Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen

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I.5 Erläuterungen zu grundlegenden sprachlichen Konzepten

Eine Untersuchung des bestimmten Artikels muss die Kategorie der Definitheit in besonderem Maße einbeziehen, da dies ein wichtiges Merkmal eines Artikels ist. Daher ist zunächst zu erläutern, wie dieses Konzept in der vorliegenden Arbeit klassifiziert wird. Im Allgemeinen bedeutet Definitheit, dass sprachliche Elemente auf spezifische und identifizierbare Entitäten verweisen. Schon diese knappe Definition macht deutlich, dass Definitheit in verschiedene Unterscheidungsbereiche gegliedert werden kann, u.a. in Referenz, Deixis und Beschreibung durch Identifizierbarkeit. Einerseits wird das Bezeichnete durch den sprachlichen Ausdruck beschrieben und so für einen Hörer oder Leser zuordenbar.1 Andererseits zeigt die Phrase sprachlich auf das Genannte, was durch die Konzepte Referenz und Deixis grammatisch ausgedrückt wird.

Das Konzept der Deixis interagiert zwar mit Definitheit, ist aber weitaus komplexer. Artikel sind in der Regel schwache Deiktika, doch der armenische Artikel gilt als stark deiktisch und reflektiert ein ausgebautes deiktisches System, das sich durch eine Dreiteilung auszeichnet, die sowohl in der personalen als auch in der objektalen Dimension operiert. Aus diesem Grund ist das Kapitel in zwei Unterabschnitte gegliedert, die die Grundlagen einerseits zur Definitheit und andererseits zur Deixis einführend darlegen.

I.5.1 Zur Definitheit und Referenz

Definitheit1 ist die grammatische Kennzeichnung einer Entität als bekannt, wodurch sie in der Welt des Sprechers lokalisierbar wird. Der Terminus definit bedeutet ‚begrenzt‘, d.h. ein definiter Ausdruck sorgt dafür, dass das Bezeichnete durch eine sprachliche Eingrenzung für den Hörer oder Leser konkret bestimmbar wird. Somit referiert das sprachliche Element auf die außersprachliche Welt des Sprechers und Hörers. Dieses Phänomen nennt sich Referenz und wird mit Blühdorn (1995) wie folgt definiert: Sie ist ein „… irgendwie geartete[r] Bezug sprachlicher Zeichen auf Bestandteile der Außenwelt …“.2 Das so Bezeichnete wird Referent genannt. In einem nominalen Ausdruck, der sich aus einem Artikel und einem Nomen zusammensetzt, benennt das regierende Nomen einen Gegenstand oder Zustand etc. in der Welt des Sprechers und der Artikel deutet in dessen Richtung.

Erfolgreiches Referieren „… hängt vom Grad der Bekanntschaft zwischen Sprecher und Hörer, von ihrem Vorwissen, auch vom situativen Kontext (z.B. davon, was vorher Gesprächsthema war) ab. …“3 Das gemeinsame Wissen zwischen Sprecher und Hörer ist also in jeder sprachlichen Handlung entscheidend. Dabei erfüllt der Artikel eine koordinative Aufgabe, denn der Artikel liefert „… Hinweise auf die Art des Wissens, das zur Referentenbestimmung erforderlich ist. …“4 Ein referentieller Ausdruck ist in der Regel eine Phrase oder ein Satz, einzelne Wörter verfügen nur selten über diese Funktion. So macht ein Artikel aus einem Substantiv erst einen referierenden Ausdruck.

Wird eine referentielle Phrase zusätzlich als definit markiert, dann handelt es sich um etwas, das entweder zuvor bereits erwähnt wurde oder für die Gesprächsteilnehmer allgemein bekannt sein dürfte. Der Referent der Phrase kann somit vom Hörer eindeutig identifiziert und zugeordnet werden. Ein definiter, referentieller Ausdruck verweist nicht nur sprachlich in die Richtung des Bezeichneten, sondern es handelt sich um etwas ganz konkret Bestimmbares. Das sprachliche Herausgreifen einer spezifischen Entität aus einer beliebigen Menge an möglichen Referenten wird semantische Determination genannt.

Darüber hinaus besitzt Determination auch eine morphologisch-syntaktische Seite. Determination etabliert eine Relation zwischen dem Nomen und der Kategorie D, i.e. setzt NP und DP in einen Bezug. In der DP werden Definitheitsmarker erzeugt, die den funktionalen Kern der Phrase bilden, dessen Aufgabe es ist, die AGR-Merkmale der Phrase auszulösen. Zudem selegiert die DP das jeweilige Nomen und erscheint mit diesem kongruent, wenn es sich um eine Sprache handelt, in der Determinantien flektieren. Ferner ist es sprachspezifisch, ob Definitheit phonologisch oder morphologisch realisiert wird.

In der Regel fungiert ein definiter Artikel als default-Definitheitsmarker. Definitheitsmarkierung ist zwar die Hauptfunktion eines bestimmten Artikels, ist aber nicht allein auf diese grammatische Kategorie beschränkt, denn Pronomina oder attributive Elemente können ebenfalls zur Determination eingesetzt werden. So erhält bspw. ein Nomen, das durch ein Possessivpronomen oder ein Genitivattribut spezifiziert wird, einen gewissen Grad an Definitheit. Nomina, die durch weitere Elemente näher bestimmt werden, so dass ihre Referenz stärker markiert wird, werden also auch in gewisser Weise als [+definit] markiert. Gerade in alten Sprachen ist diese Überlegung wichtig, da diese einen Artikel, der in erster Linie Definitheit darlegt, erst ausbilden oder noch nicht besitzen. Dennoch sind diese Sprachen auch in der Lage Definitheit auszudrücken. Eine Phrase ist immer dann definit, wenn der Hörer/Leser einen passenden Referenten ermitteln kann, sei es durch Weltwissen oder durch spezifizierende Elemente.

Ferner ist für artikellose Sprachen, wie bspw. Latein, Löbels (1990) Vorschlag interessant. Demnach ist Definitheit in artikellosen Sprachen den Nomina inhärent. In ihrem Lexikoneintrag ist das Merkmal [+determiniert] verankert. Der Ausgangspunkt für diese Annahme ist das Beispiel lat. cani, das „… sowohl als ‚dem Hund‘ (d.h. definit) als auch als ‚einem Hund‘ (d.h. indefinit) interpretierbar [ist] …“.5 Die Interpretation von definit oder indefinit ist folglich kontextabhängig. Nur wenn ein Nomen nicht inhärent [+determiniert] ist, muss ein Marker genutzt werden, um Definitheit zu markieren. Pérennec (1993) kritisiert allerdings an Löbels Vorschlag, dass „… [d]ie kontextuellen Einwirkungen […] bei diesem Modell nicht berücksichtigt werden […] können. …“6 Dies ist ein Problem, denn ist ein Wort als [+determiniert] im Lexikon verankert, scheint es nicht möglich, es ohne Weiteres als indeterminiert zu interpretieren. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich jedoch auf Definitheit in Phrasen aus bestimmtem Artikel und Bezugswort, d.h. das grammatische Konzept wird vorrangig im Hinblick auf die zu analysierende Klasse respiziert. Definitheit in artikellosen Sprachen wird hier nicht weiter berücksichtigt.

I.5.2 Zum Konzept der Deixis

Deixis bedeutet sprachliches Zeigen. Sprachliche Ausdrücke, die eine weisende Funktion haben, werden Deiktika genannt. Deiktische Morpheme verweisen auf außersprachliche Elemente, sogenannte Referenten oder Denotate1, und setzen diese in einen Bezug zum Sprecher. Jeder Sprecher ordnet die Welt aus seiner Sicht und „… [überträgt] seine Perspektive in die Sprache […] …“.2 Dieser subjektive Ausgangspunkt, der stets reflexiv wirkt, heißt Origo. Die Origo wird durch die Position des Sprechers im Raum-Zeit-Gefüge definiert, d.h. sie ist für jeden Sprecher individuell. In Blühdorns (1995) Worten ist die Origo der unmarkierte Nullpunkt, d.h., man kann sich die Origo als Nullpunkt in einem Koordinatensystem vorstellen, von dem aus die Welt und die bezeichneten Denotate geordnet und beschrieben werden.3 Aber Deixis gibt nie einen exakten Ort an, sie weist nur in Richtung des Denotats. Dabei kann sie unterschiedliche Entfernungsstufen markieren. In der Theorie der Deixis spricht man von origoinklusiv und origoexklusiv. Ein Referent in der Nähe der Origo ist origoinklusiv, während ein entferntes Denotat origoexklusiv ist.

Ferner wird das Konzept Deixis in verschiedene Dimensionen untergliedert, z.B. in personale oder objektale.4 Anhand der Kategorie Dimension werden die Eigenschaften des Referenten beschrieben. Die personale Dimension kennzeichnet die Kommunikationsrollen Sprecher und Hörer, d.h. die personale Dimension schließt nur die erste und zweite Person ein. Die dritte Person dagegen wird der objektalen Dimension zugewiesen. Diese bestimmt alle denotierbaren Elemente, die keine Kommunikationsrolle besitzen. Laut Diewald (1991) sind in dieser Gruppe, neben dem Personalpronomen der dritten Person, die Demonstrativpronomina sowie der definite Artikel versammelt. Ihnen ist gemeinsam, dass sie (im Gegensatz zu den Personalpronomen der ersten und zweiten Person) Genus unterscheiden und „… einen echten […], nicht nur einen morphologischen Plural auf[weisen]. …“5 Festzuhalten ist, dass die objektale Dimension keine Gesprächspartner denotiert, sondern nur auf Referenten, die nicht aktiv an einer Kommunikationssituation teilnehmen, verweist.

Deixis ist immer reflexiv. Es gehört zu den Aufgaben der Deiktika, diese Relation zu gewährleisten. Es gibt schwache und starke Deiktika. Bei den erstgenannten ist die reflexive Funktion nur schwach ausgebildet, da das Deiktikon keine Suchanweisung nach einem Rückbezugselement vermittelt, d.h. der Rückbezug zur Origo ist defektiv bzw. unvollständig. Der deutsche Artikel, der den schwachen Deiktika zugeordnet wird, verdeutlicht dies gut. In dt. der Hund wird durch den Artikel auf einen bestimmten Hund referiert, aber die Phrase enthält keinen Hinweis auf die Origo. Heißt es aber dt. der Hund hier, wird eine Origo offenbar, d.h. der Hörer muss einen Rückbezug zum Sprecher herstellen. Dt. hier ist also ein starkes Deiktikon. Starke Deiktika können erfragt werden (vgl. dt. Wo ist der Hund?Hier.).

Ferner können Deiktika nach Entfernungsstufen gegliedert werden. So setzt Brugmann (1904) vier Entfernungsstufen an. Diese heißen Dér-Deixis, Ich-Deixis, Du-Deixis und Jener-Deixis.6 Die Dér-Deixis markiert eine kurze/kleine Entfernung. Sie ist diejenige Zeigart, die am häufigsten in den Einzelsprachen anzutreffen ist. Sie steht im Gegensatz zur Ich-Deixis, in der der Sprecher von sich selbst bzw. von Dingen in direktem Bezug zu sich selbst spricht. Dadurch ist die Ich-Deixis in der Zeit, in der sich der Sprecher befindet, verankert. Sowohl Dér- als auch Ich-Deixis stehen, laut Brugmann (1904), der Opposition von Nähe und Ferne gleichgültig gegenüber. Später in seinem Werk schreibt Brugmann (1904) jedoch, dass sich mit der Ich-Deixis „… leicht der Begriff des Nahen …“7 verbinden lässt. Hier wird angenommen, dass Ich-Deixis Nähe impliziert, da sie nur auf Elemente referiert, die entweder lokal betrachtet nah zum Sprecher liegen, sich also in seinem Sichtfeld befinden, oder auf Umstände, die den Sprecher direkt betreffen. Zugleich kann eine Opposition von Nähe und Ferne der Theorie der Deixis nur inhärent sein, wenn es verschiedene Zeigarten gibt, die auf unterschiedliche Distanzstufen referieren. Du-Deixis ist eine Unterart der Dér-Deixis. Gleichzeitig ist sie das Pendant zur Ich-Deixis, d.h. sie tritt nur in Sprachen auf, die auch Ich-Deixis kennen. Jener-Deixis schließlich verweist auf etwas entfernt Liegendes, stellt also Ferndeixis dar. Dabei gehen räumliche und zeitliche Distanz Hand in Hand. So kann der Verweis auf etwas Entferntes sowohl etwas in der räumlichen Ausdehnung entferntes sein, aber auch etwas, das in der Zeit weit zurückliegt. Als Grundbedeutung gibt Brugmann (1904) „… ‚der übernächste, der vorletzte, vorvorige‘ …“8 an. Dabei kann diese Art der Deixis auch anaphorische Verwendung finden. Eine Gemeinsamkeit der Dér- und der Jener-Deixis ist, dass sie auf Personen im Sinne von „der Bekannte“ verweisen können. Die betreffende Person muss allerdings allgemein bekannt sein.

 

Da sich die vorliegende Arbeit mit überlieferten Texten beschäftigt, erfolgt ein kurzer Verweis auf die Textdeixis. Ehlich (1983) macht darauf aufmerksam, dass sich die Kommunikationssituation bei Texten ändert. So schreibt er, dass es zwei verschiedene Situationen in der „Sprechhandlung“ gibt. Zunächst findet eine Sprechhandlung statt, in der der Text niedergeschrieben wird, aber zu diesem Zeitpunkt ist kein Kommunikationspartner vorhanden. Ehlich (1983) nennt das „… Situationen der Sprechhandlung ohne den End-Adressaten …“.9 Später, wenn der Text gelesen wird, ist der End-Adressat zur Stelle, aber der Produzent, i.e. der Schreiber, ist abwesend. Nach Ehlich (1983) ist das „… eine zweite Sprechsituation ohne den ursprünglichen Sprecher …“.10 Die Kommunikationssituation ist in Texten also verschoben. In dem untersuchten Material trifft dies zu, da sich der heutige Leser in der zweiten Situation befindet. Die Autoren der Texte setzen natürlich entsprechendes Welt- und Allgemeinwissen des Lesers voraus. Allerdings unterscheidet sich dies erheblich bei einem heutigen Leser im Gegensatz zu einem Leser zur Zeit der jeweiligen Werke. Ein heutiger Rezipient der Texte muss sich mitunter erst Hintergrundwissen aneignen, bevor er jeden Verweis in den Werken versteht.

Deiktische Verweise in Texten sollen dem Leser, ebenso wie in einer Gesprächssituation, bei der Orientierung helfen. Sie können Relationen zwischen Phrasen innerhalb des Textes, aber auch zwischen verschiedenen Texten herstellen. Matrëngas Werk bspw. ist ein Katechismus, der mitunter Bezug nimmt auf bestimmte Gebete, die im christlichen Glauben verankert sind. Matrënga geht somit davon aus, dass sein Leser diese kennt, d.h. er referiert auf andere Texte.

Bei der Rezeption von Texten liegt zwar keine Kommunikationssituation wie in einem Gespräch vor, dennoch spielen Deiktika eine wichtige Rolle. Speziell der Artikel ist ein vielseitiges deiktisches Mittel, das im Folgenden im Detail untersucht wird.

I.6 Der Artikel in den Untersuchungssprachen

Um den Artikel adäquat untersuchen zu können, muss zunächst eine Arbeitsdefinition formuliert werden, die im Laufe der Analyse spezifiziert werden kann.1 Daher werden in diesem Kapitel zunächst die grundlegenden Merkmale der Kategorie Artikel vorgestellt und beschrieben. Diese reichen von semantischen bis hin zu pragmatischen Aspekten, wobei letztere in der allgemeinen Darstellung zwar berücksichtigt, aber in der anschließenden Analyse vernachlässigt werden, da dort grammatische und syntaktische Eigenschaften im Fokus stehen.

Nach der sprachübergreifenden Darstellung des Artikels erfolgt die Erläuterung der einzelsprachlichen Artikeltypen. Diese konzentriert sich bereits vorrangig auf grammatische Eigenschaften und Funktionen des jeweiligen Artikels in der entsprechenden Untersuchungssprache. Spezielle Merkmale, die nicht zu den gut untersuchten Funktionen der Artikel zählen, werden teils erst im Verlauf der Arbeit anhand entsprechender Belegstellen herausgearbeitet. Hier geht es darum einen Überblick zu vermitteln.

Zudem wird an dieser Stelle zunächst angenommen, dass die fraglichen Morpheme alle Artikel sind. Ob dies wirklich zutrifft und alle Artikeltypen der Untersuchungssprachen tatsächlich als Artikel und somit als Determinantien klassifiziert werden können, wird im Kapitel II erforscht.

I.6.1 Zur Kategorie Artikel allgemein

Der Terminus Artikel leitet sich von dem lateinischen Wort articulus her und bedeutet ‚Gelenkchen‘. Der lateinische Ausdruck ist eine „Übersetzung“ des griechischen grammatischen Begriffs gr. ἄρθρον ‚Glied, Gelenk‘, der schon seit dem 4. Jh. v. Chr. im Gebrauch ist. Im Allgemeinen wird der Artikel als Begleiter des Nomens beschrieben. Ein Artikel kann als freies oder gebundenes Morphem auftreten. Dabei ist er immer phonologisch sowie morphologisch abhängig vom Kopfnomen, d.h. er kann nicht ohne Bezugselement stehen.

Die Kategorie Artikel gliedert sich in definiten, indefiniten und Nullartikel. Der Nullartikel ist in der Oberflächenstruktur der Sprache nicht zu sehen, dennoch modifiziert er eine Phrase. Das bedeutet, auch wenn in einer nominalen Phrase kein Artikel zu sehen ist, wird mitunter angenommen, dass ein Nullartikel vorhanden ist und z.B. Kasusmarkierung auslöst. Allerdings ist der Nullartikel umstritten. Während Engel (2004) bspw. den Nullartikel befürwortet1, sprechen andere Forscher stattdessen von Artikellosigkeit. Pérennec (1993) fasst dies im Bezug auf den Artikel in Texten wie folgt zusammen:

„… Auf der Ebene des Textes aber kann nur von einer Opposition zwischen Artikelsetzung und Artikellosigkeit die Rede sein, wobei Artikellosigkeit nicht mit einem Nullzeichen gleichgesetzt wird, sondern die Entbehrlichkeit jedes expliziten Determinans anzeigt. …“2

Für die vorliegende Arbeit ist das Vorkommen des Artikels innerhalb von Texten von vorrangigem Interesse, da von den alten Sprachen natürlich keine gesprochenen Zeugnisse existieren. Aufgrund des Fokus der Untersuchung kann hier nicht entschieden werden, ob die Annahme eines Nullartikels sinnvoll ist oder nicht. Ich gehe von Pérennecs (1993) eben genanntem Fazit aus und bespreche den Nullartikel nicht weiter.3

Ferner herrscht in den Grammatiken der deutschen Sprache Uneinigkeit darüber, wie der Artikel einzuordnen ist. Einige Forscher sprechen von Artikelwörtern, wozu neben dem Artikel auch Possessiva zählen. Per definitionem darf aber maximal ein Artikelwort vor einem Nomen stehen.4 Doch in einigen Sprachen können Possessivpronomina mit einem bestimmten Artikel in einer Phrase vorkommen, d.h. sie teilen das gleiche Kopfnomen. Daher wird die Klassifikation Artikelwörter abgelehnt. Engel (2004) nimmt eine Klasse Determinative an. Ein Determinativ ist ein „… obligatorischer Satellit des Nomens …“.5 Diese Kategorie umfasst neben dem Artikel auch Possessiva, Demonstrativa/Definita, Indefinita, Negativa und Interrogativa. Noch weiter gefasst ist der Begriff Determinierer6 oder Determinator.7 Neben Artikel und Pronomina werden auch quantifizierende Elemente in diese Klasse gerechnet. In dieser Untersuchung werden Pronomina jedoch als deklinierbare Wörter, die in der Regel anstelle einer Nominalgruppe auftreten, verstanden. Ein Artikel kann demgegenüber nicht ohne ein Bezugswort stehen. Zudem kann ein Artikel ein flektierendes oder invariables Morphem sein. Somit wird von einer Zuordnung des Artikels zu den Pronomina abgesehen. Quantifizierer übernehmen eine gänzlich andere Funktion als Artikel. Sie dienen der Mengen- und Größenangabe, während der bestimmte Artikel vorrangig Definitheit markiert. So wird weder mit der Kategorie Determinativ noch mit der Klasse Determinierer gearbeitet, da beide zu unscharf definiert sind. Denn dann, wie Vater (1979) erläutert, müssten auch Adjektive in die Klasse der Determinative eingeordnet werden. Schließlich sind sie ebenfalls verbindliche Begleiter von Nomina und bestimmen diese näher.8 Diese Kritik kann auch am Begriff Determinierer vorgenommen werden.

In dieser Arbeit ist der definite Artikel als Determinans klassifiziert. Ein Determinans wird als funktionales Element definiert, das die Komplement-NP beeinflusst (vgl. Kap. I.4.2). Zu dieser Kategorie zählen neben dem Artikel auch Demonstrativa. Determinantien können sowohl transitiv als auch intransitiv sein. Wenn sie transitiv sind, haben sie ein nominales Komplement. Erscheinen sie aber intransitiv, dann weisen sie kein Komplement auf, sondern sind pronominal. Possessiva gehören nicht in diese Kategorie, da sie in der Funktion als Pro-Form einen Genitiv substituieren können, d.h. sie anaphorisieren. In dt. sein Bleistift ersetzt das Possessivum dt. sein z.B. einen Eigennamen im Genitiv, wie dt. Peters Bleistift. Auch Olsen (1991) ordnet die Possessiva nicht den Determinantien zu. Sie schreibt: „… Possession ist eine zweistellige Relation, die zwischen einem Besitzer und einem zweiten Objekt besteht. …“9 Wenn ein Possessivum den Platz des Determinans einnehmen würde, könnte es diese zweistellige Relation nicht mehr deutlich ausdrücken. Die Possessiva können schon allein aus dem Grund nicht zu den Determinantien gerechnet werden, weil sie in einigen Sprachen gleichzeitig mit einem Determinans auftreten können. Schließlich lässt die Struktur der Determinansphrase nur jeweils ein Determinans zu.

Während das Nomen das lexikalische Material stellt, ist ein Artikel semantisch leer. Er besitzt keinen deskriptiven Inhalt, sondern ist ein grammatisches Mittel, das der Determination dient, i.e. er ist ein funktionales Element. Ein bestimmter Artikel hat die Aufgabe, eine Nominalphrase als [+definit] zu markieren, d.h. im Falle des Artikels, dass das Nomen, das er begleitet, für etwas Konkretes steht (vgl. Kap. I.5.1). Der Artikel erfüllt demnach die Funktion, Bekanntes gegen Unbekanntes abzugrenzen, oder in anderen Worten: Identifizierbarkeit gegenüber Unidentifizierbarkeit auszudrücken. Wird ein Element als bekannt markiert, dann handelt es sich um etwas, das entweder bereits erwähnt wurde oder allgemein bekannt sein dürfte.10

Definitheit zeigt also an, „… dass der Referent eindeutig (direkt oder indirekt) identifizierbar ist …“11, was die Einzigartigkeit des Bezeichneten impliziert. So grenzt der Artikel einen festgelegten Teil aus einer größeren Menge ab. Die Markierung indefinit dagegen wird verwendet, wenn es sich um ein „… beliebiges Element einer Menge …“12 handelt. Die Phrase dt. ein Haus besagt bspw., dass es sich in der jeweiligen Kommunikationssituation um irgendein Haus handelt (dt. Haus ist also als unbekannt markiert), während die Phrase dt. das Haus ein bestimmtes Haus meint. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Wissen, das Sprecher und Hörer miteinander teilen. Ein Sprecher wird den Definitartikel nur dann wählen, wenn er davon ausgeht, dass der Hörer weiß, worum es sich handelt, bzw. ist der Hörer angehalten, eine Determinansphrase mit definitem Artikel anders zu deuten als eine Phrase mit indefinitem Artikel. Hierfür muss vorausgesetzt sein, dass Hörer und Sprecher über gemeinsames Weltwissen bzgl. der jeweiligen Bestandteile der Phrase verfügen.

In einem Text kann die Verwendung eines definiten Artikels eine Anweisung sein „… im umgebenden Text nach Bezugselementen zu suchen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Textdeixis. …“13 Der Artikel besitzt also auch weisende bzw. zeigende Eigenschaften, i.e. ein Artikel ist schwach deiktisch. Die Deixis erfüllt die Aufgabe, Beziehungen zwischen Objekten herzustellen. Da die zeigende Funktion nicht so stark ausgeprägt ist wie bei einem Demonstrativpronomen, wird hier zwischen starker und schwacher Deixis unterschieden.

Des Weiteren etabliert ein bestimmter Artikel eine referentielle Relation, d.h. durch die Kombination des Artikels mit einem Bezugswort wird sprachlich auf nichtsprachliche Elemente, die in der Welt des Sprechers existieren, verwiesen. Diese Elemente können durch einen Leser oder Hörer eindeutig identifiziert werden. Dabei erfüllt der Artikel eine koordinative Aufgabe, da er der Ermittlung des korrekten Referenten dienlich ist. Der definite Artikel verfügt also über das Merkmal [+referenzfähig]. Referenz wird in der Regel immer durch eine Phrase ausgedrückt, nur selten durch eine einzelne Konstituente. Der bestimmte Artikel macht demnach aus einem Nomen eine referentielle Einheit, wobei durch Definitheit der Phrase eine eindeutige Referenzbeziehung etabliert wird.

 

Hawkins (1978) differenziert verschiedene Typen referentieller Verwendungen des definiten Artikels.14 Ein bestimmter Artikel kann anaphorisch operieren, d.h. er ist als Anweisung an den Hörer/Leser, im vorausgegangenen Kontext nach einem passenden Referenten zu suchen, zu interpretieren. Der Referent wurde demnach kürzlich erwähnt und ein anaphorisch verwendeter Artikel verweist auf diesen, i.e. etabliert eine referentielle Relation und markiert die Einzigartigkeit des Denotats. Die zweite Verwendung des definiten Artikels nennt Hawkins (1978) the visible situation use. Hierbei muss die Einzigartigkeit des Benannten gegeben sein, d.h. Sprecher und Hörer können den richtigen Referenten eindeutig identifizieren. In diesem Sinne gilt der Referent als sichtbar für Hörer und Sprecher. Davon unterscheidet Hawkins the immediate situation use. Hierbei muss das Denotat in der unmittelbaren Kommunikationssituation existieren, jedoch nicht zwangsweise für Sprecher und Hörer sichtbar sein. In einer konkreten Kommunikationssituation kann der Sprecher bspw. auf einen Gegenstand, der nicht im direkten Sichtfeld der Kommunikationspartner ist, erfolgreich verweisen, wenn beide Gesprächsteilnehmer von der Existenz des Objekts wissen. Eine weitere Verwendung des definiten Artikels beschreibt Hawkins (1978) als larger situation use. Hierbei referiert der Artikel auf Denotate in größeren oder umfangreicheren Situationen. Damit ist gemeint, dass der Referent nicht in der unmittelbaren Kommunikationssituation anwesend oder sichtbar ist. Es kann sprachlich auf Konzepte, Begriffe, Gegenstände etc. Bezug genommen werden, die im Weltwissen der Gesprächsteilnehmer verankert sind. Voraussetzung ist, dass Sprecher und Hörer beide über das entsprechende Wissen verfügen und der Hörer den richtigen Referenten lokalisieren bzw. zuordnen kann.

Die bisher vorgestellten referentiellen Verwendungen des definiten Artikels beziehen sich vorrangig auf tatsächliche Gesprächssituationen, selten auf Texte. In textueller Kommunikation spricht Hawkins (1978) von einer assoziativen anaphorischen Verwendung des Artikels, welche die häufigste ist. Hierbei kann eine Phrase ein komplexes Set an daraus folgenden Assoziationen des Sprechers etablieren. Ist die Rede bspw. von einem Haus, kann der Sprecher/Autor im folgenden definite Phrasen wie die Fenster oder das Dach verwenden, ohne sie vorher einführen zu müssen, da dem Hörer/Leser klar ist, dass diese zu dem genannten Haus gehören. Ein sprachlicher Ausdruck kann somit die Verwendung weiterer definiter Phrasen gewährleisten, wobei auch hier der Sprecher/Autor und der Hörer/Leser über gemeinsames Weltwissen verfügen müssen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des Artikels ist the unfamiliar use. Hierbei ist die Verwendung des Artikels weder situationsabhängig noch assoziativ angelegt, sondern der Artikel führt einen bisher nicht genannten Referenten ein, der in der Regel durch attributive Elemente, z.B. einen Relativsatz oder ein Genitivattribut, so spezifiziert wird, dass die Phrase als [+definit] interpretiert werden kann. Die Verwendungen des Artikels bei Hawkins beziehen sich auf Anwendung in Kommunikationssituationen, d.h. sein Ansatz ist pragmatisch orientiert.15 Hawkins’ (1978) Darstellung der Verwendung des definiten Artikels unterstreicht insgesamt, dass die Verwendung eines definiten Artikels immer eine Suchanweisung nach dem passenden, einzigartigen Referenten ist, was die referentielle Hauptfunktion eines definiten Artikels beschreibt. Insgesamt muss stets Eindeutigkeit des Denotats und dessen korrekte Zuordnung möglich sein, i.e. der Referent muss identifizierbar und lokalisierbar sein, wenn anhand des definiten Artikels in Kommunikations-situationen, d.h. in Gesprächen ebenso wie in Texten, erfolgreich referiert werden soll.

Semantische Determination ist als Abgrenzung zu verstehen, wobei ein konkreter Referent von anderen möglichen Denotaten unterschieden wird. Dennoch liegt die Funktion eines Artikels nicht nur vorrangig in der semantischen Determination. So weist Bisle-Müller (1991) bspw. darauf hin, dass der definite Artikel nicht vordergründig der Hervorhebung dient, „… sondern [er] wird gerade da verwendet, wo auf selbstverständliche Weise definit referiert wird. …“16 Dies mag in erster Linie für das Deutsche zutreffen, da man hier die Verwendung des definiten und indefiniten Artikels als selbstverständlich auffassen kann. Aber in den alten Sprachen existiert noch kein indefiniter Artikel und auch der definite Artikel ist im definiten Kontext noch nicht obligatorisch. Nach der DP-Analyse ist die wichtigste Eigenschaft der Kategorie D, den Kasus der NP auszulösen. Ein Determinans ist ein funktionales Element, d.h. es ist für die grammatischen Merkmale der Nominalphrase verantwortlich. Dazu zählen Lizenzierung von Spezifizierern und Markierung der Kongruenzmerkmale. Mit Lizenzierung eines Spezifizierers ist gemeint, dass D einem möglichen Possessor Kasus zuweist. D verfügt also über das Merkmal [POSS]. Der Begriff Kongruenzmerkmale spricht die Eigenschaft der Kategorie D an, Kasus, Numerus und Genus den ihr untergeordneten Elementen zuzuweisen. Kurz spricht man von AGR bzw. Agreement-Merkmalen. Das Genus ist entweder bereits im Lexikon des Komplements enthalten und wird von D übernommen oder in intransitiver Realisierung verfügt D selbst über dieses Merkmal. Für das Merkmal Numerus sind sowohl die im Lexikon verankerten Eigenschaften des Komplements als auch distributionelle und syntaktische Regeln konstitutiv. Im Gegensatz dazu ist das Merkmal Kasus „… eindeutig nicht vom Lexikoneintrag eines Nomens abhängig …“.17 Weiter heißt es bei Löbel (1990): „… Kasus wird einer DP von außen zugewiesen, d.h. dieses Merkmal ist nicht intern, sondern extern bedingt und muß in jedem Fall realisiert sein, da es bekanntlich eine DP ohne Kasus nicht geben darf. …“18 Felix (1990) schreibt, dass die Merkmale Kasus, Numerus und Genus in den indogermanischen Sprachen normalerweise anhand der Nominalflexion ausgedrückt werden.19 Dies ist auch bei den Untersuchungssprachen der Fall, bis auf Armenisch, das kein Genus besitzt. Diese Funktion wird syntaktische Determination genannt. Die Markierung von Phrasen als [+definit], i.e. das Bestimmen eines konkreten Referenten, wurde als semantische Determination bezeichnet. Die Hauptfunktion eines Artikels bzw. eines Determinans ist es also, semantisch und syntaktisch zu determinieren.

Als Arbeitsdefinition ist also festzuhalten, dass ein definiter Artikel ein Determinans ist, i.e. ein obligatorischer Begleiter eines Bezugselementes, von welchem er abhängig ist und das er selbst selegiert. Ein Artikel hat keinen deskriptiven Inhalt, sondern ist ein rein funktionales Element. Er ist referenzfähig und markiert Definitheit, was schwache deiktische Eigenschaften impliziert. Zudem löst er die Agreement-Merkmale der NP aus und übernimmt koordinative Funktionen, wobei pro DP nur ein Artikel erlaubt ist.