrinacʿ tʿagaworacʿ
gemäß.Präp. Art und Weise.Subst. König.Subst.
+ Dat. Dat.Sg. Gen.Pl.
‚gemäß der Art und Weise der Könige‘

Arm. tʿagaworacʿ ‚Könige‘ bezieht sich auf Herrscher generell und nicht auf einen Bestimmten, daher bleibt der Artikel aus. Dennoch kann man für Agatʿangełos nicht verallgemeinernd annehmen, dass der Artikel arm. -n nur bei individueller Lesart vorkommt. Für die Artikel arm. -s und -d hingegen lässt sich diese Regel postulieren.

Ferner schlägt Müth (2011) vor, das Vorkommen des armenischen Artikels im Bezug zum Akkusativmarker arm. z- zu untersuchen. Unter den monadischen DPn ohne weitere Attribute kann diesbezüglich bei Agatʿangełos keine Korrelation festgestellt werden, da nur wenige Kopfnomen einen Marker tragen; vgl.

Tabelle 2: Distribution der armenischen Marker in DPn mit Artikel


BW ohne z-/y- BW mit z- BW mit y-
24x 10x 1x

In der Tabelle wurde neben dem Akkusativmarker arm. z- auch der Ablativmarker arm. y- berücksichtigt. Die Beispiele zeigen, dass der Artikel stehen kann, wenn einer der Marker vorhanden ist, aber er kann ebenfalls stehen, wenn ein Marker fehlt; vgl.


(59) arm. 7.1 vs. (60) arm. 18.3
iracʿ-n y-iracʿ-n
Ding.Subst.-das.Art. Präp.-Ding.Subst.-das.Art.
Dat.Pl.
‚den Dingen‘ ‚den Dingen‘

Die Belegstellen (60) und (59) stimmen sogar im Kasus überein, der einzige Unterschied liegt darin, dass in (60) der Marker arm. y- erscheint. In den Beispielen (50), (51) und (52) oben liegen hingegen verschiedene Kasusformen vor.

Weder Akkusativ- noch Ablativ-Marker haben also Einfluss auf die Artikelsetzung oder die syntaktische Struktur der einfachen DP. In den Wortstellungsmustern wird daher nicht gesondert vermerkt, ob ein Marker vorliegt oder nicht, da es grundsätzlich möglich, aber nicht obligatorisch ist. Als Serialisierungsmuster wird resümierend für das Armenische BW-Art abstrahiert.

II.1.5 Zwischenfazit

Die Untersuchungssprachen weisen präponierte, freistehende sowie postponierte, enklitische Artikel auf. Das Griechische jedoch besitzt nur einen freistehenden Artikel. Dieser erscheint ausnahmslos vor dem Substantiv. Demgegenüber zeigt das Armenische einen suffixalen Artikel, der an das Bezugswort angefügt werden kann, aber nicht obligatorisch ist. Das Altnordische und das Albanische besitzen jeweils einen freistehenden sowie einen enklitischen Artikel. Während im Altnordischen ausschließlich der suffixale Artikel mit einem Kopfnomen vorkommt, kann im Albanischen in seltenen Fällen auch der freistehende Artikel vorkommen. Der enklitische Artikel des Albanischen determiniert vornehmlich. Die Verwendung des freistehenden Artikels als Definitheitsmarker hingegen ist restringiert auf alte Verwandtschafts- und Heiligennamen. Daneben verfügt das Albanische über einen Agreement-Marker, der zwar die gleiche morphologische Gestalt wie der Artikel hat, aber divergierende Funktionen. Der Marker fungiert bspw. als Wortbildungselement.

Das Serialisierungsmuster BW-Art gilt für das Albanische, Altnordische und Armenische. Im Albanischen können zudem auch die Wortstellungen Art+BW-Art sowie Art+BW vorkommen.

Der griechische und der altnordische Artikel sind nicht auf eine bestimmte referentielle Lesart festgelegt, d.h. sie treten gleichermaßen bei generischer, individueller, anaphorischer und deiktischer Referenz auf. Der enklitische Artikel des Albanischen dagegen wurde nur bei individueller Referenz festgestellt, wobei ggf. der freistehende Artikel zusätzlich gesetzt werden kann. Im Armenischen schließlich muss zwischen den Artikelvarianten differenziert werden. Individuelle Lesart ist bei allen drei Varianten möglich, doch bei generischer Referenz ist ausschließlich arm. -n in wenigen Fällen verwendbar. Zusätzlich kann arm.-n anaphorisch referieren.

Generell herrscht Kongruenz zwischen dem Substantiv und dem Artikel in einfachen DPn, zumindest im Griechischen und Altnordischen. Der Artikel des Armenischen ist unveränderlich, daher ist Kongruenz ausgeschlossen. Im Albanischen sprechen Grammatiken mitunter von der definiten Deklination, wenn der Artikel an ein Substantiv postponiert ist. Dies bedeutet nicht, dass der Wortkörper des Nomens undekliniert bleibt, wenn der Artikel auftritt. Hier wird der enklitische Artikel nicht als bestimmte Art der Flexion verstanden, sondern als determinierendes Morphem definiert. Ferner gibt es ein paar wenige Substantive wie alb. zot ‚Herr‘, die grundsätzlich keine Agreement-Markierungen haben. Um die Angabe der Kongruenz-Merkmale dennoch zu gewährleisten, erscheint der Agreement-Marker und übernimmt die vakante Funktion.

Abschließend ist festzuhalten, dass der freistehende Artikel des Griechischen sowie die enklitischen Artikel des Albanischen und des Altnordischen Phrasen als [+definit] kennzeichnen. Die Hauptfunktion des armenischen Artikels hingegen ist die inhärente Deixis. So unterscheiden die armenischen Artikel-Varianten zwischen Ich-, Du- und Dér-Deixis. Dieses Feature ermöglicht allerdings die Determination.

II.2 Belegstellen mit Artikel und substantiviertem Element

In diesem Kapitel werden keine Modifikatoren besprochen. Im Zentrum stehen substantivierte Elemente, die als Kopfelemente einer DP fungieren und in dieser Form durch einen Artikel determiniert werden. Da diese Phrasen strukturell große Ähnlichkeit zu den DPn aus Artikel+Substantiv zeigen, folgt ihre Untersuchung direkt im Anschluss.

Laut Giannakidou/Stavrou (1999) haben Substantivierungen eine feste Interpretation. Es handelt sich um Phrasen, die entweder konkrete oder abstrakte Inhalte transportieren. Des Weiteren können sowohl belebte als auch unbelebte Objekte substantiviert werden.1 Dies unterstreicht, dass substantivierte Elemente wie Substantive zu behandeln sind.

Die Substantivierung ist ein Wortbildungsprozess, bei dem ein Kategoriewechsel erfolgt. Die Zielkategorie ist stets ein Nomen. Der Begriff Nominalisierung wird synonym verwendet, da dieser Terminus ebenfalls die Ableitung von Nomen aus anderen Kategorien beschreibt. Bei Bodomo (2004) heißt es, dass bei Nominalisierungen das Endprodukt immer ein Nomen ist und der Ausgangspunkt eine Verbalform oder Adjektiv sein kann.2 In den Untersuchungssprachen kommen substantivierte Adjektive, Verbalformen und Numeralia vor. Die Zahlwörter werden jedoch erst in Kapitel II.9 besprochen, da sie nach Bodomo (2004) kein typischer Ausgangspunkt für Nominalisierungen sind. Phrasen aus Artikel und Numerale könnten auch als elliptische Phrasen interpretiert werden.

 

Da Adjektive in der Regel „… die gleichen morphosyntaktischen Merkmale wie die Nominalflexion …“3 aufweisen, ist ihre Substantivierung unproblematisch. Schließlich implizieren sie bereits die Eigenschaften, über die Nomina verfügen. Verbalformen hingegen besitzen divergierende morphosyntaktische Eigenschaften. Durch den Übergang in die Kategorie Nomen erhalten die Verbalformen erst nominale Merkmale. Wobei speziell Infinitive den Substantiven vergleichbare Merkmale haben und sie somit den deverbalen Nomina nahe stehen.4

Nominalisierungen nehmen Satzgliedfunktion ein und können durch Modifikatoren und Komplemente spezifiziert werden. Von „klassischen“ Nominalphrasen unterscheiden sie sich lediglich darin, dass ihnen ein Substantiv fehlt. Die Abwesenheit eines regierenden Nomens ist ein entscheidendes Merkmal einer substantivierten Phrase.

Ferner ist anzumerken, dass lexikalisierte Bildungen hier nicht besprochen werden. Lexikalisiert bedeutet, dass die jeweiligen Wörter im Lexikon zu finden sind und der Leser keine Denkleistung einbringen muss, i.e. keine offensichtliche Ableitung mehr zu erkennen ist. Diesen Lexemen gehen häufig Substantivierungen voraus; vgl.

(61) gr. 2.4.23


οἱ φυλλάτοντες
der.Art. Wächter.Subst.
Nom.Pl.m. Nom.Pl.m.
‚die Wächter‘

Das Nomen in (61) ist ursprünglich ein substantiviertes Partizip zu gr. φυλλάσσω bzw. att. φυλλάττω ‚(be)wachen‘. Doch Nominalisierungen werden nicht automatisch lexikalisiert. Die Bildung von Substantiven ist allerdings nicht Gegenstand dieser Untersuchung, sondern das Verhalten des Artikels. Dieses Kapitel konzentriert sich also auf substantivierte Elemente, die nicht lexikalisiert sind. Lexikalisierungen werden nur am Rande besprochen, wenn anhand dessen eine Erkenntnis über den Artikel oder Besonderheiten der jeweiligen Sprachen dadurch zum Vorschein kommen.